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Full text of "Klinische und anatomische Beitr‰ge zur Pathologie des Gehirns, vol. I / von Salomon Eberhard Henschen"

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I^CKEF-ELLEK 
MEDlCALLlBmY 


•  1 1 


KLINISCHE  UND  ANATOMISCHE  BEITRAGE 


ZUR 

ATHOLOGIE  DES  GEHIE 


VON 


Dp.  SALOMON  EBERHARD  RENSCHEN 

PROFESSOR   DER   KLINISCHEN  MEDICIN,  DIREKTOR  DER   MEDICINISCHEN  KLINIK 
AN   DER   UNrVERSITÄT  UPSALA 


DRITTER  TEIL 

ERSTE  HÄLFTE 

MIT  14  TAFELN 


UPSALA  1894 

ALMQVIST  &  WIKSELLS  BUCHDRUCKEREI-AKTIENGESELLSCHAFT 


KOMMISSIONS-VEni-AG  VON  K.  F.  KOEHr.ER.  LEIPZIG 


Digitized  by  the  Internet  Archive 

in  2014 


https  ://arch  i  ve .  org/details/b21 274459 


Die  zweite  Hälfte  dieses  Teils  wird  voraussichtlich 
während  des  nächsten  Jahres  erscheinen,  und  wird  den  Text 
zu  den  Fig.  1  —  5  an  der  Taf.  XI  enthalten. 


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Neue  Fälle  die  Lehre  von  der  Sehbahn  und  dem  Sehcentrum  betreffend. 

Fall  1.  Malm. 

Wittwe.    72  Jahre  alt. 
Tafel  I— III. 


Kllnisehe  Diagnose:  Hemiplegla  sinistpa  e,  Contpaetupa, 


Krankengeschichte.  Maria  Mahn  wurde  in'.s  Kran- 
kenhaus am  "^/u  1891  aufgenommen  und  am  ^^/j2  entlassen; 
starb  "/12  1891. 

Anamnese.  Die  Eltern  sind  todt,  der  J^afcr,  welcher 
Alkoholiker  war,  starb  im  Alter  von  65  Jahren  an  unbekannter 
Krankheit,  die  Mutter  mit  60  Jahren  in  Folge  einer  Magen- 
krankheit. Von  ihren  Geschwistern  und  ihrer  übrigen  Familie 
ist  der  Fat.  wenig  bekannt;  jedoch  glaubt  sie,  dass  keine  nervöse 
Belastung  in  der  Familie  vorhanden  sei.  Von  ihren  Kindern 
starben  6  in  jugendlichem  Alter  und  zwar  an  Scharlach,  Diph- 
therie, Brustleiden  und  Epilepsie;  die  2  noch  lebenden  sind  gesund. 

Ob  Fat.  als  Kind  Krankheiten  durchgemacht  hat,  weiss 
sie  nicht.  Sie  soll  bis  zum  Anfang  ihrer  gegenwärtigen  Krank- 
heit gesund  gewesen  sein,  mit  Ausnahme  eines  sehr  schweren 
Wochenbettes,  nach  welchem  sie  während  längerer  Zeit  das  Bett 
hüten  musste. 

Ihre  hygienischen  Verhältnisse  waren  betreffs  Kost,  Kleider 
und  Wohnung  immer  gut;  die  Arbeit  —  Nätherei  —  war  Uber- 
haupt nicht  überanstrengend,  wenigstens  bis  zu  ihrem  53:ten  Jahre. 
Nach  dieser  Zeit  musste  sie  sich  jedoch,  in  Folge  veränderter 
Lebensverhältnisse  und  oekonomischen  Druckes  auch  den  gröb- 
sten und  anstrengendsten  Beschäftigungen  unterziehen.  Dabei 
überanstrengte  und  erkältete  sie  sich  oft. 

Ihr  Heirath  war  nicht  glücklich.  Heftige  Wortwechsel  und 
Auftritte  mit  dem  Manne,  welcher  sie  schlecht  behandelte,  ge- 
hörten zur  Tagesordnung.  Ihr  vorher  heiteres  Gemüth  litt  da- 
durch sehr,  sie  wurde  heftig  und  reizbar,  verstimmt  und  zeit- 
weilig verfiel  sie  auf  Selbstmordgedanken.  Die  oekonomisch 
schlechten  Verhältnisse,  die  anstrengende  Arbeit  und  der  Arger 
mit  dem  Manne  sind  nach  Angabe  der  Fat.  die  Ursachen  ihrer 
Krankheit. 

S.  E.  Heu  sehen.    Pathologie  des  Gehirns. 


Anatomische  Vepändepungen:  Ausgedehnte  Zepstöpung  dep 
Rinde  und  des  Mapks  dep  rechten  Hemlsphäpe.  —  Sekundäpe 
Sehpumpfung  dep  Centpalganglien  und  Atrophie  dep  pachten 
Schleife  und  dep  rechten  Pypamidenbahn. 

Im  August  1^74  wurde  Fat.  durch  Kurzathmigkeit,  Kopf- 
weh und  allgemeine  Äfattigkeit  belästigt;  ausserdem  klagte  sie 
Uber  Ohrensausen  und  dass  es  ihr  bisweilen  schwarz  vor  den 
Augen  wurde.  Gleichzeitig  trat  eine  immer  zunehmende  Schwäche 
im  linken  Arme  ein  und  während  Fat.  an  einem  kalter  und 
windigen  Tag  i?n  September  s.  J.  am  Seeufer  mit  Waschen  sich 
beschäftigte,  trat  unter  Schmerzen  eine  vollständige  Lähmung 
des  Arms  auf.  Nach  einer  dreiwöchentlichen  Behandlung  mit 
Elektricität  ging  dieselbe  bedeutend  zurück. 

Nachdem  sich  Fat.  Anfang  Oktober  abermals  überanstrengt 
hatte,  erwachte  sie  eines  Nachts  und  gewahrte,  dass  der  linke 
Arm  so  schwer  an  der  Brust  lag,  dass  es  ihr  unmöglich  war  ihn 
sowohl  wie  auch  das  linke  Bein  von  der  Stelle  zu  bewegen. 
Die  Sprache  war  weg,  die  linke  Zungenhälfte  schien  gelähmt, 
der  linke  Mundwinkel  war  nach  oben  gezogen,  der  linke  Unter- 
arm leicht  gebeugt,  wie  auch  die  Finger  der  linken  Hand,  und 
die  ganze  linke  Seite  war  gelähmt  und  gefühllos. 

Nach  6  Wochen  kehrte  die  Sprache  zurück,  die  Schiefheit 
des  Mundes  nahm  mehr  und  mehr  ab  und  nachdem  sie  2  Mo- 
nate im  Bette  zugebracht  hatte,  war  sie  so  weit  wieder  herge- 
stellt, dass  sie  aufrecht  sitzen  konnte.  S  Alonate  später  konnte 
sie  auf  einen  Stock  gestützt  umhergehen.  Während  der  ganzen 
Krankheit  klagte  sie  über  heftige  Schmerzen  im  Kreuz  und  //// 
linken  Arme  und  Beine,  welche  ihr  kalt  vorkamen.  Sie  war 
während  der  Krankheit  bedeutend  abgemagert.  Von  einem  hinzu 
gerufenen  Arzt  wurde  sie  mit  Elektricität  behandelt:  sein  Ver- 
such mit  einer  Bandage  der  Kontraktion  entgegenzuwirken  schei- 
terte infolge  der  dadurch  hervorgerufenen  Schmerzen. 

Einige  Monate  nach  der  Erholung  der  Fat.  (Sept.  iSjß)  ver- 
lor sie  einmal  das  Beiousstscin,  sie  sank  ganz  plötzlich  zu  Boden, 
es  stand  ihr  Schaum  vor  dem  Munde;  die  Athmung  wurde  tief 
schnarchend.    Am  folgenden  Tage  war  sie  wie  gewöhnlich  auf 


2  S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Während  der  folgenden  Jahre  bis  zum  September  1891 
war  Pat.  nicht  bettlägerig,  jedoch  hatte  sie  immer  über  Schmer- 
zen im  Kreuz  und  im  linken  Arme  und  Beine  zu  klagen.  Aus- 
serdem fror  sie  immer;  dann  und  'wann  wurde  sie  von  einem 
Anfalle  getroffen,  wobei  es  ihr  vor  den  Augen  schwarz  wurde 
und  sie,  um  nicht  umzufallen,  sich  fest  halten  musste.  Das 
Bewusstsein  hat  sie  dabei  nie  verloren.  Der  kranke  Arm  wurde 
immer  mehr  adducirt  und  in  der  Ellenbeuge  flektirt  getra- 
gen, die  Hand  war  geballt,  das  linke  Bein  schleppte  sie  nach. 
Die  Verwandten  hatten  jedoch  bemerkt,  dass  der  linke  Arm  des 
Morgens  gewöhnlich  gestreckt  war.  Die  linke  Körperhälfte  war 
mit  Ausnahme  des  Kopfes  bei  Bertihrung  oder  Temperaturwech- 
sel immer  äusserst  empfindlich.  Wenn  sie  z.  B.  bei  den  Mahl- 
zeiten warmes  Essen  an  der  linken  Seite  des  Gesichts  verschüt- 
tete, so  empfand  sie  keine  Schmerzen.  Die  Haut  der  kranken 
Seite  war  blaurot,  abschuppend.  Pat.  hat  immer  über  harten 
Leib  geklagt. 

Vergangenen  September  i8qi  bemerkte  eines  Nachts  ihre 
Umgebung,  dass  der  ganze  Körper  zuckte,  und  das  Herz  hef- 
tig schlug;  Sprache  und  Bewusstsein  waren  dabei  nicht  ge- 
schwunden. Tags  darauf  war  sie  wie  gewöhnlich  auf.  Inzwi- 
schen fingen  im  November  die  seit  dem  ersten  Anfalle  (1874) 
vorhanden  gewesenen  Schmerzen  an  immer  intensiver  zu  werden ; 
das  Bein,  welches  sie  vorher  nachschleppte,  konnte  sie  nicht 
mehr  auf  den  Boden  setzen,  der  linke  Fuss  begann  anzuschwellen 
und  sich  nach  innen  zu  drehen,  der  Unterarm  wurde  immer  stär- 
ker flektirt  und  die  Finger  schlössen  sich  immer  fester  zusammen. 
Von  Seiten  der  Blase  wurden  niemals  Störungen  beobachtet. 

Sie  wurde  nun  in  die  klinische  Abteilung  des  Akad.  Kran- 
kenhauses am  ^"/u  1891  aufgenommen. 

Status  praesens  am  5.  Dec.  1891. 

Allgemeiner  Zustand.  Pat.  ist  bettlägerig  und  schwach 
und  kann  infolge  der  Kontraktur  ihrer  linken  Seite  nur  die  rechts- 
seitige Lage  einnehmen.  Sie  ist  unter  mittlerer  Grösse  und  hat 
einen  schwachen  Körperbau.  Das  Fleisch  und  die  Muskeln  sind 
bedeutend  reducirt;  besonders  sind  die  Hände  sehr  mager  und 
eingefallen;  die  Haut  trocken,  abschuppend,  die  linke  Hand 
cyanotisch.  Die  Gesichtsfarbe  blass.  Die  Schleimhäute  von  nor- 
maler Beschaffenheit. 

Der  Appetit  ist  schlecht.  Der  Stuhlgang  ist  so  träge,  dass 
Lavements  angewendet  werden  müssen.  Der  Puls  ist  klein  und 
schwach,  schwankt  zwischen  80  bis  100  in  der  Minute.  Die 
Respiration  20.  Die  Temperatur  afebril.  Pat.  hat  Harnreten- 
tion  und  die  Blase  muss  deshalb  künstlich  entleert  werden.  Der 
Harn  enthält  weder  Eiweiss  noch  Zucker. 

Subjektive  Symptome. 

Pat.  klagt  über  Schmerzen  im  Kreuz  und  im  linken  Arm 
und  Bein.  Die  Schmerzen  im  Rücken  strahlen  nach  den  Seiten 
hinaus  und  sind  in  den  Leisten  am  stärksten.  Pat.  fühlt  ihren 
Mund  trocken  imd  hat  Schluckbeschwerden.  Bisweilen  ist  sie 
kurzalhmig,  wobei  das  Athmen  etwas  oberflächlich  ist. 

Objektive  Untersuchung. 
Psychische  Funktionen.    Die  Perception  ist  ziemlich 
normal.   Sie  fasst  was  sie  sieht  und  hört  vollkommen  richtig  auf. 


wenn  auch  etwas  gleichgültig  und  träge.  Bisweilen  giebt  sie 
auch  Antworten,  die  nicht  die  Frage  betreffen.  Die  Wortstellung 
scheint  auch  völlig  richtig.  Das  Gedächtniss  dürfte  zwar  etwas 
gelitten  haben  besonders  betreffs  dessen  was  während  ihrer  Krank- 
heit geschehen  ist,  aber  ihre  Intelligenz  ist  völlig  klar.  Ihr 
Gemüth  ist  etwas  reizbar  und  heftig;  keine  anormalen  Triebe 
legt  sie  an  den  Tag. 

Sprache.  Ihre  Sprache  ist  normal.  Sie  versteht  alles  was  man 
ihr  sagt  und  spricht  ohne  Schwierigkeit  und  korrekt  was  sie  wiU. 

Lesen:  Vor  kurzer  Zeit  konnte  sie  selbst  feine  Schrift  lesen. 

Kranialnerven  I.  Pat.  unterscheidet  Essig,  Weingeist, 
Kampfer  und  Parfüme  und  zwar  eben  so  gut  mit  der  rechten 
wie  der  linken  Nasenöffnung;  sie  kann  jedoch  die  verschiedenen 
Riechstoffe  nicht  benennen. 

II.  Pat.  ist  hypermetrop,  in  welchem  Grade  ist  jedoch 
schwierig  zu  beurteilen.  Die  Sehschärfe  konnte  nicht  genauer 
bestimmt  werden,  weil  Pat.  bei  der  Untersuchung  die  Augen 
geschlossen  hielt.  Farbensinn  normal.  Bei  der  ophthalmosko- 
pischen Untersuchung  wurde  nichts  Abnormes  wahrgenommen; 
Pat.  hat  bisweilen  Gesichtshallucinationen,  indem  sie  nicht  an- 
wesende Personen  zu  sehen  glaubt. 

Da  die  Pat.  sehr  eigensinnig  war,  so  war  es  schwierig  sie 
zu  untersuchen.  Bei  einem  Perimeterversuche  gab  sie  zwar  das 
Gesichtsfeld  normal  an,  aber  der  Eigensinn  der  Pat.  machte 
die  Untersuchung  völlig  unzuverlässig.   (S.  unten  in  der  Epikrise.) 

III.  IV.  VI.  Die  Bewegungen  der  Augen  sind  normal. 
Die  Pupillen  sind  gleich  gross,  und  reaglren  bei  Lichtreiz  und 
Accomodation. 

V.  An  der  linken  Seite  fühlt  Pat.  nicht  die  Berührung 
mit  einer  Stecknadel  oder  einem  Finger;  auch  empfindet  sie 
keinen  Schmerz  beim  leichten  Stich  oder  Kneifen,  wohl  aber 
bei  einem  stärkeren.  An  der  rechten  Seite  ist  sowohl  Tastsinn 
wie  Schmerzsinn  mehr  ausgeprägt. 

Das  Kauen  geht  träge  und  ohne  Kraft  vor  sich. 

VII.  Itn  oberen  Facialisgebiet  werden  Betvegutigen  recht 
gut  ausgeführt.  Pat.  kann  gut  die  Augen  zumachen  und  die  Stirn 
runzeln.  Die  linke  Nasolablalfalte  ist  stärker  *  markirt  als  die 
rechte ;  der  linke  Mundwi7ikel  ist  nach  oben  gezogen.  Das  linke 
Gaumensegel  steht  höher  als  das  rechte.  Die  Uvula  Ist  nach 
rechts  gezogen. 

VIII.  Das  Gehör  auf  beiden  Ohren  gleich  gut.  Bisweilen 
hört  Pat.  Läuten  und  Sausen  in  den  Ohren. 

IX.  Der  Geschmack  wurde  mit  Zucker,  Essig  und  Chinin 
geprüft  und  normal  gefunden. 

X.  XI.  Die  Athmungsfrequenz  20.  Am  Larynx  nichts 
besonderes.    Die  linke  Achsel  steht  höher  als  die  rechte. 

XII.    Die  Bewegungen  der  Zunge  gehen  normal  vor  sich. 

Spinalnerven. 

Sensibilität. 

Tastsinn:  An  der  linken  Seite  scheint  der  Tastsinn  zu 
fehlen;  an  der  rechten  fühlt  sie  wenigstens  stärkere  Berührung. 

Schmerzsinn:  Weder  linkerseits  noch  rechterseits  empfindet 
Pat.  Schmerz  bei  leichterem  Stiche  oder  Kneifen.  Tiefere  Stiche 
riefen  dagegen  Schmerz  hervor  und  zwar  stärker  auf  der  rech- 
ten Seite. 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


3 


Temperatur  sinn:  Deutlich  vermindert.  Pat.  empfindet  am 
linken   Unterarme   erst  einen  Temperaturunterschied  von  2"  C. 

Ortsinn:  Pat.  giebt  die  berührte  Stelle  meistens  unrichtig 
an,  und  zwar  besonders  am  linken  Beine,  wo  sie  die  Berührung 
des  Ober-  und  Unterschenkels  verwechselt.  Feinere  Bestimm- 
ungen mit  dem  Ästhesiometer  und  Barästhesiometer  konnten 
wegen  des  Eigensinns  der  Pat.  nicht  ausgeführt  werden. 

Motilität. 

Kopf:  Die  Bewegungen  des  Kopfes  gehen  träge  und  lang- 
sam vor  sich.  Wenden  des  Kopfes  nach  links  kann  nicht  ohne 
Schwierigkeit  ausgeführt  werden. 

Rumpf:  Pat.  kann  keine  aktive  Bewegung  ausführen,  kann 
nicht  ohne  Hülfe  im  Bette  ihre  Lage  ändern,  auch  keine  Be- 
wegung des  Rückens  ausfuhren. 

Der  linke  Arm  zeigt  eine  bedeutende  Kontraktur.  Der 
Oberarm  ist  an  die  Brustwand  adducirt;  der  Unterarm  ist  stark 
gebeugt  und  supinirt;  die  Finger  stark  gebeugt.  Eine  aktive 
Bewegung  ist  in  keinem  Gelenke  des  Armes  möglich.  Auch 
die  passiven  Bewegungen  sind  in  Folge  der  dadurch  hervor- 
gerufenen Schmerzen  eingeschränkt.  Der  Oberarm  kann  jedoch 
im  rechten  Winkel  gegen  den  Rumpf  adducirt  werden.  Der 
Unterarm  kann  kaum  bis  zu  einem  rechten  Winkel  gebeugt 
werden;  das  Proniren  ist  unmöglich;  im  Handgelenk  kann  nur 
eine  gelinde  Beugung  ausgeführt  werden.  Der  Daumen  kann 
in  allen  seinen  Gelenken  extendirt,  aber  nur  wenig  ab-  und  ad- 
ducirt werden;  die  übrigen  Finger  können  nur  wenig  in  den 
Metacarpo-phalangeal-gelenken  gestreckt  werden,  in  den  Pha- 
langealgelenken  gar  nicht. 

Die  Armmuskulatur  ist  hochgradig  atrophisch,  aber  fest 
anzufühlen;  besonders  gilt  dieses  den  M.  biceps  und  die  Flexoren 
des  Unterarms,  welche  kontrahirt  sind.  Thenar,  Hypothenar  und 
M.  interossei  sind  völlig  atrophisch. 

Rechter  Arm.  Der  Oberarm  >ann  spontan  bis  in  einen  rech- 
ten Winkel  gegen  den  Rumpf  bewegt  werden;  die  passive  Beweg- 
lichkeit im  Ellbogen  ist  sehr  klein;  vollständige  Beugung  kann 
ausgeführt  werden.  Pronation  und  Supination  kann  sie  selbst 
ausfuhren.    Die  Bewegungen  der  Hand  und  der  Finger  sind  frei. 

Linkes  Bein.  Auch  hier  sind  bedeutende  Kontrakturen 
vorhanden.  Der  Oberschenkel  ist  bis  zu  einem  rechten  Winkel 
gegen  den  Bauch  stark  adducirt.  Der  Unterschenkel  liegt  dem 
Oberschenkel  fast  unmittelbar  an;  der  Fuss  ist  leicht  pronirt. 
Aktive  Bewegungen  können  im  Hüft-  und  Kniegelenk  nicht  aus- 
geführt werden;  die  Bewegungen  des  Fusses  sind  dagegen  frei, 
obgleich  mit  kleiner  Exkursion.  Passiv  kann  das  Bein  fast  nor- 
mal sowohl  im  Hüft-  wie  Kniegelenke  gebeugt  und  auch  etwas 
extendirt  werden.  Andere  Bewegungen  sind  nicht  ausführbar. 
Der  Unterschenkel  kann  im  rechten  Winkel  gegen  den  Ober- 
schenkel extendirt  werden.  Die  Muskulatur  ist  atrophisch;  die 
Flexoren  kontrahirt,  fest  anzufühlen. 

Rechtes  Bein.  Im  Knie-  und  Fussgelenke  kann  Pat.  selb- 
ständig alle  Bewegungen  ausführen ;  im  Hüftgelenke  dagegen  nur 
die  Extension,  im  geringeren  Grade  Ab-  und  Adduktion.  Die 
Flexion  im  Hüftgelenke  ist  nur  passiv  und  nur  bis  zu  einem  rech- 
ten Winkel  gegen  den  Rumpf  möglich. 

Elektrische  Erregbarkeit.  N.  facialis  zeigt  keine  Entart- 
ungsreaktion, alle  MuscuU  abductor  dig.  minim.,  adduct.  polli- 


cis  brevis,  opponens  pollicis,  interossei  und  quadriceps  cruris 
reagirten  nicht  gegen  60  Elemente. 

Reflexe.  Triceps-  und  Patellarreflexe  sind  geschwunden. 
Der  Reflex  vom  Tendo  Achillis  kann  rechterseits,  aber  nicht 
linkerseits  ausgelost  werden.  Ein  Dorsalklonus  ist  nicht  vor- 
handen. 

Trophische  Störungen:  Sind  schon  beschrieben  (s.  Mo- 
tilität).   Keinen  Decubitus. 

Vasomotorische  Störungen:  Pat.  friert  meist.  Die 
linke  Körperhälfte  ist  etwas  kühler  als  die  rechte. 

Betreffs  der  Verdauung  wurde  nur  die  träge  Abführung 
bemerkt.    Leber  von  normaler  Grösse. 

Herz.  Perkussionsverhältnisse  normal.  Herztöne  rein,  ohne 
Geräusche,  aber  schwach  und  entfernt. 

Lungen.  Perkussionsverhältnisse  normal;  Respirationsge- 
räusch vesikulär. 

An  den  übrigen  Organen  nichts  Besonderes. 

Behandlung.    Chloral,  Massage,  Elektricität,  Sulphonal. 

^^/i2  91.  Pat.  wird  gegen  meinen  Rath  vom  Kranken- 
hause abgeholt. 

**/i2  91.  Pat.  starb  heute  plötzlich  nachdem  Blut  aus  dem 
Munde  gekommen  war. 

Sektion  am  15.  Dec  1891.    (Taf.  I.  U.  III.) 

Der  Schädel  ist  klein  und  sehr  dick,  an  der  Innenseite  rauh 
jedoch  ohne  grössere  Exostosen. 

Die  Dura  mater  adhärirt  recht  stark  an  den  Parietalbei- 
nen  und  lässt  sich  besonders  längs  der  Sutura  sagittalis  nur 
schwierig  ablösen. 

Die  Pia  mater  ist  fleckweise  verdickt,  trüb  und  undurch- 
sichtig, lässt  sich  jedoch  Uberall  ohne  Schwierigkeit  ablösen.  In 
den  Sulcis  reichlich  klare  Flüssigkeit. 

An  den  Gefässen  in  grossem  Umfange  atheromatöse  Ver- 
änderungen. 

Gehirtt  ist  im  Ganzen  auffallend  vermindert  und  klein;  be- 
sonders gilt  dies  von  der  rechten  Hv  misphäre.  Die  Windungen 
sind  zahlreich,  aber  klein  und  wie  es  scheint,  dünn. 

Die  rechte  Hemisphäre 
ist  ausserordentlich  klein  und  schlapp  und  sinkt  bei  der  Her» 
ausnähme,   besonders   in   ihrem  mittleren  Teil,  zusammen.  An 
der   Oberfläche  bemerkt   man   eine   grössere  malacische  Höhle 
und  mehrere  kleinere.     Dieselben  sind  folgenderweise  verteilt: 

Frontallappen  (Taf.  I.  Fig.  i.).  Die  Rinde  des  F^  ist  über- 
all normal;  F^  berührt  aber  in  ihrem  hintersten  Teile  die  gleich 
zu  erwähnende  Höhle. 

F^ ;  der  ganze  vordere  Teil  zeigt  teils  eine  allgemeine  Atro- 
phie, teils  verschiedene  (etwa  6)  zerstreute  kleine,  einige  m.m, 
messende,  malacische  Flecken.  Die  Lage  dieser  kleinen  Mala- 
cien  geht  am  besten  aus  der  Taf.  1.  Fig.  i.  mal.  hervor. 

Die  Verbindung  mit  dem  (Pes  der  F^)  ist  zerstört  und 
hier  findet  man  an  ihrer  Stelle  eine  tiefe  Llöhlc,  welche  haupt- 
sächlich den  Pes  einnimmt,  aber  nach  oben  hin  die  an  die  Höhle 
grenzende  Rinde  des  F^  etwas  angenagt,  nach  unten  und  hinten 
die  frontale   Rinde  des  C*  zerstört  und  diese  Windung  derart 


4 


S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


iinterminirt  hat,  dass  nur  die  Rinde  an  der  höchsten  Konvexität 
(s.  die  Fig.  i.)  erhalten  gebheben  ist.  Diese  Rindenzerstörung 
trifft  C  in  ihrem  mittleren  Teile,  lässt  die  untersten  2  cm.  wie 
auch  die  obersten  3,5  cm.  der  unbeschädigt. 

Die  Zerstörung  trifft  auch  das  tiefere  Mark  und  dringt  durch 
den  mittleren  Teil  des  Nucleus  caudatus  hindurch  (s.  unten: 
Frontalschnitte  und  Centralganglien)  (Taf.  II.  Fig.  i.  5.  6.). 

F^  ist  im  Ganzen  erhalten,  ist  jedoch  etwas  atrophisch  und 
zeigt  wenigstens  2  kleine  2 — 3  m.m.  grosse  malacische  Atro- 
phien (Taf.  I.  Fig.  I.,  Taf  II.  Fig.  8—10.). 

ist  im  Ganzen  ziemlich  erhalten.  Das  unterste  ^/s  hat 
ihre  gewöhnliche  Form,  zeigt  jedoch  einige  sehr  kleine  begrenzte 
Atrophien  (Taf.  I.  Fig.  i.).  In  dem  mittleren  '/s  ist  die  Rinde 
nur  an  der  höchsten  Konvexität  und  an  der  hinteren  Abdachung 
erhalten  geblieben.  Hier  ist  die  Markleiste  auch  zur  Hälfte  ih- 
rer Dicke  zerstört  (s.  die  Frontalschnitte).  Das  oberste  '/^  ist 
vollständig  erhalten  und  nicht  atrophisch  (s.  Fig.  1.). 

ist  im  unteren  Abschnitte  schmal  und  scheint  atrophisch. 
Drängt  man  die  Windung  nach  vorn,  so  nimmt  man  wahr,  dass 
die  occipitalc  Abdachung  beim  Übergang  zur  P**  zerstört  ist 
(s.  Fig.  I.). 

Am  mittleren  '/a  findet  sich  eine  schmale  der  Länge  der 
Windung  nach  verlaufende  etwa  15  m.m.  lange  und  3 — 4  m.m. 
breite  Malacie,  welche  nach  hinten  unten  streifenförmig  bis  zu 
der  eben  erwähnten  Malacie  sich  fortsetzt.  Das  oberste  Drittel 
ist  normal,  nicht  atrophisch. 

P-lappen.  P^  ist  am  Übergange  zur  Cp  malacisch;  auch 
an  ihrem  hinteren  Schenkel  besteht  eine  0,6  cm.  grosse  korti- 
kale Malacie. 

P-'  ist  an  der  Oberfläche  makroskopisch  erhalten. 

T-lappen.  An  T'  zwei  begrenzte  Malacien,  die  eine  2 
cm.,  die  hintere  5  cm.  occipital  von  der  T-Spitze.  Durch  die 
vordere  ist  T'  vollständig  durchbrochen,  die  hintere  bildet  eher 
eine  atrophische  Einsenkung  an  der  Oberfläche.  Die  vordere 
Malacie  in  T'  setzt  sich  nach  oben  innen  auf  die  angrenzende 
dorsale  Rinde  des  T'  und  dann  in  der  Tiefe  zwischen  T'  und 
Insula  nach  oben  hinten  fort,  so  dass  hier  jede  Verbindung  zwi- 
schen Insularinde  und  T' -rinde  zerstört  ist  (die  punktirte  Fläche 
an  der  Fig.  5.  Taf.  I.). 

Insula:  Offnet  man  die  Fossa  Sylvii  durch  Trennen  der 
T^  und  P^,  Cp,  C^  und  F^  von  einander  (s.  Fig.  i.)  so  tritt  die 
ausgedehnte  Zerstörung  der  Insula  hervor.  Es  zeigt  sich  nun, 
dass  die  Insularinde  nur  im  unteren  vorderen  Teile  erhalten 
geblieben  ist,  dagegen  ist  die  ganze  Peripherie  nach  unten  hin- 
ten und  oben  ganz  zerstört  und  die  Rinde  wie  auch  das  Mark 
hier  völlig  resorbirt.  Nach  vorn  unter  dem  Operculum  anterius 
erscheint  eine  begrenzte  etwa  0,5  cm.  grosse  kortikale  Malacie 
am  Übergange  zur  F^ 

Die  Verhältnisse  in  der  Tiefe  treten  erst  an  den  Frontal- 
schnitten hervor. 

0-lappcn.  Die  laterale  Fläche  ist  anscheinend  intakt,  keine 
begrenzte  Malacie.  Dagegen  ist  der  0-lappen  im  Ganzen  auf- 
fallend atrophisch;  die  Atrophie  betrifft  besonders  O^  und  den 
angrenzenden  Teil  des  O^  Diese  Windungen  sind  sehr  klein 
und  verschrumpft. 


Die  mediale  Fläche. 

Hier  ist  die  Rinde  im  vorderen  Abschnitte  ganz  intakt. 
Ob  eine  diffuse  unbedeutende  Atrophie  im  F'  bei  ihrem  Über- 
gang von  der  dorsalen  zur  ventralen  Oberfläche  besteht,  ist 
schwierig  ohne  mikroskopische  Untersuchung  zu  entscheiden. 
Die  Windungen  sind  hier  kleiner  und  mehr  zerteilt  als  sonst. 
Gyri  cinguli  und  der  Parietallappen  sind  kräftig  entwickelt. 

Dagegen  ist  der  Cuneus  im  Ganzen  atrophisch,  jedoch  ohne 
begrenzte  Malacien  oder  Atrophie  zu  zeigen. 

Die  ventrale  Fläche. 
Die  orbitale  Fläche  ist  normal. 

Die  temjDoro-occipitale  Fläche  zeigt  einen  grossen  tiefen 
Defekt,  welcher  hauptsächlich  der  T^,  Gyrus  occipito-temporalis 
oder  collateralis,  entspricht.  Die  Malacie  erstreckt  sich  (Taf.  i- 
Fig.  2.)  von  dem  Uncus,  der  ganz  verschont  ist,  über  die  ganze 
Breite  der  T*,  hat  vorn  auch  den  vorderen  Abschnitt  der  ven- 
tralen Fläche  der  H  zerstört,  wird  dann  nach  hinten  schmäler 
und  hat  hier  die  hintersten  etwa  3  cm.  der  Oberfläche  des  T* 
intakt  gelassen.  Die  genauere  Verbreitung  der  Malacie  studirt 
man  am  besten  an  den  Frontalschnitten.  Die  Rinde  des  hinteren 
Teils  der  H,  T"*  und  T^  Sind  zum  grössten  Teil  makroskopisch 
erhalten  geblieben,  obwohl  das  tiefere  Mark  zerstört  ist. 

Nirgends  berührt  die  Malacie  die  Rinde  der  Fissura  cal- 
carina. 

Frontalschnitte. 

0-lappen.  Die  Spitze  des  0-lappens  wie  auch  der  Schnitt 
I  cm.  vor  der  0-spitze  zeigt  keine  makroskopischen  Veränder- 
ungen; jedoch  scheint  die  Rinde  des  Cuneus  im  unteren  Um- 
fange schmal  und  körnig  zu  sein.  Im  Mark  giebt  es  keine  makro- 
skopische Veränderung. 

Schnitt  2  cm.  vor  der  O-Spitze  (Taf.  II.  Fig.  2.).  Der  obere 
Umfang  und  die  Rinde  der  Fissura  calcarina  ist  nicht  makro- 
skopisch verändert.  Im  ventralen  Umfange  dürfte  die  Rinde 
etwas  schmal  sein,  ohne  gröbere  Veränderungen  zu  zeigen. 

Das  tiefere  Mark  ist  im  ganzen  ventralen  Abschnitte  bis 
zur  Höhe  der  Fissura  calcarina  porös,  durchlöchert  und  schlaff, 
mit  punktförmigen  Höhlungen.  Die  genauere  Verbreitung  (s. 
P'ig.  2.;  punktirt). 

Schnitt  j  cm.  (Taf.  II.  Fig.  3.).  Hier  ist  auch  die  Rinde 
in  der  Tiefe  der  Fissura  collateralis  und  der  T^  wie  auch  in  der 
Tiefe  der  O^  (s.  Fig.  3.)  also  zwischen  O^  und  O^  malacisch  oder 
ganz  zerstört.  Das  Mark  im  ganzen  ventralen  Abschnitte  ist 
malacisch  mit  i — 2  m.m.  grossen  Höhlchen.  Die  ganze  Seh- 
strahlung ist  malacirt.  Nach  oben  ist  das  Mark  auch  in  der  P'''' 
und  bis  zur  Fissura  occipito-parietalis  malacirt  (s.  Fig.  3.).  Nur 
das  subkortikale  Mark  der  Fissura  calcarina  ist  anscheinend  ver- 
schont. 

Schnitt  4  cm.  (Taf.  II.  Fig.  4.).  Wie  aus  der  Fig.  4.  näher 
hervorgeht  ist  das  Mark  in  der  ganzen  unteren  Hälfte  des  Schnittes 
malacisch,  lose  und  porös  und  diese  Hälfte  selbst  ist  zusammen 
gesunken  und  geschrumpft.  In  der  ventromedialen  Peripherie  er- 
streckt sich  die  Malacie  bis  zur  Oberfläche  und  hier  sind  die 
ventrale  Hälfte  der  T^,  die  ganze  T^  und  der  angrenzende  Teil 
der  T^  zerstört.  Mehr  dorsal  dringt  die  Malacie  an  der  Grenze 
zwischen  P^'  und  T^  auch  bis  zur  Oberfläche  vor,  obwohl  dieses 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND  5 


von  aussen  nicht  deutlich  zu  sehen  ist.  Die  Rinde  der  Fissura 
calcarina,  P'  und  des  grössten  Teils  der  P'"*'  wie  T"*  ist  erhalten, 
obwohl  das  angrenzende  Mark  Uberall  mit  Ausnahme  unter  P^ 
malacisch  ist.  Wie  weit  die  Malacie  sich  nach  oben  im  Mark 
erstreckt,  geht  aus  der  Fig.  4.  näher  hervor.  Nur  die  obersten 
etwa  3  cm.  scheinen  verschont  zu  sein. 

In  der  Tiefe  des  Sulcus  intraparietalis  (Fig.  4.  ip.)  existirt 
eine  kortikale  Erweichung.  Die  SehstraJilung  ist  vollständig 
erweicht. 

Schnitt  J  cm.  (Taf.  II.  Fig.  5.).  In  Folge  der  Atrophie  und 
des  Zusammengesunkenseins  der  Hemisphäre  liegt  dieser  wie 
auch  die  übrigen  Schnitte  mehr  nach  vorn  als  an  normalen  Ge- 
hirnen. —  Hier  hat  die  Malacie  eine  noch  grössere  Ausdehnung. 
Im  ventralen  Teil  ist  H  fast  total  und  T^  total  malacisch  zer- 
stört und  resorbirt.  Dagegen  ist  die  Rinde  des  T^  ziemlich  er- 
halten geblieben,  die  Rinde  der  T^  und  P''''  zum  Teil  arrodirt. 
Sonst  ist  die  Rinde  Uberall  makroskopisch  intakt.  Dagegen  ist 
das  Mark  fast  über  der  ganzen  Schnittfläche  vollständig  erweicht, 
lose  und  porös  und  zwar  bis  zur  Rinde,  welche  auch  hie  und  da 
von  der  Erweichung  ergriffen  ist.  Nur  im  dorsalen  Abschnitte 
haben  die  Markleisten  ihre  Konsistenz  erhalten.  Die  Sehstrahlung 
ist  total  erweicht.  In  Folge  dieser  Erweichung  und  Resorbtion 
der  erweichten  Substanz  ist  die  Breite  des  Schnittes  wesentlich 
vermindert  worden,  wie  auch  die  Fig.  5.  zeigt. 

Corpus  callosum  scheint  makroskopisch  intakt  zu  sein. 

Schnitt  6  cm.  (Taf.  II.  Fig.  6.).  (In  der  Ebene  des  hinteren 
Colliculus).  Hier  ist  die  Rinde  fast  ringsum  der  Peripherie  er- 
halten geblieben  mit  Ausnahme  dass  H  und  T*  vollständig  zer- 
stört sind;  auch  in  der  Tiefe  des  t^  dringt  die  Malacie  bis  zur 
Oberfläche  des  Gehirns.  Das  Mark  ist  überall  total  erweicht  mit 
Ausnahme  im  höchsten  Teil  unter  Cp.  Unter  H  und  T^  ist  es 
total  resorbirt  sowie  auch  unter  T^  und  P^,  wo  eine  grössere 
Höhle  vorhanden  ist.  Unter  T^  und  T^  ist  das  Mark  noch  vor- 
handen, aber  höchst  lose  und  porös.  Die  Malacie  erreicht  das 
Ventrikelependym. 

Das  Ammonshorn  wie  auch  das  Corpus  callosum  ist  auf 
dem  Durchschnitt  erhalten. 

Schnitt  7  cm.  (fällt  etwas  vor  der  Spitze  des  Pulvinars) 
(Taf.  I.  Fig.  4.  und  5.).  H  und  T*  sind  hier  verschwunden  (Schnitt 
fällt  an  dem  hinteren  Ende  des  Uncus).  Die  Rinde  ist  sonst, 
mit  Ausnahme  an  der  Tiefe  des  \},  erhalten  geblieben,  wogegen 
das  Mark  nur  im  obersten  '/s  und  auch  da  fast  nur  in  den  Mark- 
leisten erhalten  ist.  Das  Mark  unter  H  und  T*  ist  resorbirt, 
unter  T'  und  T^  lose  und  porös.  Unter  T^  und  P^  liegt  eine 
grosse  Höhle  und  unter  C^  ist  nur  das  mehr  centrale  Mark  er- 
weicht; endlich  unter  dem  Paracentrallappen  (mediale  C*  und  Cp) 
ist  das  subkortikale  Mark  makroskopisch  erhalten,  und  nur  wenig 
verändert  und  loser  als  normal.  Das  ganze  vertikale  Marklager 
ist  total  erweicht. 

Frontal  schnitte  der  vorderen  Hemisphärenhälfte.  Die 
N:o  der  Schnitte  werden  von  der  Frontalspitze  gerechnet. 

Schnitt  I  cm.  (nach  hinten  von  der  Spitze  des  Frontal- 
lappens) zeigt  keine  makroskopischen  Veränderungen. 

Schnitt  2  cm.  (Taf.  II.  Fig.  8.).  Die  Rinde  der  F^  etwas 
schmal  mit  beschränkter  kortikaler  Malacie.    Das  Mark  ist  nur 


unter  F^  im  Winkel  zwischen  F^,  F^  und  der  orbitalen  Fläche 
porös  und  erweicht.  Diese  Erweichung  dehnt  sich  nach  hinten 
(occipitalwärts)  aus  und  erscheint  am 

Schnitte  j  cm.  (Taf.  II.  Fig.  9.)  bedeutend  grösser  und 
nimmt  hier  das  Mark  unter  F^,  F^  (lateraler  und  orbitaler  Teil) 
bis  zur  Ausstrahlung  des  Balkenkörpers  ein.  Die  Rinde  der  F- 
und  F''  ist  in  kleiner  Ausdehnung  erweicht. 

Schnitt  4  cm.  (Taf.  II.  Fig.  10.).  Nur  die  mediale  Rinde 
des  Operculum  anterius  (F^)  ist  malacisch.  Das  Mark  zwischen 
der  Rinde  der  F^,  F^,  Insula  und  des  Linsenkerns  ist  erweicht. 
Unter  F'  und  dorsalem  Teil  des  F^'ist  das  Mark  makroskopisch 
intakt.  Occipitalwärts  dehnt  sich  die  Malacie  unter  den  unteren 
^/s  der  C''',  Cp  und  P-  aus  und  bildet  hier  grössere  cystenähn- 
liche  Höhlen,  wodurch  die  ausserdem  sehr  atrophische  Rinde 
vollständig  unterminirt  wird.  Medialwärts  streckt  sich  die  Zer- 
störung bis  in  den  Linsenkern  ein  (Taf.  I.  Fig.  4.  5.). 

Um  den  centralen  Teil  der  Hemisphäre  näher  zu  unter- 
suchen, wurden  Horizontalschnitte  durch  die  Centraiwindungen 
gelegt. 

Horizontalschnitt  (Taf.  III.  Fig.  i.,  Taf.  I.  Fig.  4.  5.) 
durch  die  Cyste  des  F'-Pes.  Diese  Höhle  dringt  bis  zum  Epen- 
dym  des  Seitenventrikels  vor.  Das  Mark  ist  sowohl  nach  vorn 
(frontalwärts)  unter  dem  F^  vollständig  erweicht  (etwa  3  cm.), 
wie  nach  hinten  unter  der  C^  und  Cp  ;  diese  Erweichung  hängt 
nach  hinten  mit  der  grossen  Erweichung  des  Hemisphärenmarks 
zusammen.  Dadurch  sind  auch  die  oberen  Teile  der  Centrai- 
windungen von  der  Capsula  interna  getrennt. 

Horizontalschnitt  durch  den  Körper  des  Nucleus  caudatus 
(Taf.  I.  Fig.  4.).  Eine  grosse  malacische  Höhle  liegt  am  Durch- 
schnitte zwischen  dem  Ventrikel  und  der  Rinde  der  Centrai- 
windungen. Diese  Höhle  dringt  nach  aussen  bis  zu  der  sehr 
atrophischen  Rinde  vor  und  nach  innen  bis  zum  Ependym  des 
Seitenventrikels.  Vom  Nucleus  caudatus  ist  nur  der  Kopf  bis 
zur  Frontalebene  des  Foramen  Monroe  noch  erhalten.  Sowohl 
Corpus  als  Cauda  ist  verschwunden. 

£)er  rechte  Seitenvefitrikel  ist  in  Folge  der  Atrophie  der 
Centralganglien  nach  aussen  und  unten  bedeutend  erweitert. 

T-lappe.n  (Taf.  I.  Fig.  i.  2.).  Die  vordere  Malacie  der 
T^  dringt  nach  innen  im  Mark  des  T-lappens  an  die  Aussenseite 
des  Unterhorns  ein  und  hier  findet  sich  längs  der  Aussenwand 
und  des  Uncus  eine  etwa  3  cm.  lange  und  i  cm.  breite  Höhle 
welche  sich  bis  zur  Wand  des  Horns  ausdehnt.  Auch  die  übrige 
Markmasse  des  T-lappens  ist  lose  und  malacisch. 

Centralganglien  (Taf.  I.  Fig.  3.  4.  5.).  Beim  Vergleich 
der  Centralganglien  rechterseits  und  linkerseits  springt  die  vorge- 
schrittene Atrophie  des  rechten  Thalamus  gleich  in  die  Augen, 
während  die  Vierhügel  beiderseits  fast  gleich  gross  sind. 

Thalamus.  Länge  vom  Foramen  Monroe  bis  zur  Spitze 
des  Pulvinars  links  33  m.m.,  rechts  26  m.m.  Breite  rechts  etwa 
9  m.m.,  links  11  m.m.;  Höhe  in  der  Ebene  der  Ausmündung 
des  Aquädukts  rechts  11  m.m.,  links  19  m.m.  Aus  diesen  Massen 
geht  also  hervor,  dass  die  Verminderung  fast  nur  die  Länge  und 
Höhe  betriß"t.  Wenn  man  den  rechten  Thalamus  von  oben  be- 
trachtet, so  fällt  gleich  die  Schrumpfung  dieses  Ganglions  in  die 


6 


S.  E.  HENSCHEN. 


PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Augen.  Dem  Ganglion  fehlt  vollständig  die  Wölbung  in  der 
Frontalrichtung  (Taf.  I  Fig.  4.  5.)  und  die  Stria  terminalis  und 
Stria  medullaris  (habenulae)  liegen  in  derselben  Horizontalebene; 
auch  die  Wölbung  von  vorn  nach  hinten  ist  unbedeutend.  Die 
Oberfläche  des  Thalamus  ist  höckerig-uneben  und  an  der  Grenze 
gegen  Pulvinar  findet  sich  ein  seichtes  aber  etwa  5  m.m.  mes- 
sendes Grübchen  (Fig.  4.  5.). 

Die  Consistenz  des  Thalamus  ist  fest,  die  des  Pulvinars  loser. 

Das  Tuberculu?n  anteriiis  zeichnet  sich  auch  rechts  scharf 
ab,  ist  aber  magerer  als  links. 

Das  Pulvinar  ist  in  hohem  Grade  und  in  allen  Richtungen 
atrophisch  und  zu  einer  platten  Wulst  von  etwa  3 — 4  m.m. 
Breite  reduzirt,  während  das  linke  Pulvinar  etwa  8  m.m.  misst. 

Corpus  genicidatum  externum  ist  links  nur  wenig  grösser 
und  mehr  hervorragend  als  rechts  und  ist  beiderseits  von  fester 
Consistenz. 

Das  Corpus  genictilatiim  internum  ist  links  von  gewöhnlicher 
Form,  Consistenz  und  Grösse,  rechts  weniger  hervorragend,  loser 
und  unansehnlich.  Beim  Messen  tritt  der  Unterschied  wenig  her- 
vor, das  rechte  misst  etwa  i — 2  m.m.  und  ist  sowohl  in  der 
Länge  wie  Breite  kleiner. 

Corpora  4-gemina. 

Der  Colliculus  a?itcrior  dextcr  ist  nur  unbedeutend  aber  be- 
sonders im  vorderen  Umfange  kleiner  als  der  sinister. 

Der  Colliculus  posterior  dcxter  ist  vielleicht  auch  im  vor- 
deren Umfange  etwas  kleiner  als  der  sinister;  der  Unterschied  ist 
jedenfalls  so  unbedeutend,  dass  er  selbst  fraglich  ist.  Die  Bracchia 
sind  auch  rechterseits  etwas  schwächer  als  linkerseits. 

Tractus  opticus.  Ein  deutlicher  Unterschied  rechts  und  links 
scheint  tiicht  vorhanden. 

Chiasma;  die  linke  Hälfte  scheint  etwas  voller  als  die  rechte 
zu  sein. 

Nervus  opticus;  der  linke  etwas  schwächer  als  der  rechte. 

Das  Corpus  tnammillare  dextrum  ist  etwa  i  m.m.  kleiner 
(3  m.m.  gross)  als  das  sinistrum  (etwa  4  m.m.).  Der  aufsteigende 
Schenkel  ist  rechts  auch  etwas  schwächer  als  links,  doch  kann 
man  ihn  bis  zum  Uncus  ohne  Unterbrechung  verfolgen;  vielleicht 
ist  er  hier  rechts  etwas  schwächer  als  links. 

Der  Uncus  Hippocampi  ist  beiderseits  von  denselben  Di- 
mensionen, wie  auch  das  Ammonshorn,  dagegen  ist  das  Unter- 
horn rechts  weiter  als  links. 

Pedunculi  cerebri  am  Durchschnitte  vor  dem  Pons.  Der 
rechte  ist  bedeutend  abgeplattet  und  in  der  Peripherie  zusammen- 
geschrumpft. Die  Peripherie  ist  rechts  mit  der  Begrenzung  der 
Haube  fast  parallel,  links  aber  konvex. 

Haube.  Am  Horizontalschnitt  vor  dem  Pons  ist  sie  rechts 
kleiner  als  links  und  die  Peripherie  des  rechten  Lemniscusfeldes 
deutlich  abgeplatteter  als  links. 

Die  linke  Hemisphäre 
zeigt  mit  folgender  Ausnahme  keine  Veränderungen  weder  an  der 
Oberfläche  noch  an  den  zahlreichen  gelegten  Durchschnitten. 

Nucleus  caudatus  (Taf.  I.  Fig.  3.)  zeigt  in  seiner  mittleren 
Abteilung  (Körper)  eine  kleine  cystische  Narbe  (etwa  ip  m.m. 


nach  hinten  von  dem  Kopfende).  Diese  Narbe  zieht  an  der 
Oberfläche  schräg  vom  Ependym  durch  den  Körper  bis  zum 
äusseren  Rande  und  setzt  sich  dann  als  eine  2 — 3  m.m.  messende 
Cyste  an  dem  Aussenrande  und  durch  die  Capsula  interna  etwa 
einige  m.m.  nach  unten  fort  (Taf.  I.  Fig.  3.  mal.). 

Der  Occipitallappen  (Taf.  II.  Fig.  7.).  An  der  Spitze  des 
0-lappens  findet  sich  eine  kortikale  Erweichung  von  unregel- 
mässiger Form.  Diese  liegt  etwas  höher  als  die  Fissura  calcarina, 
welche  dadurch  nur  wenig  berührt  wird  und  streckt  sich  nach 
vorn  etwa  1,5  cm.  und  dehnt  sich  dann  in  der  Höhe  der  Fis- 
sura calcarina  streifenförmig  nach  hinten  über  die  Spitze  aus,  wo 
sie  sich  an  der  lateralen  Fläche  etwas  vergrössert.  Ihre  Form 
und  Ausdehnung  geht  aus  der  Taf.  II.  Fig.  7.  am  besten  her- 
vor.   (Vgl.  die  mikroskopische  Untersuchung). 

Das  Kleinhirn  zeigt  weder  in  der  Form,  Grösse  oder  Con- 
sistenz irgend  eine  deutliche  Veränderung.  Die  beiden  Hemi- 
sphären sind  gleich  gross,  ohne  malacische  Stellen. 

Der  Pons  ist  in  seiner  rechten  Hälfte  etwas  atrophisch. 

Die  Medulla  oblongata  zeigt  makroskopisch  keine  deutliche 
Veränderung. 

Mikroskopisches. 

Die  linke  Hemisphäre. 

Der  linke  Occipitallappen  wurde  in  Frontalschnitte  zerlegt. 
Die  Serien  A — E  umfassen  etwa  1,5  cm.  von  der  Spitze. 

Ser.  A.  Schnitte  aus  der  Spitze.  (Taf.  II.  Fig.  7.)  Wie 
aus  dem  makroskopischen  Bild  näher  hervorgeht,  finden  sich  in 
der  Spitze  einige  kleinere  unregelmässige  Malacien,  etwa  in  der 
gedachten  Fortsetzung  der  Fissura  calcarina.  Das  Mikroskop 
zeigt  nur,  dass  hier  in  der  Rinde  eine  grössere  Anzahl  kleiner 
mikroskopischer  Veränderungen  in  der  Rinde  vorkommen.  Sie 
treten  als  kleine  fast  erst  unter  der  Loupe  sichtbare  atrophische 
unregelmässige  Flecken  hervor,  in  welchen  das  Gewebe  rareficirt 
ist  und  die  Zellen  wie  auch  die  Fasern  geschwunden  sind.  Alle 
diese  Flecken  sind  nur  kortikal  und  dringen  höchstens  etwa  zu 
einem  Viertel  der  Dicke  der  Rinde  ein;  oft  sind  sie  nur  ober- 
flächlich. Eine  reaktive  Entzündung  in  deren  Nähe  ist  nicht 
vorhanden. 

Die  Rinde  ist  sonst  anscheinend  normal  wie  auch  die 
Zellen  und  die  Fasern,  weshalb  ich  auf  die  ausführlichere  Be- 
schreibung verzichte. 

Ser.  B.  Schnitte  etwa  o,;  cm. — J  cm.  vor  der  Spitze. 
Hier  finden  sich  3 — 4  kleine  Rindendefekte  infolge  der  Malacie, 
nähmlich 

a)  an  der  medialen  Seite 

1)  ein  mikroskopischer  in  der  oberen  Lippe  der  Fissura 
calcarina,  nahe  der  Mündung  der  Fissura;  er  misst  nicht  0,5  m.m. 

2)  Zwei  etwa  2  m.m.  grosse  Defekte,  dorsal  von  der  Fissur; 

b)  an  der  lateralen  Fläche: 

3)  ein  im  Sulcus  occip.  sup.;  2  m.m.  gross. 

4)  ein  im  O^,  auch  etwa  2  m.m.  gross. 

Alle  diese  sind  nur  kortikal,  aber  unter  den  Defekten  fin- 
det sich  im  Mark  ein  mässiger  Faserausfall. 

Ser.  C.  und  D.  Schnitt  etwa  i  cm.  von  der  Spitze.  Die 
mediale  Rinde  normal,  in  der  lateralen  in  dem  Gyrus  occip, 
infer.  einige  etwa  1 — z  m.m.  grosse  kortikale  Defekte- 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


7 


Dagegen  treten  sowohl  in  der  Sehstrahlung  wie  sonst  hier 
und  da  Flecken  hervor,  wo  deutlich  ein  massiger  Faserausfall 
vorhanden  ist ;  und  besonders  in  der  Rinde  der  Fissur a  calcarina 
scheint  ein  solcher  Ausfall,  obwohl  im  geringeren  Grade,  zu 
existiren  wie  auch  ein  geringerer  Grad  von  diffuser  Atrophie, 
Das  subkortikale  Mark  der  Fissura  calcarina  ist  intensiv  gefärbt. 

Dorsal  von  der  Fissur  (also  im  Cuneus)  finden  sich  kleine 
oberflächliche  etwa  2  m.m.  grosse  Defekte,  wie  auch  an  der 
Mündung  der  Fissur  sowohl  in  der  dorsalen  wie  in  der  ventralen 
Rinde.    Die  Zellen  sind  in  den  atrophischen  Flecken  pigmentirt. 

Ser.  E.    Etwa  1,5  cm.  von  der  Spitze.  Wie  an  C  und  D. 

Ser.  F.  Etwa  1,5 — 2  cm.  von  der  Spitze.  Die  oben  er- 
wähnten oberflächlichen  Malacien  sind  fast  vollständig  geschwun- 
den, aber  im  Mark  finden  sich  hellere  einige  m.m.  grosse  Flecken 
wo  ein  Faserausfall  stattgefunden  hat.  Die  Sehstrahlung  zeigt 
auch  einen  Faserausfall,  obschon  im  geringeren  Grade  als  in 
den  vorigen  Schnittreihen. 

Die  Zellen  der  Rinde  sind  nirgends  pigmentirt. 

Ser.  G.  Etwa  2,5  cm.  vor  der  Spitze:  In  der  lateralen 
Rinde  findet  sich  nur  eine  Spur  minimalster  nicht  i  m.m.  grosser 
Defekte,  wie  auch  im  Mark  der  ventralen  Rinde  eine  Spur  von 
Faserausfall  vorhanden  ist. 

Die  mediale  Rinde  ist  normal  und  besonders  die  der  Fissura 
calcarina,  wo  die  Markstrahlen  und  die  tangentiale  Schicht  schön 
sind.  Die  Zellen  haben  deutliches  Protoplasma  und  scharfe  Kon- 
turen und  sind  wie  das  Neuroglia  normal.  Die  Sehstrahlung  ist 
nunmehr  sehr  intensiv  gefärbt. 

Rückblick.  Die  Spitze  des  lijike7t  Occipitallappens 
tinterliegt  einer  recht  ausgedehnten  Atrophie.  Die  Atrophie 
ist  teils  eine  diffuse,  welche  von  einer  allgemeinen  Nutritions- 
störung  abhängt,  teils  eine  begrenzte. 

Jene  giebt  sich  dadurch  kund,  dass  in  der  Rinde  ein 
dififuser,  obschon  wenig  hervortretender,  Schwund  der  Grund- 
substanz, eine  Pigmentirung  der  Zellen  hie  und  da  sowie  ein 
Ausfall  der  Nervernfasern  sowohl  in  der  Rinde  wie  in  dem 
Mark  vorhanden  ist. 

Die  begrenzten  Atrophien  finden  sich  teils  in  der  late- 
ralen Rinde  (im  ventralen  Abschnitt  hie  und  da  sowie  auch 
in  O')  teils  auch  in  der  medialen.  Selbst  die  Fissura  calca- 
rina geht  nicht  völlig  frei  und  sowohl  in  der  ventralen  wie 
in  der  dorsalen  Lippe  finden  sich  an  der  Mündung  der  Fissur 
solche  kleine  anämische  Nekrosen  aber  besonders  in  der 
Cuneus-Rinde  (vergl.  Taf.  II.  Fig.  7),  dorsal  von  der  Fissur. 

Im  Mark  findet  sich  unter  den  genannten  Defekten  ge- 
wöhnlich ein  deutlicher  Faseratisfall  in  Form  von  bleichen 
faserarmen  Flecken. 

Aber  besonders  in  der  Sehstraklung  nimmt  man  die 
Folgen  der  ausgedehnten  Atrophie  und  des  Faserausfalls  wahr, 
indem  die  mittlere  Schicht  der  Sehstrahlung  bleich  und  ver- 
hältnissmässig  faserarm  ist. 

Alle  diese  Veränderungeii  scheinen  nur  die  eigentliche 
Spitze  des  Occipitallappens  bis  zu  einer  Ausdehnung  von  etwa 
1,5  cm.  nach  vorn  einzu7iehmen.  Von  diesem  Punkte  ab  nach 
vorne  hin  wird  die  Nutrition  auffallend  besser,  und  besonders 
erkennt  man  dies  an  der  Beschaffenheit  der  Sehstrahlung, 
welche  in  ihrem  vorderen  Abschnitt  intensiv  gefärbt  ist.  Aber 


auch  die  Rinde  wird  fester,  die  Markstrahlen  schöner  gefärbt, 
die  Zellen  anscheinend  voller,  nicht  mehr  oder  nur  ausnahms- 
weise pigmentirt  und  im  Mark  findet  man  kaum  helle  Flecke. 

Die  Nutritionsstörung  trifft  also  die  eigentliche  Spitze 
des  Occipitallappens  (die  hintersten  15  m.m.). 

Die  rechte  Hemisphäre. 

Centralgangliefi  (Taf.  I.  3.  4).  Die  Centraiganglien  der 
rechten  Hemisphäre  wurden  in  eine  frontale  Schnittserie  zerlegt. 
Beim  Färben  der  Schnitte  hatte  ich  verschiedene  Missgeschicke, 
wodurch  die  Präp.  nicht  immer  schön  und  deutlich  genug  wurden, 
wozu  auch  ihre  bindegewebige  Natur  beitrug. 

Wie  schon  aus  der  makroskopischen  Beschreibung  hervor- 
geht, waren  die  Centralganglien  rechterseits  in  hohem  Grade  ge- 
schrumpft und  in  Bindegewebe  umwandelt.  Diese  Veränderung 
hatte  besonders  den  Thalamus  (Taf.  III.  5.  6.  7)  wie  auch  die 
Capsula  externa  und  die  nach  aussen  liegenden  Teile  getroffen;  be- 
sonders war  das  Pulvinar  in  eine  dünne  platte  Wulst  verwandelt. 
Infolge  dessen  war  die  dorsale  Fläche  des  Thalamus  nicht  mehr 
eine  konvexe  sondern  eine  konkave  und  bildete  eine  seichte 
Rinne.  Ebenfalls  war  die  ventrale  Fläche  der  Centralganglien 
in  hohem  Grade  geschrumpft.  Die  Höhe  des  Talamus  von  dem 
Kniehöcker  bis  zur  dorsalen  Oberfläche  misst  nur  etwa  3  m.m. 
(an  einem  normalen  gehärteten  Präp.  eines  jungen  Mädchens 
22  m.m.). 

Diese  Schrumpfung  war  mit  einer  Massenatrophie  ver- 
bunden. 

Von  den  drei  Nuclei  waren  der  Nucleus  externus  und  inter- 
nus überhaupt  nicht  mehr  von  einander  zu  unterscheiden,  so  i- 
dern  beide  eher  in  ein  dünnes  mehr  oder  weniger  plattes  hori- 
zontales Dreieck  zusammengeschmolzen,  dagegen  markirte  sich 
der  Nucleus  anterior  deutlich.  Es  fehlte  also  vollständig  eine  La- 
mina  meduUaris  interna. 

Thalamus  opticus. 
In   den   occipitalen    Abschnitten.    (Occipital   vom  äusseren 
Kniehöcker). 

Das  ganze  Ganglion  ist  in  ein  festes  Bindegewebe  ver- 
wandelt, wo  man  Uberhaupt  fast  keine  Nervenfasern  mehr  wahr- 
nehmen konnte. 

Fasern:  Stratum  superficiale.  Der  Rest  desselben  ist  längs 
der  dorsalen  Fläche  hie  und  da  nur  in  Form  einzelner  Bündel- 
chen noch  vorhanden. 

Längs  des  ventralen  Randes  findet  sich  auch  zwischen  den 
Kniehöckern  ein  dickeres  Bündel  noch  vor.  Die  Lamina  me- 
duUaris externa  bildet  eine  äusserst  dünne  Schicht  von  verein- 
zelten graugefärbten  kurzen  Bündeln,  welche  keine  zusammen- 
hängende Schicht  bilden.  Im  dorsolateralen  Winkel  sind  diese 
Bündel  stärker  und  besser  gefärbt.  Von  dieser  Lamelle  läuft 
eine  Anzahl  von  graugefärbten  dünnen  und  abgebrochenen  Bün- 
deln in  die  bindegewebeverwandelte  Masse  des  Thalamus  ein. 
Stärkere  Bündel  fehlen  überhaupt. 

Die  Ganglienzellen  sind  fast  alle  in  hohem  Grade  ge- 
schrumpft und  in  gerundet-eckige,  kleine,  bleiche,  körnige  Schei- 
ben, welche  überhaupt  keine  deutlichen  Zellenkerne  mehr  zeigen, 
verwandelt.    Der  grösste  Teil  der  Ganglienzellen  selbst  ist  ver- 


8 


S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


schwunden;  pericelluläre  Räume  sind  nicht  mehr  deutlich  vor- 
handen. 

Das  Stroma  ist  vollständig  in  ein  dickes,  kernreiches  fase- 
rig-homogenes Bindegewebe  umgewandelt,  das  hie  und  da  eine 
schöne  wellige  Beschaffenheit  angenommen  hat.  Im  Stroma  fin- 
den sich  keine  malacischen  Herde. 

Im  iiiittlercn  Abschnitt  (also  im  Gebiete  der  Kniehöcker) 
verhält  sich  der  Thalamus  in  derselben  Weise.  (Taf.  III.  Fig.  5.) 

Lii  frontalen  Abschnitte  (Taf.  III.  Fig.  6.  7.)  (Gebiet  des 
Tractus)  ist  das  Ganglion  nur  etwas  mehr  reducirt  und  bildet 
ein  von  cavernulös  ausgedehnten  Lymphräumen  durchbohrtes 
Gewebe,  wo  man  Uberhaupt  fast  keine  Hirnstruktur  mehr  wahr- 
nehmen kann.  Nur  im  medialen  Abschnitt  (Nucleus  internus) 
ist  das  Gewebe  mehr  normal  und  hier  findet  man  eine  grössere 
Anzahl  dickerer  Bündel.  Jene  Cavernen  sind  nicht  die  Folge 
malacischer  Höhlen  sondern  bei  der  Verödung  des  atrophischen 
Gewebes  durch  Ausdehnung  der  pericellulären  und  perivasculären 
Räume  entstandene  Höhlenräume. 

Der  Nucleus  anterior  niisst  in  vertikaler  Richtung  etwa 
1,5  m.m.  (ein  normaler  Nucleus  etwa  4 — 10  m.m.),  und  ist  also 
bedeutend  atrophisch. 

Fasern.  Die  dorsale  Kapsel  ist  recht  dick,  aber  ihre  Fa- 
sern sind  deutlich  zum  Teil  in  Atrophie  begriffen.  Sie  sind  wel- 
lig und  ein  Faserausfall  findet  gewiss  statt.  Die  ventrale  Kap- 
sel; ein  bedeutender  Faserausfall  findet  besonders  im  lateralen 
Teil  statt  und  eine  zusammenhängende  Kapsel  existirt  kaum.  Im 
Inneren  des  Ganglions  finden  sich  zwar  noch  Nervennetze,  aber 
ihre  Fasern  sind  zum  Teil  vollständig  degenerirt  oder  bestehen 
aus  kürzeren  Stückchen.  Auch  sind  zahlreiche  Reste  der  Fasern 
vorhanden. 

Die  Ganglienzellen  sind  noch  vorhanden,  und  zwar  in  gros- 
ser Anzahl,  aber  sie  sind  alle  atrophisch.  Die  Kerne  sind  deut- 
lich wie  auch  die  Kernkörperchen,  aber  das  Protoplasma  ist  zu 
einer  schmalen,  sehr  pigmentreichen  Zone  ringsum  den  Kern 
reduzirt.  Die  Form  ist  eine  gerundet-eckige  ;  bisweilen  schei- 
nen die  Zellen  nur  in  eine  Pigmentmasse  verwandelt  zu  sein. 

Das  Stroma  ist  von  einem  dichten  sehr  kernreichen  festen 
Bindegewebe  gebildet,  wo  man  von  dem  normalen  Neuroglia 
überhaupt  kcam  mehr  einen  Rest  findet. 

Nucleus  caudatus.  Im  oecipitalen  Teile  ist  das  Gang- 
lion vollständig  verödet;  auch  im  Bereiche  des  äusseren  Knie- 
höckers findet  man  von  ihm  keine  Spur  (s.  Taf.  I.  Fig.  4.  n. 
caud.). 

Im  Gebiete  des  Tractus  tritt  das  Ganglion  dagegen  in 
Form  einer  schmalen  Wulst  auf.  Diese  misst  am  frontalen  Durch- 
schnitt nur  I  2  m.m.  und  ist  also  äusserst  reduzirt  (normal 
etwa  5  +  9  m.m.). 

Zahlreiche  ausgedehnte  Gefässe  durchziehen  das  Ganglion 
wie  auch  spärliche  degenerirte  Fasern.  Die  Zellen  sind  noch 
vorhanden,  aber  auffallend  atrophisch.  Das  Stroma  ist  sehr 
kernreich  und  hat  seine  normale  Struktur  vollständig  eingebüsst. 

Der  frontale  Teil  oder  Caput  nuclei  caudati  ist  gut  erhal- 
ten geblieben.  (Taf  I,  Fig.  4.  n.  caud.)  Auf  Frontaldurch- 
schnitten nimmt  man  überhaupt  keine  makroskopischen  Verän- 
derungen wahr,  aber  das  Ganglion  ist  beinahe  auf  die  Hälfte 
reduzirt. 


Die  durchziehenden  im  normalen  Gehirn  recht  dicken  Ner- 
venbündel sind  zahlreich  und  scheinen  zwar  nicht  an  Zahl  wohl 
aber  an  Volumen  bedeutend  vermindert  zu  sein.  Unter  dem 
Mikroskop  bemerkt  man,  dass  in  diesen  Bündeln  nur  M'enige 
Fasern  gefärbt  sind  und  selbst  diese  sind  in  Degeneration  be- 
griffen. 

Die  Zellen  sind  klein  und  atrophisch,  sehr  pigmentreich; 
nur  einzelne  sind  grösser  und  normal.  Das  Stroma  scheint  sonst 
nicht  auffallend  verändert  zu  sein. 

Das  optische  System. 

Nervus  opticus.  Vor  dem  Chiasma.  Der  rechte  Nervus 
opticus  misst  5  m.m.  in  horizontaler,  2,5  m.m.  in  vertikaler 
Richtung,  der  linke  zeigt  ganz  dieselben  Masse.  Das  Binde- 
gewebe zwischen  den  grossen  Bündeln  ist  in  beiden  Nerven  et- 
was vermehrt,  aber  die  Vermehrung  ist  sowohl  an  den  Durch- 
schnitten der  Nerven  ziemlich  gleichmässig  verteilt.  Die  Nerven- 
bündel sind  gleichmässig  gefärbt  und  nirgends  ist  eine  deutliche 
Atrophie  vorhanden. 

Das  Chiasma  misst  in  frontaler  Richtung  10  m.m.,  in  ver- 
tikaler etwa  2,5 — 3,5  m.m.  In  den  beiden  lateralen  Abschnitten 
ist  das  Bindegewebe  vermehrt  und  die  Gefässe  verdickt,  aber  in 
gleichem  Grade  in  den  beiden  Seitenabteilungen.  Die  Fasern 
sind  überall  intensiv  gefärbt.  Atrophische  Felder  sind  nicht  vor- 
handen. 

Die  Tractus  messen,  der  rechte  etwa  2  m.m.  -|-  4,7  m.m., 
der  linke  ungefähr  dieselben  Masse.  Beide  haben  normale  Form 
und  die  Fasern  sind  beiderseits  intensiv  gefärbt.  Keine  Binde- 
gewebsvermehrung. 

Sowohl  die  Gudden'sche  wie  die  Meynert'sche  Kommissur 
ist  jederseits  normal  und  intensiv  gefärbt. 

Also.  Mit  Ausnahme  einer  unbedeutenden  Vermehrung  des 
Bindegewebes  im  Chiasma  und  in  den  Selincrven  sind  diese  Teile 
wie  auch  die   Tractus  normal  und  Jedenfalls  beiderseits  gleich. 

Ganglion  geniculatum  extern  um. 

Fasern.  A)  In  frontalen  Abschnitten.  Das  Ganglion  ist 
ringsum  von  einer  recht  dicken  Kapsel  umgeben. 

Die  ventrale  Kapsel  ist  dick  und  normal,  ebenso  auch  die 
dorsale  und  laterale.  Die  dorsale  Kapsel  hat  gut  gefärbte  Fa- 
sern, dagegen  sind  die  Fasern  der  lateralen  Kapsel  des  Gang- 
lions nur  schwach  gefärbt. 

Lateral  von  Kniekörper  findet  sich  ein  recht  grosses  fast 
vollständig  in  Bindegewebe  umwandeltes  Feld.  Hier  findet  man 
nur  Reste  der  lateralen  Nervenfasern  des  Kniekörpers.  Dieses 
bindegewebige  Feld  erstreckt  sich  dorsalwärts  höher  als  der 
Kniehöcker  und  erreicht  medialwärts  die  ganze  laterale  Kapsel 
des  Ganglions.  Hier  findet  man  auch  eine  dichte,  kleinzelHge 
Infiltration  wie  auch  zahlreiche  Blutkörperchen. 

B)  Im  mittleren  Abschnitte  des  Ganglions  (Taf.  III.  Fig.  7. 
c.  gen.  ext.)  gestalten  sich  die  Verhältnisse  in  fast  derselben 
Weise.  Die  Fasern  des  Ganglions  und  zwar  sowohl  der  Kapsel 
wie  der  Markleisten  und  der  Bündel  im  Inneren  scheinen  in  den 
dorsalen  ^/s  des  Ganglions  völlig  normal;  nur  im  ventralen  Drit- 
tel ist  eine  Atrophie  vorhanden.  Diese  betrifft  jedoch  wenig 
und  nur  in  sehr  kleiner  Ausdehnung  die  Spitze  der  Kapsel,  die 
Markleisten   und  Nervenbündel  im  Inneren  jedoch  mehr.  Des- 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


9 


halb  markiren  sich  die  Markleisten  hier  nur  als  braune  Streifen. 
Bei  stärkerer  Vergrösserung  sucht  man  hier  im  Gegensatz  zum 
dorsalen  Abschnitte  vergebens  Nervenfasern. 

Längs  des  ganzen  lateralen  Randes  zieht  sich  auch  ein  in 
Bindegewebe  umwandeltes  Feld,  in  welchem  die  Nervenelemente 
fast  vollständig  atrophisch  sind. 

C)  Weiter  nach  rückwärts  entspricht  das  eben  beschriebene 
veränderte  Feld  nur  der  ventralen  Hälfte  des  Ganglions  und  in 
Übereinstimmung  damit  ist  die  Kapsel  des  Ganglions  nur  in  ih- 
rer unteren  Hälfte  dadurch  alterirt,  dass  sie  bedeutend  dünner 
ist.  Im  Inneren  des  Ganglions  sind  dieselben  Veränderungen, 
wie  sie  oben  beschrieben  sind,  vorhanden.  Von  der  dorsolate- 
ralen  Kapsel  ziehen  recht  zahlreiche  Nervenfasern  nach  der  Cap- 
sula interna  hin.  Dieses  dorsolaterale  Feld  tritt  an  noch  weiter 
nach  rückwärts  liegenden  Schnitten  noch  schöner  hervor  und 
markirt  sich  durch  seine  zahlreichen  schön  gefärbten  Fasern. 

D)  Die  occipitale  Spitze  des  Kniehöckers  ist  sowohl  an  der 
medialen  wie  lateralen  und  ventralen  Seite  von  neugebildetem 
Bindegewebe  umgeben.  Im  Inneren  markiren  sich  jedoch  die 
Markleisten  und  eine  Anzahl  zum  Teil  atrophischer  Fasern,  welche 
deutlich  mit  dem  grossen  recht  faserreichen  dorsolateralen  Felde 
zusammenhängen. 

Zelleti.    A)  In  frontalen  Schnitten: 

a)  im  dorsale?t  normalen  Abschnitte:  Grosse  Zelten:  schei- 
nen normal  mit  deutlichen  Kernen,  und  normalem  Pigmenthalt; 
die  Konturen  sind  scharf;  die  Grösse  normal. 

Die  kleinen  Zellen  scheinen  auch  in  ziemlicher  Anzahl  nor- 
mal zu  sein.  —  Aber  ausserdem  finden  sich  recht  zahlreiche  kleine 
Pigmentklümpchen   ohne  Kern  eingestreut  (atrophische  Zellen). 

b)  in  dem  ventralen  veränderten  Abschnitte  (die  Spitze). 
Grosse  Zellen.  Davon  giebt  es  eine  kleine  Anzahl,  welche 
anscheinend  normal  ist  (deutliche  Konturen  und  Kerne  etc.). 
Ausserdem  finden  sich  hier  zahlreiche,  rundliche  Pignientklüvip- 
chen,  welche  ohne  Zweifel  Reste  sehr  zusanunengeschrumpftcr  Zel- 
len sind.  Ihnen  fehlen  die  Kerne  vollständig.  Diese  Klümpchen 
sind  teils  grösser  (grössere  atrophische  Zellen),  teils  kleiner  (klei- 
nere atrophische  Zellen). 

B  u.  C)  In  den  mittleren  Abschnitten:  Im  dorsalen  Ab- 
schnitte. Grosse  Zellen  (Taf.  III.  Fig.  9.):  Recht  zahlreiche 
normale  Zellen  finden  sich.  Auch  zahlreiche  kleinere  Zellen. 
Ausserdem  sind  zahlreiche  grössere  und  kleinere  Pigmentklümp- 
chen (atrophische  Zellenreste)  sowohl  zwischen  den  grösseren, 
wie  den  kleineren  erhalten  gebliebenen  Zellen  eingestreut. 

In  den  ventralen  Teilen:  Die  grossen  Zellen  sind  auffallend 
spärlicher  und  bleicher,  aber  sie  sind  sonst  ziemlich  erhalten  ge- 
blieben; auch  kleine  anscheinend  normale  Zellen  sind  vorhanden, 
daneben  finden  sich  noch  zahlreiche  Pigincntklüinpchcn. 

Reste  der  grossen  und  kleinen  Zellen:  Diese  Klümpchen 
waren  an  den  verschiedenen  Schnitten  anscheinend  nicht  gleich 
zahlreich,  bisweilen  mehr,  bisv/eilen  weniger. 

occipitalen  Abschnitte  finden  sich  recht  zahlreiche  grosse 
Zellen.  Diese  sind  vielleicht  kleiner  und  rundlicher  als  an  den 
vorigen  Schnitten.    Daneben  spärliche  Pigmentklümpchen. 

Das  Stroma  ist  nicht  besonders  kernreich  oder  reich  an 
Bindegewebe.  Ob  eine  unbedeutende  Bindegewebsvermehrung 
vorhanden  ist,  muss  ich  unentschieden  lassen. 

5.  E.  Hen  sehen.    Pathologie  des  Gehirns. 


Rijckblick:  Der  äussere  Kniehöcker  grenzt  an  der 
lateralen  Seite  unmittelbar  an  ein  in  Bindegewebe  umgewan- 
deltes Feld.  Dieses  Feld  nimmt  an  verschiedenen  Frontal- 
schnitten eine  kleinere  oder  grössere  Strecke  ein.  Vorne 
grenzt  es  an  den  ganzen  lateralen  Rand  des  Kniehöckers  an, 
im  mittleren  Teil  nimmt  das  Feld  nur  die  ventrale  Hälfte 
des  Ganglions  ein  und  an  der  occipitalen  Spitze  ist  das  Gang- 
lion sowohl  an  der  lateralen  wie  medialen  Seite  vom  Binde- 
gewebe umgeben. 

Dieses  Bindegewebe  ist  deutlich  das  Resultat  einer  vor- 
ausgehenden Entzündung  im  Zusammenhang  mit  einer  Malacie 
und  hat  auf  die  laterale  Kapsel  des  Kniehöckers  eingewirkt 
und  ihre  halbe  Dicke  abgeschnitten.  Der  entsprechende  Ab- 
schnitt des  Kniehöckers  hat  deutlich  dadurch  gelitten;  er  hat 
eine  bleichere  Farbe,  indem  die  Fasern  der  Markleisten  wie 
auch  die  Fasernetze  dieses  Abschnittes  zum  Teil  unterge- 
gangen sind ;  und  auch  die  Zellen,  die  grossen  wie  die  klei- 
nen, sind  in  aufifallender  Weise  spärlicher. 

Aber  auch  der  dorsale  Abschnitt  des  Kniehöckers  ist 
auftaliend  pathologisch  verändert,  obwohl  hier  die  zum  dorso- 
lateralen Teil  des  Kniehöckers  gehenden  Fasern  viel  spärli- 
cher sind  als  normal  und  ausserdem  mit  recht  reichlichem 
Bindegewebe  durchsetzt  sind.  Nur  die  ventro-mediale  Kapsel 
ist  also  von  den  pathologischen  Prozessen  des  umgebenden 
Gewebes  unberührt  geblieben.  Auch  ist  diese  Kapsel  im 
Ganzen  normal,  wenn  sie  auch  etwas  dünn  erscheint.  Im 
Inneren  des  Ganglions  finden  sich  überall  zwischen  anschei- 
nend normalen  Zellen  zahlreiche  in  Pigmentmassen  verwan- 
delte Zellenrcste  ohne  Ordnung  eingestreut.  Eine  bestimmte 
Lokalisation  dieser  Reste  kann  nicht  wahrgenomnfien  werden. 

Schlüsse:  Es  ist  schwierig  zu  entscheiden,  ob  und  wie 
weit  die  in  dem  angrenzenden  Gewebe  stattgefundene  Entzün- 
dung und  die  übrigen  pathologischen  Veränderungen  (Malacie 
etc.)  auf  die  Nutrition  des  Kniehöckers  eingewirkt  haben  kön- 
nen oder  ob  die  im  Ganglion  vorhandenen  Veränderungen  (die 
Atrophie  der  Zellen  und  der  Fasern)  nur  durch  die  Verödung 
der  occipitalen  Fasern  der  Sehstrah'ung  oder  anderen  Fasern 
entstanden  sind.  Für  die  letzterwähnte  Deutung  sjoricht  je- 
doch ohne  Zweifel,  dass  zwischen  wenigstens  anscheinend 
normalen  Zellen  ganz  zu  Grunde  gegangene  Zellen  in  Form 
von  Pigmentmassen  eingelagert  sind.  Hätte  die  angrenzende 
Entzündung  die  Veränderung  hervorgerufen,  dann  wäre  die 
Degeneration  der  Kniehöcker-Zellen  eine  massenhafte  und 
das  Stroma  gewiss  auch  in  hohem  Grade  diftus  entzündet 
gewesen. 

Wenn  dem  so  ist,  so  ist  zu  bemerken : 

1)  dass  zwischen  anscheinend  normalen  Zellen  ganz 
atrophische  ohne  Ordnung  eingelagert  sind; 

2)  dass  die  Veränderung  sowohl  die  grossen  wie  die 
kleinen  Zellen  triflt; 

3)  dass  die  Veränderung  im  ventralen  Abschnitte  wo 
die  aus  dem  lateralen  Felde  eintretenden  Fasern  massenhaft 
untergegangen  sind,  auch  etwas  ausgeprägter  ist; 

4)  dass  auch  die  Markleisten  wie  die  Fasernetze,  im 
ventralen  Abschnitte  mehr  verändert  sind  als  im  dorsalen ; 

5)  dass  ungeachtet  der  grossartigen  Veränderungen  der 


10 


S.  E.  MENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Rinde  und  der  totalen  Zerstörung  der  Sehstrahlung  jedoch 
eine  nicht  unbedeutende  Anzahl  der  grossen  sowie  auch  der 
kleinen  Ganglienzellen  der  Zerstörung  entgangen  ist  und  zwar 
sowohl  im  Inneren  wie  im  ventralen  Abschnitte. 

Wenn  man  nun  im  Kniehöcker  ohne  weiteres  folgende 
Fasersysteme  annimmt : 

l)  ein  vom  Tractus,  2)  ein  dorsolaterales  (von  der  Rinde 
und  Capsula  interna),  3)  ein  ventrolaterales  (von  der  occipita- 
len  Sehstrahlung)  und  4)  ein  mit  den  Centralganglicn  zusam- 
menhängendes System,  und  bedenkt,  dass  von  diesen  Syste- 
men die  Fasern  des  Tractus  wenigstens  zum  grössten  Teil 
erhalten  geblieben  sind,  während  die  occipitalen  vollständig 
zerstört  sind,  wie  auch  die  der  Corpora  quadrigemina  und  die 
der  Rinde  und  der  Capsula  interna  wenigstens  zum  grossen 
Teil  ausgefallen  sind,  und  sich  zugleich  erinnert,  dass  noch 
im  Kniehöcker  eine  recht  grosse  Anzahl  der  Ganglienzellen 
erhalten  und  wenigstens  anscheinend  normal  waren,  so  dürfte 
der  Schluss  nicht  unberechtigt  sein,  dass  diese  in  einem  ge- 
wissen Zusammenhang  mit  den  Tractus-Fasern  stehen  oder  ein 
von  den  übrigen  Fasersystemen  unabhängiges  Dasein  füh- 
ren. In  dieser  Auffassung  wird  man  noch  bestärkt,  wenn 
man  die  Beschaffenheit  der  noch  erhaltengebliebenen  von 
dem  dorsolateralen  Felde  ein-  resp.  ausstrahlenden  Fasern  nä- 
her betrachtet.  Diese  Fasern  können  gewiss  nicht  normal 
fungirend  sein.  Ihr  welliges,  geschrumpftes  Aussehen  wie 
auch  der  Umstand,  dass  sie  im  Kniehöcker  nicht  zusammen- 
hängende Fasern,  sondern  fast  nur  Bruchstückchen  und  nicht 
zusammenhängende  Bündel  bilden,  deutet  darauf  hin,  dass  sie 
im  Zerfall  begriften  sind,  wenn  gleich  dieser  Zerfall  nicht  vol- 
lendet ist. 

Andererseits  deutet  die  vollständige  Atrophie  zahlrei- 
cher in  Pigmentklümpchen  umgewandelter  Zellen  darauf  hin, 
dass  jene  Nervenfasern  des  dorso-  und  ventrolateralen  Feldes 
und  der  Vierhügel  auch  in  näherem  physiologischen  Zusam- 
menhange mit  den  Ganglienzellen  stehen. 

Weiter  ist  zu  bemerken,  dass  die  Atrophie  sowohl  grosse 
wie  kleine  Zellen  betroffen  hat  und  dass  diese  Zellenreste 
nicht  zu  einem  bestimmten  Abschnitt  des  Kniehöckers  lokali- 
sirt  sind,  wie  auch  die  erhaltengebliebenen  Zellen  nicht  ei- 
nen bestimmten  Bezirk  des  Ganglions  einnehmen,  wenn  auch 
die  Elemente  der  ventralen  Spitze  des  Kniehöckers  etwas 
mehr  atrophisch  zu  sein  schienen.  Dies  hängt  gewiss  von 
der  vollständigen  Verödung  der  Fasern  im  ventrolateralen 
Felde  und  von  der  durch  die  angrenzende  Entzündung  her- 
vorgerufenen partiellen  Zerstörung  der  ventrolateralen  Kapsel- 
fasern ab. 

Aus  diesen  Thatsachen  dürfte  man  zu  folgendem  Schlüsse 
berechtigt  .sein : 

1)  Fasern  des  Tractus  stehen  in  physiologischem  Zu- 
sammenhang sowohl  mit  den  grossen  wie  kleinen  Zellen  des 
Kniehöckers  und  zwar  mit  allen  Teilen  des  Ganglions.  Ei- 
nige Zellen  des  Kniehöckers  senden  Opticus-Fasern  in  die 
Retina  ein; 

2)  Auch  die  übrigen  Fasersy.steme  stehen  in  physiolo- 
gischem Zusammenhang  mit  diesen  Zellen  und  zwar  mit  allen 
Abschnitten  des  Kniehöckers; 


3)  Die  verschiedenen  Systeme  sind  demgemäss  in  ein- 
ander eingeschoben ; 

4)  Das  occipitale  Fasersystem  scheint  mehr  die  Spitze 
des  Ganglions  einzunehmen; 

5)  Das  Erhaltengebliebensein  der  ventralen  Kapsel 
deutet  auf  ihren  unmittelbaren  Zusammenhang  mit  dem  Trac- 
tus hin ; 

6)  Die  Markleisten  bestehen  nicht  nur  aus  Tractus- 
fasern  (s.  Teil.  I.  S.  5),  sondern  auch  aus  anderen  Faser- 
systemen; 

7)  Im  frontalen  Pole  des  Ganglions  wird  die  Kapsel 
hauptsächlich  von  Tractusfasern  gebildet,  weil  diese  in  allen 
Seiten  gut  erhalten  waren,  obschon  das  ganze  laterale  I'^cld 
atrophisch  war. 

Das  Corpus  geniculatum  internum  dextrum  ist 
in  hohem  Grade  geschrumpft  und  misst  etwa  2  m.m.  (normal 
5  —  6  m.m.). 

Fasern.  In  der  ventralen  Kapsel  findet  sich  noch  eine 
Anzahl  normaler  Fasern  vor,  welche  ein  ziemlich  zusammenhän- 
gendes Lager  oder  Stratum  zonale  bilden.  In  den  occipitalen 
Teilen  ist  diese  Kapsel  dicker  als  in  frontalen,  wo  sie  fast  fehlt. 
Der  mediale  Abschnitt  der  Kapsel  ist  überhaupt  sehr  dünn  oder 
fehlt  ganz. 

An  der  lateralen  wie  auch  dorsalen  Begrenzung  findet  sich 
ein  recht  fasernreiches  Feld,  mit  normalen  Fasern. 

Durch  das  Ganglion  ziehen  spärliche  anscheinend  verän- 
derte Nerven  und  im  dorsalen  Umfange  recht  zahlreiche  Bündel 
mit  wenig  veränderten  Fasern. 

Zellen.  Nur  wenige  Zellen  sind  noch  erhalten  (etwa  3  —  4 
an  einem  Schnitte)  und  selbst  diese  scheinen  mehr  pigmentirt 
zu  sein  als  die  normalen.  Alle  übrigen  sind  in  Pigment-  oder 
Körnerklümpchen  verwandelt,  welche  weder  Kerne  noch  scharfe 
Umrisse  zeigen. 

Auch  im  linken  Ganglion  sind  die  Zellen  reichlich  pig- 
mentirt. 

Das  Stroma  scheint  wenig  verändert  zu  sein.  Zeichen  ei- 
ner Entzündung  sind  nicht  vorhanden. 

Rückblick.  Das  ganze  Ganglion  ist  also  im  höch- 
sten Grade  geschrumpft.  Keine  Zeichen  deuten  darauf,  dass 
diese  Atrophie  die  Folge  einer  direkten  Entzündung  des 
Ganglions  selbst  oder  des  angrenzenden  Gewebes  sein  könnte. 
Es  liegt  also  eine  sekundär  atrophische  Schrumpfung  vor. 
Fast  alle  Zellen  sind  in  Pigmentmassen  umgewandelt;  dage- 
gen ist  die  ventrale  Kapsel  zum  Teil  erhalten  geblieben. 
Diese  erstreckt  sich  als  ein  Stratum  zonale  bis  zur  Kapsel 
des  äusseren  Kniehöckers  und  hängt  mit  dieser  kontinuirlich 
zusammen.  Auch  eine  Anzahl  normaler  P'aserbündel  ziehen 
durch  den  oberen  Abschnitt  des  Ganglions.  Alle  diese  Fa- 
sern scheinen  also  vom  Tractus  zu  stammen. 

Die  Atrophie  des  Ganglions  dürfte  wohl  durch  die  Zer- 
störung des  Temporalmarks  erklärt  werden. 

Corpora  4-gemina  anter iora. 
Das   rechte   ist  auf  etwa  die  halbe  Dicke  reducirt.  Diese 
Volumenverminderung  betrifft  alle  Lager. 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


11 


Das  Stratum  zonale  existirt  ringsum  das  Ganglion,  aber  es 
ist  im  lateralen  Rande  dünner. 

Cappa  cinerea.    Fasern  äusserst  spärlich. 

Die  Zellen  sind  polygen  mit  scharfen  Konturen  und  deut- 
lichen Kernen.  Keine  deutlichen  Anzeichen  von  Degeneration 
oder  abnormer  Pigmentirung. 

Stratum  opticuni.  Die  Fasern  bilden  dichte  Netze  und  sind 
an  einzelnen  Präparaten  intensiv  gefärbt. 

Die  Zellen  anscheinend  normal  (scharfe  Konturen  ohne 
Pigment). 

Stratum  lemnisci.  Fasern.  Die  cirkulären  sind  recht  zahl- 
reich und  gut  erhalten;  die  radiären  etwas  spärlicher. 

Beim  Vergleich  mit  dem  linken  Colliculus  anterior  fällt  in 
die  Augen,  dass  besonders  die  Cappa  cinerea,  aber  auch  das 
Stratum  opticum  links  auffallend  dicker  ist.  In  Folge  dessen  ist 
die  Oberfläche  des  Colliculus  links  konvex,  rechts  abgeplattet. 
Der  Unterschied  im  Fasernreichthum  ist  nicht  deutlich. 

Corpora  4-gemina  posteria. 

Das  BracJiium  posterius  zeigt  einen  deutlichen  Faserausfall, 
ist  also  links  dicker. 

Nucleus.  Die  Kapsel  recht  kräftig,  die  Fasern  nicht  dege- 
nerirt.  Im  Inneren  deutliche  Netze  von  normalen  Fasern.  Die 
Fasern  rechts  ebenso  zahlreich  als  links. 

Zueilen:  sowohl  die  grossen  wie  die  kleinen  ohne  Zeichen 
einer  Degeneration. 

Schnitt   in    der  Frontalebcne    der    Commissura  posterior 

zeigt : 

Brachiuni  anterius  und  posterius  mit  starkem  Faserausfall; 
die  Bündel  sind  zahlreich. 

Stratum  opticu?n:  Die  Bündel  mit  starkem  Faserausfall;  die 
Bündel  sind  zahlreich. 

Commissura  posterior  ist  stark,  mit  zahlreichen  gut  gefärb- 
ten Fasern.  Die  Bündel  der  linken  Seite  scheinen  nicht  faser- 
reicher zu  sein. 

Das  Ganglion  liabenulce:  misst  etwa  2  m.m.  im  Durch- 
schnitte, hat  recht  zahlreiche  Faserbündel  und  zahlreiche  grosse 
deutlich  konturirte  Zellen,  welche  beim  Vergleich  mit  denen  des 
linken  Ganglions  ebenso  gut  entwickelt  zu  sein  scheinen. 

Der  Fasciculus  retroflexus  ist  partiell  atrophisch,  und  diese 
Atrophie  lässt  sich  vom  Ganglion  habenulae  bis  zum  Ende  des 
Fasciculus  oder  der  Regio  interpeduncularis  verfolgen.  Oben 
am  dorsalen  Ende  lässt  sich  zuerst  wahrnehmen,  dass  die  Atro- 
phie die  dorsomedialen  Bündel  nur  wenig  getroffen  hat,  stärker 
dagegen  die  untersten  Bündel  und  besonders  die  lateralen  Bün- 
del des  Fasciculus  (s.  Fig.  5.  Taf.  III.);  am  meisten  atrophisch 
sind  aber  die  ventromedialen,  dicht  an  der  Mediallinie.  Hier 
sind  fast  alle  Fasern  geschwunden.  Alle  diese  von  getrennten 
Punkten  kommenden  Bündel  vereinen  sich  nun  nach  unten  zum 
gesammelten  Fasciculus  retroflexus.  Die  verschiedenen  Bündel 
dieses  Fascikels  zeigen  nun',  besonders  in  ihrem  Centrum  eine 
Atrophie.  Diese  Atrophie  tritt  weiter  deutlich  da  hervor,  wo 
der  Fasciculus  an  den  dorsomedialen  Rand  des  Nucleus  ruber 
grenzt.  Weiter  treten  an  anderen  Frontalschnitten  an  der  Mittel- 
linie ventromedial  vom  roten  Kern  atrophische  Flecke  auf. 


Linsenkern. 

An  den  occipitalen  Schnitten  (Frontalebene  des  äusseren 
Kniehöckers)  finden  sich  überhaupt  keine  Reste  des  Ganglions 
(resp.  des  Putamens)  vor.    (Taf.  III.  Fig.  5.) 

Sonst  ist  das  Putamen  zum  grössten  Teil  malacisch ;  die 
dorsale  Hälfte  ist  malacisch  —  durchlöchert,  die  untere  etwas 
besser  erhalten,  wie  auch  überhaupt  die  mediale  Hälfte  besser 
als  die  äussere  erhalten  geblieben  ist. 

Fasern:  Die  Bündel  sind  im  Allgemeinen  degenerirt  oder 
malacisch. 

Zellen:  Körnig  aber  im  Allgemeinen  mit  erhaltenen  Kernen. 
Stroma :  Kernreich . 

Der  Globus  pallidus  (Taf.  III.  Fig.  6.  7.)  ist  mikroskopisch 
nicht  malacisch  mit  Ausnahme,  dass  die  von  Aussen  in  den  Stab- 
kranz und  die  Capsula  interna  eindringende  Malacie  bis  an  die 
dorsale  Begrenzung,  ja  bis  zum  Luy'schen  Körper  vordringt. 

Die  Lamina  medullär is  externa  des  äusseren  Gliedes  ist 
zum  Teil  zerstört,  die  Lamina  interna  dagegen  ist  gut  erhalten. 

Im  Inneren  der  Glieder  besonders  im  äusseren  sind  zahl- 
reiche dicke  und  intensiv  gefärbte  Bündel  und  Fasern  vorhan- 
den. Doch  scheint  die  äussere  Hälfte  des  äusseren  Gliedes 
durch  die  Malacie  des  Putamens  und  im  caudalen  Abschnitte 
auch  das  innere  Glied  etwas  gelitten  zu  haben. 

Die  Ansa  lenticularis  (Taf.  III.  Fig.  6.  7.  ansa.)  bildet  ein 
dickes  Bündel  mit  intensiv  gefärbten  Fasern.  Ihr  Durchtritt 
durch  die  degenerirte  Capsula  interna  ist  leicht  zu  verfolgen, 
ebenso  auch  wo  sie  sich  um  das  laterodorsale  Ende  des  Luys'- 
schen  Körpers  umschlägt  und  die  dorsale  wie  die  lateroventrale 
Kapsel  dieses  Ganglions  bildet. 

Im  vorderen  Abschnitte  des  Linsenkerns  entsprechend  dem 
aufsteigenden  Schenkel  der  Corpora  mamillaria  verhält  sich  der 
Linsenkern  folgendermassen  (Taf.  III.  Fig.  7.). 

Das  Putamen  ist  zu  einem  etwa  1,5  m.m.  dicken  und  etwa 
13  m.m.  hohem  Körper  zusammengeschrumpft.  Nach  aussen 
von  ihm  ist  das  Mark  bis  zur  Oberfläche  des  Gehirns  vollständig 
malacisch;  nach  oben  liegt  ebenfalls  malacisch-durchlöchertes 
Gewebe. 

Das  Ganglion  selbst  ist  übrigens  schon  makroskopisch  auch 
in  seinen  oberen  Abschnitten  und  längs  des  äusseren  Randes  ma- 
lacisch; mik.-oskopisch  zeigen  sich  die  Faserbiindcl  hie  und  da 
malacisch  verändert  und  sind  die  Fasern  zum  Teil  degenerirt ; 
das  Gewebe  des  Ganglions  ist,  besonders  im  dorsalen  Abschnitte 
fleckenweise  ebenfalls  malacisch,  aber  selbst  in  dem  makrosko- 
pisch normalen  Gewebe  sind  die  Ganglienzellen  im  Allgemeinen 
körnig  zerfallen. 

Das  Stroma  ist  dick  kerninfiltrirt. 

Das  Ganglion  sclleint  also  ausser  Funktion  gesetzt  zu  sein. 

Die  inneren  beiden  Glieder  des  Linsenkernes  —  Globus 
pallidus  —  sind  überhaupt  recht  gut  erhalten  geblieben  (s.  Fig.  7.). 

Das  äussere  Glied  des  Globus  pallidus  misst  etwa  2  m.m. 
in  der  Breite  (normal  etwa  3  m.m.)  und  9  m.m.  in  der  Höhe 
(normal  etwa  1 1  m.m.)  und  ist  also  nur  wenig  reducirt.  Das 
dorsale  Viertel  ist  malacisch  durchlöchert  und  auch  im  übrigen 
Teile  des  Ganglions  finden  sich  mikroskopisch  malacische  Flecke, 
sonst  scheint  das  Gewebe  normal  zu  sein. 


12  S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Fasern:  Die  laterale  Kapsel  ist  dünn  und  ihre  Fasern  sind 
zum  Teil  degenerirt. 

Die  mediale  Kapsel  ist  dick  und  hat  normale  Fasern.  Im 
Inneren  des  Ganglions  finden  sich  sehr  dichte  Netze  mit  intensiv 
gefärbten  Fasern. 

Die  Zellen  sind  zum  Teil  körnig  zerfallen. 

Das  Strojna  ist  sehr  kernreich. 

Das  mediale  Glied  des  Globus  pallidus  ist  makroskopisch 
normal. 

Fasern:  Die  laterale  Kapsel  ist,  wie  schon  gesagt,  dick, 
die  Linsenkernselilinge  diek  und  ihre  Fasern  intensiv  gefärbt. 

Die  Bündel  und  Netze  im  Inneren  sind  zahlreich  und  alle 
sehr  stark  und  intensiv  gefärbt. 

Die  Zellen  haben  deutliche  Kerne,  sind  aber  körnig  und 
pigmenlirt. 

Das  Stroma  enthält  dicke  Balken,  welche  vielleicht  kevn- 
reicher  als  normal  sind. 

Da  das  dorsal  von  der  oberen  lateralen  Spitze  des  Nucleus 
lentiformis  liegende  Gewebe  vollständig  malacisch  ist,  so  sind 
sämmtliche  von  diesem  Ganglion  nach  der  Rinde  verlaufenden 
Fasern  abgeschnitten. 

Der  frontale  Abschnitt  des  Ft/lamens  dürfte  auf  die  Hälfte 
reducirt  sein,  scheint  aber  sonst  gut  erhalten. 

Die  Fasern  sind  zahlreich  und  intensiv  gefärbt ;  die  Zellen 
haben  deutliche  Kerne,  aber  sie  sind  körnig  pigmentirt.  Es 
scheint  also  das  Ganglion  obschon  anscheinend  gesund  doch 
durch  die  nahe  aussen  gelegene  Malacie  gelitten  zu  haben. 

Das  Stroma  ist  von  fester  Konsistenz. 

Die  Malacie  dringt  von  der  Rinde  bis  zum  äusseren  Rande 
des  Putamens  vor,  ja  bisweilen  bis  in  das  Ganglion  ein.  (Taf. 
IL  Fig.  lo.  Taf.  III.  Fig.  7.) 

Der  Li/ys'sehe  Körper  ist  gut  erhalten,  obschon  die  von 
aussen  eindringende  Malacie,  welche  die  Capsula  interna  zer- 
stört hat  bis  zu  seiner  unmittelbaren  Nähe  vordringt.  Er  misst 
an  Frontalschnitten  7  +  5  m.m.  wie  der  linke.  Die  Kapsel  ist 
dick  und  zeigt  intensiv  gefärbte  Fasern.  Wie  schon  bemerkt 
wurde,  kann  man  genau  verfolgen,  wie  die  erhalten  gebliebene 
Ansa  lenticularis  sich  um  den  laterodorsalen  Pol  herumschlägt 
und  wie  ihre  Fasern  auch  in  das  Innere  des  Ganglions  ein- 
treten.   (Taf  III.  Fig.  6.  7.) 

An  die  dorsolaterale  Hälfte  der  Kapsel  legt  sich  auch  die 
Columna  tegmenti  corporis  mamillaris  unmittelbar  an  (Taf.  III. 
Fig.  7.)  und  verwebt  sich  hier  anscheinend  mit  den  Fasern  der 
Kapsel  des  Luys'schen  Körpers  und  der  Ansa  lenticularis.  Wei- 
ter medialwärts  trennt  sich  die  Columna  von  der  Kapsel  des  Cor- 
pus subthalamicum. 

Die  lateralen  ^3  der  ventralen  Kap'sel  des  Luys'schen  Kör- 
pers hängen  aufs  innigste  mit  einer  Anzahl  im  Verhältniss 
zum  Ganglion  radiär  von  unten-aussen  kommenden  dicken  Bün- 
deln zusammen,  welche  anscheinend  Teile  der  Ansa  lenticularis 
sind.  Sie  treten  ausserordentlich  scharf  und  frei  hervor,  weil 
die  Capsula  interna  hier  in  Folge  der  Atrophie  vollständig  fehlt. 
Von  diesen  radiären  Bündeln  tritt  eine  grosse  Anzahl  Nerven- 
fasern in  das  Ganglion  ein. 

Im   Inneren  des  Ganglions  findet  man  ein  recht  dichtes 


Netz  von  gut  gefärbten  Fasern.  Zeichen  einer  Atrophie  sind 
nicht  vorhanden. 

Zellen:  Es  finden  sich  zahlreiche  anscheinend  normale 
Ganglienzellen.  Sie  sind  eckig-polygon  oder  gerundet,  haben 
deutliche  Kerne  und  sind  nicht  abnorm  pigmentirt  und  haben 
scharfe  Konturen  (Karminpräp.).  Sie  unterscheiden  sich  kaum 
von  denen  des  linken  Luys'schen  Körpers. 

Das  Stroma  ist  körnig,  nicht  zelleninfiltrirt,  also  normal. 

Im  vorderen  Abschnitte  des  Körpers  ist  der  mediale  Pol 
nach  unten-innen  verlängert  und  man  sieht  eine  Anzahl  von 
Nervenfasern,  welche  von  dem  Ganglion  gegen  die  Mit- 
tellinie, wo  sie  sich  mit  P'asern  der  linken  Hemisphäre  kreuzen, 
ausstrahlen.  Von  den  Fasern  dieser  Hemisphäre  verlaufen  einige 
gegen  die  dorsale,  andere  gegen  die  ventrale  Kapsel  des  Cor- 
pus subthalamicum.  » 

Der  Nueleus  ruber  misst  5  —  6  m.m.  im  Diameter  (der 
linke  6  m.m.)  und  ist  makroskopisch  völlig  unversehrt;  der  unten- 
innen  verlaufende  Fortsatz  des  Brachium  conjunctivum  misst  im 
Durchschnitt  2  m.m.  (an  Frontalschnitten)  (Taf  III.  Fig.  5.). 

Seine  Kapsel  ist  ringsum  recht  dick,  dorsal  etwa  1,5  m.m., 
ventral  dagegen  etwas  dünn;  die  Fasern  sind  Uberall  intensiv 
gefärbt. 

Im  Inneren  des  Ganglions  sind  die  Bündel  zahlreich  und 
ihre  Fasern  kräftig  gefärbt;  daneben  finden  sich  zahlreiche  dünne 
und  schmale  gefärbte  Fasern  (Fasernatrophie?).  Zahlreiche  Bün- 
del ziehen  besonders  nach  dem  laterodorsalen  Rand  zum  Tha- 
lamus hin. 

Nur  ein  halbrundformiger  Abschnitt  im  dorsomedialen  Um- 
fange ist  auffallend  bleich  und  zwar  da,  wo  der  zum  Teil  atro- 
phische Fasciculus  reflexus  in  die  Kapsel  eindringt.  Dieses  Feld 
misst  etwa  t  m.m.  und  verläuft  der  Kapsel  entlang  (7  m.m.)  und 
markirt  sich  an  allen  Präparaten  vielleicht  etwas  stärker  als  in 
der  linken  Hemisphäre. 

In  jenem  Felde  finden  sich  nicht  wenige  gut,  aber  schwächer 
gefärbte  Fasern  und  Bündel,  aber  die  Bündel  sind  nicht  wie  im 
übrigen  Ganglion  so  stark  und  dicht,  weshalb  wohl  eine  Fasern- 
atrophie (?)  vorhanden  ist.  Recht  viele  Fasern  in  den  Bündeln 
sind  fast  gar  nicht  gefärbt.  Es  existiren  jedoch  keine  deutlichen 
Lücken  in  den  Bündeln. 

Die  Zellen  sind  eckig-gerundet  mit  scharfen  Konturen  und 
gewöhnlich  körnigem  Inhalte.  Die  Zellen  des  linken  roten  Kerns 
scheinen  besser  erhalten  zu  sein,  grösser  und  mit  längeren  Pro- 
zessen. 

Vom  lateralen  Umfange  des  Ganglions  strahlt  ein  etwa  3 
m.m.  breites  stark  gefärbtes  keilförmiges  Feld  nach  oben  lateral- 
wärts  dorsal  vom  Corpus  geniculatum  internum  in  den  Thalamus 
ein.  Die  Fasern  dieses  Feldes  scheinen  teils  von  der  dorsolate- 
ralen  und  ventrolateralen  Kapsel  des  roten  Körpers  teils  von 
einem  Bündel,  welcher  der  ventralen  Kapsel  des  Ganglions  von 
unten  zutritt,  zu  kommen.  Die  Fasern  dieses  Feldes  (Hauben- 
strahlung des  Nucleus  ruber)  verlaufen  im  ventralen  Abschnitte 
des  Thalamus,  und  mischen  sich  mit  den  Fasern  der  Gitterschicht 
des  Thalamus,  weshalb  auch  ihre  Fortsetzung  in  die  Lamina  nie- 
dullaris  externa  und  Capsula  interna  einzutreten  scheint.  Das 
Feld  hört  ungefähr  im  Vertikalplane  des  lateralen  Umfanges  des 
inneren  Kniehöckers  ohne  scharfe  Begrenzung  auf.  (Taf.  III. 
Fig.  5.  Haub.-Str.). 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND  13 


Corpus  mamillare. 

Columna  Vicq  d'Azyri.  Sie  existirt  zwar,  scheint  aber  be- 
deutend atrophisch  und  durch  die  Atrophie  des  Thalamus  aus 
ihrer  Lage  etwas  gerückt  zu  sein. 

Die  Cohiinna  fornicis  scheint  etwas  schwach  zu  sein;  die 
Fasern  sind  gefärbt. 

Die  Columna  tegmenti  ist  gut  ausgebildet  und  legt  sich  der 
dorsalen  Kapsel  des  lAiys'schen  Körpers  an. 

Das  Corpus  mamillare.  Das  Ganglion  misst  etwa  2 — 2,5 
m.m.  (gehärtet). 

Kapsel.  Die  sonst  dicke  dorsomediale  Kapsel  ist  zum  Teil 
dick,  zum  Teil  dünn;  die  ventrale  und  mediale  Kapsel  aber  ziem- 
lich normal. 

Die  Zellen  des  medialen  Ganglions  haben  scharfe  Kon- 
turen, stark  körniges  Protoplasma  und  erhaltene  Kerne;  ihre  Form 
ist  rundlich-eckig. 

Das  laterale  Ganglion  ist  von  gewöhnlicher  Grösse. 

Also:  Corpus  mamillare  wie  die  Vicq  d'Azyr'sche  Säule  ist 
etwas  atrophisch;  das  Meynert'sche  Bündel  ist  ziemlich  Lormal. 
Die  Columna  fornicis  etwas  schwach. 

Capsula  interna  und  Pes. 

Schon  makroskopisch  ist  der  linke  Fuss  bedeutend  atro- 
phisch, was  ja  durch  die  ausgedehnte  Atrophie  des  Hirnmantels 
leicht  zu  erklären  ist.  Die  Ausdehnung  der  Atrophie  lässt  sich 
nur  schwierig  an  den  Frontalschnitten  studiren.  Auf  den  makro- 
skopischen Fig.  an  den  Taf.  sieht  man,  dass  der  ganze  Stabkranz 
aus  dem  Occipital-  und  unteren  Parietal-,  wie  auch  Schläfen- 
und  Centrallappen  und  zum  Teil  Frontallappen  zerstört  sein  muss. 
Es  sind  also  hauptsächlich  nur  Fasern  vom  dorsalen  Frontal- 
lappen, welche  verschont  geblieben  sind. 

Der  Pes  bildet  an  den  Frontalschnitten  (durch  den  roten 
Körper)  eine  kaum  2  m.m.  breite  Leiste  und  ist  also  bedeutend 
atrophisch,  aber  die  zurück  gebliebenen  Fasern  sind  recht  gut 
gefärbt  (graublau)  und  begrenzte  Atrophien  sind  nicht  im  Pes 
vorhanden. 

Capsula  interna,  a)  An  Frontalschnitten  occipital  vom 
Kniehöcker. 

Der  dorsale  Teil  enthält  zwar  eine  Anzahl  Fasern,  welche 
mit  dem  obersten  Teil  des  Thalamus,  Lamina  meduliaris  externa, 
zusammenhängen.  Weiter  nach  oben  ist  die  Ausstrahlung  der 
Capsula-Fasern  zerstört  worden.  Der  mittlere  und  ventrale  Teil 
ist  im  höchsten  Grade  atrophisch,  wenn  auch  einzelne  Fasern 
erhalten  sind.  Der  ventrale  Teil  enthält  nur  Reste  von  Fasern 
(von  den  Occipital-  und  Temporallappen). 

b)  An  Frontalschnitten  durch  den  äusseren  Kniehöcker. 
Die  Kapsel  ist  eben  so  beschatten  wie  oben  bemerkt  wurde, 

aber  die  ventralen  Fasern  sind  an  Zahl  noch  geringer. 

c)  An  Frontalschnitten  durch  den  Tractus  und  Corpora 
mamillaria. 

Die  Kapsel  ist  bis  zur  Hirnbasis,  fast  vollständig  zerstört, 
der  linke  Teil  infolge  der  Malacie,  der  ventrale  Teil  durch  De- 
generation. Nur  im  ventralen  Teile  findet  man  an  den  Frontal- 
schnitten eine  Randzone  erhalten,  welche  etwa  1,3  m.m.  breit 
und  2,5  m.m.  lang  ist.  Diese  ist  durch  degenerirtes  Pes-Gewebe 
vom  Luys'schen  Körper  getrennt. 

d)  In  der  Ebene  der  Fornixsäule  ist  der  Pes  besser  erhalten 


und  in  seinem  ventralen  Abschnitte  überhaupt  recht  normal;  der 
ganze  dorsale  Abschnitt  ist  atrophisch. 

e)  Etwas  mehr  nach  vorn  ist  die  Kapsel  vollständig  zerstört, 
aber  zwischen  dem  Caput  nuclei  caudati  und  Caput  des  Putamen 
ist  die  Kapsel  recht  gut  entwickelt  mit  gut  gefärbten  Fasern. 

Rückblick.  Die  Capsula  interna  ist  in  grosser  Aus- 
dehnung zerstört  worden,  sowohl  in  dem  occipitalen  wie  mitt- 
leren Abschnitte  des  Gehirns ;  fast  nur  der  frontale  Stabkranz 
ist  erhalten.  Dagegen  strahlt  eine  Anzahl  Fasern  vom  Tha- 
lamus nach  oben  in  die  Kapsel,  und  zwar  wie  es  scheint,  votn 
roten  Körper  durch  die  Gitterschicht  und  Lamina  meduliaris 
externa  in  sie  ein. 

Die  Schleife. 
Zwischen  dem  roten  Körper  und  der  Substantia  nigra 
steigt  von  der  Medulla  oblongata  resp.  Pons  eine  Anzahl  Ner- 
venfasern fast  vertikal  bis  zur  halben  Höhe  des  roten  Körpers 
oder  selbst  etwas  höher  auf.  Man  kann  also  an  den  Fron- 
talschnitten diese  Fasern  eine  längere  Strecke  weit  verfolgen. 
Sie  liegen  nicht  sehr  dicht  an  einander  sondern  durch  Zwischen- 
räume getrennt  und  liegen  zuerst  lateral  vom  roten  Körper, 
nähern  sich  dem  Ganglion  und  bilden  anscheinend  zum  Teil 
seine  ventrale  Kapsel  ohne  ins  Innere  einzudringen,  um  sich 
dann  mit  den  lateralwärts  vom  roten  Körper  ziehenden  Fa- 
sern (die  Haubenstrahlung)  innig  zu  vermischen.  Sie  scheinen 
dabei  nicht  lateralwärts  nach  dem  äusseren  Thalamuskern  abzu- 
weichen. Es  ist  jedoch  unmöglich  sie  überhaupt  hier  weiter  zu 
verfolgen.  Die  Fasern  sind  auffallend  stark;  alle  sind  intensiv 
gefärbt. 

Substantia  nigra.  Die  Zellen  sind  zahlreich,  im  Allgemeinen 
kleiner  und  etwas  mehr  abgerundet  als  normal  (links).  Bisweilen 
bilden  sie  kleine  Pigmenthäufchen  ohne  scharfe  Konturen.  Sie 
sind  kleiner  als  die  der  linken  Hemisphäre  (Taf.  III.  Fig.  9.). 

Medulla  oblongata  und  Pons. 

Infolge  der  Atrophie  und  Schrumpfung  der  rechten  Hälfte 
fallen  die  Schnitte  nicht  völlig  symmetrisch. 

Die  Schleife  (Taf.  III.  Fig.  8.  Schi.)  ist  in  ihrer  ganzen 
Länge  deutlich,  aber  nicht  in  hohem  Grade  atrophisch. 

In  der  Höhe  des  Trochlearis  nimmt  man  wahr,  dass 

1)  der  Peslemniscus  atrophisch  ist.  Von  ihm  sind  nur  ein- 
zelne kleine  Bündel  noch  erhalten;  sein  Bindegewebe  ist  an 
Karminpräparaten  rechts  stärker  gefärbt  als  links. 

2)  der  Hauptlemniscus.  Der  rechte  Hauptlemniscus  ist  ge- 
wiss kleiner  als  der  linke;  est  ist  aber  bei  der  Ungleichmässigkeit 
der  Schleifenbildung  schwierig  zu  bestimmen,  wo  die  Atrophie  die 
rechte  Hälfte  getroffen  hat,  weil  keine  atrophischen  oder  dege- 
nerirten  Fasern  zurückgeblieben  sind.  Alle  diese  sind  deutlich 
resorbirt.  Doch  scheint  die  Atrophie  hauptsächlich,  wenn  nicht 
ausschliesslich  den  dorsomedialen  Teil  betroffen  zu  haben.  Hier 
ist  der  Lemniscus  rechts  schmäler  als  links  und  das  Bindegewebe 
ist  dichter  (Karmin-  und  Weigerts  Präp.).  Der  laterale  Abschnitt 
ist  fast  eben  so  breit  rechts  wie  links  und  zwar  sowohl  in  dorso- 
ventraler  wie  frontaler  Richtung.  Jedoch  lässt  sich  eine  Grenze 
zwischen  lateralem  und  medialem  Teile  nicht  bestimmen. 

Ob  ein  Unterschied  zwischen  dem  rechten  und  linken  latera- 


14  S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Icn  Lcinniscus  besteht  oder  nicht,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden, 
obschon  der  rechte  etwas  weniger  hervortritt  (faserärmer). 

AVeiter  nach  unten  tritt  auch  ein  Unterschied  zwischen  dem 
rechten  und  Hnken  Lemniscus  deuthch  hervor,  aber  es  ist  un- 
möglich zu  bestimmen,  ob  diese  Atrophie  einen  bestimmten  Ab- 
schnitt der  Schleifenbildung  betroffen  hat.  So  ist  es  auch  im 
Zwischenolivenfelde.  Hier  scheint  die  Atrophie  ziemlich  gleich- 
niässig  auf  den  Durchschnitt  der  Schleife  verteilt  zu  sein. 

FibrjE  arcuatcC  internae  sind  links  schwächer  und  weniger 
als  rechts. 

Niiclci  fiinicuU  gracilis  et  cuncati:  Ein  Unterschied  in  der 
Menge  der  Nervenfasern  lässt  sich  nicht  wahrnehmen. 

Die  Pyramidenbahn  ist  fast  vollständig  degenerirt  und  das 
Bündel  im  unteren  Abschnitt  der  Medulla  ganz  abgeplattet.  Nur 
vereinzelte  gefärbte  Nervenfasern  finden  sich  noch  vor. 

Die  Bindearine  (Taf.  III.  Fig.  8.  B.  A.)  sind  beiderseits  gut 
erhalten  mit  stark  gefärbten  Nervenfasern;  jedoch  ist  der  linke 
auffallend  dünner  als  der  rechte.  Es  finden  sich  keine  degenerir- 
ten  Fasern,  und  eine  stärkere  Bindegewebsentwickelung  (Karmin- 
färbung) des  linken  Bindearmes  findet  sich  nicht. 

In  der  rechten  Hälfte  der  Brücke  findet  sich  noch  eine 
Anzahl  erhaltener  Bündel  (Brückenfasern  vom  Frontallappen). 

Die  Oliven  sind  beiderseits  gut  erhalten;  die  Fasern  sind 
beiderseits  im  Hilus  gleich  zahlreich  und  stark  gefärbt,  die  Faser- 
netze sind  auch  beiderseits  gleich  gut  ausgebildet.  Die  Zellen  sind 
anscheinend  gleich  zahlreich  und  von  gleicher  Form,  mit  einem 
Worte,  die  Oliven  sind  beiderseits  normal. 

Die  Fasciculi  longitudinales  posteriores  sind  beiderseits  nor- 
mal und  gleich  stark. 

Epikrise. 

Kurzer  Krankenbericht.  Der  Vater  war  Alkoholi- 
ker. Zwei  Kinder  epileptisch.  Während  der  letzten  zwanzig 
Jahre  war  Pat.  oekonomischen  und  häuslichen  Schwierigkeiten 
ausgesetzt  und  wurde  dadurch  schwermütig.  Im  Aiigust  1874 
Anzeichen  von  Degeneration  des  Herzens,  Kurzathmigkeit 
und  Schwindelanfälle ,  gleichzeitig  Schwäche  im  Hnken  Arme. 
In  Sept.  s.  J.  wurde  der  Arm  vollständig  gelähmt  und 
schmerzend;  Besserimg.  Im  Okt.  linkseitige  Hemiplegie  mit 
AnästJicsie. 

Die  Sprache  war  während  6  Wochen  weg.  Nach  10 
Monaten  konnte  Patientin  umhergehen.  Schmerzen  in  den 
linkseitigen  Extremitäten. 

Sept.  iSyß  epileptiformer  Anfall.  Von  1876 — Sept.  1891 
war  Pat.  beständig  ausser  Bett.  Schmerzen  in  der  linken 
Seite.  Wiederholte  Anfälle  ohne  Bezinisstseinsverlnst.  Kon- 
traktur des  linken  Armes,  das  linke  Bein  wurde  nachge- 
schleift. Die  linke  Seite  hyperästetisch  gegen  Berührung  und 
Temperatur.  Im  November  1891  war  das  linke  Bein  voll- 
ständiger paralytisch  und  die  Kontraktur  stärker. 

Status  prses.  V12  1891.  Schwach,  kontrakturirt.  Harn- 
retention.  Schmerzen  im  Kreuz  und  uu  linken  Arm  und 
Bein.  Psyche  normal.  Kranialnerven  I.  III.  IV.  VI.  normal. 
II.  Kann  lesen.  Bisweilen  GcsicJitsJiallucinationen.  Ob  He- 
mianopsie ungewiss.  V.  Linkseitige  Anästhesie  für  Berührung 
und  Schmerz.  VII.  Der  obere  Facialis  gut  funktionirend, 
der  untere  etwas  paretisch.    VIII.  IX.  XI.  XII.  normal. 


Spinalnerven :  Tastsinn  linkerseits  fehlend,  rechts  etwas 
vermindert.  Schmerzsinn  beiderseits  vermindert,  auch  Tem- 
peratur- und  Ortsinn.  Wendet  den  Kopf  nach  links  nur  mit 
Schwierigkeit.  Rumpf  schwerbeweglich.  Linker  Arm  kon- 
trakturirt, paralytisch,  atrophisch.  Linkes  Bein  kontrakturirt, 
paralytisch  in  der  Hüfte  und  im  Knie.  Fussgelenk  frei.  Auch 
die  rechten  Extremitäten  in  den  Bewegungen  etwas  be- 
schränkt.    Keine  Patellarreflexe.    Tod  '^/i2  91. 

Diagnose.  Art  der  Läsion.  Im  vorliegenden  Fall 
machte  der  kurze  Aufenthalt  der  Pat.  in  der  Klinik  sowie  im 
Besonderen  ihr  Eigensinn  Schwierigkeiten.  Einerseits  spra- 
chen die  ausgeprägten  Symptome,  die  Kontraktur,  die  Ab- 
magerung für  ein  schweres  Leiden,  anderseits  aber  deutete 
der  Eigensinn  der  Pat.,  sowie  die  Aussage  der  Pat.,  dass  sie 
bisweilen,  wenn  es  ihr  gefiel  die  kontrakturirten  Extremitäten 
strecken  konnte,  auf  eine  vielleicht  alte  Kontraktur  hysteri- 
scher Art.  Jedenfalls  vermutete  ich  nicht,  dass  grossartige 
Veränderungen  vorhanden  seien. 

Die  wiederholten  Schwindelanfälle  konnten  jedoch  auf 
multiple  Thrombosen  deuten,  was  auch  die  Beschaffenheit  des 
Herzens  zu  bestätigen  schien.  Die  Sektion  zeigte  eine  aus- 
serordentlich ausgedehnte  Malacie  oder  vielmehr  eine  IVIasse 
zum  Teil  konfluirender  malacischer  Herde. 

Locus  laesionis.  Nach  der  Anamnese  wurde  der  linke 
Arm  zuerst  Aug.  1874  schwach,  später  (Sept.  s.  J.)  ging 
die  Schwäche  des  Armes  in  vollständige  Lähmung  über. 
Im  Oktober  trat  vollständige  Hemiplegie  ein.  Dieser  Ver- 
lauf der  Lähmung  spricht  gewiss  für  eine  kortikale  Lokali- 
sation, denn  bei  einer  Veränderung  der  inneren  Kapsel  tritt 
die  Lähmung  fast  gleichzeitig  in  den  oberen  und  unteren 
Gliedern  auf. 

Analyse  der  Symptome. 
Intelligenzst'öriingen.  Am  auffallendsten  war  ohne  Zwei- 
fel, dass  die  Iiitelligenz  im  Ganzen  klar  war,  Pat.  hörte  und 
verstand,  was  sie  hörte,  weder  Seelentaubheit  noch  Seelen- 
blindheit war  vorhanden.  Die  Wortstellung  war  die  richtige, 
wenn  auch  die  Antworten  nicht  immer  zutreffend  waren. 
Alles  dieses  deutete  auf  eine  im  Ganzen  richtige  Perception 
und  Apperception,  eine  richtige  Kombination  der  Gedanken 
und  richtige  motorisch-psychische  Funktionen.  Bei  einem 
solchen  Verhältniss  war  der  Sektionsbefund  äusserst  über- 
raschend. Zwar  waren  in  der  Rinde  keine  ausgedehnten 
Zerstörungen  vorhanden,  aber  fast  unzählige  kleine  und  grös- 
sere malacische  Defekte  und  Narben  waren  in  der  Rinde 
eingestreut.  Die  Tafel  I.  zeigt  solche  überall  im  Frontal- 
hirn, ebenso  im  Temporal-  und  Parietalhirn ;  an  der  Grenze 
zwischen  F"  und  findet  sich  eine  grössere  Malacie;  dage- 
gen ist  die  Occipitalrinde  mehr  verschont,  wogegen  die  Insel- 
rinde vollständig  zerstört  ist.  Aber  erst  beim  Durchschnitt 
bekommt  man  einen  richtigen  Begriff  von  der  grossartigen 
Destruktion  der  rechten  Hirnhälfte.  Das  Mark  des  grössten 
Teils  des  Occipitalhirns  war  malacisch;  unter  dem  Parietal-, 
Temporal-  und  zum  Teil  auch  Frontalhirn  war  das  Mark  voll- 
.ständig  geschwunden.  Nur  längs  der  Margo  falcata  und  be- 
sonders in  der  F^  scheint  das  Mark  nicht  ergriffen  gewesen 
zu  sein.    Aber  ausserdern  ist  der  lose  auf  den  Centraigang- 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND  L5 


lien  liegende  Hirnmantel  fast  überall  (s.  Taf.  L  Fig.  4.)  von 
diesen  durch  grosse  Cysten  getrennt.  Ich  dürfte  nicht  irren, 
wenn  ich  sage,  dass,  wenn  die  Rinde  auch  an  einzelnen  Punk- 
ten wie  an  der  Margo  falcata  hätte  funktioniren  können,  doch 
die  Association  zwischen  ferner  liegenden  Punkten  vollständig 
aufgehoben  und  fast  jede  Verbindung  durch  die  Centralgang- 
lien  unmöglich  gewesen  war,  weshalb  auch  von  dieser  Hirn- 
hälftc  aus  alle  motorischen  Äusserungen  des  psychischen 
Lebens  gehemmt  waren.  —  Kurzweg  alle  psychischen  Funk- 
tionen, welche  bei  Lebzeiten  der  Fat.  hervortraten,  waren 
nur  Äusserungen  der  linken  Hirnhälfte. 

Also  genügt  die  linke  Hirnhälfte  für  ein  fast  normales 
psychisches  Leben.  Zwar  litt  Pat.  an  Gedächtnissschwäche 
und  bisweilen  waren  die  Antworten  nicht  korrekt,  aber  man 
muss  sich  immerhin  erinnern,  dass  Pat.  eine  72-jährige  durch 
die  Kümmernisse  des  Lebens  schwer  betroffene  Frau  war, 
deren  Gefässe  auch  in  hohem  Grade  atheromatös  waren. 
Dadurch  lassen  sich  die  geringfügigen  Defekte  oder  Anoma- 
lien des  psychischen  Lebens  leicht  erklären,  ohne  zur  Hypo- 
these von  der  Notwendigkeit  der  rechten  Hemisphäre  für  ein 
vollkommenes  und  normales  psychisches  Leben  zu  greifen. 

Wenn  also  die  linke  Hemisphäre  schon  als  Grundlage 
für  den  Geist  genügt,  wozu  dient  dann  die  rechte?  Kaum 
dürfte  ein  anderer  Befund  so  deutlich  die  hohe  Bedeutung 
der  Sprachcentra  und  deren  Associationsfa.sern  für  den  Geist 
zeigen,  da  nämlich  eben  die  linke  Hemisphäre  sich  durch 
diese  Centra  von  der  rechten  charakterisirt. 

Gesichisperceptionen.  Keine  Gesichtsbilder  oder  Percep- 
tionen  konnten  hier  von  der  Aussenwelt  in  die  rechte  He- 
misphäre aufgenommen  werden,  denn  die  in  dem  Occipital- 
lappen  verlaufende  Sehstrahlung  war  vollständig  zerstört  und 
da  ausserdem  die  hintersten  15 — 20  m.m.  des  linken  Occi- 
pitallappens  auch  nicht  unbeträchtlich  durch  eine  mangel- 
hafte Nahrung  infolge  der  Atheromatose  der  Gefässe  gelitten 
hatten  und  daselbst  mehrere  kleine  Malacien  vorhanden  wa- 
ren, so  ist  der  Schluss  berechtigt,  dass  zur  Aufnahme  voll- 
ständiger Gesichtsperceptionen  die  vordere  Hälfte  des  linken 
Occipitallappens  und  des  Gyrus  angularis  sinister  genügen. 

Gcsichtsvor Stellungen .  Auch  diese  waren  klar  und  an- 
scheinend vollständig,  pjne  Association  der  Thätigkeiten  des 
rechten  Hinterhirns  mit  denen  des  linken  ist  also  nicht  für 
die  Bildung  von  Gesichtsvorstellungen  notwendig. 

Gehdrperceptio>ie)i  und  Gehörvorstelhingen.  Was  von 
den  Gesichtsfunktionen  oben  angeführt  wurde  gilt  auch  für 
die  Gehörfunktionen.  Die  Rinde  des  rechten  Schläfenlappens 
koramunicirte  nicht  mit  der  Aussenwelt,  das  Gehörganglion, 
Corpus  geniculatum  internum,  war  auch  in  Bindegewebe  um- 
gewandelt. 

Geschmacksempfindungen.  Wenn  die  Lage  des  Ge- 
schmackscentrums nicht  genauer  bekannt  ist,  so  können  wir 
jedoch  davon  überzeugt  sein,  dass  dieses  im  Schläfenlappen 
befindliche  Centrum  nicht  mit  der  Aussenwelt  oder  mit  den 
Centraiganglien  kommunicirte.  Pat.  hat  sich  also  ausschliess- 
lich der  linken  Hemisphäre  bedient. 

Genich.  Das  einzige  verhältnissmässig  gut  erhaltene 
Sinnesorgan  der  rechten  Hemisphäre  das  des  Geruch- 
sinns.   Sowohl  die  Bulbi  \\>ie  die  Striae  olfactoriae,  wie  auch 


zum  Teil  wenigstens  die  Geruchcentra  schienen  erhalten  zu 
sein.  Aber  Pat.  konnte  die  Riechstoffe  nicht  benennen  (feh- 
lende Geruchvorstellungen?  oder  Erinnerung?). 

Sprache.  Nach  dem  apoplektischen  Insulte  im  Oktober 
1874  war  die  Sprache  während  6  Wochen  geschwunden.  Dass 
dieses  die  unmittelbare  Folge  der  Apoplexie  und  nicht  einer 
Läsion  der  Sprachcentra  war,  geht  aus  dem  Sektionsbefunde 
hervor.  Im  Hospital  war  eine  eigentliche  Sprachstörung  nicht 
vorhanden.  Die  bisweilen  verkehrten  Antworten  werden  durch 
die  Schwäche  der  Pat.  leicht  erklärt. 

Lesen.  Pat.  konnte  kurz  vor  der  Aufnahme  ins  Hospi- 
tal recht  gut  feinen  Druck  lesen.  Dieses  zeigt,  dass  die  man- 
gelhafte Ernährung  der  Occipitalspitze  dabei  nicht  hindern- 
lich  war.  Wenn  man  dorthin  das  periphere  Sehfeld  verlegt, 
so  beweist  der  Fall,  dass  selbst  die  kleinste  Perceptionsfläche 
richtige  Seh-  (resp.  Buchstaben)-vorstellungen  hervorzurufen 
im  Stande  ist.  Ohne  Zweifel  spricht  diese  Thatsache  dafür, 
dass  die  mannigfaltigen  Sehvorstellungcn  sich  nicht  im  Ge- 
sichtscentrum ablagern. 

Kranialnerven.  I.  Der  Geruch  wie  auch  die  Geruchs- 
bahnen waren  beiderseits  intakt. 

II.  Hinsichtlich  des  Gesichtsfeldes  ist  es  im  hohem 
Grade  zu  bedauern,  dass  genügende  Kontrollversuche  nicht 
bei  Lebzeiten  ausgeführt  worden  sind.  Die  eigensinnige 
Frau  machte  augenscheinlich  unrichtige  Aussagen  und  sagte 
bei  der  Probe  gern  ja,  wenn  sie  gefragt  wurde,  unbeküm- 
mert darum,  ob  sie  den  Gegenstand  gesehen  hatte  oder  nicht. 
Es  machte  deshalb  den  Eindruck  als  ob  das  Gesichtsfeld  nor- 
mal gewesen  wäre.  In  der  That  muss  jedoch  eine  vollstän- 
dige Hemianopsie  bestanden  haben. 

Unter  solchen  Umständen  will  ich  mich  nur  an  die  That- 
sache halten,  dass  Pat.  kurze  Zeit  vor  der  Aufnahme  ins 
Krankenhaus  nach  zuverlässiger  Angabe  der  Tochter  oft  fei- 
nen Druck  gelesen  hatte.  Nun  lesen  wir  ausschliesslich  mit 
dem  Makularfelde,  obwohl  das  periphere  Gesichtsfeld  zur 
Orientirung  benutzt  wird.  Das  Fixat'onsfeld  war  also  erhal- 
ten. Nun  ist  rechts  die  ganze  Sehstrahlung  zerstört,  und 
links  findet  sich  an  der  Spitze  eine  schon  makroskopisch  be- 
merkbare Rinden malacie,  deren  Lage  und  Ausdehnung  aus 
der  Tafel  II.  Hg.  7.  am  besten  hervorgeht;  ausserdem  dehnt 
sich  etwas  dorsal  von  der  Fissura  calcarina  eine  kleine  ober- 
flächliche Malacie  aus  und  an  der  lateralen  Occipitalrinde 
finden  sich  ferner  eine  nicht  geringe  (s.  oben)  Anzahl  von 
kleinen  Malacien  wie  auch  ein  fleckenweise  auftretender  Fa- 
sernausfall im  Marke.  Die  ganze  Spitze  des  Occipitallappens 
scheint  von  einer  nicht  geringfügigen  Atrophie  infolge  der 
Veränderungen  der  Gefässe  befallen  zu  sein.  Diese  Atrophie 
giebt  sich  kund  teils  durch  eine  Rarefaction  der  Neuroglia 
und  Pigmentirung  der  Zellen,  teils  auch  durch  einen  deutli- 
chen Faserausfall  und  eine  bleichere  Färbung  (Atrophie)  der 
Sehstrahlung.  Unter  solchen  Umständen  dürfte  es  wohl  rich- 
tig sein  anzunehmen,  dass  diese  äussersten  15 — 20  m.m.  des 
linken  Occipitallappens  weder  an  der  lateralen  noch  medialen 
Seite  funktionsfähig  waren.  Ich  gebe  wohl  zu,  dass  man  zur 
Zeit  nicht  immer  mit  dem  Mikroskope  sicher  entscheiden 
kann,  ob  ein  Rindenstück,  wo  geringere  Nutritionsstörungen 


16  S.  E.  MENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


vorhanden  sind,  noch  funktionsfähig  ist  oder  nicht;  deshalb 
sehe  icli  in  diesem  Ealle  keinen  völlig  beweiskräftigen  Be- 
fund; aber  wenn  man  bedenkt,  dass  die  72-jährige  durch  die 
Krankheit  sehr  geschwächte  Frau  noch  kurz  vor  ihrem  Tode 
selbst  feinen  Druck  lesen  konnte,  so  können  wir  davon  über- 
zeugt sein,  dass  sie  dazu  einer  wohl  erhaltene  Rinde  bedurft 
hatte. 

f heraus  dürfte  man  wohl  folgern  können,  dass  Fat.  nicht 
mit  der  Rinde  der  Occipitalspitze  gelesen  habe  und  dass  also 
das  Fi.xationsfeld  der  kortikalen  Retina  da  zu  suchen  .sei,  wo 
die  Rinde  des  Occipitallappens  völlig  normal  war.  Es  liegt 
also  die  kortikale  Macula  weiter  nach  vorn,  also  wenigstens 
etwa  2  cm.  oder  weiter  nach  vorn  bis  4  cm.  vor  der  Occi- 
pitalspitze. 

Der  vorliegende  Fall  .scheint  also,  obschon  er  in  gewis- 
sem Gracie  unrichtig  beobachtet  war,  einen  nicht  unwichtigen 
Beitrag  zur  Kenntnis  der  Projektion  des  Gesichtsfeldes  in  die 
Occipitalrinde  zu  geben. 

Ich  bemerke  nebenbei,  dass  dieses  Resultat  in  voller 
Übereinstimmung  mit  den  Schlüssen  steht,  welche  ich  schon 
durch  andere  Methoden  und  aus  anderen  Daten  gezogen  habe. 
(Vergl.  Teil  II.  S.  359.)  Es  dürfte  also  in  dem  Occipitallap- 
pen  das  Makidarfeld  vieJir  frontal,  das  po'iferische  hi  dem 
Jiorizontalen  Meridiane  mehr  occipital  liegen. 

Farbensinn.  Durch  einen  analogen  Schluss  kommt  man 
zum  Resultate,  dass  die  kleine  erhaltene  Strecke  des  Ge- 
sichtscentrums in  dem  vorderen  Abschnitte  der  Fissura  cal- 
carina  auch  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  die  farbenpercipi- 
renden  Elemente  enthält.  Zwar  ist  auch  hier  der  Schluss 
nicht  zwingend;  es  lässt  sich  nähmlich  denken,  dass  das 
Farbcncentrum  irgendwo  anders  liegt;  aber  eine  Erwägung 
der  Gründe,  die  schon  oben  mehrmals  hervorgehoben  sind 
(Teil  II.  S.  412.)  lässt  einen  solchen  Schluss  wahrscheinlich 
erscheinen. 

Gesiclitshallncinalionen  waren  wie  es  scheint  vorhanden. 
Da  aber  keine  genaueren  Angaben  darüber  vorliegen,  so  las- 
sen sich  auch  keine  besonderen  Schlüsse  aus  der  Beobach- 
tung ziehen.  Die  durch  die  Gefässveränderungen  hervorge- 
rufenen Schwankungen  des  Blutgehalts  erklären  genügend 
das  Vorhandensein  dieses  Reizungssymptoms.  Frische  Ver- 
änderungen waren  bei  der  Sektion  nicht  zu  erkennen.  Ob- 
schon nun  die  rechte  Hirnhälfte  zerstört  war,  können  sich  je- 
doch vollständige  Hallucinationcn  —  d.  h.  solche  welche  die 
beiden  Seiten  eines  Gegenstandes  enthalten  —  bilden.  Da 
aber  bei  der  Hemianopsie  die  eine  Seite  des  Gesichtsfeldes 
der  grösseren  Gegenständen  fehlt,  so  spricht  diese  Observa- 
tion ohne  Zweifel  dafür,  dass  die  Hallucinationcn  nicht  im 
Sehcentrum  entstehen,  sondern  irgendwo  anders.  Es  sind 
also  gewiss  Hallucinationcn  nicht  den  Perceptionen  sondern 
den  Vorstellungen  analoge  Phänomene. 

III.  IV.  VI.  Obwohl  gewiss  von  der  Rinde  der  rech- 
ten Hemisphäre  keine  Innervation  zum  Kern  der  gleichseiti- 
gen Augennerven  fortgepflanzt  werden  konnte,  so  waren  je- 
doch die  Augenbewegungen  normal.  Strabismus  war  nicht 
vorhanden.  Einen  kräftigeren  Beweis  der  bilateralen  Inner- 
vation paariger  Organe  giebt  es  kaum. 

Auch  die  Pupillenbewegung  hatte  durch  die  Apoplexie, 


wenigstens  dauernd,  nicht  gelitten ;  sie  waren  gleich  gross  und 
reagirten  sowohl  beim  Lichtreiz  als  bei  der  Accomodation. 
Eine  innige  Kommunikation  zwischen  den  rechts-  und  links- 
seitigen Augenncrvenkernen  muss  also  bestehen.  Es  ist 
sehr  schade,  dass  auf  hemianopische  Pupillenreaktion  nicht 
geprüft  wurde. 

V.  Wie  sich  die  Sensibilität  nach  dem  Insulte  im  Ok- 
tober 1874  verhielt,  lie.ss  sich  nicht  genau  nachweisen.  Bei 
der  Untersuchung  im  Hospital  war  die  Anä.sthesie  der  linken 
Wange  auffallend.  Die  Anästhesie  betraf  sowohl  den  Tast- 
sinn wie  den  Schmerzsinn,  war  jedoch  nicht  absolut,  da 
Fat.  stärkeren  Reiz  verspürte;  aber  auch  an  der  rechten  Seite 
scheint  die  Sensibilität  etwas  herabgesetzt  gewesen  zu  sein. 

Dieses  zeigt,  dass  hinsichtlich  der  Sensibilität  eine  bi- 
laterale Innervation  vorhanden  ist.  Damit  steht  auch  im 
Einklang  die  Herabsetzung  der  Sensibilität  in  der  rechten 
Seite.  Hierbei  muss  jedoch  die  kleine  Malacie  in  der  hn- 
ken  Hemisphäre  (Taf  I.  Fig.  3.)  in  Betracht  gezogen  werden. 

Die  bilateral  innervirten  paarigen  Kaumuskeln  sind 
nicht  angegriffen,  obwohl  ihr  rechtseitiges  Centrum  gewiss  zer- 
stört ist. 

VII.  Dass  der  obere  Facialis  nicht  gelitten  habe,  be- 
ruht wohl  auch  auf  der  bilateralen  Innervation. 

Dagegen  hat  der  untere  Facialis  gelitten  wie  aber  lässt 
sich  wohl  fragen.  (S.  oben.)  Die  abweichende  Stellung"  lässt 
sich  nur  durch  die  Annahme  einer  Kontraktur  der  linksseiti- 
gen Muskeln  erklären.  Diese  Kontraktur  hat  sowohl  das  äus- 
sere Facialisgebiet  wie  die  Gaumenmuskeln  betroffen. 

VIII.  Auch  betreffs  des  Gehörs  konnte  keine  Ungleich- 
heit wahrgenommen  werden.     Bilaterale  Innervation. 

IX.  Der  Geschmack  (s.  oben)  war  intakt,  der  grossen 
Zerstörung  des  rechten  Temporo  occipitallappens  ungeachtet. 

XI.  Die  linke  Achsel  stand  wahrscheinlich  infolge  der 
Kontraktur  höher. 

XII.  An  der  Zunge  keine  Abweichung,  obschon  das 
rechte  Zungencentrum  zerstört  war,  aber  früher  Okt.  1874 
war  die  Zunge  betroffen. 

Sensibilität.  Ob  die  Sensibilität  schon  beim  ersten 
Anfall  im  Aug.  1874  verändert  war  oder  nicht,  liess  sich 
nicht  nachweisen,  aber  bei  dem  im  Oktober  s.  J.  eingetrete- 
nen Insulte  wurde  die  linke  Seite  vollständig  gelähmt  und 
zugleich  gefühllos.  Ob  nachher  eine  Besserung  eintrat  oder 
nicht,  ist  ungewiss.  Pat.  hatte  übrigens  nachher  so  viele  An- 
fälle von  Schwindel  resp.  apoplektischen  Insulten,  dass  es 
unmöglich  war  zu  erweisen,  welche  Teile  des  Gehirns  bei 
den  verschiedenen  Schlaganfällen  getroffen  wurden. 

Im  Hospital  war  nun  die  Sensibilität  auffallend  ver- 
ändert. 

Tastsinn.  Die  y\nästhesie  war  links  fast  vollständig,  aber 
auch  rechts  vorhanden,  und  daselbst  deutlich  ausgeprägt. 
Die  Anä.sthesie  der  linken  Seite  ist  der  vollständigen  Zer- 
störung der  rechten  Gefühlsbahn  im  Gehirn  zuzu.schreiben. 
Die  unbedeutende  noch  gebliebene  Sen.sibilität  (»scheint  zu 
fehlen»),  muss  aus  der  linken  Hemisphäre  stamm.en. 

Die  au.sgeprägte  Anästhesie  der  rechten  Körperseite  ist 
wohl  eine  Folge  der  Zerstörung  der  von  der  rechten  He- 
misphäre kommenden   Fasern,   zu  welcher  eine  geringfügige 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND  17 


Herabsetzung  durch  die  Läsion  der  linken  Hemisphäre  (Nu- 
cleus  caudatus  und  des  Linsenkörpers)  hinzutrat. 

Schnicrssinn.  Von  diesem  Sinn  gilt  das  eben  über  den 
Tastsinn  bemerkte,  mit  der  Modiiikation,  dass  hier  ganz  be- 
stimmt der  Schmerzsinn  an  der  linken  Seite  nicht  vollständig 
fehlte.  Hier  finden  wir  also  einen  bestimmten  Beweis,  dass 
obschon  die  Capsula  interna  der  rechten  Hemisphäre  voll- 
ständig zerstört  war,  doch  eine  Spur  von  Schmerzsinn  an  der 
gegenüber  liegenden  Seite  zurückgeblieben  sein  kann.  Ei)ie 
bilaterale  Innervation  ist  also  vorJianden  nnd  zicar  ancJi  ob- 
schon in  geringem  Grade  candal  von  der  Capsula  interna. 

Der  Teuiperatursinii  war  zwar  vermindert,  aber  der  Zu- 
stand der  Fat.  machte  es  unmöglich  genauere  Angaben  dar- 
über zu  bekommen. 

Ortsinn.    Davon  gilt  dasselbe  wie  vom  Tenipcratursinn. 

Subjective  Sensibilitätssymptome. 

Schon  im  September  bei  dem  ersten  acuten  Anfalle 
wurde  der  linke  Arm  gelähmt  und  gleichzeitig  stellten  sich 
heftige  Schmerzen  ein,  später  kamen  dazu,  obschon  die  mo- 
torische Lähmung  so  vermindert  war,  dass  Fat.  mit  Hülfe 
eines  Stockes  umhergehen  konnte,  Schmerzen  im  linken  Arm 
und  Bein.  Die  Schmerzen  vermehrten  sich  bei  dem  Ver- 
suche, die  später  entwickelte  Kontraktur  aufzuheben.  Aber 
stets  scheint  Fat.  an  Schmerzen  gelitten  zu  haben,  und  zwar 
nur  in  der  linken  Körperhälfte.  Ausserdem  war  diese  Seite 
mit  Ausnahme  des  Kopfs  bei  Berührung  oder  Temperatur- 
wechsel sehr  empfindlich.  Wenn  warmes  Essen  an  der  lin- 
ken Seite  des  Gesichts  verschüttet  wurde,  so  klagte  sie  nicht. 
Im  November  1891  wurden  die  linkseitigen  Schmerzen  noch 
heftiger  und  dauerten  im  Hospital  noch  fort. 

Wenn  nun  auch  die  Schmerzen  später  durch  die  Kon- 
traktur der  linkseitigen  Extremitäten  hervorgerufen  oder  un- 
terhalten wurden,  so  ist  es  jedenfalls  auffallend,  dass  sie 
gleichzeitig  mit  der  Lähmung  entstanden  waren.  Ähnliche 
Beobachtungen  sind  schon  einige  Mal  von  mir  (Fall  N:o  15 
und  N:o  20)  mitgeteilt  worden  und  später  hat  E  ding  er,  auf 
einen  Fall  gestüzt,  die  Frage  nach  spontan  entstehenden 
Schmerzen  speciell  behandelt. 

Im  Edinger'schen  Falle  fand  sich  ein  »kleiner  Erweich- 
ungsherd im  Nucleus  externus  Thalami  optici  und  in  einem 
Teil  des  Pulvinar,  geringe  Beteiligung  der  inneren  Kapsel 
und  absteigende  Degeneration  der  Rindenschleife».  Der  Herd 
lag  hier  dicht  an  der  sensiblen  Bahn  (Edinger),  hatte  sie  aber 
nicht  durchschnitten.  Die  Schmerzen  waren  unmittelbar  nach 
einer  durch  einen  Embolus  hervorgerufenen  Erweichung  ent- 
standen und  hielten  bis  zum  Tode  der  Fat.  an.  —  Der  Fall 
scheint  übrigens  ziemlich  vereinzelt  zu  sein  (Edinger)  und 
Edinger  scheint  weder  in  der  Literatur  noch  in  meinem  Werke 
etwas  ähnliches  gefunden  zu  haben.  Ohne  auf  jene  Frage 
emzugehen,  bemerke  ich  hinsichtlich  dieser  Angabe,  dass  ich 
im  ersten  Teile  meines  Werkes  wirklich  2  Fälle  von  Läh- 
mung mit  Schmerzen  in  der  gelähmten  Seite  beschrieben 
habe. 

Im  Falle  15  (S.  103)  finden  wir  einen  solchen  Fall. 
Am  16.  März  wurde  der  Fat.  von  dem  Schlaganfall  getroffen. 
Der  rechte  Arm  begann  zu  schmerzen  und  wurde  bald  völ- 

5.  E.  Menschen.    Pathologie  des  Gehirns. 


lig  gelähmt.  Dann  verlor  Fat.  das  Bewusstsein.  Vor  einigen 
Jahren  hatte  der  Fat.  einen  Stoss  gegen  die  rechte  Schulter 
bekommen.  Hier  leitet  also  der  Schmerz  den  Schlaganfall 
ein,  aber  tritt  später,  nachdem  die  Anästhesie  sich  entwickelt 
hatte,  nicht  besonders  hervor. 

Im  Falle  20  (S.  135)  empfand  Fat.  auch  gleich  nach 
der  Apoplexie,  dass  »es  mitunter  im  Arm  und  Bein  riss>, 
und  einige  Tage  später  »fühlte  er  mitunter  Reissen  und  Zit- 
tern im  linken  Bein». 

Ausserdem  habe  ich  bei  verschiedenen  Fällen  ähnliche 
Beobachtungen  gemacht,  wie  ich  auch  auf  Seite  107  in  mei- 
nem Werke  bemerkt  habe.  Hieraus  geht  also  hervor,  dass 
ich  schon  früher  Beobachtungen  über  Schmerzen  centralen 
Ursprungs  gemacht  habe. 

Was  nun  die  Bedeutung  und  die  Beweiskraft  dieser  Be- 
obachtungen betriftt,  wird  es  notwendig  sein,  diese  Frage 
mit  einigen  Worten  zu  berühren. 

Zunächst  muss  hervorgehoben  werden,  dass  die  not- 
wendige Bedingung  eine  schmerzhafte  Empfindung  zu  spü- 
ren ist,  dass  die  centralen  fühlenden,  also  die  kortikalen 
Elemente,  noch  funktionsfähig  sind.  Ein  Reiz  der  periphe- 
ren Nerven  im  Thalamus  oder  irgendwo  anders  kann  nicht 
Schmerz  hervorrufen,  wenn  die  Rindenelemente  zerstört  sind. 

W^enn  wir  von  diesem  Gesichtspunkte  aus  diese  4  Fälle 
Malm,  die  Fälle  15  und  20  und  Edinger's  Fall  untersuchen, 
so  finden  wir,  dass  in  zwei  Fällen  (Edinger's  und  N:o  15) 
die  Rinde  ganz  unversehrt  war,  dass  sie  dagegen  in  diesem 
Falle  (Malm)  vollständig  von  den  Centraiganglien  durch  ma- 
lacische  Heerde  getrennt  war;  und  im  Falle  N:o  20  war 
auch  das  subkortikale  Mark  unter  den  Centraiwindungen  ei 
weicht. 

Im  Falle  Malm  war  wenigstens  ein  Teil  der  Rinde 
nicht  primär  erweicht,  wenn  sie  auch  in  grosser  Ausdehnung 
(s.  Fig.  I.  4.  5.  Taf.  LVIII)  sekundär  degenerirt  und  zer- 
stört war.  Man  dürfte  nicht  berechtigt  sein  zu  verneinen, 
dass  ihre  zurückgebliebenen  Rindenelemente  im  oberen  Ab- 
schnitte der  Windung  vielleicht  etwas  wenn  auch  schlecht 
fungirt  haben  könnten  und  selbst  mit  anderen  Rindenelemen- 
ten in  Verbindung  hätten  treten  können.  Die  Möglichkeit 
einer  centralen  Schmerzempfindung  ist  also  nicht  ausge- 
schlossen. 

Etwas  anders  verhält  sich  die  Sache  hinsichtlich  des 
Falles  N:o  20  (S.  135).  Hier  war  C  im  unteren  Abschnitte 
und  C  zum  Teil  vollständig  erweicht.  Jedoch  war  der  ober- 
ste Abschnitt  ziemlich  erhalten,  und  da  die  Schmerzempfind- 
ungen sich  vorzugsweise  im  Beine  lokalisirten,  so  kann  die 
Möglichkeit  einer  centralen  vom  obersten  Abschnitte  des  C 
ausgelösten  Schmerzempfindung  nicht  geleugnet  werden. 

Auffallend  ist  es  weiter,  dass  im  Falle  20  eine  vollstän- 
dige Anästhesie  gleichzeitig  vorhanden  war  und  im  Falle 
Malm  war  nur  noch  eine  Spur  von  Sensibilität  erhalten. 

In  Anbetracht  dieser  Anästhesie  ist  die  erhalten  ge- 
bliebene Schmerzempfindung  auftallend. 

Der  Fall  N:o  15  und  der  Edinger'sche  sind  in  vielen 
Hinsichten  einander  ähnlich.  In  den  beiden  ist  das  Zusam- 
mentreften  der  Apoplexie  mit  dem  Entstehen  der  Schmerz- 
empfindungen auftallend.   Im  Falle  N:o  15  geht  der  Schmerz 

3 


18 


S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


dem  Anfalle  eine  Zeit  voraus,  im  Edinger'schen  Falle  folgt 
er  ihm  vielleicht  etwas  nach.  Sowohl  hinsichtlich  der  He- 
mianopsie wie  der  Athetose  ist  die  Ähnlichkeit  der  beiden 
Fälle  gross;  auch  die  Lokalisation  des  pathologischen  Pro- 
zesses ist  fast  vollständig  dieselbe,  obschon  in  meinem  Falle 
eine  Blutung  im  Edinger'schen  aber  eine  Erweichung  nach 
einer  Embolie  vorlag.  Dadurch  erklären  sich  auch  genügend 
die  übrigen  den  Anfall  begleitenden  Symptome. 

Der  Heerd  liegt  in  beiden  Phallen  in  dem  hinteren  Ab- 
schnitte des  Thalamus  und  wirkt  auf  den  hinteren  Abschnitt 
der  Capsula  interna  ein.  Die  Fasern  sind  hier  nicht  zerstört, 
wohl  aber  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  gedrückt  oder  ge- 
reizt (s.  Taf.  XXII.  P'ig.  3.  4.)  und  Edinger's  (Taf  IV.  Fig. 
I. — 5.).  Im  Edinger'schen  Pralle  scheint  die  Sensibilität  fast 
vollständig  zurückgekehrt  zu  sein,  in  meinem  Falle  war  das 
Gefühl  in  dem  schmerzenden  Arme  fast  vollständig,  im  Beine 
aber  zum  Teil  erloschen. 

Unter  solchen  Umständen  ist  es  aufiallend,  dass  in  bei- 
den Fällen  Schmerzen  in  den  Gliedern  empfunden  wurden. 

Die  Bedingungen  für  central  entstehende  Schmerzen 
finden  sich  also  atich  in  diesen  Fällen,  und  da  in  allen  mei- 
nen Fällen  die  Glieder  mehr  oder  minder  vollständig  anä- 
sthetisch waren,  so  Avird  dadurch  mit  Wahrscheinlichkeit  aus- 
geschlossen, dass  die  Schmerzen  peripherisch  entstanden  sind 
und  folglich  auch  die  Wahrscheinlichkeit  der  centralen  Ent- 
stehung erhöht. 

Wenn  dem  so  ist,  so  müssen  wir  uns  eine  peripherische 
Projektion  der  Schmerzempfindungen  denken.  Plierin  liegt 
eigentlich  nichts  Befremdendes,  wenn  man  sich  erinnert,  dass 
man  hinsichtlich  der  anderen  Sinne  eine  solche  Projektion 
schon  annimmt.  Allgemein  wird,  wie  bekannt  die  P'ntstehung 
von  centralen  Gesichts-  Gehörs-  und  Geruchs-  sowie  auch 
Geschmacksempfindungen  in  Form  von  Hallucinationen  an- 
genommen, und  wenn  ich  auch  die  P'rage,  ob  diese  Em- 
pfindungen in  den  Sinnesflächen  oder  irgend  anderswo  ent- 
.stehen  noch  nicht  reif  für  eine  Entscheidung  ansehe,  so  schei- 
nen doch  diese  Hallucinationen  eher  für  als  gegen  die  Mög- 
lichkeit der  centralen  Entstehung  von  Schmerzempfindungen 
zu  sprechen. 

Ein  ganz  besonderes  Interesse  erhalten  diese  Beobacht- 
ungen, wenn  man  sich  erinnert,  dass  in  den  Fällen  Malm 
und  N:o  20  die  eventuell  empfindende  Rindenfläche  von  den 
Stammganglien  und  folglich  auch  vom  übrigen  Körper  durch 
die  Erweichung  isolirt  war.  Es  fragt  sich  dabei,  ob  solche 
isolirte  Windungen,  welche  auch  mit  den  übrigen  krankhaften 
Teilen  keine  oder  nur  mangelhafte  Verbindungen  haben,  wirk- 
lich psychisch  empfinden  können. 

Die  Annahme  des  Vorhandenseins  centraler  Schmer- 
zen in  den  genannten  P'ällen  führt  nähmlich  zur  Aufstellung 
dieses  Schlusses. 

Endlich  ist  daran  zu  erinnern,  dass  während  mit  den  eben 
erwähnten  Fällen  betreffs  des  pathologischen  Prozes.ses  ganz 
gleichartige  Fälle  gar  nicht  selten  sind,  Beobachtungen  über 
cerebrale  centrale  mit  Schmerzen  verbundene  Prozesse  über- 
haupt jedoch  als  grosse  Seltenheit  zu  betrachten  sind;  zwar 
glaube  ich,  dass  dies  zum  grossen  Teil  durch  mangelhafte 
Beobachtungen  bedingt  ist,  indem  ich  eine  Anzahl  einschlä- 


giger Thatsachen  schon  beobachtet  habe,  aber  ihr  seltenes 
Vorkommen  in  der  Literatur  mahnt  bei  der  Deutung  zur 
Vorsicht.  Ich  halte  deswegen,  die  Zeit  noch  nicht  für  ge- 
kommen eine  bestimmte  Behauptung  aufzustellen,  ob  es  wirk- 
lich central  entstehende  Schmerzen  giebt  oder  nicht.  Zur  Zeit 
genügt  es  die  Frage  aufzustellen,  sie  zu  präcisiren  und  die 
Kliniker  zur  genauen  Beobachtung  aufzufordern. 

Motilität. 

Im  August  1874,  also  17  Jahre  vor  dem  Tode  der  Pat. 
begann  sie  an  zunehmender  Schwäche  im  linken  Arm  zu 
leiden;  im  September  selben  Jahres  fühlte  sie  eines  Tages 
nach  einer  Erkältung  den  Arm  vollständig  gelähmt.  Besser- 
ung nach  einer  dreiwöchentlichen  Behandlung  mit  Elektricität. 
Im  Oktober  wurde  sowohl  der  linke  Arm  wie  das  linke  Bein 
gelähmt  und  gleichzeitig  der  linke  Mundwinkel  nach  oben  ge- 
zogen, auch  die  linke  Zungenhälfte  Avar  gelähmt.  Diese  Lähm- 
ung scheint  mit  einem  gewissen  Grade  von  Kontraktur  ver- 
bunden gewesen  zu  sein. 

Nach  6  bis  8  Wochen  konnte  sie  im  Bette  aufrecht 
sitzen  und  nach  8  Monaten  auf  einen  Stock  gestützt  umher- 
gehen. Eine  Kontraktur  entwickelte  sich  in  den  linksseitigen 
Gliedern. 

Dann  hatte  sie  im  September  1875  einen  epilejDtischen 
Schwindelanfall  aber  ohne  nachfolgende  Lähmung.  Solche 
Schwindelanfälle  wiederholten  sich  dann  ab  und  zu;  die  Kon- 
traktur nahm  zu;  das  linke  Bein  schleppte  sie  immer  nach 
sich,  aber  des  INIorgens  war  der  Arm  gewöhnlich  gestreckt. 
Im  September  1891  konnte  sie  es  nicht  mehr  auf  den  Boden 
setzen  (wahrscheinlich  infolge  der  Kontraktur)  und  die  Kon- 
traktur nahm  bedeutend  zu. 

Im  Dezember  1891  litt  sie  an  einer  beiderseitigen  He- 
miplegie mit  Kontraktur  und  Atrophie  der  Muskeln. 

Selbst  im  P'acialis-Gebiete  war  die  Kontraktur  aufiallend; 
der  linke  Mundwinkel  und  die  linke  Hälfte  des  Gaumensegels 
waren  nach  oben  gezogen.  Der  Arm  war  in  dem  Ellen- 
bogen gebeugt  und  die  Plnger  in  den  Gelenken  kontrahirt 
(s.  oben)  und  vollständig  gelähmt.  Aber  auch  im  rechten 
Arm  war  die  Beweglichkeit  beschränkt. 

Auch  das  linke  Bein  war  kontrahirt  und  nur  in  dem 
Fussgelenke  konnte  Pat.  aktive  Bewegungen  ausführen.  Auch 
die  Bewegung  des  rechten  Beines  war  im  Hüftgelenk  be- 
schränkt. 

P"ür  die  richtige  Beurteilung  dieser  Thatsachen  ist  es 
notwendig  sich  des  Sektionsbefundes  zu  erinnern.  Ein  gros- 
ser, kortikaler  Defekt  fand  sich  im  Fuss  des  F"  am  vorde- 
ren Rande  des  G';  sowohl  C^  wie  C  sind  in  der  Weise 
unterminirt,  dass  die  Verbindung  zwischen  der  Rinde  und 
der  Capsula  interna  zerstört  ist.  Dieses  tritt  deutlich  an 
den  Figuren  4.  und  5.  Taf  I.  sowie  an  der  Fig.  6.  Taf.  II. 
hervor. 

Die  vielfachen  kleinen  Malacien  der  Rinde  entsprechen 
gewiss  den  Schwindelanfällen  und  stammen  deswegen  aus 
verschiedenen  Zeitpunkten.  P^ine  der  ältesten  Erweichungen 
ist  wahrscheinlich  die  der  F'.  Es  scheint  auch  wahrschein- 
lich, dass  diese  auf  luetischer  Basis  beruhen.     Nun  berichtet 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND  19 


die  Krankengeschichte,  dass  der  hnke  Arm  schon  vor  dem 
Schlaganfalle  eine  Zeit  lang  schwach  war.  Eine  begrenzte 
langsam  fortschreitende  Thrombose  oder  vielleicht  eine  luet- 
ische Geschwulst  hatte  sich  daselbst  langsam  entwickelt,  bis 
plötzlich  der  Schlaganfall  die  Kraft  des  Armes  vernichtete. 
Die  zurückkehrende  Kraft  wird  wohl  dadurch  erklärt,  dass 
dieser  Heerd  die  nur  berührte  ohne  sie  vollständig  zu 
destruiren.  Bald  nachher  entstand  im  Oktober  eine  vollstän- 
dige Hemiplegie  und  dabei  wurde  augenblicklich  sowohl  Bein 
als  Gesicht  und  Zunge  gelähmt.  Diese  Lähmung  entspricht 
der  ausgedehnten  Erweichung  der  Insula  und  des  centralen 
Markes. 

Auch  nach  diesem  schweren  Anfalle  erholte  sich  Fat. 
schliesslich,  obschon  nur  zum  Teil;  und  sie  konnte  auf  einem 
Stock  gestützt  umhergehen.  Sie  hatte  also  bis  auf  die  letzte 
Zeit  einen  gewissen  Grad  von  Beweglichkeit  und  Kraft  we- 
nigstens im  linken  Beine.  Auch  im  Ki-ankenhause  konnte 
nachgewiesen  werden,  dass  die  Bewegungen  des  linken  Fus- 
ses  noch  vorhanden  w'aren. 

Wenn  man  sich  ausserdem  erinnert,  dass  alle  Verbind- 
ungen zwischen  der  motorischen  Rinde  der  C'"^  und  C  einer- 
seits und  dem  Rückenmark  aufgehoben  waren,  obwohl  Reste 
der  vom  Frontalhirn  kommenden  Fasern  noch  erhalten  wa- 
ren, so  ist  der  Schluss  berechtigt,  dass  der  linke  Fuss  von 
der  rechten  Hemisphäre  keine  Nervenfasern  bekommen  hat 
und  die  erhalten  gebliebene  Motilität  nur  durch  Vermittelung 
der  linken  Hemisphäre  —  also  durch  die  bilaterale  Innerva- 
tion zustande  gekommen  sei.  Soweit  ich  ersehen  kann,  iin- 
den  wir  hier  einen  Beweis  dafür,  dass  selbst  bei  totaler  Ver- 
nichtung der  motorischen  Kapselfasern  doch  das  zugehörige 
Glied  nicht  vollständig  gelähmt  wird. 

Anders  verhält  es  sich  mit  dem  Arm.  Er  war  vollstän- 
dig gelähmt.  Hier  machte  sich  die  Einwirkung  der  linken 
Hemisphäre  nicht  geltend.  Ganz  verschieden  verhalten  sich 
die  Zunge  und  das  Gesicht,  hier  ist  eine  Veränderung  der 
Motilität  kaum  merkbar  und  besonders  gilt  dies  für  die 
Augenlieder. 

.Die"  Ko}itraktur  braucht  keine  Erklärung,  ebensowenig 
die  ausgesprochene  Atrophie. 

Pathologisch-anatomische  Bemerkungen. 

Eine  Zusammenfassung  der  pathologisch-anatomischen 
Veränderungen  dürfte  hier  am  Platze  sein. 

In  Anbetracht  der  ausgedehnten  Zerstörung  der  rechten 
Hemisphäre,  welche  sowohl  die  Rinde  wie  besonders  das 
Mark  betroffen  hat,  sind  die  sekundären  Atrophien  in  den 
Centraiganglien  vor  allem  interessant.  Es  dürfte  angemessen 
erscheinen,  diese  Veränderungen  der  verschiedenen  Faser- 
systeme noch  in  der  Kürze  zu  behandeln.  Für  die  aus- 
giebigere Beschreibung  weise  ich  auf  die  obige  Darstellung 
des  pathologisch-anatomischen  Befundes  hin. 

Das  optische  System. 

Da  das  Mark  der  Occipital-  und  Parietal-lappen  in  gros- 
ser Ausdehnung  erweicht  und  zum  grossen  Teile  selbst  re- 
sorbirt  und  besonders  die  Sehstrahlungen  in  ihrer  ganzen 


Ausdehnung  zerstört  waren,  so  war  damit  die  Verbindung 
zwischen  dem  Sehcentrum  und  den  Centralganglien  völlig 
aufgehoben.  Diese  waren  infolge  dessen  sekundär  degene- 
rirt.  Welche  Veränderungen  dabei  zustandegekommen  sind, 
ist  oben  näher  erwähnt  und  zwar  hinsichtlich  des  Knie- 
höckers auf  Seite  8  und  hinsichtlich  der  Corpora  c^uadri- 
gemina  auf  Seite  lo  und  hinsichtlich  Pulvinar  und  Thalamus 
auf  Seite  7. 

Den  ausgesprochenen  Veränderungen  der  subkortikalen 
Schgaiiglieii  gegenüber  ist  es  auffallend,  dass  der  frontale 
Abschnitt  der  Sehbahn  wenig  oder  gar  nicht  ergriffen  war. 
Ob  eine  Atrophie  im  Tractus  und  Nervus  opticus  existirte 
oder  nicht,  ist  mir  unmöglich  zu  bestimmen;  jedenfalls  wenn 
eine  solche  existirt,  ist  sie  unbedeutend.  Diese  Thatsache 
fällt  desto  mehr  in  die  Augen,  da  die  Erweichung  der  occi- 
pitalen  Sehbahn  schon  vieljährig  ist.  Wie  viele  Jahre  sie 
bestanden  hat,  lässt  sich  wohl  nicht  mehr  bestimmen,  aber 
in  Anbetracht  der  vollständigen  Resorption  des  Markes  und 
der  in  der  Anamnese  mitgeteilten  Angaben  bin  ich  geneigt 
die  Erweichung  mehr  als  eine  lo-jahrigc  aufzufas.sen. 

Der  Fall  beweist  also,  welche  grosse  Bedeutung  die 
Einschaltung  eines  Ganglions  für  die  Hemmung  der  Fort- 
leitung einer  Degeneration  bei  dem  Erwachsenen  hat. 

Von  besonderem  Interesse  ist  die  Beobachtung,  dass  von 
den  grossen  und  kleinen  Zellen  des  äusseren  Kniehöckers 
eine  Anzahl  zu  Grunde  gegangen  ist,  während  andere  recht 
gut  erhalten  waren.  Wenn  man  bedenkt,  dass  fast  alle  mög- 
lichen Verbindungen  des  Kniehöchers  mit  der  Rinde,  mit  der 
Capsula  interna,  mit  dem  Occipitallappen  und  mit  dem  Colli- 
culus  anterior  Corp.  4-gem.  aufgehoben  sind,  so  bleibt  weiter 
nichts  als  der  Schluss  übrig,  dass  diese  Zellen  mit  dem  rech- 
ten Tractus  resp.  Retina  zusammenhängen.  Ist  dies  der  Fall, 
dann  wird  hier  zum  ersten  Male  beim  Menschen  der  Beweis 
geliefert,  dass  es  zwischen  dem  Kniehöchcr  und  der  Retina 
rückwärts  verlaufende  Fasern  giebt,  welche  von  den  Zellen 
des  Kniehöckers  ausgehen.  Und  diese  Beobachtung  steht  mit 
der  von  Ravion  y  Cajal  beobachteten  Thatsache  in  voller 
Ubereinstimmung,  dass  solche  Fasern  bei  den  Vögeln  exi- 
stiren.  Dagegen  stimmen  damit  nicht  die  Angaben  von  Mo- 
nakoiv,  dass  die  Zellen  des  Kniehöckers  nicht  mit  den  Fa- 
sern des  Tractus  zusammenhängen.  Viel  mehr  bestätigt  sich 
meine  Beobachtung  im  Falle  N:o  i.  (Teil  I.  S.  5),  dass  die 
Zellen  des  Kniehöckers  bei  Zerstörung  der  Bulbi  zum  Teil 
degeneriren. 

Einige'  Fasern  der  Sehnerven  /längen  also  mit  den  gros- 
sen und  kleinen  Zellen  des  äusseren  Knicköckers  zusauiuien. 
(Vgl.  oben  S.  10.) 

Das  Gehörsystem. 
Analoge  Veränderungen  mit  denen  des  ojDtischen  Sy- 
stems finden  sich  in  dem  Gehörsystem.  Die  Rinde  der  T'  ist 
zwar  zum  Teil  noch  erhalten,  aber  wie  aus  den  Fig.  i.  und 
5.  Taf.  I  und  den  P'ig.  5.  und  6.  Taf.  II  hervorgeht,  ist  die 
Rinde  zum  Teil  und  das  Mark  unter  dem  oberen  Abschnitt 
der  T^  vollständig  zerstört  und  überhaupt  jede  Verbindung 
zwischen  Gehörrinde  und  den  subkortikalen  Gehörganglien 
resp.  dem  inneren  Kniehöcker,  aufgehoben. 


•20  S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Dieses  Ganglion  ist  aucli  atrophisch  und  zwar  in  weit 
höherem  Grade  als  der  äussere  Kniehöcker. 

Weiter  nach  unten  finden  wir,  dass  der  laterale  Leiii- 
niscus  kaum  verändert  war. 

Die  Gefühlsbahn. 

Um  die  Bedeutung  der  pathologisch-anatomischen  Er- 
gebnisse dieses  Falles  in  gebührender  Weise  zu  verwerten, 
ist  es  notwendig  die  herrschenden  Ansichten  hinsichtlich 
des  Verlaufs  der  Gcfühlsbahn  kurz  zu  rekapituliren. 

Uber  die  Verbindungen  der  Schleife,  weiche  nunmehr 
allgemein  als  die  Gefühlsbahn  betrachtet  wird,  mit  den  cen- 
tralen Ganglien,  gehen  noch  die  Ansichten  recht  weit  aus- 
einander. Allgemein  wird  zwar  angenommen,  dass  die  Schleife 
mit  den  Rindenelementen  direkt  zusammenhängt.  Diese  durch 
die  Degeneration  in  einem  Falle  (Flechsig-Hösel''--)  und  ex- 
perimentell (v.  IlloiiakcnuJ  nachgewiesene  Thatsaehe  wird 
wohl  von  allen  Gehirnanatomen  (z.  B.  Becliterezv,  Edinger, 
Obersteiger)  angenommen.  Dagegen  difteriren  noch  die  An- 
sichten betrcfts  des  Zusammenhangs,  indem  Flechsig-Höscl 
überwiegend  für  mindestens  der  Fasern,  einen  direkten 
Zusammenhang  der  Gefühlsfasern  annehmen,  \\ährend  Mona- 
koiv  dieses  höchstens  für  einen  sehr  kleinen  Teil  behauptet, 
dagegen  für  die  Hauptmasse  nur  einen  durch  den  Thalamus 
vermittelten  Zusammenhang  annimmt'''*.  Edinger,  Bechterezv 
und  Obersteiner  nehmen  auch  einen  direkten  Zusammenhang 
der  Schleife  mit  der  Rinde  an  und  zwar  Becliterezv  besonders 
für  die  vom  Nucleus  funiculi  gracilis  herkommenden  Fasern. 

Die  übrigen  Fasern  stammen  nach  iMoiiakozv,  Becliterezv 
und  Obcrsteincr  vom  Thalamus;  nach  Becliterezv,  Edinger 
und  Obcrsteincr  auch  vom  Globus  pallidus,  wo  wir  auch  nach 
Flechsig  einen  kleinen  Teil  finden.  Nach  Becliterezv  und 
Edinger  stammen  andere  vom  Luys'schen  Körper  und  aus- 
serdem noch  vom  Vierhügel. 

Wenn  wir  jetzt  diese  Fasern  bei  Seite  lassen  und  fra- 
gen: was  beweist  der  vorliegende  Fall,  so  bemerke  ist  zuerst, 
dass  der  Gehirnmantel  fast  gänzlich  und  der  centrale  Ab- 
schnitt der  Rinde,  die  Centraiwindungen  und  der  Parietal- 
lappen  wohl  vollständig  von  den  Centraiganglien  durch  einen 
breiten  erweichten  Gürtel  getrennt  waren  und  zwar  wahr- 
scheinlich seit  etwa  17  Jahren.  Dem  ungeachtet  war  die 
Atrophie  der  Schleife  nur  eine  partielle  und  unbedeutende. 
In  der  Höhe  des  Trochlearis-Ursprungs  betraf  die  Atrophie, 
soweit  ich  sehen  konnte,  nur  oder  fast  nur  den  dorsomedialen 
Abschnitt  der  Schleife,  während  der  laterale  rechts  wie  links 
fast  eben  so  voll  und  kräftig  war.  Es  ist  zwar  schwierig  zu 
bestimmen  ein  wie  grosser  Teil  der  ganzen  Schleife  atro- 
phisch war,  aber  ich  möchte  ihn  auf  etwa  — V«  der  gan- 
zen Schleife  schätzen.  Weiter  nach  unten  im  Zwischen- 
olivenfelde ist  es  schwierig  die  Atrophie  zu  lokalisiren:  auch 
hier  betrifft  die  Veränderung  nur  einen  kleineren  Teil  des 
Durchschnittes. 

Dass  diese  Atrophie  im  Zusammenhang  mit  der  De- 
struktion  des  Hirnmantels   gesetzt  werden   muss  wird  klar, 

*  Neurol.  Centraiblatt  1890,  S.  417.  Archiv  f.  Psychiatr,  Bd.  24.  452. 
Bd.  25.  I. 

"  Archiv  f.  Psychiatrie  Bd.  25  (Mahaim  S.  373)  1893. 


wenn  wir  uns  erinnern,  dass  alle  anderen  Ursprungs.stellen 
der  Schleife,  Thalamus,  Globus  pallidus  (nicht  das  Putamen) 
der  Luys'sche  Körper  und  die  Vierhügel  unversehrt  oder 
richtiger  nicht  primär  affizirt  waren.  Wenn  man  die  Haupt- 
masse, wenigstens  '^/g  der  Schleife  direkt  aus  den  Central- 
ganghen  (resp.  Parietallappen)  stammen  lässt,  dann  müssten 
auch  "'/e  dieses  grossen  Bündels  in  diesem  Falle  atrophirt  sein. 
Denn  es  lässt  sich  kaum  denken,  dass  nur  etwa  ^/i — ^/g  der 
Schleifcnfasern  durch  Zerstörung  der  Rindenelemente  affizirt 
werden  sollten,  die  anderen  aber  nicht.  Wenn  durch  die  viel- 
jährige Atrophie  der  Rindenelemente  eine  Degeneration  der 
Schleife  entsteht,  dann  muss  sie  wohl  auch  diese  gleichförmig 
treften,  wenn  alle  Fasern  mit  diesen  Elementen  direkt  in  der- 
selben Weise  zusammenhängen.  Dagegen  schliesst  der  Be- 
fund keineswegs  aus,  dass  die  atrophische  Partie  von  der 
Rinde  stamme.  Hinsichtlich  dieser  Atrophie  bemerke  ich, 
dass  die  Fasern  vollständig  resorbirt  waren.  Es  ist  also  rich- 
tiger von  einem  Defekte  als  von  einer  Atrophie  zu  sprechen. 
Die  Fasern  finden  wir  durch  Bindegewebe  ersetzt. 

Der  übrig  gebliebene  Teil,  also  die  Hauptmasse  der  Schleife 
zeigt  dagegen  intensiv  gefärbte  Fasern  und  von  einer  sekun- 
dären Atrophie  kann  man  überhaupt  nicht  sprechen,  indem 
ihre  Fasern  ebenso  intensiv  schwarz  sind  wie  die  der  linken 
Schleifenhälfte. 

Woher  kommen  nun  diese  Fasern?  Von  den  betreffenden 
Centralganglien,  Thalamus,  Globus  pallidus  und  Luys'schen 
Körper  war  nur  der  Thalamus  geschrumpft  und  zwar  voll- 
ständig. Es  lässt  sich  kein  Abschnitt  entdecken,  welcher  nach 
der  vieljährigen  Destruktion  der  Corona  radiata  und  des  Hirn- 
mantels intakt  zurückgeblieben  wäre.  Zwar  findet  sich  eine 
Anzahl  vom  roten  Körper  ausstrahlender  Fasern,  aber  vom 
Grundgewebe  des  Thalamus  und  von  den  Zellen  erscheint 
nichts  mehr  in  normalem  Zustand,  —  alles  ist  im  höch- 
sten Grade  atrophisch  und  geschrumpft.  Unter  solchen  Um- 
ständen bleibt  es  auch  in  hohem  Grade  zweifelhaft,  ob  man 
zur  Annahme  berechtigt  sei,  dass  ein  solches  Ganglion  noch 
eine  UrsiDrungstelle  für  die  übrig  gebliebenen  anscheinend  nor- 
malen Schleifenfasern  sein  könnte.  Die  Antwort  dürfte  nicht 
zweifelhaft  sein. 

Aber  kann  die  Hauptmasse  der  Schleifenfasern,  wie  Mo- 
nakozv  annimmt,  dort  enden?  (S.  Mahaim,  Archiv  f.  Psychiatrie, 
Bd.  XXV,  S.  373.)  In  Anbetracht  der  Annahme,  dass  die 
Schleifenfasern,  ebenso  gut  ab-  als  aufsteigend  degeneriren, 
dürfte  wohl  auch  die  normale  Beschaffenheit  der  Schleifen- 
fasern mit  einer  solchen  Annahme  sich  kaum  vereinigen  lassen. 

Dagegen  lässt  es  sich  nicht  ausschliessen,  dass  die  resor- 
birten  Schleifenfasern  sämmtlich  oder  zum  Teil  einst  mit  dem 
geschrumpften  Thalamus  in  Zusammenhang  gestanden  hätten. 

Aber  ob  eine  direkte  Verbindung  zwischen  der  Schleife 
und  den  Rindeneletnenten  besteht  oder  diese  durch  den  Tha- 
lamus vermittelt  wird,  das  beantwortet  dieser  Fall  nicht. 
Nur  soviel  will  ich  hier  bemerken,  dass  der  Hösel'sche  Fall 
nicht  entscheidend  sein  dürfte,  und  zwar  aus  dem  Grunde, 
den  Maliaini  in  seinem  Aufsatze,  welcher  wohl  auch  die 
Ansicht  JMonakozv's  vertritt,  genauer  angiebt.  Die  fast  voll- 
ständige Resorption  der  Schleifenfasern  im  Hösel'schen  Falle 
lässt  sich  auch  unschwer  aus  den  im  frühen  Kindesalter  vor. 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


21 


handenen  veränderten  Degenerations-  und  Rersorptions- Ver- 
hältnissen erklären,  selbst  wenn  der  Zusammenhang  der  Schlei- 
fenfasern mit  den  Rindenelementen  nur  ein  sekundärer  oder 
durch  den  Thalamus  vermittelter  ist. 

V/oher  kommt  nun  aber  die  Hauptmasse  der  erhaltenen 
Schleifenfasern,  wenn  sie  weder  von  den  Rindenelementen  noch 
vom  Thalamus  stammen  oder  richtiger  dort  enden? 

Von  den  betreffenden  Ganglien  sind  in  diesem  Falle  nur 
der  Globus  pallidus  und  der  Luys'sche  Körper  intakt.  Zwar 
erlauben  meine  Präparate  mir  nicht  mit  Sicherheit  auszu- 
sprechen, dass  alle  Zellen  in  diesen  Ganglien  normal  seien, 
da  ich  keine  Alkohol-präparate  sondern  nur  Chrom-präparate 
habe,  aber  bei  einem  Vergleich  mit  den  Zellen  der  gesunden 
Hälfte  erlauben  sie  mir  zu  konstatiren,  dass  diese  Zellen  noch 
vorhanden  und  nicht  zu  Pigmentmassen  eingeschrumpft  sind, 
und  ausserdem  dass  das  Zellenprotoplasma  ziemlich  gut  er- 
halten ist.  Daneben  lässt  sich  wahrnehmen,  dass  die  Fasern 
ausserordentlich  reichlich  vertreten  sind  und  dass  sie  sich  in- 
tensiv färben  lassen.  Nirgends  sieht  man  eine  Atrophie. 
Kurzweg  können  diese  Gebilde  als  vollständig  oder  annä- 
hernd normal  bezeichnet  werden.  Und  noch  weiter  die  A//sa 
lenticularis  ist  normal,  dick  und  prächtig  gefärbt  und  die  Ver- 
bindungsfasern zwischen  Globus  pallidus  und  Corpus  subthala- 
micum  treten  infolge  der  fast  vollständigen  Atrophie  und 
Resorption  der  Capsula  interna  klarer  als  sonst  hervor,  so 
dass  man  den  Zusammenhang  zwischen  diesen  beiden  Gang- 
lien ausserordentlich  deutlich  sehen  kann. 

Unter  solchen  Umständen  und  da  die  Unversehrtheit  der 
Vierhügelschlinge  das  Erhaltensein  der  Hauptmasse  der  Schleife 
nicht  genügend  erklärt,  so  liegt  die  Annahme  nahe,  dass  die 
erhaltenen  Schleifenfasern  mit  den  zuletzt  genannten  Ganglien, 
dem  Globus  pallidus  und  Corpus  subthalamicum,  zusammen- 
hängen. Und  da  nun  auch  die  Ansa  lenticularis  stark  ent- 
wickelt ist,  so  müssen  die  Fasern  besonders  im  Globus  pal- 
lidus enden  und  dort  die  vorhandenen  schönen  Bündel  und 
Fasernnetze  bilden. 

Alle  diese  Verhältnisse  heben  die  ausserordentliche  Be- 
deutung der  eingeschalteten  centralen  Ganglien  hervor.  Eine 
Fortsetzung  der  Schleifenfasern  kortikalwärts  vom  Globus  pal- 
lidus besteht  im  vorliegenden  Falle  nicht,  wie  auch  Fig.  6. 
Taf.  III  ahnen  lässt  und  die  Fig.  7.  Taf  III  deutlich  zeigt. 
Die  Erweichung  und  Destruktion  dringt  nähmlich  von  der 
Rinde  oder  richtiger  vom  Mark  bis  zu  den  Spitzen  der  Glie- 
der des  Globus  pallidus  und  hat  selbst  diesen,  obschon  nur 
in  geringem  Grade,  ergriffen.  Das  Putamen  ist  dagegen  im 
Ganzen  zerstört,  obschon  der  vorderste  Teil  noch  zum  Teil 
erhalten  ist. 

Noch  eine  Frage  drängt  sich  auf  und  zwar  infolge  der 
auffallenden  Ungleichheit  in  der  Ernährung  des  Globus  pal- 
lidus und  des  Thalamus.  Dieser  ist  vollständig  atrophisch, 
jener  anscheinend  normal.  Es  lässt  sich  wohl  mit  Wahr- 
scheinlichkeit daraus  der  Schluss  ziehen,  dass  diese  Gebilde 
einander  nicht  gleichartig  oder  betreffs  der  Abhängigkeit  von 
der  Rinde  analog  sind.  Auf  die  F~rage  was  den  Unterschied 
bedinge,  ist  zur  Zeit  wohl  noch  keine  Antwort  zu  geben. 

Bemerkenswert  ist  weiter,  dass  die  Zellen  der  rechten 
Substantia  nigra  auffallend  atrophisch  waren  (Taf  III,  8.  9.) 


War  nun  diese  Atrophie  abhängig  von  der  Beschaffenheit  der 
Rinde?  Nicht  anders  kann  diese  Sache  gedeutet  werden,  ob 
aber  diese  Verbindung  eine  direkte  oder  indirekte  sei,  darüber 
giebt  mein  Fall  keine  Auskunft. 

Betreffs  der  VierlüigclscJilingc  bemerke  ich  nur,  dass  sie 
beiderseits,  soviel  ich  sehen  konnte,  normal  und  gleich  dick 
war.    Sie  hatte  also  durch  die  Rindenatrophie  nicht  gelitten. 

Im  Zusammenhang  hiermit,  war  es  auffallend,  dass  locdcr 
die  Meynerf sehe  noch  die  Gudden'sche  Kommissur  an  irgend 
einer  Seite  atrophisch  zvar.  Diese  Thatsache  ist  bei  dem  Vor- 
handensein einer  Atrophie  des  inneren  Kniehöckers  auffallend 
und  ist  nicht  geeignet  die  von  DarkscJieivitz  vertretene  An- 
sicht, dass  diese  dieses  Ganglion  mit  dem  Globus  pallidus  der 
anderen  Seite  verbinde,  zu  stützen. 

Peslemniscus. 

Die  Atrophie  oder  vielmehr  der  Defekt  des  Peslemniscus 
springt  sogleich  in  die  Augen.  Während  der  linke  normal 
ausgebildet  ist,  sind  rechts  nur  vereinzelte  Fasern  zurück- 
geblieben. In  neuster  Zeit  will  man  nachgewiesen  haben, 
dass  dieser  Teil  des  Lemniscus  die  centrale  Bahn  der  moto- 
rischen Hirnnerven  ist.  Wenn  dem  so  ist,  so  stimmt  es  mit 
der  schon  1890  von  mir  nachgewiesenen  Thatsache,  dass 
eine  Degeneration  des  Peslemniscus  eine  absteigende  sei  und 
dass  eine  Degeneration  dieser  Bahn  nicht  von  sensiblen  oder 
sensorischen  Störungen  begleitet  sein  könne.  Diese  Beobacht- 
ung scheint  um  so  sicherer,  als  sie  an  einem  sehr  intelli- 
genten  Arzt  angestellt  wurde  (Teil.  I,  S.  43.).  In  neuster  Zeit 
hat  Moeli  (Arch.  f.  Psychiatrie,  Bd.  24  s.  655)  die  zugäng- 
lichen Thatsachen  über  die  Sensibihtätstörungen  zusammen- 
gestellt und  nachgewiesen,  dass  diese  meine  Beobachtung 
nicht  im  Widerspruch  mit  den  übrigen  bekannten  Thatsa- 
chen stände. 

G  r  o  s  s  h  i  r  n  -  K 1  e  i  n  h  i  r  n  b  a  h  n. 

Obschon  der  rechte  rote  Kern  nur  ein  wenig  kleiner 
ist  als  der  linke,  dürfte  doch  eine  Atrophie  rechterseits,  wenn 
auch  in  geringem  Grade,  bestehen.  Vc  n  den  Fasern  sind  nicht 
wenige  bleich,  obschon  die  übrigen  Fasern  sehr  schön  gefärbt 
sind  und  dazu  kommt,  dass  die  Zellen  des  rechten  Nucleus 
ruber  eckiger  zu  sein  scheinen  als  die  des  linken  Ganglions. 
Die  in  den  Thalamus  eintretenden  Fasern  sind  zwar  zahlreich, 
und  man  kann  sie  bis  in  den  lateralen  Abschnitt  des  ventralen 
Thalamus  verfolgen,  ob  ihre  Zahl  etwas  geringer  ist,  bleibt 
unbestimmt. 

Ausserdem  ist  der  gekreuzte,  also  der  linke  Bindearm 
schmäler  als  der  rechte;  die  erhalten  gebliebenen  Fasern  sind 
gut  gefärbt;  eine  deutliche  Bindegewebevermehrung  ist  wohl 
nicht  mit  Sicherlieit  nachzuweisen. 

Diese  beiden  zusammenhängenden  Thatsachen  müssen 
gewiss  mit  der  Atrophie  des  Hirnmantels  und  der  sekundären 
Schrumpfung  des  Thalamus  in  Zusammenhang  gesetzt  werden. 
Eine  damit  übereinstimmende  Beobachtung  ist  schon  1890 
von  Flechsig  und  Hösel  gemacht  worden,  welche  bei  einer 
50-jähriger  Atrophie  der  hinteren  Centraiwindung  eine  Atro- 
phie des  gleichseitigen  Nucleus  ruber  des  entgegengesetzten 
Bindearms  und   der  entgegengesetzten  Kleinhirnhemisphäre 


J 


22 


S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


fanden.  Die  Übereinstimmung  ist  auffallend,  wenn  auch  in 
meinem  Falle  eine  ausgeprägte  Atrophie  der  entsprechenden 
Kleinhirnhälfte  sich  nicht  nachweisen  Hess. 

Oben  habe  ich  (im  Teil  I,  Fall  9.)  eine  aufsteigende  Atro- 
phie des  Bindearmes  in  einem  Falle  von  Hämorrhagie  des 
Nucleus  dentatus  mitgeteilt.  Diese  zwei  Thatsachen  scheinen 
auf  die  Möglichkeit  zu  deuten,  dass  die  Atroj^hie  des  Binde- 
arms sowohl  auf-  wie  absteigend  sein  kann. 

Eine  Degeneration  der  centralen  Hanbenbalin  (nach  den 
Oliven)  wurde  in  diesem  Falle  nicht  wahrgenommen,  ebenso- 
wenig in  jenem. 

Betreffs  des  Fornixsystenis  ist  es  genügend  auf  die  oben 
gegebene  Darstellung  hinzuweisen.    Daraus  geht  hervor,  dass 


der  Fornix  selbst  im  Zusammenhang  mit  der  ausgedehnten 
Zerstörung  des  rechten  Temporallappens  auf  der  rechten  Seite 
deuthch  atrophisch  ist.  In  Ubereinstimmung  hiermit  ist  auch 
die  Columna  fornicis  rechts  etwas  atrophisch  und  das  rechte 
Corpus  mamillare  etwas  kleiner  als  das  linke.  Die  rechte  Co- 
lumna Vicq  d  Azyri  ist  auch  auffallend  atrophisch,  dagegen 
ist  die  Meynert'sche  Säule  (Columna  tegmenti)  gut  ausgebildet. 

Als  Erklärung  der  vorhandenen  Atrophie  der  Columna 
fornicis  und  der  Columna  Vicq  d'Azyr  finden  wir  einerseits 
die  Zerstörung  des  Temporallappens,  anderseits  die  Veränder- 
ung des  Tuberculum  anterius  Thalami.  Die  Unversehrtheit 
der  Columna  tegmenti  dürfte  darauf  hindeuten,  dass  ihre  Fa- 
sern nicht  in  unmittelbarem  Zusammenhang  mit  denen  der 
p"enannten  zwei  Säulen  stehen. 


Fall  2.  Westerberg. 

Alter  80  Jahre.  Bäcker. 
Taf.  IV.  V. 


Klinische  Diagnose;  Encephalomalacia.    Hemiplegia  sinistpa, 
c.  Hemianopsia  sin.  et  ptosi  dextpa. 


Anamnese. 

Die  Eltern  des  Kranken  waren  gesund.  An  welchen  Krank- 
heiten dieselben  starben  ist  unbekannt.  Eine  nervöse  Belastung 
soll  in  der  Familie  nicht  vorgekommen  sein.  Der  Kranke  war 
verheirathet,  hat  aber  keine  Kinder.  Die  hygienischen  Verhält- 
nisse im  Elternhause  waren  gut. 

Der  Kranke  weiss  mit  Sicherheit,  dass  er  von  den  gewöhn- 
lichen Kinderkrankheiten  wie  Scharlach,  Diphteritis,  Masern,  nicht 
befallen  worden  war. 

Während  seiner  Jugend  soll  der  Kranke  starken  Missbraitch 
mit  Spirituosen  getrieben  haben;  in  der  letzten  Zeit  ist  es  sel- 
tener vorgekommen.  Pat.  wohnte  während  seiner  Jugend  eine 
lange  Reihe  von  Jahren  in  Stockholm  und  bekam  während  dieser 
Zeit  Syphilis,  an  deren  Folgen  er  später  nicht  gelitten  haben  soll. 
Übrigens  ist  er  während  seiner  ganzen  Jugend  vollständig  ge- 
sund gewesen. 

Vor  30  Jahren  bekam  der  Kranke  Wcchselfiebcr,  worüber 
er  bis  heute  zu  klagen  hat.  Vor  7  Jahren  trat  es  so  heftig  auf, 
dass  er  genötigt  war  sich  im  Krankenhause  aufnehmen  zu  lassen. 

Vor  IG  Jahren  bekam  der  Kranke  das  Tertianfieber,  das  be- 
sonders stark  war  und  zwei  Jahre  anhielt.  Nachkrankheiten  traten 
nicht  auf.  Während  der  letzten  Jahre  hat  der  Kranke  recht  oft  an 
Schmerzen  in  den  Gelenken  gelitten,  ohne  dass  eine  Geschwulst 
oder  Fieber  wahrzunehmen  gewesen  wäre.  Der  Kranke  war,  so- 
weit er  zurückdenken  kann  nie  von  einem  schweren  Trauma  am 
Kopfe  oder  an  einer  anderen  Stelle  des  Körpers  betroffen  wor- 
den. Das  Gesicht  und  Gehör  wie  auch  das  Gedächtnis  und 
die  Urteilskraft  sind  während  der  letzten  Jahre,  trotz  der  hohen 
Alters  des  Kranken  besonders  gut  gewesen.  Zur  AVeihnachtszeit  des 
vorigen  Jahres  (i8gi)  bekam  der  Kranke  die  Influenza  im  Verein 
piit  schwerem  Husten  und  Schmerzen  im  Rücken  und  Magen,  so 


Pathol.  Vepände  pungen:  Epwelchung  dep  medialen  Fläche 
des  peehten  Oecipitotempopallappens  und  dep  peehten  Cen- 
tpalganglien. 

dass  er  im  Bette  liegen  musste.  Die  Krankheit  gab  sich  allmählig, 
die  Kräfte  kehrten  zurück  und  der  Kranke  gedachte  Mittwoch, 
den  20.  Januar  1892  aufzustehen.  Er  sass  des  Morgens  auf- 
recht im  Bette  und  hatte  eben  seinen  Kaffe  getrunken,  als  die 
Anwesenden  bemerkten,  wie  er  schwankte,  worauf  er  plötvMch 
nach  rechts  gegen  die  Wand  fiel.  Gleich  darauf  wurden  die 
Unterarme  an  die  Brust  gezogen  und  die  Hände  drehten  sich  in 
der  Supinationslage  convulsivisch  nach  auswärts.  Übrigens  konn- 
ten Zuckungen  weder  im  Gesicht  noch  in  den  Gliedern  bemerkt 
werden.  Nach  einer  kleinen  Weile  blieb  der  Kranke  mit  geschlos- 
senen Augen  ganz  unbeweglich  liegen.  Er  schien  nicht  zu  verste- 
hen, wenn  man  zu  ihm  sprach,  wenigstens  reagirte  er  in  keinerlei 
Weise  darauf  Der  Kranke  lag  in  dieser  Weise  nur  kurze  Zeit, 
denn  nach  einer  Weile  stellte  sich  heftiges  Erbrechen  ein,  das 
dann  den  ganzen  Tag  anhielt.  Der  Kranke  7ciar  nun  offenbar 
bei  Besinnung,  er  antwortete  aber  nicht,  wenn  er  angeredet 
wurde,  und  die  Anwesenden  bemerkten,  dass  der  linke  Arm  und 
das  linke  Bein  vollständig  gelähmt  waren.  Das  Gesicht  war 
nicht  verzogen. 

Am  Abend  hörte  das  Erbrechen  auf  auch  wiederholte  es 
sich  später  nicht  mehr. 

Am  folgenden  Tage,  dem  21.  Januar,  war  der  Kranke  bei 
voller  Besinnung.  Denn  wenn  man  ihn  anredete,  schlug  er  das 
linke  Augenlid  auf  und  fixirte  den  Sprechenden;  das  rechte 
Augenlid  war  gesenkt  und  konnte  nicht  gehoben  werden.  Seine 
Angehörigen  sind  der  Ansicht,  dass  er  alles  verstand,  was  zu 
ihm  gesprochen  wurde,  dass  er  aber  nicht  antworten  konnte. 
Erst  nach  einigen  Tagen  fing  er  an  ein  wenig  zu  sprechen,  aber 
die  Sprache  war  flüsternd  und  verworren;  man  konnte  fast  gar 
nicht  verstehen  was  er  sagte.  Auch  fing  er  jetzt  an  den  linken 
Arm  und  das  linke  Bein  etwas  zu  bewegen;  das  rechte  Augenlid 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


23 


war  aber  immer  noch  gesenkt.  Seine  Angehörigen  gaben  des- 
halb darauf  nicht  Acht,  ob  die  Augen  auf  eine  gewisse  Stelle 
gerichtet  zu  sein  pflegten;  meistens  waren  beide  Augen  ge- 
schlossen, als  er  aber  das  linke  Auge  aufschlug,  konnte  er  ohne 
Schwierigkeit  das  Auge  nach  jeder  beliebigen  Stelle  drehen. 
Einige  Tage  später  konnte  der  Kranke  in  der  Weise  sprechen, 
dass  man  ihn  verstehen  konnte.  Er  war  im  Stande  einige  Wör- 
ter auszusprechen,  aber  undeutlich  und  schwach.  Er  klagte 
Uber  gelinde  Kopfschmerzen,  Trockenheit  im  Rachen  und  saures 
Aufstossen.  Wurde  mit  Eisbeuteln  auf  dem  Kopfe  behandelt; 
diese  aber  verschob  er,  so  dass  sie  hinten  im  Genick  zu  liegen 
kamen. 

Der  Kranke  pflegte  während  der  Zeit  wo  er  zu  Hause  war 
den  Kopf  bald  nach  der  einen  bald  nach  der  anderen  Seite  zu 
werfen;  auf  die  Frage  warum  er  dies  thue  antwortete  er  mit- 
unter, er  habe  über  dem  unteren  Theil  der  Stirn  ein  rotes  Band, 
dass  er  los  werden  wollte;  manchmal  antwortete  er,  die  Beweg- 
ungen des  Kopfes  seien  ganz  unwillkürlich. 

Vor  ungefähr  einer  WocJie  konnte  der  Kranke  das  reclite 
Augenlid  aufschlagen  und  die  active  Beweglichkeit  des  Armes 
war  nun  so  gross,  dass  er  die  Hand  zum  Kinn  fuhren  konnte 
auch  das  Bein  konnte  er  recht  gut  bewegen,  so  dass  er  z.  B.  im 
Stande  war  das  Knie  bis  zu  einem  rechten  Winkel  zu  beugen. 

Der  Kranke  hat  nie  Uber  Schmerzen  in  der  gelähmten  Seite 
geklagt.  Die  Beine  und  die  Füsse  waren  kalt  und  zwar  mei- 
stens links. 

Urin  und  Fseces  liess  er  oft  unter  sich  gehen.  Um  eine 
angemessene  Pflege  zu  erhalten,  iiess  sich  der  Kranke  am  Diens- 
tag den  i6.  Februar  in  das  hiesige  akademische  Krankenhaus 
aufnehmen. 

Status  praesens  d.  ^^/2  1892. 

Der  Kranke  ist  bettlägerig.  Er  i.t  von  ziemlich  schwachem 
Körperbau.  Fettpolster  und  Muskulatur  sind  bedeutend  reducirt; 
die  Kräfte  auffallend  herabgesetzt. 

Die  gewöhnliche  Hautfarbe  blass,  an  den  Wangen  cyano- 
tisch;  die  Haut  trocken  und  die  Elasticität  vermindert.  Sichtbare 
Schleimhäute  ziemlich  rot;  die  Zunge  ist  nicht  belegt,  aber  troc- 
ken und  rot.  Die  Pharynx-Schleimhaut  ist  lebhaft  rotgefärbt 
und  trocken. 

Der  Urin  trübe,  von  dunkelbrauner  Farbe,  setzt  nach  einer 
Weile  ein  weisses  Sediment  ab,  welches  sich  bei  mikroskopischer 
Untersuchung  fast  ausschliesslich  aus  Eiterkörpern  bestehend  er- 
wies. Sp.  Gew.  1,021;  nach  Filtrirung  enthält  der  Urin  weder 
Eiweiss  noch  Zucker. 

Der  Puls  macht  80  Schläge  in  der  Minute,  ist  voll  und 
ziemlich  gleichmässig.    Die  peripheren  Gefässe  sind  sklerosirt. 

Subjektive  Symptome. 

Der  Kranke  klagt  über  gelinde  Kopfschmerzen,  die  nicht  an 
gewisse  Stellen  localisirt  sind.  Gleichfalls  klagt  er  über  eine  an- 
haltende Trockenheit  des  Mundes  und  des  Rachens  und  Uber 
einen  beständigen  Schmerz  daselbst,  besonders  beim  Schlucken. 
Die  Esslust  ist  gering  und  beim  Schlucken  stellt  sich  oft  Husten- 
reiz ein.    Der  Schlaf  ist  recht  gut. 


Der  Kranke  leidet  ausserdem  an  einem  besonders  quälenden 
Husten.    Kein  Erbrechen;  saures  Aufstossen  kommt  öfters  vor. 
Urin  und  Fteces  gehen  unfreiwillig  ab. 

Objektive  Untersuchung. 

Die  Psyche  scheint  vollständig  klar  zu  sein.  Der  Kranke 
ist  gewiss  äusserst  schwach  und  heruntergekommen;  wenn  man 
ihn  aber  veranlassen  kann  zu  antworten,  findet  man  keine  eigent- 
liche Aphasie,  nur  ein  gewisses  Unvermögen  zu  artikuliren.  Keine 
Worttaubheit,  keine  Wortblindheit.  Das  Denkvermögen  ganz  gut, 
das   Gedächtnis   wenig  geschwächt.     Keinerlei  Hallucinationen. 

Keine  Agraphie.  Der  Kranke  hat  in  gesunden  Tagen  laut 
eigener  Aussage  nur  unbedeutend  schreiben  können,  und  bei 
Aufforderung  seinen  Vornamen  »Olof»  zu  schreiben,  schrieb  er 
eine  Figur  ähnlich  dieser:  Cef,  dann  fiel  ihm  die  Feder  aus  der 
Hand.  Wahrscheinlich  beruhte  die  fehlerhafte  Schreibart  auf  seiner 
Schwäche  und  auf  seinem  mangelhaften  Sehvermögen.  Bei  Auf- 
forderung Wörter  zu  lesen,  die  auf  einer  schwarzen  Tafel  mit 
ziemlich  grossen  Buchstaben  geschrieben  waren,  las  er  die  Wörter: 
»Stol»  und  Olof  richtig;  gleich  darauf  las  er  »M»  für  »Olof». 

Die  Kranialnerven. 

L  Olfactorius.  Der  Geruch  ist  auf  beiden  Seiten  recht 
gut  erhalten;  der  Kranke  konnte  mehrere  verschiedene  Unter- 
suchungsstoffe richtig  benennen,  und  zwar  beiderseits  gleich  gut. 

II.  Opticus.  Die  Sehkraft  der  beiden  Augen  ist  bedeutend 
herabgesetzt.  Vor  der  Erkrankung  waren  sie  trotz  des  hohen 
Alters  so  gut  gewesen,  dass  Pat.  im  Stande  war  die  Zeitung 
ohne  Brille  zu  lesen.  Bei  der  Untersuchung  konnte  der  Krankt 
in  der  Entfernung  von  ein  paar  Metern  die  grössten  Buchstaben 
der  Snellen'schen  Tafeln  nur  mit  grösster  Schwierigkeit  lesen,  aber 
in  der  Entfernung  von  Meter  war  er  im  Stande  ein  Wort 
zu  lesen,  das  mit  5  cm.  hohen  Buchstaben  geschrieben  war. 

Keine  .Farbenblindheit;  bei  kurzem  Abstand  sieht  ihm  rot 
oder  grün  wie  grau  aus;  in  der  Entfernung  von  ^/i  Meter  kann  er 
aber,  obschon  mit  Schwierigkeit,  die  Farben  der  Holmgren'schen 
Wollbündel  richtig  benennen.  Die  Sehkraft  des  linken  Auges  ist 
geringer  wie  die  des  rechten;  bei  einer  Untersuchung  konnte  der 
Kranke  mit  dem  rechten  Auge  richtig  angeben,  wie  viele  Finger 
vor  ihm  ausgestreckt  gehalten  wurden;  mit  dem  linken  Auge  sah 
er  aber  nie  mehr  als  einen  Finger;  sogar  wenn  die  ganze  Hand 
vor  ihm  ausgestreckt  wurde. 

Bei  einer  am  zweiten  Tage  seines  Aufenthaltes  im  Kranken- 
hause vorgenommenen  Untersuchung  wurde  wahrscheinlich  eine 
linkseitige  Hemianopsie  gefunden. 

Eine  hemianopische  Reaktion  war  nicht  vorhanden ;  beide 
Pupillen  rcagircn  gegen  Licht  in  gewöhnlicher  AVeise.  Die  rechte 
Pupille  ist  etwas  kleiner  als  die  linke. 

Die  Ophihalmoscopische  Untersuchung  hat  nichts  besonderes 
erwiesen. 

III.  IV.  VI.  Die  Augenbewegungen  waren  wenigstens  wäh- 
rend des  Aufenthaltes  im  Krankenhause  normal.  Übrigens  konnte 
man  den  Kranken  nur  selten  veranlassen  die  Augen  zu  bewegen. 
Bei  der  Aufnahme  im  Krankenhause  schien  eine  gelinde  y>dhna- 
tion  conjuguüt>  nach  rechts  vorhanden  zu  sein,  aber  später  war 
diese  nicht  mehr  zu  constatiicn.    Kein  Strabismus. 


24  S.  E.  MENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Das  rechte  Augenlid  ist  halb  gesenkt;  der  Kranke  kann  das 
Auge  bequem  schliessen,  ist  aber  nicht  im  Stande  dasselbe  mehr 
als  zur  Hälfte  zu  offnen. 

V.  Trigcmiiiiis.  Das  Trigeminusgeblet  zeigt  weder  betreffs 
der  Sensibilität,  noch  betreffs  der  Motilität  Veränderungen.  Ein 
stärker  Druck  ruft  Schmerz  hervor,  und  zwar  beiderseits  in 
gleichem  Masse. 

VII.  Facialis.  Das  Gesicht  ist  nicht  verzogen.  Den  Kran- 
ken hat  man  ein  paar  Mal,  obgleich  mit  grösster  Schwierigkeit, 
dahin  bringen  können,  einige  Grimassen  zu  machen  und  dann 
waren  die  Bewegungen  auf  beiden  Seiten  gleich.  Bei  festem  Zu- 
sammenkneifen der  Augen  schliesst  das  linke  Auge  weniger  fest. 
Die  Uvula  weicht  etwas  nach  rechts  ab.  Die  Gaumenbogen 
stehen  gleich  hoch.    Keine  Schwierigkeit  beim  Schlucken. 

VIII.  Acustictis.  Das  Gehörverniögen  ist  auf  beiden  Ohren 
ungefähr  gleich  gut;  der  Kranke  kann,  wie  er  angiebt,  mit  dem 
linken  Ohr  das  Ticken  einer  Taschenuhr  auf  einem  Abstand  von 
35  cm.  wahrnehmen  und  mit  dem  rechten  Ohr  auf  einem  Ab- 
stand von  30  cm. 

IX.  Der  Gesch/nacksinn  ist  ebenfalls  ^ör;;s^///.  Der  Kranke 
kann  mit  beiden  Seiten  der  Zunge  salziges,  süsses,  saures,  und 
bitteres  u.  s.  w.  unterscheiden. 

XI.  Eine  laryngoscopische  Untersuchung  ist  auf  Grund  des 
entzündeten  Zustandes  der  Pharynx-Schleimhaut  nicht  vorgenom- 
men worden. 

XII.  Jlypoglossiis.  Die  Zunge  die  ziemlich  weit  aus  dem 
Munde  herausgestreckt  werden  kann,  weicht  dabei  jücht  merkbar 
nach  irgend  einer  Seite  ab.  Sämmtliche  Bewegungen  der  Zunge 
sind  langsam  und  gehen,  wie  es  scheint  mit  einer  gewissen 
Schwierigkeit  vor  sich. 

Sensibilität. 

Die  Sensibilität  ist  an  den  Extremitäten  der  linken  Seite  und 
an  der  linken  Seite  des  Rumpfes  Uberhaupt  bedeutend  herabgesetzt. 

a)  Der  Drucksinn:  An  obengenannten  Stellen  verspürt  der 
Kranke  eine  leichtere  Berührung  nicht,  aber  wenn  man  kräftiger 
drückt,  fühlt  er  dies  als  Druck.  Erst  bei  bedeutender  Steigerung 
des  Druckes  verspürt  er,  obgleich  mit  Schwierigkeit,  einen  Unter- 
schied und  zwar  am  deutlichsten  am  Beine. 

b)  Der  Schvierzsinn  ist  fast  ganz  und  gar  gesch^vunden. 
Am  linken  Arme  kann  man  eine  kleine  Falte  der  Haut  hoch 
heben  und  dieselbe  mit  einer  Stecknadel  durchstechen,  ohne  dass 
der  Kranke  einen  Schmerz  empfindet;  er  verspürt  jedoch  das 
Berühren  ganz  gut.  Am  Beine  verspürt  er  einen  ziemlich  hefti- 
gen Stich  mit  einer  Stecknadel  als  Schmerz. 

Bei  einem  Versuch  mit  dem  faradischen  Apparat  zeigte  es 
sich,  dass  der  Strom  nicht  hinreichend  stark  war  um  Schmerz 
hervorrufen  zu  können,  und  zwar  sowohl  am  Arme  wie  am  Beine. 
Ebenso  verhielt  es  sich  mit  der  linken  Seite  der  Brust. 

c)  Temperatursinn.  Bei  den  Untersuchungen  der  linken 
Seite  erschien  dem  Kranken  alles  kalt.  Zunächst  wurde  ein  Stück 
Metall  von  Zimmer-Temperatur  auf  die  Haut  gelegt;  dieses  schien 
ihm  kalt.  Dann  wurde  an  einer  Lampenflamme  eine  Messerklinge 
bis  zu  dem  Grade  gewärmt,  dass  ich  dieselbe  nicht  mehr  be- 
rühren konnte.  Sowohl  wenn  die  Messerklinge  am  heissesten 
war  als  später  während  des  Abkühlens  schien  sie  ihm  kalt. 

An  der  rechten  Seite  nichts  Bemerkenswertes. 


d)  Der  Ortsinn.  Erst  bei  kräftigerem  Druck  fühlt  der  Kranke 
eine  Berührung,  aber  est  ist  nicht  gelungen  den  Kranken  dahin 
zu  bringen  mit  der  gesunden  Hand  die  Stelle  anzugeben. 

e)  Der  Muskelsinn.  Nicht  einmal  die  gesunde  Seite  kann 
objektiv  untersucht  werden,  weil  man  Fat.  nicht  dazu  bringen 
kann  activ  in  dem  Grade  die  Glieder  zu  bewegen  als  für  Unter- 
suchung erforderlich  ist.  Wenn  man  ihn  fragt,  in  welcher  Stel- 
lung die  Glieder  bei  verschiedenen  Gelegenheiten  sich  befinden 
kann  er  es  mit  verbundenen  Augen  richtig  angeben. 

Motilität 

ist  an  den  Extremitäten  der  linken  Seite  bedeutend  herabgesetzt; 
die  einzigen  Bewegungen,  die  activ  ausgeführt  werden  können,  sind 
das  Beugen  der  Kniee  bis  zu  ungefähr  60°  und  das  Strecken  sowie 
das  Beugen  des  Hüftgelenkes.  Ferner  kann  der  Kranke  den  Unter- 
arm bis  zum  Kinn  hinaufbringen,  den  Arm  wieder  strecken  und 
kleinere  Bewegungen  des  Handgelenkes  und  der  Finger  vornehmen. 

Die  Motilität  ist  also  bedeutend  weniger  herabgesetzt  als 
die  Sensibilität  der  kranken  Seite. 

Die  Reflexe  der  linken  Seite  sind  kaum  bemerkbar;  auch 
an  der  rechten  Seite  sind  sie  schwächer  als  gewöhnlich. 

Vegetative  Organe. 

Die  Brust  etwas  eingefallen  mit  eingesunkenen  Interstitien. 
Beide  Brusthälften  bewegen  sich  symmetrisch. 

Die  Lungen.  Die  Percussion  ergiebt  nichts  besonderes.  Die 
Auscultation:  Die  Respiration  der  beiden  Lungen  erscheint  et- 
was rauh  mit  einer  Menge  kleinblasiger  feuchtet  Rasselgeräusche. 
Kein  Sputum.    Keine  Dyspnoe. 

Das  Herz.  Inspektion  und  Palpation  zeigen  nichts  Be- 
merkenswertes; den  Herzstoss  fühlt  man  deutUch  im  5:ten  In- 
terstitium,  gerade  unterhalb  der  Mammillre.  Keine  Vergrösserung 
des  Herzens. 

Bei  der  Auscultation  der  Spitze  und  der  Aorta  erscheint 
der  i:ste  Ton  etwas  rauh.  Bestimmte  Geräusche  lassen  sich 
aber  nicht  wahrnehmen.  Die  peripherischen  Gefässe  sklerosirt. 
Die  Pulskurven  zeigen  einen  grossen  und  glelchmässigen  Puls. 

Der  Bauch.  Die  Untersuchung  der  Bauchorgane  hat  nichts 
Besonderes  ergeben. 

T  a  g  e  s  a  u  f  z  e  i  c  h  n  u  n  g  e  n. 

D.  ''/2.  Die  Herzthätigkeit  etwas  unregelmässig.  Der 
Kranke  bekommt  Digitalis. 

D.  '■'/-'.  Der  Puls  ziemlich  regelmässig.  Am  Abend  fühlt 
sich  der  Kranke  recht  schlecht.  Die  Temperatur  40,5  (in  der 
Achselhöhle). 

D.  ^°/2.  Die  Temperatur  hat  heute  37"  nicht  überschritten. 
Der  Kranke  fühlt  sich  verhältnissmässig  wohl. 

D.  ^^/2.  Die  Temperatur  am  Abend  40,6.  Der  Zustand 
ist  schlecht;  Pat.  ist  schwach  und  schlaff,  aber  antwortet  deut- 
licli,  wenn  man  ihn  anredet. 

D.  Gestern  war  der  Kranke  abwechselnd  besser  und 

schlechter  und  die  Temperatur  ist  zuweilen  bis  auf  39°  C.  (in 
der  Achselhöhle)  gestiegen,  aber  meistenteils  war  Pat.  afebril. 
Heute  Vormittag  ist  der  Zustand  sehr  schlecht.  Pat.  antwortet 
nicht  mehr.  ^Venn  man  ihm  zu  trinken  anbietet  und  ihm  Wasser 
in   den  Mund  giesst,  schluckt  er  es  nicht.    Grosse  Trockenheit 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


25 


und  Verschleimtheit  des  Mundes  und  des  Rachens.  Der  Kranke 
schwitzt  ganz  bedeutend.  Höhe  der  Temperatur  um  i  Uhr  N. 
M.  40,2*'  C.  Das  Athmen  schnell  und  keuchend.  56  Athem- 
züge  in  der  Minute.  Der  Puls  120  Schläge  in  der  Minute.  In 
der  rechten  Lunge  hört  man  tracheales  Rasseln,  in  der  linken 
weniger.  Eine  unbedeutende  Dämpfung  an  genannten  Stellen. 
Die  Temperatur  am  Abend  38". 

D.  ^^'ji.  Dieser  Zustand  hielt  die  ganze  Nacht  an.  Am 
Morgen  ist  das  Athmen  schwächer;  der  Puls  wird  schwächer. 
Der  Kranke  verschied  sanft  um  9,45  Uhr  V.  M. 

Sektion. 

Schädel:  nichts  Besonderes. 
Dura:  nichts  Besonderes. 

Die  Pia  lässt  sich  überall  von  der  Hirnrinde  leicht  ablösen 
mit  Ausnahme  an  der  malacischen  Partie,  wo  sie  der  Rinde  fest 
angelötet  ist. 

Gefässe  fleckenweise  atheromatös.  In  der  Arteria  posterior 
in  der  Nähe  des  rechten  Kniehöckers  ein  fester  Thrombus. 

Rechte  Hemisphäre. 

Laterale  Fläche.  Gyri  im  Frontaljappen  gut  entwickelt,  in 
seiner  vorderen  Hälfte  etwas  klein,  nach  hinten  stark  entwickelt, 
Centraiwindungen  kräftig  wie  auch  die  Temporalwindungen.  Die 
Parietalwindungen  der  P'  und  P^  ebenfalls  kräftig,  die  des  P^'  etwas 
kleiner.  Nirgends  in  der  Rinde  Erweichungen  weder  an  den  Kon- 
vexitäten der  Gyri  noch  in  der  Tiefe. 

Occipitallappen.  (Taf.  IV.  Fig.  i.)  O.  ist  im  Ganzen  etwas 
klein.  Die  Konvexität  zeigt  keine  begrenzte  Schrumpfung  oder 
Malacie. 

Mediale  Fläche.  Dagegen  bemerkt  man  gleich  eine  ausge- 
dehnte Malacie  an  der  medialen  Seite.  Diese  Malacie  nimmt  den 
ganzen  Cuneus  mit  Ausnahme  des  Gyrus  terminalis  ein,  weiter 
den  ganzen  Lobulus  lingualis  und  erstreckt  sich  nach  vorn  über 
den  hinteren  Teil  des  Gyrus  Hippocampi  bis  zum  Uncus  hin. 
Hier  dringt  sie  mit  einem  Streifen  auf  T*  über,  sonst  wird  sie 
nach  aussen  vom  Sulcus  coUateralis  begrenzt.  Der  Gyrus  occi- 
pito-temporalis  ist  an  der  Oberfläche  nicht  erkrankt,  mit  Ausnahme 
in  seiner  hinteren  Spitze. 

Die  genaueren  Grenzen  der  Malacie  treten  am  besten  in 
der  Abbildung  (Taf.  IV.  Fig.  i.)  hervor. 

Der  Cuneus  ist  nicht  nur  tnalacisch,  sondern  auch  ge- 
schrumpft, wie  auch  die  Margo  falcata,  mit  Ausnahme  der  Stelle 
unmittelbar  an  der  Fissura  occipito-parietalis  interna  und  dem 
Gyrus  terminalis. 

Der  Lobulus  lingualis  ist  ebenfalls  erweicht. 

Der  Gyrus  Hippocampi  mit  Ausnahme  des  Uncus  ist  total 
erweicht. 

Der  Frcecuneus  sowie  die  ganze  übrige  mediale  Fläche 
normal. 

Frontalschnitte. 

Occipitallappeti.  Dieser  wurde  in  i-c.m.  dicke  frontale  Schei- 
ben zerschnitten. 

Die  Spitze  des  0-lappens  (Taf.  IV.  Fig.  3.)  ist  vollständig 
normal,  so  auch  der  ganze  Gyrus  terminalis.    Aber  unmittelbar 

5.  E.  H e  n  s  c  h  e  H.    Pathologie  des  Gehirns, 


nach  vorne  von  diesem  Gyrus  beginnt  die  Malacie,  also  etwa  6 
m.m.  vor  der  Spitze.    Die  laterale  Fläche  ist  normal. 

Schnitt  I  cm.  vor  der  Spitze.  (Taf  IV.  Fig.  4.)  Die  ganze 
laterale  sowie  dorso-  und  ventrolaterale  Rinde  ist  normal,  die 
mediale  ist  aber  in  der  Ausstreckung  der  Abbildung  ganz  lose 
und  körnig-gelb.  An  der  Fissura  calcarina  dringt  die  Malacie 
nur  bis  zu  ihrer  halben  Tiefe  ein.  Die  Malacie  misst  5 — 8  m.m. 
in  der  Tiefe.    Das  ganze  innere  Mark  ist  intakt. 

Schnitt  2  cm.  (Taf.  IV.  Fig.  5.)  Die  Erweichung  nimmt 
nur  die  mediale  Seite  in  einer  Breite  von  höchstens  15  m.m.  ein. 
Sie  hat  die  ganze  Fissura  calcarina  zerstört,  lässt  aber  die  Seh- 
strahlung zum  grössten  Teil  intakt.  Die  ganze  dorsale  und  la- 
terale sowie  die  äussere  Hälfte  des  ventralen  Umfangs  ist  intakt. 
In  der  malacischen  Masse  finden  sich  ganz  frische  Blutungen. 

Schnitt  j  cm.  (Taf.  IV.  Fig.  6.)  Die  Erweichung  hat  die 
ganze  mediale  Fläche  des  Cuneus,  die  ganze  Calcarinarinde  und 
die  Oberfläche  des  Lobulus  lingualis  zerstört.  Sie  dringt  bis  zur 
Wand  des  Plinterhorns  vor. 

Die  Sehstrahlung  ist  makroskopisch  zum  grössten  Teil  er- 
halten geblieben,  nur  ihre  dorsale  und  venti-ale  nach  der  F.  cal- 
carina auslaufenden  Spitzen  sind  malacisch.  Der  dorsale,  laterale 
und  ventrale  Umfang  ist  intakt. 

In  der  erweichten  Partie  sind  auch  Blutungen  vorhanden. 

Schnitt  4  cm.  (Taf  IV.  Fig.  7.)  Die  Erweichung  ist  hier 
bedeutend  kleiner  und  beschränkt  sich  auf  den  Boden  und  die 
untere  Lippe  der  Fissura  calcarina  und  den  Lobulus  lingualis, 
sie  dringt  bis  zur  Wand  des  Hinterhorns  vor  und  hat  hier  die 
untere  Spitze  der  Sehstrahlung  erweicht,  lässt  aber  sonst  den 
ganzen  übrigen  Teil  der  Sehstrahlung  intakt  sowie  auch  den 
übrigen  Umfang  der  Rinde  des  0-lappens. 

Schnitt  5  cm.  (Taf  IV.  Fig.  8.)  Der  Schnitt  fällt  durch 
die  vorderste  Spitze  des  Cuneus.  Dieser  ist  im  Ganzen  unversehrt, 
dagegen  ist  der  ganze  Lobulus  lingualis  malacisch;  die  Malacie 
dringt  nach  vorne  und  oben  auch  in  das  Corpus  callosum  ein. 

Schnitt  6  cm.  (Taf.  IV.  Fig.  9.)  Hier  ist  das  ganze  Mark 
des  Gyrus  Hippocampi  erweicht  und  bildet  eine  unregelmässige 
Höhle,  welche  mit  der  durch  die  Malacie  des  Splenium  Corporis 
callosi  gebildeten  Höhle  zusammenhängt.  Der  Umfang  dieser 
Cyste  ist  an  der  Tafel  zu  sehen. 

Die  Sehstrahlung  wird  in  ihrem  ventromedialen  Abschnitt 
von  der  Malacie  berührt. 

Schnitt  7  cm.  Der  Gyrus  Hippocampi  ist  total  erweicht, 
ebenso  der  untere  Umfang  des  Corpus  callosum  und  zwar  bis 
zur  Wand  des  Unterhorns. 

Die  Sehstrahlung  ist  sonst  intakt.  Weiter  nach  vorn  nimmt 
die  Erweichung  nur  den  Gyrus  Hippocampi  bis  zum  Uncus  ein 
und  erstreckt  sich  wie  die  Taf  IV.  Fig.  i.  näher  zeigt  mit  einem 
Ausläufer  nach  aussen  an  die  Oberfläche.  Sie  berührt  den  Gyrus 
occipito-temporalis  (T'^)  ''n  seiner  vordersten  Spitze. 

Die  Innenfläche  des  Unterhorns  ist  intakt,  ebenso  die  Fimbria, 
aber  das  unmittelbar  anliegende  äussere  Mark  ist  total  erweicht. 

Centraiganglien.    (Taf  IV.  Fig.  i.  2.) 
Der  Ä^ucleus  caudatus  ist  beiderseits  normal.  Veränder- 
ungen sind  weder  an  der  Oberfläche  noch  im  Inneren  bemerkbar. 
Die  Grösse  ist  beiderseits  gleich. 

4 


26  S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Thalamus  opticus. 

Der  linke  Thalainiis  scheint  in  allen  Hinsichten  normal  zu 
sein,  sowohl  in  Form  und  Grösse  wie  Konsistenz. 

Der  rechte  Thalamus  scheint  zwar  im  Ganzen  seine  Form 
erhalten  zu  haben.  Beim  Vergleich  mit  dem  linken  werden  jedoch 
folgende  Veränderungen  wahrgenommen :  Die  Grösse  der  Thalami : 
Vom  Foramen  Monroe  bis  Ende  des  Pulvinar:  links  35  m.m., 
rechts  32  m.m.  Die  Höhe  Uber  dem  Nucleus  anterior  'l'halami 
links  21  m.m.,  rechts  19  m.m.  Auch  scheint  der  linke  etwas 
schmäler.  Der  rechte  Thalamus  ist  also  in  aHen  Dimensionen 
kleiner  als  der  linke.  Auch  tritt  bei  der  makroskopischen  Unter- 
suchung gleich  hervor,  dass  der  linke  Thalamus  auffallend  wul- 
stiger und  voller  als  der  rechte  ist.  Jedoch  tritt  der  Unterschied 
in  dem  vorderen  Abschnitte  nicht  so  viel  wie  im  hinteren,  im 
Pulvinar,  hervor. 

Der  vordere  Teil,  der  eigentliche  Thalamus,  zeigt  rechts 
keine  deutliche  Formveränderung  und  keine  begrenzte  Malacie. 

Das  Pulvinar  dagegen,  welches  links  sehr  wulstig  und  stark 
entwickelt  ist  (10  m.m.  breit),  ist  rechts  bedeutend  zusammen- 
gefallen und  bildet  von  Seite  zur  Seite  einen  scharfen  und  schmalen 
(5  m.m.  breiten)  Wulst.  Die  Oberfläche  ist  hier  der  Länge  des  in- 
neren Kniehöckers  etwa  entsprechend  eingebuchtet  ohne  jedoch 
malacisch  verändert  zu  sein.  Beim  Betasten  ist  sie  jedoch  weich 
anzufühlen  und  zwar  deutlich  dadurch  dass  die  unterliegenden 
Teile  erweicht  sind.  Makroskopisch  scheint  sich  diese  Erwei- 
chung bis  zu  den  Grenzen  der  inneren  und  äusseren  Kniehöcker, 
welche  jedoch  hart  sind,  zu  erstrecken. 

Beim  Übergang  des  Pulvinars  in  den  Thalamus  ist  das  Pul- 
vinar fest  und  wie  es  scheint  normal.  Also  ist  nur  die  vertikale 
Fläche  des  Pulvinars  erweicht. 

Der  innere  Kniehöcker  ist  beiderseits  an  Form,  Grösse  und 
Konsistenz  makroskopisch  gleich  gross  und  deutÜch. 

Der  äussere  Kniehöcker  tritt  rechts  infolge  der  Schrumpfung 
des  Pulvinars  deutlicher  hervor;  sonst  keinerseits  irgend  eine 
makroskopische  Veränderung. 

Corpora  4-gemina.  Colliculi  anteriores  sind  beiderseits 
von  etwa  gleicher  Form  und  Grösse,  vielleicht  rechts  ein  wenig 
kleiner. 

Die  Colliculi  posteriores  sind  beiderseits  gleich,  ohne  jjatho- 
logische  Veränderungen. 

Tractus  optici,  Chiasma,  Nervi  optici  zeigen  keinen  deut- 
lichen Unterschied  in  Form  oder  Grösse. 

Die  Corpora  mamillaria  sind  beiderseits  gleich. 

Die  linke  Hemisphäre 
ist  völlig  normal.    Weder  an  der  Oberfläche  noch  im  Inneren 
sind  pathologische  Veränderungen  zu  entdecken. 

Die  Pia  ist  etwas  dick,  lässt  sich  jedoch  überall  ohne 
Schwierigkeit  ablösen. 

Die  Gyri  sind  überall  normal  entwickelt. 

Die  Hemisphäre  wurde  in  1  —  3  cm.  dicke  Stückchen  zer- 
schnitten, wobei  jedoch  an  den  resp.  Schnittflächen  keine  Ver- 
änderungen entdeckt  werden  konnten. 

Das  Kleinhirn  hat  normale  Grösse,  Konfiguration  und  Kon- 
sistenz. Weder  an  seiner  Oberfläche  noch  im  Inneren  irgend  eine 
makroskopische  Veränderung. 


Pons  von  gewöhnlicher  Form  und  Konsistenz;  an  der  rechten 
ventrolateralen  Seite  springen  einige  grössere  Bündelchen  stärker 
als  die  zunächstliegenden  hervor,  wodurch  die  Fläche  etwas  ge- 
zogen hervortritt.  Beim  Durchschnitt  tritt  jedoch  keine  patho- 
logische Veränderung  im   darunterliegenden  Gewebe  zu  Tage. 

Die  Medulla  oblongata  ist  an  Form,  Grösse  und  Konsistenz 
ganz  normal. 

Mikroskopisches. 

Die  rechte  Hemisphäre. 
Centraiganglien  (Taf.  V.). 

Diese  wurden  in  Horizontalschnitte  geschnitten.  Färbung 
nach  Weigert,  Rosin,  und  mit  Carmin,  Rubin  etc.  Da  die  Central- 
ganglien  mehrere  ganz  unregelmässige  und  zum  Teil  zusammen- 
fliessende  kleine  selbst  mikroskopische  Herde  enthalten,  so  lässt 
sich  eine  Beschreibung  derselben  nur  schwierig  machen.  Es 
scheint  demgemäss  am  geeignetsten  eine  Reihe  von  Abbildungen 
von  der  Lage  der  Herde  zu  geben,  durch  welche  diese  gleich 
klargelegt  werden  (Taf  V.  Fig.  1  —  6.). 

An  den  ventralsten  Schnitten  (Fig.  5.)  fällt  gleich  eine  grös- 
sere Malacie,  welche  zwischen  dem  Pes  und  der  Substantia  nigra 
liegt,  in  die  Augen.  Sie  läuft  dem  frontomedialen  Rande  des 
Hirnschenk elfusses  parallel  und  erstreckt  sich  von  der  lateralen 
bis  zur  medialen  Kante  und  misst  in  frontaler  Richtung  12  m.m., 
in  sagittaler  i  —  2  m.m.  Durch  diese  Malacie  ist  die  Substantia 
nigra  vom  Pes  vollständig  getrennt  und  der  frontale  Rand  des 
Pes  sowie  der  laterale  (occipitale)  der  Substantia  nigra  usurirt. 
In  jenem  findet  also  teils  ein  deutlicher  Faserausfall,  teils  eine 
Degeneration  der  dem  malacischen  Herde  zunächst  liegenden 
Fasern  statt. 

Die  Zellhaufen  der  Substantia  nigra  werden  vom  Herde 
nur  zum  Teil  direkt  beriüirt.  In  der  Nähe  der  Malacie  sind  doch 
ihre  Zellen  zu  kleinen  gerundeten  Klumpen  zusammengeschrumpft; 
die  entfernter  liegenden  Zellen  sind  besser  erhalten  geblieben, 
aber  die  Zellkörper  sind  bei  der  Mehrzahl  derselben  mehr  oder 
weniger  abgerundet  und  deutlich  atrophiscJi;  andere  Zellen  sind 
spitz  oder  zeigen  deutliche  Fortsätze  und  sind  demnach  also 
normal. 

Wenn  man  nun  die  Schnittreihe  in  dorsaler  Richtung  durch- 
mustert, so  kann  man  die  aufsteigende  Richtung  dieser  Malacie 
in  einer  grossen  Anzahl  von  Präparaten  verfolgen.  Sie  behält  im 
Ganzen  dieselbe  Lage  am  medialen  Rande  des  Pes  und  höher 
hinauf  an  der  Innenseite  der  Capsula  interna.  Sie  dringt  mit 
einem  Ausläufer  in  das  Corpus  geniculatum  internum  ein  und 
fast  bis  zu  seiner  Oberfläche  vor.    (Fig.  4.). 

An  etwas  mehr  dorsalen  Schnitten  teilt  sich  die  Malacie 
in  zwei,  in  dem  sie  in  ihrer  Mitte  überbrückt  wird.  Die 
laterale  dehnt  sich  bald  in  der  Breite  aus,  wird  dreieckig  und 
liegt  am  medialen  Rande  des  inneren  Kniehöckers  (Fig.  4.);  die 
mediale  behält  ihre  Lage  im  medialen  Abschnitt  zwischen  der 
Substantia  nigra  und  dem  Pes  (Fig.  5.).  Wo  der  Luys'sche 
Körper  auftritt,  hört  die  mediale  Malacie  auf  (Fig.  3.). 

Aber  die  laterale  nimmt  die  Form  eines  fast  regelmässigen 
Dreiecks  mit  einer  Seite  von  etwa  3,5—4  "i-™-  Länge  und  liegt 
zwischen  der  Kapsel  des  Nucleus  ruber  (1,5  m.m.  entfernt),  dem 
Winkel  zwischen  dem  inneren  Kniehöcker  und  Corpus  4-geminum 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


27 


und  dem  caudalen  Abschnitt  der  inneren  Kapsel  (Fig.  4.).  Die 
Malacie  hat  weder  die  Fasern  der  inneren  Kapsel  noch  die  des 
Nucleus  ruber  noch  den  Luys'schen  Körper  ergriffen. 

Noch  mehr  dorsal  (Fig.  3.)  wird  die  occipitale  (laterale) 
Malacie  grösser  und  unregelmässig  und  nimmt  die  Hauptmasse 
des  Pulvinars  ein.  Dadurch  werden  die  hier  von  dem  occipitalen 
Abschnitte  der  Capsula  interna  medialwärts  verlaufenden  Fasern 
durchschnitten.  Ein  Ausläufer  des  Herdes  läuft  parallel  mit  dem 
medialen  Rande  und  der  Haubenstrahlung  des  rothen  Körpers 
(Fig.  3-)- 

Noch  mehr  dorsalwärts,  in  der  Ebene  der  Commissura  po- 
sterior behält  die  Malacie  ungefähr  dieselbe  Form  und  Ausdeh- 
nung, aber  im  dorsalsten  Teil  des  Thalamus  (Fig.  2.)  vermindert 
sie  sich,  jedoch  treten  2 — 3  kleine  Malacien  als  die  dorsalsten 
Ausläufer  der  vorher  einfachen  Malacie  auf.  Von  diesen  liegt 
eine  am  medialen  Rande  der  caudalen  Capsula  interna  und  die 
zwei  anderen  in  der  Mitte  des  Thalamus. 

Endlich  unmittelbar  unter  dem  Stratum  superficiale  (Fig.  i.) 
werden  auch  diese  nunmehr  kaum  i  —  2  m.m.  grossen  streifen- 
förmigen Malacien  kleiner  und  hören  bald  ganz  auf. 

Ausser  dieser  grossen  den  ganzen  Thalamus  von  unten 
nach  oben  durchsetzenden  Malacien  finden  sich  noch  zwei  andere. 
Die  eine  liegt  am  lateralen  Rande  des  Corpus  geniculatum  exter- 
num  (Fig.  4.  5.)  und  schneidet  hier  einen  schmalen  Streifen  des 
Ganglions  ab.  Ventral  berührt  sie  das  Ganglion  kaum  und  ist 
länglich  (1,5  m.m.  breit,  4  m.m.  lang);  höher  auf  schneidet  sie 
auch  den  lateralen  Rand  des  Kniekörpers  ab  und  trennt  in  einer 
Ausdehnung  von  etwa  3  m.m.  das  Ganglion  von  seiner  dorso- 
lateralen  Kapsel.  Im  dorsalsten  Abschnitt  des  Kniehöckers  er- 
streckt sich  die  Malacie  mehr  medialwärts  und  greift  folglich  auf 
das  Ganglion  noch  mehr  über  und  schmelzt  dann  dorsal  vom 
Kniehöcker  mit  der  vorher  beschriebenen  Malacie  zusammen. 
Von  hierab  bildet  sie  mit  ihr  eine  grössere  Höhle,  welche  das 
Pulvinar  und  das  frontal  und  medial  von  demselben  liegende 
Gewebe  des  Thalamus  einnimmt.  Ihr  näheres  Verhalten  im 
dorsalen  Abschnitt  des  Thalamus  ist  oben  beschrieben  worden. 

Die  zweite  Malacie  (Fig.  4.  5.  mal.)  ist  klein,  und  in  den  ven- 
tralen Schnitten  streifenförmig.  Sie  verläuft  vom  Centralgrau  des 
Aquäductus  nach  hinten  durch  die  Fasern  des  Oculimotorius  um 
am  medialen  Rande  der  grossen  Malacie  mit  dieser,  wie  es 
scheint,  zusammenzuhängen.  Diese  Malacie  hat  also  einige  Zellen 
des  Oculimotoriuskerns  zum  Teil  zerstört,  dann  den  Fasciculus 
longitudinalis  posterior  etwa  0,5  m.m.  lateral  von  der  Mittellinie 
durchbrochen  und  die  Schleife  ein  wenig  sowie  auch  einige 
von  den  austretenden  OcuHmotoriusfaserbündeln  usurirt  (Fig.  5.). 
Sie  berührt  den  roten  Kern  nicht;  scheint  aber  verschiedene 
seiner  ventralen  Fascikeln  durchschnitten  zu  haben.  Die  Malacie 
misst  in  vertikaler  Richtung  nur  einige,  etwa  3(?)  m.m.  und  hört 
bald  (in  der  Höhe  der  ventralen  Hälfte  des  roten  Körpers)  auf. 

Diese  kleine  Malacie  nahe  dem  Aquäductus  N&xd^itni  be- 
sondere Aufmerksamkeit.  An  einer  Anzahl  von  Präparaten  sieht 
man,  dass  sie  eigentlich  als  ein  Ausläufer  der  grösseren  Pes- 
Malacie  betrachtet  werden  muss.  Man  kann  nämlich  an  ge- 
eigneten Präparaten  ihrem  Verlauf  vom  medialen  Abschnitt 
der  Pes-Malacie  folgen.  Sie  bahnt  ihren  Weg  nach  oben- 
vorn  der  Mittellinie  mehr  oder  weniger  parallel,  obschon  sie, 
wie  auch  die  Fig.   4.    5.   auf  Taf.   V   näher  zeigt,  recht  un- 


regelmässig zwischen  den  Fasern  des  Oculimotorius  und  den 
Bündeln  des  Fasciculus  longitudinalis  verläuft.  Im  ganzen  ist  sie 
streifenförmig. 

An  den  hintersten  Präparaten  (III.  5)  (die  Präparaten-Serie 
fängt  zwischen  dem  Trochlearis-Nerven  und  dem  Colliculus  po- 
sterior an)  dringt  sie  vom  medialen  Abschnitt  der  Pes-Malacie 
(ich  nenne  so  der  Kürze  wegen  die  Malacie  zwischen  Pes  und 
Substantia  nigra)  mit  einer  Breite  von  i  — 1,5  m.m.  durch  die 
Schleife,  deren  Fasern  jedoch  nur  wenig  und  in  geringer  Aus- 
dehnung dadurch  verändert  sind,  etwa  1,5  m.m.  lateral  von  der 
Mittellinie  nach  vorn  bis  i  — 1,5  m.m.  vom  Aquäductusgrau 
entfernt  hervor.  Sie  erreicht  also  hier  nicht  den  dorsalen  Rand 
des  Fasciculus  longitudinalis  posterior;  (dagegen  giebt  es  an  diesen 
Schnitten  eine  kleine  Malacie  (i  -|-  0,30  m.m.)  medial  vom  Nu- 
cleus colliculi  posterioris). 

Die  In  der  Nähe  der  Malacie  austretende  Oculimotorius- 
BUndel  sind  nicht  sichtbar  verändert. 

An  den  folgenden  Präparaten  bemerkt  man  jedoch,  dass 
die  Malacie  zwar  den  Rand  des  Fascic.  long,  posterior  nicht  er- 
reicht hat,  dass  dagegen  da,  wo  der  gleich  zu  beschreibende 
Kern  liegt,  etwas  Abnormes  zu  finden  ist.  Die  Fasern  des  Fasci- 
culus longitudinalis  sind  hier  deutlich  in  Degeneration  begriffen 
und  einige  Zellen  des  Kerns  sind  degenerirt  und  in  Pigment- 
klumpen umgewandelt,  andere  dagegen  recht  gut  erhalten  ge- 
blieben. 

Nur  wenige  Schnitte  weiter  nach  vorn  und  die  Malacie  hat 
die  Bündel  des  Fasciculus  longitudinalis  posterior  0,5 — 1  m.m.  la- 
teral von  der  Mittellinie  durchbrochen.  Die  Malacie  misst  hier 
fast  exact  i  m.m.  und  erstreckt  sich  in  das  Aquäductusgrau  etwa 
I  m.m.  weit  hinein  (Fig.  4.  mal).  Innerhalb  der  Malacie 
sieht  man  nunmehr  weder  Zellen  noch  Fasern,  aber  unmittel- 
bar neben  der  Grenze  der  Malacie  sind  die  Nervenfasern  auf- 
fallend gut  erhalten,  und  im  Centralgrau  sind  schon  die  in 
einer  Entfernung  von  etwa  i  m.m.  liegenden  Zellen  normal. 
Der  Wirkungskreis  der  Malacie  ist  also  im  Ganzen  eine  sehr 
beschränkter. 

Auf  den  nun  weiter  folgenden  etwa  25  Schnitten  (III  32 — 57) 
(also  einer  Dicke  von  etwa  0,75 — i  m.m.  entsprechend)  verhält 
sich  die  Malacie  in  derselben  Weise.  In  das  Aquäductusgrau 
erstreckt  sie  sich  wie  ein  der  Mittellinie  paralleler  und  davon 
0,5  m.m.  entfernter  Zipfel  etwa  i — 1,5  m.m.  ein  und  endet  zu- 
gespitzt. Nach  unten  (ventralwärts)  misst  sie  kaum  i  m.m.  in 
der  Breite  und  3 — 4  m.m.  in  der  Länge,  läuft  parallel  mit  der 
Mittellinie  oder  nähert  sich  derselben  etwas  um  dann  aufzuhören. 

Die  austretenden  Oculimotoriusfasern  sind  kaum  verändert; 
sie  sind  nicht  varikös  oder  zerfallen,  aber  schön  gefärbt.  Aber 
beim  Austritt  aus  der  Medullarsubstanz  an  dei  Mittellinie  vor  dem 
Pons  sind  die  hintersten  Oculimotorius-Bündel  schon  degenerirt, 
die  demnächst  nach  vorn  folgenden  sind  nur  wenig  verändert 
und  die  vordersten  normal. 

Schon  an  den  nächstfolgenden  Schnitten  bemerkt  man  von 
der  Nähe  des  Herds  wenig  oder  nichts. 

Der  malacische  Herd  liegt  also  im  oberen  Rande  des  Fasci- 
culus longitudinalis  posterior  i  m.m.  lateral  von  der  Mittellinie, 
ist  r  m.m.  breit  und  misst  kaum  i  m.m.  von  vorn  nach  hinten 
(sagittal),  aber  in  vertikaler  (oben-unten)  Richtung  etwa  4—5  m.m. 


28 


S.  E.  RENSCHEN. 


PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


und  streckt  sich  etwa  i  m.m.  in  das  Aquäductusgrau  hinein.  Die 
Ocuhmotoriusfasern  sind  kaum  ergriffen. 

Die  Malacie  entspricht  also  der  Lage  des  Trochlearis-Kerns 
und  dehnt  sich  nach  vorn  unmittelbar  in  den  ventralen  Oculi- 
motoriuskern  aus. 

Die  ventralen  und  dorsalen  Oculimotoriuskerne  sind  übrigens 
intakt  und  nur  eine  Anzahl  der  etwa  0,5  m.m.  von  der  Mittel- 
linie gelegenen  Zellen  sind  an  einer  sehr  kleinen  Strecke  (etwa 
0,5  m.m.  in  sagittaler  und  etwa  i  — 1,5  m.m.  in  dorsoventraler 
Richtung)  lädirt. 

Aus  der  eben  gegebenen  Darstellung  Uber  die  Ausdehnung 
der  malacischen  Herde  in  den  Centralganglien  geht  hervor,  welche 
von  den  verschiedenen  kleineren  Ganglien  oder  Nervenbahnen 
durch  sie  betroffen  sind.  Es  dtirfte  jedoch  notwendig  sein  näher 
anzugeben  wie  die  wichtigeren  Ganglien  und  Bahnen  sich  ver- 
halten. 

Pes  und  Capsula  interna. 
Die  Hauptmasse  des  Pes  ist  unversehrt,  die  Fasern  sind 
kräftig  gefärbt  und  zeigen  keine  Spur  von  Degeneration  oder 
Faserausfall.  Dagegen  finden  sich  drei  millimeter-grosse  Mala- 
cien  inmitten  der  normalen  Faserbilndel;  ausserdem  hat  der 
fronto-mediale  Rand  durch  die  grosse  Malacie  (Fig.  5.)  be- 
deutend gelitten.  Die  Veränderung  hat  besonders  den  mittleren 
Abschnitt  betroffen  aber  in  unregelmässiger  Weise.  Hier  sind 
die  Fasern  bleicher,  schwächer  und  spärlicher  und  man  trifft  auch 
Degenerationsprodukte.  Die  Fig.  5.  zeigt  ungefähr  die  Aus- 
dehnung der  Veränderung,  welche  i — 2  m.m.  der  Breite  des  Pes 
getroffen  hat;  die  lateralen  Teile  sind  verschont  in  einer  Breite 
von  3  m.m.  im  medialen  und  etwa  5  m.m.  im  lateralen  Ab- 
schnitte. 

Folgt  man  nun  dem  Pes  in  dorsaler  Richtung,  so  kann 
man  wahrnehmen,  dass  er  auch  etwas  höher  in  ungefähr  der- 
selben Weise  ergriffen  ist,  selbst  da,  wo  er  in  die  Capsula  interna 
ubergeht.  Im  ventralen  Abschnitt  der  Capsula  interna  findet  sich, 
4  m.m.  von  dem  medialen  Rande,  da  wo  weiter  unten  die  Ma- 
lacie am  tiefsten  in  die  Kapsel  eindringt  eine  weisse  bindegewe- 
bige Stelle  in  welcher  die  Fasern  spärlicher  als  sonst  zu  treffen 
sind  (Fig.  4.).  Noch  weiter  nach  oben  findet  man  hier  nur  eine 
Veränderung  des  Bindegewebes.  Die  Kapsel  zeigt  sonst  wenig 
Beeinträchtigung  durch  die  Malacie,  obschon  im  dorsalen  Ab- 
schnitt des  Thalamus  die  recht  grosse  Malacie  sie  unmittelbar 
streift  und  weiter  nach  oben  auch  die  nunmehr  streifenförmige 
Höhle  an  ihrem  hintersten  ^/s  unmittelbar  anliegt,  ja  selbst  in 
sie  etwas  eindringt. 

Also  ist  nur  eine  kleine  Strecke  der  PyramidenbaJin  an 
dem  medialen  Rande  der  Malacie  in  kleinerer  Ausdehnung 
ergriffen. 

Thalamus  Opticus. 

Die  Form  des  Ganglions  ist  durch  das  Vorhandensein  der 
ausgedehnten  Malacie  gar  nicht  verändert.  An  den  verschie- 
denen Schnitten  hat  die  Malacie  so  verschiedene  Form,  dass 
eine  Beurteilung  ihrer  Einwirkung  auf  die  sie  durchlaufenden 
Fasern  recht  schwierig  wird. 

Fasern.    Dorsale  Schnitte  (V.  60 — 70). 


Die  radiär  von  der  Gitterschicht  in  den  Thalamus  ein- 
strahlenden Bündel  sind  recht  schön,  und  die  einzelnen  Fasern 
normal,  intensiv  gefärbt,  im  allgemeinen  nicht  varikös.  Dies  ist  der 
Fall  sowohl  im  frontalen  wie  im  caudalen  Abschnitte  des  Thala- 
mus. Ausserdem  finden  sich  Bündel  mit  varikösen  Fasern,  deren 
Ursprung  und  Verlauf  ungewiss  ist.  Aber  in  der  Nähe  der  ma- 
lacischen Herde  sind  die  Nervenfasern  degenerirt.  Es  ist  nicht 
möglich  weiter  hin  diesen  degenerirten  Fasern  zu  folgen.  Da 
aber  der  Herd  mit  seinen  der  inneren  Kapsel  parallelen  Aus- 
läufern in  sagittaler  Richtung  nicht  weniger  als  etwa  5  m.m.  misst, 
so  dürfte  eine  nicht  unbeträchtliche  Anzahl  von  radiären  Fasern 
durchschnitten,  resp.  funktionsunfähig,  sein. 

Die  Malacie  liegt  7  m.m.  frontal  vom  occipitalen  Rande 
des  Thalamus  in  der  Gitterschicht  und  dringt  etwa  i  m.m.  in 
die  Kapsel  ein.  Hier  findet  man  im  Gewirr  der  Fasern  nicht 
wenige,  welche  in  Degeneration  begriffen  zu  sein  scheinen.  Dem 
Herd  gegenüber  zeigt  auch  die  Kapsel  eine  bleichere  Verfärb- 
ung und  an  der  lateralen  Seite  derselben  zeigen  die  in  die  occi- 
pitale  Spitze  des  Putamens  einstrahlenden  Bündel  auch  deutlich 
degenerirte  Fasern.  Dabei  sind  hier  sämmtliche  Fasern  verän- 
dert, während  die  weiter  nach  vorn  ins  Putamen  einstrahlenden 
Bündel  nicht  verändert  sind. 

Der  occipitalste  Abschnitt  der  Capsula  int.  enthält  nur  (V) 
normale  Fasern. 

Mehr  ventrale  Schnitte  (V.  39.).  Hier  hat  der  Herd  fast 
dieselbe  Lage  und  ist  schlitzförmig  und  parallel  mit  der  Kapsel; 
er  dringt  hier  in  die  Kapsel  weniger  tief  ein.  Hier  treten  auch 
kleinere  Herde  im  Inneren  des  Thalamus  auf. 

Mehr  tientrale  Schnitte  (V.  9.)  (Fig.  i.)  verhalten  sich  im 
Ganzen  in  derselben  Weise,  aber  die  Fasern  der  Kapsel  sind 
dem  Herde  gegenüber  weniger  verändert.  Die  erwähnten  Fasern 
des  Putamens  sind  dagegen  verändert;  diese  scheinen  hier  sowohl 
ins  Putamen  einzutreten  wie  auch  seine  mediale  Kapsel  zu  bil- 
den (s.  unter  die  Linse). 

In  der  mehr  ventralen  Schnittserie  (IV)  (Fig.  2.  3.)  (etwa 
I  m.m.  weiter  ventral)  hat  die  Malacie  zwar  im  Ganzen  dieselbe 
Lage  aber  weit  grössere  Dimensionen.  Sie  berührt  aber  nicht 
unmittelbar  die  Kapsel  sondern  mehr  die  occipitale  Einstrahlung 
in  den  Thalamus,  deren  vordere  Hälfte  fast  vollständig  durchtrennt 
ist.  Von  der  hinteren  Hälfte  sind  die  mehr  ventralen  Fasern 
auch  von  der  Malacie  durchschnitten;  dagegen  sind  zahlreiche 
Fasern  derjenigen  Bündel,  welche  wahrscheinlich  ihre  Endstation 
in  dem  unversehrten  Abschnitte  des  Thalamus  finden,  recht  gut 
erhalten,  gut  gefärbt  und  wenig  varikös;  andere,  welche  die  im 
Pulvinar  gelegene  Malacie  berühren,  sind  deutlich  im  Zerfall  be- 
griffen. 

Die  radiären  Thalamusfasern.  Im  dorsalen  Abschnitte  des 
Ganglions  sind  diese  im  allgemeinen  gut  erhalten.  Die  Bündel 
sind  dick  und  die  Fasern  gut  gefärbt  und  nicht  varikös.  Daneben 
finden  sich  zahlreiche  blassere  Fasern,  welche  jedoch  nicht  va- 
rikös sind. 

In  der  Nähe  der  malacischen  Herde  sind  dagegen  die  Fa- 
sern entweder  gänzlich  zerfallen  oder  in  Degeneration  begriffen. 
Und  da  diese  Herde  in  den  mehr  ventral  gelegenen  Abschnitten 
überhaupt  eine  grössere  Ausdehnung  haben,  so  ist  auch  hier  die 
Degeneration  der  Fasern  viel  ausgedehnter.  Es  finden  sich  also 
im  Pulvinar  fast  keine  erhalten  gebliebenen  Fasern  (Fig.  3.). 


* 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


29 


Die  Zellen  des  Thalamus  sind  überhaupt  ziemlich  erhalten 
geblieben,  ihre  Konturen  sind  scharf,  Pigmentklampen  fehlen, 
aber  die  Zellen  sind  überall  reichlich  pigmentirt. 

In  den  malacischen  Herden  sind  sie  vollständig  unterge- 
gangen und  in  ihrer  Nähe  degenerirt. 

Der  Nucleus  ruber  ist  nirgends  von  den  malacischen 
Herden  ergriffen,  wohl  aber  ist  die  Haubenstrahlung  in  ventralen 
Schnitten  in  einer  Entfernung  von  i.  5  —  2  m.m.  vom  lateralen 
Rande  des  Ganglions  zum  Teil  durchschnitten  (Fig.  3.  4.).  Dess- 
ungeachtet  sind  die  Fasern,  welche  am  lateralen  Rande  des  Gang- 
lions ein-  resp.  austreten,  morphologisch  normal. 

In  mehr  dorsalen  Schnitten  liegt  die  Malacie  mehr  occipital 
vom  Ganglion  und  hat  deshalb  nur  die  occipitalen  Fasernbündel 
des  Ganglions  zerstört.  Nicht  wenige  vom  frontalen  Abschnitt 
des  Nucleus  ruber  kommende  und  nach  dem  hinteren  Abschnitt 
der  Capsula  interna  ziehende  Bündel  sind  auch  der  Degeneration 
entgangen  (Fig.  3.),  während  die  mehr  occipital  liegenden  Fasern 
der  Zerstörung  anheimgefallen  sind.  Die  Bündel  im  Inneren 
sind  reichlich,  und  zeigen  normale  Fasern. 

Die  mediale  Kapsel  ist  dick  und  gut  gefärbt,  die  laterale 
schwächer. 

Die  Zellen  des  Nucleus  ruber  sind  wenigstens  zum  grossen 
Teil  normal,  scharf  konturirt,  nicht  pigmentirt,  mit  schönen  Ecken 
und  Fortsätzen. 

Der  Luys'sche  Körper  ist  nirgendswo  malacisch.  Er 
hat  normale  Grösse,  grossen  Reichtum  an  Fasern,  und  sind  die- 
selben sowohl  im  Inneren  wie  in  der  Kapsel  schön  gefärbt  und 
nicht  degenerirt. 

Die  Zelle?!  sind  pigmentirt,  sonst  aber  anscheinend  normal 
(scharfe  Kontur  etc.). 

Eine  nicht  unbeträchtliche  Anzahl  der  occipital  vom  und 
parallel  mit  dem  Luys'schen  Körper  durch  Capsula  interna  (nach 
dem  Linsen-Körper)  ziehenden  Fasern  sind  auffallend  varikös 
aber  schön  gefärbt  (beginnende  Degeneration?). 

Nucleus  lentiformis. 

Weder  das  Putamen  noch  die  Glieder  des  Globus  pallidus 
sind  makroskopisch  verändert;  selbst  bei  schwächerer  Vergrös- 
serung  wird  eine  Veränderung  nicht  wahrgenommen.  Aber  bei 
stärkerer  Vergrösserung  bemerkt  man  dass: 

i)  im  Globus  pallidus  recht  viele  einzelne  Fasern  oder  ganze 
Faserbündel  sehr  blass  oder  grau  gefärbt  sind  und  die  einzelnen 
Fasern  etwas  dünn  erscheinen  (atrophisch),  obschon  die  Nerven- 
fasern des  Präparats  sich  sonst  als  intensiv  schwarz  gefärbt  er- 
weisen. 

Deutlich  degenerirte  Fasern  finden  sich  nicht  mit  Ausnahme 
im  occipitalen  Ende  des  äusseren  Gliedes  (also  entsprechend  dem 
hintersten  Abschnitt  der  Capsula  interna),  wo  zahlreiche  degene- 
rirte Bündel  in  der  Lamina  medullaris  exterior  sich  befinden, 
während  solche  schon  in  dem  mehr  frontalen  Abschnitte  fehlen. 
D  ieses  deutet  darauf,  dass  die  Fasern  des  occipitalen  Abschnittes 
der  Lamina  mit  occipitalen  Fasern  des  Thalamus  in  Zusammen- 
hang stehen. 

Die  Zellen  erscheinen  meistens  normal  (scharfe  Konturen, 
deutlicher  Kern,  nur  mässig  pigmentirtes  Protoplasma). 


Die  Linsenschlinge  enthält  reichliche  normale  Fasern;  atro- 
phische oder  degenerirte  sind  nicht  zu  beobachten. 

2)  Putamen.  Nur  die  occipitalen  Bündel  enthalten  dege- 
nerirte Nervenfasern  und  zwar  in  grosser  Anzahl.  Die  übrigen 
Fasern  sind  nicht  verändert,  wiewohl  oft  blass. 

Die  Zellen  sind  sehr  pigmentirt,  eckig-gerundet  (verändert?). 

Corpus  geniculatum  externum  (Fig.  4.  5.). 

An  den  ventralsten  Schnitten  (Fig.  4.)  findet  man  in  der 
lateralen  Grenze  des  äusseren  Kniehöckers  eine  2,5  m.m.  dem 
Ganglion  entlang  liegende  Malacie,  welche  nur  wenig  auf  das 
Ganglion  übergreift.  Nur  in  der  Nähe  der  kleinen  (2 — 4  m.m. 
messenden)  Malacie  scheint  der  Kniehöcker  gelitten  zu  haben, 
sonst  sind  Fasern  und  Netze  sehr  schön  und  zwar  besonders  die 
vom  Opticus  einstrahlenden  Bündel. 

An  mehr  dorsalen  Schnitten  (Fig.  5.),  wo  die  Malacie  des 
Ganglion  fast  in  seiner  ganzen  Länge  (etwa  4  m.m.)  berührt  und 
auch  etwas  (c:a  0,3  m.m.  tief)  auf  dasselbe  übergreift,  ist  der 
Effekt  grösser.  Zwar  erscheint  der  Kniehöcker  im  Ganzen  bei 
schwächerer  Vergrösserung  wenig  verändert,  aber  bei  stärkerer 
scheint  eine  nicht  unbeträchtliche  Anzahl  der  querlaufenden  Fa- 
sern leicht  affizirt  zu  sein;  die  Opticusbündel  sind  dagegen  se- 
kundär nicht  erkrankt  mit  Ausnahme  da,  wo  sie  die  Malacie 
direkt  berühren. 

An  den  dorsalsten  Schnitten  kann  man  sagen,  dass  der  ganze 
kleine  Abschnitt  des  Ganglions  in  der  Nähe  der  Malacie  Hegt; 
jedoch  sind  die  Fasernetze  ziemlich  gut  erhalten. 

Im  ventralsten  Abschnitte  scheinen  die  Zellen  kaum  ver- 
ändert zu  sein.  Im  mittleren  sind  sie  in  dem  malacischen  Gebiete 
degenerirt,  im  übrigen  Abschnitte  des  Ganglions  ziemlich  (voll 
ständig?)  erhalten  mit  scharfen  Konturen  und  Kernen.  In  Pig- 
ment findet  man  keine  umgewandelt.  Ob  leichte  Veränderungen 
vorhanden  sind  ist  ungewiss. 

Im  dorsalsten  Theile  scheinen  sie  normal  zu  sein. 

Das  St-'onia  ist  im  ganzen  Ganglion  kernreicher  als  normal, 
besonders  in  der  Nähe  der  Malacie. 

Resiune.  Die  Malacie  hat  auf  die  Hauptmasse  eine  pa- 
thologische Einwirkung  ausgeübt,  indem  das  Stroma  kern- 
reicher, die  Zellen  in  einem  grossen  Teile  des  Ganglions  sowie 
die  Fasern  in  der  Nähe  der  Malacie  verändert  sind.  Durch 
die  laterale  in  der  ganzen  Höhe  des  Ganglions  sich  ausdeh- 
nende Malacie  ist  die  Hauptmasse  der  occipitalen  Strahlung 
zerstört. 

Der  Tr actus  opticus  dexter  ist  von  der  Malacie  nicht  be- 
rührt und  an  den  Längsschnitten  ist  keine  Veränderung  wahr- 
zunehmen. 

Corpus  geniculatum  intern  um. 
Dieses  Ganglion  wird  in  grosser  Ausdehnung  von  der  Ma- 
lacie berührt. 

An  den  ventralsten  Schnitten  (Fig.  5.)  schwenkt  die  Malacie 
mit  einem  spitzen  Ausläufer  um  die  medio-occipitale  Ecke  des 
Pes  (Capsula  interna)  herum,  schneidet  die  hier  verlaufenden  Fa- 
sern durch  und  dringt  mit  einer  schmalen  Spitze  in  das  Ganglion 
ein.  Auch  sind  hier  im  ventralen  Abschnitte  des  Ganglions  die 
meisten  Fasern  mehr  oder  weniger  deutlich  in  beginnendem  Zer- 
fall begriffen;  die  Kapselfasern  sind  noch  völlig  normal. 


30  S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Die  Fasern  im  Inneren  sind  jedoch  zahlreich  vorhanden. 
Die  Hauptmasse  des  GangUons  ist  auch  bedeutend  kernreicher 
als  normal.  Die  Zellen  sind  in  dem  peripheren  occipitalen  Ab- 
schnitte ziemlich  erhalten  (pigmentreich,  aber  mit  scharfen  Kon- 
turen), im  frontalen  aber  vollständig  untergegangen. 

An  höher  gelegenen  Schnitten  hält  sich  die  Malacie  ver- 
hältnismässig mehr  in  der  frontalen  Peripherie  und  nur  die  an- 
grenzenden Partien  haben  dadurch  gelitten,  wenn  auch  die  Zellen 
sehr  pigmentirt  sind.  Die  äussere  Kapsel  ist  hier  recht  gut  er- 
halten geblieben. 

In  noch  höher  liegenden  Schnitten  (Fig.  4.)  dringt  ein 
grosser  Ausläufer  der  Malacie  am  Winkel  zwischen  inneren 
Kniehöcker  und  dem  Collicukis  posterior  bis  nahe  an  die  Ober- 
fläche heran  und  schneidet  in  das  GangHon  ein.  Dadurch  wer- 
den die  grossen  vom  Colliculus  kommenden  Bündel  zum  Teil 
abgeschnitten  und  sind  einer  Massendegeneration  unterworfen. 
Nur  die  Kapsel  und  selbst  diese  auch  nicht  völlig  /lal  normale 
Fasern.  Die  der  Kapsel  zunächst  liegende  Zone  ist  der  Verän- 
derung zum  Teil  entgangen. 

Im  dorsalsten  Teil  des  Ganglions  dringt  die  Malacie  bis  zur 
Oberfläche  des  Ganglions  vor. 

Corpora  4-gemina  (Horizontalschnitt).    (Taf.  V.  Fig.  3.) 

Colliculus  anterior. 

Das  Stratum  zonale  ist  erhalten  und  enthält  zahlreiche  F'a- 
sern,  aber  diese  sind  varikös  oder  zerfallen,  obwohl  noch  gefärbt, 
also  zum  Teil  in  beginnender  Degeneration  begriffen. 

Cappa  cinerea.  Die  feinen  Fasern  dieser  Schicht  sind  zwar 
vorhanden  und  sind  gefärbt,  aber  sie  bilden  keine  Netze  und 
sind  im  ventrolateralen  Abschnitte  des  Colliculus  auffallend  varikös, 
aber  nicht  in  der  mehr  dorsal  resp.  frontal  gelegenen. 

Stratum  opticu77i.  Die  vom  Stratum  zonale  des  Corpus 
geniculatum  und  den  naheliegenden  Teilen  in  das  oberflächliche 
Mark  einstrahlenden  Fasern  sind  zahlreich  und  schön  gefärbt,  in 
ventralen  (=  occipitalen)  Partien  des  Colliculus  stark,  in  mehr 
dorsalen  (frontalen)  weniger  varikös. 

Im  mittlereti  Grau  sind  die  Netze  sehr  dicht  und  die  I'asern 
gut  gefärbt;  im  allgemeinen  kaum  varikös. 

Im  mittleren  Mark  sind  die  groben  Fasern  gut  erhalten  und 
kaum  varikös  aber  schön  gefärbt  und  zahlreich.  Die  grossen 
Zellen  sind  schön. 

Stratum  Lemnisci.  Die  cirkulären  Fasern  zahlreicli  und 
ganz  normal ;  die  radiären  sind  zahlreich  und  normal. 

Im  centralen  Grau  sind  reichlich  normale  Fasern  vorhanden. 

Colliculus  posterior. 

Stratum  zonale  mit  gut  gefärbten  aber  etwas  varikösen  Fasern. 

Nucleus  mit  starker  Kapsel  und  reichlichen  Netzen  im  In- 
neren. Alle  Fasern  sind  intensiv  gefärbt,  nicht  varikös,  also  nor- 
mal und  zwar  sowohl  die  radiären  wie  die  übrigen. 

Commissura  posterior.  Sowohl  die  obere  wie  die  untere 
enthält  zahlreiche  Bündel  (wie  normal)  und  ihre  Fasern  waren 
alle  schön  gefärbt  und  nicht  varikös.    Also  normal. 

Die  S c h  1  e if e. 
In  den  ventralen  Schnitten  durch  den  Pes  trennt,  wie  schon 
gesagt  wurde,  die  gürtel-oder  halbmondförmige  Malacie  den  medio- 


frontalen Rand  des  Pes  vom  Gebiete  der  Substantia  nigra.  Die 
Malacie  misst  im  lateralen  Abschnitt  i  m.m.  im  medialen  2  m.m. 
und  die  Zerstörung  der  Substantia  nigra  dürfte  deshalb  ungefähr 
diesen  Umfang  haben. 

Die  Hauptmasse  der  Substantia  nigra  ist  deutlich  verschont 
geblieben  aber  ihr  laterale,  oder  richtiger  latero-occipitaler  Rand 
ist  malacisch.  Wie  schon  beschrieben  sind  auch  viele  der  cha- 
rakteristischen Zellen  deutlich  atrophisch,  verkleinert  und  in  Pig- 
menthaufen umgewandelt;  andere  dagegen  verhältnismässig  erhal- 
ten. Im  Begrenzungsrande  der  Malacie  sind  die  Nervenfasern 
zum  Teil  in  Degeneration  begriffen. 

Weiter  nach  oben  berührt  die  Malacie  nirgends  weder  den 
Nucleus  ruber  noch  den  Globus  pallidus,  die  Linsenkernschlinge 
oder  den  Luys'schen  Körper;  dagegen  liegt  sie  (Fig.  2.  3.  4). 
dem  hinteren  '/^  der  Capsula  interna  unmittelbar  an  und  liegt 
hier  zwischen  dem  inneren  Kniehöcker,  dem  medio-occipitalen 
Winkel  der  Capsula  interna  und  dem  äusseren  Kniehöcker  und 
mehr  dorsalwärts  zwischen  dem  Pulvinar,  dem  hinteren  Rande  der 
Capsula  interna  und  dem  occipitalen  Verlauf  der  Kapsel.  Hier 
berührt  sie  den  hinteren  Rand  der  vom  roten  Körper  lateral- 
wärts  ausstrahlenden  Fasernbündel,  von  welchem  auch  viele  zer- 
stört sind. 

Die  rechte  laterale  Schleife  ist  kräftig  entwickelt  und  enthält 
intensiv  gefärbte  und  normale  Fasern. 

Die  Hauptschleife  ist  beiderseits  gleich  und  zeigt  weder  in 
caudalen  noch  in  proximalen  Schnitten  eine  Degeneration. 

Epikrise. 

Kurzer  Krankenbericht.  Keine  nervöse  Belastung. 
Als  Ji.ingling  Alkohol  missbraucht.  Hat  Syphilis  erwoiben. 
Litt  sonst  an  verschiedenen  Krankheiten,  aber  behielt  dem 
ungeachtet  bis  ins  hohe  Alter  gute  Kräfte.  Die  Sehschärfe, 
das  Gehör,  das  Gedächtnis  und  die  Urteilskraft  waren  auch 
bis  zu  seiner  letzten  Krankheit  gut  erhalten.  Nach  der  In- 
fluenza im  Dec.  1891  hütete  Fat.  das  Bett  bis  zum  20.  Jan., 
an  welchem  Tage  er  aufstehen  wollte.  An  diesem  Tage  wurde 
er  im  Bette  plötzlich  von  einem  Schlaganfalle  betroffen.  Er 
fiel  nach  rechts.  Die  Unterarme  zogen  sich  gegen  die  Brust, 
die  Hände  drehten  sich  konvulsivisch.  Sonst  keine  Zuckun- 
gen. Bald  nachher  blieb  Fat.  still  mit  geschlossenen  Augen 
liegend.  Er  schien  nichts  zu  verstehen.  Bald  trat  Erbrechen 
ein.  Die  Besinnung  kehrte  bald  wieder  zAirück;  er  antwortete 
jedoch  nicht  auf  Anrede,  der  linke  Arm  und  das  linke  Bein 
waren  vollständig  gelähmt.     Im  Gesicht  keine  Schiefheit. 

Am  ^'/i  ^var  Fat.  bei  klarer  Intelligenz.  Er  öffnete  das 
linke  Auge,  aber  das  rechte  Augenlid  konnte  er  nicht  heben. 
Er  verstand  alles,  konnte  aber  nicht  antworten.  Nach  einigen 
Tagen  kehrte  die  Sprache  zurück,  aber  sie  war  verworren. 
Er  fing  an  Arm  und  Bein  zu  bewegen.  Er  lag  mit  geschlos- 
senen Augen,  aber  konnte  das  linke  Auge  nach  jeder  Rich- 
tung bewegen.  Sprache  undeutlich.  Fat.  scheint  eine  Farben- 
hallucination  gehabt  zu  haben,  in  dem  er  ein  rotes  Band  an 
der  Stirn  sah. 

Etwa  am  ^^/s  konnte  er  das  rechte  Augenlid  etwas  he- 
ben und  die  Bewegungen  des  linken  Armes  und  Beines  nah- 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEH  CENTRUM  BETREFFEND 


31 


men  zu.  Die  linke  Seite  war  kalt.  Urin  und  Fjeces  gingen 
oft  ins  Bett.     Trat  am  ^''/2  ins  Krankenhaus  ein. 

St.  prees.  ^"/a  1892.  Fat.  schwach,  bleich,  die  Wangen 
cyanotisch.  Gefässe  sklerosirt.  Psyche  klar,  keine  Aphasie 
oder  Hallucinationen.  Geruch  recht  gut,  Sehkraft  bedeutend 
herabgesetzt,  am  meisten  am  linken  Auge;  konnte  vor  dem 
Anfalle  Zeitungen  ohne  Brille  lesen.  Linksseitige  Hemianopsie 
ohne  hemianopische  Reaktion.  Beide  Pupillen  reagiren  sonst 
normal,  die  rechte  Pupille  ist  etwas  kleiner  als  die  linke. 
Ophthalmoskopisch  Nichts. 

Die  Augenbewegungen  normal,  aber  bei  dem  Eintritt 
ins  Krankenhaus  schien  eine  gelinde  Deviation  conjuguee  zu 
bestehen.  Das  rechte  Augenlid  kann  nur  bis  zur  Hälfte  geho- 
ben werden.  Weder  Trigeminus  noch  Facialis  sind  getroffen, 
wenn  auch  bisweilen  das  linke  Auge  etwas  schwächer  ge- 
schlossen wird.  Das  Gehör  beiderseits  gleich  scharf.  Der 
Geschmack  gut.  Die  Bewegungen  der  Zunge  langsam  aber 
beiderseits  gleichmässig.  Drucksinn  links  bedeutend  h:^rab- 
gesetzt;  Schmerzsinn  fast  völlig  geschwunden.  Der  Tempera- 
tursinn abgestumpft,  er  empfindet  alles  als  kalt.  Der  Ortsinn 
herabgesetzt.  Muskelsinn  fraglich.  Die  Motilität  der  links- 
seitigen Extremitäten  ist  herabgesetzt,  aber  in  geringerem 
Grade  als  die  Sensibilität.  Die  Reflexe  an  der  linken  Seite 
kaum  merkbar.     ^^/a  Fieber.     Verschied  am  ^^ji  1892. 

Die  Sektion  zeigte  teils  eine  ausgedehnte  Malacie  der 
rechten  Hemisphäre,  welche  die  mediale  Seite  von  der  Occi- 
pitalspitze  bis  zu  den  Centraiganglien  einnahm  teils  verschie- 
dene kleinere  zum  Teil  zusammenfliessende  Malacien  im  Tha- 
lamus und  Pes  u.  s.  w. 

Diagnose.  Ari  der  Läsion.  Der  plötzlich  ohne  vor- 
hergehende Symptome  von  Herzschwäche  eintretende  Schlag- 
anfall, welcher  mit  Bevvusstseinsverlust  verbunden  war,  deu- 
tete eher  auf  eine  Blutung  als  auf  Thrombose,  und  zwar  um 
so  mehr  als  die  begleitende  Parese  nicht  sehr  stark  war. 
Obschon  Fat.  schon  am  folgenden  Tage  bei  klarer  Intelligenz 
war,  kam  jedoch  die  Sprache  erst  einige  Tage  später  wieder. 
Dieses  sowie  das  Erbrechen  konnte  wohl  als  ein  Au.sdruck 
einer  sich  nur  langsam  ausgleichenden  Drucksteigerung  resp. 
Blutung  gedeutet  werden.  Dafür  schienen  auch  die  Zuckungen 
zu  sprechen.  Dessen  ungeachtet  fand  sich  bei  der  Sektion 
eine  Erweichung  infolge  einer  Thrombose  hauptsächlich  der 
Arteria  cerebri  posterior. 

Die  Heftigkeit  der  Symptome  muss  durch  die  Grösse 
des  befallenen  Gebietes  erklärt  werden  und  der  Fall  zeigt 
deshalb,  wie  schwierig  es  mitunter  ist,  eine  Hämorrhagie  von 
einer  Erweichung  zu  unterscheiden  (s.  unten). 

Lokalisation  der  Läsion.  Der  vorliegende  Fall  unter- 
scheidet sich  von  den  gewöhnlichen  Hemiplegien  hauptsäch- 
lich durch  drei  Symptome,  nämlich  durch  die  Hemianopsie, 
durch  das  Überwiegen  der  Sejisibilitütssföriing  im  Verhältnis 
zu  der  Motilitätsstörung  und  drittens  durch  die  isolirte  Läh- 
mung des  einen  oberen  Angetilides. 

Das  Vorhandensein  der  reclitsseitigen  Hemianopsie  bei 
dem  gleichzeitigen  Auftreten  einer  ausgeprägten  Sensibilitäts- 
störung, aber  einer  nur  schwachen  Parese  der  Motilität  cha- 
rakterisirt  nach  den  geläufigen  Ansichten  eine  Afiektion  in 


der  Nähe  des  hinteren  Abschnittes  der  Capsula  interna.  Hier 
sollen  einerseits  die  Sehfasern  von  dem  äusseren  Kniehöcker 
in  die  Kapsel  eintreten  und  andererseits  die  sensiblen  Fasern 
durch  die  Kapsel  nach  oben  verlaufen.  Dieser  Fall  bei  dem 
in  der  That  eine  kleinere  Malacie  die  sensiblen  Fasern  des 
hintersten  Drittels  der  Kapsel  und  zugleich  eine  andere  klei- 
nere am  lateralen  Rande  des  äusseren  Kniehöckers  liegende 
Malacie,  die  diesem  Ganglion  vom  Occipitallappen  zu  laufen- 
den Fasern  durchschnitten  hat,  scheint  also  für  die  Richtigkeit 
einer  solchen  Ansicht  zu  sprechen  (s.  unten). 

Aber  ausserdem  war  eine  ausgedehnte  Malacie  der  me- 
dialen Rinde  des  Occipitallappens  vorhanden,  welche,  eben  so 
gut  die  Hemianopsie  erklären  kann. 

Schliesslich  fand  sich  eine  isolirte  sehr  auftallende  Läh- 
mung des  rechten  Augenlidhebers.  Das  Auftreten  dieser 
isolirten  Lähmung  deutete  ohne  Zweifel  auf  eine  kleine  be- 
schränkte Läsion  des  Nucleus  des  Levators  oder  der  austre- 
tenden Fasern  des  Levators  Palpebrae  superioris  —  also  an  dem 
Aquädukt  oder  im  Pes.  —  Dies  war  auch  hier  der  Fall.  Die 
Parese  der  Glieder  war  linkseitig,  die  des  Augenliedes  dagegen 
rechtseitig,  jene  also  centraler,  diese  peripherischer  Natur. 

Analyse  der  Symptome. 

Die  psychischen  Fnnktionen.  Unmittelbar  nach  dem 
Schlaganfall  trat  Bewusstseinsverlust  ein  und  dauerte  eine 
Weile.  Am  folgenden  Tag  war  Pat.  bei  klarem  Bewusstsein, 
aber  es  dauerte  einige  Tage,  ehe  er  verständlich  sprechen 
konnte,  obwohl  er  schon  verstehen  konnte,  wenn  man  ihn 
anredete.  Im  Krankenhause  war  er  zwar  schwach  und  her- 
untergekommen, aber  er  war  im  Übrigen  bei  klarem  Bewusst- 
sein. Die  Beeinträchtigung  der  seelischen  Funktionen  dürfte 
durch  das  plötzlich  Auftreten  der  nicht  unbedeutend  ausge- 
dehnten Erweichung  genügend  erklärt  werden. 

Durch  die  nach  verschiedenen  Richtungen  sich  verzwei- 
gende Malacie  des  rechten  Thalamus,  welche  im  Ganzen  eine 
recht  grosse  Ausdehnung  hatte  und  sowohl  die  centralen  Ge- 
sichts- wie  Gehörganglien  sowie  auch  wichtige  sensible  Teile 
zerstört  hatte,  waren  ohne  Zweifel  wichtige  Verbindungen 
zwischen  den  verschiedenen  Teilen  der  Rinde  der  rechten 
Hemisphäre  unterbrochen.  Dessen  ungeachtet  kehrte  das 
Bewusstsein  bald  zurück.  Dieses  scheint  ein  neuer  Beweis  zu 
sein,  dass  die  rechte  Hemisphäre  ohne  besonders  aufiallende 
psychische  Symptome  hervorzurufen  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  ausser  Funktion  gesetzt  werden  kann.  In  diesem  Fall 
war  jedoch  die  Hauptmasse  des  Hemisphärenmarkes  im  Gegen- 
satz zu  dem  was  bei  dem  Falle  l  Malm  sich  fand,  gut  erhalten 
geblieben. 

Aphasie.  Unmittelbar  nach  dem  Anfalle  verfiel  Pat.  in 
einen  solchen  Zustand,  dass  er  weder  eine  I'rage  verstehen, 
noch  sprechen  konnte.  Erst  nach  einigen  Tagen  kehrte  die 
Sprache  wieder.  Da  keine  Veränderungen  in  der  linken 
Hemisphäre  angetroften  wurden,  müssen  diese  Symptome  ein 
Ausdruck  des  Chok's  nach  dem  Schlaganfalle,  d.  h.  der 
Circulationsstörung  sein.  Auch  später  sprach  Pat.  wenig. 
Weder  Worttaubheit  noch  Wortblindheit  oder  Aphämie  war 
vorhanden ;  und  auf  Agraphie  konnte  nicht  mit  Aussicht  auf 
Gelingen   geprüft   werden,  da  Pat.  vorher  kaum  schreiben 


32 


S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


konnte.  Er  schrieb  bei  Aufforderung  jedoch  einige  Buch- 
staben. 

Kranialnerven.  I.  Der  Geruch  zeigte  nichts  abnor- 
mes, was  bei  dem  Vorhandensein  einer  ausgedehnten  Malacie 
im  Gyrus  Hippocampi  bemerkenswert  war. 

II.  Da  die  Sehkraft  bedeutend  herabgesetzt  war,  so 
war  es  schwierig  die  Augenfunktionen  zu  prüfen.  Die  Min- 
derung der  Sehkraft  war  gewiss  durch  den  Schlaganfall  ver- 
ursacht, da  nämlich  Fat.  vorher  ohne  Brille  gut  lesen  konnte. 

Eine  linksseitige  Hemianopsie  wurde  konstatirt  und  zwar, 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach,  mit  erhaltenem  Fixationsfeld. 
Für  die  Lokalisation  des  Sehcentrums  ist  diese  Beobachtung 
von  w'enig  Belang.  Zwar  fand  sich  bei  der  Sektion  eine  auf 
die  mediale  Fläche  des  üccipito-temporallappens  beschränkte 
Malacie,  welche  makroskopisch  an  keinem  Punkte  in  die  Seh- 
.strahlung  eindrang,  wenn  sie  auch  in  der  Nähe  der  Occipital- 
spitze  (Schnitt  etwa  2  cm.,  Taf  IV.  Fig.  4 — 5.)  die  dorsale 
und  ventrale  Spitze  der  Seh.strahlung  abschnitt,  aber  ausser- 
dem fand  sich  am  lateralen  Rande  des  äusseren  Kniehöckers 
eine  eher  mikro-  als  makroskopische  Malacie,  welche  ohne 
Zweifel  eine  Anzahl  der  occipitalen  Sehfasern  durchschnitten 
hatte.  Wenn  eine  mikroskopische  Untersuchung  nicht  vor- 
genommen worden  wäre,  so  hätte  man  diesen  Fall  ohne 
Zweifel  leicht  als  beweisend  für  eine  Lokalisation  der  He- 
mianopsie in  die  mediale  Fläche  des  Occipitallappens  ange- 
führt. Der  Fall  giebt  also  einen  neuen  Beleg  ab,  wie  wich- 
tig die  mikroskopische  Untersuchung  ist. 

Das  gleichzeitige  Auftreten  einer  Läsion  in  oder  in  der 
Nähe  des  äusseren  Kniehöckers  und  der  inneren  Fläche  des 
Occipitallappens  wird  leicht  dadurch  erklärt,  dass  die  Arterien 
des  Kniehöckers  von  der  Arteria  cerebri  posterior  sich  ab- 
zweigen. Die  von  mir  in  diesem  Werke  mitgeteilte  Kasuistik 
zeigt  wie  oft  eine  Läsion  an  diesen  zwei  Stellen  gleichzeitig 
auftreten  kann  und  bei  jeder  Beobachtung  einer  ausgedehn- 
teren Malacie  der  Innenfläche  des  Occipito-temporallappens 
muss  man  deshalb  auf  eine  gleichzeitige  Malacie  des  äusseren 
Kniehöckers  gefasst  sein. 

Die  herabgesetzte  Sehkraft  des  Pat.  wurde  wahrschein- 
lich durch  das  Entstehen  der  Hemianopsie  hervorgerufen. 
Dadurch  erklärt  sich  auch  genügend  der  Umstand,  dass  die 
Sehkraft  des  linken  Auges  bedeutend  schwächer  war  als  die 
des  rechten,  indem  das  zurückgebliebene  Gesichtsfeld  bei 
jenem  Auge  kleiner  war  als  bei  diesem. 

HeinianopiscJie  Reaktion.  Durch  die  systematische  Un- 
tersuchung, ob  eine  hemianopische  Reaktion  vorliegt  oder 
nicht,  dürfte  die  Frage  nach  dem  Verlaufe  der  optisch-reflek- 
torischen Bahn  ein.st  entschieden  werden.  Aber  man  muss 
nicht  vergessen,  dass  diese  Untersuchung  oft  mis.slich  ist. 
Mehrmals  habe  ich  dabei  keine  Gewissheit  erlangt  und 
nicht  selten  ergab  eine  wiederholte  Untersuchung  ein  ent- 
gegengesetztes Resultat.  Unter  solchen  Umständen  muss  das 
Ergebnis  in  einem  Falle  wie  dieser  nur  mit  einer  gewissen 
Reserve  aufgenommen  werden.  Der  elende  Zustand  des  Pat. 
und  die  Schwierigkeit  wiederholt  die  Pupillenreaktion  zu 
prüfen,  dürfte  dies  erklären. 

Unter  der   Voraussetzung,  dass  in  diesem  Falle  eine 


hemianopische  Reaktion  nicht  vorhanden  war,  lässt  sich  Fol- 
gendes ermitteln.  Die  Frage  ist,  wie  können  die  Pupillen- 
fasern vom  Tractus  opticus  zum  Iris-Kern  gelangen.  Wie 
ich  unten  in  einer  besonderen  Abhandlung  nachzuweisen 
beabsichtige,  verlaufen  die  Pupillenreflexfasern  nicht  wie 
Bechterew  annimmt  unmittelbar  vom  Chiasma  in  das  Grau 
des  dritten  Ventrikels,  sondern  folgen  eine  Strecke  lang  dem 
Tractus  opticus.  Wo  sie  hier  medialwärts  abweichen,  ist  noch 
nicht  festgestellt.  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  weichen  die 
Fasern  in  der  Nähe  des  Kniehöckers,  wie  Darkschewitsch 
annimmt,  von  der  Sehbahn  ab. 

Im  vorliegenden  Falle  war  der  Tractus  opticus  unver- 
sehrt und  der  Weg  nach  dem  Kniehöcker  völlig  frei,  aber 
unmittelbar  nach  au.ssen  und  nach  hinten  (Taf  IV.  Fig.  2. 
mal;  Taf.  V.  Fig.  2  —  5.)  war  der  Weg  abgeschnitten.  Es 
lässt  sich  deshalb  kaum  denken,  dass  die  Fasern  ihren  Weg 
über  die  Wölbung  des  Pulvinars,  resp.  Thalamus-Oberfläche, 
genommen  haben. 

Wenn  man  die  Fig.  5.  Taf.  V.  betrachtet,  so  wird  man 
leicht  die  Uberzeugung  gewinnen,  dass  die  Tractusfasern, 
welche  eventuell  den  Pes  passiren,  an  seiner  Innenseite  durch 
den  malacischen  Herd  notwendigerweise  abgeschnitten  wer- 
den müssen. 

Wenn  sie  in  den  vorderen  Abschnitt  der  Capsula  in- 
terna eintreten  und  dann  nach  oben  verlaufen,  so  könnten 
sie  dagegen  dann  höher  oben  die  Mittellinie  erreichen,  aber 
keine  klinische  Beobachtung  giebt  eine  Andeutung,  dass  hier 
die  Pupillenfasern  verlaufen. 

Vom  hinteren  Abschnitt  der  Kapsel  können  sie  infolge 
der  hier  befindlichen  grossen  Malacie  ihren  Weg  nach  der 
Mittellinie  nicht  finden. 

Ebenso  wenig  dürften  sie  durch  das  Pulvinar  gehen,  da 
sie  auch  hier  notwendigerweise  durchschnitten  werden  müssten. 

In  Anbetracht  dieser  Umstände  dürfte  der  fast  einzige 
offene  Weg  an  der  unteren  Fläche  des  Thalamus  sein.  Hier 
caudal  von  der  inneren  Kapsel  und  zwischen  dieser  und  dem 
äusseren  Kniehöcker  findet  man  in  der  That  verschiedene 
Tractus-Bündel,  welche  nicht  in  das  Ganglion  geniculatum 
externum  eintreten.  Die  ventralsten  von  diesen  Fasern, 
welche  der  medialen  Wurzel  des  Tractus  entsprechen,  ver- 
laufen dann,  teils  an  der  Oberfläche,  teils  auch  im  Inneren 
des  inneren  Kniehöckers  und  erreichen  sodann  die  Corpora 
4  gemina,  ohne  in  diesem  Falle  ein  Hindernis  auf  ihrem  Wege 
gefunden  zu  haben,  wie  die  Fig.  4 — 5.  der  Tafel  V.  auch 
zeigen. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  zeigt  nun,  dass  auf 
dem  bezeichneten  Wege  Bündel  mit  normalen  Fasern  anzu- 
treffen sind.  Und  da  verschiedene  Forscher  angenommen 
haben,  dass  die  radiären  Fasern  im  Colliculus  anterior  den 
optischen  Reiz  nach  dem  Oculomotorius  resp.  Iris-Kern  hin- 
führen, so  ist  auch  von  Interesse,  dass  auch  diese  hier  in 
ansehnlicher  Anzahl  vorhanden  waren  und  ihre  normale  Be- 
schaffenheit beibehalten  hatten. 

Einen  positiven  Beweis,  dass  die  Opticusreflexfasern 
wirklich  in  der  beschriebenen  Weise  verlaufen  liefert  zwar 
der  P'all  nicht  und  ich  will  hier  besonders  betonen,  dass 
die  oben  stehende  Auseinandersetzung  nur  unter  der  Voraus- 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND  33 


setzAing  richtig  ist,  dass  wirklich  in  diesem  Falle  eine  he- 
mianopische  Reaktion  vorhanden  war. 

Ob  nun  die  radiären  Fasern  des  Colliculus  anterior  wirk- 
lich den  Reflex  vermitteln,  muss  bis  auf  weiteres  als  eine 
noch  offene  Frage  betrachtet  werden. 

In  einigen  früher  beschriebenen  Fällen  (N:o  i  und  4 
Teil  I.)  habe  ich  bei  Opticusatrophie  gefunden,  dass  die 
Kapselfasern  des  inneren  Kniehöckers  zum  Teil  atrophiren, 
dass  aber  die  radiären  Fasern  im  Colliculus  anterior  selbst 
bei  vieljähriger  Opticusatrophie  wenigstens  zum  grossen  Teil 
bestehen  bleiben.  Anderseits  scheinen  die  radiären  Fasern 
wahrscheinlich  nicht  in  direktem  Zusammenhang  mit  den  Op- 
ticusreflexfasern  zu  stehen.  Ein  neues  Ncvron  beginnt  des- 
halb wahrscheinlich  im  Colliculus  anterior. 

Auf  die  Ansicht  von  Darkschewitsch,  dass  die  Opticus- 
reflexbahn  durch  das  Ganglion  habenulse,  die  hintere  Com- 
missur  und  den  oberen  Oculomotoriuskern  verläuft,  gehe  ich 
hier  nicht  weiter  ein,  besonders  da  dieser  Kern  vielleicht  mit 
dem  Oculomotorius  nicht  zusammenhängt  (Kölliker).  Die 
Frage  nach  der  Reflexbahn  für  die  Opticusfasern  wird  unten 
in  Zusammenhange  mit  der  Frage  nach  der  hemianopischen 
Reaktion  näher  behandelt. 

Hallitciiiationen.  Fat.  scheint  eine  Hallucination  gehabt 
zu  haben.  Er  war  unruhig  und  warf  den  Kopf  hin  und  her 
um  ein  rotes  Band  am  unteren  Teil  der  Stirn  los  zu  werden. 
So  scheint  also  die  Hallucination  etwas  nach  oben  projicirt 
worden  zu  sein ;  ob  aber  nach  links  oder  rechts  ist  ungewiss. 

Wenn  die  Hallucination  wirklich  eine  nach  oben  gerich- 
tete war  —  was  jedenfalls  kaum  als  festgestellt  angesehen 
werden  dürfte  —  so  ist  es  bemerkenswert,  dass  die  Läsion 
der  medialen  Occipitalfläche  etwas  mehr  nach  der  ventralen 
als  der  dorsalen  Fläche  hin  ausgedehnt  war,  was  vielleicht 
mit  den  Experimenten  von  Münk  und  Schäfer  u.  a.  über  die 
Wirkung  des  elektrischen  Stroms  oei  Applikation  auf  die 
Occipitalrinde  in  Zusammenhang  gebracht  werden  kann. 

Das  Auftreten  solcher  Hallucinationen  bei  Zerstörung  der 
medialen  Occipitalrinde  bezw.  des  Sehcentrums  dürfte  wohl 
durch  den  Reiz  des  malacischen  Herdes  auf  die  frische  laterale 
oder  ventrale  Rinde  verursacht  sein.  Und  da  nun  die  Rinde 
des  Sehcentrums  zerstört  war,  spricht  die  Beobachtung  für 
die  von  mir  schon  gegebene  Deutung,  dass  die  Gesichtshal- 
lucinationen  bezw.  Vorstellungen  nicht  im  Gesichtscentrum 
entstehen,  sondern  in  der  lateralen  resp.  ventralen  Rinde. 
Ähnliche  mit  Hallucinationen  verbundene  Hemianopsien  sind 
schon  mehrmals  von  Wilbrand  und  mir  (Fälle  21,  22,  28, 
3O'  35»  36,  45,  Teil  I  und  II)  und  später  von  Seguin,  Fr. 
Peterson  in  New  York  u.  A.  beobachtet  worden. 

III.  IV.  VI.  Unmittelbar  nach  dem  Anfalle  am  92 
blieb  Fat.  mit.  geschlossenen  Augen  liegen.  Am  folgenden  Tag 
öffnete  er  beim  Anreden  das  linke  Augenlid  und  richtete 
dann  das  Auge  gegen  den  Sprechenden;  das  rechte  Augenlid 
war  herabgefallen  und  Fat.  konnte  es  nicht  erheben.  Ob  die 
Augen  nach  irgend  welcher  Richtung  abgelenkt  waren,  konnte 
daher  nicht  beobachtet  werden.  Dagegen  nahm  man  wahr, 
dass  Fat.  das  linke  Auge  nach  allen  Seiten  hin  ohne  Schwie- 
rigkeit bewegen  konnte.  Erst,  nach  etwa  drei  Wochen,  konnte 

S.  E.  Hen  sehen.     Pathologie  des  Gehiiits. 


Fat.  das  rechte  Augenlid  aufschlagen,  aber  dieses  gelang  nur 
zur  Hälfte. 

Bei  der  Aufnahme  im  Krankenhause  am  ^-/2  92  schien 
eine  gelinde  Deviation  conjuguee  nach  rechts  vorhanden  ge- 
wesen zu  sein,  aber  bei  der  Untersuchung  am  19.  s.  M.  konnte 
keine  Abweichung  betreffs  der  Augenbewegung  mehr  wahr- 
genommen werden.  Jedoch  muss  bemerkt  werden,  dass  Fat. 
das  rechte  Augenlid  halbgesenkt  hielt  und  es  nicht  mehr  als 
bis  zur  Hälfte  heben  konnte,  und  das  die  Augenbewegungen 
deshalb  nur  wenige  Mal  untersucht  worden  sind.  Dabei  wurde, 
wie  gesagt,  kein  Strabismus  wahrgenonmien. 

Hieraus  erfolgt,  dass  keine  auffallendere  Form  einer 
Augenablenkung  vorhanden  war,  dagegen  eine  ausgesprochene 
Parese  des  rccJiten  Levaior  palpebi-a;  siiperioris. 

Bei  der  ausgedehnten  Malacie  der  Gehirnoberfläche  und 
der  Centralganglien  sowie  auch  der  kleinen  Malacie  im  Be- 
reiche der  Augennervenkerne  lässt  sich  nicht  mit  Sicherheit 
eruiren,  wo  die  Ursache  der  konjugirten  Augenablenkung  zu 
lokalisiren  sei. 

Einerseits  lässt  sich  denken,  dass  die  Malacie  der  media- 
len Occipitalrinde  die  Aussenfläche  des  Occipitallappens  ge- 
reizt hatte  und  dadurch  wie  bei  den  Munk'schen  und  Schä- 
fer'schen  Experimenten  eine  Augenablenkung  hervorgerufen 
worden  sei.  Dann  finden  wir  am  lateralen  Rande  des  äusse- 
ren Kniehöckers  eine  beschränkte  Malacie,  welche  reflektorisch 
gewirkt  haben  könnte,  weiter  liegen  die  kleineren  und  grös- 
seren Malacien  im  Thalamus  in  der  unmittelbaren  Nähe  der 
optisch  reflektorischen  Fasern,  endlich  liegt  eine  kleine  Ma- 
lacie in  der  Nähe  der  Kerne  der  Augennerven  und  dehnt  sich 
im  Bereiche  der  peripherischen  Augennerven  aus. 

Unter  solchen  Umständen  wird  jeder  Versuch  Schlüsse 
aus  dem  Falle  betreft's  der  Lage  des  Herds,  welcher  die 
konjugirte  Deviation  hervorgerufen  haben  möchte,  misslich 
und  unsicher  sein.  Jedenfalls  war  die  Deviation  eine  transi- 
torische  und  beweist,  dass  die  Innervation  der  Augen  eine 
bilaterale  war.  Und  sowohl  das  bilaterale  Auftreten  wie 
Verschwinden  der  Deviation  spricht  dafür. 

Wichtiger  scheint  mir  der  Umstand,  dass  einerseits 
kein  ausgesprochener  Strabismus,  anderseits  eine  ausgeprägte 
Parese  des  rechten  Augenlidhebers  vorhanden  war.  Nun 
wurde  bei  der  sorgfältigen  mikroskopischen  Untersuchung  der 
Centralganglien  in  Serienschnitten  eine  damit  in  Zusammen- 
hang stehende  kleine  Malacie  entdeckt.  Wie  aus  der  Taf.  V. 
Fig.  4,  5  zu  ersehen  ist,  liegt  sie  0,5 — i  m.m.  lateral  von 
der  Mittellinie  des  Centralkanales.  Diese  Malacie  dringt  von 
unten  nach  oben  vor  und  erstreckt  sich  auch  an  einer  sehr 
beschränkten  Stelle  etwa  i  — 1,5  m.m.  in  das  centrale  Grau 
nach  dem  Aquädukt  hin.  Sie  kann  hinsichtlich  ihrer  Aus- 
dehnung von  vorn  nach  hinten  genau  umgegrenzt  werden, 
in  dem  sie  den  Trochleariskcrn  zum  grössten  Teil  zerstört 
hat,  und  eine  Ausdehnung  in  sagittaler  Richtung  von  etwa 
0,75 — I  m.m.  hat,  in  dem  sie  etwa  25  dünne  Schnitte  umfa.sst. 

Man  kann  nun  infolge  der  deutlichen  Degeneration  des 
Trochleaiis  den  Verlauf  dieses  Nerven  sehr  praecise  bis  zu 
seinem  Austritt  aus  der  INIedulla  verfolgen.  Wenn  man  die 
beiden  Nerven  hier  durchmustert,  so  findet  man  in  dem 
degenerirten  Nerven  keine  einzige  normale  Nervenfaser  und 

5 


34 


S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


in  dem  normalen  keine  einzige  degenerirte.  Einen  schlagen- 
deren Beweis  für  den  schon  durch  Gudden  bewiesenen  Satz, 
dass  die  Kreuzung  des  Trochlearis  eine  totale  sei,  lässt  sich 
kaum  denken;  und  die  Beweiskraft  dieses  Falles  übertrifft 
also  fast  die  der  Gudden'schen  Experimente.  Keine  einzige 
Faser  tritt  also  vom  rechten  Trochleariskern  in  den  von  dem 
linken  Kern  ausgehenden  Nerven  ein.  Dadurch  ist  jedoch 
nicht  bewiesen,  dass  nicht  möglicherweise  Fasern  vom  rechten 
Trochlearis  heraus  in  den  linken  Kern  als  selbständige  Nev- 
ronen  übertreten  und  dort  mit  den  Zellen  in  physiologischer 
Verbindung  stehen. 

Die  Malacie  mi,sst  in  frontaler  Richtung  nur  etwa  0,5 
m.m.,  ihre  mediale  Begrenzung  liegt  hinten  etwa  i  m.m., 
vorne  nur  etwa  0,5  m.m.  von  der  Mittellinie  entfernt. 

Wir  haben  also  hier  eine  minimale  Läsion  vor  uns  und 
im  Zusammenhang  mit  ihr  eine  deutliche  Funktionsstörung, 
eine  Parese  des  rechten  Augenlidhebers.  Die  Sache  scheint 
also  im  ersten  Augenblicke  sehr  einfach  zu  sein,  nämlich 
dass  der  Kern  des  Augenlidhebers  in  unmittelbarer  Nähe  des 
Trochleariskerns  liegen  muss.  Indessen  ergiebt  sich  aus  einer 
genaueren  Untersuchung  bald,  dass  so  einfache  Verhältnisse 
nicht  vorhanden  sind. 

Zuerst  will  ich  das  Verhalten  des  Trochleariskerns  näher 
beleuchten.  Die  Lage  des  durch  die  Malacie  zerstörten  Kerns 
ist  genau  die  der  von  Siemerling  auf  Taf.  X  Fig.  I  und 
I  a  mit  ß  bezeichneten  Zellengruppe,  und  nicht  die  der 
mit  »Trochl.  Kern»  (Trochlearis  Kerns)  bezeichneten.  Die 
in  meinem  Falle  zerstörte  Gruppe  liegt  also  zwischen  den 
Bündeln  des  Fasciculus  longitudinalis.  Die  wenigen  erhalten 
gebliebenen  Zellen  sind  recht  gross.  Die  Gruppe  ist  zwar 
zum  grössten  Teil  durch  die  Malacie  zerstört,  aber  die  hin- 
tersten Zellen  sind  noch  vorhanden.  Hier  markirt  sich  die 
Gruppe  am  besten  durch  die  Degeneration  der  von  der  Gruppe 
ausgehenden  Trochlearisfasern.  In  diesen  sind  nämlich  die 
Markscheiden  in  grosse  schwarze  Klumpen  zerfallen,  aber  da 
eine  Resorption  noch  nicht  stattgefunden  hat,  so  heben  sich 
die  Fasern  nun  sehr  schön  und  scharf  ab. 

Man  dürfte  darum  zur  Frage  berechtigt  sein,  warum  ein 
Strabismus  des  linken  Auges  nicht  gefunden  wurde,  obschon 
der  zugehörige  Trochlearisnerv  und  sein  Kern  vollständig 
degenerirt  waren.  Leider  kann  ich  darauf  keine  Antwort  ge- 
ben, aber  wahrscheinlich  war  eine  Parese  vorhanden,  wurde 
aber  nicht  bemerkt,  was  w'ohl  in  dem  elenden  Zustand  des 
Pat.  seine  Erklärung  findet. 

Viel  schwieriger  ist  die  Frage  zu  lösen,  in  welchem  Zu- 
sammenhang steht  die  Parese  des  rechten  Augenlidhebers  zu 
der  kleinen  Malacie,  oder  an  welcher  Stelle  sind  die  Fasern 
des  Augenlidhebers  alterirt.  Diese  Frage  mit  Sicherheit  zu 
beantw'orten  wird  sehr  schwierig  sein. 

Die  Malacie  dringt  von  hinten  und  von  unten-aussen 
gegen  die  Mittellinie  zwischen  den  Fasern  des  Fasciculus  longi- 
tudinalis ein;  hier  an  dem  proximalsten  und  dorsalsten  Punkte 
der  Malacie  hat  sie  den  Trochleariskern  erreicht  und  dringt 
hier  in  das  Aquäductus-Grau  etwa  i  — 1,5  m.m.  ein  (Fig.  4). 
Der  unmittelbare  Eindruck  bei  der  Durchmusterung  der 
Schnitte  war  also,  dass  die  Malacie  hier  in  der  Nähe  des 
Trochleariskerns  den  Kern  des  Levator  getroften  hatte.  Und 


in  Anbetracht  der  kleinen  Ausdehnung  der  Läsion  (0,5 — i 
m.m.  breit,  0,75 — i  m.m.  in  sagittaler  Richtung)  wäre  dann 
zum  ersten  Male  die  Lage  des  Levatorkerns  ziemlich  exakt 
bestimmt.  Aber  nach  untcn  hinten  dringt  die  halbmondför- 
mige Malacie  des  Pes  (Taf  V  Fig.  4 — 6)  medialwärts  und 
erreicht  in  der  Mittellinie  einen  Punkt  unmittelbar  hinter  dem 
Austritt  des  Oculomotorius.  Auch  etwas  dorsal  vom  Aus- 
tritte des  Nervenstammes  ist  das  Gewebe  malacisch. 

Eine  genaue  Durchmusterung  der  Präparate  hat  mich 
überzeugt,  dass  die  mehr  centralen  Abschnitte  des  Nervus 
Oculomotorius  intakt  sind.  Dagegen  enthalten  die  hintersten 
(caudalsten)  Bündel  degenerirte  Fasern.  Demnach  entsteht  die 
P>age,  woher  stammen  diese  Fasern.  Da  kein  ausgeprägter 
Strabismus  wahrgenommen  wurde,  wohl  aber  eine  Levator- 
Parese,  so  dürften  wohl  die  degenerirten  Fasern  dem  Levator 
angehören.  Weiter  ist  zu  bemerken,  dass  die  Degeneration 
nur  eine  beschränkte  ist  und  dass  diese  nur  die  hinteren  Bün- 
del betraf.  Da  nun  auch  die  Malacie  im  Aquäduktus-Grau 
im  hintersten  Bereiche  des  ventralen  Oculomotoriu.s-Herdes 
liegt,  so  ist  wohl  der  Schluss  einigermassen  berechtigt,  dass 
der  Kern  des  Levators  caudal  in  dem  Bereiche  der  Kerne  des 
Oculomotorius  liegt. 

Nun  sollen  nach  Hensen  und  Völckers  die  Kerne  des 
Obliquus  inferior  und  Rectus  inferior  am  caudalsten  liegen, 
dann  erst  käme  der  Levatorkern.  Nach  Kahler  und  Pick 
soll  der  Levatorkern  caudal-lateral  liegen,  nach  Starr  lateral 
mehr  nach  vorne,  und  Leube  fand  bei  einem  kleinen  apoplek- 
tischen  Herd  im  dorsalen  lateralen  Teile  des  Oculomotorius- 
Kerns  eine  Levatorparese  und  Erweiterung  der  gleichseitigen 
Pupille.  Diese  Angaben  scheinen  mit  dem  Resultate  in 
diesem  Falle  kaum  vereinbar.  Besser  stimmt  die  Lage  mit 
der  von  Siemerling  in  seiner  grossen  Abhandlung  über  die 
Oculomotoriuskerne  als  Kern  des  Levator  beschriebene  Zel- 
lengruppe. Nach  Siemerling  sollen  wir  die  Zellen  »für  die 
Heber  der  Augenlider  im  hinteren  lateralen  Abschnitt  der 
Oculomotorius-Kerngruppe  zu  suchen  haben».  Diese  Zellen- 
gruppe bildet  ein  Zwischenglied  zwischen  dem  Trochlearis- 
kern und  dem  eigentlichen  Oculomotoriuskern  und  verhielt 
sich  in  den  von  Siemerling  beschriebenen  Fällen  in  derselben 
Weise  wie  der  Oculomotorius-  und  der  Trochleariskern.  Wo 
Ptosis  vorhanden  war,  da  war  auch  dieser  Kern  degenerirt, 
wo  aber  keine  Ptosis  auftrat,  da  waren  auch  diese  Zellen 
normal.  Hierauf  gestützt  schloss  Siemerling,  wie  es  scheint 
aus  guten  Gründen,  dass  dieser  Kern  als  zum  Oculomotorius 
gehörig  das  Centrum  für  den  Levator  Palpebrae  bildet,  eine 
Annahme  welche  sich  nicht  mit  der  bisherigen  deckt,  nach 
welcher  der  Kern  des  Levator  weiter  nach  vorn  lateralwärts 
gelegen  wäre.  Das  Zusammentreffen  der  Symptome  mit  dem 
Resultat  der  pathologisch-anatomischen  Forschung  war  aber 
ein  konstantes.  Siemerling  diskutirt  dann  die  Möglichkeit 
der  Zusammengehörigheit  des  erwähnten  Kernes  mit  dem 
Augenfacialis. 

Was  nun  diese  Möglichkeit  anbelangt,  so  waren  im  vor- 
liegenden Falle  zwar  die  von  dem  Augenfacialis  innervirten 
Orbicularismuskeln  beim  Schliessen  links  etwas  schwächer 
als  rechts,  aber  wie  ich  schon  in  den  ersten  Teilen  meiner 
Arbeit  mehrmals  im  Gegensatz  mit  den  geläufigen  Ansichten 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


35 


betont  habe,  ist  dies  bei  Hemiplegien  in  der  Regel  der  Fall, 
obschon  es  bisher  nur  selten  bemerkt  worden  war. 

In  einer  Arbeit  späteren  Datums  *  ist  nun  Siemerling 
aus  wie  es  mir  scheint  wenig  stichhaltigen  Gründen  zu  ganz 
anderen  Resultaten  gekommen.  Er  sagt  nämlich  in  Zusam- 
menhang mit  der  Untersuchung  eines  Falles  von  kongenitaler 
Ptosis:  »der  von  mir  früher  als  zum  Levator  gehörig  bezeich- 
nete ventrale  beginnende  Oculomotoriuskern  steht  mit  der 
Funktion  dieses  Muskels  nach  dem  vorliegenden  Befund  kaum 
in  Beziehung.» 

Ohne  weiter  auf  diese  noch  offene  Frage  einzuge- 
hen, kann  man  aus  dem  vorliegenden  Falle  schliessen,  dass 
der  Levator  wahrscheinlich  aus  Zellen  in  der  unmittelbaren 
Nähe  des  Trochleariskerns,  und  also  aus  den  caudaleten  Oculo- 
motoriuskernzellen  innervirt  wird  und  dass  seine  Fasern  zu 
den  caudalsten  des  Oculomotorius  gehören. 

Dagegen  muss  ich  betonen,  dass  dieser  Fall  keineswegs 
entscheidend  ist,  da  die  unregelmässige  Ausdehnung  der  Ma- 
lacie  nicht  eine  Verletzung  der  Oculomotoriusfasern  an  einem 
anderen  Punkte  als  hier  erwähnt  ist  ausschliesst. 

Beide  Pupillen  reagirten  auf  Lichtreiz,  aber  die  rechte 
war  etwas  kleiner  als  die  linke.  Dieser  Befund  steht  dem 
Leube'schen  entgegen,  welcher  in  seinem  Falle  eine  Combi- 
nation  einer  Erweiterung  der  rechten  Pupille  mit  einer  Parese 
des  gleichseitigen  Levator  fand. 

Einen  Schluss  aus  der  unbedeutenden  Veränderung  in 
der  Grösse  der  Pupille  zu  ziehen,  dürfte  nicht  erlaubt  sein, 
wohl  aber  weist  die  vorhandene  Pupillenreaktion  darauf  hin, 
dass  die  kleine  Malacie  weder  dies  Pupillencentrum  noch  die 
austretenden  Pupillenfasern  getroffen  haben  kann. 

V.  Eine  Anästhesie  des  Gesichts  bei  der  Untersuchung 
am  ^/i2  soll  nicht  vorhanden  gewesen  sein.  Dies  ist  beson- 
ders auffallend,  da  der  Arm  und  das  Bein  in  so  hohem  Grade 
anästhetisch  waren.  Selbst  wenn  man  annimmt,  dass  die 
linke  Hälfte  des  Gesichts  nicht  ganz  gefühllos  war,  so  ver- 
dient dieser  Umstand  Aufmerksamkeit  und  dürfte  kaum  an- 
ders als  durch  die  bilaterale  Innervation  des  Gesichts  erklärt 
werden  können.    (Vergl.  unten,  unter  Sensibilitätsstörungen.) 

VII.  Die  Bewegungen  des  Gesichts  waren  beiderseits 
gleich  und  eine  Unregelmässigkeit  nicht  vorhanden.  Nur  bei 
stärkerem  Zusammenkneifen  der  Augen  trat  zu  Tage,  dass  die 
Bewegungen  des  linken  Orbicularis  auch  etwas  schwächer 
waren.  Es  bewährt  sich  also  die  von  mir  mehrmals  konstatirte 
Regel,  dass  bei  Hemiplegie  auch  die  Augenmuskulatur  (Or- 
bicularis) teilnimmt,  obschon  nur  wenig  zufolge  der  bilate- 
ralen Innervation.  Eine  gelinde  Schwäche  tritt  in  der  Regel 
erst  bei  excessiven  Bewegungen  auf.  In  diesem  Falle  war 
überhaupt  die  Motilitätsstörung  eine  geringe  im  Verhältnis 
zu  der  der  Sensibilität. 

VIII.  Auffallend  ist,  dass  das  Gehör  beiderseits  gleich 
gut  war  **,  obschon  hier  die  Masse  des  inneren  Kniehöckers 
zerstört  war.  In  der  Medulla  oblongata  vom  Eintritt  des 
Nervus  acusticus  bis  zum  hinteren  Colliculus  Corp.  4-gemin. 

*  Archiv  f.  Psychiatrie.    Bd  XXIII  S.  770  u.  folg. 

'*  Der  geringe  Unterschied  links  Gehör  auf  35  m.m.,  rechts  erst  auf  30 
!li.iTi;s  Abstand  liegt  innerhalb  der  Fehlgrenzen. 


war  die  Gehörbahn  intakt.  Soweit  ich  ersehen  kann,  ist  es 
auch  wahrscheinlich,  dass  die  oberflächlichen  Fasern  des 
Corpus  geniculatum  internum  intakt  waren  und  dass  also 
auch  Di'öglicherzueise  die  sogenannten  »direkten  Rindernfasern», 
welche  einige  Forscher  annehmen,  eine  bis  zum  Temporal- 
lappen freie  Bahn  vorfanden.  Dagegen  war  die  anatomische 
Beschaffenheit  des  inneren  Kniehöckers  und  des  hinteren 
Drittels  der  Capsula  interna  derart  verändert,  dass  die  Gehör- 
fasern das  Innere  des  Corpus  geniculatum  internum  oder  das 
hintere  Drittel  der  Capsula  interna  kaum  intakt  passiren  könn- 
ten. Ein  Blick  auf  die  Fig.  3 — 5  Taf  V  zeigt  sogleich, 
dass  der  Weg  hier  durch  die  ausgedehnte  Malacie  versperrt 
worden  ist.  Zum  Teil  kann  man  möglicherweise  das  Ver- 
halten des  Gehörs  mit  der  bilateralen  Innervation  der  Gehör- 
bahn, welche  nunmehr  durch  die  interessanten  Held'schen 
Beobachtungen  nachgewiesen  ist,  begründen. 

IX.  Der  Geschmacksinn  war  beiderseits  gleich  gut, 
obschon  der  hintere  Teil  der  inneren  Kapsel  beschädigt  war 
(s.  unten).  Dies  spricht  gegen  die  Annahme  eines  »Carre- 
four  sensitif»,  falls  sich  hier  nicht  die  bilaterale  Innervation 
geltend  gemacht  hat. 

XII.  Eine  Abweichung  der  Zunge  oder  Parese  ihrer 
linken  Hälfte  war  nicht  vorhanden.  Auch  war  der  motorische 
Abschnitt  der  inneren  Kapsel  und  die  Pyramidenbahn  fast  in- 
takt. Dagegen  muss  bemerkt  werden,  dass  die  halbmond- 
förmige Malacie  am  fronto-medialen  Rande  des  Pes  die  Pes- 
fasern  berührt  hat.  Ob  dadurch  Hypoglossusfasern  getroffen 
wurden  oder  nicht,  lässt  sich  nicht  entscheiden. 

Die  Sensibilität 

der  Glieder  und  des  Rumpfes  war  bedeutend  vermindert. 

Drucksinn:  Pat.  war  links  nicht  völlig  anästhetisch,  son- 
dern empfand  stärkeren  Druck.  Am  Bein  war  das  Druck- 
gefühl besser  erhalten. 

Der  Schinerzsinn  war  am  Arme  fast  vollständig  ver- 
schwunden, am  Beine  dagegen  etwas  besser  erhalten. 

Durch  den  faradischen  Strom  konnte  weder  am  linken 
Beine  noch  am  linken  Arme  Schmerz  Hervorgerufen  werden. 
Ebenso  war  dass  Verhältnis  an  der  Brust. 

Der  Temperatiirsinn:  Sowohl  warme  als  kalte  Gegen- 
stände wurden  vom  Pat.  als  kalt  empfunden. 

Die  Prüfung  des  Ortsinns  ergab  keine  genauen  Resultate. 

Kurzum,  es  waren  also  alle  Sensibilitätsqualitäten  be- 
deutend herabgesetzt,  der  Schmerzsinn  selbst  fast  vollständig 
verschwunden  und  der  Temperatursinn  abnorm.  Im  Ganzen 
bestätigt  sich  also  die  von  mir  schon  oft  konstatirte  Regel, 
dass  die  Störungen  der  Sensibilitätsqualitäten  einander  parallel 
verlaufen. 

Was  die  Ursache  der  Störungen  betrifft,  so  kann  man 
zunächst  bemerken,  dass.  keine  anatomische  Veränderung  in 
der  Medulla  oblongata  oder  in  der  Rinde  vorhanden  war, 
welche  die  Störung  hätte  erklären  können.  In  der  sensiblen 
Bahn  waren  grössere  Veränderungen  vorhanden. 

l)  Eine  kleine  streifenförmige  Malacie  zieht  sich  durch 
die  Schleife  occipital  vom  hinteren  Colliculus  inferior  hin.  Diese 
scheint  eine  nur  geringe  Anzahl  von  Fasern  getroften  zu  ha- 


36 


S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


ben.  Da  Fasern  hier  nicht  quer  von  derselben  durchtrennt 
worden  sind,  so  dürfte  die  Läsion  in  der  That  nur  als  eine 
unbeträchtliche  angesehen  werden. 

2)  Im  Thalamus  zwischen  dem  Nucleus  ruber  und  dem 
hinteren  Abschnitte  der  inneren  Kapsel  (Taf.  V,  Flg.  l — 3). 
Wir  sehen  hier,  dass  das  Bündel,  welches  in  die  Kapsel  ein- 
strahlt zum  grossen  Teil  durchschnitten  ist  und  zwar  beson- 
ders im  ventralen  Abschnitt  des  Sehhügels.  An  mehr  dor- 
salen Schnitten  wird  zwar  die  Malacie  (Fig.  V  Taf.  i — 2) 
etwas  kleiner,  aber  erst  in  den  dorsalsten  wird  die  Einstrahlung 
der  Fasern  vom  Thalamus  nur  an  einer  beschränkten  Stelle 
beeinträchtigt. 

Die  Bahn  von  der  Schleife  bis  zum  Globus  pallidus,  ist 
sonst  an  keinem  Punkte  unterbrochen.  Die  Gegend  zwischen 
dem  Nucleus  ruber  und  dem  Luy'schen  Körper  ist  nicht  von 
einer  Malacie  betroffen;  dieser  Körper  selbst  ist  nicht  lädirt 
und  zahlreiche  frische  Fasern  vermitteln  durch  die  Capsula 
interna  die  Verbindung  mit  dem  Globus  pallidus. 

Der  Globus  pallidus  ist  im  Ganzen  unversehrt,  wenn  auch 
der  occipitale  Abschnitt  der  Laminje  eine  Anzahl  von  degene- 
rirten  Fasern  zeigt,  eine  Veränderung,  welche  occipitalwärts 
zunimmt  und  besonders  im  occipitalen  Teile  des  Putamens 
hervortritt. 

In  Anbetracht  des  Umstandes,  dass  die  Malacie  beson- 
ders die  von  der  Schleife  nach  dem  hinteren  Drittel  der 
Kapsel  verlaufenden  Fasern  unterbrochen  hat,  so  scheint  die- 
ser Fall  die  Annahme,  dass  die  sensiblen  Fasern  hier  verlau- 
fen,  zu   bestätigen.    Es  lässt  sich  aber  denken,  dass  diese 


Fasern  teils  da,  wo  die  kleine  Malacie  die  Schleife  durch- 
setzt, teils  auch  da  wo  die  Malacie  die  Gegend  der  Substantia 
nigra  einnimmt,  hochgradig  beeinträchtigt  sind  und  dass  die 
Läsion  hauptsächlich  dort  hin  verlegt  werden  muss. 

Der  Fall  lässt  sich  also  auf  verschiedener  Weise  deuten, 
wenn  auch  die  erste  Deutung  am  wahrscheinlichsten  ist. 

Auf  diesem  Wege  scheinen  die  sensiblen  Fasern  nun 
vollständig  durchtrennt  worden  zu  sein.  Aus  der  Fig.  3 
Taf.  V  ersieht  man,  dass  die  Haubenstrahlung  doch  nicht 
ganz  zerstört  war,  wenn  auch  die  Masse  der  Fasern  zu  Grunde 
gegangen  ist. 

Auffallend  bleibt,  dass  der  Miiskelsinn  am  besten  erhal- 
ten war.  Pat.  kannte  die  Lage  seiner  Extremitäten,  was  wohl 
dadurch  zu  erklären  ist,  dass  die  verschiedenen  Sensibilitäts- 
qualitäten nicht  vollständig  verloren  gegangen  waren. 

Die  Motilität 

ist  zwar  bedeutend  herabgesetzt,  aber  im  Vergleich  mit  den 
Sensibilitätsstörungen  sind  diejenigen  der  Motilität  nicht  so 
hervortretend,  wie  es  gewöhnlich  der  Fall  ist.  Überhaupt 
konnte  Pat.  die  verschiedensten  Bewegungen  ausführen,  wenn 
auch  in  geringerem  Umfange  und  nicht  so  kräftig  als  im 
normalen  Zustande. 

In  Übereinstimmung  hiermit  wurde  die  Bahn  an  keinem 
Punkte  unterbrochen  gefunden.  Im  Pes  liegt  jedoch  eine 
grosse  Malacie  in  der  unmittelbaren  Nähe  (frontomedial)  des 
motorischen  Abschnittes.  Auch  ist  die  Pyramidenbahn  weder 
eingeengt  noch  degenerirt. 


Fall  3.   Anders  Ersson. 

Bauer:  66  Jahre. 
Tafel  VI.  VII. 


Klinische  Diagonse:  Hemiplegla  dextpa  e.  Aphasla, 

Krankeng  eschichte. 

Folgende  anamnestische  Angaben  sind  von  den  Verwandten 
des  Patienten  gemacht  worden. 

Eine  hereditäre  nervöse  Belastung  soll  sich  in  der  Familie 
nicht  vorfinden.  Pat.  soll  nie  vorher  krank  gewesen  sein.  Alko- 
hol hat  er  wohl  zu  sich  genommen,  jedoch  nicht  im  Übermass. 
Er  hatte  nie  Lues.  Er  hat  immer  das  fleissige  Leben  eines 
Landmannes  geführt.  Seinem  Wesen  nach  war  er  verschlossen 
und  zurückhaltend,  ohne  jedoch  gerade  grüblerisch  zu  sein.  Sein 
Bildungsgrad  war  im  Verhältnis  zu  seinem  Beruf  ein  sehr  guter. 
Er  liebte  es  sehr  Zeitungen  zu  lesen  und  fertigte  selbständig 
die  schriftlichen  Arbeiten  für  sein  Geschäft. 

Als  Ursache  der  Krankheit  des  Patienten  werden  ckono- 
mische  Schwierigkeiten  angegeben.  Seit  ungefähr  einem  Jahre 
erschien  er  grüblerisch  und  hatte  sich  von  seiner  Umgebung  iso- 
lirt.  Während  des  letzten  halben  Jahres  oder  von  Johanni  ab 
gab  er  oftmals  an,  dass  er  das  Gcfii/il  habe  als  ob  ihm  ehvas 
durch  das  rechte  Bein,  die  rechte  Seite  und  den  rechten  Arm  bis 
in  den  Kopf  hinauf  laufe.  Diese  Empfindung  scheint  von  ziem- 
lich kurzer  Dauer  gewesen  zu  sein;  wie  oft  sie  aber  auftrat,  — 


Pat  hol.  anat.  Diagnose:  Gesehwulst  in  dep  linken  Hemisphäre. 

wahrscheinlich  täglich  —  kann  jedoch  mit  Sicherheit  nicht  an- 
gegeben werden.    Oft  klagte  er  auch  über  Kopfweh. 

An  Weihnachten  wurde  bemerkt,  dass  Pat.  nicht  mehr 
lesen  liwllte.  Wenn  er  eine  Zeitung  nahm,  warf  er  sie  gleich 
wieder  weg.  Ob  diese  Erscheinung  darauf  beruhte,  dass  sein  Seh- 
vermögen schlechter  geworden  war  oder  ob  er  das  Gelesene 
nicht  mehr  erfasste,  bleibt  unentschieden.  Sprachfehler  wurden 
nicht  bemerkt,  auch  schien  er  das  gesprochene  Wort  richtig 
aufzufassen. 

Etwas  später  erzählte  der  Pat.,  dass  er  die  Augen  doppelt 
sehe  und  auch  später  scheint  er  die  Gegenstände  doppelt  gesehen 
zu  haben. 

Alitte  Januar  zeigten  sich  Motilitätsstörungen.  Der  Gang 
wurde  schleppend,  besonders  rechterseits.  Daneben  wurde  be- 
merkt, dass  der  Pat.  eine  Tendenz  zeigte  nach  rechts  zu  gehen. 
Der  rechte  Arm  wurde  immer  schwächer  und  es  machte  ihm 
Schwierigkeit  den  Löffel  zum  Munde  zu  führen.  Schon  zur  selben 
Zeit  (Mitte  Januar)  wurde  bemerkt,  dass  er  die  Gegenstände  nicht 
benennen  konnte.  Es  war  nicht  sicher,  ob  er  das  Gesprochene 
noch  verstand.   Dass  dies  oft  nicht  der  Fall  war,  ist  gewiss.  In 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


37 


seine  Reden  und  Antworten  mischte  er  eine  Masse  unzusam- 
menhängender Worte  ein,  so  dass  seine  Verwandten  ihn  nicht 
mehr  verstehen  konnten. 

Seit  dieser  Zeit  verbUeb  sein  Zustand  auf  diesem  Stand- 
punkte und  neue  Symptome  traten  nicht  hinzu.  Er  soll  nie 
gefallen  sein  und  hatte  keinerlei  Zuckungen.  Auch  wurden  keine 
Hallucinationen  beobachtet,  und  niemals  wurde  bemerkt,  dass  er 
für  sich  selbst  sprach.  Er  war  immer  ausser  Bett.  Nur  einige 
Tage  im  April  war  er  bettlägerig  und  Hess  dann  den  Harn  unter 
sich  gehen,  ohne  es  zu  bemerken. 

Am  lo.  April  wurde  der  Pat.  nach  Upsala  gebracht,  um 
ins  Krankenhause  aufgenommen  zu  werden.  Auf  eigenes  Ver- 
langen wurde  der  Wagen  in  der  Stadt  gelassen  und  Pat.  wollte 
zu  Fuss  zum  Krankenhause  gehen  und  zwar  ohne  Hülfe  seines 
Sohnes,  der  ihn  begleitete.  Aber  auf  dem  Wege  begann  Pat.  zu 
schwanken.  Er  schien  nach  links  sehen  wollen,  um  da  etwas 
zu  fassen,  aber  fiel  nach  rec/its  um.  Das  Bewusstsein  war  niclit 
verloren,  es  traten  keine  Zuckungen  auf  und  Pat.  konnte  dann 
selbst  mit  Unterstützung  bis  zum  Krankenhaus  gehen. 

Am  ID.  April  1892  wurde  er  ins  Krankenhaus  aufge- 
nommen. 

Status  praesens  am  23.  April  1892  und  den  folg.  Tagen. 

Allgemeiner  Zustand. 
Pat.  ist  kräftig  gebaut,  das  Fettpolster  ist  gut  entwickelt, 
sowie  auch  die  Muskulatur.    Die  Kräfte  sind  herabgesetzt.  Der 
Appetit  gut,   Stuhlgang  träge.    Der  Schlaf  scheint  gut  zu  sein. 
Der  Puls  regelmässig,  die  Frequenz  60.    Die  Temperatur  afebril. 

Subjektive  Symptome. 

Auf  die  Frage  nach  seinem  Befinden  antwortet  er  immer 
»gut».  Bisweilen  führt  er  die  Hand  zum  Kopfe  und  antwortet  auf 
die  Anfrage,  ob  es  da  schmerze,  »ja»,  aber  er  kann  den  Ä/^w^'/'z 
nicht  lokalisiren.    Sonst  klagt  er  über  nichts. 

Objektive  Untersuchung. 

Psychische  Funktionen.  Der  Gesichtsausdruck  ist  schlaff 
und  gleichgültig.  Der  Blick  abwesend.  Die  Auffassung  und  die 
Beurteilung  ist  umnebelt.  So  z.  B.  kann  er  nicht  lernen  den 
Spucknapf  zu  benutzen.  Wenn  er  den  Harn  lassen  will,  fasst  er 
zwar  das  Nachtgeschirr,  aber  es  scheint  ihm  unmöglich  zu  sein 
zu  entscheiden,  ob  er  es  richtig  oder  verkehrt  hält.  Oft  lässt  er 
den  Harn  unter  sich.  Das  Gedächtnis  ist  sehr  lückenhaft  so- 
wohl betreffs  Ereignisse  älteren  als  neueren  Datums.  Er  erkennt 
mich,  aber  kann  sich  nicht  erinnern,  ob  ich  ihn  schon  an  dem- 
selben Tage  besucht  habe. 

Bei  dem  ersten  Besuche  seiner  Söhne  gab  er  kein  Zeichen, 
dass  er  sie  erkannt  hatte,  aber  bei  dem  zweiten  Besuche 
war  er  sehr  bewegt.  Am  30.  April  und  später  erkannte  er 
seinen  Sohn  gar  nicht.  Die  Stimmung  ist  gut,  etwas  wechselnd. 
Wenn  er  bei  klarerem  Bewusstsein  ist,  bricht  er  leicht  in  Thrä- 
nen  aus.  Oft  ist  er  schwermütig,  wenn  er  das  beabsichtigte 
Wort  nicht  hervorbringen  kann. 

Aphasie. 

Worttaubheit.  Wenn  man  den  Pat.  anredet,  während  er 
die  Augen  geschlossen  hat,  giebt  er  gewöhnlich  kein  Zeichen,  dass 
er  die  Frage  verstanden  hat.    Auf  die  Anfrage,  wie  er  heisst, 


murmelt  er  etwas  unverständliches,  nennt  jedoch  nicht  seinen 
Namen,  bisweilen  giebt  er  jedoch  zur  Antwort:  »Anders».  Wenn 
dagegen  der  Pat.  den  Fragenden  betrachtet,  so  versteht  er  wenig- 
stens die  gewöhnlichsten  und  einfachsten  Fragen.  So  versteht 
er  z.  B.,  wenn  man  sich  nach  seinem  Namen,  Wohnort,  Alter, 
Gesundheitszustand  u.  s.  w.  erkundigt.  Auf  Verlangen  berührt 
er  das  Kinn,  die  Nase,  öffnet  den  Mund;  dagegen  sperrte  er 
den  Mund  auf,  wenn  man  ihm  die  Augen  zuzuschliessen  be- 
fiehlt. Längere  Sätze  versteht  er  nicht;  so  z.  B.  legte  er  das 
Buch  auf  die  Decke,  wenn  ich  ihm  befahl  dasselbe  auf  den  Tisch 
zu  legen. 

Eine  partielle  Worttaubheit  scheint  also  vorhanden  zu  sein. 

Wortblindheit.  Es  wurden  sowohl  mit  gedruckten  wie  mit 
geschriebenen  Buchstaben,  Wörtern  und  Sätzen  Versuche  gemacht. 
Das  Resultat  war  verschieden,  je  nach  dem  mehr  oder  weniger 
klaren  Zustande  des  Pat.  Gewöhnhch  versteht  der  Pat.  nicht 
einmal  einzelne  Buchstaben,  bisweilen  kann  er  jedoch  die  Buch- 
staben eines  vorgelegten  Wortes  zählen,  vermag  aber  nicht  das 
Wort  zu  finden.  Seinen  Namen  »Ersson»  vermag  er  nicht  zu 
lesen,  ja  nicht  einmal  die  Buchstaben  zu  benennen.  Im  Worte 
»Blunda»  las  er  den  ersten  Buchstaben  B  als  R,  den  zweiten  als 
i,  den  dritten  dagegen  richtig,  die  übrigen  konnte  er  nicht  lesen. 
Das  Wort  »Se»  (sehen)  las  er  »C»  und  »e».  Den  Buchstaben 
A  kennt  er  immer,  oft  auch  E  und  S.  (Seine  Initialen  sind  nach 
der  gewöhnlichen  Schreibeart  der  schwedischen  Bauern  A.  E.  S.). 

Wenn  man  mit  seiner  Hand  die  Konturen  der  Buchstaben 
nach  führt,  so  ist  das  Resultat  kein  besseres.  Bisweilen  sind  die 
Versuche  besser  ausgefallen.  So  z.  B.  konnte  er  einmal  Björk- 
linge  und  Ersson  richtig  lesen,  aber  nicht  »Buch». 

Die  Versuche  mit  Ziffern  sind  überhaupt  7Ätm\\Q\\  gut  gelun- 
gen, und  eigentümlicher  Weise  verstand  er  bisweilen  die  vier  und 
dreistelligen  Zahlen  besser  als  die  einfachen  Ziffern.  So  z.  B. 
konnte  er  folgende  Zahlen  richtig  lesen  und  aussprechen,  1892, 
375,  450,  17,  dagegen  las  er  folgende  unrichtig  nähmlich,  1675 
als  1673,  136  als  13,  23  als  250,  36  als  13,  4  und  8  las  er 
richtig;  andere  einfache  Ziffern  dagegen  wollte  oder  konnte  er 
nicht  lesen. 

Es  scheint  also  eine  fast  vollständige  Wortblindheit  für 
Worte  zu  bestehen,  dagegen  nur  eine  partielle  für  Ziffern. 

Aphämie.  Pat.  liegt  gewöhnlich  ganz  still  und  spricht  nichts, 
wenn  man  nicht  Fragen  an  ihn  richtet:  »Ja»  und  »Nein»  ge- 
braucht er  beim  Antworten  richtig.  Wenn  man  ihn  sonst  etwas 
fragt,  wiederholt  er  beim  Antworten  gewöhnlich  die  Frage.  So 
z.  B.  auf  die  Frage:  »Wie  heissen  Sie?»  antwortet  er  »Sieheissen 
Anders»;  »Wo  wohnen  Sie?»  »Sie  wohnen  in  Björklinge».  Manch- 
mal aber  schwatzt  er  ohne  Zusammenhang.  Das  Alphabet  kann 
er  auswendig  hersagen,  bisweilen  aber  nicht  oime  Fehler.  Ebenso 
kann  er  von  i  bis  20  richtig  zählen.  Selten  spricht  er  spontan. 
So  z.  B.  wenn  es  ihm  nicht  gelingt  eine  Frage  zu  beantworten, 
so  ruft  er  aus:  »Herr  Gott»  oder  »es  ist  zu  verkehrt!»  Einmal 
überraschte  er  mich  durch  die  Aussage:  »AVenn  Sie  schreiben, 
dann  geht's  verflucht  gut!» 

Agraphie.  Die  Fähigkeit  des  Pat.  zu  schreiben  ist  sehr 
unvollständig.  AVenn  man  ihn  bittet  etwas  zu  schreiben,  so 
schreibt  er  gewöhnlich  A.  E.  S.  (seine  Initialen)  oder  nur  »A», 
wobei  er  auf  die  Frage,  was  es  sei,  gewöhnlich  antwortet  »An- 


38 


S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


ders»  oder  »es  soll  ein  A.  sein».  Die  Versuche  ihn  zu  ver- 
anlassen Buchstaben  zu  kopieren  sind  nie  gelungen. 

Seelenblindheit,  Die  Versuche  über  die  Fähigkeit  des  Pat. 
mit  dem  Gesichtssinne  die  Gegenstände  zu  erfassen  sind  verschie- 
den  ausgefallen  und  zwar  je  nach  dem  mehr  oder  weniger  klaren 
Zustande  des  Pat.  Er  schien  nicht  zu  verstehen  was  ein  ihm 
gereichter  Löffel  vorstellen  soll,  bevor  man  ihm  denselben  in 
den  Mund  geführt  hatte.  Ein  ihm  gereichtes  Stückchen  Kreide 
wollter  er  essen,  offenbar  in  der  Meinung,  dass  es  Zucker  sei. 
Mit  einem  Stückchen  Zucker  versuchte  er  auf  Verlangen  zu 
schreiben,  und  auf  die  Frage:  »was  ist  es?»  antwortete  er:  »ich 
weiss  es  nicht».  Versuche  mit  Bleistift,  Messer,  Schlüsseln,  Uhr 
u.  s.  w.  wurden  angestellt,  ohne  dass  der  Pat.  die  Bedeutung 
dieser  Gegenstände  zu  erfassen  schien.  Die  Resultate  waren 
nicht  besser,  wenn  Pat.  diese  Gegenstände  betastet  oder  ge- 
schmeckt u.  s.  w.  hatte. 

Bei  anderen  Gelegenheiten  fielen  die  Versuche  bedeutend 
besser  aus  und  er  fasste  dann  einen  Ring,  eine  Uhr  u.  s.  w. 
richtig  auf  und  beim  Zeigen  auf  die  Uhr  antwortete  er  richtig 
»8»  (die  Uhr  stand  auf  1/2  8). 

Seelentaubhcit.  Es  ist  unmöglich,  durch  Versuche  zu  kon- 
statiren,  ob  Seelentaubheit  besteht  oder  nicht.  Doch  hat  man 
bemerkt,  dass  Pat.,  welcher  gewöhnliche  Laute  nicht  wahrzu- 
nehmen scheint,  durch  ungewöhnliche  in  Erregung  versetzt  wird, 
und  dann  den  Kopf  nach  der  Seite,  von  wo  der  Laut  sich  hören 
lässt,  dreht. 

Gefühlsinn.  Auch  dieser  Sinn  schien  mangelhaft  zu  sein. 
Wenn  er  ein  Stückchen  Kreide  ergreifen  sollte,  war  er  damit 
zufrieden,  einen  Finger  zu  fassen. 

Kranialnerven. 

I.  Der  Geruch  wurde  durch  Spiritus,  Kampferöl  und  Essig 
geprüft.  Er  sagte,  dass  er  bei  Spiritus  und  Kampferöl  keinen 
Geruch  verspüre,  bisweilen  gab  er  an  sie  riechen  stark  —  näheres 
konnte  er  darüber  nicht  aussagen  und  er  schien  demnach  die 
verschiedenen  Gerüche  nicht  unterscheiden  zu  können. 

II.  Eine  rechtsseitige  Hemianopsie  scheint  zu  bestehen. 
Wenn  er  auf  Verlangen  den  Untersuchenden  fixirt,  so  sagt  der 
Pat.,  dass  er  die  von  rechts  nach  der  Mittellinie  hin  geführten 
Finger  erst  dann  bemerkt,  wenn  sie  die  Mittellinie  erreichen. 
An  der  linken  Seite  bemerkt  er  sie  lange  vorher.  Versuche  mit 
einem  angezündeten  Lichte  fallen  ebenso  aus.  Blinzelreflexe  be- 
stätigen das  Resultat;  fuhrt  man  die  Hand  von  rechts  gegen  das 
Auge  blinzelt  er  nicht,  wohl  dagegen  wenn  sie  von  links  heran 
bewegt  wird.  Beim  Ausfuhren  der  Holmgren'schen  Probe,  nahm 
Pat.  beim  Vorzeigen  eines  hellgrünen  Bündels  ein  grünes,  blaues 
oder  violettes,  aber  er  nahm  immer  hellroth  richtig.  Er  konnte 
keine  Farbe  benennen. 

Bei  der  ophthalmoskopischen  Untersuchung  waren  die  Pu- 
pillen deutlich  begrenzt  und  die  Venen  nicht  angeschwollen. 
Also  keine  Stasispapille.    (Vgl.  die  Verhältnisse  unten.) 

III.  IV.  VI.  Die  Augen  waren  meistens  nach  links  ab- 
gelenkt. Bisweilen  bestand  Strabismus.  Er  kann  auch  nicht  im- 
mer einen  Gegenstand  oder  die  dargereichte  Hand  richtig  er- 
greifen. Die  Pupillen  sind  klein  rund  und  gleich  gross.  Sie 
reagiren  nur  träge  auf  Licht  oder  Accomodation.    Keine  deut- 


liche hemianopische  Pupillenreaktion.  Die  Pupillen  reagiren  gegen 
Licht,  von  welcher  Richtung  es  auch  komme. 

V.    Der  Trigeminus  zeigt  keine  deutliche  Störung. 

VII.  Eine  Asymmetrie  im  Gesicht  fällt  gleich  in  die  Augen. 
Der  rechte  Mundwinkel  hängt  herab  und  ist  etwas  kürzer  als  der 
linke;  die  rechte  Nasolabialfalte  ist  weniger  markirt  als  die  linke. 
Die  rechte  Lidspalte  ist  beim  Senken  des  Auges  etwas  schmäler, 
beim  Heben  des  Auges  dagegen  breiter  als  die  linke.  Pat.  macht 
selbst  auf  Auffoderung  keine  mimischen  Bewegungen  mit  Aus- 
nahme, dass  er  oft  gähnt,  wobei  die  Schiefheit  des  Gesichtes 
häufig  deutlich  hervortritt. 

VIII.  Keine  Herabsetzung  des  Gehörs  und  kein  Unter- 
schied betreffs  der  beiden  Seiten. 

IX.  Der  Geschmack  wurde  mit  Zucker,  Kochsalz,  China, 
Essigsäure  und  Cognac  geprüft.  Zucker,  Salz  und  Essigsäure 
erklärte  er  für  süss  und  verlangte  davon  mehr  zu  bekommen, 
China  war  ihm  unangenehm  und  Cognac  schmeckte  ihm  »gut». 

X.  XI.    Von  diesen  Nerven  nichts  Bemerkenwertes. 

XII.  Während  der  ersten  Tage  seines  Aufenthaltes  im 
Krankenhause,  tvich  die  Zunge  beim  Herausstrecken  nach  rechts 
ab;  später  streckte  er  selbst  auf  Verlangen  sie  nicht  mehr  heraus. 
Beim  Aufsperren  des  Mundes  scheint  er  vergebliche  Anstrengungen 
zu  machen  die  Zunge  herauszustrecken. 

Sensibilität. 

Eine  genauere  Untersuchung  konnte  nicht  vorgenommen 
werden.  Jedoch  haben  die  Versuche  das  Resultat  ergeben,  dass 
eine  Herabsetzung  der  Sensibilität  der  rechten  Körperseite,  des 
rechten  Armes  und  Beines  vorhanden  war. 

Berührungsgefühl.  Das  Berühren  init  einem  Papierstreifen 
bemerkt  Pat.  links;  rechts  aber  muss  die  Berührung  stärker  und 
wiederholt  gemacht  werden  um  bemerkt  zu  werden. 

Schmerzsinn.  Versuche  mit  Björnströms  x\]gesimeter  haben 
folgende  Werte  ergeben.  Pat.  markirt  Schmerz:  am  linken  Arm 
bei  IG,  am  rechten  bei  10;  am  linken  Bein  bei  11,  am  rechten 
Bein  bei  12  oder  mehr. 

Temperatursinn.  Pat.  konnte  keinen  Unterschied  zwischen 
zwei  Metallstückchen  von  resp.  40^  C.  resp.  Zimmerwärme  (etwa 
18°  C.)  angeben. 

Orfssinn.    Die  Prüfung  ergab  kein  Resultat. 

Muskelsinn.  Die  Versuche  führten  zu  keinem  klaren  Re- 
sultate. 

Motilität. 

Die  aktiven  Bewegungen  sind  überhaupt  nicht  beschränkt, 
obschon  alle  Bewegungen  auf  der  rechten  Seite  schwächer  als 
auf  der  linken  waren.  Obschon  der  Pat.  rechtshändig  ist,  ist 
die  rechte  Hand  bedeutend  schwächer  als  die  linke.  Der  gehobene 
rechte  Arm  sinkt  allmählich  herunter. 

Der  Gang  ist  unsicher,  beinahe  schwankend.  Die  Füsse 
werden  nachgeschleppt  und  der  rechte  Fuss  wird  weniger  als  der 
linke  vorgesetzt.    Er  stützt  sich  auf  die  Gegenstände. 

Tremor.  Bisiveilen  scheint  der  Pat.  am  rechten  Arm  und 
Bein  nur  kurze  Zeit  zu  zittern,  bisweilen  hat  er  klonische  Zuck- 
ungen beim  Bewegen. 

Die  elektrische  Reizbarkeit  der  Nerven  und  Muskeln, 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


39 


Die  Prüfung  ergab  keine  üegenerationsreaktion  und  über- 
haupt keinen  bestimmten  Unterschied  zwischen  links  und  rechts. 

Reflexe.  Die  Patellarreflexe  sind  am  rechten  Bein  etwas 
verstärkt.  Kein  Dorsalklonus.  Die  Plantarreflexe  sind  wenig 
ausgesprochen. 

Der  Harn  und  die  Faeces  gehen  normal  ab.  Später  Hess 
er  Harn  unter  sich  gehen. 

Trophische  tmd  vasomotorische  Störungen. 

Decubitus  findet  sich  am  Kreuze,  sonst  keine  deutlichen 
Nutritionsstörungen.  Leichte  Cyanose  an  den  Wangen  und  an 
der  Nase.  Die  Füsse  und  Unterschenkel  sind  kalt;  aber  sie 
zeigen  keinen  Temperaturunterschied. 

Vegetative  Organe.  Die  Lungen  zeigen  normale  Ver- 
hältnisse. 

Das  Herz.  Keine  Bombirung  oder  Vergrösserung.  Herz- 
töne rein. 

Die  Ge/ässe  sind  etwas  hart  anzufühlen,  jedoch  nicht  eigent- 
lich sklerotisch. 

Leber  und  Milz  nicht  vergrössert. 
Der  Ventrikel  etwas  gross. 

Tagesaufzeichnungen,  ^^/i.  Pat.  wurde  während  der  letzten 
Tage  immer  schlaffer  und  benommener.  Er  beantwortet  keine 
Frage  mehr. 

Erbrechen  nach  den  Mahlzeiten. 

^^ji.  Bei  der  Visite  lag  Pat.  schlaff  mit  halb  geschlossenen 
Augen,  das  Rechte  war  mehr  geschlossen  als  das  linke.  Deut- 
licher Strabismus. 

^/s.  Bei  der  klinischen  Untersuchung  und  Demonstration 
wurde  folgendes  bemerkt. 

Nach  Angabe  des  Sohnes  soll  Pat.  schon  im  Okt.  1891 
gedächtnisschwach  geworden  sein,  aber  noch  in  Dezemb.  sah 
man  ihn  Gedrucktes  lesen.  —  Heute  wirc  bemerkt.  Ein  gewisser 
Grad  von  Seelenblindheit  scheint  zu  bestehen.  Auch  Seelen- 
taubheit durfte  vorliegen.  Keine  ausgesprochene  motorische 
Aphasie  ist  vorhanden,  dagegen  Paraphasie.  Die  Wort^ündheit 
und  die  Worttaubheit  sind  nur  partielle,  ebenso  die  Agraphie. 
Rechtsseitige  Hemianopsie.  Rechtsseitige  Anästhesie  und  Parese. 
Kein  auffallendes  Kopfweh.  Erbrechen  ist  in  der  letzten  Zeit  auf- 
getreten.   Vergrösserung  der  Herzdämpfung. 

*/.5.   Der  Zustand  unverändert.   Pat.  beantwortet  keine  Frage. 

^^/s.  Ebenso.  Blinzelreflexe  ergeben  eine  rechtsseitige  He- 
mianopsie. (Wiederholte  Versuche  an  verschiedenen  Tagen.) 
Pat.  erkannte  Personen  die  von  rechts  herankamen  nicht  gut 
aber  wenn  sie  von  der  linken  Seite  kamen. 

'"/s.  Apathisch.  Pat.  wurde  heute  plötzlich  im  rechten 
Arm  und  Bein  vollständig  gelähmt,  aber  empfand  noch  Schmerz 
bei  stärkerem  Kneifen.  Pat.  scheint  auf  dem  rechten  Auge  ganz 
blind  zu  sein.    (Wiederholte  Versuche.) 

^^/s.  Das  Essen  wird  ihm  nunmehr  in  den  Mund  gesteckt. 
Er  ist  schlaff  und  abwesend,  äussert  niemals  ein  Wort  oder  macht 
Zeichen  zum  Harnlassen.  Defäkation  durch  Lavements.  Neuer 
Decubitus.    Keine  Stasispupille. 

^^/s.  Auf  die  Frage  nach  seinem  Zustande  antwortete  er: 
»ziemlich  gut». 

^^/ö.    Schlaff.   Er  ist  bedeutend  abgemagert  und  die  Wangen 


sind  eingesunken.  Die  Herzbewegung  geschwächt.  Der  Puls  klein 
und  schnell.  Das  rechte  Auge  blinzelt  nicht  einmal  auf  einen 
Reiz  der  Conjunctiva.  Die  Pupillen  reagiren  nicht  mehr  auf 
Licht  von  der  rechten  Seite,  und  nur  schwach  von  der  linken  Seite. 

■^"/ä.    Heute  etwas  besser.   Er  will,  kann  aber  nicht  sprechen. 

Vi;.    Pat.  starb  heute. 

Sektion. 

Schädeldach  recht  dick,  an  der  Innenseite  etwas  rauh. 

Die  Dura  löst  sich  ohne  Schwierigkeit  vom  Schädeldach. 
Sie  zeigt  an  der  Innenseite  nirgends  eine  Veränderung  mit  Aus- 
nahme, dass  sie  gegenüber  der  Geschwülst  ziemlich  fest  an  der 
Oberfläche  derselben  adhserirt.  Die  Dura  adhserirt  auch  im 
hinteren  Teil  an  der  Margo  falcata. 

Die  Pia  Mater  ist  überall  stark  injicirt.  Es  ist  eine  kleine 
erbsengrosse  Gesclnaulst  am  Chiasma  und  eine  grosse  im  Tem- 
porallappen vorhanden. 

Die  linke  Liemisphäre  zeigt  stark  abgeplattete  Windungen, 
die  rechte  weniger. 

Die   Ventrikel  sind  stark  erweitert. 

Die  linke  Hemisphäre  (Taf.  VI.  VII) 
ist   auch   nach   der  Härtung  sehr  gross  und  schwillt  nach  der 
Herausnahme  bedeutend.    Die  Windungen  sind  bedeutend  ab- 
geplattet, besonders  in  dem  vorderen  Teile. 

Die  Pia  lässt  sich  überall  leicht  ablösen  mit  Ausnahme  im 
vorderen  Teile  des  Temporallappens,  im  unteren  Teile  der  Cen- 
tralwindungen  sowie  am  Fuss  des  F^  und  über  der  Broca'schen 
Gegend,  wo  die  sehr  verdickte  Pia  der  Rinde  dicht  angelötet 
ist.  Die  nähere  Ausdehnung  der  Anlötung  geht  aus  der  Fig.  i 
hervor.  Die  Lippen  der  vorderen  Hälfte  der  Fissura  Sylvii  sind 
an  einander  verlötet. 

Die  Spitze  des  Temporallappens  wird  von  einer  diffusen 
Geschwulst  eingenommen,  und  hier  kann  die  Pia  überhaupt  nicht 
von  der  Geschwulstmasse  losgetrennt  werden.  An  der  Oberfläche 
der  Geschwulst  zeichnen  sich  die  respektiven  Windungen,  die  er- 
ste und  zweite  Temporalwindung,  undeutlich  ab  (s.  Fig.  i).  Die 
Geschwulst  ist  groblobirt  mit  diffusen  Grei  zen;  sie  misst  in  hori- 
zontaler Richtung  etwa  55  m.ni.,  in  vertikaler  50  m.m.,  sie  ist 
an  der  Oberfläche  lebhaft  rot  und  höckerig,  ihre  Konsistenz 
nicht  fest. 

Die  mediale  Fläche. 
Die  Windungen  sind  überall  etwas  abgeplattet.  Die  Cen- 
tralganglien  etwas  geschwellt  und  mehr  als  normal  hervortretend. 
Das  vordere  Ende  des  Temporallappens  —  Uncus,  T^  und  T^  — 
sind  bedeutend  vergrössert  und  drücken  auf  die  nach  oben  lie- 
genden Teile.  Die  Pia  über  diesen  Teilen  lässt  sich  leicht  ablösen 
und  ist  dünn.  Der  occipitale  Teil  wurde  in  frontale,  der  vor- 
dere Teil  sowohl  in  horizontale  wie  frontale  Schnitte  geschnitten. 

Der  occipitale  Teil.  An  den  Schnitten  i,  2,  3,  4  und 
5  c  m.  wurde  an  den  Schnittflächen  nichts  pathologisches  beob- 
achtet. 

Schnitt  6  cm.  vor  der  Occipitalspitze.  Die  Rinde  und 
das  Mark  zeigt  nichts  Abnormes,  mit  Ausnahme,  dass  das  ven- 
trale Drittel  der  Sehstrahlung  in  einer  Ausdehnung  von  etwa 
I    cm.   in    horizontal-frontaler,    und    1  ^2    cm.   in  vertikaler 


40  S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Richtung  erweicht  ist.  Die  Erweichung  erreicht  nicht  ganz  das 
Unterhorn,  ihre  Grenzen  sind  diffus;  die  Sehstrahhing  selbst  ist 
hier  vollständig  erweicht,  aber  die  der  Wand  des  Unterhorns 
zunächst  liegende  Markschicht  war  unvollständig  erweicht. 

Schnitt  7  cm.  (Taf.  VII.  Fig.  2.)  Der  Schnitt  ist  normal  mit 
Ausnahme,  dass  das  Mark  in  der  unteren  Hälfte  der  Sehstrahl- 
ung in  der  Ausdehnung,  wie  Fig.  zeigt,  vollständig  erweicht  ist. 
Diese  Erweichung  nimmt  die  ganze  untere  Hälfte  der  Sehstrahl- 
ung ein  und  erstreckt  sich  bis  zur  Wand  des  Unterhorns;  sie 
misst  in  vertikaler  Richtung  etwa  33  m.m.,  in  horizontaler  12  — 
18  m.m.  Alle  nach  dem  äusseren  Kniehöcker  von  dem  Occipi- 
talla])pen  verlaufenden  Fasern  müssen  dadurch  unterbrochen  wor- 
den sein. 

Der  mittlere  Teil. 

Jlorizojitalschiiitte  der  vorderen  Hälfte  der  Hemisphäre. 

An  den  dorsalsten  Schnitten  wird  keine  makroskopische 
Veränderung  beobachtet.  Erst  an  den  Schnitten  etwa  5  cm. 
ventral  von  der  Margo  falcata  trifft  man  die  ersten  Ausläufer 
der  grossen  Erweichung,  welche  das  Mark  des  Frontallappens 
einnimmt.  Hier  in  der  Höhe  der  dorsalen  Oberfläche  des  Caput 
nuclei  caudati  hat  die  Erweichung  die  Frontalstrahlung  bis  zum 
Frontalplane  des  Foramen  Monroe  durchgeschnitten.  Weder  die 
Hauptmasse  des  Schweifenkerns  noch  die  Rinde  ist  berührt. 

Frontalschnitte. 
Schnitt  etwa  S,;—p  c.vi.  vor  der  Occipitalspitze,  welcher 
unmittelbar  vor  dem  Colliculus  anterior  Corp.  4-gem.  fällt  (Fig. 
I.  Taf.  VII).  Die  Geschwulstmasse  und  die  sie  umgebende  Er- 
weichung nimmt  das  Mark  des  ganzen  Temporallappens  bis  zur 
Höhe  der  Fissura  Sylvii  ein.  Sie  lässt  die  Rinde  überall  intakt, 
dringt  aber  überall  fast  bis  zu  ihr  hervor  (s.  Fig.  i).  Nach  oben 
dringt  sie  mit  einem  Ausläufer  in  den  hintersten  Abschnitt  des 
Putamens  ein  und  zwar  bis  zur  Höhe  der  Thalamusoberfläche, 
nach  innen  hat  die  Erweichung  soweit  makroskopisch  zu  sehen 
ist  die  Capsula  interna  bis  zur  lateralen  Fläche  des  äusseren 
Kniehöckers  eingenommen,  hat  dann  die  Sehstrahlung  zerstört  und 
dringt  zur  Wand  des  Unterhorns  vor.  Im  Ganzen  misst  die  Er- 
weichung in  vertikaler  Richtung  etwa  6  cm.,  in  longitudinaler 
2 — 3  cm. 

Schnitt  etwa  8  c.7n.  hinter  der  Frontalspitze  Fig.  4.  Taf.  VI 
unmittelbar  nach  hinten  von  dem  Corpus  mamillare.  Die  Ge- 
schwulstmasse ist  hier  ziemlich  rund  (4-  5  cm.)  nimmt  das  ganze 
Mark  des  Temporallappens  ein,  ist  aber  überall  von  makroskopisch 
anscheinend  intakter  Rinde  umgeben,  welche  jedoch  meistens 
eine  nur  sehr  dünne  (etwa  2  —  4  m.m.  dicke)  Wand  bildet.  Nach 
innen-oben  ist  die  Capsula  in  Erweichung  begriffen.  Nach  oben 
erreicht  die  Erweichung  die  Höhe  der  Thalamusoberfläche,  nach 
aussen  die  Pesstrahlung. 

Schnitt  6,;  c.?n.  nach  hinten  von  der  Frontalsspitze  (Fig.  3). 
Die  Geschwulstmasse  ist  hier  oval  (Höhe  7  cm..  Breite  4  cm.), 
nimmt  das  ganze  Mark  des  T-lappens  ein,  hat  die  Rinde  der 
T^,  T'  und  zum  Teil  T^  (in  seinem  untersten  Abschnitte)  total 
zerstört,  erreicht  nach  oben  die  Höhe  des  Balkens,  nach  innen 
fast  die  lateralen  Grenzen  des  Nucleus  caudatus  und  die  Aus- 
strahlung der  Capsula  interna  sowie  die  Rinde  des  Uncus. 

Die   Geschwulstmasse  ist  halbfluktuirend,  äusserst  reich  an 


Gefässen,  porös-faserig  mit  gelatinösen  Partien  und  zeigt  nirgends 
scharfe  Konturen. 

Der  vorderste  Teil. 

Schnitt  5  cm.  (Taf.  VI  Fig.  2)  nach  hinten  von  der  Fron- 
talspitze. Der  Schnitt  liegt  etwa  12  m.m.  nach  hinten  von  der 
Temporalspitze.  Hier  sieht  man  wie  die  lose  und  mit  zahl- 
reichen neugebildeten  Gefässen  durchzogene  Geschwulst  die 
Hauptmasse  des  Temporalmarkes  einnimmt  und  nach  aussen 
die  Rinde  der  T\  T^  vollständig,  die  des  T^  nur  unvoll- 
ständig infiltrirt,  aber  die  mediale  Fläche  des  Schnittes  voll- 
ständig frei  lässt.  —  Nach  oben  (dorsalwärts)  dringt  die  Geschwulst- 
masse in  den  Frontallappen  ein,  ihr  Mark  fast  vollständig  bis  zu 
einer  Höhe  von  etwa  3  cm.  dorsalwärts  von  der  Fissura  Sylvii 
infiltrirend  oder  erweichend,  während  die  anscheinend  intakte 
laterale  und  mediale  Rinde  sie  wie  eine  Schale  umgiebt. 

Die  Fissura  Sylvii  ist  durch  die  Geschwulst  vollständig  aus- 
gefüllt und  obliterirt. 

Die  rechte  Hemisphäre. 

Pia:  an  der  medialen  Seite  des  Frontallappens  ist  die  Pia 
stark  gerötet  und  es  finden  sich  verschiedene  kleine  punktför- 
mige Hämorrhagien  hier  auch  in  der  Rinde.  Sie  lässt  sich  über- 
all von  der  Rinde  leicht  ablösen. 

Rinde.  Die  Windungen  sind  überall  normal.  Malacien 
oder  Geschwülste  sind  nicht  vorhanden. 

Die  Hirnhälfte  wurde  in  verschiedene  Stückchen  geschnitten, 
ohne  dass  irgendwo  etwas  pathologisches  zu  entdecken  gewesen 
war.  Die  Sehstrahlung  wurde  besonders  untersucht  und  wurde 
überall  normal  befunden. 

Cent)-alganglien.  Die  der  rechten  Seite  haben  die  gewöhn- 
liche Form,  Grösse  und  Konsistenz. 

Dagegen  sind  die  linksseitigen  bedeutend  angeschwollen  und 
dadurch  vergrössert,  obschon  die  mediale  Fläche  sonst  ihre  Form 
erhalten  hat.  Hier  zeichnen  sich  auch  die  resp.  Hervorragungen 
und  Furchen  in  ziemHch  normaler  Weise  ab.  Vom  Foramen 
Monroe  bis  zum  Ende  des  Pulvinars  misst  der  Thalanus  45  m.m., 
rechts  nur  etwa  35  m.m.    Links  ist  ausserdem  zu  bemerken: 

Der  Nucleus  caudatus  ist  im  Ganzen  vergrössert  und  zwar 
in  allen  Dimensionen.  Die  mediale  Fläche  sonst  nicht  verändert 
und  sowohl  an  horizontalen  wie  an  vertikalen  Schnitten  ist  das 
Gewebe  makroskopisch  nicht  verändert,  obwohl  die  Grenze  gegen 
die  Geschvvulstmasse  verwischt  ist. 

Der  Thalamus  opticus  ist  an  seiner  medialen  Fläche  auch 
nicht  verändert,  obschon  er  nach  jeder  Richtung  nicht  unbe- 
deutend vergrössert  ist.  Wie  weit  die  Geschwulstmasse  gegen 
die  Medianlinie  vordringt,  ist  schwierig  zu  bestimmen.  Jeden- 
falls ist  im  frontalen  Abschnitte  die  mediale  Wand  bis  zu  einer 
Dicke  von  3  —  4  m.m.  und  im  occipitalen  bis  zu  einer  Dicke  von 
etwa  I  cm.  erhalten  geblieben. 

Das  Pulvinar  scheint  links  ein  wenig  eingefallen  zu  sein. 
Die  Konsistenz  kaum  verändert.  3 — 4  m.m.  unter  ihrer  Ober- 
fläche ist  das  Gewebe  erweicht. 

Der  Linsenkern,  ist  von  der  Geschwulstmasse  vollständig 
zerstört  worden,  sowie  auch  die  Capsula  interna. 

Die  Corpora  geniculata,  iniernuni  et  externum,  sind  an- 
scheinend normal. 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


41 


Die  Corpora  4-gemtna  scheinen  auch  normal  zu  sein. 

Fes  und  Corpora  mamillaria  sind  makroskopisch  unverändert. 

Kleinhirn  ohne  Veränderung,  hinsichtlich  der  Form  oder 
Konsistenz.  Beim  Durchschneiden  wurde  das  Mark  normal  be- 
funden. 

Medulla  oblongata  und  Pons  hatten  die  normale  Form, 
Konsistenz  und  übriges  Aussehen. 

Mikroskopisches. 

Die  linke  Gehirnhemisphäre  wurde  für  das  Studium  der 
Zellen  in  die  Cox'sche  Flüssigkeit  eingelegt  und  zwar  in  toto. 
Leider  drang  die  Flüssigkeit  nur  in  die  oberflächlichen  Schnitten 
ein,  und  das  Gehirn  war  schon  im  Herbste  1892,  wo  ich  erst 
dasselbe  in  Arbeit  nehmen  konnte,  für  die  Weigert'sche  Färbung 
nicht  recht  brauchbar.  Deswegen  werden  die  folgenden  Mit- 
teilungen etwas  lückenhaft. 

Corpus  geniailaium  externum.  Das  linke  Ganglion  ist  von 
zahlreichen  Kernen  infiltrirt.  Die  Zellen  sowohl  im  linken  wie  im 
rechten  Ganglion  sind  ungefähr  gleich  zahlreich,  haben  beider- 
seits scharfe  Konturen,  deudiche  Kerne  und  die  grossen  Zellen 
in  der  basalen  Reihe  haben  beiderseits  Ausläufer.  Es  scheint 
jedoch  als  ob  diese  rechts  deutlicher  und  zahlreicher  seien  und 
die  Zeilen  daselbst  etwas  grösser,  d.  h.  die  Zellen  seien  links  etwas 
atrophisch.  Die  kleinen  Zellen  zeigen  keine  deutlichen  Ver- 
änderungen. 

Die  Metalimprägnation  war  beiderseits  wenig  gelungen, 
weshalb  ein  Schluss  hinsichtlich  der  Protoplasma-Ausläufer  kaum 
zulässig  Ist. 

Corpus  4-gemin.  Colliadus  anterior  sinister.  Die  Zellen 
scheinen  nicht  verändert  zu  sein,  sind  scharf  konturirt,  haben 
deutliches  Protoplasma  und  schöne  Ausläufer. 

Die  Occipitallappen.  Schnitte  wurden  von  der  Kinde  der 
Fissura  calcarina,  Cuneus,  der  lateralei.  und  der  ventralen  Rinde 
gemacht. 

Fissura  calcarina.  Weigerts  Fräparate.  Die  Markstrahlen, 
der  Baillarger'schen  Streifen  und  die  tangentiale  Schicht  zeichnen 
sich  links  und  rechts  mit  anscheinend  gleicher  Stärke  an  den 
Präparaten  aus. 

Die  Imprägnationspräparate  waren  nicht  gelungen  genug 
um  Schlüsse  zu  erlauben. 

An  den  Carminpräparaten  von  Schnitten  i,  2  und  3  cm. 
vor  der  Occipitalspitze  waren  überall  die  Kerne  scharf  und  in- 
tensiv gefärbt;  das  Protoplasma  der  Zellen  dagegen  schwächer, 
aber  jedoch  deutlich  und  scharf.  Die  dreieckige  Form  der  Zellen 
tritt  zwar  beiderseits  hervor,  aber  die  Zellenkörper  scheinen  links 
etwas  kleiner  und  undeutlicher  gefärbt  als  rechts  zu  sein.  Ein 
Unterschied  links  und  rechts  scheint  also  vorhanden  zu  sein  und 
zwar  links  Anzeichen  von  Atrophie. 

Die  Rinde  an  der  Cuneusfläche.  Imprägnationspräparate. 
Hier  waren  die  Zellen  im  Gegensatz  zu  denen  aus  der  Fissura 
calcarina  Uberhaupt  recht  schön  metalimprägnirt  und  zwar  Zellen 
in  allen  Schichten  sowohl  in  der  Schicht  der  kleinen  und  grossen 
Pyramidenzellen  —  wie  auch  in  der  basalen.  Überall  hatten  die 
imprägnirten  Zellen  lange  und  schöne  Pyramidenfortsätze;  auch  die 
basalen  waren  sehr  schön.  Zahlreiche  Nervenfasern  waren  in 
allen  Richtungen  und  Schichten  imprägnirt. 

S.  E.  Hen  sehen,    Pathologie  des  Gehirns. 


Karminpräparate.  Die  Zellen  waren  intensiver  und  schärfer 
gefärbt  als  in  der  Fissura  calcarina. 

Die  laterale  Fläche  des  hnken  0-lappens.  An  den  Impräg- 
nationspräparaten  waren  nur  die  Nervenfasern  imprägnirt.  An 
den  Karminpräparaten  waren  die  Zellen  überhaupt  schön  gefärbt 
und  ihre  Körper  sehr  deutlich. 

Die  ventrale  Rinde.  Karminpräparate:  Die  Zellen  wie  in 
der  lateralen  Rinde. 

Die  Rinde  in  der  unmittelbaren  Nähe  der  Geschwulst,  also 
im  ersten  Temporalgyrus.  Hier  finden  sich  zwar  einzelne  recht 
schöne  Zellen  mit  zahlreichen  und  langen  Ausläufern,  aber  die 
meisten  Zellen  zeigen  abnorme  Formen,  sind  mager  oder  zeigen 
nur  einzelne  kurze  Ausläufer  unregelmässigen  Verlaufs  oder 
Richtung. 

Tumor:  Schnitte  aus  der  Geschwulst  zeigten  eine  alveoläre 
Struktur  mit  zahlreichen  kleineren  und  grösseren  kleinen  Höhlen, 
deren  Wände  von  zahlreichen  in  Bündeln  liegenden  Fasern  oder 
membranartigen  Balken  gebildet  waren ;  in  den  zahlreichen 
Maschen  liegen  zahlreiche,  grosse  gerundete  Zellen  mit  scharfen 
Konturen  und  deutlichem  Kerne,  also  eine  Art  von  gefässreichem 
alveolären  Sarkom. 

Epikrise. 

Kurzer  Krankenbericht.  Fat.,  der  im  Verhältnis 
zu  seiner  Stellung  einen  guten  Bildungsgrad  hatte,  war  etwa 
bis  zum  Sommer  1891  gesund;  er  hatte  Alkohol  genossen, 
ob  im  Übermass  Hess  sich  nicht  konstatiren,  wohl  aber  ver- 
muten. Nicht  durch  Lues  inficirt.  Er  wurde  grüblerisch, 
bekam  Parästhesien  im  rechten  Bein  und  im  Arm,  bis  in 
den  Kopf  hinauf  und  bisweilen  Kopfweh.  Zur  Weihnachtszeit 
wollte  er  nicht  mehr  lesen.  Im  Januar  wurde  der  Gang 
schleppend  und  er  wurde  paretisch  im  rechten  Arm  und  Bein. 
Gleichzeitig  Symptome  amnestischer  Aphasie  und  Worttaub- 
heit sowie  Paraphasie.  War  bis  zum  io:ten  April  beständig 
ausser  Bett. 

Stat.  pr(£S.  Ende  April.  Pat.  ist  schlaff  und  abwesend, 
vergesslich;  erkennt  seine  Söhne  nicht.  Partielle  Wortblind- 
heit und  Worttaubheit  sowie  Parapnasie.  Er  leidet  an 
amnestischer  Aphasie  und  partieller  Agraphie  sowie  auch 
an  Seelenblindheit. 

Der  Geruch  herabgesetzt  oder  vielleicht  richtiger  Geruchs- 
amnesie. Rechtsseitige  Hemianopsie,  oft  Deviation  der  Augen 
nach  links.  Keine  Stasispapille.  Parese  des  rechten  Facialis. 
Gehör  nicht  abnorm.  Geschmack  verkehrt.  Rechtsseitige 
Parese  der  Zunge  und  des  Arms  und  des  Beins.  Leichte 
Anästhesie  für  Berührung  und  Schmerz  rechterseits.  Bisweilen 
Tremor  im  rechten  Arm  und  Bein  sowie  auch  bisweilen  klo- 
nische Zuckungen.  Gefässe  sklerosirt.  Herzdilatation.  Wäh- 
rend der  Monate  April  und  Mai  fortschreitende  Erschlaffung 
und   Benommenheit.  Blind  am  rechten  Auge.  Keine 

Stasispapille.  Vollständige  Lähmung  der  rechten  Seite.  Tod 
\/e  92. 

Diagnose.  Art  der  Läsion.  Der  chronische  Verlauf 
der  Krankheit  unter  fortschreitender  Entwickelung  der  Symp- 
tome, die  langsam  eintretende  Benommenheit  des  Patienten 
sprachen  in  diesem  Falle  zwar  für  eine  Hirngeschwulst  und 
damit  stand  auch  der  bisweilen  aufgetretene  Kopfschmerz  und 

6 


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42  S.  E.  MENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


die  bisweilen  hervortretenden  Zucl<ungen  des  rechten  Arms 
und  Beins  im  Einklang.  Anderseits  war  das  Kopfweh  keines- 
wegs ausgeprägt,  und  die  Zuckungen  traten  überhaupt  sehr 
selten  hervor  und  gingen  schnell  wieder  vorüber;  sie  ähnelten 
mehr  einem  Tremor ;  niemals  nahmen  sie  einen  partiellen  oder 
allgemeinen  epileptischen  Charakter  an.  Und  da  ausserdem 
eine  Stasispapille  bis  zum  Tode  des  Fat.  vollständig  fehlte, 
so  hielt  ich  mich  nicht  für  berechtigt  eine  Geschwulst  anzu- 
nehmen; und  vermutete  dass  eine  langsam  fortschreitende 
kortikale  Encephalomalacie  die  Symptome  erklären  könnte. 
Für  diese  Diagnose  sprach  auch  die  Arteriosklerose,  die  ob- 
schon  nicht  sehr  grosse  Herzdilatation  und  der  vermutete 
Alkoholmissbrauch.  Uber  die  Art  der  Krankheit  war  ich 
jedoch  nicht  im  klaren.  Die  dann  und  wann  eintretenden 
Verschlimmerungen  wurden  auf  Ausbreitung  der  Läsion  oder 
hinzugetretene  Ha^morrhagien  bezogen.  Die  Sektion  zeigte 
eine  grosse  Geschwulst. 

Sits  der  Läsion.  Die  schon  im  Dezember  auftretende 
Wortblindheit  und  Worttaubheit  deutete  auf  einen  zunächst 
lokalen  Process,  welcher  nachher  mit  eintretender  Stumpf- 
sinnigheit diffus  wurde.  Die  ausgeprägten  psychischen  Symp- 
tome deuteten  auf  eine  grosse  kortikale  Ausbreitung.  Und 
deshalb  wurde  der  Process  auf  die  Oberfläche  der  Central-, 
Temporal-  und  Parietalwindungen  verlegt,  und  ausserdem 
Herde  in  der  Tiefe  zur  Erklärung  der  Hemianopsie  angenom- 
men. Die  Sektion  bestätigte  im  Ganzen  die  Lokaldiagnose, 
obschon  in  der  That  eine  Geschwulst  vorlag. 

Analyse  der  Symptome.  Bei  dieser  Analyse  muss 
zunächst  daran  erinnert  werden,  dass  eine  grosse  und  diftuse 
Geschwulst  mit  ausgedehnter  kortikaler  Affektion  vorlag.  In 
derartigen  Fällen  ist  es  stets  schwierig  zu  entscheiden, 
ob  und  wie  weit  die  Symptome  durch  den  Druck  hervor- 
gerufen werden  oder  ob  sie  die  Äusserung  eines  lokalen  Pro- 
cesses  sind.  Im  vorliegenden  P'alle  lag  zwar  eine  grosse  Ge- 
schwulst vor,  aber  daneben  war  die  kortikale  Fläche  der  lin- 
ken Hemisphäre  in  grosser  Ausdehnung  ergriffen  und  zwar 
durch  eine  Art  sarkomatöser  Meningitis. 

Iiitelligenzstör7inge7i.  Der  langsam  aber  stets  fortschrei- 
tende tiefe  Verfall  der  psychischen  Funktionen  und  die  schliess- 
lich eintretende  Beeinträchtigung  des  Bewusstseins  kann  ohne 
Zweifel  durch  den  gesteigerten  intrakraniellen  Druck  ge- 
nügend erklärt  werden.  Dabei  bleibt  jedoch  der  Einwand 
bestehen,  dass  zwar  die  linke  Hemisphäre  deutlich  durch  die 
Geschwulstmasse  zusammengedrückt  war,  die  Windungen  der 
rechten  Hemisphäre  aber  nur  unbedeutend  abgeplattet  er- 
schienen. Die  Centralganglien  hatten  auch  ihre  Konturen 
recht  gut  erhalten.  Ohne  Zweifel  war  also  die  rechte  Hemis- 
phäre nicht  durch  den  Druck  in  ihrer  Funktion  behindert. 
Die  Rinde  bot  auch  nirgendswo  andere  pathologische  Pro- 
gresse,  ausgenommen,  dass  die  Pia  an  der  medialen  Seite  des 
Frontallappens  stark  gerötet  war  und  dass  sich  hier  ver- 
schiedene punktförmige  Hcemorrhagien  vorfanden.  Bei  einer 
Zusammenstellung  dieser  Thatsachen  liegt  die  Annahme  nahe, 
dass  die  tiefe  psychische  Störung  und  die  Benommenheit  des 
Pat.  besonders  durch  das  Ergriffensein  der  linken  Hemisphäre 
hervorgerufen  worden  sei.  Der  Fall  ist  zwar  lange  nicht  klar, 
aber  er  fordert  zur  Untersuchung  auf,  ob  nicht  für  das  Er- 


halten der  allgemeinen  Intelligenz  die  linke  Hirnhälfte  eine 
weit  grössere  Rolle  spielt  als  die  rechte.  Es  finden  sich  in 
dieser  Sammlung  einige  Fälle,  die  für  eine  solche  Ansicht 
sprechen,  und  der  Fall  Malm,  bei  dem  fast  das  ganze  rechte 
Hemisphärenmark  zerstört  war,  ohne  dass  das  Bewusstsein 
sich  getrübt  zeigte,  scheint  auch  einen  solchen  Schluss  zu 
bestätigen.  Im  vorliegenden  Falle  spielt  wohl  die  an  der 
Oberfläche  ausgebreitete  Meningitis  und  dadurch  verursachte 
allgemeine  Hirnreizung  auch  eine  gewi-sse  Rolle. 

Die  folgende  Analyse  der  Intelligenzstörungen  bezieht 
sich  nicht  auf  den  Zustand  der  Pat.  während  seines  letzten 
Monats,  Mai,  sondern  auf  den  Zustand  bei  der  Aufnahme  des 
Pat.  ins  Krankenhaus;  wie  au.sgebreitet  die  Geschwulst  zu 
dieser  Zeit  war,  lässt  sich  natürhch  nicht  mit  Bestimmtheit 
entscheiden,  weshalb  die  Beurteilung  des  Falles  stets  will- 
kürlich bleibt. 

Was  dann  die  speciellen  Faktoren  des  Bewusstseins  an- 
belangt, ist  Folgendes  zu  bemerken. 

Perception.  Die  GesicJitsperceptionen  waren  bei  der 
Aufnahme  des  Patienten  ins  Krankenhaus  im  Allgemeinen 
nicht  tiefer  gestört.  Pat.  konnte  die  Gegenstände  wahrneh- 
men, obschon  er  schon  kurze  Zeit  danach  in  Stumpfsinn  ver- 
fiel. Dagegen  scheinen  schon  frühzeitig  seine  Gesichisvorstel- 
lungen  unklar  geworden  zu  sein.  Mitte  April  erfasste  er  die 
Bedeutung  der  vorgezeigten  Gegenstände  wie  z.  B.  Zucker, 
Kreide,  Schlüssel  u.  s.  w.  nicht  klar.  Jedoch  hatte  er  auch 
klarere  Augenblicke.  Eine  Partielle  Seelenblindheit  konnte 
wohl  also  angenommen  werden,  was  besonders  bei  Abwesen- 
heit jeder  Läsion  in  der  Rinde  der  Occipitallappen  bemerkens- 
wert sein  dürfte.  In  wie  weit  der  gesteigerte  Druck  und 
der  meningeale  Reiz  oder  die  Zerstörung  der  Associations- 
bahnen  zwischen  den  Occipitallappen  und  dem  frontalen  Ab- 
schnitte der  linken  Hemisphäre  durch  die  Geschwulst  dazu 
beigetragen  haben,  lässt  sich  wohl  nicht  mit  Sicherheit  ent- 
scheiden. 

Die  Gehörperceptionen  waren  normal.  Es  schien  auch 
die  Bedeutung  gewisser  Gerüche  ziemlich  richtig  erfasst  wor- 
den zu  sein.  Eine  tiefere  Störung  seiner  Geh'örvorstellun- 
gen  war  demnach  wohl  vorhanden.  Bei  der  grossen  Aus- 
dehnung der  Geschwulstmasse  im  linken  Temporallappen  und 
in  Anbetracht  des  Umstandes,  dass  die  Geschwulst  in  der 
Nähe  der  Temporalrinde  ihren  ursprünglichen  Sitz  hatte, 
ist  dies  Verhalten  auflallend.  Es  deutet  wohl  darauf  hin, 
dass  er  für  seine  Gehörvorstellungen,  wenn  dieselben  über- 
haupt lokalisirt  sind,  den  rechten  Temporallappen  benutzte. 

Die  Gernchenipfindiingen  waren  wohl  vorhanden,  aber 
Pat.  hatte  nur  sehr  unklare  Vorstellungen  von  dem  was  er 
roch  (s.  unten). 

Ebenso  schien  es  sich  mit  dem  GescJiinack  zu  verhalten. 
Die  Perceptio)i  war  vorhanden,  aber  die  Gesclimackvorstel- 
lungen  abnorm. 

Bisweilen  waren  seine  Tasteiiipfindtmgen  unklar.. 

Diese  Störungen  können  folgendermassen  zusammenge- 
fasst  werden.  Die  Perceptionen  sind  nicht  so  tief  gestört  wie 
die  Sinnesvorstellungen.  Anatomisch  waren:  in  der  rechten 
Hirnhälfte  alle  Sinnescentra  wohl  erhalten,  in  der  linken  aber 
nur  das  des  Gesichts;  aber  dieses  stand  bei  der  Aufnahme 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


43 


des  Status  prssens  nicht  im  Zusammenhange  mit  dem  Auge. 
In  der  rechten  Hirnhälfte  dürfte  kaum  der  gesteigerte  intra- 
kranielle  Druck  einen  so  hohen  Grad  erreicht  haben,  dass 
dadurch  die  Associationsbahnen  der  Sinnescentren  funktions- 
unfähig geworden  wären.  Dagegen  in  der  hnken  waren  nicht 
nur  die  Centren  zerstört  oder  wesentlich  beeinträchtigt,  son- 
dern auch  das  sie  verbindende  Hemisphärenmark  und  die 
Associationsbahnen. 

Was  die  Faktoren  der  höheren  Intelligenz  betrifft,  so 
waren  die  höheren,  psychischen  Funktionen  des  Urteilsver- 
mögens des  Fat.  und  das  Gedächtnis  schon  bei  der  Aufnahme 
ins  Krankenhaus  in  hohem  Grade  beeinträchtigt.  Wille  und 
Handlungskraft  waren  stark  herabgesetzt,  aber  Fat.  zeigte 
überhaupt  keine  abnormen  Triebe. 

Bei  dem  Vorhandensein  eines  gesteigerten  intrakraniellen 
Drucks  und  der  circumscripten  Meningitis  der  linksseitigen 
Centraiwindungen  durfte  es  nicht  angemessen  erscheinen,  tiefer 
in  eine  Analyse,  wie  und  wo  wir  die  Ursache  dieser  tiefen 
Intelligenzstörung  zu  suchen  haben,  einzugehen,  da  jedenfalls 
der  Fall  zu  komplicirt  erscheint,  um  diese  Fragen  zu  lesen. 
Ich  konnte  jedoch  nicht  umhin  auf  die  Analyse  dieser  Ver- 
hältnisse etwas  näher  einzugehen. 

Aphasie.  Schon  um  Johanni  1891  waren  deutliche 
Symptome  der  Gehirngeschwulst  vorhanden. 

Wortblijidheit.  Die  ersten  Symptome  einer  Aphasie 
traten  erst  zu  Weihnachten  d.  s.  J.  auf,  indem  Fat.  nicht  mehr 
lesen  wollte,  was  ihm  bis  dahin  sehr  gefallen  hatte. 

Zu  dieser  Zeit  wurde  keine  Störung  der  Sprache  von 
seiner  Umgebung  bemerkt.  Erst  Mitte  Januar  traten  deut- 
liche Sprachstörungen  hervor,  indem  Fat.  oft  nicht  verstand 
was  man  zu  ihm  sagte.  Es  war  also  eine  partielle  Worttaub- 
heit vorhanden  und  gleichzeitig  wurde  Fat.  paraphasisch :  er 
mischte  eine  Masse  von  fremden  Worten  in  seine  Rede  ein, 
so  dass  seine  Rede  von  seinen  Verwandten  nicht  verstanden 
werden  konnte. 

Während  seines  Aufenthaltes  im  Krankenhause  waren 
deutliche  Symptome  einer  Wortblindheit  \o\\\?i.nditr\.  Wenn  der 
Fat.  den  Fragenden  nicht  sah,  so  verstand  er  auch  nicht  was 
man  ihm  sagte.  Besser  ging  es,  wenn  Fat.  den  Fragenden 
anblicken  konnte ;  aber  selbst  dann  verstand  Fat.  oft  nicht 
die  einfachsten  Wörter.  Auf  die  Frage,  wie  er  heisse,  ant- 
wortete er  bisweilen  richtig:  Anders;  später  verfiel  Fat.  in 
einen  gänzlich  benommenen  Zustand,  aber  noch  am  ^^/s,  also 
etwa  1 1  Tage  vor  dem  Tode  schien  es  als  ob  er,  wie  oben 
erwähnt  wurde,  eine  Frage  verstanden  habe. 

Die  Wortblindheit  lässt  sich  hier  ohne  Schwierigkeit 
durch  die  Lage  der  Geschwulst  erklären.  Diese  nimmt  die 
Hauptmasse  des  linken  Temporallappens  ein.  Der  Punkt,  wo 
sie  ursprünglich  anfing,  lässt  sich  zwar  nicht  bestimmen,  aber 
gewiss  war  es  im  Mark  des  Lappens,  erst  später  erreichte  sie 
die  Rinde.  Wenn  dem  so  ist,  so  lässt  es  sich  wohl  erklären, 
dass  sich  die  Worttaubheit  erst  etwas  später  einstellte.  Dabei 
ist  es  jedoch  befremdlich,  dass  Mitte  Januar  erst  eigentliche 
Sprachstörungen  eintraten.  Der  Theorie  nach  hätte  wohl 
der  Fasciculus  uncinatus  oder  die  Verbindung  zwischen  dem 
Temporal-   und  Frontallappen  schon  früher  zerstört  worden 


sein  müssen  und  deshalb  hätten  auch  wohl  Zeichen  einer 
Unfähigkeit  etwas  nachzu.sprechen  sich  damals  einstellen  sol- 
len. Davon  erwähnt  das  Journal  jedoch  nichts.  Dagegen 
trat  im  Januar  Paraphasie  und  Wortblindheit  gleichzeitig  ein. 

Von  dem  grössten  Interesse  scheint  es  zu  sein,  dass  die 
Wortblindheit  früher  eintrat  als  die  Worttaubheit  Wenigstens 
liegt  die  Annahme  am  nächsten,  dass  seine  Abneigung  gegen 
das  Lesen  davon  herrührt;  aber  es  lässt  sich  auch  eine  andere 
Deutung  denken,  da  Fat.  später  seiner  Umgebung  gegen- 
über erwähnte,  dass  er  doppelt  sähe.  Bei  der  .Sektion  wurde 
bemerkt,  dass  die  Geschwulst  auf  die  centralen  Ganglien 
drückte.  Bei  der  Untersuchung  im  Krankenhause  am  23. 
April  waren  die  Augen  nach  links  abgelenkt  und  es  wurde 
Strabismus  constatirt. 

Im  Krankenhause  war  zwar  die  Worttaubheit  ziemlich 
vollständig,  aber  die  Wortblindheit  war  nicht  so  ausgesprochen, 
wie  man  hätte  erwarten  sollen,  denn  Fat.  konnte  sogar  ein- 
zelne Buchstaben  lesen  und  sie  zusammensetzen,  aber  der 
Wortbegrifif  der  Buch.staben  schien  zu  fehlen.  Den  Buch 
Stäben  A.  (Anders)  konnte  er  immer  lesen.  Dies  deutet 
ohne  Zweifel  auf  einen  gewissen  Grad  von  Autonomie  der 
Fähigkeit  zu  lesen.  Jedenfalls  war  diese  Fähigkeit  nur  eine 
geringe.     Residuum  einer  verblassender  Erinnerung. 

Die  Versuche  mit  Ziflfern  fielen  besser  aus,  wie  ich  oft 
bemerkt  habe. 

Da  die  Geschwulst  sich  auch  bis  zum  Gyrus  angularis 
erstreckte,  so  findet  die  Wortblindheit  darin  leicht  ihre  Er- 
klärung. 

Agraphie.  Bei  der  Probe  auf  Agraphie  zeigte  es  sich, 
dass  Fat.  nur  A.  oder  A.  E.  S.,  die  Initialen,  schrieb.  Vom 
Kopieren  wollte  er  nichts  wissen.  Jedenfalls  können  ihm  zu 
dieser  Zeit  (Ende  April)  nicht  alle  Buchstabenbilder  und 
Erinnerungen  gefehlt  haben.  Dejerine  nimmt  an,  dass  isolirte 
Wortblindheit  vorhanden  sei,  wenn  nur  das  kortikale  Centrum 
zerstört  ist,  aber  ausserdem  Agraphie,  sobald  der  Fascikel 
zwischen  den  Occipitallob  und  Gyrus  angularis  lädirt  ist.  In 
diesem  Falle  war  weder  eine  vollständige  Wortblindheit  noch 
Agraphie  vorhanden.  Dabei  war  die  J.auptmasse  des  Marks 
zerstört. 

Hier  waren  also  wie  es  scheint  zur  Zeit  der  Untersuchung 
alle  Markverbindungen  zwischen  den  Centren  der  Bewegung 
und  den  Sprachcentren  aufgehoben  und  dennoch  konnte  Fat. 
Sprechen  und  etwas  schreiben. 

Aphäinie.  Mitte  Januar  traten  wie  schon  erwähnt  wurde 
die  ersten  Symptome  von  Sprachstörung  im  Form  von  Para- 
phasie auf.  Aber  noch  einen  Monat  vor  dem  Tode  konnte 
Fat.  verschiedenes  sprechen.  Zwar  hatte  er  die  Initiative  zum 
Sprechen  verloren,  er  sprach  nur  auf  Aufibrderung,  und  wieder- 
holte dabei  oft  die  Frage  z.  B.  »Wie  heisst  er?»  »Er  heisst 
Anders.»  Das  Alphabet  konnte  er  auswendig  und  zwar  kor- 
rekt. Ebenso  zählte  er  bis  20.  Bisweilen  rief  er  aus:  »Herr 
Gott»,  »es  ist  zu  verkehrt  u.  s.  w.»  ja  selbst  grössere  zusam- 
menhängende Sätze  brachte  er  hervor.  Im  Mai  wurde  er  sehr 
apathisch. 

Das  Fehlen  der  Initiative  beim  Sprechen  wird  wohl  aus 


44 


S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


fehlenden  Impulsen  erklärt.  Die  Lasion  der  Wortgehörs-  und 
Wortgesichtscentren  hatte  die  gewöhnlichen  Impulse  und  Wort- 
erinnerungen getilgt. 

Aber  woher  stammte  die  Fähigkeit  die  Fragen  zu  wie- 
derholen und  zwar  zu  einer  Zeit,  da  er  kaum  etwas  verstand? 
Wird  man  nicht  zur  Annahme  eines  Automatismus,  einer  Art 
von  Reflexthätigkeit  gezwungen?  Und  woher  kommt  die 
Fähigkeit  das  Alphabet  auswendig  zu  wissen  ?  Spielen  hier- 
bei die  sensiblen  Erinnerungen  und  nicht  die  Sprachbeweg- 
ungen die  Hauptrolle? 

Jedenfalls  war  die  Fähigkeit  ein  Wort  zu  wiederholen 
noch  erhalten  zu  einer  Zeit,  wo  gewiss  der  Fasciculus  uncinatus 
schon  zerstört  war. 

Kranialnerven. 

I.  Die  Geruchserinnerungen  waren  bedeutend  verblasst, 
ob  in  Folge  der  allgemeinen  Herabsetzung  der  Intelligenz 
oder  des  Ergriffenseins  des  linken  Temporallappens  ist  nicht 
sicher  zu  bestimmen  (Vergl.  die  Fig.  2.  Taf.  VI).  Ein  Unter- 
schied zwischen  links  und  rechts  ist  nicht  erwähnt. 

II.  Die  rechtsseitige  Hemianop.sie  ist  durch  die  totale 
Zerstörung  des  occipitalen  Sehbündels  verursacht. 

Später  trat,  wie  es  schien,  eine  vollständige  Blindheit 
am  rechten  Auge  ein.  Auch  wurde  bei  der  Herausnahme  des 
Gehirns  eine  besondere  aber  nur  kleine  Geschwulst  dicht  am 
Chiasma  angetroffen,  von  welcher  wohl  diese  Störung  aus- 
ging- 

Der  Fat.  scheint  nicht  an  Hallucinationen  gelitten  zu 
haben,  obschon  die  Hirnfläche  in  gro.sser  Ausdehnung  gereizt 
war,  aber  der  Reiz  dehnte  sich  nicht  auf  den  Occipitallap- 
pen  aus. 

Farbenblindheit  war  nicht  vorhanden,  wohl  aber  Farben- 
paraphasie  oder  Amnesie. 

Auffallend  genug  fehlte  die  Stasispapille. 

III.  IV,  VI.  Schon  frühzeitig  (im  Januar)  trat  Strabis- 
mus ein  und  später  (im  April)  war  eine  bilaterale  Ablenkung 
nach  links  vorhanden,  was  sich  wohl  durch  den  von  der  Ge- 
schwulst ausgeübten  Druck  auf  die  linke  Seite  des  Oculomo- 
toriuskerns  erklären  lässt. 

Die  Verengerung  der  Pupillen  steht  mit  dem  cerebralen 


Reiz  in  Übereinstimmung,  wie  auch  ihre  geringe  Reaktion  auf 
Lichtreiz  und  Accomodation. 

Die  Probe  auf  hemianopische  Reaktion  fiel  unentschieden 
aus,  sie  schien  aber  zu  fehlen.  Wenn  es  wirklich  so  war, 
dann  steht  es  in  voller  Übereinstimmung  mit  der  Thatsache, 
dass  die  Reflexbahn  nicht  direkt  ergriffen  war,  indem  die 
Geschwulst  erst  occipitalwärts  von  der  Bahn  auftrat.  Die 
Opticusganglien  waren  an  der  Basis  nicht  ergriffen.  Später 
trat  eine  schwache  hemianopische  Reaktion  ein  und  zwar  zu 
einer  Zeit,  als  der  Druck  der  Geschwulst  auf  die  Reflexbahn 
stärker  wurde. 

V.  Das  Ausbleiben  einer  Trigeminusstörung  lässt  sich 
nur  durch  die  bilaterale  Innervation  erklären. 

VI.  Dagegen  war  das  linke,  untere  und  obere  Facialis- 
gebiet  etwas  paretisch. 

VIII.  Ein  Unterschied  der  Gehörschärfe  wurde  nicht 
wahrgenommen,  obschon  das  linke  Gehörcentrum  ergriffen  war. 
Grund :  Bilaterale  Innervation. 

IX.  Der  Geschmack  ohne  Besonderes. 

XII.  Die  Zunge  wich  nach  rechts  ab,  später  war  es 
Pat.  nicht  möglich  sie  heraus  zu  strecken. 

Spinalnerven. 

Sensibilität. 

Die  Herabsetzung  der  Sensibilität  traf  den  Druck-  und 
auch  wie  es  scheint  den  Schmerzsinn.  Die  Lage  der  Ge- 
schwulst erklärt  diesen  Befund.  Temperatur-  und  Ortsinn  konn- 
ten nicht  geprüft  verden. 

Schon  frühzeitig  (um  Johanniszeit  1891)  hatte  er  subjek- 
tive Sensibilitätsempfindungen  in  den  rechtsseitigen  Gliedern 
bis  in  den  Kopf  hinauf 

Motilität. 

Der  paretische  Zustand  der  linken  Seite  hat  seinen 
Grund  in  der  Lage  der  Geschwulst,  welche  sich  auch  bis 
unter  die  Centraiwindungen  ausdehnte.  Der  schwankende  Gang 
ist  ja  gewöhnlich  bei  Geschwülsten.  —  Ein  Tremor  des  rech- 
ten Arms  wurde  durch  den  Reiz  der  Rinde  hervorgerufen. 

Die  Reflexe  wie  auch  die  trophischen  und  vasomotori- 
schen Störungen  waren  die  gewöhnlichen. 


Fall  4.   Augusta  Eriksson. 

68  Jahre,  Umhertreiberin. 
Taf.  VII.  VIII. 


Klinische  Diagnose:  Hemiplegia  dextpa  e.  Aphasia  et  He- 
mlanopsla  dextpa.    Gumma  in  peg,  papiet.  sinistpa. 

Krankengeschichte. 

Betreffs  des  verflossenen  Lebens  der  Pat.,  sowie  ihrer 
psychischen  Entwickelung  konnte  man  nur  unvollständige  Aus- 
kunft erhalten.  Folgende  Daten  hat  man  teils  von  einer  Person, 
bei  welcher  die  Pat.  früher  angestellt  war,  teils  von  der  Pat. 
selbst  bekomrnen. 

Pat.  ist  Wittwe.    Sie  hat  vier  Kinder,  musste  immer,  nach 


Patholog.  anatom.  Diagnose;  Gumma  in  pegione  tempopo- 
papietali  sinistpa. 

eigener  Angabe,  streng  arbeiten;  während  der  letzten  Jahre  litt 
sie  jedoch  keine  Not.  Bis  zur  letzten  Zeit  erfreute  sie  sich 
nach  eigener  Aussage  einer  guten  Gesundheit.  Die  Kinder  sind 
gleichfalls  gesund. 

Sie  soll  dem  Branntweingenusse  nicht  ergeben  und  nicht 
luetisch  inficirt  gewesen  sein.  An  rheumatischen  Affektionen  soll 
sie  nicht  gelitten  haben.    Ihre  psychische  Ausbildung  war  sehr 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


45 


gering.  Sie  konnte  zwar  lesen,  aber  nicht  schreiben.  Sie  war 
rechtshändig.    Sie  führte  ein  unstätes  Leben. 

Über  ihre  Krankheit  ist  Folgendes  bekannt.  Seit  dem  8. 
Februar  1892  begann  sie  tiber  Unwohlsein  und  Schmerzen  in  der 
Brust  und  im  Kopfe  zu  klagen.  Ihr  Zustand  war  nicht  so  schlecht, 
dass  sie  nicht  von  Zeit  zu  Zeit  hätte  auf  sein  können,  aber  sie 
musste  ab  und  zu  wegen  der  Brust-  und  Kopfschmerzen  das 
Bett  hüten.  So  verhielt  es  sich  bis  zum  20.  Febr.,  an  welchem 
sie  von  einem  Schlaganfalle  getroffen  wurde.  Sie  befand  sich 
damals  im  Bett  und  erst  einen  Monat  später  wurde  es  durch  die 
eingetretenen  Lähmungssymptome  ihrer  Umgebung  klar,  dass  sie 
einen  Schlaganfall  bekommen  hatte.  Inzwischen  hatte  man 
beobachtet,  dass  ihr  Gesundheitszustand  vom  20.  Februar  an  sich 
verschlechtert  hatte,  so  dass  sie  von  diesem  Tag  ab  -»ganz  stumm 
und  gleichsam  wie  im  Schlummer»  bis  zum  11.  März  war.  Ob 
dieser  Zustand  durch  einen  Schlaganfall  eingeleitet  wurde,  oder 
ob  er  mit  Zuckungen  oder  abnormen  Bewegungen  von  Seiten  der 
Augen  verbunden  war,  ist  nicht  mehr  zu  konstatiren.  Dagegen 
ist  es  bekannt,  dass  Fat.  während  der  Krankheit  tobsüchtig 
wurde,  aus  dem  Bette  sprang  und  ein  verstörtes  Aussehen  zeigte. 
Am  II.  März  stellte  sich  die  Sprache  wieder  ein  und  blieb  bis 
zum  19.  Fat.  war  zu  jener  Zeit  klar,  aber  die  »Sprache  war 
schlechter  als  vorher».  Störungen  des  Gesichts  oder  des  Gehörs 
wurden  nicht  wahrgenommen.  Während  dieser  Zeit  beobachtete 
die  Umgebung,  dass  die  ganze  rechte  Seite  gelähmt  war. 

Nach  dem  19.  März  hörte  sie  wieder  auf  zu  sprechen  und 
verfiel  in  einen  Zustand  »todesähnlichen  Schlummers».  Während 
dessen  hörte  man  sie  bisweilen  »Nein  oder  Ja»  sagen,  aber  das 
war  alles.  Eine  eigentUche  Störung  des  Gesichts  oder  des  Ge- 
hörs wurde  auch  jetzt  nicht  wahrgenommen. 

Die  Person  die  die  Auskunft  über  sie  erteilt  hatte,  fasste  ihr 
Urteil  folgendermassen  zusammen.  »Es  machte  ihr  während  der 
Krankheit  Schwierigkeit  zu  sprechen,  was  früher  immer  leicht 
von  Statten  gegangen  war.  Fast  während  der  ganzen  Zeit  ihrer 
Krankheit  sei  ihr  Mund  kaum  in  der  Bewegung  und  die  Lip- 
pen seien  zusammengekniffen  gewesen.» 

Ob  sie  nach  irgend  einer  Richtung  hin  schlechter  gesehen 
habe,  hatte  man  nicht  wahrgenommen. 

Fat.  wurde  am  22.  April  ins  Krankenhaus  aufgenommen. 

Status  praesens  am  2/5  1892. 

•Allgemeiner  Zustand.  Fat.  ist  bettlägrig,  von  mittlerer 
Grösse.  Fettpolster  und  Muskeln  sind  nicht  in  bemerkens- 
wertem Grade  reducirt.  Ihre  Kräfte  sind'  auch  nicht  besonders 
geschwächt,  das  geht  aus  dem  starken  von  ihr  bei  der  Unter- 
suchung ausgeübten  Widerstand  hervor.  Der  Appetit,  Stuhl- 
gang und  Schlaf  sind  etwas  unregelmässig,  jedoch  im  Ganzen 
recht  befriedigend. 

Der  Puls  ist  regelmässig.  Die  Frequenz  wechselt  zwischen 
110  —  135.  Die  Radialarterien  sind  rigide  und  geschlängelt,  nicht 
kalkinfiltrirt. 

Subjektive  Symptome. 

Pat.  klagte  einmal  über  Schmerzen  im  Kopf  und  Rücken. 
Gewöhnlich  antwortet  sie  jedoch  »ja»  auf  alle  Fragen  nach  der 
Lokalisation  der  Schmerzen. 


Objektive  Untersuchung.  • 

Psyche.  Fat.  verharrt  in  einem  Zustande  von  Stumpfheit. 
Jedoch  scheint  sie  zu  beobachten  was  um  sie  vorgeht.  Wenig- 
stens folgt  sie  mit  den  Augen  den  Personen,  welche  sich  an  ihrer 
linken  Seite  befinden.  Dasselbe  scheint  wenigstens  nicht  in  dem- 
selben Grade  der  Fall  zu  sein,  wenn  dieselben  sich  rechts  von 
ihr  befinden. 

Nur  mit  Schwierigkeit  beantwortet  sie  an  sie  gestellte  Fra- 
gen, selbst  wenn  sie  so  gestellt  sind,  dass  sie  nur  mit  einem  »Ja» 
oder  »Nein»  antworten  muss.  Doch  ist  sie  in  dieser  Hinsicht 
etwas  launenhaft,  denn  sie  antwortet  bisweilen  ganz  klar.  Die 
Untersuchung  ermüdet  sie  und  sie  schliesst  dann  eigensinnig  die 
Augen. 

Aphasie.  Worttaubheit  ist  nicht  vorhanden,  wenigstens  keine 
vollständige.  Zum  Beispiel:  Bei  einer  Gelegenheit,  da  sie  leb- 
hafter und  zugänglicher  als  gewöhnlich  war,  fragte  ich,  ob  sie 
verstehe  was  ich  zu  ihr  sprach,  sie  antwortete  mit  einem  klaren 
»Ja».  Wenn  die  Krankenpflegerin  sie  einmal  fragte,  ob  sie  etwas 
Essen  wünschte,  antwortete  sie  »ja,  ich  bitte».  Als  ich  einmal 
sagte:  »ich  glaube,  dass  sie  besser  geworden  sind»,  antwortete 
sie:  »nein,  das  kann  ich  niemals  glauben».  Auch  wann  ihr 
gesagt  wurde,  etwas  zu  verrichten,  bewies  sie  in  den  lichteren 
Augenblicken,  dass  sie  verstanden  hatte,  um  was  es  sich  handelte. 
So  z.  B.  wenn  ich  sie  die  Zunge  herauszustrecken  oder  die  Zehen 
zu  bewegen  aufforderte,  so  folgte  sie  entweder  dem  Befehl  oder 
antwortete  mit  »nein»,  »nicht»  u.  s.  w. 

Ihr  Wortvorrat  ist  ein  sehr  kleiner.  Ausser  den  eben  er- 
wähnten Wörtern  habe  ich  sie  sagen  hören  »Pfui»,  »ach.  Elen- 
der, was  machen  Sie»,  »gehen  Sie  weg»  und  einige  andere  Aus- 
drücke. Die  Krankenwärterin  hörte  sie  einmal  »Tischgebet» 
(wenige  Worte)  hersagen.  Einmal  als  ihr  die  Untersuchung  nicht 
behagte,  schien  sie  nach  Worten  zu  suchen,  um  ihrem  Missfallen 
Ausdruck  zu  geben. 

Sie  kann  nicht  veranlasst  werden,  Worte  nachzusprechen 
—  was  wohl  zum  Teil  auf  der  Unfähigkeit  nachzusprechen 
beruht. 

Wortblindheit.  Betreffs  der  Wort-  oder  Seelenblindheit  sind 
die  Resultate  unsicher.  Wenn  ich  eininal  auf  der  Tafel,  das 
Wort  »Anders»  schrieb  und  fragte,  ob  das  ein  Frauenname  sei, 
so  schüttelte  sie  den  Kopf.  Wenn  ich  2  schrieb,  so  gab  sie  nach 
Aufforderung  die  Zahl  mit  5  Fingern  an.  Wenn  ich  4  schrieb, 
so  fasste  sie  die  Tafel,  betrachtete  die  Ziffer  aufmerksam  und 
versuchte  4  Finger  auszustrecken.  Obschon  die  Bewegungen  un- 
sicher waren,  machte  es  jedoch  den  Eindruck,  als  ob  sie  die 
Zahl  richtig  verstanden  habe. 

Seelenblindheit  scheint  nicht  einmal  in  geringem  Grade  vor- 
handen zu  sein.  Sie  versteht  das  Glas  und  den  Löffel  zu  be- 
nutzen, und  wenn  eine  Pat.  ihr  ein  Messer  überreichte,  so  ant- 
wortete sie  auf  Befragen  »Messer».  Wenn  ich  ihr  eine  Haarnadel 
reichte  und  fragte,  wozu  sie  dient,  so  antwortete  sie,  »ja,  ich 
weiss  es  nicht». 

Kranialnerven. 

I.  Wenn  man  ihr  Essigsäure  reichte,  so  zog  sie  sich  zuerst 
zurück;  auf  die  Frage:  »ob  sie  riecht»,  antwortet  sie  »ja»  und 
auf  die  Frage  »riecht  es  schlecht»,  antwortet  sie  »nein».  Ter- 
pentingeruch scheint  sie  aufzufassen,  will  jedoch  nicht  riechen 


46 


S:  E.  HENSCHEN. 


PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Sie  roch  dann  an  Kampfer  und  giebt  durch  Worte  deutHch  zu 
erkennen,  dass  sie  ihn  vom  Terpentin  unterscheiden  könnte.  Eau 
de  Cologne  behagt  ihr  offenbar,  denn  sie  riecht  an  der  Flasche. 

Ein  Unterschied  hinsichthch  des  Geruchvermögens  der 
beiden  Seiten  ist  nicht  wahrzunehmen. 

II.  Keine  genaueren  Resultate.  Versuche  mit  Blinzelre- 
flexen mit  der  Hand  zeigten,  dass  sie  an  einer  homonymen  recht- 
seitigen  Heviianopsie  litt.  Sie  fasst,  wie  schon  erwähnt,  leichter 
auf  was  links  als  was  rechts  um  sie  vorgeht.  Die  Perimeter- 
untersuchungen haben  zu  keinem  sicheren  Resultate  geführt. 
Versuche  mit  einer  Lampe  Hessen  eine  rechtseitige  Hemianopsie 
annehmen.  Sobald  die  Lampe  in  das  sehende  Gesichtsfeld  kam, 
schloss  sie  die  Augen.  Eine  Untersuchung  auf  Farbensinn  war 
unmöglich. 

Die  Pupillen  reagirten  auf  Accomodation  und  Licht,  keine 
hemianopische  Pupillenreaktion. 

Die  ophthalmoskopische  Untersuchung  zeigte  eine,  wenn 
auch  nicht  starke  Stasispapille.  Die  Grenzen  der  Papillen  sind 
undeutlich.  Grosse  Blutungen  erscheinen,  hauptsächlich  am  Boden 
des  rechten  Auges;  und  an  der  oberen  Hälfte  der  Retina  treten 
breite,  rote  Streifen  parallel  den  Gefässen  hervor  und  daneben 
ein  stark  glänzender  weisser  Fleck.  Kein  Pigment,  dagegen  weiss- 
liche,  atrophische  Partien. 

III.  IV.  VI.  Die  Bewegungen  der  Augen  sind  frei  und 
normal.  Jedoch  konnte  sie  anfangs  das  rechte  Auge  nicht  so 
weit  nach  aussen  bewegen  als  das  linke.  Ein  leichter  Strabismus 
convergens  war  also  vorhanden. 

V.  Berührungssinn.  Selbst  eine  leichte  Berührung  be- 
merkt Pat.  sogleich  und  zwar  eben  so  gut  rechts  wie  links. 

Schmerzsinn.  Ebenso  markirt  sie  Schmerz  gleich  gut  rechts 
wie  links. 

Temperatursinn.  Sie  äussert  Missvergnügen,  wenn  eine  Licht- 
flamme ihren  Wangen  genähert  wird;  ob  die  Wärmeempfindung 
beiderseits  gleich  ist,  ist  jedoch  ungewiss. 

In  den  ersten  Tagen  machte  Pat.  wiederholt  Kaubewe- 
gungen.   Sie  hat  jetzt  damit  aufgehört. 

VII.  Es  besteht  eine  unbedeutende  Parese  des  rechten 
Augenlids.  Bei  der  Aufnahme  ins  Spital  öffnete  und  schloss  sie 
das  linke  Auge  mit  grösserer  Leichtigkeit  als  das  rechte.  Wenn 
sie  jetzt  mit  ges.^hlossenen  Augen  da  liegt,  so  scheint  es  als  ob 
das  rechte  Augenlid  nicht  so  vollständig  geschlossen  würde  als 
das  linke. 

Eine  Störung  des  unteren  P'acialisgebeits  ist  nicht  wahrzu- 
nehmen. 

VIII.  Das  Gehör  scheint  beim  Versuche  mit  einer  Taschen- 
uhr herabgesetzt  zu  sein  und  zwar  sowohl  rechts  wie  links 
scheint  sie  das  Ticken  der  Uhr  erst  dann  zu  hören,  wenn  die 
Uhr  unmittelbar  an  das  Ohr  gelegt  wird.  Jedoch  sind  die  Re- 
sultate unsicher,  denn  sie  hört  die  elektrische  Glocke  und  das 
Geklapper  der  Messer  und  Gabeln. 

IX.  Der  Geschmack  scheint  nicht  verändert  zu  sein. 
X — XII.    Keine  nachweisbare  Veränderung. 

Sensibilität. 

Berührungssinn.  Eine  sichere  Untersuchung  ist  nicht  mög- 
lich auszufuhren;  die  Empfindlichkeit  scheint  sowohl  rechts  wie 
Jinks  herabgesetzt  zu  sein, 


Schmerzsinn.  Bei  der  Aufnahme  war  derselbe  an  der  rechten 
Seite  deutlich  herabgesetzt.  Nach  der  am  26.  April  eingetretenen 
vasomotorischen  Störung  scheint  er  eher  gesteigert  zu  sein.  Ein 
Unterschied  der  Empfindlichkeit  zwischen  rechts  und  links  dürfte 
nicht  bestehen.  Wenn  man  sie  ganz  leicht  mit  einer  Stecknadel 
verletzt,  so  bemerkt  sie  es  rechts  wie  links  gleich  stark.  Am 
rechten  Beine  dürfte  der  Schmerzsinn  etwas  geschwächt  sein. 

Ort-,  Muskel-  und  Temperatur  sinn  scheinen  nicht  vermin- 
dert zu  sein. 

Motilität. 

Der  rechte  Arm  und  das  rechte  Bein  sind  vollständig  ge- 
lähmt, mit  Ausnahme  einer  unbedeutenden  Beweglichkeit  der 
Zehen  und  einer  noch  geringeren  der  Finger. 

Tonus.  Die  Muskeln  des  rechten  Armes  und  Beines  sind 
bedeutend  schlaffer  als  die  linksseitigen. 

Kontraktur.  Während  der  letzten  Woche  des  April  war 
eine  Kontraktur  der  Hüft-  und  Knie-muskel  vorhanden.  Jedoch 
war  es  möglich  die  Gelenke  zu  strecken.  Zur  Zeit  keine  Kon- 
traktur. 

Reflexe.  Der  Patellarreflex  des  rechten  Beines  war  bei 
der  Aufnahme  verstärkt  und  zwar  stärker  rechts  als  links;  hier 
war  auch  der  Reflex  erhöht. 

Zur  Zeit  ist  der  Patellarreflex  rechts  etwas  vermindert. 
Kein  Dorsalklonus. 

Blase  und  Mastdarin.  Harn  und  Faeces  gehen  unfreiwillig 
ab,  ohne  dass  Pat.  es  wahrnimmt. 

Trophischc  und  vasomotorische  Störungen.  Am  Kreuz  und 
an  den  Hüften  fand  sich  Anfangs  grosser  Decubitus,  welcher 
jetzt  geheilt  ist.    Derselbe  begann  an  der  rechten  Seite. 

Keine  Cyanose.  Die  Hände  und  Füsse  haben  einen  nor- 
malen Wärmegrad.  Doch  muss  bemerkt  werden,  dass  die  ge- 
lähmte Seite  bei  der  Aufnahme  auffallend  kälter  war. 

Am  ^'^/4  trat  eine  höchst  bedeutende  oedematöse  Anschwell- 
ung der  ganzen  rechten  Seite  auf.  Der  Arm  und  das  Bein 
schmerzten  stark  beim  Druck.  Die  Geschwulst  ging  nach  einigen 
Tagen  zurück.  Die  rechte  Seite  wurde  wärmer  als  die  linke. 
Die  Symptome  verschwanden  nach  einigen  Tagen.  Am  linken 
Femur  sind  einige  Masen  entstanden  und  haben  Geschwüre  hin- 
terlassen. 

Die  übrigen  Organe. 

Lungen:  Nichts  Besonderes. 

Herz:  Absolute  Herzdämpfung  fehlt.    Der  Spitzenstoss  im 
rechten  Interstitium,  i  cm.  unterhalb  und  ausserhalb  der  Mamille. 
Bauch:  Ohne  Bemerkenwertes. 

Harn:  Rötlich  mit  geringem  Sediment.  Reaktion  sauer; 
Spec.  Gew.  1,030.  Im  Bodensatz  rote  Blutkörperchen  in  gerin- 
ger Menge.    Kein  Eiweiss  oder  Zucker. 

Tagesaufzeichnungen, 
''/ö.    Eine  diffuse  Anschwellung  nimmt  die  rechte  Seite  ein 
und  zwar  vorzugsweise  den  rechten  Arm.    Decubitus  am  linken 
Bein-    Pat.  ist  benornmen, 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


47 


Vs.    Der  Zustand  schlechter.    Versteht  noch  Anrede, 
^"/s.    Am  Abend  37,9. 
"/5.  Afebril. 

^^/s.  Die  Temperatur  Morgens  39,4.  Puls  150.  Resp. 
60.  Tod. 

Sektion. 

Der  Schädel  zeigt  nichts  Besonderes. 

Die  Pia  wird  überall  mit  Ausnahme  in  der  Gegend  der 
Geschwulst  leicht  abgelöst,  ohne  dass  die  Rinde  abgerissen  wird. 

Linke  Hemisphäre. 
Die  Oberfläche  des  Gehirns  zeigt  nichts  Besonderes;  in 
den  mehr  occipitalen  Teilen  sind  die    Windungen  leicht  ab- 
geplattet. 

Der  Frontallappen  sowie  die  Centraiwindungen  sind  nor- 
mal. Der  Parietal-  und  Occipitallappen  ebenso,  obschon  die 
Windungen  hier  etwas  abgeplattet  sind. 

Der  vordere  Teil  des  Temforallappens,  in  einer  Aus- 
dehnung von  6  cm.  zeigt  nichts  Abnormes;  am  hinteren  Ab- 
schnitte der  zweiten  Temporalwindung  über  einem  Gebiete  von 
4,5  cm.  ist  die  Pia  so  stark  der  Rinde  angelötet,  dass  sie  nicht 
ohne  Beschädigung  der  Oberfläche  sich  ablösen  lässt. 

Hier  tritt  nun  eine  nur  wenig  über  die  Ebene  des  Gehirns 
hervorragende  diff"use  Geschwulst  von  im  ganzen  rundlicher  oder 
länglich  ovaler  Form  hervor.  Wie  die  Taf.  VIII.  Fig.  i.  näher 
zeigt,  nimmt  sie  den  hinteren  Teil  des  T^  ein,  ist  an  ihrer  Ober- 
fläche begrenzt  und  geht  weder  auf  T^  noch  auf  T^  oder  den 
Occipitallappen  über.  Ihre  Grenzen  sind  jedoch  diffus,  die  Ober- 
fläche uneben.  In  der  nächsten  Umgebung  der  Geschwulst  ist 
die  Rindenoberfläche  auch  uneben  und  beim  Ablösen  der  Pia 
wird  die  Rinde  mit  abgerissen.  Die  genaue  Ausdehnung  der 
Geschwulst  lässt  sich  kaum  feststellen.  Sie  misst  in  horizontaler 
Richtung  etwa  3,5  cm.,  in  vertikaler  2,5  cm. 

Frontalschnitte  durch  den  occipitalen  Teil  der  He- 
misphäre. 

An  den  Schnitten  t,  2  und  3  cm.  vor  der  Occipitalspitze 
des  Gehirns  finden  sich  keine  makroskopischen  Veränderungen. 

Schnitt  4  cm.  (Fig.  VII.  Taf.  4.)  vor  der  Occipitalspitze. 
Hier  sieht  man  den  hintersten  Ausläufer  der  Geschwulstmasse. 
Sie  tritt  hier  an  dem  lateralen  Rande  der  Sehstrahlung  in  der 
Höhe  des  O^  wie  eine  poröse  gelbliche  Masse  auf  und  dringt 
auch  etwas  in  die  Sehstrahlung  von  aussen  ein  ohne  sie  ganz 
zu  durchsetzen.  Die  ventralsten  5  m.m.  sowie  der  dorsale 
Abschnitt  der  Sehstrahlung  sind  intakt.  Die  Geschwulst  misst 
in  vertikaler  Richtung  etwa  5  m.m.  und  ist  in  dem  Umfange 
diffus;  das  zunächst  liegende  Mark  ist  nicht  auffallend  erweicht, 
aber  mit  starken  Gefässen  durchsetzt. 

An  diesem  Schnitt  sieht  man  auch  wie  die  Geschwulst  den 
hinteren  Umfang  des  T^  einnimmt. 

Schnitt  5  cm.  An  der  Oberfläche  nimmt  die  Geschwulst 
den  T^  ein.  Eine  Randzone  der  Geschwulst  ist  bis  zu  einer 
Tiefe  von  7  m.m.  bedeutend  verdickt,  rindenähnlich,  ohne  dass 
es  sich  makroskopisch  bestimmen  lässt,  ob  hier  die  Rinde  oder 
die  Geschwulst  vorwaltet. 

Die  Ausbreitung  der  Geschwulst  im  Mark  geht  aus  der  Taf. 
VIII.  Fig.  4.  am  besten  hervor.   Sie  ist  im  Ganzen  recht  scharf 


vom  Mark  begrenzt  und  nimmt  eine  Strecke  von  4,5  cm.  von 
oben-unten  und  von  3,5  in  horizontaler  Richtung  ein,  erreicht 
nach  oben  die  obere  Ebene  des  Corpus  callosum,  durchsetzt  nach 
innen  ganz  die  Sehstrahlung,  welche  ganz  verwischt  ist  und  be- 
rührt nach  unten  das  Mark  des  T*^.  Ihre  Ausdehnung  im  Mark 
ist  demgemäss  bedeutend  grösser  als  an  der  Oberfläche.  Das 
umgebende  Mark  ist  nicht  erweicht. 

Schnitt  6  cm.  Taf.  VIII.  Fig.  3.  Die  Geschwulst  geht  von 
der  Oberfläche  des  T^  nach  oben-  innen,  nimmt  die  Tiefe  des  t^ 
ein  und  hat  hier  auch  die  untere  Fläche  des  T^  infiltrirt  und  er- 
reicht hier  den  unteren  Umfang  des  Fossa  Sylvii  und  den  Cen- 
trallappen,  dringt  nach  oben  höher  als  das  Dach  der  Unterhorns, 
infiltrirt  vollständig  die  Sehstrahlung  und  berührt  das  Mark  des  T^ 
Die  Rinde  des  t^  ist  auch  makroskopisch  verändert,  gereizt  und 
gedrückt.  Der  Balken  ist  im  äusseren  Umfange  infiltrirt.  Länge 
der  Geschwulstmasse  5,5  cm.  und  Breite  etwa  2  cm. 

Schnitt  7  cm.  Taf.  VIII.  Fig.  2.  Die  Geschwulstmasse 
begrenzt  sich  an  der  Oberfläche  ganz  auf  T^,  welcher  jedoch 
bedeutend  geschwellt  ist,  dringt  dann  wie  ein  Keil  nach  innen- 
oben  und  erreicht  die  Höhe  der  oberen  Fläche  des  Balkens, 
sie  dringt  nach  oben-innen  bis  zur  Wand  des  Unterhorns,  wo 
die  Sehstrahlung  vollständig  in  Geschwulstmasse  umgewandelt  ist. 
T"*  und  T*  sind  nicht  berührt. 

Schnitt  8  cm.  Taf.  VIII.  Fig.  3.  Hier  findet  man  keine 
Geschwulstmasse  mehr,  aber  in  und  lateral  von  dem  dorsalen 
Teil  des  Sehstrahlung,  entsprechend  der  Höhe  des  Marks  des 
T^,  ist  das  Mark  etwas  erweicht  und  hat  eine  Anzahl  grös- 
serer Gefässe. 

Die  Centraiganglien.  Der  Linskörper  ist  von  der 
Geschwulst  nicht  berührt. 

Nticleus  caudatiis  ist  beiderseits  normal  zur  Form  und 
Konsistenz.    Im  Inneren  keine  Veränderung. 

Thalamus  opticus  hat  beiderseits  normale  Form,  Farbe  und 
Konsistenz.  Beim  Vergleich  findet  sich  jedoch,  dass  der  linke 
Sehhügel  von  Seite  zur  Seite  ein  wenig  abgeplattet  ist,  was  be- 
sonders hinsichtlich  Pulvinar  bemerkbar  'st.  Es  liegt  nämlich 
links  dem  entsprechenden  Colliculus  anterior  dichter  an  als  rechts, 
woneben  auch  das  Pulvinar  etwas  abgeplattet  und  zugespitzt  ist. 

Das  Corpus  geniculatum  interntim  ist  beiderseits  gleich  und 
normal. 

Das  Corpus  geniculatum  externum  ist  beiderseits  von  der- 
selben Grösse  und  Prominenz. 

Die  Tractus  beiderseits  gleich  dick. 

Chiasvia  und  Nervi  optici  zeigen  nichts  Bemerkenswertes. 

Corp.  4-gem.  Der  Colliculus  anterior  sinister  ist  im  Ver- 
hältnis zu  dem  rechtsseitigen  bedeutend  abgeplattet  und  zwar 
durch  den  vom  Pulvinar  ausgeübten  Druck. 

Die  Colliculi  posteriores  sind  beiderseits  gleich  und  normal. 

Die  Corpora  mamillaria  sind  beiderseits  von  normaler  Grösse 
und  Konsistenz. 

Die  rechte  Hemisphäre,  Kleinhirn,  Medulla  oblongata  sind 
normal,  mit  Ausnahme  dessen  was  oben  von  der  Pialbekleidung 
erwähnt  ist. 

Aus  dem  Protokolle  wird  sonst  nur  folgender  Auszug  mit- 
geteilt. 


48 


S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Die  Hautfarbe  etwas  gelblich.  Über  der  linken  Partie  des 
Os  sacrum  einige  gangränöse  Geschwüre.  Allgemeine  Körper- 
atrophie. 

Adhärenzen  zwischen  den  Blättern  der  rechten  Pleura. 

Herz:  Das  Herz  ist  schlaff;  das  Fett  etwas  gelatinös.  Es 
misst  an  der  Basis  11,5  cm.,  an  Länge  10,5  cm.  Die  Wände 
messen  links  resp.  10,8  und  11  m.m.,  rechts  3  m.m.  und  zeigen 
eine  Degeneratio  adiposa  et  pigmentosa  myocardii. 

Die  Aorta  zeigt  eine  vorgeschrittene  Arteriosclerosis. 

Die  Lungen:  Anthracosis,  Emphysema  und  Hypostasis, 
Bronchitis. 

Die  rechte  Lunge  zeigt  im  hinteren  oberen  Abschnitte  eine 
schwielige  Veränderung  an  ihrer  Fläche  von  etwa  4  cm.  Von 
dieser  Bildung  strahlen  schwielige  narbenähnliche  Streifen  gegen 
den  Hilus.  Das  Lungengewebe  ist  hier  luftleer,  Pleiiropncumonia 
chronica  fibrosa  (syphilitica?).  Ausserdem  fand  sich  im  unteren 
Lobus  eine  Bronchopneumonia  acuta. 

Milz  nichts  Besonderes. 

Nieren:  Atrophia  senilis.  In  der  rechten  Niere  findet  sich 
an  der  Innenseite  der  Nierenkapsel  eine  erbsengrosse  Verdickung 
von  gelblicher  Farbe  und  begrenzter  Form,  welche  sich  in  das 
Parenchym  hinein  erstreckt  (Gumma  syphiliticum?). 

Ventrikel  und  Dura:  Nichts  Besonderes. 

Leber:  ohne  Veränderung. 

Harnblase,  Rectum,  Genitalien,  Zunge  und  Lippen  ohne 
Bemerkenswertes. 

Epikrise. 

Kurzer  Krankenbericht.  Pat.  war  bis  in  den  letz- 
ten Jahren  kräftig  und  gesund.  Nicht  Alkoholiker  oder  sy- 
philitisch (?).  Vom  8.  Februar  1892  Schmerzen  im  Kopf  und 
in  der  Brust.  Am  20.  Februar  apoplektischer  Insult,  wurde 
»stumm»  und  wie  benommen.  Wie  der  Insult  sich  äusserte, 
ob  mit  Zuckungen  oder  Bewusstseinsverlust,  ist  unbekannt. 
Von  dem  ^'^1^ — ^'/s  wurde  sie  verschiedene  Male  von  Tob- 
suchtsanfällen befallen  und  lief  aus  dem  Bette.  Nach  dem 
i'p — '*/3  sprach  sie  wieder,  obschon  schlechter  als  vorher. 
Die  rechte  Seite  schien  gelähmt  zu  sein.  Nach  dem  ^^/a  ver- 
fiel sie  von  neuem  in  Schlummer,  sagte  nur  »Ja»  und  »Nein». 
Stat.  prjes.  .Sclilafif,  partielle  Worttaubheit,  wahrscheinlich  par- 
tielle Wortblindheit,  amnestische  Aphasie,  partielle  Aphämie, 
keine  Seelenblindheit.  Rechtsseitige  homonyme  Hemianopsie. 
Keine  hemianopische  Pupillenreaktion.  Stasispapille,  Blutun- 
gen und  Atrophie  in  der  Retina.  Kaubewegungen.  Geringe 
Parese  im  rechten  Augenlid.  Sonst  keine  Parese  im  V  oder 
VII  Nerven.  Schmerzsinn  vermindert  rechts  (?),  sonst  keine 
Anästhesie.  Rechtsseitige  Hemiplegie.  Diffuses  Anasarca  auf 
der  rechten  Seite,    ^^/s  Tod. 

Diagnose.  Art  der  Läsion.  Vor  der  Sektion  wurde 
die  Diagnose  auf  eine  luetische  Geschwulst  gestellt.  Zwar 
deutete  die  Anamnese  nicht  besonders  darauf  hin.  Von  den 
Antecedentien  der  Pat.  kannte  man  überhaupt  nichts,  aber 
ihr  unstätes  Leben  machte  die  Annahme  einer  luetischen  In- 
fektion nicht  unwahrscheinlich.  Die  Stasispapille  sowie  die 
Blutungen  in  der  Retina,  aber  besonders  die  begrenzten  Atro- 
phien deuteten  ohne  Zweifel  auf  eine  luetische  Retinitis  mit 
Tumor.     Gegen  diese  Annahme  sprach  anderseits  die  Be- 


schaffenheit des  apoplektischen  Insultes,  welcher  ohne  auf- 
fallende Störungen,  Zuckungen  u.  s.  w.  auftrat  —  ja,  selbst 
von  der  Umgebung  nicht  bemerkt  wurde. 

Daher  wurde  hier  die  ophthalmoskopische  Untersuchung 
entscheidend  und  zwar  sowohl  betreffs  der  Art  der  Läsion, 
bezüglich  einer  Geschwulst,  und  der  Beschaffenheit  derselben. 
Diese  Geschwulst  war  wie  aus  der  Taf.  VIII.  Fig.  i.  ersichtlich 
ist,  von  einer  ungewöhnlichen  Grösse.  Sie  hatte  die  Ober- 
fläche des  Gehirns  in  der  Umgebung  gereizt,  aber  eine  Ver- 
lötung zwischen  der  Pia  und  Dura  war  noch  nicht  eingetreten. 
Die  Druckphänomene  waren  übrigens  nicht  so  hervortretend 
und  in  dieser  Beziehung  stimmt  der  Befind  mit  den  gewöhn- 
lichen Fällen  von  Syphilis.  Die  .syphilitische  Geschwulst  wirkt 
oft  weniger  durch  Verdrängung  der  Hirnsubstanz,  sondern  sie 
zerstört  und  ersetzt  dieselbe  vielmehr. 

Die  subjektiven  Symptome  des  intrakraniellen  Druckes 
waren  auch  vor  dem  Insulte  wenig  hervortretend  und  die 
Pat.  sollte  bis  zu  der  Erkrankung  im  Ganzen  kräftig  und  ge- 
sund gewesen  sein. 

Lokalisatio7i  der  Gcschwidst.  Auch  in  dieser  Hinsicht 
war  die  Diagnose  ante  mortem  recht  glücklich,  Dank  der 
vorhandenen  Aphasie. 

Hier  trafen  nähmlich  mehrere  übereinstimmende  Symp- 
tome zusammen.  Zuerst  stützte  ich  mich  auf  die  vorhandene 
rechtsseitige  Hemianopsie.  Die  Geschwulst  berührte  also 
die  Sehbahn.  Das  Nichtvorhandensein  einer  hemianopischen 
Pupillenreaktion  gab  ihre  Lokalisation  hinter  der  Reflexbahn 
resp.  dem  Kniehöcker  an.  Dazu  kamen  in  diesem  P'alle  die 
Symptome  der  Aphasie.  Obschon  die  Pat.  nur  wenig  und 
ungern  sprach,  so  war  es  einleuchtend,  dass  keine  motorische 
Aphasie,  sondern  hauptsächlich  eine  sensorische  vorlag.  Und 
zwar  sowohl  Worttaubheit  wie  Wortblindheit.  Und  da  nun 
die  Pat.  ausserdem  hemiplegisch  war  oder  vielmehr  hemi- 
paretisch,  so  lag  es  am  nächsten  auf  eine  Geschwulst,  welche 
sowohl  das  Wortgehörcentrum  im  Temporallappen  wie  das 
Wortgesichtscentrum  im  Gyrus  angularis  berührte  und  dabei 
auch  durch  Fernwirkung  die  Hemiparese  hervorgerufen  hatte. 

Die  Diagno.se  wurde  auch  durch  die  Sektion  in  befrie- 
digender Weise  bestätigt.  Nur  will  ich  bekennen,  dass  ich 
die  Geschwulst  ein  wenig  höher  lokalisirt  hatte. 

In  Anbetracht  dieser  Umstände  wurde  auch  die  opera- 
tive Entfernung  der  Geschwulst  erwogen,  aber  der  schlechte 
Allgemeinzustand  der  Pat.,  die  schon  am  7.  Mai,  also  nach 
der  Aufnahme  der  Pat.  ins  Krankenhaus,  erscheinende  Phleg- 
mone und  der  Decubitus,  sowie  das  Alter  der  Pat.  (68  Jahre) 
stellten  zu  bestimmte  Kontraindikationen. 

Analyse  der  Symptome. 

Psyche:  Bei  der  circumscripten  Beschaffenheit  der  Ge- 
schwulstbildung, bei  den  wenig  hervortretenden  Symptomen 
eines  gesteigerten  intrakraniellen  Druckes  —  das  Kopfweh 
war  nur  gelinde  und  die  Stasispapille  nur  wenig  ausgeprägt  — 
waren  die  psychischen  Symptome  auftallend  stark.  Zwar  war 
der  erste  Insult  am  20.  Februar  so  wenig  markirt,  dass  die 
Umgebung  ihn  nicht  bemerkt  hatte  und  die  Pat.  scheint  selbst 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


49 


davon  wenig  Eindruck  gehabt  zu  haben.  Erst  einen  Monat 
später  wurden  die  Lähmungssymptome  bemerkt,  aber  von 
jenem  Tage  bis  zum  1 1 .  März  lag  die  Fat.  stumm  und  still 
wie  in  tiefem  Schlummer.  Dagegen  traten  in  der  Zwischen- 
zeit vom  20.  Februar  bis  zum  11.  März  starke  psychische 
und  motorische  Irritationsphänomene  auf.  Die  Fat.  sprang 
aus  ihrem  Bett  auf  und  »sah  wild  aus».  Der  inflamma- 
torische Reiz  der  Oberfläche  des  Gehirns  lässt  wohl  dies 
erklären. 

Bald  darauf  begann  Fat.  wieder  zu  sprechen  und  verhielt 
sich  klar,  aber  die  Sprache  war  schlechter  als  früher.  Nach 
dem  19.  März  verfiel  Fat.  von  neuem  in  einen  todesähnlichen 
Schlummer.  Im  Krankenhause  war  sie  schlaff  und  schien 
kaum  zu  bemerken  Avas  um  sie  vorging. 

Bei  diesem  Verhalten  ist  teils  ihre  psychische  Apathie, 
teils  besonders  ihre  Abneigung  zu  sprechen  auffallend.  Die 
Lokalisation  der  Läsion  in  die  linke  Hirnhemisphäre  dürfte 
hier  von  besonderer  Wichtigkeit  sein.  Mit  dem  Verluste  der 
Worterinnerungen  scheint  eine  Masse  von  psychischen  Vor- 
stellungen in  Wegfall  gekommen  zu  sein.  Gehörerinnerungen 
wie  Gesichtserinnerungen  dürften  für  die  psychische  Initiative 
besonders  von  Bedeutung  sein.  Die  äusseren  Impulse,  welche 
durch  die  peripherischen  Sinnesorgane  und  durch  die  Sinnes- 
bahnen von  der  Aussenwelt  ins  Gehirn  eintreten  und  dann 
durch  die  Sinnescentren  empfunden  werden,  werden  wahr- 
scheinlich in  der  Regel  erst  durch  die  sensorischen  Sprach- 
centren in  höhere  psychische  Vorstellungen  oder  Begriffe  um- 
gewandelt, welche  alsdann  als  klare  Willenmotive  auf  den 
Körper  lebhaft  einwirken  können.  Fällt  jetzt  die  Thätigheit 
der  Sprachcentren  aus,  so  verschwinden  damit  viele  wichtige 
Momente,  welche  als  Impulse  wirken.  Das  Individuum  ver- 
fällt in  Apathie.  Im  vorliegenden  Falle  wirkte  wohl  auch 
der  gesteigerte  intrakranielle  Druck  auf  die  Thätigheit  der 
Fat.  etwas  lähmend  ein. 

Der  »todesähnliche  Schlummer»  der  Fat.  hatte  also  hier 
wenigstens  zwei  Gründe.  Diese  Benommenheit  war  besonders 
bei  dem  Auftreten  der  Insulte  stark.  Später  äusserte  sie  sich 
mehr  in  allgemeiner  Apathie.  Bei  den  Insulten  kamen  also 
gewisse  Faktoren  —  wahrscheinlich  die  veränderte  Cirkula- 
tion  —  dazu  und  wirkten  mit  dem  lokalen  Frozesse  zu- 
sammen. 

Seelenblmdheit.  Dass  die  Gesichtsperceptionen  nicht  tiefer 
gestört  waren,  konnte  man  daraus  schliessen,  dass  Fat.  mit 
den  Augen  den  Fersonen,  welche  an  ihrer  linken  Seite  er- 
schienen, folgte.  Nach  der  rechten  Seite  hin  war  sie  hemian- 
opisch.  Beim  Betrachten  geschriebener  Wörter  liess  sie  er- 
kennen, dass  sie  dieselben  nicht  verstand.  Einen  Gegenstand 
benannte  sie  richtig. 

In  Anbetracht  der  Lage  der  Geschwulst  und  der  Theo- 
rien der  Seelenblindheit  verdienen  diese  Befunde  eine  gewisse 
Aufmerksamkeit.  In  welcher  Ausdehnung  nun  die  Associa- 
tionsbündel  im  occipitalen  Abschnitt  der  rechten  Hemisphäre 
ergriffen  waren,  ersieht  man  am  besten  aus  den  Tafeln.  Die 
Geschwulst  fängt  unmittelbar  vor  dem  0-lob  an  (Taf  VIII. 
Fig.  I.)  und  erstreckt  sich  nach  vorn  bis  zum  ersten  Teni- 
poralgyrus,  ohne  diesen  zu  ergreifen.  Nach  oben  erstreckt 
sie  sich  bis  zum  Gyrus  angularis.     Demnach  sind  fast  alle 

5.  E.  Henschcn.    Pathologie  des  Gehirns, 


Verbindungen  zwischen  dem  Occipitallappen  und  dem  Tem- 
porallappen wie  auch  die  Verbindung  zwischen  einerseits  O' 
und  O'*  und  den  Centraiwindungen  zerstört.  Gesichtsein- 
drücke aus  dem  linken  Sehcentrum  können  also  hier  nicht 
mit  den  Tast-,  Gehör-,  Geschmack-  und  Geruchempfindungen 
direkt  durch  die  linke  Hemisphäre  verbunden  werden.  Die 
notwendige  Folge  davon  dürfte  wohl  sein :  eine  mangelhafte 
Association  und  deshalb  ein  Ausfall  in  den  Gesichtsvorstel- 
lungen der  resp.  Tast-,  Geruch-  und  Geschmacksempfindungen. 
Wenn  es  nun  nachgewiesen  werden  kann,  dass  wirklich  die 
resp.  Vorstellungen  vollständig  waren,  dann  müssten  auch 
diese  Gesichtsempfindungen  einen  anderen  Weg  genommen 
haben  als  durch  die  Associationsbahnen  der  linken  Hemisphäre. 
Hier  lässt  es  sich  leicht  nachweisen,  dass  sich  die  neuen  Ge- 
sichtseindrücke (Empfindungen)  von  der  rechten  Hemisphäre 
herleiten.  Es  bestand  nähmlich  eine  vollständige  rechtsseitige 
Hemianopsie  und  das  occipitale  Mark  war  zerstört. 

GesicJitsvorstelbingen  können  sich  also  hauptsächlich  aus 
dem  Reiz  der  rechten  Hemisphäre  bilden,  was  ich  schon  im 
Falle  Elin  Andersson  (Fall  41  Teil  II)  nachgewiesen  habe. 

Ob  aber  diese  sich  ebenso  leicht  bei  Beeinträchtigung 
der  sensorischen  Sprachcentren  als  sonst  zu  höheren  Begriften 
ausbilden  können,  ist  wohl  fraglich ;  jedenfalls  scheinen  diese 
Centren  dabei  eine  gewisse  Rolle  zu  spielen.  Eine  Ge- 
schwulst mit  der  Lage  wie  im  vorliegenden  Falle  ruft  also 
keine  Seelenblindheit  hervor. 

Seele7ümibheit  bestand  gewiss  nicht.  Auch  war  das 
linke  Gehörcentrum  nicht  zerstört,  nur  berührt,  aber  seine 
Verbindung  mit  dem  Ohr  war  gewiss  aufgehoben. 

Beim  Betasten  der  Gegenstände  erfasste  Fat.  die  Be^ 
deutung  derselben.  Seelenanästhesie  bestand  also  nicht.  Auch 
waren  die  Sensibilitätscentren  von  der  krankhaften  Geschwulst 
nicht  ergriften. 

Das  Eewusstsein  war  also  bei  der  Untersuchung  nicht 
tiefer  gestört,  aber  die  Initiative  fehlte  ihr  in  hohem  Grade. 
Sie  konnte  deutlich  Schlüsse  machi^n  und  sich  gewisser- 
massen  psychisch  bestimmen. 

Aphasie.  Wortiaubheit  w^ar  gewiss  vorhanden,  wenn 
auch  nur  partiell.  Fat.  verstand  in  der  Regel  an  sie  ge- 
stellte Fragen.  Sie  beantwortete  auch  bisweilen  recht  deut- 
lich und  richtig  diese  Fragen.  Die  Lage  der  Geschwulst 
hinter  dem  Gehörcentrum  befindet  sich  hiermit  in  voller 
Übereinstimmung.  Uberhaupt  berührte  die  Geschwulstmasse 
das  Wortgehörcentrum  nur  zum  Teil.  Sie  dehnte  sich  zwar 
bis  zu  dem  ersten  Temporalgyrus  aus  aber  die  Hauptmasse 
der  Geschwulstbildung  nahm  eine  mehr  occipitale  Lage  ein. 
Die  erste  Temporalwindung  ist  jedoch  etwas  an  der  Ober- 
fläche ergrifien. 

Der  Meningealreiz  dehnte  sich  überhaupt  nur  wenig 
über  die  Grenzen  der  Neubildung  aus. 

Die  Folgen  der  partiellen  Worttaubheit  waren  Abneigung 
spontan  zu  sprechen  oder  Worte  zu  \\iederholen.  Eigentliche 
Faraphasie  bestand  kaum.  Dagegen  war  ihr  Wortvorrat  be- 
deutend beschränkt ;  die  amnestische  Aphasie  war  sehr  stark. 
Sie  suchte  vergebens  Worte  zu  finden.  Daher  diese  Abneigung 

7 


50  S.  E.  IIP:NSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


zu  sprechen  und  wahrscheinlich  die  fehlenden  Impulse.  Ihr 
Gedankenkreis  war  gewiss  sehr  eng. 

WortblindJieit.  Durch  die  Versuche  wurde  mit  Wahr- 
scheinlichkeit das  Vorhandensein  einer  Wortblindheit  nach- 
gewiesen. Davon,  dass  diese  nur  eine  unvollständige  war, 
konnte  man  sich  überzeugen.  Bisweilen  verstand  Pat.  we- 
nigstens einzelne  geschriebene  Buchstaben  oder  Zifitern. 

Mit  dieser  Erscheinung  ist  die  Lage  der  Geschwulst  in 
Ubereinstimmung.  Sie  nahm  hauptsächlich  den  hinteren  Ab- 
schnitt des  Gyrus  temporalis  secundus  ein.  Aber  sie  ging 
nach  oben  etwas  auf  den  Gyrus  angularis  über,  nach  unten 
berührte  sie  T^;  nach  vorn  war  sie  vom  begrenzt,  nach 
hinten  von  dem  Occipitallob  (Taf  VIII.  Eig.  i). 

Die  Wortblindheit  wird  gewöhnlich  in  den  Gyrus  angu- 
laris lokalisirt.  Zwar  ist  noch  weder  der  Begriff"  Wortblind- 
heit völlig  bestimmt  noch  die  Auffassung  wie  diese  Störung  zu 
Stande  kommt  hinreichend  klar;  und  in  Folge  dessen  konn- 
ten die  Grenzen  ihres  Centrums  noch  nicht  näher  bestimmt 
werden.  Einerseits  finden  sich  Fälle,  wo  die  Läsion  an  der 
Grenze  zwischen  dem  Parietallappen  und  Occipitallappen  lag, 
wie  zum  Beispiel  in  einem  der  reinsten  bisher  publicirten 
Fälle,  namentlich  dem  von  mir  unter  N:o  28  im  ersten 
Teile  meines  Werkes  publicirten ;  anderseits  scheint  die  Wort- 
blindheit bisweilen  als  eine  Folge  der  W^orttaubheit  vorzu- 
kommen, wobei  also  die  Läsion  den  Temporallappen  betrifft. 

Durch  diesen  Fall,  wo  die  Wortblindheit  und  die  Wort- 
taubheit eine  nur  wenig  ausgesprochene  war,  werden  deshalb 
die  hinteren  und  unteren  Grenzen  der  Wortgehör-  und  Wort- 
gesichtscentren  gewissermassen  bestimmt. 

Durch  die  Geschwulst  wurden  nun  wichtige  Verbind- 
ungen zwischen  dem  Gesichtscentrum  einerseits  und  den 
Wortgesichts-  aber  besonders  Wortgehörcentren  abgeschnit- 
ten. Dem  ungeachtet  funktionirten  diese  Centren  bis  zu 
einem  gewissen  Grade. 

Da  ich  hoffe  in  einer  späteren  Abhandlung  die  Aphasie- 
frage  ausführlich  zu  behandeln,  so  gehe  ich  hier  auf  die  Kon- 
sequenzen dieses  Falles  nicht  näher  ein. 

Ausserdem  darf  nicht  vergessen  werden,  dass,  obschon 
die  Geschwuls'  weder  T'  noch  den  Gyrus  angularis  infiltrirt 
hatte,  doch  die  Rinde  dieser  Windungen  durch  die  gum- 
möse Meningitis  gewdssermassen  ergriffen  war,  wodurch  die 
Störungen  erklärt  werden.  Ausserdem  wirkte  wohl  auch  der 
Druck  von  der  Geschwulst  aus  mit. 

ApJiämie.  Diese  Form  von  Aphasie  lag  nicht  vor.  Pat. 
konnte  sogar  längere  Sätze  spontan  sprechen  und  die  Wörter 
waren  oft  völlig  deutlich.  Es  fehlte  ihr  auch  nicht  der  Wort- 
begriff.    Sie  sprach  keinen  Unsinn. 

Dagegen  ist  es  einleuchtend,  dass  die  Initiative  zu 
sprechen  fehlte,  was  wohl  von  der  Störung  der  sensorischen 
Wortgehör-  und  Wortgesichts-Bildcr  oder  Erinnerungen  ab- 
hing. Da  diese  Störung  eher  auf  einer  Beeinträchtigung  als 
einer  Vernichtung  dieser  psychischen  Sphäre  beruhte,  so  fehlte 
zwar  die  spontane  Initiative,  dagegen  riefen  neue  von  aussen 
ihr  zugeführte  Impulse,  also  P^ragen,  Vorzeigen  von  Gegen- 
ständen u.  s.  w.  Meinungsäusserungen  hervor.  Wurde  Pat. 
in  Ruhe  gelassen,  so  verhielt  sie  sich  auch  ganz  still,  sie  lag 


wie  im  Schlummer.  In  dieser  Hinsicht  wechselte  jedoch  ihr 
Zustand  (s.  die  Anamnese),  was  mit  den  Insulten  zusammen- 
hing und  wahrscheinlich  auf  Kongestionen  beruhte. 

Die  ausgesprochenen  Wörter  waren  zum  Teil  eine  Art 
von  Interjektionen  oder  automatische  Ausdrücke,  wie  ja,  nein, 
pfui.  PLs  lässt  sich  nicht  ausschliessen,  dass  dabei  die  rechte 
Hirnhälfte  zu  Hülfe  genommen  wurde. 

Eine  avincstiscJic  Aphasie  war  ohne  Zweifel  vorhanden. 
Sie  fand  nicht  Worte,  oder  die  Fähigkeit  Worte  zu  wieder- 
holen war  auffallend  beeintriichtigt.  Dagegen  keine  Apltäviie. 

Ob  Agrapliie  vorlag,  var  unmöglich  zu  prüfen,  da  Pat. 
früher  nicht  schreiben  konnte. 

Kranialnerven. 

I.  Genich.  Sie  fasst  Gerüche  auf  und  zwar  beiderseits 
gleich.  Sie  crfasst,  wenn  die  Stoffe  angenehm  oder  schlecht 
riechen;  gicbt  aber  nicht  die  Namen  der  Geruchsstoffe  zu  er- 
kennen. Die  Geschwulst  liegt  weiter  nach  hinten  als  das 
vermutete  Centrum. 

II.  Sowohl  durch  die  Blinzelreflexe  wie  durch  andere 
Beobachtungen  wurde  eine  rechtsseitige  Hemianopsie  konsta- 
tirt.  Dabei  schien  das  centrale  Gesichtsfeld  erhalten  geblieben 
zu  sein. 

Die  Lage  der  Geschwulst  welche  das  occipitale  Seh- 
bündel gänzlich  zerstört  hatte,  erklärt  befriedigend  das  Vor- 
handensein der  Hemianopsie. 

Die  Prüfung  des  Farbensinns  war  vergeblich. 

Eine  Jieniianopische  Pnpillenreaktion  war  nicht  vorhan- 
den. Die  Sektion  lehrte  nun,  dass  sowohl  das  Pulvinar  wie 
der  Colliculus  anterior  durch  den  Druck  von  der  Geschwulst 
aus  gelitten  hatten  indem  sie  abgeplattet  waren.  Da  nun 
meiner  Meinung  nach  die  Pupillenreflexbahn  durch  die  me- 
diale Opticuswurzel  läuft,  so  wäre,  da  der  innere  Kniehöcker 
kaum  makroskopisch  beeinflusst  wurde,  kein  Grund  zur  An- 
nahme vorhanden,  dass  dieser  Abschnitt  der  Reflexbahn  in 
seiner  Funktion  beeinträchtigt  gewesen  wäre. 

Schwieriger  ist  zu  erklären,  warum  die  Reflexfasern  im 
Colliculus  anterior  frei  blieben,  obschon  das  Ganglion  deutlich 
abgeplattet  war.  Bei  näherer  Betrachtung  der  betreffenden 
Teile  findet  man  jedoch,  dass  der  ausgeübte  Druck  als  nur 
gering  angenommen  werden  muss.  Im  vorigen  Falle,  An- 
ders Ersson,  wo  fast  analoge  Verhältnisse  vorlagen,  A\ar  erst 
gegen  das  Ende  des  Pat.  eine  schwache  hemianopische  Pu- 
pillenreaktion wahrzunehmen.  Hier  hatten  jedoch  gewiss  schon 
früher  die  Centralganglien  durch  den  Druck  gelitten.  In  An- 
betracht des  grösseren  Umfanges  der  Geschwulst  musste  hier 
der  Druck  viel  stärker  gewesen  sein. 

Hieraus  ergiebt  .sich,  dass  ein  gelinder  Druck  auf  das 
Pulvinar  die  Pupillenrefle.xe  nicht  aufhebt.  In  dieser  Hin- 
sicht war  der  P'all  18  lehrreich.  Hier  war  der  allgemeine 
intrakranielle  Druck  sehr  stark.  Aber  nur  bei  den  Kongestions- 
anfällen der  GeschAvulst  traten  Anzeichen  einer  hemianopi- 
schen  Pupillenreaktion  auf  Die  Geschwulst  lag  hier  von  dem 
Tractus  und  der  Reflexbahn  überhaupt  weiter  entfernt. 

Die  ophthalmoskopische  Untersuchung  ergab  eine  jedoch 
nicht   sehr  ausgeprägte   Stasispapille.     Die  Grenzen  der  Pa- 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


51 


pillen  waren  nicht  scharf.  Grössere  Hämorrhagien  waren  be- 
sonders im  rechten  Auge  vorhanden  und  in  dem  oberen  Ab- 
sclinitte  der  Retina  fanden  sicli  rote  den  Gefässen  parallele 
Blutstreifen.    Andererseits  waren  auch  Atrophien  vorhanden. 

Dieser  Befund  erlaubte  in  Anbetracht  des  Nichtvorlian- 
denseins  einer  Nephritis  oder  eines  Herzfehlers  den  Schluss, 
dass  ein  luetischer  Process,  und  zwar  eine  Geschwulst  vor- 
lag. Bemerkenswert  ist,  dass  das  rechte  Auge  am  meisten 
ergriffen  war,  während  die  Geschwulst  auf  der  linken  Seite  sass. 

III.  IV.  VI.  Nur  eine  Störung  des  rechten  Abduceus 
wurde  wahrgenommen.  Bei  der  rechtsseitigen  Lage  der  Ge- 
schwulst hätte  man  eher  eine  Störung  des  hnken  Abducens 
erwarten  sollen. 

V.  Die  sensible  Portion  der  Trigeminusbahn  war  nicht 
gestört  und  von  der  Geschwulst  an  keinem  Punkt  wenn  nicht 
im  Pes  berührt. 

Von  der  motorischen  Portion  der  Bahn  lagen  deutliche 
Reizsymptome  in  Form  von  Kaubewegungen,  welche  längere 
Zeit  anhielten,  vor. 

VII.  Der  obere  Facialis  war  deutlich  in  seiner  Funktion 
beeinträchtigt.  Das  rechte  Augenlid  konnte  weder  voll- 
ständig geöffnet  noch  geschlossen  werden.  Dagegen  war 
es  bemerkenswert,  dass  das  untere  Facialisgebiet  nicht  ge- 
stört war. 

VIII.  Die  Gehörschärfe  war  beiderseits  vermindert, 
aber  nicht  aufgehoben.  Ein  Blick  auf  die  Taf.  VIII.  Fig.  2. 
zeigt,  dass  die  centrale  Gehörbahn  von  der  Geschwulstbildung 
wohl  ergriffen  war. 

IX.  Der  Geschmack  war  nicht  nachweisbar  verändert, 
was  hinsichtlich  der  Ausdehnung  der  Geschwulst  Beachtung 
verdient. 

X — XII.  Es  war  keine  nachweisbare  Störung,  trotz  der 
rechtsseitigen  Parese  der  Glieder,  vorhanden. 


Fall 


Klinische  Diagnose;  Hystepia (?)  Hemiplegia  sinistpa,  Hemi- 
anopsia? 

Krankengeschichte. 
Infolge  der  kurzen  Zeit,   die  Pat.   im   Krankenhause  zu- 
gebracht hatte,  wurde  leider  nur.  eine  unvollständige  Untersuch- 
ung vorgenommen. 

Anamnese.  An  welchen  Krankheiten  die  Eltern  gestor- 
ben sind,  ist  ihr  unbekannt.  Die  Mutter  war  nervös,  der  Vater 
Alkoholiker.  Pat.  lebte  stets  in  guten  hygienischen  Verhältnissen. 
Von  ihrem  siebenten  Jahre  bis  zum  dreizehnten  hatte  sie  einen 
anstrengenden  Dienst  und  wurde  schlecht  behandelt.  Sie  wurde 
selbst  bisweilen  geschlagen  und  dieses  verdüsterte  ihr  Gemüth 
sehr  bedeutend.  Vom  i3:ten  bis  zum  24:ten  Jahre  diente  sie  auf 
dem  Lande.  Der  Dienst  war  zwar  anstrengend,  aber  die  Be- 
handlung gut. 


Sensibilität. 

Obschon  die  Untersuchung  bei  verschiedenen  Gelegen- 
heiten ein  wechselndes  Resultat  ergab,  dürfte  wohl  als 
Schlussresultat  angesehen  werden,  dass  sich  eine  Störung 
des  Schmerzsinnes  in  der  rechten  Seite  vorfand.  Aber  diese 
war  nicht  beträchtlich  und  bisweilen  sogar  nicht  sicher  nach- 
weisbar. Und  nachdem  die  Phlegmone  aufgetreten  war, 
waren  die  betreffenden  Glieder  hyperästetisch.  Ort-,  Muskel- 
und  Temperatursinn  waren  ansclieinend  nicht  gestört,  der 
Drucksinn  war  nicht  genau  zu  prüfen.  Die  scheinbare  Ver- 
minderung desselben  schien  von  dem  allgemeinen  Stumpf- 
sinn der  Pat.  abzuhängen. 

Da  die  Geschwulst  die  sensible  Bahn  nicht  berührt  hatte, 
stehen  die  khnischen  und  anatomischen  Befunde  im  Ganzen 
im  Einklang  mit  einander.  Die  Drucksteigerung  erklärt  die 
Verminderung  des  Schmerzgefühls. 

Motilität. 

Da  die  rechtsseitigen  Glieder  in  hohem  Grade  paretisch 
waren  und  die  Geschwulst  die  centrale  Bahn  derselben  im 
Hemisphäi'enmark  nicht  ergriffen  hat,  so  dürften  die  Störungen 
Drucksymptome  sein. 

Gegen  das  Ende  der  Pat.  kam  eine  gelinde  Kontraktur 
dazu.     Früher  waren  die  Glieder  schlaff. 

Reflexe.  Zuerst  waren  die  Patellarreflexe  besonders 
rechts  erhöht,  später  auf  derselben  Seite  vermindert. 

Vasomotorische  Jind  trophisclie  Störungen  traten  zuerst 
in  der  rechten  Seite  auf,  später  auch  links  und  führten  zun' 
Tode.  Auch  war  das  Herz  bedeutend  erweitert  und  die  Ge- 
fässe  sklerosirt. 


Pathol.  Anatom.  Diagnose:  Tuinop  syphiliticus  in  pegione  tem- 
popali  dextp. 

Zwischen  den  i4:ten  und  i5:ten  Jahre  machte  sie  Nerven- 
fieber, Scharlach  und  ein  katarrhales  Fieber  durch.  Sie  wurde 
zwar  als  gesund  entlassen,  aber  befand  sich  in  einem  sehr  kraft- 
losen Zustande.  Im  i^:tai  Jahre  bekam  s'e  einen  epileptischen 
Anfall  und  zwar  trat  er  bei  einer  Auktion  ein,  wo  die  Versteiger- 
ung eines  Gegenstandes  sie  in  grosse  Spannung  versetzt  hatte 
und  den  Anfall  hervorrief.  Sie  fiel  bewusstlos  zu  Boden  und  war 
nach  Angabe  der  Umgebung  während  Stunde  bewusstlos.  Die 
Anwesenden  erzählten  ihr  nachher,  »dass  die  Augen  stier  waren 
und  der  Mund  schief  gezogen,  Schaum  stand  vor  dem  Munde, 
sie  biss  auf  die  Zunge,  die  Hände  waren  krampfhaft  geballt 
und  sie  zappelte  mit  den  Füssen».  Nach  dem  Anfalle  litt  sie  an 
Kopfweh.  Störung  der  Sensibilität  oder  Motilität  oder  sonst  etwas 
Abnormes  betreffs  der  Sinne  wurde  nicht  wahrgenommen. 


5.   Lovisa  Olsson. 

Verheiratet.    47  Jahre  alt. 
Taf.  VII. 


52  S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Bis  zum  35:ten  Jahre  hatte  Fat.  ähnliche  Anfälle  anfangs 
j  in  jeder  Woche,  dann  j  jeden  Tag.  Dann  verminderte  sich 
die  Zahl  der  Anfälle  und  in  ihrem  35:ten  Jahre  hörten  sie  wie 
schon  gesagt  wieder  vollständig  auf. 

Sie  fühlte  im  Voraus,  wann  sie  kommen  würden.  Selbst 
charaktärisirt  sie  die  Anfälle  folgendermassen:  zuerst  Angst,  dann 
unstillbares  Weinen,  es  kommt  ihr  vor,  als  ob  sie  jemand  er- 
mordet hätte,  sie  bat  jeden  um  Verzeihung;  sie  fing  an  zu 
schreien  und  warf  alles  von  sich,  was  sie  zufällig  in  den  Händen 
hatte,  dann  verlor  sie  das  Bervusstscin.  Die  Krämpfe  stellten 
sich  nun  wie  beim  ersten  Anfalle  ein.  Nach  dem  Erwachen  litt 
sie  stets  während  einiger  Stunden  an  Kopfweh,  aber  sonst  blieben 
keine  anderen  Symptome  des  Anfalles  zurück.  Ein  Arzt  wurde 
konsultirt,  aber  ohne  Resultat. 

Im  Alter  von  24.  Jahren  hcirathcte  Pat.  Essen  und  Kleider 
hatte  sie  auch  dann  in  genügender  Menge,  aber  ihr  Zimmer  war 
oft  kalt  und  zugig.  Die  Arbeit  war  anstrengend.  Der  Ehcman 
war  unordentlich  und  dem  Trünke  ergeben,  was  ihr  Gemüth 
schwer  bedrückte.  Der  Mann  war  venerisch  infizirt,  aber  sie 
selbst  soll  an  Lues  nicht  gelitten  haben  und  seitdem  sie  die 
Krankheit  des  Mannes  bemerkt  hatte,  hat  sie  jede  nähere  Be- 
rührung mit  ihm  vermieden.  Kinder  hat  sie  nie  gehabt.  Alko- 
hol hat  sie  nie  genossen.  Ihre  Menstruation  fing  im  Alter  von 
19.  Jahren  an  und  dauerte  bis  zu  ihrem  45.  Jahre. 

Im  Herbst  1889  bekam  Pat.  Influenza  mit  Frösteln,  Schnupfen 
und  Schmerzen  im  Rücken,  Kopf  und  Bauch.  Das  Kopfweh  war 
besonders  heftig  wie  auch  die  Rückenschmerzen.  Gleichzeitig 
stellte  sich  Erbrechen  ein.  Wenn  Pat.  still  im  Bette  lag,  war 
der  Zustand  erträglich,  aber  bei  der  geringsten  Bewegung  wurden 
die  Schmerzen  äusserst  stark,  das  Gesicht  schwoll  an  und  schmerzte 
bei  Berührung.  Medicin  und  Hypnotismus  wurden  versucht,  aber 
die  Schmerzen  wurden  nur  unbedeutend  erleichtert.  Dagegen 
glaubt  sie,  dass  rechts  ihr  Gehör  durch  das  Hypnotisiren  in 
hohem  Grade  abgenommen  habe.  Der  Schlaf  war  zu  dieser  Zeit 
schlecht  wie  auch  in  Folge  der  Magenschmerzen  der  Appetit. 
Der  Stuhlgang  träge. 

Infolge  dieser  Schwäche  wurde  Pat.  ins  Akademische  Kran- 
kenhaus am  i:sten  März  aufgenommen  und  wurde  dort  unter  der 
Diagnose  Hysteria  +  Catarrhus  ventriculi  chronicus  bis  zum  31. 
März  s.  J.  behandelt.  Sie  wurde  dann  als  gebessert  entlassen.  Über 
ihren  Zustand  bei  der  Aufnahme  vermeldet  das  Journal  folgendes: 
»Pat.  klagt  über  Erbrechen  und  Schmerzen  im  Rücken,  Kopf 
und  Magen.  Die  Schmerzen  fingen  in  der  Stirn  an,  erstreckten 
sich  nach  hinten  und  unten;  oder  sie  fingen  im  Hinterkopf  an 
und  erstreckten  sich  nach  unten,  dem  Rücken  entlang.  Die  Rücken- 
schmerzen begannen  in  den  Weichen  und  erstreckten  sich  von  da 
nach  oben  hin.  Die  Schmerzen  traten  in  Anfällen  auf.  Beim 
Druck  auf  den  Nervus  occip.  major  wird  bisweilen  ein  gelinder 
Schmerz  geäussert,  bisweilen  nicht.  Übrigens  wurden  am  Kopf 
keine  Druckpunkte  wahrgenommen.  Bisweilen  werden  auch 
Schmerzen  bei  Druck  auf  den  Musculus  erector  spinse  oder  auf 
die  Spinalprocesse  ausgelöst.  Übrigens  klagt  Pat.  über  Schmer- 
zen im  Epigastrium  und  besonders  in  den  Fossae  iliacse.  Der 
Ventrikel  ist  auch  dilatirt.  Der  Magensaft  enthält  Salzsäure, 
Pat.  scheint  geneigt  ihr  Leiden  übertreiben  und  Mitleid  hervor- 
rufen zu  wollen.    Sie  klagt  offenbar  mehr  als  nötig. 

Bei   der   objektiven  Untersuchung  wurde  überhaupt  nichts 


bemerkenswertes  wahrgenommen.  An  den  Kranialnerven  wurde 
keine  Störung  beobachtet,  ausgenommen,  dass  der  Geschmack 
etwas  herabgesetzt,  und  das  Gehörvermögen  etwas  vermindert  war. 

Durch  eine  stärkende  Behandlung  mit  China,  Eisen,  Bä- 
dern, Massage,  Elektricität  u.  s.  w.  wurde  Pat.  gebessert.  Ihr 
Gemüth  wurde  lebhaft,  sie  schien  weniger  weinerlich  zu  sein,  die 
Schmerzen  wurden  etwas  gelindert,  aber  das  Erbrechen  dauerte 
noch  fort,  wie  wohl  nicht  häufig  auftretend.  Pat.  wurde  31.  März 
1890  entlassen. 

Nach  der  Entlassung  befand  sich  Pat.  eine  längere  Zeit 
recht  gut.  Sie  klagte  nur  über  reissende  Schmerzen  im  Kreuz, 
besonders  wenn  sie  sich  nach  vorn  neigte.  Sie  klagte  über  Steif- 
heit und  Empfindlichkeit  im  Nacken  und  war  wegen  der  grossen 
Schwäche  zu  schwererer  Arbeit  unfähig.  Ihre  Nahrung  war 
während  dieser  Zeit  sehr  schlecht,  weil  sie  keine  Arbeit  ausführen 
konnte.  Ihr  Gemüth  war  sehr  herabgestimmt  und  zwar  infolge 
der  brutalen  Behandlung  von  Seiten  des  Mannes,  der  oft  be- 
trunken war. 

Noch  schlechter  wurde  der  Zustand  seit  ungefähr  11  Wochen 
und  sie  wurde  dann  gezwungen  einen  grossen  Teil  des  Tages 
liegend  /;;/  Bette  zuzubringen.  Sie  litt  an  heftigem  Kopfweh  an 
Stirn  und  Scheitel.  Die  Schmerzen  im  Kreuz  waren  anhaltender 
als  früher  und  die  Schwäche  wurde  hochgradig.  Vor  einem 
Monate  bekam  Pat.  einen  Anfall  von,  wie  sie  vermutet,  derselben 
epileptifornien  Beschaffenheit  wie  in  früheren  Jahren.  Der  Verlauf 
des  Anfalles  war  jedoch  nach  ihrer  eigenen  Aussage  den  früheren 
nicht  vollständig  ähnlich.  Dieser  soll  nämlich  ohne  Zuckungen 
verlaufen  sein,  während  die  früheren  immer  von  diesen  begleitet 
waren.    (Vergleiche  den  Bericht  des  Mannes.) 

Den  vor  einem  Monat  eingetretenen  Anfall  schildert  sie 
folgendermassen.  Sie  stand  in  der  Küche  am  Feuerherd.  An 
ihrer  Seite  hatte  sie  ein  Spülfass  mit  AVasser.  Plötzlich  wurde 
sie  von  einem  Gefühl  einer  hochgradigen  Angst  und  Beklommen- 
heit befallen.  Schwindel  trat  ein.  Sie  merkte  wie  sie  zu  Boden 
fiel,  aber  was  dann  erfolgte,  weiss  sie  nicht.  Als  sie  erwachte, 
fand  sie,  dass  sie  in  dem  verschütteten  Wasser  lag.  Der  Mann 
stand  an  ihrer  Seite  und  fragte,  warum  sie  da  liege,  worauf  sie 
antwortete,  dass  sie  davon  nichts  wisse.  Sie  versuchte  sich  auf- 
zurichten, aber  vermochte  es  nicht,  sondern  wurde  vom  Manne 
ins  Bett  getragen.  Sie  bemerkte  nicht  gleich,  dass  sie  in  der 
linken  Seite  gelähmt  war.  Die  Länge  des  Anfalles  schätzt  sie 
auf  eine  Viertelstunde,  aber  der  Mann  giebt  an,  dass  es  gewiss 
höchstens  etwa  5  Minuten  gedauert  habe.  Er  war  nämlich  un- 
mittelbar vorher  im  Zimmer  gewesen;  als  er  eintrat,  lag  das 
Weib  am  Boden  ausgestreckt.  Alle  Glieder  zuckten,  die  Augen 
stiertejt  wild,  das  Bewusstsein  war  geschwunden.  Ob  Schaum  an 
dem  Munde  stand  oder  das  Gesicht  schief  war,  weiss  er  nicht. 
Nach  wenigen  Augenblicken  kam  dann  das  Bewusstsein  wieder 
und  da  sie  sich  nicht  aufrichten  konnte,  trug  der  Mann  sie 
ins  Bett. 

Nach  dem  Anfalle  hatte  sie  beiderseits  vom  Scheitel  hef- 
tiges Kopfweh.  Sie  fühlte  die  Schmerzen  tief  im  Inneren  des 
Kopfes.  Erst  am  folgenden  Tage  empfand  sie,  dass  sie  mit  der 
linken  Hand  die  Nadel  nicht  führen  konnte,  während  die  rechte 
Hand  wie  früher  normal  war.  Nun  fand  sie  auch  bei  näherer 
Untersuchung,  dass  auch  das  linke  Bein  schwächer  als  das  rechte 
war.    Doch   konnte   sie  sowohl  den  linken  Arm  wie  auch  das 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


53 


linke  Bein  etwas  bewegen.  Als  sie  aber  zu  gehen  versuchte,  war 
es  ihr  ganz  unmöglich.  Was  die  Sensibilität  anbetrifft,  so  giebt 
sie  an,  dass  dieselbe  an  der  linken  Körperhälfte  auch  etwas  ver- 
mindert gewesen  sei. 

Die  Sehschärfe  der  Pat.  war  während  der  letzten  Jahre  etwas 
verringert,  aber  nach  dein  Anfalle  soll  sie  ganz .  bedeutend  sich 
verschlechtert  haben.  Infolge  dessen  konnte  sie  jetzt  nur  eine 
sehr  kurze  Weile  lesen,  weil  die  Buchstaben  nach  einigen  Augen- 
blicken sich  nur  als  eine  verworrene  Masse  darstellten.  Früher 
konnte  sie  auch  Geschriebenes  lesen;  sie  konnte  nie  schreiben. 
Sie  war  nicht  farbenblind. 

Betreffend  Geruch,  Geschmack  und  Gehör  hatte  Pat.  keinen 
Unterschied  vor  und  nach  dem  Anfalle  wahrgenommen.  Alkohol- 
missbrauch und  venerische  Infektion  verneint  sie. 

Der  Mann  giebt  an,  dass  sie  nach  dem  Anfalle  meistens 
die  Augen  auf  die  Decke  gerichtet  habe.  Dagegen  hat  er  nicht 
beobachtet,  dass  sie  überwiegend  die  Augen  nach  einer  Seite 
gerichtet  hätte.  Auch  in  der  letzten  Zeit  benahm  sie  sich  oft 
sehr  sonderbar.  Sie  wurde  von  Angst  geplagt,  bat  um  Ver- 
zeihung, weinte  u.  s.  w.  Harn  wurde  nur  jeden  vierten  bis  fünf- 
ten Tag  gelassen.  Die  Auslehiung  trat  nur  jeden  io:tenbis  i4:ten 
Tag  ein,  aber  nach  Aussage  des  Mannes  waren  die  Faekalklum- 
pen  sehr  hart  und  von  einer  erstauenenerweckenden  Grösse. 

Die  Parese  der  linken  Seite  wurde  mit  Massage  und  Elek- 
tricität  von  einem  Quacksalber  behandelt.  Die  Pat.  musste  zuerst 
zu  ihm  nach  seinem  Hause  gebracht  werden,  aber  nach  einigen 
Seancen  wurde  sie  so  gebessert,  dass  sie  selbst  dorthin  gehen 
konnte,  nur  auf  eine  Person  gestützt.  Indessen  dauerte  die  Bes- 
serung nicht  lange.  Eine  Verschlechterung  trat  ein  und  sie  wurde 
am  i2:ten  Mai  1892  in  die  Klinik  aufgenommen. 

Status  praesens  am  i4:ten  Mai  1892. 

Pat.  ist  bettlägrig,  unter  Mittellänge,  schwach  gebaut,  die 
Muskulatur  reduzirt,  aber  das  Fettpolster  gut  entwickelt.  Das 
Gesicht  ist  gelblich,  bleich  und  aufgeschwollen,  aber  sonst  findet 
sich  kein  eigentliches  Oedem.  Die  Haut  ist  übrigens  von  nor- 
maler Elasticität  und  Feuchtigkeit.  Keine  Cyanose.  An  den 
Schleimhäuten  nichts  Bemerkenswertes.  Die  Zunge  ist  nicht 
belegt. 

Subjektive  Symptome. 

Pat.  nennt  sich  selbst  elend  und  weinerlich  und  klagt  über 
Kopfweh. 

Objektive  Untersuchung. 

Der  plötzlich  am  selben  Tage,  als  die  Untersuchung  vor- 
genommen werden  sollte,  eintretende  Anfall  Hess  diese  weni- 
ger vollständig  werden  als  wünschenswert  gewesen  wäre. 

Psyche.  Sie  sieht  und  hört  was  um  sie  vorgeht  und  fasst 
es  wie  es  scheint  normalerweise  auf.  Ihre  Intelligenz  ist  völlig 
klar,  aber  ihr  Benehmen  ist  etwas  sonderbar.  Sie  klagt  viel, 
obschon  sie  anscheinend  nicht  leidet,  sie  plaudert  viel  und  ist 
weinerlich;  sie  scheint  schwerfällig  zu  sein  und  macht  den  Ein- 
druck einer  ausgesprochenen  Hysterischen.  Wenn  sie  im  Bette 
sitzt,  wirft  sie  sich  bisweilen  nach  hinten  auf  den  Rücken  und 
schreit. 

Aphasie.    Wie   schon  erwähnt,  konnte  sie  das  gesprochene 


Wort  richtig  auffassen,  ob  sie  auch  das  Geschriebene  verstand 
wurde  nicht  geprüft.  Sie  sprach  alles  ohne  Schwierigkeit.  Auf 
Agraphie  wurde  sie  wegen  der  kurzen  Zeit  nicht  geprüft.  (Sie 
konnte  auch  früher  nicht  schreiben.) 

Kranialnerven. 

I.  Geruch;  nichts  bekannt. 

II.  Gesicht;  leider  machte  ihr  plötzlicher  Tod  eine  ge- 
nauere Untersuchung  unmöglich.  Nur  folgendes  wurde  gelegent- 
lich bemerkt. 

Wenn  der  Beobachter  auf  ihrer  linken  Seite  stand,  drehte 
Pat.  den  Kopf  und  die  Augen  viel  häufiger  nach  dieser  Seite 
hin,  als  wenn  einer  auf  ihrer  rechten  Seite  stand.  Auf  Hemi- 
anopsie wurde  sie  nicht  geprüft.  Nach  den  anamnestischen  An- 
gaben konnte  sie  auch  während  der  letzten  Zeit,  wenn  auch 
schlecht,  lesen. 

Die  Aussage  des  Mannes,  dass  sie  meistens  die  Augen 
nach  oben  richtete,  bestätigte  sich  im  Krankenhause  nicht.  Seh- 
hallucinationen  wurden  nicht  wahrgenommen. 

III.  IV.  VI.  Keine  hemianopische  Reaktion.  Die  Augen- 
beiuegungen  anscheinend  normal.  Eine  eingehendere  Untersuchung 
wurde  nicht  vorgenommen.    Pupillen  reagiren  auf  Lichtreiz. 

V.    Nichts  Besonderes. 

VII.  Keine  deutliche  Schiefheit  im  Gesicht. 

VIII.  Nach  der  Anamnese  soll  das  Gehör  am  rechten 
Ohr  verschlechtert  sein,  und  überhaupt  war  das  Gehör  ver- 
mindert.   Gehörhallucinationen  wurden  nicht  wahrgenommen. 

IX — XII.    Nichts  Besonderes  beobachtet. 

Sensibiütät. 

Das  Gefühl  in  der  linken  Seite  schien  bei  der  Prüfung 
niclit  herabgesetzt  zu  sein. 

Der  Muskelsinn  ist  nicht  herabgesetzt. 

Motihtät. 

Der  linke  Arm  und  das  linke  Bein  sind  paretisch.  Die 
rechte  Seite  ist  normal. 

Schwache  Kontraktur  der  linksseitige  \  Glieder. 

T  r  o  p  h  i  s  c  h  e  Störungen. 
Am  linken  Unterarme  findet  sich  ein  roter  Fleck,  welcher 
auf  subkutaner  Blutung  beruht.    Kein  Decubitus. 

T  a  g  e  s  a  u  f  z  e  i  c  h  n  u  n  g  e  n. 

^^/ö.  Pat.  versuchte  aufzustehen,  aber  fiel  um  und  wurde 
ins  Bett  gebracht. 

^^/s.  Um  12  Uhr  rief  sie  plötzlich:  »jetzt  kommt  ein  An- 
fall», sie  fiel  auf  den  Rücken  und  wurde  aug^  nblicklich  bewusst- 
los.  Schaum  stand  am  Munde;  Strabismus  trat  ein;  das  rechte 
Auge  war  nach  oben  gerichtet,  das  linke  nach  unten.  Bei  oph- 
thalmoskopischer Untersuctiung,  welche  ungewöhnlich  leicht  war, 
wurde  die  Papille  vollständig  normal  befunden.  Die  Abgrenzung 
war  scharf,  die  Gefässe  scharf,  nicht  dilatirt  oder  verengt.  Keine 
Spur  von  Oedem  oder  Papillitis. 

Pat.  hatte  keine  Zuckungen,  las?  ganz  still  im  Bette  auf 
dem  Rucken.  Die  Herzbewegungen  waren  schwach;  sie  wurden 
für  eine  Weile  durch  Elektricität  etwas  gebessert.    Die  Absicht 


54  S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Pat.  im  Nacken  zu  schröpfen  wurde  wegen  des  schon  nach  etwa 
20  Minuten  eingetretenen  Todes  nicht  ausgeführt. 
Pat.  verschied  um  12,40  n.  M. 

Sektion. 

Gehirn. 

Das  Schädeldach  ist  bedeutend  dick;  keine  Osteophyten  an 
der  Innenseite. 

Z>ic  Dura  ohne  Verdickungen. 

Die  Pia  erscheint  ungewöhnlich  dünn,  ist  aber  im  übrigen 
normal  und  lässt  sich  nur  mit  Schwierigkeit  von  der  Rinde  ablö- 
sen, sie  ist  aber  nicht  mit  ihr  verlötet. 

Die  Hemisphären  machten  gleich  den  Eindruck,  dass  der 
intrakranielle  Druck  vermehrt  gewesen  war,  denn  die  Windungen 
waren  überall  etwas  plattgedrückt  und  die  Gehirnoberfläche  un- 
gewöhnlich blutarm,  wodurch  sie  auch  etwas  gelb  erschien. 

Die  rechte  Hemisphäre. 

Nach  der  Herausnahme  des  Gehirns  schwellt  die  rechte 
Hemisphäre  etwas  auf.   Besonders  gilt  dies  vom  Temporallappen. 

Die  Oberfläche  des  Gehirns  zeigt  sonst  nichts  Abnormes 
mit  Ausnahme,  dass  der  Zwischenraum  zwischen  Gyrus  Hippo- 
campi  und  der  lateralen  Seite  der  Corpora  quadrigemina,  dem 
Kniehöcker  und  Pes  von  einer  gelblichen  Geschwiilstmasse  aus- 
gefüllt ist.  Dadurch  erscheint  der  Temporallappen  breiter  als 
normal.  Die  Geschwulstmasse  tritt  nur  wenig  über  der  Ebene 
des  T-lappens  hervor,  ist  an  der  Oberfläche  etwas  kleinhöckerig. 

An  der  medialen  Seite  sind  sonst  keine  Veränderungen  vor- 
handen, aber  die  Centralganglien  scheinen  etwas  mehr  als  normal 
ausgebreitet  und  etwas  angeschwollen  zu  sein.  Ihre  Konturen 
sind  jedoch  nicht  verwischt. 

Frontal  schnitte.  Die  Hemisphäre  wurde  in  i-c.m. 
dicke  Scheiben  geschnitten. 

An  den  Schnitten  2,  4  und  6  cm.  vor  der  Occipitalspitze 
wurde  keine  Veränderung  bemerkt;  die  Rinde,  das  Mark  und 
speciell  die  Sehstrahlung  waren  vollständig  normal. 

Schnitt  7  cm.  (in  der  Ebene  des  hinteren  Colliculus)  (Taf. 
VII.  Fig.  7).  Eine  taubeneigrosse  Geschwulstmasse  füllt  so  weit 
man  sehen  kann  das  ganze  Unterhorn  von  der  unteren  Fläche 
des  Fornix  bis  zu  ihrem  Boden  aus  (vgl  unten).  Die  Masse  ist 
in  der  Mittellinie  scharf  begrenzt,  liegt  der  lateralen  Fläche  der 
Corpora  4-gemina  unmittelbar  an,  ohne  mit  ihr  zusammenge- 
wachsen zu  sein,  hat  den  Fornix  in  die  Höhe  gedrängt,  drückt 
die  Wand  des  Unterhorns  etwas  nach  aussen,  besonders  an  der 
Mitte  der  Sehstrahlung,  wogegen  die  unteren  etwa  15  m.m.  der 
Sehstrahlung  nur  wenig  oder  gar  nicht  beeinflusst  zu  sein  scheinen. 
Nirgends  infiltrirt  die  Masse  die  Sehstrahlung.  Die  Grösse  der 
Geschwulst  ist:  Länge  35  m.m..  Breite  26  m.m. 

Übrigens  zeigt  der  Schnitt  keine  Veränderung.  Das  Mark 
in  der  Nähe  der  Geschwulst  ist  nicht  malacirt. 

Schnitt  8  cm.  (Taf.  VII.  Fig.  6.)  Die  Geschwulstmasse  füllt 
hier  den  Raum  zwischen  Gyrus  Hippocampi,  dem  Pes  und  Pul- 
vinar  vollständig  aus.  Ihre  Begrenzung  ist  nicht  mehr  so  scharf 
und  sie  kann  von  dem  umgebenden  Gewebe  nicht  mehr  ge- 
trennt werden.  Die  ganze  Umgebung  und  besonders  der  Pes 
und  die  Unterseite  des  Pulvinars  wurden  von  der  Masse  ge- 


drückt, aber  nicht  malacirt.  Die  Kniehöcker  lassen  sich  nicht 
unterscheiden.  Der  Durchschnitt  der  an  dieser  Stelle  härteren 
Geschwulst  ist  12  -}-  26  m.m. 

Schnitt  g  cm.  (Taf.  VII.  Fig.  5.)  Makroskopisch  tritt  die 
Geschwulstmasse  hier  nicht  auf,  aber  das  Gehirngewebe  in  der 
Nähe  des  Tractus  scheint  ein  wenig  verfärbt  und  in  der  Furche 
zwischen  Tractus  und  Ammonshorn  sieht  man  einen  Ausläufer 
der  Geschwulstmasse. 

Schnitt  10  cm.  Der  Tractus  ist  hier  deutlich  von  unten 
nach  oben  abgeplattet  und  misst  am  Durchschnitte  nur  i — 2  m.m. 

Centralganglien. 
Wie  schon  bemerkt  wurde,  sind  die  rechtsseitigen  Central- 
ganglien von  der  Geschwulstmasse  etwas  nach  oben  und  nach 
der  Mittellinie  gedrängt.  Ihre  Form  ist  dagegen  nicht  bemer- 
kenswert verändert.  Die  Frontaldurchschnitte  bestätigen  dieses, 
mit  Ausnahme  dass  die  laterale  Oberfläche  des  Pes  und  die  Unter- 
fläche des  Pulvinar  von  der  Geschwulstmasse  gedrückt  und  in- 
filtrirt ist.  AVie  sie  sich  verhalten,  kann  nur  das  Mikroskop  ent- 
scheiden. 

Sonst  markiren  sich  an  den  Frontalschnitten  alle  Teile 
deutlich,  nämlich  der  Nucleus  caudatus,  die  äusseren  und  in- 
neren Thalamuskerne,  die  Capsula  interna  und  die  Kerne  der 
subthalamischen  Region. 

Dagegen  scheinen  die  Kniehöcker  und  das  Pulvinar  in  der 
Geschwulst  aufgegangen  zu  sein.  Die  Aussenfläche  des  Colli- 
culus anterior  ist  mit  der  Masse  zusammengewachsen. 

Die  frontalen  Teile  der  Centraiorgane  sind  von  der  Ge- 
schwulstmasse nicht  bemerkbar  beeinflusst. 

Die  linke  Hemisphäre 
zeigt  weder  an  der  Oberfläche  noch  im  Inneren  etwas  Abnormes 
mit  Ausnahme   des  Umstandes,  dass  sie  deutlich  durch  den  er- 
höhten intrakraniellen  Druck  etwas  gepresst  war. 

Das  Kleinhirn  und  Medulla  oblongata  sind  auch  etwas  ge- 
drückt, das  Kleinhirn  ist  besonders  mit  seinem  rechten  Rande 
dem  Grosshirn  adhserent,  wie  auch  die  Medulla  oblongata  mit 
Dura  verlötet  ist. 

Mikroskopisches. 

An  den  makroskopischen  Präparaten  war  es  Uberhaupt  mit 
unbewaffnetem  Auge  oder  mit  der  Loupe  unmöglich  Klarheit  dar- 
über zu  gewinnen  wie  weit  die  gummöse  Geschwulst  sich  aus- 
dehnte und  wie  die  angrenzenden  Teile  sich  verhielten.  Dess- 
wegen  wurde  eine  grössere  Schnittreihe  mikroskopischer  Präparate 
von  den  ergriffenen  Abschnitten  verfertigt.  Sogar  an  diesen  mi- 
kroskopischen Schnitten  konnte  nur  mit  grosser  Mühe  die  Lage 
und  Ausdehnung  des  krankhaften  Processes  festgestellt  werden. 

Centralganglien. 
Von  welchem  Punkt  die  Geschwulst,  welche  übrigens  alle 
Charaktere  einer  Gummigeschwulst  hatte,  ausging,  Hess  sich  nicht 
mit  Sicherheit  feststellen.  Ihre  Ausdehnung  und  Lage  sind  oben 
beschrieben;  aber  mit  dem  Mikroskop  liess  sich  bestimmen,  dass 
sie  nicht  in  das  Unterhorn  eindrang,  sondern  vollständig  ausser- 
halb  desselben   lag  und  zwar  mehr  medial  und  die  Wände  d^s 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


55 


Horns  an  einander  gepresst  hatte.  Medial  erreichte  sie  also  die 
Mittellinie,  und  wurde  nach  aussen  durch  den  Gyrus  Hippocampi 
begrenzt.  Hier  hatte  sich  die  Geschwulst  zwischen  die  Wind- 
ungen  des  Subiculum  cornu  Ammonis  eingedrängt. 

Nach  vorn  nahm  die  Geschwulst  den  Raum  ventral  vom 
Pulvinar  ein  und  infiltrirte  es  ohne  scharfe  Grenze,  während  sie 
medialwärts  den  lateralen  Rand  des  Pes  infiltrirte.  Schärfer  war 
sie  nach  aussen  begrenzt  und  hier  liess  sich  stellenweise  der  freie 
Rand  der  Cauda  des  Nucleus  caudatus  und  ein  Rest  des  äus- 
seren Kniehöckers  erkennen. 

Am  schwierigsten  war  es  festzustellen,  wie  die  Neubildung 
sich  zu  den  optischen  Ganglien  verhielt.  Nach  vorn  drang  sie 
höchstens  i  Millimeter  frontal  von  dem  äusseren  Kniehöcker  in 
den  Tractus  opticus  ein.  Nach  hinten  nahm  dann  die  Ge- 
schwulst an  Grösse  zu,  und  infiltrirte  die  beiden  Kniehöcker;  von 
dem  äusseren  war  nur  eine  Spur  mit  Sicherheit  zu  entdecken,  sie 
drang  dann  medialwärts  auf  die  untere  Fläche  des  Pulvinar  sowie 
auf  den  Pes  über.  Dorsalwärts  ist  das  Gewebe  hier  dorsal  vom 
Tractus  (also  die  Capsula  interna,  Lens  und  Pulvinar  bis  zu  etwa 
I  cm.)  in  die  Höhe  geschoben  und  teilweise  infiltrirt.  Gleich- 
zeitig hat  sie  auf  den  Pes  etwa  5  m.m.  Ubergegriffen  und  den- 
selben infiltrirt. 

Die  benachbarten  Gefässe  zeigen  die  typische  syphilitische 
Veränderung,  indem  ihre  Wände  verdickt  sind. 

Was  die  einzelnen  Gebilde  betrifft,  so  wurden  folgende  spe- 
cielle  Veränderungen  gefunden.  Dabei  verzichte  ich  jedoch  auf 
die  genauere  Beschreibung  der  Teile.  Das  der  Neubildung  zu- 
nächst liegende  Gewebe  ist  wesentlich  bis  zur  Unkenntlichkeit 
verändert. 

Thalamus.  Der  frontale  Abschnitt  bis  zum  Pulvinar  verhielt 
sich  überhaupt  normal.  Beim  Durchschnitt  liessen  sich  die  ver- 
schiedenen Kerne  leicht  erkennen. 

Der  innere  Kern  war  kaum  verändert.  (Fig.  5.)  Der 
äussere  hatte  normale  Form  und  eine  Veränderung  durch  Druck 
trat  nicht  hervor,  ausgenommen  im  hintersten  Abschnitte,  welcher 
von  der  Geschwulst  bis  zu  einer  Dicke  von  etwa  5  Millimetern 
infiltrirt  ist.  Die  von  der  Capsula  interna  einstrahlenden  Bündel 
zeichneten  sich  schön  ab. 

Aber  das  Pulvinar  hing  an  seiner  Untenseite  eng  mit  der 
Geschwulst  zusammen  und  war  so  verändert,  dass  sein  hinteres 
Ende  sowie  seine  Konturen  nicht  zu  erkennen  waren. 

Der  rote  Kern  war  anscheinend  unverändert. 

Der  Linsenkörper  war  in  seinem  hinteren  Abschnitt  nach 
aussen  und  oben  gedrängt,  aber  sonst  ohne  Veränderung. 

Der  Luys''sche  Körper  war  ebenfalls  unbeschädigt. 

Der  Pes  war  im  lateralen  Abschnitt  bis  zu  etwa  5  m.m. 
von  der  Geschwulst  infiltrirt. 

Die  Suhstantia  tiigra  scheint  dagegen  nicht  betroffen  zu  sein. 

Die  an  der  lateralen  Seite  des  Nucleus  ruber  nach  oben 
einstrahlenden  Sciileifenfasern  liegen  unten  frei,  höher  oben  in  der 
unmittelbaren  Nähe  der  Infiltration. 

Das  optische  System. 
Vorne   hat   der    Tractus  opticus  seine  Form  erhalten;  auf 
dem  Durchschnitt  (Frontalschnitt)  liegen  zahlreiche  Fasern  gleich- 
mässig  gestreut,  aber  sie  sind  auffallend  spärlich  und  zum  grossen 
Teil  degenerirt  oder  sehr  schmal.    Einige  m.m.  nach  hinten  sind 


schon  die  Fasern  sehr  spärlich  und  deutlich  in  Degeneration  be- 
griffen, schon  vor  dem  Auftreten  der  Geschwulst  verschwinden 
sie  f;ist  vollständig  und  es  sind  fast  nur  noch  Reste  der  Nerven- 
substanz vorhanden. 

Nun  treten  am  ventralen  Rande  des  Tractus  einige  Milli- 
meter vor  dem  äusseren  Kniehöcker  die  ersten  Anzeichen  eines 
gummösen,  gelatinösen  Infiltrates  auf.  Dasselbe  nimmt  rasch 
zu  und  schon  wenige  Schnitte  weiter  nach  hinten  ist  der  Tractus 
zum  grossen  Teil  in  der  Neubildung  aufgegangen,  welche  alsdann 
mit  anderen  rundlichen  Gummiknötchen  zusammenfliesst.  Der 
Punkt,  wo  die  Geschwulst  auftritt,  liegt  nur  wenige  Schnitte  von 
dem  Beginn  des  äusseren  Kniehöckers. 

Dieses  Ganglion  wird  nach  aussen  gedrückt,  abgeplattet  und 
durch  die  Nähe  der  Gummigeschwulst  ist  seine  Struktur  so  ver- 
ändert, dass  ich  nur  nach  langem  Untersuchen  aus  der  Lage, 
dem  Auftreten  einiger  grossen  Zellen  u.  s.  w.,  die  vorliegende 
Partie  für  den  äusseren  Kniehöcker  anzusehen  mich  berech- 
tigt fand. 

Der  äussere  KnicJiöcker  ist  schon  erwähnt.  Sein  vorderster 
Abschnitt  ist,  obschon  verändert  noch  vorhanden.  Die  Haupt- 
masse lässt  sich  nicht  auffinden.  Fasern  im  erhalten  gebliebenen 
Teil  sind  kaum  zu  finden;  von  den  Zellen  sind  nur  einzelne 
vorhanden. 

Der  innere  Kniehöcker  liegt  am  dorsalen  Rande  der  Gummi- 
geschwulst nach  oben  gedrückt,  und  ist  fast  vollständig  in  der 
Neubildung  aufgegangen.  Jedenfalls  ist  er  durch  die  Nähe  der 
Geschwulst  so  verändert,  dass  man  ihn  kaum  mehr  erkennen  kann. 

Der  Beginn  der  Geschwulst  ist  also  gerade  da,  wo  die  me- 
diale Opticuswurzel  sich  abzweigt.  Ob  von  dieser  Wurzel  Fasern 
gerettet  sind,  ist  schwer  zu  entscheiden,  jedoch  kaum  zu  ver- 
muthen.  Aber  es  ist  auffallend,  dass  ungeachtet  der  fast  totalen 
Vernichtung  doch  in  einem  Abschnitte  wenige  m.m.  weiter  nach 
vorn  so  viele,  wenn  auch  schmale  (atrophische?),  Fasern  vorhan- 
den sind.  Dies  deutet  darauf  hin,  dass  doch  eine  nicht  unbe- 
trächtliche Partie  der  Zerstörung  entgangen  ist.  Ob  nun  diese 
erhalten  gebliebenen  Fasern  die  Pupillenreflexfasern  sind,  ist  frag- 
lich. Wenn  dem  so  wäre,  so  dürften  sie  kaum,  wie  ich  sonst 
gern  annehmen  möchte,  auf  der  Oberfläche  des  inneren  Kniehöc- 
kers sondern  tiefer  verlaufen. 

Epikrise. 

Kurzer  Krankenbericht.  Der  Vater  war  Alkoholi- 
ker, die  Mutter  nervös.  Schlechte  Behandlung  in  der  Jugend. 
Im  15.  Jahre  rief  eine  starke  Erregung  einen  cpilcptiscJicii 
Anfall,  ohne  Lähmung,  hervor.  Vom  15.  bis  35.  Jahre 
wiederholte  Anfälle,  welche  später  aufhörten.  Ihr  Mann  war 
venerisch  infizirt;  selbst  hatte  .sie  keine  Anzeichen  von  Lues. 
Herbst  1889  Influenza  mit  starkem  Kopfweh.  Gleichzeitig 
Erbrechen  und  später  Herabsetzung  des  Gehörs  am  rechten 
Ohr.  Wurde  1890  vom  i. — 31.  März  im  Krankenhause  unter 
der  Diagnose  Hysterie  gepflegt.  Sie  litt  an  nervösen  Symp- 
tomen. Ausser  einer  Herabsetzung  des  Geschmacks  und  Ge- 
hörs, fanden  sich  keine  objektiven  Symptome.  Erbrechen. 
Ihr  allgemeiner  Zustand  war  in  der  folgenden  Zeit  überhaupt 
schlecht;  sie  hütete  das  Bett,  klagte  über  Kopfweh  und 
Schwäche.    Im  April  1892  hatte  sie  einen  epileptischen  An- 


56  S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


fall  mit  Zuckungen,  Bewusstlosigkeit  und  linksseitiger  Parese 
der  Motilität  und  Sensibilität. 

Status  prccscns  am  14.  Mai  1892.  Klare  Intelligenz. 
Keine  Aphasie.  Anscheinend  hysterisch,  schreit  bisweilen. 
Sehvermögen  nach  Angabe  herabgesetzt.  Hemianopsie  f.-J. 
Kein  Strabismus.  V.  und  VII.  normal.  Gehör  links  ver- 
mindert. Sensibilität  und  Motilität  waren  links  vermindert. 
Pat.  verschied  unerwartet  am  gleichen  Tag. 

Diagnose.  Art  der  Läsion.  Der  Tod  der  Pat.  trat  im 
Krankenhause  so  plötzlich  und  unerwartet  ein,  dass  eine  gründ- 
lichere Untersuchung  nicht  vorgenommen  werden  konnte. 

Die  in  der  Krankenanamnese  angeführten  Daten  \\  aren 
beim  Tode  nur  zum  Teil  bekannt  und  sind  teilweise  später 
gesammelt  geworden. 

Pat.  trat  Abends  am  12.  Mai  ins  Krankenhaus  ein  und 
starb  schon  am  Mittag  des  14.  s.  M. 

Die  Plötzlichkeit  des  Todes,  nachdem  sie  kurz  zuvor 
einen  apoplektischen  von  Hemiplegie  begleiteten  Anfall  ge- 
habt hatte,  machte  das  Vorhandensein  einer  Häniorrliagic 
recht  wahrscheinlich.  In  Anbetracht,  dass  Pat.  schon  in  ihrer 
Jugend  nach  einer  Gemütsbewegung  bei  der  erwähnten  Auk- 
tion einen  Anfall  gehabt  hatte,  und  dass  sie  bei  einem  frühe- 
ren Aufenthalt  im  Krankenhause  als  eine  Hy.sterica  betrachtet 
wurde,  sowie  auch  ihr  eigentümliches  Benehmen  am  Tage 
vor  dem  Tode  machte  es  wahrscheinlich,  dass  die  frühei'en 
Anfälle,  welche  mit  dem  35.  Jahre  ohne  bekannte  Ursache 
plötzlich  aufhörten,  auch  nur  nervöse  Anfälle  waren.  Im 
Jahre  1890  wurden  ebenfalls  keine  objektiven  Veränderungen 
wahrgenommen,  welche  auf  eine  organische  Hirnkrankheit 
hätten  deuten  können. 

Nimmt  man  hinzu,  dass  ihre  Lähmung  nicht  vollständig 
war,  und  vor  allem  dass  eine  Stasispapille  vollständig  fehlte, 
so  lagen  überhaupt  keine  Anhaltspunkte  für  eine  Geschwulst 
vor,  wenn  auch  das  mögliche  Vorhandensein  einer  solchen 
in  Betracht  gezogen  wurde. 

Die  Sektion  wies  eine  diffuse,  nicht  sehr  grosse  hietiscJie 
Gesclizvidst  nach.  Hier  liegt  also  das  Ungewöhnliche  vor, 
dass  eine  basale  Geschwulst  nicht  mit  Stauung.ssymptomen 
vereint  war,  was  um  so  auffallender  war  als  die  Geschwulst 
von  der  Seite  auf  die  Corpora  4gemina  gedrückt  hatte 
und  deshalb  wohl  eine  Verengerung  des  Sylvischen  Aquä- 
duktes, hätte  hervorrufen  müssen. 

Zweitens  fragt  es  sich :  was  ist  die  Ursache  jener  epi- 
leptiformen  Anfälle,  an  welchen  Pat.  zwischen  ihrem  15. 
bis  35.  Jahre  gelitten  hatte.  Da  Pat.  wahrscheinlich  durch 
ihren  Mann,  welchen  sie  erst  im  20.  Jahre  geheiratet  hatte, 
infizirt  wurde,  so  liegt  kein  Grund  vor  die  Infektion  als 
Ursache  für  die  Anfälle  anzusehen.  Die  Anfälle  waren,  der 
Beschreibung  nach  zu  urteilen,  echte  epileptische.  Sie  waren 
von  Bewusstseinsverlust  und  Zuckungen  begleitet.  Ihr  plötz- 
liches Verschwinden  und  späteres  zweimaliges  Auftreten  ist 
auch  eigentümlich.  Bei  deren  Wiedererscheinen  wurde  Pat. 
hemiplegisch. 

Die  Sektion  wies  keine  anderen  Veränderungen  als  die 
guvnndse  GcscJnvidst  nach.  Ob  mikroskopische  V^eränderungen 
irgendwo   sonst  vielleicht  vorhanden  gewesen  sind,  muss  ich 


dahingestellt  sein  lassen.  Die  Sektion  gab  kaum  eine  Er- 
klärung der  epileptiformen  Anfälle. 

Da  nun  bei  der  Sektion  die  gummöse  Geschwulst  sich 
im  Gyrus  Hippocampi  vorfand,  und  hier  im  Ammonshorn  ja 
nicht  selten  bei  der  Epilepsie  Veränderungen  gefunden  wer- 
den, so  liegt  die  Möglichkeit  vor  an  einen  Zusammenhang  zwi- 
schen dem  Sektionsbefund  und  jenen  Anfällen  zu  denken.  Da 
das  Geruchscentrum  in  der  Nähe  dieser  Stelle  ebenfalls  häufig 
lokalisirt  wird,  so  war  es  eigenthümlich,  dass  Pat.  nie  eine 
Aura  in  Form  von  Geruchsempfindungen  gehabt  zu  haben 
scheint.    Wenigstens  finden  sich  darüber  keine  Angaben. 

A  n  a  1 s  e  der  Symptome. 

Psychische  Symptome.  Wenn  man  die  Symptome  all- 
gemeiner Schwäche  und  Nervosität,  wie  das  Angstgefühl,  die 
hjgentümlichkeit  ihres  Wesens  sowie  das  schon  seit  Jugend 
bestehende  Kopfweh  ausnimmt,  so  waren  keine  hervorstehen- 
den Symptome  vorhanden.  Pat.  war  bei  klarem  Bewusstsein, 
sprach  zusammenhängend,  und  hatte  normale  Gesichts-  und 
Gehör.sperceiationen.  Ilallucinationen  sollen  nie  vorhanden  ge- 
wesen sein. 

Veränderungen  der  lateralen  Oberfläche  fanden  sich  auch 
nicht.  —  Dagegen  war  das  Weib  oft  herabgestimmt,  was  aber 
in  den  misslichen  häuslichen  Verhältnissen  eine  genügende  Er- 
klärung findet. 

Aphasie  in  irgend  einer  Form  war  nicht  vorhanden. 

Kranialnerven. 

I.  Hierüber  ist  nichts  erwähnt. 

II.  Der  Befund  post  mortem  setzt  ausser  Zweifel,  dass 
Pat.  hcmianopisch  war  und  zwar  nach  links.  Die  Geschwulst 
hatte  den  hintersten  Abschnitt  unmittelbar  vor  dem  äusseren 
Kniehöcker  infiltrirt,  und  von  diesem  Ganglion  war  nur  ein 
Überbleibsel  zurück.  In  diesem  konnte  man  nur  einige  spär- 
liche, kaum  mehr  erkennbare  Zellen  nach  langem  Suchen  ent- 
decken, und  Fasern  Hessen  sich  keine  färben.  Die  Haupt- 
masse des  Ganglions  war  in  der  Geschwulst  aufgegangen  und 
nicht  aufzufinden. 

Der  hinterste  Abschnitt  des  Tractus  hatte  nur  spärliche, 
zum  grössten  Teil  degenerirte  Fasern. 

Mit  der  Annahme  einer  Hemianopsie  stimmten  auch  die 
klinischen  Symptome  vortrefflich,  wenn  auch  eine  specielle 
Gesichtsfelduntersuchung  wegen  des  plötzlichen  Todes  der 
Pat.  nicht  vorgenommen  werden  konnte.  Die  Pat.  drehte 
den  Kopf  nach  links,  um  die  an  ihrer  linken  Seite  stehenden 
Personen  zu  sehen,  und  that  dies  in  höherem  Grade  als 
wenn  sie  nach  rechts  hinblicktc. 

Nach  den  Angaben  der  Anamnese  war  auch  die  Seh- 
schärfe der  Pat.  während  der  letzten  Zeit  etwas  vermindert, 
ohne  dass  für  diese  Störung  in  der  Beschaffenheit  der  Augen- 
medien eine  genügende  Erklärung  gefunden  Averden  konnte. 
Als  ich  am  letzten  Tage  die  ophthalmoskopische  Untersuchung 
vornahm,  waren  die  Medien  auffallend  klar  und  durchsichtig. 
Die  Retina  war  ungewöhnlich  leicht  zu  sehen.  Nach  dem 
Anfalle  wurde  eine  ganz  bedeutende  Abnahme  der  Sehschärfe 
konslatirt  und  Pat.  konnte  deshalb  nur  eine  kurze  Weile  lesen. 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


57 


Alle  diese  Phänomene  finden  in  der  Hemianopsie  eine  befriedi- 
gende Erklärung. 

Es  lag  ivohl  also  eine  lijikseitige  Hemia^iopsie  vor. 

Dagegen  fanden  sich  keine  Gesichtshalhicinaiioiie7i.  Wenn, 
wie  einige  Forscher  als  z.  B.  Angelucci,  Meynert  u.  s.  w.  die 
rohen  Gesichtsperceptionen  in  den  subkortikalen  optischen 
Ganglien  enstanden  wissen  wollen,  so  hätten  doch  wohl  auch 
irritative  Prozesse  dieser  Ganglien  oder  des  naheliegenden  Ge- 
webes von  subjektiven  Phänomenen  oder  Hallucinationen  be- 
gleitet werden  müssen.  Das  ist  aber,  meiner  Erfahrung  nach, 
nicht  der  Fall,  während  solche  dagegen  bei  kortikaler  Läsion 
in  den  Occipitallappen  und  sogar  Parietallappen  recht  gewöhn- 
lich sind.  Zur  Zeit  behandle  ich  in  meinem  Krankenhause 
drei  Patienten,  welche  an  kortikaler  (?)  Hemianopsie  leiden. 
Alle  drei  leiden  an  Gesichtshallucinationen.  Früher  (Teil  I 
und  II  Fälle  N:ris  21,  22,  24,  30,  35  (S.  210—213)  36,  42,  45 
habe  ich  besonders  hervorgehoben,  dass  diese  oftmals  die 
Form  von  halbseitigen  Gesichtshallucinationen  und  zwar  im 
blinden  Felde  annehmen. 

Bisweilen  findet  man  doch  auch  bei  Tractusläsionen  Ge- 
sichtshallucinationen. Ob  diese  aber  auf  retinalen  Phosphänen 
oder  wirklichen  Hallucinationen  beruhen,  verdient  untersucht 
zu  werden. 

Schwieriger  wird  es  zu  erklären  dass  die  Jieinianopische 
Reaktion  fehlte.  Bei  dem  nur  kurzen  Aufenthalte  der  Pat. 
im  Krankenhause,  wurden  keine  wiederholten  Prüfungen  vor- 
genommen. Schon  deswegen  hege  ich  jedoch  etwas  Miss- 
trauen zu  der  Richtigkeit  dieser  Beobachtung.  Aus  der  Sek- 
tion geht  es  nun  hervor,  dass  die  Geschwulst  im  Tractus 
ihren  Anfang  genommen  und  an  der  medialen  Seite  des  äus- 
seren Kniehöckers  schon  eine  ansehnliche  Grösse  gewonnen 
hatte.  Sie  hatte  die  medialwärts  vom  Kniehöcker  liegen- 
den Gewebe  teils  nach  oben  gedrückt,  teils  infiltrirt  und  die 
Nervenfasern  sowie  das  Gewebe  in  der  Nähe  der  Geschwulst 
waren  überhaupt  wesentlich  verändert,  was  ich  häufig  in  der 
Umgebung  syphilitischer  Geschwülste  beobachtet  habe.  Gla- 
sige Flecke  ohne  Struktur  und  von  unregelmässiger  Form 
waren  hier  wie  im  Falle  Arnholt  (Teil  I.  Fall  12.  S.  80)  ob- 
schon  in  geringerer  Ausdehnung  vorhanden. 

Dieser  Befund  macht  es  in  hohem  Grade  wahrschein- 
lich, dass  der  innere  Kniehöcker  von  dem  nicht  einmal  Über- 
bleibsel entdeckt  werden  konnten,  entweder  bis  zur  Unkennt- 
lichkeit verändert  oder  von  der  Geschwulst  völlig  infiltrirt  war. 

Wenn  nun  wie  ich  glaube  die  Opticuspupillenreflexbahn 
hier  medialwärts  vom  äusseren  Kniehöcker  mit  der  medialen  ' 
Opticuswurzel  und  dann  an  der  Oberfläche  (?)  des  inneren 
Kniehöckers  verläuft,  so  dürfte  sie  wohl  zerstört  gewesen 
sein.  Gegen  eine  solche  Annahme  spricht,  dass  sich  weiter 
nach  vorn  im  Tractus  zahlreiche  Fasern  fast  über  dem  gan- 
zen Durchschnitt  zerstreut  vorfanden.  Woher  kamen  diese 
Fasern  wenn  nicht  zum  grossen  Teile  von  der  medialen  Wur- 
zel, da  die  äussere  nach  dem  äusseren  Kniehöcker  gelangende 
weiter  nach  hinten  fast  völlig  degenerirt  war? 

Es  liegen  also  hier  Befunde  vor,  welche  schwer  zu  deuten 
sind  und  wenigstens  in  scheinbarem  Gegensatz  zu  einander 
stehen  —  einerseits  die  wenigstens  einmal  beobachtete  nicht- 

S.  E.  Menschen.    Pathologie  des  Gehirns. 


hemianopische  Pupillenreaktion,  anderseits  die  Lage  der  Ge- 
schwulst, welche  die  Pupillenreflexbahn  getroften  haben  muss, 
endlich  das  Vorhandensein  einer  Anzahl  von  Tractusfasern 
bei  Zerstörung  des  äusseren  Kniehöckers  imd  anscheinender 
Infiltration  des  inneren. 

Vielleicht  können  einige  etwas  frontal  von  der  Ge- 
schwulst verlaufende  Pupillenfasern,  der  Zerstörung  entgan- 
gen sein. 

Obschon  der  klinische  Befund  schwierig  zu  deuten  ist 
und  besonders  gegen  meine  Anschauung  anscheinend  spricht, 
konnte  ich  nicht  umhin  denselben  zu  erwähnen.  Dies  schien 
mir  in  Anbetracht  der  Thatsache  einer  Erwähnung  wichtiger, 
selbst  wenn  meine  Theorie  durch  ihn  erschüttert  werden  sollte. 

III.  IV.  VI.  Die  Augen-  und  Pupillenbewegungen  waren 
sonst  normal.  Die  Geschwulst  dehnt  sich  zwar  bis  zur  Nähe 
der  Oculimotoriusbündel  aus,  hat  dieselben  jedoch  nicht  er- 
griffen. 

V.  Da  die  sensible  Bahn  in  den  Centralganglien  nicht 
mit  Sicherheit  ergriffen  war,  so  steht  der  klinische  Befund 
nicht  zu  dem  anatomischen  im  Gegensatz.  Der  Fall  spricht 
jedoch  kräftig  dafür,  dass  die  Trigeminusbahn  nicht  soweit 
nach  hinten-unten  im  Thalamus  verläuft,  als  in  der  Nähe  des 
inneren  Kniehöckers,  denn  diese  Gegend  war  durch  das 
Gumma  wesentlich  verändert  \\'orden  resp.  völlig  infiltrirt. 
Wenn  die  Bahn  höher  oben  und  nach  vorn  verläuft,  dann 
wird  das  Nichtvorhandensein  einer  Trigeminus-Störung  be- 
friedigend erklärt. 

VII.  Die  Infiltration  der  Aussenfläche  des  Pes  spricht 
entschieden  dagegen,  dass  hier  die  Facialisfasern  verlaufen. 

VIII.  Die  Infiltration  des  rechten  inneren  Kniehöcker? 
hatte  keine  auftallende  subjektive  Störung  hervorgerufen. 

XII.  Das  Nichtvorhandensein  einer  Hypoglossuslähmung 
wird  wie  bei  dem  Facialis  erklärt  und  das  dort  Gesagte  gilt 
auch  der  Lage  der  Hypoglossusfasern  im  Pes. 

Sensibilität. 

Da  die  Geschwulst  die  Centralw'ndungen  nicht  berührt 
hatte,  so  erklärt  sich  das  Nichtvorhandensein  einer  Sensibili- 
tätsstörung dadurch,  dass  die  sensible  Bahn  nicht  getroften 
war.  Was  oben  unter  Trigeminus  bemerkt  ist,  gilt  auch  hier. 
Jedoch  scheint  die  Sensibilität  unmittelbar  nach  der  Apoplexie 
etwas  vermindert  gewesen  zu  sein,  was  sich  leicht  aus  der 
in  der  Nachbarschaft  der  Bahn  sitzenden  Geschwulst  zu  er- 
klären lässt. 

Motilität. 

Die  Motilitätsstörung  zeigt  nichts  Abweichendes  von 
dem  was  eine  ge\vöhnliche  Hemiplegie  darbietet.  Der  ein- 
zigste Punkt,  wo  die  Pyramidenbahn  getroften  \\ar,  ^\ar  am 
Pes,  derselbe  ist  zur  Hälfte  von  der  Geschwulst  infiltrirt. 

Später  trat  eine  gelinde  Kontraktur  auf  der  linken 
Seite  ein. 

Der  Tod  wurde  gewiss  durch  Hirnanämie  hervorgerufen. 
Zuckungen  waren  nicht  vorhanden  und  das  Gehirn  im  Ganzen 
sehr  blass. 

8 


58 


S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Fall  6.   Stj ernstr öm. 

Armenhäusicrin.    80  Jalire  alt. 
Taf.  IX.  X.  XI. 


Klinische  Diagnose:  Hemiplegia  sinistpa  e.  Anaesthesia.  Enee- 
phalomalaeia. 

Krankengeschichte. 

Anamnese.  Über  die  Eltern  oder  Verwandten  war  keine 
Auskunft  zu  bekommen. 

Von  den  Kindern  der  Pat.  leben  noch  drei.  Dieselben 
sind  gesund.  Mehrere  sind  jedoch  gestorben,  einige  derselben 
an  »Wassersucht». 

Die  Pat.  scheint  im  Allgemeinen  unter  recht  ungünstigen 
hygienischen  Verhältnissen  gelebt  zu  haben  und  ihre  Beschäftig- 
ung war  oft  sehr  anstrengend.  Während  der  letzten  Jahre  war 
sie  im  Armenhaus. 

Im  Übrigen  war  es  unmöglich,  genauere  Auskunft  über 
die  früheren  Krankheiten  der  Pat.  zu  bekommen.  Sie  hatte  ein- 
mal an  »Wassersucht»  gelitten. 

Seit  längerer  Zeit  leidet  sie  an  Altcrsscliwächc,  doch  konnte 
sie  meistens  ausser  Bett  sein. 

Die  Krankheit  der  Pat.  soll  Ende  iSq2  angefangen  haben, 
wann,  kann  nicht  näher  bestimmt  werden.  Pat.  wurde  dann  von 
Sc/nvindelatifällen  betroffen,  welche  sich  nachher  immer  von 
Zeit  zu  Zeit  wiederholten.  Diese  Anfälle  waren  anfangs  leicht 
und  traten  nur  ein,  wenn  Pat.  versuchte  sich  aufzurichten.  Dabei 
verspürte  sie  eine  gelinde  Eingenommenheit.  Der  erste  stärkere 
SeJnvindelanfall  trat  %ii  Neujahr  dieses  Jahres  (1893)  auf.  Pat. 
fühlte  sich  »eigentümlich»  im  Kopfe,  verlor  plötzlich  das  Be- 
7vusstscin  und  fiel  ohne  weiteres  zu  Boden.  Das  Bewusstsein 
kehrte  bald  zurück,  und  Pat.  schien  von  dem  Anfall  sonst  keinen 
Schaden  genommen  zu  haben.  Nach  dem  Anfalle  hütete  sie  eine 
kürzere  Zeit  das  Bett,  aber  erholte  sich  bald  wieder. 

Während  des  Frühlings  und  des  Sommers  soll  Pat.  mehrere 
solche  Anfälle  gehabt  haben.  Alle  waren  leicht,  aber  wie  dieselben 
sonst  verliefen,  darüber  fehlt  jede  Auskunft. 

Am  10.  Aug.  bekam  Pat.  einen  ernsteren  Anfall  gleicher 
Art  wie  früher.  Diesmal  soll  sie  sich  beim  Fallen  weh  gethan 
haben.  Während  der  darauffolgenden  Zeit  war  Pat.  sehr  »son- 
derbar», hatte  starkes  Kopfweh,  und  beim  Anreden  antwortete 
sie  etwas  verworren. 

Am  23.  Aug.  wurde  Pat.  ins  Akademische  Krankenhaus 
aufgenommen.  Sie  war  damals  nicht  gelähmt.  In  der  Nacht 
zwischen  dem  26.  und  27.  Aug.  stand  Pat.  auf,  bekam  einen 
Schlaganfall  und  fiel  mit  einem  Aufschrei  zu  Boden.  Das  Be- 
wusstsein kam  bald  zurück,  und  nun  bemerkte  man,  dass  die 
linke  Körperhälfte  und  besonders  der  linke  Arm  und  das  linke 
Bein  gelähtnt  waren.  Beim  Falle  hatte  Pat.  sich  eine  Kontusion 
unter  dem  rechten  Auge  zugezogen.  Seitdem  ist  die  Pat.  sehr 
unruhig  und  macht  immer  vergebliche  Versuche  das  Bett  zu 
verlassen.  Pat.  ist  auch  sehr  verworren  und  interessirt  sich  nicht 
mehr  für  das,  was  um  sie  vorgeht. 

Nach  und  nach  ist  die  Beweglichkeit  des  Armes  und  Beines 
zurückgekehrt,  wenn  auch  nur  sehr  unvollständig.    Erst  begann 


Palholog.  anatom.  Diagnose:  Eneephalomalaeia  hemisph,  dextp. 
et  slnistpae. 

Pat.  die  Hand  und  den  Fuss,  dann  den  Unterarm  zu  bewegen, 
und  bald  konnte  sie  sowohl  Arm  wie  Bein  heben. 

Status  praesens  am  19.  Sept.  1893. 

Die  Pat.  ist  bettlägrig.  Die  Muskulatur  ist  reduzirt  und 
schlaff,  die  Kräfte  ebenfalls.  Der  Appetit  ist  recht  gut.  Der 
Stuhlgang  nur  künstlich  zu  erreichen.  Der  Schlaf  ziemlich  gut. 
Die  Temperatur  afebril.  Der  Puls  unregelmässig,  weich,  klein 
und  von  wechselnder  Frequenz,  bisweilen  80,  bisweilen  selbst 
bis  160.  Resp.  20.  Der  Harn  dunkelgelb,  von  saurer  Reaktion 
und  sp.  Gew.  1.017,  enthält  weder  Eiweiss  noch  Zucker. 

Die  Hautfarbe  ist  blassgrau,  an  den  Händen  und  Füssen 
etwas  cyanotisch.  Die  Lippen  blass.  Die  Radialarterien  sind 
sehr  steif  mit  reichlicher  Kalkinfiltration. 

Subjektive  Symptome. 

Pat.  klagt  über  Schmerzen  im  Kopf,  Bauch  und  in  den  Bei- 
nen, sowie  auch  über  allgemeine  Schwäche. 

Objektive  Untersuchung. 

Psychische  Funktionen.  Der  Gesichtsausdruck  ist 
schlaff,  der  Blick  gleichgültig.  Die  Intelligenz  ist  bedeutend 
herabgesetzt.  Am  Tage  liegt  sie  oft  in  einem  somnolenten  Zu- 
stand, aus  welchem  sie  jedoch  ohne  Schwierigkeit  geweckt  werden 
kann.  In  den  Nächten  liegt  sie  dagegen  wachend  da;  sie  schwatzt 
dann  oft  unzusammenhängende  Worte  und  wehklagt  oft,  ohne 
näheres  anzugeben. 

Die  Auffassung  ist  bisweilen  recht  gut,  bisweilen  etwas  ver- 
worren. Sie  fasst  gewöhnlich  die  Fragen  gut  auf  und  antwortet 
in  klarer  Weise  und  führt  Befehle  richtig  aus.  Die  Urteilskraft 
ist  nicht  sehr  scharf.  Das  Gedächtnis  ist  bedeutend  geschwächt, 
bisweilen  ganz  geschwunden.  Namen,  Jahreszahl  und  Ereignisse 
kann  sie  sich  nicht  erinnern,  wohl  aber  in  gewissem  Grade  Per- 
sonen. Der  Gemütszustand  ist  sehr  herabgesetzt.  Sie  seufzt 
oft.    Der  Wille  ist  gewöhnlich  von  richtigen  Motiven  geleitet. 

Hallucinationen  scheinen  vorhanden  zu  sein. 

Aphasie.  Worttaiibheit  ist  nicht  vorhanden.  Pat.  fasst  und 
versteht  richtig  an  sie  gerichtete  Worte.  Ob  Wortblindheit  oder 
Agraphie  vorhanden  ist,  lässt  sich  wegen  der  herabgesetzten 
Sehschärfe  nicht  bestimmen. 

Aphämie  findet  sich  nicht.  Pat.  wiederholt  ohne  Schwierig- 
keit Worte.  Bisweilen  macht  es  ihr  Mühe,  den  richtigen  Namen 
eines  Gegenstandes  zu  finden,  und  verwechselt  oft  Namen:  sie 
nennt  z.  B.  ein  Glas  eine  Schale,  eine  Feder  einen  Pfriemen 
u.  s.  w. 

Seclenblindhcit  oder  Seelentaubheit  ist  nicht  vorhanden. 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


59 


Die  Kranialnerven. 

I.  Der  Geruch  ist  auf  beiden  Seiten  bedeutend  herabgesetzt, 
und  zwar  links  etwas  mehr  als  rechts.  Pat.  kann  nicht  ver- 
schieden riechende  Stoffe  unterscheiden.  So  z.  B.  scheint  ihr 
Ammoniak  und  Campfer  gleichen  Geruch  zu  haben.  Pat.  liebt 
Schnupftabak  sehr,  aber  sie  nimmt  eben  so  gern  Kaffe  und  Senf, 
ohne  einen  Unterschied  zu  ftihlen. 

IL  Die  Sehschärfe  ist  bedeutend  herabgesetzt,  und  zwar 
am  meisten  am  linken  Auge.  Die  Sehschärfe  näher  zu  bestim- 
men war  nicht  möglich,  weil  Pat.  das  Detail  eines  Gegenstandes 
nicht  bestimmen  konnte.  In  Folge  dessen  war  es  auch  unmög- 
lich das  Sehfeld  perimetrisch  zu  bestimmen.  Durch  verschiedene 
Proben  war  es  leicht  sich  zu  überzeugen  einerseits,  dass  das 
Sehfeld  bedeutend  beschränkt  war,  und  andererseits,  dass  das  cen- 
trale Sehfeld  erhalten  war.  Wenn  man  eine  I^ampe  in  der 
Mitte  des  Sehfeldes  herumführt,  so  sieht  Pat.  dieselbe ;  wenn  man 
sie  aber  etwas  aus  dem  Fixationsfeld  entfernt,  so  nimmt  sie  diese 
nicht  mehr  wahr.  Eine  Hemianopsie  ist  jedoch  nicht  vorhanden. 
Keine  hemianopische  Pupillenreaktion.    (Vgl.  unten.) 

Farbensinn.  Pat.  kann  die  verschiedenen  Farben  gut  von 
einander  unterscheiden  und  benennt  sie  meistens  richtig.  Ein 
rotes  Papier  benennt  sie  rot,  ein  blaues  jedoch  »braun». 

Die  ophthalmoskopische  Untersuchung  ergab  keine  abnorme 
Beschaffenheit  der  Retina.  In  den  Linsen  beider  Augen  findet 
sich  eine  centrale  Katarakt;  im  linken  Auge  sind  die  Trübungen 
der  Linse  grösser  als  im  rechten. 

III.  IV.  VI.  Die  Bewegungen  der  Augen  sind  normal, 
aber  etwas  träge.  Strabismus  ist  nicht  vorhanden,  auch  kein 
Nystagmus.  Die  Pupillen  sind  von  gleicher  und  gewöhnlicher 
Grösse;  sie  reagiren  gegen  Lichtreiz,  aber,  wie  es  scheint,  nicht 
bei  Accomodation. 

V.  Berühritngssinn.  Bei  der  Berührung  der  rechten  Ge- 
sichtshälfte mit  einem  Papierstreifen  giebt  Pat.  sofort  die  Berüh- 
rung an;  die  linke  Gesichtshälfte  muss  man  viel  stärker  streichen, 
wenn  Pat.  es  fühlen  soll.  Auch  giebt  sie  die  Empfindung  viel 
langsamer  an. 

Schmerzsi/in.  Beim  Kneifen  oder  beim  Stechen  mit  einer 
Nadel  zeigt  sich  fast  gleiche  Schmerzempfindlichkeit  auf  beiden 
Seiten.  Auf  der  linken  Seite  muss  man  aber  stärker  kneifen  oder 
stechen,  damit  es  die  Pat.  schmerze. 

Wärme-  und  Kältesinn.  Rechts  normal.  Links  bedeutend 
herabgesetzt.  Ein  Probirröhrchen  mit  Wasser  von  15"  C.  fühlt 
sie  nicht  als  kalt,  und  wenn  es  mit  Wasser  50"  C.  gefüllt  ist, 
empfindet  sie  dabei  weder  Wärme  noch  Kälte. 

JDer  Geschmack  an  der  vorderen  Hälfte  der  Zunge  ist  sehr 
herabgesetzt.  Pat.  kann  Salziges,  Süsses  und  Saures  (Salz,  Zucker 
und  Essig)  nicht  unterscheiden. 

Das  Gefühl  der  Zunge  ist  auch  vermindert.  Prüfung  mit 
Papier  und  Nadel. 

VII.  Eine  Ungleichmässigkeit  oder  Schiefheit  des  Gesichts 
ist,  mit  der  zu  erwähnenden  Ausnahme,  7iicht  vorhanden.  Die 
Stirn  wird  beiderseits  gleichförmig  gerunzelt.  Die  Augenlider 
werden  beiderseits  gleichzeitig  und  mit  gleicher  Kraft  geschlossen. 
Der  Mund  dagegen  ist  nach  links  hinübergezogen,  und  die  Lip- 
penränder werden  links  etwas  stärker  geschlossen  als  rechts. 
Die  Nasenspitze  weicht  etwas  nach  rechts  ab.  Sulcus  nasolabialis 


ist  rechts  mehr  markirt  als  links.  Die  Gaumenbögen  stehen 
gleich  hoch,  keine  Deviation  der  Uvula. 

VIII.  Das  Gehör  ist  an  den  beiden  Ohren  herabgesetzt, 
und  zwar  in  ungefähr  gleichem  Grade.  Pat.  kann  eine  Uhr  nicht 
weiter  als  auf  9  cm.  hören. 

IX.  Auch  an  dem  hinteren  Abschnitt  der  Zunge  ist  der 
Geschmack  beiderseits  bedeutend  herabgesetzt.  Süsses  schmeckt 
ihr  »gut»,  aber  sie  kann  es  nicht  näher  bestimmen!  Das  Schlucken 
geht  nur  träge  von  Statten. 

X.  Das  Atmen  ist  normal  und  auf  beiden  Seiten  gleich. 
Die  Respirationsbewegungen  sind  ruhig. 

XL  Die  Stimme  ist  schwach.  Die  Sprache  unklar.  Die 
Stellung  der  Schulter  ist  normal.  Eine  Schiefstellung  des  Kopfes 
ist  nicht  vorhanden. 

XII.  Die  Zunge  wird  nur  unsicher,  träge  und  niclit  weit 
herausgestreckt.  Sie  ist  überhaupt  besonders  nach  links  hin 
schwerbeweglich.  Sie  weicht  nach  keiner  Seite  ab.  Keine  fibril- 
lären  Zuckungen. 

Spinalnerven. 

Sensibilität. 

Berührungssinn.  Er  ist  rechts  normal.  Pat.  empfindet  am 
rechten  Arm,  am  rechten  Bein,  sowie  an  der  rechten  Rumpfhälfte 
auch  eine  leichte  Berührung  mit  einem  Papierstreifen,  wenn  sie 
CS  auch  nur  langsam  angiebt. 

Am  linken  Arm  und  Bein  ist  das  Gefühl  bedeutend  ver- 
mindert. Erst  nachdem  man  sie  recht  stark  und  wiederholt  be- 
rührt hat,  giebt  Pat.  an,  dass  sie  es  verspürt  habe.  Dagegen 
ist  das  Gefühl  an  der  linken  Rumpfhälfte  normal  (gut). 

Schmerzsinn.  Rechts  normal.  Am  linken  Arm  und  Bein 
bedeutend  herabgesetzt.  Man  kann  sie  recht  tief  mit  einer  Nadel 
stechen,  ehe  Pat.  angiebt,  dass  es  sie  schmerzt.  Dies  ist  be- 
sonders am  linken  Unterbein  der  Fall. 

Temperatursinn.  Dieser  Sinn  scheint  beiderseits  herabge- 
setzt zu  sein.  Auf  der  rechten  Seite  giebt  Pat.  erst  einen  Unter- 
schied von  15*'  C.  an,  am  linken  Arm  und  Bein  unterscheidet 
Pat.  nicht  Wasser  von  15"  C.  und  50"  J.  Jenes  ist  nicht  kalt 
und  dieses  nicht  warm. 

Ortsinn.  An  der  rechten  Seite  giebt  Pat.  ziemlich  richtige 
Auskunft  betreffs  der  berührten  oder  gestochenen  Stellen.  Am 
linken  Arm  und  Bein  ist  es  ihr  unmöglich  selbst  nur  annähernd 
die  berührten  Stellen  anzugeben.  Einen  Stich  am  Oberarm  oder 
Fuss  verlegt  sie  resp.  zum  Unterarm  oder  Unterbein.  Sie  ver- 
wechselt selbst  rechts  und  links. 

Die  elektrokutane  Sensibilität.  Es  wurden  keine  genaueren 
Resultate  erreicht.  Sie  scheint  jedoch  am  linken  Arm  und  Bein 
bedeutend  herabgesetzt  zu  sein;  desgleichen  an  der  linken  Ge- 
sichtshälfte. 

Der  Muskelsinn.  Rechts  normal.  Im  linken  Arm  und  Bein 
herabgesetzt.  AVenn  man  den  linken  Arm  in  eine  gewisse  Stellung 
bringt  und  die  Pat.  auffordert  ihn  anzufassen,  so  gelingt  dies 
erst  nach  einer  Weile,  indem  sie  mit  der  rechten  Hand  herum- 
sucht. Pat.  hat  kein  Bewusstsein  von  der  Stellung  oder  Lage 
des  hnken  Beines. 

Der  Rumpf.  Die  Pat.  kann  sich  nur  bis  zur  Hälfte  auf- 
richten und  kann  sich  nicht  umdrehen. 


(50 


S.  E.  HENSCHEN.     PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Motilität. 

Die  Kräfte  und  folglich  auch  die  Bewegung  des  Körpers 
sind  im  Ganzen  herabgesetzt.  Mit  den  rechtsseitigen  Gliedern 
kann  sie  jedoch  ziemlich  unbehindert  alle  Bewegungen  ausführen. 
Die  Bewegungen  sind  jedoch  unsicher  und  tappend.  Der  linke 
Arm  liegt  gewöhnlich  im  rechten  ^\'inkcl  kontraktirt,  still  und 
lässt  sich  nur  schwierig  ausstrecken.  Pat.  kann  mit  ihm  nur 
einige  wenige  Bewegungen  ausführen.  Den  Arm  heben  und 
unter  den  Kopf  legen  geht  leicht  vor  sich,  dagegen  kann  sie  ihn 
nicht  zur  Mittellinie  fuhren.  Nur  mit  Schwierigkeit  und  langsam 
kann  sie  ihn  ausstrecken. 

Auch  die  Bewegungen  des  linken  Beins  sind  höchst  be- 
schränkt. Pat.  kann  in  dem  Hüftgelenk  das  Bein  fast  bis  zum 
rechten  Winkel  beugen.  Dagegen  kann  sie  es  nicht  nach  aussen 
bewegen,  nach  innen  nur  mit  einer  gewissen  Anstrengung;  doch 
kann  sie  das  eine  über  das  andere  legen.  Die  Bewegungen  im 
Kniegelenk  sind  schwach  und  bei  geringerem  Widerstand  unmög- 
lich.   Im  Fussgelenk  sind  keine  Bewegungen  ausführbar. 

Der  Gang.  Pat.  kann  nicht  gehen,  und  nicht  ohne  kräftige 
Stütze  stehen.  Wenn  sie  versucht  mit  einer  Stütze  zu  gehen,  be- 
wegt sie  die  Beine  unregelmässig  und  setzt  oft  den  einen  Fuss 
auf  den  anderen,  ohne  zu  bemerken,  wohin  sie  die  Beine  setzt. 

Die  elektrische  Untersuchung  mit  dem  faradischen  Strom 
zeigt,  dass  die  Irritabilität  im  Gesicht  links  unbedeutend,  in  den 
Gliedern  aber  stärker  herabgesetzt  ist. 

Reflexe.  Der  Cubitalreflex  war  rechts  nicht  vorhanden, 
links  ist  er  schwach.  Der  Patellarreflex  ist  beiderseits  schwach, 
links  stärker  als  rechts.  Dorsalklonus  ist  rechts  nicht  vorhanden, 
wohl  aber  links  und  daselbst  schwach. 

Hautreflexe  fehlen. 

Blase  und  Rectum.  Den  Harn  lässt  Pat.  unter  sich,  oft 
auch  die  Faeces;  Flatus  gehen  oft  unfreiwillig  ab. 

Trophische  Störung. 
Hand  und  Fuss  sind  links  kalt  anzufühlen.  Am  unteren 
Drittel  des  linken  Unterschenkels  gleich  oberhalb  des  vorderen 
Randes  der  Til  "a  finden  sich  Hasmorrhagien  auf  einem  Gebiete 
von  6  —  8  cm.  Hier  finden  sich  auch  zwei  kleine  Geschwüre 
mit  schwarzer  nekrotischer  Haut.  Unter  der  linken  Ferse  findet 
sich  eine  nekrotische  Stelle. 

Die  übrigen  inneren  Organe.  Lungen.  Nichts  Be- 
sonderes. 

Herz.  Der  Herzspitzenstoss  findet  sich  im  6:ten  Interstitium 
2  cm.  ausserhalb  der  Mammillarlinie  und  4  cm.  unterhalb  der 
Mammille.  Er  ist  verstärkt  und  wird  erst  von  3  Fingern  gedeckt. 
Kein  Fremissement.  Die  Grenzen  des  Herzens  sind  vergrossert, 
sowohl  rechts  wie  links. 

Die  Herztöne  sind  an  verschiedenen  Tagen  recht  verschieden. 
Bei  ruhiger  Herzthätigkeit  (80—100)  hört  man  an  der  Spitze  beim 
listen  Tone  ein  Geräusch,  der  2:te  Ton  ist  schwach  oder  un- 
hörbar. Gleichfalls  an  der  Basis.  —  Über  der  Aorta  und  Pul- 
monalis  ist  der  i:ste  Ton  etwas  unrein;  der  2:te  schwach.  Bei 
stärkerer  Bewegung  treten  die  Geräusche  nicht  hervor. 

Leber,  Milz  und  Bauch:  nichts  Besonderes. 


Tagesaufzeichnungen. 

^^/n.  Pat.  hatte  heute  einen  leicht  vorübergehenden  Schivin- 
Jclanfall.  Während  dessen  rollten  die  Augen,  der  Mund  war 
zusammengezogen  und  der  linke  Mundwinkel  etwas  nach  oben 
gezogen.  Im  linken  Arm  wurden  einige  krampfartige  Zuckungen 
bemerkt.    Der  Anfall  dauerte  ungefähr  i  Min. 

^^/'j.  Heute  ist  Pat.  verhältnissmässig  klar  und  sass  halb- 
angekleidet im  Bette  auf. 

'°/io.  Pat.  ist  schlaffer.  Erst  nach  wiederholtem  Fragen 
versteht  sie,  was  von  ihr  verlangt  wird.  Die  Beweglichkeit  des 
linken  Armes  und  Beines  mehr  herabgesetzt  als  vorher. 

^■''/lo.  Der  Zustand  verschlechtert.  Die  cerebralen  Symp- 
tome ausgeprägter  als  früher.  Pat.  ist  sehr  benommen,  die  Spra- 
che ist  unklarer,  fast  unverständlich.  Kann  den  linken  Arm  und 
das  linke  Bein  nicht  mehr  bewegen.  Die  Sensibilität  in  diesen 
Gliedern  ist  auch  geringer  als  früher.  Die  Geschwüre  am  lin- 
ken Bein  sind  grösser  geworden  und  zu  einem  zusammengeflossen. 

^^/lo.  Wie  vorher.  Die  linke  Hand  etwas  geschwollen. 
Sie  konnte  nach  Aufforderung  den  linken  Arm  und  das  linke 
Bein  nicht  bewegen.  Starkes  Kneifen  ruft  eine  leichte  Zuckung 
im  Unterarme  hervor. 

^°/io.  Pat.  liegt  komatös.  Puls  von  134  in  der  Minute. 
Respiration  frequenter  32.  Tracheales  Rasseln. 

^^|io.  Wie  gestern.  Puls  schwächer  links  als  rechts.  Diarrhoe. 

^^/lo.    Respir.  56.    Verschied  heute  um  12.20  m. 

Behandlung.  Digitalis,  Bad,  Wein,  Chloral,  Morphium,  Sul- 
phonal,  Cognak,  T:a  thebaica  etc. 

Anhang.  Bemerkung  bei  der  klinischen  Untersuchung.  Von 
dem  19.  bis  23.  Sept.  wurde  die  Untersuchung  der  inneren  Or- 
gane vorgenommen.  Nach  d.  23.  wurde  die  übrige  Untersuchung 
vorgenommen.  Pat  hatte  während  dieser  Zeit  keinen  Schwindel- 
anfall. 

Die  Prüfung  der  Augen  wurde  wiederholt  an  mehreren 
Tagen  vorgenommen.  Bisweilen  gelangen  die  Proben  nicht.  Bei 
der  Untersuchung  des  Gesichtsfelds  war  Pat.  vollständig  oder 
verhältnissmässig  klar.  Die  Versuche  wurden  teils  zuerst  mit  dem 
Handperimeter  gemacht,  aber  diese  gelangen  nicht  gut,  weil  Pat. 
nicht  fixiren  wollte  oder  konnte.  Deshalb  wurden  die  Proben 
folgendermassen  angestellt.  Nachdem  das  eine  Auge  zugedeckt 
war,  wurde  Pat.  ersucht  mich  oder  die  Hand  zu  fixiren.  Wenn 
sie  nun  fixirte,  wurde  ein  Gegenstand  und  zwar  (am  Tage  ein 
Stückchen  Papier,  am  Abend  eine  Lampe)  von  der  Peripherie 
aus  nach  dem  Centrum  geführt  (Entfernung  ungefähr  45  cm.), 
und  durch  wiederholtes  Ausfragen  und  wiederholte  Versuche 
wurde  das  Gesichtsfeld  bestimmt.  Jedes  Auge  wurde  für  sich 
geprüft  und  zwar  in  allen  Quadranten. 

Dadurch  wurde  zwar  kein  detailliertes  Resultat  gewonnen, 
doch  wurde  folgendes  eruirt: 

1)  Die  Sehschärfe  war  bedeutend  herabgesetzt  (Centrale 
Katarakt). 

2)  Die  Accomodation  war  sehr  herabgesetzt. 

3)  Hemianopsie  war  nicht  vorhanden.  Beide  Augen  in 
dieser  Hinsicht  geprüft. 

4)  Die  Gesichtsfelder  waren  bedeutend  eingeschränkt,  jedoch 
symmetrisch  (mehr  am  linken  Auge)  und  zwar  ungefähr  bis  auf 
20  —  30*^. 

5)  Der  Farbensinn  war  bis  zu  einem  gewissen  Grade  erhalten, 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


61 


Sektion  am  ^^jio  1893. 

Gehirn. 

Schädel  ist  dolichocephalisch,  symmetrisch,  von  gewöhnUcher 
Dicke  und  Durchsichtigkeit,  und  die  innere  Tafel  hat  die  ge- 
wöhnhche  etwas  gelbliche  Farbe. 

Die  Dura  ist  vorne  schlaff  und  nur  über  den  hinteren 
Abschnitt  des  Gehirns  gespannt.  Ungefähr  über  dem  Gyrus 
frontalis  superior  ist  sie  am  Frontalbeine  angewachsen.  Am 
rechten  Frontalbeine  ist  ein  rotbrauner  Fleck  vorhanden.  Seine 
Grösse  misst  8  cm.  An  der  linken  Hälfte  des  Stirnbeins  findet 
sich  eine  platte  i  cm.  breite  Exostose.  Wenig  Blut  im  Sinus 
longitudinalis. 

Die  Gefässe.  An  der  Basis  des  Gehirns  sind  die  Carotides 
steif,  verdickt  und  gelblich.  Die  Arterie  Fossee  Sylvii  haben 
gelbe  Flecke  und  verdickte  Wände.  Ebenso  die  Arteria  basilaris, 
sowie  auch  die  Arteria  corporis  callosi. 

Reichliche  Menge  von  Flüssigkeit  findet  sich  in  den  subarach- 
noidalen  Räumen. 

Linke  Hemisphäre.    (Taf.  X.) 
Pia  wird  ohne  Schwierigkeit  abgelöst. 

Occipitallappen.    (Taf.  X.  Fig.  i.)    (Vgl.  s.  63.) 

Mediale  Fläche.  Hinsichtlich  der  Konfiguration  der  Gyri 
wird  auf  die  Figuren  hingewiesen. 

Der  Cuneus  ist  etwas  klein,  indem  die  Oberfläche  etwas 
eingesunken  ist.  Die  Rinde  ist  auch  in  der  Ausdehnung,  wie 
die  Figur  zeigt,  etwas  gelblich.  Diese  Veränderung  ist,  wie  man 
sehen  kann,  auf  die  Cuneus-fläche  begrenzt.  Sie  erreicht  nicht  die 
Margo  falcata  oder  die  hintere  Hälfte  (3  cm.)  der  Fissura  cal- 
carina,  aber  in  dem  vordersten  (2  cm.)  Abschnitte  erreicht  die 
Malacie  die  Fissura.  An  der  vorderen  Spitze  des  Cuneus  erreicht 
die  Malacie  auch  die  Fissura  parieto-occipitalis. 

Die  untere  Lippe  der  Fissura  calcarina  ist  nicht  angegriffen, 
sondern  fühlt  sich  fest  und  ist  nicht  verfärbt. 

Frontal  vom  Cuneus  ist  eine  Verfärbung  nicht  zu  beobach- 
ten.   Die  occipitale  Spitze  des  Cuneus  ist  auch  verschont. 

Durchschnitte  durch  den  Occipitallappen. 

Die  Spitze  (Fig.  2).  Einen  getrennten  Gyrus  extremus 
giebt  es  eigentlich  nicht;  der  ihm  entsprechende  Gyrus  ist  an 
der  Oberfläche  ein  wenig  verfärbt,  was  auch  aus  Fig.  3.  Taf.  X. 
hervorgeht.  An  der  Spitze  ist  eine  Veränderung  nicht  vorhanden. 

Schnitt  I  cm.  (Fig.  3.)  Keine  makroskopische  Veränderung, 
mit  der  Ausnahme,  dass  die  Rinde  des  Cuneus  in  der  Aus- 
dehnung von  5  —  6  m.m.,  wie  die  Fig.  zeigt,  verfärbt  und  mala- 
cisch  ist.    Die  Veränderung  ist  ausschliesslich  kortikal. 

Schnitt  2  cm.  (Fig.  4.)  Der  Schnitt  ist  völhg  normal,  mit 
Ausnahme  einer  kleinen  kortikalen  Malacie  des  Cuneus  in  der 
Ausdehnung  von  i  cm.  Auch  das  subkortikale  Mark  ist  bis 
zu  einer  Tiefe  von  8  m.m.  malacisch. 

Schnitt  j  cm.  (Fig.  5.)  Der  Schnitt  unversehrt,  mit  Aus- 
nahme, dass  a)  in  der  Rinde  und  im  Mark  des  Cuneus,  dorsal 
von  der  Fissura  calcarina  eine  malacische  Veränderung  vorhan- 
den ist.  Diese  hat  die  Cuneus-rinde  0.6  cm.  weit  zerstört;  die 
Malacie  erreicht  die  Mündung  der  Fissura  calcarina,  b)  das  un- 
terliegende Mark  ist  ebenfalls  zerstört,  aber  zwischen  der  Mala- 


cie und  der  Calcarina-rinde  existirt  ein  makroskopisch  gesunder 
Streifen  von  Mark. 

Die  ganze  Rinde  der  Fissura  calcarina  ist  sonst  völlig  ge- 
sund ohne  Spur  von  Veränderung. 

Die  Schstrahlung:  Im  dorsalen  Abschnitt  der  Sehstrahlung, 
dem  Boden  der  Fissura  gegenüber,  findet  sich  ein  etwa  2  m.m. 
grosses  Loch  (Malacie),  das  die  Sehstrahlung  durchschneidet. 
Diese  Malacie  scheint  von  frischem  Datum  zu  sein,  jedenfalls 
jünger  als  die  andere  Cuneus-erweichung. 

Schnitt  4  cm.  (Fig.  6.)  Auch  hier  ist  die  Schnittfläche 
völlig  gesund,  mit  Ausnahme  einer  kleinen  Malacie,  welche  den 
peripheren  Abschnitt  der  dorsalen  Lippe  einnimmt  und  die 
Rinde  der  Fissura  parieto-occipitalis  in  einer  Ausdehnung  von 
etwa  2  cm.  einnimmt.  Auch  das  subkortikale  Mark  ist  bis  zu 
einer  Tiefe  von  etwa  3  —  4  m.m.  erweicht. 

Die  Rinde  des  Bodens  der  Fissura  calcarina  ist  völlig  nor- 
mal und  auch  die  ganze  ventrale  Lippe. 

Die  Sehstrahlung  ist  in  ihrer  ventralen  Hälfte  schmaler  als 
gewöhnlich;  sonst  aber  ohne  makroskopische  Veränderung. 

Schluss.  i)  Die  Erweichung  der  Cuneus-rinde  hat  weiter 
vorn  auch  den  peripheren  Abschnitt  der  Calcarina-rinde  ergrif- 
fen, überall  aber  ist  der  Boden  der  Calcarina-rinde  völlig  nor- 
mal, sowie  auch  die  ganze  untere  Lippe. 

2)  Eine  Unterbrechung  der  Markleitung  vom  Boden  der 
Fissur  zur  Sehstrahlung  ist  nicht  vorhanden,  nur  am  Schnitt  3 
cm.  giebt  eo  im  dorsalen  Abschnitt  der  Sehstrahlung  eine  kleine, 
2  m.m.  grosse  Erweichung.  In  wie  weit  diese  die  Leitung  un- 
terbricht, ist  schwierig  zu  bestimmen. 

3)  Sonst  ist  die  Sehstrahlung  völlig  normal. 

4)  Dagegen  ist  die  Cuneus-oberfläche  in  grosser  Ausdeh- 
nung erweicht. 

Die  rechte  Hemisphäre.    (Taf.  IX.  X.  XL) 

Die  laterale  Fläche.    (Taf.  IX.  Fig.  i.) 

Frontallappen.  Die  Windungen  sind  zahlreicher  als  nor- 
mal und  etwas  schmal. 

F^  ist  der  Länge  nach  unregelmässig,  zweigeteilt,  aber 
ohne  pathologische  Veränderungen. 

F^.  Pes  des  F^  durch  2  starke  Schenkel  mit  C  verbun- 
den (s.  die  Fig.  i.  Taf.  IX.).  Unmittelbar  vor  dem  Sulcus  prce- 
frontalis  eine  unregelmässige  kortikale  Malacie,  welche  den  F^ 
in  einer  Ausdehnung  von  etwa  35  m.m.  und  einer  Breite  von 
20  m.m.  einnimmt.  Die  Malacie  berührt  auch  in  einer  Aus- 
dehnung von  einigen  Millimetern  F^  und  geht  auf  den  aufstei- 
genden Schenkel  des  F'^  und  die  nächste  ^Vindung  des  F'^  Uber 
in  der  Ausdehnung,  wie  Fig.  5.  näher  zeigt.  Der  malacische 
Herd  ist  etwas  eingesunken,  gelblich,  weich  und  wird  bei  dem 
Ablösen  der  Pia  etwas  fetzig. 

Die  Centraiwindungen  sind  von  abnormer  Form,  und 
in  Folge  dessen  ist  ihre  Begrenzung  etwas  schwierig  zu  be- 
stimmen. 

C"'  ist  im  unteren  Abschnitt  von  einem  tiefen  Sulcus  durch- 
schnitten. Dieser  Teil  geht  mit  zwei  kräftigen  Ausläufern  in  F^ 
über.  Der  obere  Abschnitt  ist  kräftig  entwickelt.  ist  völlig 
normal, 


G2  S.  E.  MENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Auch  CP  ist  in  derselben  Höhe  in  zwei  Teile  abgeteilt. 
Der  ventrale  Abschnitt  ist  an  der  Oberfläche  normal.  Die  der 
Rinde  zunächstliegenden  Teile  sind  in  einer  Ausdehnung  von  2 
cm.  in  ihrer  ganzen  Breite  malacisch.  Die  obersten  3.5  cm. 
haben  eine  unversehrte  Rinde. 

Parallel  mit  läuft  ein  schmaler  Gyrus,  bei  dem  man 
vielleicht  zweifelhaft  sein  könnte,  ob  er  nicht  zum  gerechnet 
werden  sollte.  Richtiger  dürfte  es  doch  sein,  ihn  zum  P"  zu 
rechnen.  Er  zeigt  in  der  Länge  von  35 — 38  m.m.  eine  mala- 
cische  Rinde.  Der  ventrale  Teil  bildet  die  vordere  Windung 
des  P^  der  obere  sollte  vielleicht  richtiger  dem  P^  zugerechnet 
werden. 

Im  Gyrus  angularis  (A)  ist  auch  eine  kleine,  5  —  10  m.m. 
messende  kortikale  Erweichung  vorhanden. 

An  der  Spitze  des  Temporallappens  findet  sich  eine  recht 
scharf  begrenzte  Malacie.  Diese  nimmt  nur  die  äussersten  2.5 
cm.  ein.    (Fig.  i.) 

Im  Occipitallappen  (Taf.  X.)  besteht  im  Cuneus  eine 
kleinere  Malacie,  welche  den  hinteren  Abschnitt  einnimmt.  Sie 
misst  oberflächlich  sagittal  2  cm.,  vertikal  etwa  18  m.m.  und 
berührt  weder  die  Spitze  noch  die  Margo  falcata,  wohl  dagegen 
die  Fissura  calcarina  in  einer  Länge  von  6  m.m.  und  zwar  15 
m.m.  vor  der  Spitze.  Hier  dringt  die  Malacie  in  die  Tiefe, 
was  unten  näher  beschrieben  werden  wird. 

Der  übrige  Teil  des  Cuneus  sowie  der  Lobulus  lingualis, 
die  ventralen  und  lateralen  Flächen  sind  makroskopisch  voll- 
ständig unversehrt  und  normal. 

Die  Fissura  calcarina  ist  nach  hinten  zweigeteilt,  und  sind 
die  Zweige  in  der  Fig.  8.  mit  oc.  inf(erior)  und  oc.  sup(erior) 
bezeichnet. 

Frontaldurchschnitte.  Occipito-Parictallappen. 

Die  Spitze.  (Taf.  X.  Fig.  9.)  Die  äussersten  2  —  3  m.m. 
sind  nicht  verändert,  aber  gleich  nach  vorn  davon  fängt  im  Cu- 
neus die  Malacie  an.  Der  Gyrus  lingualis  ist  dagegen  äusser- 
lich  normal.  Die  kleine  Malacie  ist  makroskopisch  wenig  ver- 
ändert, aber  aus  dem  Durchschnitte  geht  hervor,  dass  die  Er- 
weichung eine  vollständige  ist  und  gegen  das  benachbarte  Ge- 
webe sich  scharf  absetzt.  Sie  nimmt  die  Tiefe  der  Fissura  cal- 
carina vollständig  ein,  wie  aus  der  Fig.  10.  hervorgeht.  Die  hin- 
tere Spitze  der  Fissur  ist  also  völlig  erweicht,  obschon  man  dies 
an  der  Oberfläche  nicht  bemerkt. 

Schnitt  I  cm.  (Taf.  X.  Fig.  10.)  Hier  setzt  sich  die  Er- 
weichung fort,  nimmt  die  Oberfläche  des  Cuneus,  mit  Ausnahme 
der  eigentlichen  Margo  falcata,  bis  zu  einer  Tiefe  von  3  —  5  m.m. 
ein  und  ausserdem  die  ganze  Fissura  calcarina,  und  zwar  so- 
wohl die  obere  wie  untere  Lippe,  mit  Ausnahme  der  Mündung, 
wo  die  Rinde  des  Lobulus  lingualis  in  einer  Ausdehnung  von 
etwa  3  m.m.  makroskopisch  normal  ist  (s.  Fig.  10.)  —  sonst 
sind  die  lateralen  und  ventralen  Flächen  normal. 

Schnitt  /./  cm.  (Taf.  X.  Fig.  11.)  Die  Malacie  nimmt 
nur  die  Lippen  der  Fissura  calcarina  im  Ganzen  17  m.m.  von 
der  äusseren  Fläche  ein  und  greift  also  einige  m.m.  auf  das 
Mark  über  —  sonst  sind  Rinde  und  Mark  normal. 

Schnitt  2  cm.  (Taf.  X.  Fig.  12.)  Hier  ist  nur  die  obere 
Lippe  der  Fissur  und  der  Oberfläche  des  Cuneus  bis  zum  Bo- 


den malacisch ;  der  Boden  selbst  aber  und  die  untere  Lippe  sind 
normal,  wie  auch  die  übrige  Schnittfläche. 
Die  Malacie  liegt  nur  kortikal. 

Schnitt  j  cm.  (Taf.  X.  Fig.  13.)  Die  Schnittfläche  nor- 
mal; ein  suspekter  0,5  m.m.  grosser  Fleck  liegt  an  der  Aussen- 
seite  des  Horns  zwischen  dem  Ependym  und  der  Sehstrah- 
lung (atr.). 

Ausserdem  eine  kleine  kortikale  Malacie  (mal.). 
Schnitt  4  cm.   (Taf.  X.  Fig.  14.)    Hier  finden  sich  2  klei- 
nere Malacien,  welche  nicht  die  Sehstrahlung  berühren. 

a)  Die  eine  liegt  in  dem  Sulcus  collateralis  internus  und 
ist  fast  nur  kortikal  (2,5  m.m.  tief). 

b)  Die  grössere  nimmt  das  Mark  des  T^  ein,  gleich  lateral 
von  der  Sehstrahlung,  entsprechend  einer  Höhe  von  etwa  5  m.m. 
dorsal  vom  Boden  des  Hinterhorns.  Die  Sehstrahlung  ist  nicht 
erweicht,  ihre  Farbe  vielleicht  suspekt. 

Die  Malacie  ist  rundlich-eckig  und  misst  etwa  10  m.m. 
frontal  und  7  m.m.  vertikal  und  dringt  in  der  Tiefe  des  t^  bis 
zur  Oberfläche. 

Schnitt  5  cm.  (Taf.  X.  Fig.  15.)  Die  am  vorigen  Schnitte 
vorhandene  Malacie  verläuft  nach  vorn  und  tritt  nun  an  diesem 
Schnitt  als  eine  kleine,  unregelmässige,  2  —  3  — 4  m.m.  grosse  Er- 
weichung auf.  Sie  liegt  in  der  Sehstrahlung  9  m.m.  dorsal  vom 
Boden  und  hat  dieselbe  in  einer  vertikalen  Ausdehnung  von  etwa 
2  m.m.  unterbrochen.  Die  ventrale  Grenze  der  Malacie  liegt 
7  m.m.  dorsal  vom  Boden  des  Unterhorns,  dem  t'  entsprechend. 

Im  dorsalen  Abschnitt  des  Marks  des  P^  liegt  eine  i  m.m. 
grosse  Erweichung. 

Die  frontale  Hälfte  des  Gehirns  wurde  in  i  cm.  dicke 
Horizontalschnitte  zerlegt. 

Der  dorsalste  Schnitt  misst  2  cm.  und  zeigt  im  hinteren 
Abschnitte  des  F^  eine  kleine,  circumscripte  Malacie,  welche  wie 
eine  mehr  ventrale  im  F^  etwa  2  cm.  vor  dem  C*  liegt. 

Schnitt  2  cm.  (Taf.  IX.  Fig.  2.)  Ventral  von  der  Margo 
falcata  findet  sich  eine  kortikale  Malacie  im  f'  welche,  folglich 
sowohl  F^  wie  F^  berührt. 

Der  C  ist  auch  an  der  Oberfläche  malacisch. 

Schnitt  j  cm.  (Taf.  IX.  Fig.  3.)  Hier  dringen  die  bei- 
den Malacien  tiefer  ins  Mark  ein. 

a)  Die  vordere  im  F^  dringt  2  cm.  ins  Mark  und  misst 
an  der  Oberfläche  kaum  2  cm. 

b)  Die  hintere  im  C'^  ist  etwas  undeutlich  begrenzt  und 
misst  auch  etwa  2+2  cm.  C'''  und  die  vordere  Hälfte  des 
C  werden  nicht  berührt,  aber  im  Mark  sind  wahrscheinlich  die 
Fasern  vom  C  zur  Capsula  interna  durchtrennt. 

Schnitt  4  cm.  (Taf.  IX.  Fig.  4.)  Noch  ausgedehnter  sind 
die  Malacien  an  diesem  Schnitte. 

a)  Die  vordere  nimmt  den  Pes  des  F^  ein  und  streckt  sich 
bis  zum  C'^  und  etwa  2,5  cm.  in  die  Tiefe,  bis  3  m.m.  von  dem 
Ependym  des  seithchen  Ventrikels,  gegenüber  der  Insertion  des 
Balkens.  Die  Breite  der  Malacie  an  der  Oberfläche  ist  etwa 
2,5  cm.    0,°-  wird  nicht  berührt. 

b)  Die  hintere  nimmt  das  Mark  des  C^  und  P^  ein,  hat 
die  Markleisten  zerstört,  aber  die  Rinde  unberührt  gelassen.  Sie 
dringt  bis   2,5  cm.   ins  Innere  ein  und  breitet  sich  hier  in  der 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND  G3 


Corona  radiata  unregelmässig  aus;  makroskopisch  sind  nur  etwa 
die  medialsten  5  m.m.  der  Corona  radiata  normal. 

Im  Schnitt  5  cm.  (Taf.  X.  Fig.  5.)  Hier  sind  die  Er- 
weichungen nur  von  geringer  Ausdehnung. 

a)  Die  vordere  misst  in  frontaler  Richtung  (vergl.  Fig.) 
kaum  2  cm.  und  2  cm.  an  der  Oberfläche  der  Rinde. 

b)  Die  hintere  nimmt  die  hintere  Abdachung  des  C^  und 
den  ein.  Tiefe  etwa  1,5  cm.  und  vordere  Abdachung 
des  CP  sind  normal. 

Mehr  ventrale  Schnitte.  (Taf.  XI.  Fig.  7.)  Die  Ausdeh- 
nung der  Malacie  tritt  hier  an  den  frontalen  Schnitten  hervor. 
Es  zeigt  sich,  dass  nur  an  dem  vordersten  Frontalschnitte  eine 
Malacie  von  etwa  10  m.m.  und  zwar  im  Operculum  sich  findet. 
Weiter  nach  vorn  dringt  die  Malacie  in  F'  nur  einige  m.m. 
ventralwärts  ein. 

Dagegen  dringt  die  hintere  Malacie  im  P"  bis  zur  Fossa  Sylvii 
vor,  greift  aber  auf  die  Insel  oder  den  Temporallappen  nicht  über. 

Die  Rinde  der  Insel  und  die  ganze  Oberfläche  der  Fossa 
Sylvii  ist  makroskopisch  normal  (s.  unten  Mikroskopisches). 

Temporallappen.  (Taf.  XI.)  Hier  ist  nur  die  Spitze 
malacisch. 

Frontalschnitte. 

Die  Spitze  ist  vollständig  malacisch.    (Taf.  XI.  Fig.  6.) 

Schnitt  I  cm.  occipital  von  der  Spitze.  (Taf  XI.  Fig.  7.) 
Hier  sind  T^  (die  dorso-laterale  Fläche)  und  T^  (die  ventro- 
mediale  Fläche)  erweicht.  Teile  von  T^  und  T^  sind  noch  nor- 
mal.   Die  Malacie  durchsetzt  auch  das  Mark  des  T". 

Im  Operculum  ist  eine  i  +  i  cm.  grosse  Malacie  vorhan- 
den; sie  stellt  den  ventralen  Ausläufer  der  frontalen  Malacie  dar. 

Schnitt  2  cm.  (Taf.  XI.  Fig.  8.)  Die  Malacie  dringt  etwa 
2  cm.  mit  einem  5  m.m.  breiten  Sireifen  ins  Mark  zwischen 
T'^  und  T^  ein. 

Schnitt  j  cm.  (Taf.  XI.  Fig.  9)  Die  Malacie  erstreckt 
sich  keiförmig,  jedoch  nur  etwa  i  cm.  hinein  und  berührt 
nur  das  Mark. 

Das  tiefere  Mark  des  Temporallappens  ist  makroskopisch 
nicht  primär  getroffen. 

Im  übrigen  ist  folgendes  zu  bemerken  (Auszug  aus  dem 
Protokolle). 

Herz:  Pericardium  wenig  Flüssigkeit. 

Das  Herz  vergrössert  17  +  11  cm.  Die  Spitze  einige  cm. 
nach  aussen  von  der  Mamllla,  ebenso  der  rechte  Rand  nach 
aussen  verschoben.  Die  Valvul.  Aort?e  sind  zum  Teil  zusam- 
mengewachsen und  etwas  steif.  Die  Mitralklappe  nicht  verän- 
dert, aber  die  Mitralöffnung  mit  ringförmiger  Kalkinfiltration 
behaftet,  welche  sich  in  die  Wand  des  Ventrikels  hinein  fort- 
setzt. Der  hintere  Papillarmuskel  vollständig  kalkinfiltrirt,  ebenso 
teilweise  die  Chordse  tendinese. 

Die  Wände  sind  hypertrophisch,  die  Ventrikel  ausgedehnt. 

Lungen:  Hypostasis  und  Bronchitis. 

Milz:  nichts  Besonderes. 

Nieren:  chronische  Stasisniere.    Foci  embolici. 
Ventrikel:  Gastritis  chronica. 
Leber:  Atrophia  senilis. 


Aorta:  atheromatöse  Ulcerationen,  und  in  den  Art.  iliacse 
Aneurysma  cirsoides. 

Gcnitalia:  Catarrhus  h?emorrhag.  uteri  und  Atropliia  ova- 
riorum. 

Der  Körper  zeigt  Decubitus. 

Mikroskopisches. 

Für  die  mikroskopische  Untersuchung  wurden  sowohl  die 
rechten  wie  die  linken  Occipito-Parietallappen  in  Frontalschnitte 
zerlegt.  Färbung  nach  Weigert  und  Marchi  und  mit  Carmin. 
Ausserdem  wurden  die  rechtsseitigen  Centralganglien  in  horizon- 
tale und  die  linksseitigen  in  frontale  Schnitte  zerlegt. 

Die  linke  Hemisphäre.   (Taf.  X.  Fig.  i  —  7.) 

Schnitt  2  cm.  Zuerst  ist  zu  bemerken,  dass  ein  breiter 
Vicq  d'Azyr'scher  Streifen  auf  2  übereinander  liegende  Furchen 
sich  ausdehnt.  Aus  diesem  Grunde  dürfte  man  berechtigt  sein, 
auch  zwei  tlbereinander  liegende  Fissur?e  calcarinfe  anzunehmen, 
wenn  man  überhaupt  geneigt  sein  möchte  anzunehmen,  dass  diese 
Furche  durch  jenen  Streifen  charakterisirt  würde. 

Eine  Sehstrahlung  tritt  an  diesen  Schnitten  noch  nicht  als 
besondere  Schicht  hervor. 

Cuneus.  In  der  Rinde  des  Cuneus  findet  sich  eine  teils 
kortikale  Malacie  von  etwa  i  cm.  Ausdehnung  mit  zahlreichen 
Körnchenzellen,  teils  eine  subkortikale  Erweichung  von  etwa 
4  m.m. 

Das  darunterliegende  Mark  zeigt  eine  auffallende  Atrophie 
und  Degeneration  bis  zu  einer  Tiefe  von  1,5  cm.  Das  atroph- 
ische Gebiet  hat  eine  Keilform,  mit  der  Spitze  nach  unten  ge- 
gen die  Spitze  der  Sehstrahlung  gerichtet;  es  umfasst  aber  auch 
die  zur  Margo  falcata  verlaufenden  Fasern. 

Fissura  calcarina.  Die  Rinde  zeigt  keine  Veränderung, 
nur  sind  die  Zellen  aller  Schichten  reichlich  pigmentirt:  der  Vicq 
d'Azyr'sche  Streifen  sowie  die  radiären  und  tangentialen  Fasern 
sind  in  normaler  Menge  vorhanden. 

Das  subkortikale  Mark  ist  intensiv  gefärbt. 

Im  O^  findet  sich  eine  m.m.  breite  und  mehrere  m.m.  von 
vorn  nach  hinten  sich  erstreckende  Malacie  vor;  von  dieser 
kann  man  einen  atrophischen  Streifen  bis  zur  Sehstrahlung 
verfolgen.  Sonst  scheint  die  ventrale  und  laterale  Rinde  auch 
mikroskopisch  normal  zu  sein.  Die  Zellen  sind  jedoch  häufig 
pigmentirt,  wenn  auch  nicht  in  dem  gleichen  Grade  wie  in  der 
Fissura  calcarina.    Das  subkortikale  Mark  ist  normal. 

Das  tiefe  Mark  hat  normale  Fasern,  ausgenommen  in  dem 
der  Malacie  entsprechenden  Gebiete,  wo  die  Fasern  völlig  im 
Zerfall  begriffen  sind. 

Schnitt  etwa  2,;  cm.    Wie  der  vorige  Schnitt. 

Im  Cuneus  und       finden  sich  die  eben  erwähnten  Malacien. 

Im  findet  man  ausserdem  einen  etwa  6  m.m.  grossen 
oberflächlichen  Defekt  in  der  Rinde  mit  sekundärer  Mark- 
atrophie. 

Die  Rinde  der  Fissura  calcarina  und  ihr  subkortikales 
Mark  sind  normal. 

Die  Selistrahlung  tritt  hier  als  eine  besondere  Bildung  her- 
vor. Sie  zeigt,  besonders  in  ihrem  ventralen  Abschnitte,  eine 
auffallende  Atrophie  der  drei  Schichten. 


64 


S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Schnitt  j  c.vi.  Die  Ausdehnung  der  Malacie  in  der  oberen 
Lippe  der  Rinde  der  Fissura  calcarina  ersieht  man  aus  der 
Abbildung;  die  Rinde  ist  nur  an  der  Mündung  der  Furche  be- 
troffen. 

Die  Sehstrahluiig  zeigt  überall,  besonders  in  der  mittleren 
Schicht  einen  Faserausfall  und  im  dorsalen  Abschnitt  eine  ausge- 
sprochene Veränderung.  Dieselbe  wird  teils  durch  die  ausge- 
dehnte Atrophie  der  Cuneus-rinde,  teils  durch  eine  oder  richtiger 
zwei  kleinere  Malacien  (und  Atrophien)  in  der  lateralen  Rinde 
in  der  Tiefe  des  Sulcus  occipitalis  superior  bewirkt.  Die  eine  von 
diesen  dringt  bis  in  die  Sehstrahlung  ein.    (Taf.  X.  Fig.  5  atr.) 

Sowohl  die  innere  wie  die  äussere  Schicht  zeigt  in  ihrem 
dorsalen  Abschnitt  eine  deutliche  Degeneration  der  Fasern, 
was  sich  in  gleicher  Weise,  wie  die  Degeneration  der  mittleren 
Schicht,  erklärt. 

Die  Rinde  und  das  subkortikale  Mark  der  Fissura  calca- 
rina sind  normal. 

Schnitt  4  cm.  Fissura  calcarina.  Die  Rinde  und  das  sub- 
kortikale Mark  sind  normal.  Die  Lage  und  Form  der  Malacie 
(s.  Fig.  6). 

Die  Sehstrahluiig  ist  überhaupt  schmal  und  zeigt,  im  dor- 
salen Abschnitte  zwei,  im  ventralen  eine  begrenzte  Atrophie 
(s.  Fig.  6.) ;  beide  liegen  hauptsächlich  in  der  mittleren  Schicht. 
Auch  im  ventralen  Abschnitt  ist  ein  Faserausfall  vorhanden.  Die 
Associationsschichten  sind  dünn. 

Schnitt  ß  cm.  Die  mikroskopische  Untersuchung  bestätigt 
den  makroskopischen  Befund  hinsichtlich  der  Lage  und  Form 
der  in  der  Sehstrahlung  vorhandenen  Atrophie.  Ihre  Form 
und  Lage  wechseln  etwas;  die  Fig.  7.  zeigt  die  durchschnittliche 
Lage  und  Form. 

Schnitt  6  cm.  In  der  Sehstrahlung  liegen  etwa  2  cm. 
dorsal  vom  Boden  des  Hinterhorns  drei  unregelmässige  atro- 
phische Flecke.  Diese  entsprechen  deutlich  den  begrenzten  Atro- 
phien, welche  am  vorigen  Schnitte  (s.  Fig.  7.)  etwa  i  cm.  mehr 
ventral  liegen  und  mit  atr.  bezeichnet  sind. 

An  Marchi'schen  Präparaten  findet  man: 

1)  in  der  Associationsschicht  an  der  Wand  des  Hinterhorns 
häufig  atrophische  Fasern; 

2)  in  der  mittleren  Schicht  zeichnen  sich  die  erwähnten 
Atrophien  entweder  blass,  oder  sie  sind  mit  schwarzgefärbten 
Resten  von  Körnchenzellen  besetzt.  Sie  stammen  wahrscheinlich 
aus  verschiedenen  Krankheitsperioden; 

3)  degenerirte  Flecke  in  der  lateralen  Associationsschicht; 

4)  zahlreit;he  degenerirte  Fasern  im  Splenium  corporis  cal- 
losi.  Diese  Degeneration  tritt  auch  an  den  Weigert'schen  Präp. 
hervor. 

Schnitt  7  cm.  (durch  den  freien  Teil  des  Pulvinars). 

Die  Sehstrahlung  überhaupt  etwas  blass,  ohne  begrenzte 
Atrophien.  Im  dorsalen  Abschnitt  der  lateralen  Insertion  des 
Pulvinars  ist  sie  auffallend  blassgelb  (atrophisch),  und  zwar  mehr 
ventral-  als  dorsalwärts;  besonders  zeichnet  sich  ein  dreieckiges 
Feld  aus,  welches  etwa  in  der  Höhe  des  hier  noch  nicht  er- 
scheinenden äusseren  Kniehöckers  liegt. 

Die  Fasern  sind  in  diesem  Gebiete  recht  stark  varicös, 
aber  die  ins  Pulvinar  einstrahlenden  Bündel  hatten  ganz  normale 
Fasern. 

Schnitt  8  cm.  (durch  das  Brachium  anterius). 


Brachium  anterius:  Viele  starke  Fasern  sind  in  Degene- 
ration begriffen  (Marchi),  wie  auch  einzelne  starke  im  Stratum 
opticum  des  Colliculus  anterior. 

Brachium  posterius:  zahlreiche  degenerirte  Fasern. 

Corpus  geniculatum  internum :  zahlreiche  vom  Brachium 
anterius  kommende  oberflächliche  Fasern  in  Degeneration  be- 
griffen, nicht  aber  die  tieferen  (—  mehr  dorsalen). 

Corpus  geniculatum  cxternum:  keine  begrenzte  oder  diffuse 
Atrophie.  Fasern,  Markstreifen  und  Zellen  zahlreich  und  nor- 
mal. Selbst  an  den  Marchi'schen  Präparaten  war  sonst  nichts 
Abnormes  zu  beobachten.  Das  Wernicke'sche  lateral  vom  äus- 
seren Kniehöcker  liegende  Feld  enthält  gut  gefärbte  Nerven- 
fasern in  normaler  Anzahl.  In  ventralen  Abschnitten  parallel 
mit  dem  ventralen  Rande  tritt  an  vielen  Präparaten  ein  Streifen 
hervor  (Fasernausfall  ?). 

Schnitt  p  cm.  Nichts  Abnormes.  Die  Schnittserie  umfasst 
die  hintere  Hälfte  der  Centralganglien  vor  dem  Kniehöcker. 

Rechte  Hemisphäre. 
Occipitallappen  (Taf.  X.  Fig.  8 — 15). 

Schnitt  i,s  cm.  (Fig.  ii).  Ausser  der  makroskopischen  Er- 
weichung der  Gegend  der  Fissura  calcarina  tritt  eine  kleine 
kortikale  Erweichung  zwischen  und  T*  hervor  und  ebenfalls 
eine  kleine  kortikale  Erweichung  im  dorsalen  Teil  des  Cuneus. 
Endlich  lassen  sich  noch  durchs  Mikroskop  zwei  kleine  Rand- 
erweichungen in  der  lateralen  Rinde  (O^)  entdecken  (s.  Fig.  11). 
Die  Sehstrahlung  Ist  in  ihrer  Mitte  sekundär  degenerirt,  es  sind 
jedoch  die  Trümmer  der  Nervenfasern  noch  vorhanden.  Die 
makroskopische  Erweichung  hat  die  Ausdehnung,  wie  sie  die  Fig. 
1 1  zeigt,  aber  rings  um  diese  Erweichung  herum  findet  man 
eine  recht  ausgedehnte  mikroskopische  Degeneration,  welche  sich 
nach  unten  und  aussen  wenigstens  3 — 4  m.m.  weit  hinzieht  und 
sich  nach  oben  noch  weiter  ausbreitet.  Fast  überall  im  Mark 
findet  man  deshalb  degenerirte  Fasern. 

Die  laterale  Schicht  der  Sehstrahlung  wird  von  zahlreichen 
radiären  blassen  Streifen,  die  von  der  Fissura  calcarina  kommen, 
(nach  der  lateralen  Rinde  ziehenden  degenerirten  Assoclations- 
bündeln)  durchsetzt. 

Schnitt  2  cm.  (Fig.  12).  Die  makroskopische  Erweichung 
dringt  bis  zur  Wand  des  Hinterhorns  vor  (s.  Fig.  12).  Ausserdem 
findet  sich  im  Mark  eine  und  In  der  lateralen  Rinde  einige  fast 
mikroskopische  Erweichungen.  Die  Sehstrahlung  ist  degenerirt; 
aber  je  welter  die  Schnitte  nach  vorn  liegen,  um  so  zahlreicher 
treten  normale  Fasern  auf. 

Schnitt  j  cm.  (Fig.  13).  Einige  kleine  kortikale  Malacien 
von  I — 4  m.m.  Grösse  in  dem  lateralen  und  ventralen  Mark. 
Die  Sehstrahlung  ist  sonst  nunmehr  fast  nur  noch  in  ihrem 
dorsalen  Abschnitte  etwas  atrophisch.  Etwas  lateral  von  Ihr  liegt 
ein  einige  Millimeter  grosser  Fleck,  welcher  sich  welter  nach 
vorn  bedeutend  vergrössert  und  zwar  lateralwärts. 

Schnitt  4 — 5  cm.  (Fig.  14.  15).  Die  eben  erwähnte  kleine 
Malacie  dehnt  sich  hier  bedeutend  aus  und  liegt  in  einer  Anzahl 
von  Präparaten  nicht  nur  unmittelbar  der  Sehstrahlung  an,  sondern 
hat  auch  auf  eine  Strecke  von  2  —  2,5  Millimeter  die  Sehstrahlung 
mehr  oder  weniger  vollständig  zur  Atrophie  gebracht.  Aber  selbst 
hier  findet  sich   noch  eine  Anzahl  von  Nervenfasern  erhalten. 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


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Diese  Stelle  liegt  etwa  8  m.m.  dorsal  vom  Boden  des  Hinter- 
horns (s.  Fig.  15.  mal.). 

Auch  einige  m.m.  weiter  ventralwärts  ist  die  Sehstrahlung 
zum  Teil  atrophisch. 

Schnitt  5 — 6  cm.  Die  Sehstrahlung  ist  mehr  diffus  blass 
(Faserausfal!) ;  sonst  zeigt  sie  keine  nennenswerten  Veränderungen. 
Keine  begrenzten  Atrophien. 

Die  Centralganglien. 
Die  Centralganglien  der  linken  Hemisphäre  wurden  in 
Frontalschnitte  zerlegt,  um  die  eventuell  von  dem  Occipitallappen 
ausgehende  Degeneration  bis  in  die  Centralganglien  verfolgen  zu 
können.  Das  magere  Untersuchungsergebnis  findet  sich  oben 
auf  Seite  64. 

Die  Centralganglien  der  rechten  Hemisphäre  wurden  in 
eine  Serie  von  Horizontalschnitten  zerlegt,  um  die  sekundären 
Veränderungen  der  Malacie  der  Rinde  der  Centralganglien  besser 
zu  verfolgen.  Die  Beschreibung  derselben  verfolgt  die  Richtung 
von  oben  nach  unten.  Die  obersten  Schnitte  entsprechen  der 
Oberfläche  der  Fig.  5  Taf.  IX. 

Die  Rindenmalacie  fällt  mikroskopisch  mit  der  makro- 
skopischen zusammen.  Die  Ausbreitung  dieser  Malacie  in  den 
dorsalen  Schnitten  ersieht  man  aus  den  Fig.  i  und  5  Taf.  IX. 
Etwas  tiefer  unten  (Ser.  a),  ist  das  Operculum  superius,  zwar  in 
seinem  hinteren  Abschnitt,  malacisch,  aber  die  Erweichung  greift 
am  Vereinigungspunkt  zwischen  Operculum  und  Inselrinde  nur 
in  kleiner  Ausdehnung,  etwa  i  cm.  in  sagittaler  Richtung,  auf 
diese  über,  auf  das  subkortikale  Mark  jedoch  gar  nicht. 

Noch  tiefer  nach  unten  (Präp.  Serie  b)  sind  die  2  hintersten 
Centimeter  der  Inselrinde  ergriffen  und  ausserdem  das  subkorti- 
kale Mark  bis  zu  einer  Tiefe  von  etwa  3  m.m.  Weder  das 
Putamen  noch  die  Occipitalstrahlungen  sind  betroffen. 

Noch  tiefer  in  der  Höhe  der  Glandula  habenulse  und  des 
unteren  Rands  des  Opferculums  ist  zwar  die  Rinde  des  letzteren 
malacisch,  aber  die  Inselrinde  hat  makroskopisch  ihr  normales 
Aussehen  fast  wiedergewonnen,  unter  dem  Mikroskope  jedoch 
zeigt  sich  die  Textur  der  Rinde  völlig  verändert,  indem  die 
Zellen  vollständig  degenerirt  und  die  Fasern  verschwunden  sind. 
Das  subkortikale  Mark  färbt  sich  kaum,  wohl  aber  die  äussere 
Kapsel  des  Linsenkerns. 

Die  Veränderung  der  Inselrinde  ist  weiter  unten,  in  der 
Höhe  des  Tractus  und  des  T\  noch  vollständiger,  sie  ist  hier 
völlig  malacisch. 

Im  untersten  Abschnitt  (Höhe  des  Uncus)  ist  die  Insel- 
rinde normal. 

Thalamus  opticus. 

Dorsale  Schnitte.  Die  Hauptmasse  des  Thalamusgewebes 
ist  normal.  Malacien  sind  nicht  vorhanden.  Die  Fasernetze 
von  normalem  Reichtum;  die  Fasern  sind  normal  gefärbt,  nicht 
varikös.  Die  einstrahlenden  Bündel  sind  an  Zahl  und  Konsti- 
tution normal.    Die  Gitterschicht  normal. 

Die  Zellen  sind  auffallend  pigmentreich,  viele  scheinen 
runder  als  normal  zu  sein,  andere  sind  eckig  und  mit  deutlichen 
Fortsätzen. 

Ventrale  Schnitte.    Auch  hier  finden  sich  keine  deutlichen 
Veränderungen,  ausgenommen,   dass   eine   Anzahl   der  an  dem 
S.  E.  Menschen.    Pathologie  des  Gehirns. 


medialen  Rande  gelegenen  Fasern  degenerirt  ist.  Woher  diese 
stammen,  bleibt  unklar. 

Fiilvinar  ohne  etwas  Bemerkenswertes. 

N  u  c  1  e  u  s  1  e  n  t  i  f  o  r  m  i  s. 

Das  Piitamen  scheint  nicht  durch  die  Rindenveränderung 
gelitten  zu  haben.    Nirgends  dringt  die  Malacie  in  dasselbe  ein. 

Die  äussere  Kapsel  des  Putamens  ist  zwar  makroskopisch 
intakt,  ihre  Fasern  sind  jedoch  in  grosser  Ausdehnung  im  Zerfall 
begriffen  und  färben  sich  überhaupt  schwach.  Ebenso  verhalten 
sich  die  durch  den  frontalen  Abschnitt  des  Putamens  tretenden 
Bündel. 

Der  Globus  pallidus  und  die  Ansa  lenticularis  sind  völlig 
normal.  Die  Fasernetze  sind  kräftig  entwickelt  und  die  Fasern 
intensiv  gefärbt. 

Nucleus  caudatus  ohne  Veränderungen. 

Corpus  geniculatum  intcrnuni  ohne  Besonderes. 

Corpus  geniculatum  externu?n  ohne  Veränderungen.  Die 
Fasern  zeigen  sich  schön  gefärbt,  die  Markleisten  kräftig  und 
wohl  markirt.  Die  Zellen  ohne  deudiche  Veränderungen.  Die 
Marchi'schen  Präp.  lassen  keine  Atrophie  erkennen. 

Tractus  normal. 

Capsula  interna. 
//;/  dorsalen  Abschnitte  des  Thalamus. 

Die  frontale  Strahlung.  Die  Hauptmasse  enthält  normale 
Fasern,  nur  die  durch  das  Putamen  tretenden  sind  atrophisch 
oder  im  Zerfall  begriffen. 

Die  mittlere  (von  der  lateralen  Rindenfläche  kommende) 
ist  im  Allgemeinen  auch  normal. 

Die  occipitale  Strahlung  enthält  fast  ausschliesslich  normale 
Faserbündel,  ausgenommen  die  medialsten  derselben,  welche  sehr 
varikös  sind.  Die  unmittelbar  lateral  von  der  Strahlung  liegenden 
tieferen  Assoc'ationsfasern  der  lateralen  Rinde  sind  dagegen  im 
Zerfall  begriffen. 

An  den  Marchi'schen  Präparaten  entdeckt  man  jedoch, 
dass  eine  ansehnliche  Anzahl  von  diesen  Fasern  der  frontalen, 
centralen  und  occipitalen  Strahlungen,  welche  die  Capsula  interna 
durchsetzten,  in  der  That  partiell  degenerirt  sind,  wenn  auch  die 
Weigert'schen  Präp.  dies  nicht  so  deutlich  zeigen. 

Etwas  tiefer  sieht  man  an  den  Marchi'schen  Präp.,  dass  auch 
nicht  wenige  von  den  in  dem  unteren  Abschnitt  der  Capsula  in- 
terna nach  unten  verlaufenden  Fasern  degenerirt  sind  (Ser.  C.  5), 
und  dieses  tritt  noch  deutlicher  im  Pes  hervor.  Hier  enthält  der 
mittlere  x\bschnitt  eine  grössere  Anzahl  degenerirter  Fasern. 

Corpus  quadrigeminum  anterius  dextrum  et  sinistnnn  ohne 
Veränderung,  ausgenommen,  dass  sich  in  dem  linken  einige  de- 
generirte  Fasern  vorfinden. 

Medulla  oblong  ata. 
Bindearme,   Olivas  und  die  übrigen  Gebilde  zeigen  nichts 
Besonderes. 

Die  Schleife:  An  den  Weigert'schen  Präp.  konnte  nichts 
Abnormes  wahrgenommen  werden,  weder  in  der  Form,  noch 
der  Grösse  oder  der  Färbung.  An  einigen  Präp.  nach  Marchi 
dagegen  fanden  sich  in  den  beiden  Schleifen  hie  und  da  schwarze 
Klümpclien  als  Anzeichen  einer  Degeneratioi.. 

9 


66 


S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Pyraiuidetibahn:  Ein  Unterschied  in  Farbe  oder  Grösse 
wurde  nicht  wahrgenommen,  aber  es  fanden  sich  in  beiden  recht 
zahlreiche  schwarze  KUimpchen,  und  zwar  viel  zahlreicher  in 
der  rechten  als  in  der  hnken.  Sie  waren  gleichmässig  über  den 
Durchschnitt  verteilt. 

Kleinhirn:  An  einer  Anzahl  von  Querschnitten  der  Pe- 
dunculi  cerebelli  wurde  nichts  Pathologisches  wahrgenommen. 

Epikrise. 

Kurzer  Krankenbericht.  Keine  nervöse  Belastung. 
Schlechte  hygienische  Verhältnisse.  1892  Schwindclanfiille, 
anfangs  leichterer,  später  sch^verer  Art.  Zu  Neujahr  1893 
ein  stärkerer  Schwindelanfall,  mit  Bewusstseinsverlust,  aber 
ohne  nachfolgende  Lähmung.  Während  des  Frühlings  und 
des  Sommers  wiederholte  Anfälle  leichterer  Art.  Um  den 
10.  Aug.  ein  Anfall.  Wurde  am  23.  Aug.  1893  ins  Kranken- 
haus aufgenommen.  In  der  Nacht  zwischen  d.  26.  und  27. 
August  hatte  Fat.  einen  Anfall,  fiel  zu  Boden,  verlor  das 
Bcwusstsein  und  Avurde  auf  der  linken  Seite  gelähmt.  Nach- 
her war  Pat.  sehr  unruhig,  verworren  und  schlaff.  —  Nach 
und  nach  kehrte  die  Motilität,  obschon  nicht  vollständig,  zu- 
rück, sie  konnte  die  Hand  und  den  Fuss  bewegen;  später 
auch  den  Arm  und  das  Bein  heben. 

Status  prses.  ^'^1'^  93.  Graubleich.  Puls  unregelmäs- 
sig. Extremitäten  cyanotisch.  Somnolent,  schwatzt  unzu.sam- 
menhängende  Worte,  bisweilen  ganz  klar;  keine  Hallucina- 
tionen.  Leichte  amnestische  Aphasie  II.  Sehvermögen  herab- 
gesetzt, besonders  links.  Beiderseits  beginnende  centrale 
Katarakt.  Gesichtsfeld  bedeutend  eingeschränkt,  nur  das  cen- 
trale erhalten  geblieben.  Weder  Hemianopsie  noch  hemiano- 
pische  Pupillenreaktion.  III.  IV.  VI.  Nichts.  V.  Sensibilität 
links  herabgesetzt.  VII.  Unteres  Facialisgebiet  leicht  paretisch. 
VIII.  Gehör  beiderseits  herabgesetzt.  Sensibilität  son.st  links 
herabgesetzt,  und  zwar  sowohl  Tast-,  Schmerz-,  Ort-,  Tem- 
peratur und  Muskelsinn.  Motilität  auf  der  linken  Seite  ver- 
mindert. Schwacher  Dorsalklonus  links.  Harn  und  Faeces 
gehen  unfreiwillig  ab.  Decubitus.  Herzdegeneration,  ^^/o 
Partieller  epileptiformer  Anfall,  ^"/lo  Die  linksseitige  Parese 
stärker  ausgesprochen  als  vorher,    ^^/lo  Tod. 

Diagnose.  Art  der  LäsioH.  Das  hohe  Alter  der 
Fat.,  die  vorangegangenen,  wiederholten  Schwindelanfälle,  die 
graubleiche  Gesichtsfarbe  und  die  Herzdegencration  der  Pat. 
deuteten  auf  eine  Thrombose  als  Ursache  der  apoplek- 
tischen  Anfälle  hin.  Besonders  habe  ich  öfters  beobachtet, 
dass  eine  bleiche  ins  graubleich-graugelb  übergehende  Ge- 
sichtsfarbe oft  bei  der  Thrombose  vorkommt,  während  eine 
mehr  rothe  auf  Hämorrhagie  deutet.  Die  Sektion  bestätigte 
die  Diagnose. 

Die  vorübergehenden  Schwindelanfälle  waren,  wie  es 
gewöhnlich  unter  solchen  Umständen  der  Fall  ist,  wirk- 
liche von  organischen  Veränderungen  begleitete  Hirnschlag- 
anfälle. Die  mikroskopische  Untersuchung  zeigte,  dass  die 
Veränderungen  im  Gehirn  verschiedenen  Alters  waren.  Die 
jüngsten,  entsprechend  dem  letzten  Anfalle  am  26.  Aug.,  wa- 
ren die  in  der  Rinde  der  rechten  Hemi.si3häre,  im  Gyrus  cen- 
tralis posterior  und  G.  parietalis  inferior  und  in  der  Spitze  des 
rechten  Temporallappens  gelegenen.    Schon  älteren  Datums 


waren  die  Malacien  des  Occipitallappens,  und  endlich  fanden 
sich  in  den  beiden  Occipitalschstrahlungen  kleine  Narben 
noch  älteren  Datums.  Alle  diese  Veränderungen  waren  durch 
Thrombosen  verursacht. 

Locus  lacsionis.  Eine  genauere  Lokalisation  Hess  sich 
in  diesem  P"alle  nicht  feststellen.  In  dem  Verlaufe  des  Falles 
oder  im  Insulte  selbst  sind  keine  besonderen  Anhaltspunkte 
für  eine  Dctaildiagnose  gegeben.  Die  Lähmung  war  keine 
von  dem  gewöhnlichen  Typus  abweichende.  Arm  und  Bein 
wurden  gelähmt  und  zwar  sowohl  hinsichtlich  der  Motilität 
wie  Sensibilität.  Die  Besserung  der  Lähmungssymptome 
trat  in  gewöhnlicher  Weise  nach  dem  Anfalle  ein.  Die  bald 
nachher  eintretende  Verschlimmerung  war  wohl  eher  der 
Ausdruck  der  sinkenden  Lebenskraft  und  des  nahenden  Todes, 
als  der  einer  Vergrösserung  der  Malacien. 

In  allen  diesen  Umständen  liegen  jedenfalls  keine  An- 
haltspunkte für  eine  Lokali.sation  des  pathologischen  Proces- 
ses.  In  dem  vorliegenden  Falle  findet  sich  keine  Veränderung 
weder  in  den  centralen  Ganglien  noch  in  der  Medulla  oblon- 
gata.  Fast  alle  pathologischen  Processe  sind  kortikal,  wenn 
man  die  kleinen  Veränderungen  in  den  Sehstrahlungcn  aus- 
nimmt. Es  fragt  sich  deshalb,  ob  die  kortikale  Natur  in 
diesem  Pralle  wirklich  diagnosticirt  hätte  werden  können.  In 
dieser  Hinsicht  bemerke  ich,  dass  die  Diagnose  auf  eine 
Thrombose  mit  einem  gewissen  Grade  von  Gewissheit  gestellt 
wurde,  da  aber  die  Lähmung  in  Arm  und  Bein  in  ziemlich 
gleichem  Grade  ausgesprochen  war  und  also  keine  Monoplegie 
vorlag,  so  konnte  die  Läsion  ebenso  wohl  die  Rinde  als  das 
tiefere  Mark  getroffen  haben.  Nur  die  anfangs  etwas  schnelle 
Restitution  der  Lähmungssymptome  konnte  gegen  eine  Lo- 
kalisation in  der  Capsula  interna  sprechen. 

Hinsichtlich  der  Bedeutung  der  Stärke  der  Sensibilitäts- 
störungen im  Verhältniss  zu  denen  der  Motilität  siehe  unten: 
Sensibilität. 

Analyse  der  Symptome. 

Psyche:  Sowohl  vor  als  nach  den  stärkeren  Schwindel- 
anfällen fühlte  sich  die  Pat.  bisweilen  »im  Kopf  eingenommen» 
und  »sonderbar».  Nach  dem  Anfalle  im  August  1893  hatte 
sie  Kopfweh  und  antwortete  etwas  verworren  auf  P>agen. 
So  war  es  auch  nach  dem  Anfalle  in  der  Nacht  vom  26 — 27. 
Aug.  der  Fall.  Sie  war  längere  Zeit  verworren  und  sehr 
apathisch.  Im  Sept.  bei  der  Aufnahme  des  Status  praesens 
war  sie  schlaft'  und  gegen  die  Umgebung  gleichgültig.  Sie 
plauderte  oft  unzusammenhängende  Worte.  Aber  bisweilen 
war  die  Intelligenz  recht  gut,  sie  verstand  dann  die  an  sie 
gerichteten  Fragen  und  führte  die  Befehle  aus.  Das  Ge- 
dächtnis für  Namen  u.  s.  w.  war  in  hohem  Grade  geschwächt. 

Einen  solchen  psychischen  Zustand  habe  ich  oft  bei 
multiplen  kortikalen  Erweichungen  in  Folge  von  Thrombose 
gefunden.  Der  somnolente  gleichgültige  Zustand  lässt  sich 
leicht  durch  die  verminderte  und  ungleichförmige  Blutzuführ 
zur  Hirnrinde  erklären.  Diese  aber  hat  ihren  Grund  haupt- 
sächlich in  der  Arteriosclerose  der  Gefässe,  wodurch  die 
Rinde  in  abnormer  und  ungenügender  Weise  ernährt  wird, 
und  zwar  nicht  nur  an  einer  beschränkten  Stelle,  sondern  in 
weiteren  Gebieten  oder  an  einer  grösseren  Anzahl  von  Stellen. 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND  G7 


Dann  treten  oft  hier  und  da  kleine  Thrombosen  mit  konseku- 
tiven Malacien  auf.  Diese  Thrombosirungen  kennzeichnen 
sich  gewöhnUch  durch  leichtere  Schwindelanfälle;  falls  die 
thrombotisirten  Gebiete  grösser  sind,  durch  apoplektiforme 
Anfälle. 

So  war  es  auch  hier  der  Fall.  Hie  und  da  triftt  man 
in  der  Rinde  und  auch  im  Mark  auf  kleine  Erweichungen 
oder  Atrophien  als  Folgen  der  vorhergehenden  Thrombosen. 
In  der  Rinde  finden  sich  fünf  derartige  grössere,  obschon 
nicht  ausgedehnte  Herde,  aber  daneben  noch  eine  grosse 
Anzahl  kleiner  bis  mikroskopischer. 

Durch  die  konsekutive  Nutritionsstörung  der  Rinde  und 
das  Vorhandensein  dieser  Herde  und  der  konsekutiven  De- 
generationsvorgänge in  grösseren  und  kleineren  Associations- 
bahnen  muss  das  für  das  psychische  Leben  notwendige 
harmonische  Zusammenwirken  der  verschiedenen  Rindenteile 
in  hohem  Grade  gestört  werden. 

In  solchen  Fällen  ist  ausserdem  die  Herzwirksamkeit 
infolge  der  gleichzeitigen  Degeneration  und  oft  vorkommenden 
Sklerosirung  der  Herzgefässe  gewöhnlich  geschwächt  und  un- 
regelmässig. Diese  Umstände  führen  zu  einer  Anämie  des 
Gehirns,  wodurch  die  psychische  Thätigkeit  noch  mehr  ver- 
mindert wird.  Alle  diese  Ursachen  resultiren  in  einer  Schwäch- 
ung oder  selbst  Aufhebung  der  höheren  Intelligenz  und  rufen 
Willensschwäche,  ja  selbst  Apathie  und  Somnolenz  hervor. 

Aus  diesem  Zustande  kann  Fat.  oft  durch  äusseren 
Reiz  —  durch  Zuruf,  Schmerzreiz  u.  d.  —  erweckt  werden, 
und  es  zeigt  sich  oft  dabei,  dass  Pat.  dann  recht  klar  und 
unverworren  Fragen  aufifast  und  Befehle  ausführt  oder  auf 
Fragen  antwortet. 

So  liegen  die  Dinge  nicht  bei  gesteigertem  intrakraniellen 
Druck.  Hier  liegt  Pat.  mehr  in  einem  dauernden  somnolenten 
Zustande,  und  der  äussere  Reiz  ruft  kaum  in  gleichem  Grade 
»lucida  intervalla»  hervor. 

Hierin  finde  ich  bei  dem  vorliegenden  Falle,  ich  möchte 
wohl  sagen,  den  einzigsten  Anhaltspunkt  für  eine  »kortikale» 
Diagnose. 

Aphasie.  Es  war  nicht  leicht  zu  entscheiden,  ob  in 
diesem  Falle  eine  amnestische  Aphasie  vorlag  oder  ob  die 
Unfähigkeit  der  Pat.  Gegenstände  resp.  Personen  zu  benennen 
auf  allgemeiner  Gedächtnisschwäche  beruhte. 

Da  keine  Veränderung  in  den  linksseitigen  kortikalen 
Rindencentren  vorhanden  war,  so  dürfte  wohl  die  schein- 
bare Aphasie  von  dem  geschwächten  Gedächtnis  abhängig 
gewesen  sein. 

Kranialnerven.  I.  In  Anbetracht  des  traurigen  Zu- 
standcs  der  Pat.  können  aus  den  Beobachtungen  über  den 
Geruchsinn  nur  mit  Reserve  Schlüsse  gezogen  werden.  Auf- 
fallend ist  jedenfalls  die  ausgeprägte  Anosmie  und  der  Um- 
stand, dass  diese  besonders  Imks  ausgeprägt  war.  —  (S.  unten 
unter  IX.) 

II.  Um  so  wichtiger  scheinen  die  Beobachtungen  über 
das  Gesichtsvermögen  der  Pat.  zu  sein.  Mehrere  Umstände 
vereitelten  zwar  jeden  Versuch  einer  genaueren  Untersuchung. 
Die  Sehschärfe  war  nämlich  in  so  hohem  Grade  herabge- 
setzt, dass  der  Grad  der  Sehschärfe  nicht  geprüft  werden 


konnte,  und  zwar  besonders  infolge  einer  kataraktösen  Ver- 
dichtung beider  Augen,  besonders  links.  Dessen  ungeachtet  ' 
wurde  mit  Sicherheit  konstatirt,  dass  die  Pat.  nur  im  cen- 
tralen Gesichtsfeld  Gegenstände,  wie  eine  brennende  Lampe, 
sehen  konnte,  dagegen  machten  die  wiederholten  Versuche 
bei  verschiedenen  Gelegenheiten  den  Eindruck,  dass  das 
peripherische  Gesichisfeld  voUstäiidig  fehlte.  Wäre  nun  dies 
durch  die  centrale  Verdunklung  des  Linsenkörpers  verur- 
sacht, dann  hätte  wohl  Pat.  auch  im  centralen  Gesichtsfeld 
nichts  sehen  können.  Dagegen  scheiterte  jeder  Versuch  das 
Gesichtsfeld  perimetrisch  zu  bestimmen,  was  um  so  mehr  zu 
beklagen  ist,  da  dieser  Fall  sonst  unsere  Kentnisse  über  die 
Grenzen  des  kortikalen  Gesichtsfeldes  gewiss  erweitert  hätte. 
Bei  dieser  Sachlage  gehe  ich  nur  von  der  Thatsache  aus, 
dass  das  peripherische  Gesichtsfeld  fehlte,  aber  das  ce?iirale 
erhalten  geblieben  zuar,  und  dass  endlich  keine  Hemianopsie 
vorhanden  war.  In  der  That  gipfelt  die  Bedeutung  des 
P'alles  in  diesem  Verhältnisse. 

Was  beweist  nun  der  Fall?  Ein  Blick  auf  die  Figuren 
8 — 12  Taf.  X  zeigt  dann,  dass  im  rechten  Occipitallappcn 
eine  scharf  begrenzte,  hauptsächlich  kortikale  Erweichung 
bestand.  Die  Lage  und  Form  dieser  Erweichung  ersieht 
man  am  besten  an  der  Figur  8,  und  wie  tief  sie  ins  Mark 
eindringt,  zeigen  die  Figuren  lo,  il  und  I2.  Etwa  1,^  cm. 
vor  der  Spitze  des  Occipitallappens  dringt  die  Malacie  in  die 
Sehstrahlung  ein,  und  die  mikro.skopische  Untersuchung  zeigt 
hier,  dass  eine  aufiallende  Atrophie  in  der  Hauptmasse  der 
mittleren  Schicht  dieser  Strahlung  besteht.  Der  Effekt  der 
anfangs  anscheinend  nur  kortikalen  Erweichung  ist  also  der, 
dass  die  hinteren  etwa  1,5  m.m.  des  Occipitallappens  die 
Lichteindrücke  nicht  empfangen  können.  Der  Effekt  erstreckt 
sich  selbst  ein  wenig  weiter,  indem,  wie  die  Fig.  8  und  12 
zeigen,  die  Malacie  in  der  Fissura  calcarina  sich  etwas  weiter 
nach  vorn  hinzog  und  an  der  Oberfläche  des  Cuneus  selbst 
die  hintersten  25  m.m.  einnahm. 

Betrachtet  man  nun  die  Fig.  i — 6,  so  wird  man  gewahr, 
dass  die  Rinde  des  linken  Cuneus  auch  erweicht  ist,  und  zwar 
weniger  in  der  Spitze,  ausgedehnter  weiter  nach  vorn.  An 
keinem  Punkte  scheint  die  Sehstrahlung  primär  affizirt  gewe- 
sen zu  sein,  ausgenommen  dass  eine  kleine  Malacie  in  ihrem 
dorsalen  Abschnitt  (Fig.  5  und  6)  bestand.  Es  ist  also  ein 
wenn  auch  kleines  symmetrisches  Gebiet  in  den  beiden  Oc- 
cipitallappcn erweicht.  Diese  Fläche  ist  zwar  nicht  sehr 
gross;  man  dürfte  aber  gewissermassen  berechtigt  sein  aus- 
zusprechen, dass  die  hinteren  Abschnitte  der  Cunei  gewiss 
nicht  funktionsfähig  waren.  In  diesem  Falle  war  also  das 
centrale  Gesichtsfeld  ungeachtet  einer  bilateralen  Zerstörung 
der  hinteren  Abschnitte  der  Cunei  erhalten  geblieben.  Dar- 
aus schliesse  ich,  dass  das  Makularfeld  hier  sich  nicht  be- 
findet. Man  mag  betreffs  der  Kompensation  die  Förster'sche 
oder  die  Wilbrand'sche  Ansicht  huldigen,  der  eben  aus- 
gesprochene Schluss  ist  jedenfalls  zwingend.  Nur  wenn  die 
Ansicht  von  Monakow,  dass  das  Centrum  mobil  ist,  richtig 
ist,  lässt  es  sich  denken,  dass  das  Sehvermögen  im  centralen 
Gesichtsfeld  erhalten  geblieben  war,  selbst  wenn  es  ursprüng- 
lich in  das  zerstörte  Rindengebiet  lokalisirt  wäre.  Nach 
dieser  Ansicht  kann  nämlich  ein  ganz  neues  Gebiet  vikari- 


GS  S.  E.  HENSCIIEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


irend  eintreten.  Nach  dieser  Ansicht  besteht  überhaupt  kein 
konstantes  Gesichtscentrum  und  eine  Projektion  der  Retina 
findet  überhaupt  nicht  statt. 

Zzveitens  schliesse  ich  aus  dem  Befund  folgendes. 
Durch  die  klinische  Beobachtung  wurde  genügend  nach- 
gewiesen, dass  auch  keine  Hemianopsie  vorhanden  war.  Da 
nun  fast  die  ganze  Rindenoberfläche  des  linken  Cuncus  er- 
weicht war,  so  spricht  der  Fall  gegen  eine  Lokalisation  des 
Gesichtsfeldes  hauptsächlich  oder  ausschliesslich  in  dem  Cu- 
neus,  was  wohl  sonst  die  Mehrzahl  der  Forscher  annimmt. 

Im  zweiten  Teil  meines  Werkes  kam  ich  nach  einer 
kritischen  y\nalyse  der  vorhandenen  Thatsachen  zu  dem 
Schlüsse,  dass  das  Sehcentrum  wesentlich  auf  die  Rinde  der 
Fissura  calcarina  begrenzt  ist,  wenn  man  auch  die  genaueren 
Grenzen  in  verschiedenen  Richtungen  noch  nicht  bestimmen 
konnte;  es  findet  hier  eine  Projektion  statt,  indem  u.  a.  das 
centrale  Gesichtsfeld  mehr  nach  vorn,  das  peripherische  im 
horizontalen  Meridiane  mehr  occipitalwärts  liegt. 

Der  vorliegende  Fall  scheint  nun  nach  dem  was  oben 
nachgewiesen  ist  mit  dieser  Theorie  in  völligem  Einklang  zu 
stehen,  indem  dadurch  bewiesen  wird,  dass  der  Cuneus  nicht 
der  hauptsächliche  Sitz  des  Gesichtscentrums  .sein  kann. 

Was  die  Lokalisation  des  Makularfeldes  betrifft,  so  ist 
unser  Fall  zwar  nicht  beweisend.  Doch  ist  die  Sache  auf- 
fallend, dass  nach  der  klinischen  Beobachtung  das  peripher- 
ische Gesichtsfeld  in  jedem  Auge  fehlte,  aber  das  centrale 
erhalten  geblieben  war.  Nun  waren  im  rechten  Occipital- 
lappen  die  hintersten  15 — 20  Millimeter  des  Lappens  ausser 
Funktion  gesetzt,  aber  das  centrale  Gesichtsfeld  erhalten  ge- 
blieben. Dies  scheint  also  dafür  sprechen,  dass  das  centrale 
Gesichtsfeld  sich  nicht  in  dem  zerstörten  Gebiet  befinde. 
Zwingend  ist  jedoch,  wie  schon  gesagt,  der  vorliegende  Fall 
nicht.  Es  lässt  sich  nämlich  denken,  dass  hier  eine  Kom- 
pensation durch  den  hinteren  Abschnitt  des  linken  Occipital- 
lappens  stattgefunden  habe.  Eine  solche  Möglichkeit  kann 
zwar  nicht  abgewiesen  werden,  ist  jedoch  überhaupt  nicht 
sehr  wahrscheinlich,  indem  das  erhalten  gebliebene  Gesichts- 
feld nicht  nur  das  makuläre  Feld  umfasste,  sondern  eine 
koncentrische  Zone  bis  zu  etwa  20  ä  30".  Nun  ist  aber  durch 
die  bekannten  Wilbrand'schen  Untersuchungen  eine  Kom- 
pensation des  makulären  Feldes  nachgewiesen,  die  des  mehr 
peripherischen  Gesichtsfeldes  dagegen  nicht. 

Der  Fall  wird  dadurch  also  wichtig,  dass  er  für  die 
von  mir  früher  urgirte  Projektionstheorie  spriclit  und  dass 
das  makuläre  Feld  sich  mehr  frontal  als  das  peripherische 
befinde. 

Im  frontalen  Abschnitt  der  Fissura  calcarina  ist  die 
Rinde  vollständig  intakt,  au-Sgenommen,  dass  die  obere  Lippe 
weiter  vorne  (Schnitt  4  cm.,  Fig.  5,  6)  im  linken  Occipital- 
lappen  zum  Teil  zerstört  ist.  Dagegen  ist  der  Fundus  der 
P^issura  calcarina,  wohin  ich  das  Makularfeld  verlege  (s.  Teil 
II.  S.  341),  vollständig  intakt.  Ob  übrigens  dieser  vorderste 
Abschnitt  der  Fissura  calcarina  zum  Sehcentrum  gehöre  oder 
nicht,  dafür  liegen  zur  Zeit  beweisende  Thatsachen  nicht  vor. 
Der  Fall  steht  also  in  vollständiger  Übereinstimmung  mit 
der  von  mir  dargelegten  Ansicht,  wenn  er  auch,  beim  Fehlen 
einer  peri metrischen  Karte  des  Gesichtsfeldes,  nicht  so  in  allen 


Details  überzeugend  wirken  kann,  wie  wohl  wünschenswert 
wäre. 

Farbenblindheit.  Pat.  konnte  noch  F"arben  unterscheiden. 
Dies  zeigt,  dass  die  Rinde  des  Cuneus  nicht  das  centrale 
P\Trbenfeld  darstellen  kann,  was  auch  der  von  mir  aus- 
gesprochenen y\nsicht  von  der  Lokalisation  des  Farbencen- 
trums  entspricht. 

Die  Gesichtsstörung  war  gewiss  älteren  Datums  als  die 
Lähmung. 

Die  Zuverlässigkeit  der  eben  erlangten  Resultate  wird 
in  einigem  wenn  auch  geringem  Grade  dadurch  vermindert, 
dass  ausser  der  erwähnten  Malacie  in  dem  vorliegenden  Falle 
verschiedene  mikroskopische  Veränderungen  im  Mark  der 
beiden  Occipito-parietal  (resp.  Temporal-)  läppen  vorkommen. 
Da  alle  diese  in  die  beigefügten  Figuren  eingezeichnet  sind, 
so  wollen  wir  an  der  Hand  der  Abbildungen  ihre  Lage  und 
die  klinische  Bedeutung  studiren. 

Ich  bemerke  zunächst,  dass  in  der  linken  Heinisphäre 
am  Schnitte  3  cm.  in  der  Spitze  (Taf.  X.  Fig.  5)  teils  eine 
kleinere  kortikale  und  subkortikale  Erweichung  in  der  la- 
teralen Rinde  in  der  Tiefe  des  Sulcus  occipitalis  superior 
vorhanden  ist.  Von  dieser  verläuft  ein  sekundär  atrophischer 
Streifen  nach  dem  dorsalen  Abschnitt  der  Sehstrahlung.  Hier 
liegt  in  der  That  eine  grössere  Veränderung  vor,  welche  je- 
doch zum  grössten  Teil  von  der  grös.seren  medialen  Erweich- 
ung verursacht  wird.  Da  nun  diese  Veränderung  zum  grössten 
Teil  sekundärer  Art  zu  sein  scheint,  so  fällt  der  Effekt  der- 
selben wesentlich  mit  dem  der  kortikalen  Erweichungen  zu- 
sammen. An  und  für  sich  verursacht  wohl  die  Veränderung 
kaum  eine  grössere  Beschränkung  des  Gesichtsfeldes. 

In  der  folgenden  Schnittserie  findet  man  nur  Spuren 
von  dieser  Atrophie,  ausserdem  aber  findet  sich  hier  eine 
kleine  Atrophie  im  ventral-sten  Abschnitte  der  Sehstrahlung. 
Wodurch  diese  verursacht  wird,  ist  mir  nicht  recht  klar; 
vielleicht  durch  eine  mehr  diftusc  mit  dem  Mikroskop  nicht 
nachweisbare  allgemeine  Reduktion  der  von  der  Oberfläche 
kommenden  Markfasern.  Jedenfalls  scheint  sie  von  wenig 
Belang  zu  sein. 

Am  Schnitte  5  cm.  (Fig.  7)  finden  sich  in  der  Seh- 
strahlung drei  schmale  streifenförmige  Atrophien.  Wenn  auch 
die  erste  oder  zweite  von  der  grossen  Atrophie  in  der  Fig. 
3  abhängt,  so  dürfte  jedoch  wenigstens  die  dritte  einen  mehr 
selbständigen  Ursprung  haben  und  durch  eine  kapillare  Throm- 
bose verursacht  sein.  Es  deuten  darauf  die  Form,  Lage  und 
die  mikroskopische  Beschaftenheit.  Keine  dieser  Atrophien 
dürfte  auf  die  Schlussfolgerungen  hinsichtlich  des  Sehcentrums 
einwirken.  Ein  von  mir  schon  früher  (s.  Teil  I  S.  121)  mit- 
geteilter Fall  zeigt,  dass  kleine  bilaterale,  streifenförmige  pri- 
märe Erweichungen  in  dem  ventralen  Abschnitte  der  Sehstrahl- 
ungen zwar  bei  deren  Entstehung  Blindheit  verursachen  kön- 
nen, aber  nachher  ohne  auftallende  Störung  des  Gesichts  vor- 
kommen können,  wenn  nur  dabei  zahlreiche  frische  Fasern 
vorhanden  sind,  welche  die  Gesichtsperception  vermitteln. 
Wahrscheinlich  finden  sich  in  solchen  Fällen  im  Gesichtsfelde 
schwarze  Flecke,  welche  übersehen  werden. 

In  der  rechten  Hemisphäre  finden  sich  auch  verschie- 
dene Malacien.    Von  diesen  sind  die  in  der  Fig.  1 1  in  der 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


69 


ventralen  Rinde  und  die  in  Fig.  12  und  13  in  der  lateralen 
und  ventralen  Rinde  abgebildeten  Veränderungen  von  wenig 
Bedeutung.  Wichtiger  sind  die  lateral  von  der  Schstrahlung 
befindlichen,  welche  wohl  alle  mit  der  grösseren  an  der  Fig. 
14  hervortretenden  Malacie  zusammenhängen.  Diese  Malacie 
liegt  fast  vollständig  lateral  von  der  Sehstrahlung  und  kann 
also  eine  Einwirkung  auf  das  Sehfeld  nicht  ausüben,  dagegen 
findet  man  an  der  Fig.  15  zwei  bemerkenswerte  Atrophien, 
welche  selbst  in  die  mittlere  Schicht  der  Sehstrahlung  über- 
greifen. Zwischen  diesen  liegen  intensiv  gefärbte  Nerven- 
fasern. Da  nun  diese  Malacien  in  der  Höhe  der  zweiten 
Temporalwindung  liegen  und  in  der  Höhe,  wohin  ich  das 
Sehbündel  für  die  Macula  verlege,  so  verdienen  diese  Mala- 
cien besondere  Aufmerksamkeit.  In  Anbetracht  der  vielen 
noch  vorhandenen  normalen  Nervenfasern  und  der  weniger 
exakten  Untersuchung  der  Sehschärfe  im  Gebiete  des  Maku- 
larfeldes  steht  dieser  Fall  jedoch  nicht  im  Gegensatz  mi*:  der 
von  mir  oben  erwähnten  Ansicht.  Nur  durch  ganz  exakte 
Beobachtungen  kann  die  genaue  Lage  des  Makularbündels 
in  der  Sehstrahlung  bestimmt  werden.  Solche  existiren  in 
der  Literatur  noch  nicht. 

Keine  der  vorhandenen  kleineren  Malacien  ist  deshalb 
im  Stande  die  oben  erwähnten  Resultate  meiner  früheren 
Untersuchungen  aufzuheben. 

HeviianopiscJie  Pupillenreaktion.  Der  Befund,  dass  eine 
solche  Reaktion  nicht  vorhanden  war,  steht  in  völligem  Ein- 
klang damit,  dass  alle  Veränderungen  in  der  Sehbahn  resp. 
im  Sehcentrum  hinter  dem  Kniehöcker  lagen  und  die  Reflex- 
fasern nicht  getroffen  haben. 

III.  IV.  VI.  Bei  diesen  Nerven  fand  sich  nichts  Ab- 
normes. 

V.  Alle  Sensibilitätsqualitäten  waren  in  der  linken  Hälfte 
des  Gesichts  herabgesetzt.  Der  Tast-  und  Schmerzsinn  war 
links  herabgesetzt,  aber  nicht  verschwunden.  Der  Tempera- 
tursinn war  links  sehr  abgestumpft. 

Nun  wird  die  Sensibilität  gewöhnlich  auf  die  hintere  Cen- 
tralwindung  lokalisirt.  Einige  Forscher  dehnen  ihr  Centrum 
bis  auf  den  Parietallappen  aus.  Hier  war  (s.  Fig.  i  Taf  IX) 
die  hintere  Centraiwindung  nur  fleckenweise  erweicht,  näm- 
lich teils  in  ihrem  ventralsten  Abschnitt  in  kleiner  Ausdehnung, 
dann  3  cm.  mehr  dorsalwärts  auf  einer  Strecke  von  etwa  2 
cm.  Die  Durchschnitte  (Fig.  2 — 5)  zeigen,  dass,  ob  wohl 
die  Erweichung  auch  das  unterliegende  Mark  betroffnen  hatte, 
nichts  zu  dem  Schlüsse  berechtigt,  dass  auch  grössere  von 
anderen  Rindengebieten  kommende  Faserbündel  ergriffen  wor- 
den seien.  In  der  That  muss  also  die  Erweichung  hier  haupt- 
sächlich als  eine  kortikale  gewirkt  haben.  Hieraus  folgt  also, 
dass  eine  auf  die  erwähnten  Rindengebiete  beschränkte  Ma- 
lacie Anästhesie  im  Gesicht  hervorruft.  Der  Fall  wird  da- 
durch für  die  Lokalisationslehre  wertvoll.  Der  Hauptherd 
liegt  hinter  dem  Knie  der  vorderen  Centraiwindung,  wohin 
von  Horsley  die  Innervation  des  Daumens  bei  den  Affen  ver- 
legt wird. 

Die  Frage,  ob  nun  zu  dieser  Anästhesie  die  grössere 
Malacie  im  unteren  Parietallappen  beiträgt,  beantwortet  der 
Fall  nicht. 

Auch  die  Sensibilität  der  linken  Zungenhälfte  war  herab- 


gesetzt,  was  wohl  durch  die  kleine  an  der  Fossa  Sylvii  lie 
gende  Malacie  bedingt  wurde. 

VII.  Der  klinische  Befund  hinsichtlich  der  Motilität  des 
Gesichts  war  nicht  klar,  was  jedenfalls  beim  Vorhandensein 
der  Facialisanästhesie  auffällend  ist.  Die  Stellung  der  Nasen- 
spitze und  des  Sulcus  nasolabialis  deuten  auf  eine  linksseitige 
Parese,  die  Stellung  des  Mundes  dagegen  auf  eine  rechts- 
seitige, wenn  man  nicht  eine  Kontraktur  der  linken  Wange 
annimmt.  Dass  eine  linksseitige  F"acialislähmung  vorlag,  ist 
überhaupt  wahrscheinlich.  Wenn  dies  der  Fall  ist,  dann  be- 
weist unser  Fall,  dass  die  Sensibilität  und  Motilität  auf  das- 
selbe Gebiet  zu  lokalisircn  sind  und  dass  dieses  sehr  be- 
schränkt sein  kann. 

IX.  Da  der  Geschmack  für  alle  Qualitäten  herabgesetzt 
und  zugleich  die  Spitze  des  rechten  Temporallappens  völlig 
erweicht  war,  so  ist  man  berechtigt  zu  fragen,  ob  diese  beiden 
Befunde  von  einander  abhängen.  Dabei  ist  einerseits  zu  erin- 
nern, dass  hier  eine  eingehende  Untersuchung  der  beiden  Zun- 
genhälften nicht  vorgenommen  werden  konnte,  anderseits  dass 
Geschmacksstörungen  bei  cerebralen  Leiden  ebenso  selten  sind 
wie  Erweichungen,  welche  die  Spitze  des  Temporallappens 
einnehmen.  Füge  ich  noch  hinzu,  dass  Ferrier  durch  die 
Exstirpation  der  vorderen  Spitzen  der  beiden  Temporallappen 
im  Stande  war  bei  Affen  den  Geschmacksinn  zum  Verschwin- 
den zu  bringen,  so  muss  gewiss  dem  vorliegenden  Falle  eine 
gewisse  Bedeutung  zuerkannt  werden. 

Pathologische  Beobachtungen  über  Gcsclunackstörungen 
und  gleichzeitige  Zerstörungen  im  Temporallappen  sind  über- 
aus .selten.  Ferrier'",  Beevor  und  Jackson**  haben  solche 
Fälle  erwähnt  und  ich  weise  auf  sie  hin  Wenn  nun  auch 
einerseits  in  Anbetracht  der  Seltenheit  solcher  Befunde  dieser 
P'all  primo  adspectu  beweisend  erscheint,  so  muss  doch  ander- 
seits betont  werden,  teils  dass  die  Geschmacksstörung  sich  an 
den  beiden  Zungenhälften  vorfand,  teils  dass  die  Zerstörung 
des  GescJunacksccntruDis  nur  in  einer  Heinisphäre  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  nicht  von  einer  sehr  ausgesprochenen  Gc- 
schviacksstdrung  gefolgt  zvird,  indem  die  andere  Hemisphäre 
wahrscheinlich  kompensirend  einwirkt. 

Auch  die  in  diesem  Falle  vorhandene  GerucJissföriing, 
welche  links  ausgesprochener  war,  verdient  aus  demselben 
Grunde  Aufmerksamkeit,  wenn  auch  die  kortikale  Läsion  auf 
die  Spitze  des  Temporallappens  beschränkt  war  und  nicht 
auf  den  Gyrus  Hippocampi  (Uncus)  übergriff". 

Endlich  will  ich  die  Aufmerksamkeit  darauf  hinlenken, 
dass  der  Geschmack  sowohl  in  dem  vorderen  wie  in  dem 
hinteren  Abschnitt  der  Zunge  herabgesetzt  war. 

X.   XI.    Diese  Nerven  bieten  nichts  Abnormes  dar. 

XII.  Die  Zunge  war  überhaupt  schwer  zu  bewegen, 
aber  besonders  nach  links.  Diese  linksseitige  Parese  ist  um 
so  interessanter  weil  hier  die  hintere  Centraiwindung  nur  in 
geringer  Ausdehnung  ergriffen  war.    Wie  schon  erwähnt,  war 


*  Croonian  Lectures  on  Cerebral  Lokalisation  1890,  pag.  126. 
*•  Brain  1889,  pag.  346. 

Im  Jackson-Bevoi  sehen  Falle  hatte  eine  Geschwulst  fast  dieselbe 
Ausdehnung  wie  in  diesem  Falle  die  Erweichung.  Die  Störung  '  estand  in 
Geschmackshallucinationen. 


70 


S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


auch  die  Sensibilität  der  Zunge  vermindert  —  ein  Beweis, 
dass  Sensibilitäts-  und  Motilitätscentra  einander  decken. 

Sensibilität. 

Der  Tasisiiin  war  in  den  Extremitäten  beiderseits  ver- 
mindert —  vielleicht  zum  Teil  infolge  des  traurigen  Zustandes 
der  Patientin ;  auf  der  linken  Seite  war  er  jedoch  besonders 
abgestumpft.  Am  Rumpfe  konnte  ein  Unterschied  nicht  fest- 
gestellt werden. 

Der  Sc/wwr.'^sinn  verhielt  sich  links  in  derselben  Weise, 
war  aber  rechts  normal. 

Der  Temperatursinn  schien  beiderseits  abgestumpft,  aber 
links  in  bedeutend  höherem  Grade. 

Ebenso  verhielt  sich  der  Ortshm. 

Der  Miiskelsnm  war  rechts  normal,  links  sehr  abge- 
stumpft, was  besonders  beim  Gehen  hervortrat.  Endlich  er- 
gab die  Untersuchung  der  elektrocutanen  Sensibilität  ähnliche 
Resultate. 

Alle  diese  verschiedenen  Untersuchungen  ergaben  also 
im  Ganzen  das  übereinstimmende  Resultat  einer  Verminderung 
aller  Sensibilitätsqualitäten  auf  der  linken  Seite;  die  rechte 
Hälfte  wurde  für  gewisse  Qualitäten  normal  befunden,  be- 
treffs anderer  weniger  empfindlich. 

Als  Ursache  dieser  auffallenden  AnjEsthesia  sinistra  fin- 
den wir  nur  die  kortikale  Malacie  an  der  hinteren  Centrai- 
windung. Ohne  auf  die  weitläufige  Frage  nach  der  Lokali- 
sation der  Sensibilität  hier  tiefer  einzugehen,  will  ich  die  Auf- 
merksamkeit nur  auf  den  Befund  in  diesem  Falle  hinlenken, 
da.ss  die  Anästhesie  sehr  verbreitet  war,  aber  die  patholog- 
ische Läsion  sehr  beschränkt,  wenn  man  nicht  zur  hinteren 
Centraiwindung  auch  die  dieser  parallel  laufende  lädirte  Wind- 
ung rechnen  will,  welche  unmittelbar  hinter  C  liegt  und  von 
mir  zum  unteren  Parietallappen  gerechnet  wird  (P'  in  der 
Figur  I  Taf.  IX). 

Ausserdem  verdient  es  bemerkt  zu  werden,  das.s  hier 
alle  Qualitäten  gestört  waren,  und  wenn  man  verschiedene 
Qualitäten,  welche  eigentlich  inkommensurable  Quantitäten 
sind,  vergleichen  darf,  in  etwa  gleichem  Grade. 

Dies  deutet  darauf  hin  i)  dass  selbst  in  einem  beschränk- 
ten Gebiete  Elemente  für  die  ganze  Körperfläche  representirt 
sind  und  2)  dass  hier  die  verschiedenen  Scnsibilitätsqualitäten 
auch  vertreten  sind. 

Motilität. 

Die  Motilitätsstörungen  waren  ganz  analog  mit  denen 
der  Sensibilität.  Überhaupt  war  die  Motilität  beiderseits  ver- 
mindert und  zwar  in  I^^olge  der  allgemeinen  Schwäche  der 
Pat.  Aber  links  lag  eine  ausgesiarochene  Parese,  ja  fast  Pa- 
ralyse vor.  Ob  diese  auch  den  Rumpf  getroffen  hatte  i.st 
wohl  unsicher.  Ausserdem  war  selbst  ein  gewisser  Grad  von 
Kontraktur  vorhanden.  Auch  darf  die  nach  dem  Schlag- 
anfalle schnelle  Restitution  hier  nicht  unerwähnt  bleiben. 

Hinsichtlich  der  Lokalisation  muss  hervorgehoben  wer- 
den, dass  die  hhitere  Ccntrakvindung  mir  partiell  getroffen 
war  und  die  vordere  Centraiwindung  gar  nicht.  Für  die 
Entstehung  der  Lähmung  dürfte  die  Erweichung  im  Frontal- 


lappen (s.  Fig.  I — 5)  ohne  Belang  sein,  wie  es  wohl  durch 
viele  Beobachtungen  nachgewiesen  ist.  In  den  Centralganglien 
oder  in  der  Medulla  spinalis  waren  keine  Veränderungen  vor- 
handen. Anmerkenswert  ist  dass  die  Pyramidenbahn  nicht 
deutlich  degenerirt  war,  obschon  die  Lähmung  2  Monate  vor 
dem  Tode  entstand. 

Endlich  verdient  der  um  ^^/a  eingetretene  epileptische 
Anfall  hier  erwähnt  zu  werden. 

Der  Fall  ist  also  sowohl  hinsichtlich  der  Sensibilitäts- 
wie  Motilitätsstörungen  für  die  Lokalisationslehre  von  Be- 
deutung. 

Reflexe.  Anmerkungswert  ist  das  Vorhandensein  eines 
leichten  Dorsalklonus  ohne  ausgesprochene  Degeneration  in 
der  Pyramidenbahn. 

Die  trophischen  und  motorischen  Störungen  bieten  nichts 
Auffallendes  dar. 

Pathologisch-anatomische  Bemerkungen. 

Die  Ausbeute  der  mühevollen  Untersuchung  des  Ge- 
hirns war  leider  nur  recht  mager.  Die  beiden  Occipitallap- 
pen  sowie  die  Centralganglien,  die  Medulla  oblongata  und 
zum  Teil  das  Kleinhirn  wurden  in  Schnittserien  zerteilt  und 
zwar  in  einige  Tausende  von  Schnitten,  von  welchen  etwa 
500  gefärbt,  aufbewahrt  und  mikroskopisch  untersucht  wurden. 

Die  Resultate  dieser  Untersuchung  ist  oben  zum  grössten 
Teil  verwertet.  Hier  möchten  nur  noch  einige  kleinere  Be- 
merkungen Platz  finden. 

Occipitallappen. 

Im  ganzen  stimmte  die  makro  und  mikroskopische  Un- 
tersuchung recht  gut  mit  einander.  Verschiedene  kleinere 
Malacien  wurden  entdeckt. 

Besondere  Erwähnung  verdient,  dass  die  begrenzten  Ma- 
lacien eine  wertvolle  Gelegenheit  gaben  die  sekundären  De- 
g-enerationen  zu  studiren  und  besonders  ihren  Verlauf  in  be- 
grenzten  Bündeln.  Diese  Degenerationen  sind  in  den  Fig. 
5,  6  u.  a.    Taf.  X  zum  grössten  Teil  eingezeichnet. 

Auf  der  ¥\g.  5  ersieht  man,  wie  die  kleine  laterale 
Malacie,  welche  mit  b  bezeichnet  ist,  sich  in  eine  scharfe 
streifenförmige  Atrophie  fortsetzt,  welche  sich  unter  dem  sub- 
kortikalen Mark  schlingenförmig  nach  oben  fortsetzt. 

Die  andere  Malacie  resp.  Atrophie  (atr)  geht  mit  einem 
wohl  markirten  Streifen  in  den  dorsalen  Abschnitt  der  Seh- 
strahlung über. 

An  den  Präparaten  kann  man  auch  wahrnehmen,  wie 
die  grosse  Malacie  (mal)  in  dem  Cuneus  teils  durch  eine 
sekundäre  Atrophie  sich  bis  in  die  Sehstrahlung  fortsetzt, 
teils  auch  (was  an  der  Fig.  nicht  sichtbar  ist)  von  einer  se- 
kundären Degeneration  in  diejenigen  Bündel  begleitet  wird, 
welche  unter  dem  Stratum  proprium  (=  subkortikales  Mark) 
der  Fissura  calcarina  liegen.  Hier  sind  zwar  nicht  alle  Fa- 
sern verändert,  aber  zahlreiche  tiefere  nach  unten  (=  ventral- 
wärts)  gehende  Association.sbündel.  Die  Rinde  der  Fissura 
calcarina  ist  normal  und  das  Stratum  proprium  tiefschwarz 
gefärbt.  Ihre  Fasern  sind  also  normal,  dagegen  nicht  alle  tie- 
feren Associationsfasern. 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


71 


Wie  die  Fasern  von  der  Rinde  in  die  Sehstrahlung  ge- 
langen und  wie  sie  die  äussere  Schicht  der  Schstrahlung 
bündeiförmig  durchbrechen,  hatte  ich  auch  Gelegenheit  näher 
zu  studiren. 

An  den  Schnittreihen  3,  4,  5  und  6  aus  der  rechten 
Hemisphäre  konnte  ich  beobachten,  wie  die  Faserrichtung 
in  der  mittleren  Schicht  der  Sehstrahlung  eine  nach  vorn 
(r=r  frontahvärts)  aufsteigende  ist.  Eine  Degeneration  in  der 
Sehstrahlung,  welche  hinten  liegt,  wird  mehr  nach  vorn  höher 
liegen,  was  speciell  mit  meiner  Ansicht  von  der  Lage  des 
Sehbündels  in  der  Sehstrahlung  übereinstimmt.  Dieses  liegt 
am  Kniehöcker  höher  als  hinten.  Dieses  Verhältnis  erklärt 
sich  aus  dem  Zuwachs,  welchen  die  Sehstrahlung  durch  die 
vom  Temporallappen  in  sie  eintretenden  Faserbündel  erhält. 

In  den  Centraiganglien  finden  sich  wenige  bemerkens- 
werte degenerative  Veränderungen. 

Die  von  den  Erweichungen  in  dem  Frontallappen  und 
in  der  hinteren  grossen  Erweichung  nach  dem  Thalamus  hin 
verlaufenden  Bündel  waren  zum  Teil  degenerirt,  aber  fast 
nur  an  den  Marchi'schen  Präparaten  konnten  sie  genauer 
verfolgt  werden.  Diese  degenerirten  Fasern  scheinen  zum 
gro.ssen  Teil  im  Thalamus  eine  vorläufige  Endigung  zu  finden, 
was  ohne  Zweifel  dafür  spricht,  dass  der  Thalamus  eine  erste 
Endstation  für  kortikale  Fasern  darstellt. 

Andere  traten  in  die  Capsula  interna  ein,  aber  die  kleine 
Zahl  degenerirter  Fasern  in  der  Pyramidenbahn  war  be- 
fremdend. Die  Hauptmasse  war  nicht  deutlich  entartet.  Nur 
schwierig  kann  dieses  durch  die  verhältnismässig  kurze  Frist 
zwischen  dem  Schlaganfall  (26.  Aug.)  und  dem  Tod  der  Pat. 


(22.  Okt.)  erklärt  werden.  Leichter  erklärt  es  sich  dadurch, 
dass  nur  ein  beschränktes  Gebiet  der  Centraiwindungen  be- 
troffen war.  Die  degenerirten  Fasern  in  der  Pyramidenbahn 
waren  über  den  ganzen  Durchschnitt  zerstreut. 

Ob  dies  darauf  hindeuten  kann,  dass  von  einem  be- 
schränkten Gebiete  der  Centralwindungen  Fasern  für  die  ver- 
schiedenen Glieder  ausgehen,  wage  ich  nicht  zu  sagen.  Aber 
auch  die  linke  Pyramidenbahn  enthielt  eine  Anzahl  von  dege- 
nerirten Fasern,  obschon  in  geringerer  Zahl  als  die  rechte 
—  physiologische  Degeneration  oder  durch  den  gekreuzten 
Verlauf  der  Fasern?  In  der  Schleife  fanden  sich  auch  zum 
Teil  degenerirte  Fasern,  obschon  in  sehr  geringer  Anzahl 
(physiologische  Degeneration  ?). 

Die  Hauptaufgabe  der  mühevollen  mikroskopischen  Un- 
tersuchung war  nachzuweisen,  wie  die  Degeneration  der  Cu- 
neusfasern  sich  in  der  Sehstrahlung  und  besonders  im  Corpus 
geniculatum  externum  und  im  Colliculus  anterior  verhielt. 
Alle  Versuche  dies  mit  Hülfe  der  empfindlichen  Marchi'schen 
Methode  zu  lösen  scheiterten.  Zwar  konnte  ich  in  der  Seh- 
strahlung in  der  linken  Hemisphäre  eine  Degeneration  von 
Fasern,  welche  wahrscheinlich  in  Folge  der  Malacie  der  Cu- 
neusrinde  atrophisch  waren,  bis  zur  Ebene  des  Corpus  geni- 
culatum externum  verfolgen,  aber  im  Kniehöcker  selbst  konnte 
ich  keine  degenerirten  Fasern  antreften.  Eine  Lokalisation  der 
Cuneusfasern  innerhalb  des  Kniehöckers  zu  konstatiren  wäre 
sonst  sehr  interessant  gewesen. 

Eine  deutliche  Veränderung  des  Kniehöckers  hinsichtlich 
der  Fasern  oder  Zellen  war  überhaupt  nicht  wahrzunehmen. 


Fall  7.    Lena  Jakobsdotter. 

Wittvve.    78  Jahre  alt. 
(Taf.  V.  XII.  XIV.) 


Klinisehe  Diagnose:  Hemiplegia  slnistpa  (Thpombosis).  Hemian- 
opsia  sin. 

Krankengeschichte. 

Die  nachfolgenden  Daten  über  die  Krankheit  der  Pat. 
sind  von  der  Pat.  selbst  gegeben ;  aber  da  sie  sehr  geschwächt 
war,  so  können  nicht  alle  Angaben  als  völlig  zuverlässig  angesehen 
werden. 

Anamnese.  Die  Mutter  litt  während  ihrer  letzten 
Jahre  an  Wassersucht  und  starb  im  Alter  von  53  Jahren,  der 
Vater  verschied  im  Alter  von  60  Jahren  nach  einer  Krankheit 
von  einigen  Tagen.  Die  Ursache  ist  unbekannt.  Pat.  hat  7 
Geschwister  gehabt,  von  denen  nur  das  eine  noch  lebt;  von 
den  übrigen  sind  einige  schon  bei  der  Geburt  gestorben.  Nerven- 
krankheiten scheinen  nicht  in  der  Familie  vorgekommen  zu  sein. 

Pat.  ist  verheiratet  gewesen  und  hat  einen  noch  gesunden 
Sohn.  Ihr  Mann  starb  an  Apoplexie.  Er  war  Alkoholiker.  Pat. 
selbst  soll  auch  bisweilen  Alkohol  getrunken,  aber  nach  ihrer 
Angabe  nicht  im  Übermass.  Ob  sie  Syphilis  gehabt,  ist  nicht 
zu  eruiren. 


Pathologisch-anatomische    Diagnose;  Eneephalomalaeia 
eapsulce  interns  et  peg.  adjaeent. 

Ihre  hygienischen  Verhältnisse  waren  stets  gut.  Pat.  war 
früher  immer  frisch  und  kräftig  und  hat  stets  viel  gearbeitet. 
Als  Kind  machte  sie  Masern  und  Keuchhusten  durch. 

Im  Friililing  i8qo  begann  sie  sich  »toll  im  ganzen  Körper 
zu  fühlen».  Es  wurde  ihr  schwer  zu  gehen  und  stehen,  weil  sie 
sich  so  müde  und  schwach  fühlte.  Sie  litt  nicht  an  Kopfweh 
oder  Husten  und  war  nicht  überanstrengt.  Nach  und  nach  wurde 
ihr  Gesundheitszustand  schlechter,  und  sie  hat;e  bisweilen  Schwin- 
del vor  den  Augen  und  wurde  oft  gezwungen  sich  an  Gegen- 
stände anzulehnen  oder  sich  zu  setzen. 

Dann  fiel  sie  eines  Tages  plötzlich  zu  Boden  und  verlor 
während,, einer  halben  Stunde,  nach  einer  anderen  Angabe  wäh- 
rend mehreren  Stunden,  das  Bewusstsein.  Ähnliche  Anfälle  wie- 
derholten sich  dann  mehrere  Male.  Ob  sie  dabei  Zuckungen  in 
den  Gliedern  oder  im  Gesicht  gehabt,  ist  nicht  zu  eruiren, 
aber  nach  der  Angabe  der  Familie  sollen  Zuckungen  nie  vorge- 
kommen sein.  Sie  miisste  dann  zwischen  Pfingsten  und  Jo- 
hanni   das  Bett  hüten,  wurde  dann  besser,  so  dass  sie,  obschon 


72  S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


mit  Schwierigkeit,  aufstehen  konnte.  NacJi  einer  Frist  von  j 
Wochc?i  wurde  sie  von  Neuem  von  einem  Schlaganfalle  getrof- 
fen, während  sie  mit  einer  leichteren  Arbeit  beschäftigt  war.  Sie 
soll  dann  zu  Boden  gefallen  sein  und  rief  dabei  die  Anwesenden, 
welche  ihr  ins  Bett  halfen.  Nach  ihrer  eigenen  Angabe  fiel  sie 
nach  hinten  und  wurde  dann  eine  längere  Weile  Ih'7C'Uss//os.  Ob 
sie  Krämpfe  hatte,  ist  ungewiss.  Der  Mund  war  nach  links  ge- 
zogen, die  Allgen  nach  oben  und  nach  links.  Seit  dieser  Zeit  ist 
sie  auf  der  linken  Seite  gelähmt. 

Während  der  3  letzten  Jahre  ist  sie  stets  bettlägrig  gewe- 
sen und  hat  fast  Jeden  Monat  einmal  ähnliche  Anfälle  gehabt. 
Es  ist  nicht  möglich  gewesen  Uber  diese  nähere  Auskunft  zu  ge- 
winnen. Sie  hat  die  Zeit  teils  sitzend  teils  im  Bette  liegend  zu- 
gebracht; und  während  dessen  wurden  die  Beine  unbeweglich 
und  nach  oben  kontrahirf. 

Während  der  letzten  6  Monate  hatte  man  in  ihrer  Hei- 
mat wahrgenommen,  dass  Fat.  nach  links  Jiin  blind  war.  Sie 
soll  keine  Gesichts-  oder  Gehörhallucinationen  gehabt  haben. 

1893  am  2  2:ten  November  wurde  sie  ins  Krankenhaus  auf- 
genommen. 

Status  praesens  am  30.  November  J893. 
Allgemeiner  Zustand.  Fat.  ist  bettlägrig  und  nicht  im 
Stande  selbst  ihre  Lage  zu  ändern.  Sie  liegt  am  liebsten  auf 
der  rechten  Seite.  Die  ganze  linke  Körperhälfte  ist  gelähmt  und 
die  beiden  Beine  sind  in  einander  verschränkt,  kontrahirt  und 
gegen  den  Bauch  in  die  Höhe  gezogen.  Das  Fettpolster  und 
die  Muskulatur  sind  bedeutend  reduzirt.  Der  Körper  ist  schwach 
gebaut.  Der  Appetit  ist  ziemlich  gut,  der  Stuhlgang  spontan, 
aber  träge.  Während  der  ersten  Tage  schlief  sie  nur  wenig, 
später  aber  brachte  sie  den  grössten  Teil  des  Tages  schlafend 
zu.  Der  Puls  ist  klein,  schwach  und  unregelmässig;  die  Fre- 
quenz 88.  Die  Temperatur  heute  Morgen  37,  am  Abend  37,9 
(s.  unten).  Die  Hautfarbe  ist  gerötet;  die  Haut  runzelig  mit 
einem  ausgedehnten  Eczem. 

Subjektive  Symptome. 

Fat.  giebt  beim  Befragen  an,  dass  sie  keine  Schmerzen  hat, 
obschon  sie  sonst  oft  klagende  Worte  hervorstösst.  Bei  der  links- 
seitigen Lage  schmerzt  die  Hüfte,  wo  grosser  Decubitus  vorhan- 
den ist.  Auch  bekommt  sie  Schmerzen,  sobald  man  versucht 
die  Beine  von  einander  zu  trennen. 

Parästhesien  hat  sie  nicht,  sie  ruft  wiederholt  ihre  Ver- 
wandten; kein  Kopfweh  noch  Erbrechen. 

Psychische  Funktionen. 

Der  Gesichtsausdruck  ist  schlaff.  Fat.  nimmt  keine  Notiz 
von  den  umgebenden  Personen,  fragt  auch  nicht,  wo  sie  sich 
befindet.  Dann  und  wann  bekommt  man  beim  Anfragen  einige 
klare,  wenn  auch  nur  wortkarge  und  schwerzudeutende  Antwor- 
ten. Das  Gedächtniss  scheint  in  Anbetracht  des  hohen  Alters 
und  des  schlechten  Zustandes  der  Fat.  ziemlich  gut  zu  sein.  Sie 
ist  eigensinnig  und  mürrisch.  Keine  Delirien,  aber  Fat.  ist  sehr 
unruhig  und  stört  die  Nachbarn  durch  vieles  Plaudern  oder 
Schreien. 

Keine  Aphasie. 


Die  Kranialnerven, 

I.  Der  Geruch  ist  verschwunden.  Fat.  reagirt  weder  für 
Ammoniak,  Terpentin,  Essigsäure  oder  Schnupftabak. 

IL  Die  SehscJiärfe  zu  prüfen  war  nicht  möglich.  Auf  dem 
linken  Auge  ist  Fat.  deutlich  blind.  Mit  dem  rechten  Auge  konnte 
sie  einen  Gegenstand  nicht  sehen,  wenn  er  in  die  nasale  Gesichts- 
feldpartie gehalten  wurde.  Grössere  Gegenstände,  wie  eine  Lampe 
wurden  wahrgenommen,  wenn  sie  gerade  vor  dem  rechten  Auge 
oder  in  die  temporale  Hälfte  des  Gesichtsfeldes  geführt  wurden. 
Es  lag  also  eine  linksseitige  Hemianopsie  vor.  Im  horizontalen 
Meridian  war  das  Gesichtsfeld  weniger  beschränkt,  wohl  dagegen 
im  oberen  und  unteren  Temporalquadranten. 

Rot  und  grün,  weiss  und  schwarz  konnte  Fat.  recht  gut 
unterscheiden. 

Gesichtshallucinationen  scheinen  vorhanden  zu  sein. 

III.  IV.  VI.  Die  Augefibewegufigen  sind  in  hohem  Grade 
beschränkt.  Sie  scheint  die  Augen  weder  nach  oben,  noch 
nach  unten,  oder  nach  links  bewegen  zu  können,  wohl  dagegen 
nach  rechts,  und  zwar  recht  gut.  Keinen  deutlichen  Strabismus. 
Die  Pupillen  sind  klein,  am  linken  Auge  etwas  grösser  als  am 
rechten.  Sie  reagiren  für  Licht,  aber  nicht  deutlich  für  Acco- 
modation.  Ein  durch  eine  Linse  scharf  begränzter  Lichtkegel 
bringt  beide  Pupillen  nur  dann  zur  Kontraktion,  wenn  er  von 
rechts  eingcworfe7i  wird.  Die  Kontraktion  ist  <?;;/  linken  Auge 
schwächer  als  am  rechten.  Wird  Licht  von  links  eirlgeworfen, 
ist  die  Kontraktion  der  Pupillen  auffallend  schwächer.  Eine 
hemianopische  Fupillenreaktion  ist  also  vorhajiden. 

V.  Die  linke  Gesichtshälfte  ist  vollständig  unempfindlich, 
sowohl  bei  kräftigem  Kneifen,  wie  für  Nadelstiche  und  für  ein 
Probirröhrchen,  welches  mit  heissem  AVasser  gefüllt  ist;  ebenso 
für  Berühren  mit  kalten  Gegenständen.  Die  rechte  Gesichts- 
hälfte ist  dagegen  sowohl  für  Berührung  und  Schnierzein- 
drücke,  wie  Wärme  und  Kälte  sehr  empfindlich. 

Beim  Kauen  nichts  Abnormes. 

VII.  Die  Augenlider  werden  beiderseits  in  gleicher  Weise 
zugeschlossen.    Keine  Schiefstellung  des  Mundes. 

VIII.  Auf  dem  linken  Ohr  hört  Fat.  nichts  ;  auf  dem  rech- 
ten hört  sie  eine  Taschenuhr  in  12  cm.  Entfernung. 

IX.  Der  Geschmack  ist  bedeutend  herabgesetzt,  ja  fast 
verschwunden.  Zucker  und  Salz  schmeckte  nach  ihrer  Angabe 
gleich,  sowohl  an  der  rechten  wie  linken  Zungenhälfte.  Das 
Schlucken  geht  normal  vor  sich. 

X.  Die  Athembewegungen  sind  normal. 

XI.  Die  Stimme  ist  heiser.  Fat.  kann  den  Kopf  bewegen 
und  nach  rechts  drehen,  nicht  aber  nach  links. 

XII.  Fat.  kann  die  Zunge  herausstrecken.  Die  Spitze 
weicht  nicht  merkbar  von  der  Mittellinie  ab;  und  die  beiden 
Hälften  scheinen  gleich  zu  sein. 

Spinalnerven. 

Sensibilität. 

An  der  linken  Rumpf hälfte,  am  linken  Arm  und  Bein  ist 
die  Sensibilität  bedeutend  herabgesetzt.  Fat.  reagirt  nicht  für  ein 
sehr  starkes  Kneifen  der  Haut,  wohl  dagegen  für  einen  stärke- 
ren Druck.  Sie  empfindet  einen  recht  tiefen  Nadelstich  nicht, 
auch  Kälte  und  Wärme  nicht  (ein  Probirröhrchen  mit  heissem 
Wasser). 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


Es  war  deswegen  nicht  möglich  den  Ortsinn  zu  prüfen. 

An  der  rechten  Rumpfhälfte,  am  rechten  Arm  und  Bein  war 
die  Sensibilität,  für  Berührung,  Schmerz,  Wärme-  und  Kältereiz, 
nur  wenig  herabgesetzt,  und  überhaupt  überall  in  gleichem  Grade. 
Ebenso  verhielt  sich  der  Ortsinn. 

Motilität. 

Pat.  kann  nur  den  rechten  Arm  unbehindert  bewegen,  da- 
gegen nur  sehr  unbedeutend  das  rechte  Bein  flektiren  und  ex- 
tendiren. 

Die  Bewegungen  des  Rumpfes,  des  linken  Anns  und  Beins 
sind  vollständig  aufgehoben  und  zwar  sowohl  aktive  wie  passive. 
Der  linke  Arm  ist  nach  vorn  über  den  Bauch  gezogen.  Die 
beiden  Beine  sind  kontrahirt,  verschränkt  und  unbeweglich. 

Trophische  Störung.  Über  beiden  Hüftbeinen  grosser 
Decubitus,  am  grössten  links. 

Herz,  Die  Herztöne  sind  rein,  der  i:ste  an  der  Herzspitze 
etwas  unrein. 

Lungen,  wie  auch  die  übrigen  Organe,  nichts  Besonderes. 
Die  Zunge  belegt. 

Harn.  Den  Harn  lässt  Pat.  unter  sich.  Er  ist  tiefbraun, 
sp.  Gew.  1,022,  enthält  weder  Eiweiss  noch  reduzirende  Sub- 
stanzen. 

Tagesanzeichnungen. 
^'/ii-    Nach  Behandlung  mit   Sodabad  und  Zinkpaste  ist 
das   Eczem   bedeutend   gebessert,   aber   zahlreiche  neue  Masen 
sind  entstanden.   Durch  Bersten  der  Blasen  sind  Geschwüre  ent- 
standen. 

^/i2.  Pat.  ist  heute  nicht  so  klar  als  an  den  vorhergehen- 
den Tagen  und  klagt  über  Kopfweh.  Der  Apetit  ist  schlecht. 
Temperatur  heute  Abend  39,8".  Die  rechte  Hand  und  die  Aus- 
senseite  des  Unterarms  sind  schwarzblau  und  sehr  kalt.  Die 
Geschwüre  sind  missgefärbt.    Der  Puls  104. 

^/i2.    Die  Temp.  40,1.    Pat.  verschied  um  11,20  v.  M. 

Die  Behandlung.  Chloral,  Sodabad,  Unguent.  Dia- 
chyli,  Stimulantia  und  Sulphonal. 

Sektion. 

Der  Schädel  ist  etwas  dünn  und  etwas  asymmetrisch,  in- 
dem die  rechte  Hälfte  etwas  mehr  als  die  linke  ausgebuchtet  ist. 
Die  Diploe  ist  ziemlich  reichlich  vorhanden. 

Die  Dura  ist  etwas  gleichförmig  verdickt;  nicht  gespannt. 

Die  Pia  nichts  Besonderes. 

Die  Gefässe.  Die  rechte  Arteria  fossse  Sylvii  ist  bedeu- 
tend verdickt  und  weiss,  wie  auch  die  A.  communicans  anterior. 
Die  linke  A.  fossse  Sylvii  ist  auch  in  einer  Ausdehnung  von  1,5 
cm.  verändert.  Beim  Aufschneiden  der  rechten  A.  fossae  Sylvii 
findet  man,  dass  ihr  Lumen  fast  impermeabel  ist.  Weiter  peri- 
pheriewürts  ist  die  Arterie  auch  sehr  atheromatös. 

Die  Wi7idungen  sind  im  Allgemeinen  vorspringender  als 
gewöhnlich,  und  die  Furchen  tiefer  und  deutlicher  als  normal. 
Sonst  findet  man  an  den  lateralen  und  ventralen  Flächen  keine 
Veränderungen.  Beim  Trennen  der  beiden  Hemisphären  findet 
man  auch  an  den  medialen  Flächen  keine  Veränderungen,  mit 
der   Ausnahme,   dass   die   Gyri  rechts  etwas  mehr  hervorragen 

S.  E.  Menschen.    Pathologie  des  Gehtins. 


als  links.  Sonst  wird  bei  der  Herausnahme  des  Gehirns  be- 
merkt, dass: 

die  Innenseite  des  rechten  Thalamus  etivas  eingesunken  und 
das  rechte  Pulvinar  missgefärbt  gelatinös  ist.  Das  Pulvinar 
barst  leicht  bei  Berührung  und  es  öffnete  sich  eine  Cyste  an  sei- 
ner medialen  Seite. 

Die  linke  Hemisphäre. 
Auf  der  ventralen  Oberfläche  des  linken  Temporallappens 
wurden  einige  kleine  Hsemorrhagien  bemerkt. 

Sonst  fand  sich  in  dieser  Hemisphäre  nichts  Abnormes. 

R  e  c  h  t  e  H  e  m  i  s  p  h  ä  r  e. 

Frontalschnitte. 

Occipito-Parietallappen. 

Die  Schnitte  i.  2.  3.  4  und  5  cm.  vor  der  occipitalen 
Spitze  sind  makroskopisch  völlig  normal. 

Schnitt  6  cm.  Hier  erscheint  das  occipitale  Ende  der 
grossen  Erweichung  in  Form  einer  diffusen  der  dorsalen  Hälfte 
des  Hinterhorns  gegenüberliegenden  Erweichung.  Makroskopisch 
berührt  diese  weder  die  Sehstrahlung  noch  die  Rinde  und  liegt 
ausschliesslich  im  lateralen  Marke,  sonst  ist  der  Schnitt  normal. 
Einige  Millimeter  weiter  nach  vorn  dehnt  sich  die  Erweichung 
auch  auf  die  ventrale  Hälfte  des  Marks  aus  (Taf.  XII.  Fig.  7). 
Sie  misst  in  Höhe  30  m.m.,  in  Breite  etwa  2  —  3  m.m. 

Schnitt  7  cm,  (Taf  XII.  Fig.  6.)  Die  Zerstörung  ist  hier 
sehr  ausgedehnt  und  nimmt  nicht  nur  das  ganze  vertikale  Mark 
in  seiner  ganzen  Ausdehnung,  sondern  auch  das  ganze  lateral 
und  dorsal  vom  Hinterhorn  gelegene  Mark  ein.  Auch  die  Rinde 
in  der  Tiefe  des  t^  (sowohl  des  T^  wie  T^)  ist  zerstört  und  im 
T^  dringt  die  Erweichung  bis  dicht  unter  die  Rinde  vor. 

Dagegen  ist  das  Mark  sowie  die  Rinde  des  H,  T^  und 
des  Gyrus  cinguli  sowie  das  Corpus  callosum  unberührt. 

Die  erweichte  Partie  ist  sehr  lose  und  hat  zahlreiche  un- 
regelmässige Höhlen. 

Schnitt  S  cm.  (Taf  XII.  Fig.  5.)  Auch  hier  ist  die  Er- 
weichung sehr  ausgedehnt  und  erstreckt  sich  im  lateralen  Mark 
bis  dicht  unter  die  Rinde  der  Windungen,  und  in  vertikaler  Rich- 
tung von  der  Ebene  des  Balkens  bis  i  cm.  unter  das  Niveau 
des  Bodens  des  Hinterhorns.  Sie  dringt  in  die  Markleiste  der 
Windungen  ein  und  lässt  nur  das  Mark  des  H  und  des  frei 
imd  zwar  nur  zum  Teil.  Alle  nach  den  Centralganglien  von 
H,  T^  T^  T-,  TS  P'^  CP  und  e\  sowie  Gyrus  anguli  und  des 
Balkens  ziehenden  Fasern  sind  folglich  entweder  unmittelbar 
unter  der  Rinde  wie  die  Fasern  der  T^,  T^,  T\  P^,  C^  oder 
weiter  centralwärts  wie  die  der  H,  T',  C'"^,  Gyrus  cinguli  und 
des  Balkens  abgebrochen. 

Nur  in  der  Tiefe  der  Fossa  Sylvii  hat  die  Rinde  unmittelbar 
durch  die  Erweichung  gelitten. 

Fro  ntal  1  ap  pen. 
Schnitte  i,  2  und  3  cm.  hinter  dem  Frontalspitze  sind  ma- 
kroskopisch völlig  normal. 

Schnitt  4  cm.  (Taf  XII.  Fig.  i.)  Hier  ist  das  frontale 
Ende  der  grossen  Malacie  durchschnitten.  Diese  liegt  3  m.m. 
lateral  vom  Vorderhorn  und  nimmt  hauptsäcnlich  das  Mark  des 

10 


74  S.  E.  HP:NSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


ein;  sie  ist  unregelmässig  und  besteht  eigentlich  aus  zwei  bis 
drei  zusammenhängenden  cystüsen  Ausläufern,  welche  zusammen 
in  Höhe  2,5  cm.  und  in  Breite  15  m.m.  messen.  Die  Rinde 
ist  nur  in  beschränktem  Maasse  im  orbitalen  Gebiet  bertihrt. 

Schniit  ß  cm.  (Taf.  XII.  Fig.  2.)  Hier  ist  die  Erweichung 
ausgedehnter  und  dringt  bis  zur  ventralen  Oberfläche  des  F* 
im  Winkel  zwischen  F"*  und  Insula  hervor  sowie  auch  bis  zum 
Vorderhorn  ohne  jedoch  das  Ependym  zu  durchbrechen.  Sie 
nimmt  hauptsächlich  das  Mark  des  F''  sowie  das  Caput  nuclei 
caudati  et  lentiformis  ein;  F^  und  F^  sind  nicht  berührt,  weder 
im  Mark  noch  in  der  Rinde. 

ScJinitt  6  cm.  (Taf.  XII.  Fig.  3.)  2  m.m.  vor  dem  Cor- 
pus mammillare.  Die  Erweichung  hat  hier  sowohl  den  ganzen 
Insellappen,  sowie  das  laterale  Mark  dorsal  und  ventral  von  ihm 
zerstört.  Nach  oben  erstreckt  sich  die  Zerstörung  bis  5  cm. 
dorsal  vom  Nucleus  caudatus,  nach  unten  bis  etwa  zum  Boden 
des  Unterhorns,  nach  innen  geht  sie  bis  zur  Capsula  interna,  und 
zum  lateralsten  Abschnitte  des  Nucleus  externus  des  Thalamus 
und  hat  den  Nucleus  caudatus  zerstört.  Das  Mark  und  die  ven- 
trale Rinde  des  C'"*  (Operculum  superius  anterius)  sowie  die  dor- 
sale Rinde  des  T^  sind  auch  erweicht. 

Unberührt  sind  die  Markleisten  und  die  Rinde  des  H,  T^, 
T^,  T'"*,  F^  und  F\  sowie  der  Balken  und  der  Fornix. 

Schnitt  7  cvi.  (Taf.  XII.  Fig.  4.)  Die  Erweichung  ist 
noch  etwas  ausgedehnter  als  am  Schnitt  6  cm.,  aber  sonst  von 
fast  derselben  Eage  und  Form.  Nach  oben  ist  die  Ausdehnung 
dieselbe.  Nur  das  Mark  des  F^  und  zum  Teil  das  des  F^  ist 
unberührt.  Das  Mark  der  C^,  der  Insula  und  des  T^  ist  zer- 
stört. Die  Malacie  dringt  durch  die  innere  Kapsel  und  dann 
längs  dem  ventralen  Rande  der  Centralganglien. 

Die  Hauptmasse  des  Thalamus  und  die  Regio  subthaia- 
mica  ist  nicht  berührt. 

Das  Mark  zwischen  dem  T-lappen  und  den  Centralganglien 
ist  zerstört. 

Das  erhalten  gebliebene  etwa  2  cm.  dicke  Stück  der  Cen- 
tralganglien wurde  in  P'rontalschnitte  geschnitten. 

Centralganglien. 
Der  rechte    Thalamus   ist  bedeutend  geschrumpft  und  in 
Folge  dessen  die  mediale  sowie  auch  die  dorsale  Fläche  narbig 
eingezogen. 

Pulvinar  ist  deutlich  unterminirt,  die  Oberfläche  ist  zwar 
erhalten  geblieben,  aber  gerunzelt.  Nach  dem  Durchschneiden 
sieht  man,  dass  es  zum  Teil  in  eine  nrehrere  m.m.  grosse  malac- 
ische  Höhle  verwandelt  ist. 

Das  Gebiet  des  Corpus  geniculatum  iiitcrnuui  ist  malacisch 
und  zerfliesst  leicht.  Das  Ganglion  selbst  ist  klein  und  ge- 
schrumpft. An  Durchschnitten  zeigt  sich  das  Innere  durch  eine 
Höhle  ersetzt. 

Das  Corpus  geniculatum  externum  ist  makroskop- 
isch verändert,  etwas  klein  und  ragt  an  der  Oberfläche  mehr 
als  gewöhnlich  hervor,  sein  Volumen  ist  jedoch  vermindert. 

Der  Nucleus  caudatus  ist  in  seiner  ganzen  hinteren 
Hälfte  geschrumpft,  indem  die  Zerstörung  seine  laterale  Hälfte 
getroffen  hat  (s.  Mikroskopische  Untersuchung).  Nur  der  vordere- 
innere Abschnitt  scheint  z.  T.  makroskopisch  unverändert  zu  sein. 


Das  Corpus  mammillare  scheint  unverändert  zu  sein. 

Der  Pcs  ist  in  seinem  äusseren  hinteren  Abschnitt  sehr  lose 
und  gelb  und  folglich  malacisch. 

Unmittelbar  nach  aussen  vom  Nucleus  caudatus  ist  das 
Mark  vollständig  zerstört  und  durch  löcheriges  Bindegewebe  er- 
setzt. Die  laterale  Rinde  dagegen  mit  Ausnahme  der  Insular- 
rinde ist  intakt. 

Die  Inselrinde  ist  vollständig  erweicht. 

Die  Sektion  im  Übrigen  (Auszug  aus  dem  Protokolle). 

Körper:  schwach,  mager;  die  Muskulatur  schwach.  Die 
Haut  cyanotisch  mit  ausgebreiteten  Geschwüren. 

Herz:  Atrophia  fusca;  Myocarditis.  Fibrosis  musculorum 
papill.  cordis.    Sonst  keine  Veränderung  der  Valvel. 

Lungen:  Petrificatio  partialis  glandularum  lymphaticarum. 

Milz:  klein. 

Nieren:  Atrophia  senilis  renum. 
Ventrikel:  Catarrhus  ventriculi. 
Leber:  ohne  Besonderes.  Gallensteine. 
Aorta  abdominalis:   eine  ausgedehnte  hochgradige  Sklero- 
sirung  und  Kalkinfiltration. 
Uterus:  atrophisch. 

Mikroskopisches.   (Taf.  V.) 

Ein  Blick  auf  die  Tafel  XII.  überzeugt,  dass  die  haupt- 
sächliche und  primäre  Erweichung  die  Insularrinde,  die  Capsula 
externa  und  den  Linsenkörper  einnimmt.  Diese  Malacie  sendet 
Ausläufer  sowohl  nach  oben  und  unten  ins  Mark  sowie  auch 
medialwärts  in  die  Capsula  interna  und  den  Thalamus  hinein. 
In  wie  weit  diese  nach  verchiedenen  Richtungen  eindringen,  zei- 
gen die  Figuren,  soweit  es  makroskopisch  nachzuweisen  war. 

Ausserdem  finden  sich  auch  sekundäre  Degenerationen, 
deren  Ausbreitung  sich  erst  mit  dem  Mikroskope  studiren  lässt. 

Die  Figuren  zeigen  weiter,  dass  die  Grenzen  der  grossen 
lateralen  Erweichung  keineswegs  scharf  sind.  Die  mikroskopischen 
Figuren  zeigen,  dass  das  Grenzgewebe  durchlöchert  und  das 
Nervengewebe  daselbst  fast  vollständig  geschwunden  ist.  Wenn 
wir  nun  an  der  Hand  der  Abbildungen  (an  Taf.  V.)  die  ver- 
schiedenen Ganglien  betrachten,  so  finden  wir  folgendes. 

Die  Centralganglien. 

Liuscukörpcr.  An  den  occipitalen  Schnitten  (Taf.  V.  Fig. 
7)  findet  man  von  ihm  kaum  etwas  erhalten;  nur  einige  schwach 
grau  geiärbten  Bündel  (put.)  bezeichnen  die  Lage  des  Putamens. 
Von  den  Fasern  sind  nur  Bruchstücke  erhalten,  Zellen  sind  nicht 
geblieben.  Weiter  nach  vorn  (Fig.  8)  werden  die  erwähnten  Bün- 
del etwas  deutlicher  und  bilden  eine  vertikale  Reihe;  das  Ge- 
webe ist  noch  völlig  atrophisch  ebenso  in  der  nächsten  Schnitt- 
serie (Fig.  9),  wo  das  Gewebe  sehr  durchlöchert  ist. 

Erst  an  den  Frontalschnitten  im  vorderen  Umfange  des 
roten  Körpers  findet  man,  dass  die  Fasern  des  Globus  pallidus 
zum  Teil  erhalten  geblieben  sind,  und  man  erkennt  die  Form 
dieses  Ganglions,  wie  auch  die  Fig.  11  (Gl.  pal.)  zeigt.  Diese 
Fig.  zeigt  auch  die  Anordnung  der  Fasern  und  wie  die  Bündel 
medialwärts  durch  die  atrophische  Kapsel  in  den  Luys'schen 
Körper  hineinstrahlen.   Die  Bündel  des  Globus  pallidus  bestehen 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


75 


mehr  aus  einzelnen  starken  Fasern  und  Faserresten  als  aus  dickeren 
Bündeln  mit  normalen  Fasern. 

Das  feine  Nervennetz  fehlt  fast  völlig.  Die  Bündel,  welche 
die  innere  Kapsel  durchziehen,  bestehen  aus  teils  zusammen- 
hängenden Fasern,  teils  einer  Anzahl  in  Degeneratio7i  begriffener 
dünner  Fasern  und  Bruchstücke  von  Fasern.  Diese  Balken 
bilden  dann  teils  die  dorsale  und  ventrale  Kapsel  des  Luys'schen 
Körpers,  teils  ziehen  sie  in  das  Innere  des  Ganglions  ein,  teils 
endlich  ziehen  sie  mehr  ventrahvärts  hin.  Eine  kleine  Cyste 
(Cy)  schneidet  das  ventrale  Bündel  ab.  Dieses  Balkensystem 
sieht  man  noch  an  der  folgenden  Serie  (Fig.  12).  Dabei  ver- 
binden sich  die  Bündel  von  der  Spitze  des  Globus  pallidus  mit 
der  dorsalen  Spitze  des  Luys'schen  Körpers,  die  der  mittleren 
Partien  dieser  Körper  verbinden  sich  mit  einander  und  die  ven- 
tralen ebenso. 

Zellen.  Die  spärlichen,  noch  zurückgebliebenen  Zellen  sind 
gewiss  in  hohem  Grade  atrophisch,  pigmentirt,  eckig,  klein,  ohne 
Ausläufer. 

Die  Alisa  lenticularis  (Fig.  13)  ist  an  den  frontalsten  Schnit- 
ten noch  vorhanden,  aber  schwach,  ihre  Fasern  sind  tiefschwarz 
gefärbt. 

An  den  frontalsten  Schnitten  (Fig.  12,  13)  und  noch  mehr 
frontal  ist  auch  das  Pntamen  mehr  oder  weniger  vollständig  zer- 
stört, nur  der  ventro-mediale  Abschnitt  ist  erhalten.  Es  finden  sich 
keine  Nervenfasern  mehr  und  das  Gewebe  ist  mürb,  durchlöchert 
und  die  Zellen  fehlen.  Die  Zerstörung  greift  auf  das  Caput 
nuclei  caudati  über. 

Also:  Das  Patamen  ist  fast  vollständig  zerstört,  nur  der 
ventro-mediale  Abschnitt  ist  noch  erhalten;  im  mittleren  Abschnitt 
des  Globus  palUdus  finden  sich  noch  spärliche  Fasern,  aber  die 
wenigen  Zellen  sind  atrophisch. 

Nucleiis  caüdatus.  Die  Cauda  nuclei  caudati  ist  nicht  von 
der  Erweichung  berührt,  dagegen  ist  das  Corpus  dieses  Gang- 
lions fast  vollständig  zerstört,  so  dass  es  selbst  schwierig  ist  seine 
Lage  an  den  mikroskopischen  Präparaten  nachzuweisen. 

An  den  frontalen  Schnitten  durch  das  Caput  n.  caudati  ist 
die  dorsale  Hälfte  malacisch,  die  ventro-mediale  ist  erhalten, 
die  Gefässe  sind  injicirt.    Die  Zellen  finden  sich  hier  noch  vor. 

Thalamus  opticus.  Dieses  Ganglion  ist  überhaupt  von  der 
Erweichung  nicht  direkt  betroffen,  wohl  aber  in  weiter  Ausdehnung 
indirekt  und  ausserdem  finden  sich  in  ihm  verschiedene  kleinere 
Cysten.  In  Folge  dessen  finden  sich  noch  nur  gewisse  Fasern- 
systeme erhalten  und  selbst  diese  sind  schwach  vertreten  und  die 
Fasern  färben  sich  überhaupt  schlecht. 

Form.  Dass  die  allgemeine  Form  verändert  und  das  Vo- 
lumen reduzirt  ist,  geht  aus  den  mikroskopischen  Abbildungen 
hervor  (Taf  XII.  Fig.  3.  4.  5.  Th.  Pulv.).  Die  Nuclei  inter- 
nus und  externus  zeichnen  sich  kaum  von  einander  ab,  wohl 
aber  N.  anterior. 

Cysten  a).  Im  Pulvinar  findet  sich  eine  grosse  Cyste, 
welche  nach  hinten  das  Brachium  anterius,  Corp.  4-gem.  abge- 
trennt hat.  Nach  vorn  v/ird  sie  kleiner  und  liegt  am  dorso- 
medialen  Rande.  Ihre  Grösse  geht  aus  den  Abbildungen  hervor 
(Fig.  7  — Ii). 


b)  Im  Thalamus:  eine  schlitzförmige  Cyste  dorsal  vom 
Nucleus  ruber  (Fig.  10.  11.  Cy.). 

c)  Eine  ventrale  Cyste  dorsal  vom  Tractus  opticus ;  sie  ist 
nach  hinten  gross  (Fig.  8),  dann  kleiner  und  sinuös  (Fig.  9), 
nach  vorn  (Fig.  11)  klein. 

Occipitale  Schnitte.  Hier  färbte  sich  nur  die  Ausstrahlung 
einiger  Bündel  in  dem  occipitalen  Abschnitt  der  inneren  Kapsel 
(Fig.  7.  C.  i).  Sie  bildet  einen  vertikalen  Streifen,  welcher  wohl 
zum  Teil  von  den  hintersten  radiären  in  das  Pulvinar  und  den 
Thalamus  einstrahlenden  Bündeln  besteht.  Diese  Bündel  sind 
spärlich  und  nur  sehr  schwach  gefärbt.  Sie  sind  am  stärksten 
da,  wo  das  Pulvinar  sich  mit  der  Occipitalstrahlung  vereint. 

Nach  vorn  findet  man  als  Fortsetzung  nur  einen  sehr 
schmalen  Streifen,  welcher  gewiss  der  Gitterschicht  der  Lamina 
medullaris  externa  des  Thalamus  entspricht  (Fig.  9)  und  an 
einer  Anzahl  von  Präparaten  selbst  geschwunden  ist  (Fig.  8), 
um  dann  weit  nach  vorn  deutlicher  zu  werden  (Fig.  11). 

Von  diesem  Streifen  ziehen  spärliche  schwach  gefärbte 
Fasern  bogenförmig  als  Radien  medialwärts  in  den  Thalamus 
hinein.  Diese  radiären  Fasern  des  Thalamus  sind  durch  die 
erwähnte  ventrale  Cyste  zum  Teil  im  occipitalen  Abschnitte  ab- 
gebrochen (Fig.  8.  9);  weiter  nach  vorn  (Fig.  11)  dagegen  nicht. 

Schleife  und  Haubenstrahlung.  An  occipitalen  Schnitten 
(Fig.  8)  bemerkt  man,  dass  im  Pes  ein  verhältnissmässig  gut 
erhaltener  Streifen  mit  gut  gefärbten  Fasern  von  ventralen  Teilen 
nach  aussen  oben  steigt.  Diese  sind  die  Schleifenfasern  (Schi.). 
Sie  verlaufen  nach  oben-aussen  und  schmelzen  mit  Zügen  vom 
roten  Kern  (Fig.  9)  innig  zusammen  und  bilden  einen  rund- 
lichen verhältnissmässig  faserreichen  Körper  im  lateralen  und 
ventralen  Abschnitt  des  Thalamus  (Th.). 

Die  Fasern  sind  sehr  stark  und  intensiv  gefärbt,  auf  längeren 
Strecken  zahlreich  und  zusammenhängend. 

Nach  den  eben  beschriebenen  rundlichen  Körper  im  ven- 
tralen Teil  des  Thalamus  strahlen  zahlreiche  Bündel  vom  roten 
Kern  hin.  Diese  kommen  teils  vom  ventralen  Umfang  (Kapsel) 
(Fig.  8),  teils  vom  ventralen  Abschnitt  des  Kerns  (Fig.  9),  wie 
die  Fig.  näher  zeigen.  Züge,  welche  vom  medialen  Umfang 
des  roten  Kerns  kommen,  scheinen  unmittelbar  lateralwärts  gegen 
die  Lamina  medullaris  sich  fortzusetzen  (Fig.  11).  (Haub.  S.) 

Der  Nucleus  ruber  ist  überhaupt  gut  erhalten  geblieben, 
wenn  auch  vielleicht  etwas  faserarm. 

Die  Kapsel  ist  im  ventro-medialen  Umfang  recht  kräftig, 
im  ventro-lateralen  schwächer,  im  dorsalen  vorne  (Fig.  11)  schwach 
(durch  die  Nähe  der  Cyste),  aber  im  mittleren  Abschnitt  stark 
(Fig.  9),  die  mediale  ziemlich  normal.  Das  Innere  ist  recht 
faserreich,  die  Balken  und  Fasern  sind  stark  und  intensiv  gefärbt, 
ohne  Spur  von  Degeneration, 

Die  im  ventro  medialen  Abschnitt  durchziehenden  Bündel 
des  Oculimotorius  sind  stark  und  intensiv  gefärbt. 

Corpus  subthalamicum.  Wie  dieser  Körper  mit  dem  Glo- 
bus pallidus  durch  zahlreiche  Balken  (welche  die  innere  Kapsel 
durchziehen)  verbunden  ist,  ist  oben  erwähnt.  Das  Ganglion 
ist  auffallend  reduzirt,  misst  nur  4+2  m.m.  Es  wird  von  der 
Haubenstrahlung  (s.  Fig.  11)  durch  einen  bleichen  an  Nerven- 
fasern sehr  armen  Streifen  getrennt. 


76 


S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Das  Innere  hat  ein  feines  aus  feinen  und  gröberen  Fasern 
gebildetes  Netz,  aber  die  Fasern,  obschon  intensiv  gefärbt,  scheinen 
nirht  zusammenzuhängen,  sondern  aus  Bruchstückchen  zu  bestehen; 
auch  sehr  dünne  kurze  Fäden  finden  sich  (Atrophie  der  Fasern). 

Die  Zellen  sind  sehr  pigmentreich,  die  Konturen  sehr 
scharf,  die  Form  eckig  abgerundet;  sie  scheinen  an  Zahl  ver- 
mindert zu  sein,  aber  treten  in  Folge  der  Faseratrophie  un- 
gewöhnlich deutlich  hervor. 

Also:  Allgemeine  Reduktion  des  Ganglions  mit  Schwund 
und  Atrophie  der  Fasern  und  Atrophie  der  Zellen. 

Corpus  main/nillarc  und  seine  Schenkel. 

Das  Corpus  selbst  misst  höchstens  3,5  m.m. 

In  occipitalen  Teilen  ist  die  Kapsel  schwach  oder  fehlt, 
die  P'asernetze  auch  schwach  entwickelt  und  die  Fasern  grau, 
die  Zellen  atrophisch  ('?). 

In  frontalen  Abschnitten  ist  die  dorsale  Kapsel  stark  mit 
intensiv  gefärbten  Fasern,  so  auch  die  ventrale,  obschon  weniger 
auffallend.  Die  Zellen  im  medialen  Ganglion  sind  erhalten,  gross, 
wenig  pigmentreich,  die  des  lateralen  klein,  pigmentirt  aber  mit 
Ausläufern,  eckig  mit  scharfen  Konturen.  —  Also  ist  wohl  im 
occipitalen  Abschnitte  ein  Faserschwund  vorhanden,  im  fron- 
talen kaum. 

Die  Columna  fornicis  ist  vorhanden,  grau  gefärbt,  vielleicht 
an  Dicke  etwas  reduzirt. 

Die  Columna  Vieq  d' Azyr  ist  sehr  schwach  gefärbt,  kann 
aber  bis  zum  Nucleus  anterior  verfolgt  werden. 

Der  Nucleus  anterior  Thalami  ist  makroskopisch  nicht 
verändert,  hat  aber  eine  sehr  schwache  Kapsel  und  ist  über- 
haupt schwer  zu  erkennen.  Die  Fasernetze  sehr  undeutlich.  Die 
Zellen  sind  erhalten  geblieben,  pigmentirt,  scharf  konturirt,  eckig. 

Columna  Thalami.  Vom  oberen  Umfange  des  Corpus  mam- 
millare  kann  man  diese  Säule  bis  zur  Capsula  interna  genau 
verfolgen.  Sie  legt  sich  der  dorsalen  Kapsel  des  Luys'schen 
Körpers  nahe  an  um  mit  ihr  erst  an  dem  dorsolateralen  Pole  zu- 
sammenzuschmelzen. Ihre  Fasern  sind  sehr  schwach  gefärbt.  An 
der  Grenze  der  inneren  Kapsel  hört  sie  plötzlich  auf.   (Fig.  12.) 

Die  Capsula  interna  ist  fast  vollständig  weg.  Kaum  findet 
man  in  ihr  eine  einzige  Faser.  Ihre  Bahn  ist  also  durch  einen 
kleinen  atrophischen  Streifen  bezeichnet.  Nur  in  der  Frontal- 
strahlung finden  sich  einige  bleiche  Bündel.  Aber  an  den  Mar- 
chi'schen  Präparaten  (Fig.  10)  zeichnet  sich  ihr  Weg  sehr  deut- 
lich und  wir  finden  hier  wie  sie  auch  ins  Innere  des  Thalamus 
Fasern  sendet.  An  meinen  Präparaten  erreichen  diese  nicht  den 
roten  Körper. 

(In  Anbetracht  dass  das  Osmium  nur  wenig  in  die  Präpa- 
rate eindringt,  möchte  die  Abwesenheit  einer  Scharffärbung  nicht 
viel  bedeuten,  wohl  aber  das  Vorhandensein  der  gefärbten  Fett- 
körner.) 

Substantia  nigra.  Die  Zellen  sind  klein  und  gerundet,  oft 
ohne  scharfe  Konturen  (Atrophie). 

Ausser  den  beschriebenen  Bündeln  findet  man  einige  spär- 
liche Fasern  in  dem  Stratum  zonale  und  der  Stria  terminalis,  in 
der  Commissura  posterior,  der  Meynert'schen  Kommissur  (s.  unten) 
und  der  ventralen  (Temporal-)  Strahlung. 

Die  ventrale  Einstrahlung  in  den  Thalamus.   An  den  Fig. 


7  —  II  ersieht  man,  wie  in  dem  ventralen  Abschnitt  des  Thala- 
mus ein  breites  Bündel  längs  dem  ventralen  Rande  des  Thalamus 
verläuft.  An  den  Fig.  7  ist  es  nicht  abgebrochen,  wohl  aber 
an  der  Fig.  8  und  zwar  durch  eine  Cyste,  so  auch  zum  Teil  an 
der  Fig.  9  und  11.  An  der  Fig.  12  fehlt  es  und  ist  gewiss  von 
der  Malacie  abgeschnitten,  so  auch  an  Fig.  13.  Diese  Strahlung 
ist  die  Temporale  Strahlung. 

Das  optische  System. 

Die  MeynertscJie  Kommissur  ist  sehr  schön  vorhanden;  an 
occipitalen  Schnitten  fliesst  sie  mit  Ansa  lenticularis  anscheinend 
zusammen.    (Fig.  13.) 

Tractus  opticus.  An  mehr  frontalen  Schnitten  findet  man 
im  Tractus  eine  ausgeprägte  Atrophie;  diese  nimmt  die  ventrale 
Peripherie  und  besonders  die  laterale  Hälfte  ein.  Hier  findet 
man  nur  vereinzelte  Fasern,  welche  alle  in  Degeneration  be- 
griffen und  äusserst  varikös  sind. 

Aber  im  dorsomedialen  Abschnitt  des  Tractus  findet  man 
zahlreiche  recht  gut  gefärbte  Fasern,  von  welchen  viele  jedoch 
nicht  als  normal  betrachtet  werden  können  und  besonders  an 
der  Grenze  gegen  die  Atrophie  nicht  dicht  an  einander  liegen. 
Auch  in  dem  erhalten  gebliebenen  Felde  findet  sich  reichlicherer 
Bindegewebe  als  an  normalen  Schnitten. 

Dieses  Feld  behält  seine  Lage  im  Tractus  weit  nach  hin- 
ten, aber  im  occipitalsten  Abschnitt  sind  die  Fasern  im  Tractus 
über  den  Querschnitt  etwas  mehr  gleichmässig  zerstreut,  wenn 
sie  auch  vorzugsweise  ihre  dorsale  Lage  behalten.  Hier  tritt  dor- 
sal vom  Tractus  eine  kleine  Cyste  hervor,  welche  jedoch  den  Trac- 
tus nicht  direkt  berührt.  (Taf.  V.  Fig  11.  Cy.  12.  Cy.  13.  Cy.) 
Diese  Cyste  ist  recht  unregelmässig  und  tritt  an  den  Schnitten 
unmittelbar  frontal  vom  Kniehöcker  (Taf.  V.  Fig.  10)  nicht  hervor. 

Corpus  geniculatum  extcrnum.  Schon  an  den  frontalen 
Schnitten  des  Kniehöckers  findet  man  mehrere  unregelmässige 
kleine  mikroskopische  Hämorrhagien,  welche  längs  dem  medio- 
ventralen Rande  des  Ganglions  in  eine  Reihe  geordnet  sind 
(Präp.  C.  142).  Bald  fliessen  diese  zusammen  (Präp.  C.  113) 
und  bilden  eine  von  oben  nach  unten,  i  m.m.  von  der  ventralen 
Oberfläche  entfernt,  verlaufende  schlitzförmige  Cyste ;  sie  dehnt 
sich  nach  oben  aus,  und  hier  findet  man  bald  (Präp.  C.  71 
Taf  V.  Fig.  9)  eine  dreieckige  Cyste,  welche  nach  hinten  an 
Grösse  zunimmt  und  sich  nach  oben-innen  längs  der  ventralen 
Oberfläche  des  Pulvinars  verlängert. 

So  entsteht  im  occipitalen  Abschnitte  des  Kniehöckers  eine 
grössere  Höhle  (etwa  4 — 5  m.m.),  welche  an  mehr  occipital  ge- 
legenen Schnitten  mit  der  grossen  Cyste  des  Pulvinars  zusammen- 
hängt.   (Taf.  V.  Flg.  8,  7.) 

Durch  diese  Cyste  ist  die  Konstitution  des  Kniehöckers 
wesentlich  beeinflusst. 

Fasern.  In  frontalen  Abschnitten  sind  diese  Uberhaupt 
sehr  spärlich,  in  mehr  occipitalen  und  besonders  occipito-lateralen 
reichlicher  vorhanden. 

Kapsel.  In  den  frontalsten  Abschnitten  ist  das  Ganglion 
überhaupt  undeudich  begrenzt.  Die  ventrale  Kapsel  fehlt  voll- 
ständig, die  dorso-mediale  und  dorso-laterale  ist  äusserst  schwach, 
indem  nur  spärliche  zum  Teil  degenerirte  Fasern  erhalten  sind. 
Diese  haben  die  Richtung  nach  oben-medialwärts.  (Präp.  C.  142.) 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


77 


Weiter  nach  hinten  (Präp.  C.  71.  Fig.  9)  fehlt  auch  die 
ventrale  Kapsel  fast  vollständig;  im  dorso-medialen  Umfange 
liegt  die  Cyste;  die  dorso-laterale  Kapsel  ist  deutlich  mit  zwar  an 
Anzahl  sehr  reduzirten,  jedoch  nicht  wenigen  Fasern,  welche 
schwach   gefärbt  und  zum  Teil  in  Degeneration  begriffen  sind. 

Der  occipitale  Abschnitt  (Taf.  V.  Fig.  8.  Präp.  b.  66)  des 
Kniehöckers.  Die  ventrale  Kapsel  fehlt  auch  hier  fast  vollstän- 
dig. Die  dorsale  Kapsel  ist  von  der  Cyste  zerstört.  Die  dorso- 
laterale  ist  noch  schwach,  aber  jedenfalls  kräftiger  als  in  mehr 
frontalen  Schnitten,  dagegen  ist  die  ventro-laterale  kräftig.  Ihre 
Fasern  sind  recht  zahlreich  und  färben  sich  intensiv. 

Fasern  im  Inneren.  Marklamellen.  In  frontalen  Schnitten 
fehlen  diese  vollständig,  in  mittleren  aber  treten  im  ventro- 
lateralen  Abschnitte  eine  oder  zwei  Lamellen  auf  und  werden 
selbst  recht  dicht  und  kräftig  in  demselben  Maasse  wie  die  late- 
rale Kapsel  kräftiger  wird. 

Einstrahlende  radiäre  Fasern.  In  frontalen  Abschnitten 
findet  man  nur*  einzelne  schwach  gefärbte  Fasern,  welche  keine 
Netze  bilden.  In  den  mittleren  und  occipitalen  dagegen  fehlen 
diese  fast  nur  im  ventromedialen  Abschnitt;  dagegen  sieht  man. 
wie  zahlreiche  Fasern  von  der  lateralen  Kapsel  ins  Innere  des 
Kniehöckers  einstrahlen.  Diese  sind  zuerst  parallel  und  bilden 
überhaupt  nicht  eigentliche  Netze,  sondern  parallele  Bündel  oder 
Fasern.  Alle  diese  Fasern  sind  intensiv  gefärbt  ohne  Zeichen 
einer  Degeneration. 

Diese  Fasern  verlaufen  lateral  vom  Kniehöcker  nach  aussen- 
unten  in  fast  vertikaler  Richtung  und  zeigen  im  Allgemeinen 
keine  Zeichen  einer  Degeneration.  An  den  Marchi'schen  Präpa- 
raten findet  man  jedoch,  dass  neben  normalen  Fasern  nicht  wenige 
Reste  degenerirter  Fasern  vorhanden  sind. 

Zellen:  In  frontalen  Schnitten:  An  den  Weigert'schen  Prä- 
paraten markiren  sich  die  Zellen  nur  sehr  schlecht,  obschon  die 
Fasern  fast  geschwunden  sind.  Die  meisten  Zellen  sind  hoch- 
gradig atrophisch  und  zu  bleichen  rundlichen  Körperchen  um- 
gewandelt, an  denen  man  überhaupt  die  gewöhnliche  Textur 
vermisst.  An  Karminpräp.  (C.  108)  färben  sich  überhaupt  nur 
spärliche  Zellen. 

Die  grossen  Zellen  der  viedioventralen  Randzone  sind  zum 
grossen  Teil  verschwunden,  die  zurückgebliebenen  sind  nicht, 
wie  normal,  in  Reihen  angeordnet,  sondern  liegen  ohne  Ord- 
nung hie  und  da.  Alle  diese  Zellen  sind  rundlich  oder  rundlich- 
eckig, nur  an  zwei  oder  drei  entdeckt  man  einen  Rest  eines 
Prozesses. 

Die  kleinen  Zellen  sind : 

a)  In  dorsalen  Abschnitten  zum  grössten  Teil  geschwunden, 
die  wenigen  zurückgebliebenen  sind  entweder  hochgradig  atro- 
phisch zu  kleineneckig-rundlichen  Klümpchen  umgewandelt  oder 
grösser  und  nicht  so  auffallend  verändert. 

b)  In  lateralen  und  latero-ventralen  Abschnitten  sind  die 
Zellen  viel  zahlreicher;  neben  völlig  atrophischen  zu  kleinen  Klümp- 
chen reduzirten  Zellenkörpern  trifft  man  auch  recht  gut  erhalten 
gebliebene,  an  denen  man  selbst  die  Fortsätze  sehen  kann. 

Die  Rosin'schen  Präparate  bestätigen  die  Resultate. 
Das  Stroma  ist  überall  kernreicher  als  normal. 
In  mittleren  Schnitten  (Fig.  9.  Präp.  77)  verhalten  sich  die 
Zellen  überhaupt  ungefähr  in  derselben  Weise  in  den  verschiedenen 


Abschnitten,  aber  sie  sind  überall  zahlreicher  und  etwas  besser 
erhalten. 

An  recht  zahlreichen  grossen  Fandzellen,  welche  im  ventralen 
Abschnitte  liegen,  erkennt  man  noch  die  feinen  Fortsätze,  und 
die  Zellenkörper  haben  ihre  Form  erhalten  (Präp.  C.  68)  (Mety- 
lenpräp.). 

Die  kleineren  Zellen  verhalten  sich  wie  in  frontalen  Ab- 
schnitten. Reichliche  Pigmentklümpchen  finden  sich  vor,  sowohl 
zwischen  den  grossen  wie  besonders  den  kleinen  Zellen. 

In  occipitalen  Sclinittcn:  Die  grossen  Zellen  sind  zahlreicher, 
liegen  mehr  in  geordneten  Reihen  als  in  der  ventromedialen 
Randzone. 

Die  kleinen  Zellen  sind  wie  in  den  mittleren  Schnitten; 
atrophische  liegen  neben  besser  erhalten  gebliebenen  und  dazu 
finden  sich  zahlreiche  Pigmentklümpchen. 

Das  Stroma  ist  in  occipitalen  Teilen  nicht  so  kernreich  (?) 
wie  in  frontalen. 

Rückblick.  In  den  frontaleii  und  ventrolateraleii 
Abschnitten  fcJden  entweder  vollständig  oder  grösstenteils 
sowohl  die  Nervenfasern  wie  Zellen.  Besonders  gilt  dies 
der  Reihe  der  grossen  ventralen  Zellen.  Von  diesen  sind  nur 
noch  wenige  vorhanden,  und  fast  alle  diese  sind  atrophisch. 
Weiter  nach  hinten  treten  mikroskopische  Hämorrhagien  in 
dem  ventro-medialen  Umfange  i  m.m.  von  der  Oberfläche 
entfernt  auf.  Dem  ungeachtet  findet  man  in  den  ventro- 
occipitalen  Abschnitten  nicht  wenige  Zellen,  von  denen  einige 
selbst  die  Fortsätze  noch  beibehalten  haben. 

Ganz  anders  verhält  sich  der  laterale  und  besonders  dei 
occipito-laterale  Abschnitt.  Hier  findet  man  noch  eine  fasern- 
reiche Kapsel  und  es  strahlen  zahlreiche  radiär  angeordnete 
Fasern  in  das  Ganglion  ein  und  bilden  zwar  nicht  Netze, 
wohl  aber  Marklamellen.  Hier  sind  die  Zellen  noch  zahlreich. 
Normale  Zellen  sind  nur  spärlich  vorhanden,  dagegen  finden 
sich  atrophische  in  verschiedenen  Stadien  und  Pigmentklümp- 
chen in  reichlicher  Anzahl. 

Der  dorsale  Abschnitt  wird  zum  grossen  Teil  von  einer 
Cyste  eingenommen. 

Es  giebt  also  im  äusseren  Kniehöcker  zwei  ganz  ver- 
schiedene Prozesse,  deren  Wirkung  jede  für  sich  betrachtet 
werden  muss,  nämlich  teils  i)  primär  begrenzte  Hämorrhagien, 
teils  2)  eine  sekundäre  Degeneration  der  Fasern  und  Zellen. 

Die  hämorrhagischen  Herde  haben  teils  die  entsprechen- 
den Teile  des  Kniehöckers  zerstört,  teils  etwas  destruirend 
auf  die  Umgebung  eingewirkt.  Die  letztere  Einwirkung  kann 
überhaupt  als  eine  sehr  gelinde  bezeichnet  werden,  denn 
in  fast  unmittelbarer  Nähe  der  mikroskopischen  LIerde  selbst 
findet  man  wenig  veränderte  Zellen.  Dagegen  hat  die  grosse 
Cyste  den  dorsalen  Abschnitt  des  Kniehöckers  zum  grössten 
Teil  ersetzt.  Da  nun  die  weiter  frontal  liegende  Cyste  (Taf.  V. 
Fig.  1 1  Cy),  welche  dorsal  vom  Tractus  liegt,  vor  dem 
Kniehöcker  aufhört  (Fig.  10)  und  die  Cyste  an  den  Fig.  8,  9 
erst  mehr  occipitalwärts  anfängt,  so  kann  sie  die  Tractusfasern 
nicht  in  mehr  frontal  liegenden  Abschnitten  durchtrennt  haben, 
wohl  aber  in  mehr  occipitalen,  und  gewiss  ist  hier  eine  Masse 
von  Tractusfasern  durch  die  Hämorrhagie  und  Cystenbildung 
zur  Atrophie  gebracht  worden. 


78  S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Die  ausgedehnte  Tractusatrophie  hängt  teils  hiervon,  teils 
von  der  Zerstörung  der  Pupillenfasern  ab.  Aber  ausserdem 
müssen  durch  die  Cystenbildung  zahlreiche  occipitale  Sehfa- 
sern von  den  frontalen  Ganglienzellen  abgetrennt  worden  sein. 
Durch  die  Einwirkung  dieser  drei  Prozesse  lässt  sich  die 
fast  vollständige  Atrophie  der  Zellen  und  Fasern  im  frontalen 
Abschnitte  des  Ganglions  genügend  erklären.  Besonders  auf- 
fallend ist  die  vollständige  Atrophie  der  Fasern  in  dem  ven- 
tralen Umfange  des  Tractus  und  die  eben  so  vollständige 
Atrophie  der  ventralen  Kapsel  des  Ganglions,  welche  beide 
im  Zusammenhang  mit  einander  stehen. 

Die  hochgradige  Zellenatrophie  im  latero-occipitalen  Ab- 
schnitte hängt  wohl  von  der  Destruktion  der  ganzen  occipi- 
talen  Strahlung  ab  (Taf.  XII.  Fig.  3 — 6),  und  steht  in  Über- 
einstimmung mit  den  Befunden  Monakows,  dass  eine  Destruk- 
tion des  occipitalen  Markes  oder  der  occipitalen  Rinde  von 
Atrophie  der  Zellen  des  Kniehöckers  gefolgt  wird. 

Dagegen  ist  auffallend,  dass  die  Atrophie  nicht  alle 
Zellen  getroffen  hat,  und  dass  noch  eine  nicht  unbeträchtliche 
Anzahl  von  erhalten  gebliebenen  Nervenfasern  vorhanden  ist. 
Woher  stammen  diese  Fasern?  Wenn  man  die  Figuren  7 — 9 
Taf  V.  betrachtet  und  damit  die  Fig.  3 — 6  auf  Taf  XII  ver- 
gleicht, so  ist  es  zwar  nicht  leicht  zu  sagen,  woher  diese  Fa- 
sern kommen.  Die  Fig.  4  wie  auch  die  vertikale  Richtung 
der  Fasern  von  unten  deuten  doch  darauf  hin,  dass  sie  vom 
Temporallappen  stammen,  denn  wie  die  Fig.  5  und  6  zeigen, 
können  sie  mit  den  occipitalen  oder  parietalen  Teilen  nicht 
zusammenhängen. 

Wenn  dem  so  ist  und  diese  Fasern  nicht  nur  zur  Bild- 
ung der  Kapsel  des  Kniehöckers  beitragen,  sondern  auch  ins 
Innere  des  Ganglions  eindringen  und  mit  den  Zellen  zusam- 
menhängen, so  muss  der  äussere  Kniehöcker  auch  mit  dem 
Temporallappen  zusammenhängen  und  also  nicht  länger  als 
ein  ausschliessliches  Gesichtsganglion  betrachtet  werden. 

Der  von  mir  im  ersten  Teile  mitgeteilte  Fall  I,  wo  nach 
einer  50-jährigen  Blindheit  mit  doppelseitiger  Bulbusatrophie 
eine  Atrophie  der  Sehbahnen  eintrat,  zeigt,  dass  dabei  die 
occipito-temporale  Strahlung  in  grosser  Ausdehnung  beteiligt 
war,  und  zwar  nicht  nur  der  Teil  der  Strahlung  nach  den 
Occipitallappen,  sondern  auch  der  nach  den  Temporal-  und 
Parietallappen.  Die  Thatsache  ist  zwar  etwas  schwierig  zu  er- 
klären, da  der  Temporallappen  keineswegs  zum  Gesichtsgebiet 
gerechnet  werden  kann,  aber  sie  deutet  jedenfalls  auf  eine  Ver- 
bindung und  Zusammengehörigkeit  des  äusseren  Kniehöckers 
und  des  Temporallappens,  welche  wohl  nur  dann  erklärt  wer- 
den kann,  wenn  man  annimmt,  dass  der  äussere  Kniehöcker 
nicht  nur  ein  Gesichtsganglion,  sondern  auch  ein  Reflex-oder 
Verbindungsganglion  zwischen  der  Rinde  der  Occipital-  und 
Temporallappen  darstellen.  Zwar  sind  diese  beiden  Rinden- 
flächen durch  den  mächtigen  Fasciculus  longitudinalis  mit 
einander  verbunden,  aber  es  ist  keineswegs  befremdend,  dass 
ausserdem  centrale  Verbindungspunkte  zwischen  ihnen  be- 
stehen. 

Die  einstrahlenden  erhalten  gebliebenen  Fasern  bilden 
zum  Teil  deutlich  die  Kapsel  und  die  Lamellen,  dagegen 
verlaufen  sie  im  Allgemeinen  als  parallele  radiäre  Fasern  und 
bilden  überhaupt  kaum  Netze.     Dies  spricht  dafür,  dass  die 


Netzbildung  im  Corpus  geniculatum  dadurch  entsteht,  dass 
sich  verschiedene  Systeme  vom  Tractus  und  der  occipitalen 
Strahlung  mit  einander  verweben,  was  ich  schon  früher  aus 
anderen  Thatsachen  geschlossen  habe. 

Das  Ganglion  geniculatum  internum  zeichnet  sich 
überhaupt  nur  undeutlich  ab.  Sein  unterer  Rand  ist  fetzig  und 
schon  in  frontalen  Schnitten  treten  in  seinem  dorsalen  Umfange 
eine  Cyste  und  in  seinem  Inneren  kleine  mikroskopische  Hämor- 
rhagien  auf  (Taf.  V.  Fig.  9). 

Weiter  nach  hinten  (Taf.  V.  Fig.  8)  nimmt  eine  grosse 
Cyste  den  ganzen  dorsalen  Abschnitt  ein,  der  ventrale  ist  da- 
durch abgesprengt.  Das  Ga/iglion  ist  aber  zum  grössten  Teil 
zerstört. 

Fasern.  Die  Bündel  des  ventralen  Randes  sind  verschwun- 
den. Auch  die  Fasern  im  Inneren  sind  zum  grössten  Teil  de- 
generirt  oder,  wie  in  den  occipitalen  Teilen,  verschwunden. 

Zellen.  Nur  wenige  atrophische  Zellen  sind  noch  vor- 
handen.   Normale  Zellen  fehlen. 

Also:  die  hämorrhagischen  Cysten  haben  das  Ganglion 
zum  grössten  Teil  zerstört. 

Corpora  4-gemina.  Collicitlus  anterior  dexter.  Taf.  V.  Fig.  7. 

Die  Taf.  V.  Fig.  7  zeigt  die  Beschaffenheit  des  rechten 
vorderen  Vierhügels.  Man  sieht,  dass  dieser  Hügel  durch  eine 
grössere  Cyste  vom  Pulvinar  getrennt  ist,  dass  der  frontale  Rand 
des  Hügels  fetzig  und  macerirt  ist,  und  unter  dem  Mikroskope 
zeigen  sich  im  Rande  kleine  Hämorrhagien,  welche  am  media- 
len Rande  gegen  das  Pulvinar  bis  i  m.m.  tief  eindringen.  Durch 
die  Cyste  sind  die  Brachia  anterius  und  posterius  zerstört  und 
also  die  hier  verlaufenden  Faserbündel  durchschnitten.  Dagegen 
hat  übrigens  die  Cyste  auf  das  tiefere  Gewebe  nicht  direkt  ein- 
gewirkt. 

Das  Stratum  zonale  ist  durch  die  Hämorrhagie  zerstört 
Fasern.    Die  Cappa  cinerea  ist  auch  dadurch  zum  grös- 
sten Teil   zerstört,   sie   enthält  aber  noch  zerstreute  degenerirte 
Nervenfasern,  sowie  kleine  hämorrhagische  Herde. 

Das  Stratim  opticum  enthält  zahlreiche  Fasern,  welche  zum 
Teil  normal  erscheinen.  Die  Nervennetze  sind  überhaupt  nur 
spärlich. 

Stratum  Lemnisci.  Circuläre  Fasern:  sind  in  zahlreichen 
Bündeln  vorhanden  und  normal. 

Die  radiären  Fasern:  sind  auch  recht  zahlreich  und  nicht 
degenerirt. 

Die  Schleife:  Ihre  Mächtigkeit  ersieht  man  aus  der  Fig.  7. 
Sie  enthält  zahlreiche  intensiv  gefärbte  Fasern.  Sie  dürfte  je- 
doch schwächer  als  normal  sein. 

Zellen:  Um  die  Zellen  zu  studiren,  wurden  die  Vierhügel 
aus  dem  frischen  Gehirn  zum  grössten  Teil  ausgeschnitten  und 
in  absolutem  Alkohol  gehärtet;  nach  Einschmelzung  in  Paraffin 
wurden  die  Schnitte  in  Methylen,  Rosins  Farbegemisch  u.  s.  w. 
gefärbt.  Die  Methylenfärburg  nach  Nissl  zeigte  sich  hier  als 
allen  anderen  Methoden  überlegen,  indem  die  Konturen  sehr 
scharf  wurden.  Die  Zellenkerne  wie  die  zarten  Fortsätze  zeich- 
nen sich  besonders  sehr  scharf  ab. 

(Die  Untersuchung  geschah  mit  Hartnack  ocul,  2  und  4, 
Obj.  7.) 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


79 


Cappa  cinerea.  Die  hier  etwas  grösseren  Zellen  sind  alle 
scharf  konturirt  von  unregelmässiger  Form.  Der  Zellenkörper 
ist  zum  grössten  Teil  von  dem  deutlichen  Zellenkern  eingenom- 
men, das  Protoplasma  körnig ;  die  Kontur  nicht  aufgedunsen  oder 
blasigkonvex;  Zellenfortsätze  finden  sich  wenigstens  an  den  mei- 
sten Zellen  und  sind  an  den  grösseren  selbst  sehr  lang,  bisweilen 
peitschenähnlich  oder  verästelt. 

Stratum  opticinn.  Die  drei  Schichten  zeigen  hinsichtlich 
der  Zellen  keinen  Unterschied.  Hinsichtlich  der  Grösse  der 
Zellen  kann  man  grosse,  mittelgrosse  und  kleinere  unterscheiden. 
Die  grossen  sind  sehr  schön  und  intensiv  gefärbt,  das  Proto- 
plasma reichlich  mit  methylenophilen  Körnern  und  bleicheren 
Zwischenfeldern  ;  die  Kerne  sind  scharf  mit  deutlichen  Kernkör- 
perchen ;  die  Zellenkonturen  sind  immer  scharf,  die  Fortsätze 
sehr  lang,  oft  schon  verästelt.  Viele  Zellenkörper  ausserdem  mit 
kleinen  Pigmenthäufern.    (Taf.  XIV.  Fig.  7). 

Die  mittclgrossc7i  Zellen  sind  überhaupt  schwächer  gefärbt, 
sonst  aber  ganz  wie  die  grossen;  also  normal. 

Die  kleinen  Zellen.  Hier  finden  sich  teils  solche,  welche 
den  vorigen  in  allen  Charakteren  ähneln,  also  sicher  normal 
sind ;  ausserdem  zerstreute,  mehr  rundliche  stark  gefärbte  Zel- 
len mit  sehr  kurzen  oder  undeutlichen  Fortzätzen.  Ob  diese 
normal  oder  vielleicht  etwas  verändert  sind,  muss  ich  dahinge- 
stellt sein  lassen.    Keine  Pigmenthäu<chen. 

Stratum  Lemnisci.  Die  Zellen  sind  mittelgross,  dreieckig 
oder  länglich,  mit  scharfen  Konturen,  körnigem  Protoplasma 
und  langen  schönen  Fortsätzen.  Ausserdem  kleinere  multiforme 
Zellen,  welche  keine  Zeichen  von  Atrophie  zeigen. 

Im  Aquseductus-grau.  sind  die  Zellen  zahlreich,  eckig  scharf 
konturirt  mit  schönen  Fortsätzen.  Ich  verzichte  auf  die  genau- 
ere Beschreibung. 

Das  Stroma  zeigt  keine  Kern-  oder  Zellenwucherung. 

Rückblick.  Eine  genaue  Untersuchung  der  Zellen  Hess 
selbst  keine  Spur  von  Atrophie  der  Zellen  nachweisen.  Das 
vollständige  Fehlen  freier  Pigmentklümpchen  und  das  Vor- 
handensein der  langen  schönen  Fortsätze  bürgt  besonders 
dafür. 

Collicidtis  poster.  dext.  Dieser  Hügel  wurde  ausschliesslich  als 
Alkoholpräparat  aufbewahrt  und  zur  Zellenfärbung  mit  Methylen 
u.  s.  w.  verwendet. 

Stratum  zonale  mit  zahlreichen  kleinen  gut  gefärbten  rund- 
lichen Zellen  oder  Körnern.  In  der  Schicht  unmittelbar  darun- 
ter (dorsal  vom  Ganglion)  finden  sich  gut  gefärbte  längliche  oder 
eckige  Zellen  mit  schönen  Fortsätzen. 

Der  Nucleus  colliculi  posterioris  hatte  zahlreiche  schön  ge- 
färbte, scharfkonturirte  Zellen  mit  deuthchen  Fortsätzen.  Aus- 
serdem eine  Menge  feinere  Körnchen  und  kleine  Zellen. 

Also:  keine  Anzeichen  einer  Atrophie. 

Stratum  zonale:  Die  sehr  kleinen  Zellen  dieser  Schicht  wa- 
ren zahlreich  vorhanden,  von  eckiger  Form  mit  kurzen  Fort- 
sätzen. 

Die  Rinde  der  Fissura  calcarina. 
Für  die  genauere  Untersuchung  der  Zellen  wurden  Stück- 
chen der  Rinde  in  Alkohol  gehärtet  und  nachher  mit  Methylen- 


blau nach  Nissl  gefärbt.  Zur  Kontrolle  wurde  auch  die  Rinde 
aus  der  linken  Fissura  calcarina  in  gleicher  Weise  behandelt. 
Die  Schnitte  hatten  eine  Dicke  von  0,01  —  0,02  m.m. 

Die  Rinde  im  vorderen  Abschnitt  der  Fissura  calcarina 
der  linken  Hemisphäre  (vgl.  Taf.  XIV.  Fig.  8,  welche  Zellen 
aus  der  Rinde  des  Lobulus  lingualis  darstellt). 

1)  Die  ependymäre  Schicht:  ohne  Anmerkung  (Fig.  8.  a). 

2)  Die  Schicht  der  kleinen  Pyramidenzellen  (Fig.  8.  b). 
Die  Zellen  sind  zahlreich,  alle  mit  langen  Spitzfortsätzen  ver- 
sehen, die  basalen  Fortsätze  deutlich,  aber  nicht  lang ;  die  mei- 
sten mit  dreieckigem  Zellkörper,  andere  mit  abgerundeter  Basis. 

3)  Die  Schicht  der  grösseren  Pyramidenzellen  enthält: 

a)  spärliche  grosse  Pyramidenzellen,  mit  einem  (langen) 
verästelten  Spitzenfortsatz  und  verästelten  basalen  Fortsätzen 
(Fig.  S.c); 

b)  zahlreichere  mittelgrosse  Pyramidenzellen  auch  mit  deut- 
lichem Spitzenfortsatz; 

c)  eine  grössere  Anzahl  kleiner  dreieckiger  Zellen,  mit  kur- 
zen feinen  Fortsätzen. 

4)  Stratum  moleculare  mit  kleinen  polygonen,  abgerundeten 
oder  dreieckigen  Zellen  (Fig.  8.  d). 

5)  Die  Schicht  der  solitären  Zellen,  welche  lange  Fortsätze 
und  gerundet-eckige  Körper  mit  zahlreichen  basalen  Fortsätzen 
haben.  Ausserdem  zahlreiche  polygone  Zellen  mit  kurzen  Fort- 
sätzen. 

6)  Die  Schicht  der  schräg  dreieckigen  Zellen  (Spindelzellen) 
(Fig.  8.e). 

Wenn  man  die  Rinde  der  rechten  Fissura  calcarina  hier- 
mit vergleicht,  so  findet  man  (vgl.  die  Taf.  XIV.  Fig.  9,  welche 
jedoch  Zellen  aus  der  unteren  Fläche  der  Rinde  des  Lobulus 
lingualis  darstellt): 

1)  Die  ependymäre  Schicht  zeigt  nichts  Abweichendes 
(Fig.  9.  a). 

2)  Die  Schicht  der  kleinen  Pyramiden  Fig.  9.  b.  Diese 
Zellen  sind  zwar  zahlreich  vorhanden  und  viele  zeigen  über- 
haupt nichts  Abweichendes,  aber  danebei  giebt  es  viele  Zellen, 
deren  Körper  rundlicher  und  kleiner  als  die  der  linken  He- 
misphäre sind.  Die  Fortsätze  sind  zwar  in  der  Spitze  vorhan- 
den, aber  der  Körper  wird  mehr  durch  den  Kern  ausgefüllt. 
Eine  Reduktion  der  Anzahl  giebt  es  nicht. 

3)  Die  Schicht  der  grösseren  Pyramidenzellen  (Fig.  9.  c). 
Es  kommt  mir  vor,  als  ob  hier  die  grossen  Pyramidenzellen 
spärlicher  seien  als  links,  aber  die  vorhandenen  zeigen  einen 
langen  Spitzenfortsatz  und  lange  schöne  basale  Fortsätze.  Ei- 
nige der  grossen  Zellen  haben  vielleicht  einen  etwas  rundliche- 
ren Körper  als  links. 

4)  Die  molekulare  Schicht  zeigt  keine  sichtbaren  Verän- 
derungen (Fig.  9.  d). 

5)  Schicht  der  solitären  Zellen.  Die  einzelnen  Solitärzel- 
len  sind  sehr  schön  mit  langen  Spitzenfortsätzen  und  schönen 
basalen  Prozessen  und  zeigen  einen  eckig-gerundeten  Körper. 

6)  Kein  deudicher  Unterschied  gegen  links.  Die  Zellen 
schön  mit  deutlichen  Fortsätzen  (Fig.  9.  e). 

Bei  der  Untersuchung  der  Rinde  der  unteren  Fläche  des 
Lobulus  lingualis.,  wo  zufällig  die  Schnitte  mehr  vertikal  in  der 
Längsrichtung   der   Zellen   gefallen  waren,  findet  man  ungefähr 


80 


S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


dieselben  Verhältnisse.  Aus  diesem  Grunde  habe  ich  die  Zellen 
von  der  Rinde  des  Lobulus  lingualis  abzeichnen  lassen. 

Aus  der  jetzt  gegebenen  detaillirten  Beschreibung  der  Zel- 
len in  der  Fissura  calcarina  der  rechten  und  der  linken  Hemi- 
sphäre ergiebt  sich,  dass  der  Unterschied  überhaupt  als  eine  ge- 
ringfügiger bezeichnet  werden  muss  —  ja,  ich  wage  zu  behaup- 
ten, dass  man  selbst  einen  Unterschied  nicht  bemerkt  haben 
würde,  wenn  man  nicht  Grund  gehabt  hätte  danach  besonders 
zu  suchen. 

Der  Unterschied  besteht: 

1)  nicht  in  einer  bestimmten  Reduktion  der  Dicke  einer 
bestimmten  Schicht ; 

2)  auch  nicht  in  einer  ausgeprägten  Atrophie  von  Zellen 
einer  gewissen  Form  (Solitärzellen  u.  s.  w.)  oder  Struktur; 

3)  dagegen  in  einer  geringfügigen  Volumenrcdiiktion  gewis- 
ser Zellen,  nämlich  sowohl  der  kleinen  icie  der  grossen  Pyrami- 
denzellen.  Von  diesen  haben  einige  ihre  charakteristische  Form 
zum  Teil  verloren.  Die  Form  der  kleinen  Pyramidenzellen  ist 
nicht  so  ausgeprägt  triangulär  rechts  wie  links  und  ebenso  trifft 
man  auch  eine  Anzahl  grösserer  Pyramidenzellen,  welche  mehr 
abgerundete  Zellenkörper  haben  als  normal.  Es  kommt  mir  vor, 
als  sei  das  Protoplasma  dieser  Zellen  etwas  reduzirt,  weshalb 
auch  der  Zellenkern  den  Zellenkörper  mehr  ausfüllt  als  in  nor- 
malen Zellen,  wo  ein  Saum  von  Zellenprotoplasma  den  Kern  ge- 
wöhnlich umgiebt. 

4)  Diese  Veränderung  betrifft  lange  nicht  alle  Zellen,  son- 
dern nur  eine  Anzahl  der  kleinen  und  grossen  Pyramidenzellen. 

5)  Es  giebt  also  ausserdem  zahlreiche  kleine  und  grosse 
Pyramidenzellen,  an  denen  ich  überhaupt  gar  keine  Veränder- 
ungen wahrnehmen  konnte. 

6)  Sowohl  die  Spitzen  wie  die  basalen  Fortsätze  sind  auch 
an  den  veränderten  Zellen  sehr  schön,  lang  und  verästelt,  na- 
türlich in  weit  höherem  Grade  an  den  grossen  Zellen  als  an  den 
kleineren.  Vielleicht  sind  jedoch  die  Zellenfortsätze  links  noch 
schöner  entwickelt  (an  der  normalen  Seite)  als  rechts. 

7)  In  der  molekularen  Schicht  sowie  in  den  tieferen 
Schichten   scheint  überhaupt  kaum  ein  Unterschied  zu  existiren. 

8)  Völlig  atrophische  Zellen  oder  Pigrnentklümpchen  finden 
sich  nicht. 

Durch  die  Zerstörung  der  Sehstrahlung  während  der  Dauer 
von  etwa  vier  Jahren  sind  also  nur  sehr  geringfügige  Veränder- 
ungen der  Zellen  eingetreten,  und  zwar  so  gering,  dass  sie  an 
den  Figuren  kaum  hervortreten.  Ich  will  zwar  nicht  verneinen, 
dass  daneben  noch  andere  Veränderungen  sich  vorfinden  könn- 
ten, welche  mir  entgangen  sind,  aber  welche  sich  bei  der  Nissl'- 
schen  Färbung  nicht  besonders  markiren. 

Wenn    nun   diese  Deutung  der  Präparate  richtig  ist,  dann 


folgt  daraus  der  sehr  wichtige  Schluss,  dass  Veränderungen  der 
Zellen  bei  der  Zerstörung  der  Sehstrahlung  eintreten  und  zwar 
der  kleinen  und  grossen  Pyramidenzellen,  dass  sie  aber  nicht 
alle  Zellen  dieser  Schichte  betreffen,  sondern  nur  einige  und 
dass  also  die  Sehstrahlung  nicht  einer  ganzen  Rindenschicht, 
sondern  in  den  zwei  Schichten  nur  einzelnen  Zellen  entspricht. 
Die  übrigen  Zellen  müssen  also  ihre  Fortsätze  nach  einer  ande- 
ren Richtung  hin  aussenden.  Dieser  Befund  stimmt  also  gut  mit 
den  durch  die  Golgi'sche  Färbung  erreichten  Befunden,  aber 
steht  mit  der  Monakow'schen  Ansicht  nicht  in  Übereinstimmung, 
dass  eine  gewisse  Schicht  eine  Projektionsschicht,  eine  andere 
eine  Associationsschicht  sei. 

Auffallend  ist  jedenfalls  nur,  dass  die  Atrophie  der  Zellen 
nicht  mehr  vorgeschritten  ist.  Dies  steht  wohl  damit  in  Zu- 
sammenhang, dass  die  Zerstöring  die  Sehstrahlung  weit  vom  Oc- 
cipitallappen  entfernt  getroffen  hat  und  dass  sie  nicht  unmittel- 
bar subkortikal  ist.  Je  mehr  peripherisch  die  Läsion  ein  Neuron 
trifft,  je  geringfügiger  dürfte  die  nachfolgende  Atrophie  der  zu- 
gehörigen Zellen  sein  und  je  langsamer  tritt  sie  auch  wahrschein- 
lich ein. 

Die  Centraiwindungen. 

Von  diesen  Windungen  wurden  sowohl  Präparate  nach  Cox 
wie  nach  Nissl,  Rosin  u.  A.  gefärbt. 

Die  Taf.  XIV.  Fig.  10  und  11  zeigen  einen  Durch- 
schnitt (bei  gleicher  Vergrösserung  (mit  Hartnack)  mit  Camera 
gezeichnet)  der  Rinde  der  vorderen  Windung  und  zwar  aus 
der  Mittelpartie  der  Windung  (vergl.  Taf.  XII.  Fig.  4).  Die 
Fig.  sind  also  nach  der  Natur  gezeichnet  und  alle  Zellen  einge- 
zeichnet. Aber  aus  ökonomischen  Gründen  und  wegen  der  An- 
ordnung der  Tafel  konnte  ich  nicht  die  ganzen  recht  grossen 
Abbildungen  drucken,  sondern  habe  charakteristische  Zellen  aus 
der  Umgebung  in  die  Zeichnung  anbringen  lassen.  Dadurch 
sind  diese  Zeichnungen  zwar  naturgetreu,  aber  verhältnissniässig 
zellenreicher  als  die  entsprechenden  Präparate;  aber  da  bei 
allen  Imprägnationspräparaten  nur  wenige  Zellen  sich  impräg- 
niren  lassen,  so  sind  in  der  That  die  Fig.  zellenärmer  als 
normal.  Dies  zeigen  auch  die  Präparate  nach  Nissl.  Aus  die- 
sen Gründen  können  die  Figuren  als  gewissermassen  naturgetreu 
betrachtet  werden. 

Anderseits  muss  ja  hervorgehoben  werden,  dass  alle  Im- 
prägnationspräparate  sich  unregelmässig  färben  und  der  Vergleich 
der  Figuren  muss  also  nur  mit  einer  gewissen  Reserve  vorge- 
nommen werden.  Indessen  war  ich  sehr  sorgfältig  charakterist- 
ische Präparate  für  die  Abbildung  auszuwählen. 

I^ie  folgende  Beschreibung  stützt  sich  sowohl  auf  Cox'sche 
wie  an  Nissl'sche  und  Rosin'sche  Prä]:)arate,  und  werden  jene 
als  Cox  und  Nissl  bezeichnet. 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


81 


A. 

Die  linke  vordere  Centraiwindung  (verhältnismäs- 
sig normal).    (Taf.  XIV.  Fig.  lo.) 

I.  Die  oberflächliche  molekuläre  Schicht.    (Fig.  lo.  a.) 
Cox:  Kleine  rundliche  Zellen  mit  mehreren  meistens  hori- 
zontal laufenden  Fortsätzen. 

Nissl:  Zahlreiche  polymorphe  kleine  Zellen. 

II.  Die  Schicht  der  kleinen  Pyramidenzellen.  (Fig.  lo.  b.) 
Cox:  Hier  treten  Zellen  verschiedener  Form  auf.  Ein  Blick 

auf  die  Fig.  lo  giebt  den  besten  Begriff  von  der  Form  und  An- 
ordnung dieser  Zellen.    Es  giebt : 

1)  a)  kleine,  b)  mittelgrosse,  c)  grosse  Pyramidenzellen  mit 
schönen  langen  reichlich  verästelten  Fortsätzen  in  der  Spitze  und 
an  der  Basis ; 

2)  andere  kleine  Zellen  mit  längeren  Ausläufern; 

3)  zahlreiche  grosse  quer-ovale  mit  kurzen  Fortsätzen  und 
zwar  a)  teils  in  oberflächlichen,  b)  teils  in  tieferen  Abschnitten ; 

4)  kleine  Reste  atrophischer  Zellen. 

Nissl:  i)  a)  Zahlreiche  kleine  triangelförmige  Pyramiden- 
zellen mit  nicht  sehr  langen  Pyramidenfortsätzen,  b)  zahlreiche 
etwas  grössere  und  c)  grosse  Pyramidenzellen  mit  längeren  Fort- 
sätzen in  der  Spitze  und  an  der  Basis ; 

2)  andere  Zellen  verschiedener  Form. 

III.  Die  Schicht  der  grossen  Pyramidenzellen. 

Cox:  i)  Die  grossen  Pyramidenzellen  sind  an  den  vorlie- 
genden Präp.  nur  spärlich  imprägnirt  (Fig.  10.  ed.); 

2)  es  finden  sich  kleinere  Pyramidenzellen,  zum  Teil  atro- 
phische ; 

3)  polymorphe  Zellen  mit  langen  Fortsätzen; 

4)  grosse  Stachelzellen  mit  mehreren  kurzen  Fortsätzen ; 

5)  Reste  atrophischer  Zellen. 

Nissl:  a)  Zahlreiche  grosse  Pyramidenzellen  mit  schönen 
Fortsätzen; 

b)  verschiedene  andere  Zellentypen. 


IV.    Die  tiefsten  Schichten. 

Cox:  Hier  fanden  sich  (s.  Fig.  lo)  teils  einzelne  kleine 
(atrophische?)  Zellen  (Fig.  10.  e.),  teils  grosse  wohl  erhaltene 
pyramidenförmige  Zellen  (Fig.  10.  f). 

Nissl :  Verschiedene  Zellentypen. 


B. 

Die  rechte  vordere  Centraiwindung.  (Taf.  XIV. 
Fig.  II.) 

I.  Cox:  Die  kleinen  Zellen  scheinen  ziemlich  gleich  oder 
ein  wenig  atrophisch  (kleiner  mit  kürzeren  Fortsätzen).  (Fig.  u.a.) 

Nissl:  Wie  links. 

II.  (Fig.  ii.b.)  Cox:  Recht  zahlreiche  kleine  Pyramiden- 
Zellen  finden  sich  noch.  Einzelne  von  diesen  haben  noch  lange 
verästelte  Fortsätze;  beim  Vergleich  mit  denen  der  linken  He- 
misphäre (s.  Fig.  10.  b.)  scheinen  sie  fast  alle  mehr  oder  weni- 
ger atrophisch;  die  Zellenkörper  sind  abgerundet,  die  Fortsätze 
kurz  und  wenig  verästelt.  Ausserdem  finden  sich  Zellenreste 
verschiedener  Formen. 


Nissl:  Die  zahlreichen  Zellen  sind  kleiner  als  links  und 
haben  nicht  so  spitze  Ecken  und  deutliche  Fortsätze  wie  dort. 

Es  tritt  besonders  an  den  grösseren  Zellen  hervor,  dass 
ihre  Basis  oft  etwas  abgerundet  erscheint.  Auch  sind  die  basa- 
len Fortsätze  nicht  so  deutlich  wie  links. 

III.  (Fig.  ii.c.)  Cox:  Nur  einzelne  sind  imprägnirt;  und 
teils  normale,  teils  atrophische  Pyramidenzellen  finden  sich  wie 
auch  verschiedene  andere  Typen.  Ausserdem  mehrere  Zellen- 
reste. 


Nissl:  Es  finden  sich  zahlreiche  grosse  Pyramidenzellen, 
mit  langen  Fortsätzen,  besonders  sind  die  Spitzenfortsätze  lang, 
die  basalen  kurz.  Im  Ganzen  sind  diese  Zellen  nicht  so  gross 
und  eckig  wie  links  und  die  Fortsätze  erscheinen  nicht  so  schön 
wie  dort. 

Auch  verschiedene  andere  Zellentypen. 

IV.  (Fig.  ii.d.)  Cox:  a)  Zahlreiche  atrophische  Zellen 
und  Zellenreste. 

b)  Einzelne  grosse  Pyramidenzellen. 

c)  Polygone  atrophische  Zellen. 


Ausserdem  wird  bemerkt: 

Die  Rinde  der  rechten  Centralwinüung  ist  bedeutend  ge- 
schrumpft. Gleich  grosse  Stücke  der  Rinde  sind  an  den  Figu- 
ren abgebildet,  aber  in  der  Fig.  1 1  der  atrophischen  Rinde  tan- 
girt  die  obere  Grenze  der  Figur  die  Hirnfläche,  während  an  der 
Fig.  10  ein  Stückchen  der  oberflächlichen  zellenarmen  Schicht 
abgeschnitten  ist.  In  der  Fig.  10  der  verhältnissmässig  norma- 
len Rinde  fällt  die  untere  Grenzlinie  der  Fig.  mit  der  unteren 
Grenze  der  Rinde  etwa  zusammen,  an  der  Fig.  1 1  aber  tief  im 
subkortikalen  Mark. 

S.  E.  Menschen.    Pathologie  des  Gehirns. 


Die  Schichten  der  Rinde  sind  also  geschrumpft,  und  wenn 
man  die  beiden  Abbildungen  an  einander  legt,  so  entsprechen 
die  Schichten  gleicher  Höhe  einander  nicht. 

Wenn  man  die  oben  gegebenen  Beschreibungen  der  Rinde 
der  linken  und  der  rechten  vorderen  Centraiwindung  mit  einander 
vergleicht,  so  wird  man  zuerst  dadurch  frappirt,  dass  der  Un- 
terschied zwischen  den  beiden  Windungen  an  den  Cox'schen 
Imprägnationspräparaten  so  bedeutend  ist,  während  an  den  Nissl'- 
schen  Präparaten  die  Rinde  der  beiden  Seiten  einander  hoch- 
gradig ähnelt. 

1 1 


82 


S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Überhaupt  muss  man  nun  Imprägnationspräparate  als  für 
pathologische  Zwecke  weniger  geeignet  bezeichnen,  da  dabei  nur 
einzelne  Zellen  regellos  imprägnirt  werden,  während  dagegen 
mit  der  Nissl'schen  Färbung  alle  Zellen  gleichmässig  gefärbt 
werden.  Nichts  desto  weniger  zeigt  die  oben  gegebene  Beschrei- 
bung, dass  hier  das  praktische  Resultat  ganz  anders  ausgefallen 
ist,  als  man  vermuten  könnte.  Die  Nissl'sche  Färbung  scheint 
so  alle  Details  auch  der  veränderten  Zellen  zu  färben,  dass  der- 
artige sicher  atrophische  Zellen  mit  ihren  Fortsätzen  den  nor- 
malen in  hohem  Grade  ähnlich  werden. 

Auf  andere  Weise  kann  ich  das  Resultat  der  Untersuchung 
nicht  erklären.  Die  untersuchten  Präparate  waren  nämlich  sehr 
schön  und  deutlich,  und  die  Untersuchung  eingehend. 

Als  Hauptresultat  geht  nun  hervor.  Die  Rinde  der  rech- 
ten vorderen  Centraiwindung  ist  atrophisch  und  schmäler.  Die 
Atrophie  macht  sich  in  allen  Schichten  geltend,  vielleicht  mit 
Ausnahme  der  oberflächlichen  molekularen  Schicht,  wo  es  Uber- 
haupt schwierig  zu  beurtheilen  ist,  ob  eine  Zellenatrophie  vor- 
liegt oder  nicht. 

In  der  Schicht  der  kleinen  Pyramidenzellen  ist  die  Atro- 
phie an  den  Imprägnationspräparaten  am  wenigsten  ausgespro- 
chen. Die  Atrophie  ist  zwar  deutlich,  auch  verhältnismässig 
normale  Zellen  finden  sich  noch  da  neben  vielen  atrophischen, 
verschiedener   Typen.    Völlig  normale  waren  nicht  imprägnirt. 

In  der  Schicht  der  grossen  Pyramidenzellen  ist  die  Ver- 
änderung am  auffallendsten.  Von  den  grossen  Pyramidenzellen 
sind  an  der  kranken  Seite  nur  vereinzelte  imprägnirt.  Alle  an- 
deren Zellen  sind  atrophisch,  wenn  auch  an  einigen  recht  lange 
Fortsätze  sich  noch  imprägniren  lassen.  Ausserdem  finden  sich 
zahlreiche  Zellenreste. 

An  der  linken  Seite  dagegen  finden  sich  grössere  mehr 
normale  Zellen  zahlreicher. 

In  den  tiefsten  Schichten  findet  man  links  normale  grosse 
schöne  Zellen  mit  langen  Fortsätzen,  rechts  hauptsächlich  Zel- 
lenreste und  atrophische  Zellen. 

So  treten  die  Bilder  an  Imprägnationspräparaten  hervor. 
Der  Unterschied  ist  deutlich.  Es  fragt  sich  nun,  ob  das  Resul- 
tat zuverlässig  i^t.  In  dieser  Hinsicht  muss  man  etwas  reservirt 
sein.  Jedenfalls  darf  der  Schluss  aus  nur  einem  Falle  nicht  ver- 
allgemeinert werden. 

Die  Atrophie  nach  Durc]ischneide?i  der  Corona  radiata  un- 
ter der  Rinde  trifft  also  alle  Schichten. 

Links,  wo  keine  pathologischen  Veränderungen  vorhanden 
waren,  sondern  der  Effekt  der  Zerstörung  in  der  rechten  He- 
misphäre gespürt  werden  konnte,  fanden  sich  auch  nicht  wenige 
Zellenreste  und  zwar  sowohl  in  der  Schicht  der  kleinen  und 
grossen  Pyramidenzellen  wie  auch  in  tieferen  Schichten.  Es 
durften  sich  also  Associationszellen,  welche  die  linke  Hemisphäre 
mit  der  rechten  vereinen  nicht  nur  in  einer,  sondern  in  mehre- 
ren Schichten  vorfinden. 

Medulla  oblongata.    (Taf.  XIV.  Fig.  5.  6.) 

Der  oberste  Teil  war  leider  während  meiner  Abwesenheit 
verloren  gegangen. 

Die  proximalsten  mir  zugänglichen  Schnitte  sind  aus  der 
Höhe  der  Strice  acusticce. 


Die  rechte  Hälfte  ist  nur  ein  wenig  kleiner  als  die  linke. 
Dies  hängt  besonders  von  der  vollständigen  Atrophie  der  rechten 
Fyramidenbahn  ab. 

Der  Lemniscus  (Präp.  a.  42).    (Taf.  XIV.  Fig.  5.) 

Die  dorsalste  Fortion  (Fascic.  longitudinalis  posterior)  ist 
beiderseits  gleich  intensiv  gefärbt  und  gleich  gross. 

Die  Portio  interreticularis  (Mingazzini)  ist  beiderseits  et- 
was schwach  gefärbt  und  rechts  unbedeutend  schmaler  als  links 
und  auch  etwas  schwächer  gefärbt.  Die  Nervenfasern  stehen 
links  dichter  und  sind  intensiver  gefärbt  als  rechts. 

Portio  ititerlemniscalis  (Mingazzini)  =  das  Zwischenoliven- 
feld ist  beiderseits  recht  gut  gefärbt,  aber  das  rechte  Feld  ist 
konstant  etwa  0,5 — 0,75  m.m.  schmaler.  Die  Nervenfasern  ste- 
hen rechts  weiter  aus  einander  als  links. 

Fibrce  arcuatce  interttce  intrareticulares  scheinen  beiderseits 
in  gleicher  Zahl  vorhanden  zu  sein. 

Fibrce  arcuatce  int.  intralemniscales  ebenso,  wie  auch  die 
Fibrce  arcuatce  zu  den  Corpora  restifortnia. 

Fibrce  arcuatce  externce  ebenso.  Dagegen  scheint  sowohl 
das  Stratum  zonale  olivse  wie  auch  der  Pedunculus  olivae  rechts 
etwas  schwächer  als  links.  Es  scheint  nämlich  rechts  ein  ge- 
ringer Fasernausfall  (?)  zu  bestehen.  Die  Oliven  zeichnen  sich 
beiderseits  gleich  gut  ab.  Die  Netze  der  grauen  Lamellen  zei- 
gen keine  deutliche  Differenz. 

Die  Corpora  restiformia  sind  beiderseits  anscheinend 
gleich  stark. 

Die  aufsteigende  Quintus-wurzel  ist  beiderseits  gleich  stark. 
An  dem  anterolateraleii  Rande  der  Olive  giebt  es  eine  sichelför- 
mige Atrophie  zwischen  Stratum  zonale  und  Fibrce  arcuatce  ex- 
ternce.   (Fig.  5.  a.) 

Weiter  auch  unten  (Präp.  X.  89.)  in  der  Höhe  des  Ner- 
vus XIT. 

Überhaupt  sind  hier  die  Veränderungen  ganz  dieselben  wie 
eben  beschrieben  wurde,  wenn  man  ausnimmt: 

1)  dass  die  Fibrce  arcuatie  intern ce  interreticularcs  links 
spärlicher  sind  als  rechts.  Der  Unterschied  ist  jedenfalls  unbe- 
deutend ; 

2)  dass  das  Zwischenolivenfeld  rechts  nur  unbedeutend  schma- 
ler ist  als  links. 

Weiter  nach  unten,  am  unteren  Ende  der  unteren  Olive 
oder  unmittelbar  caudal  von  ihr,  wo  sowohl  der  Nucleus  graci- 
lis  als  cuneatus  deutlich  sind,  bemerkt  man : 

dass  das  rechte  Schleif e?feld  bedeutend  schmaler  als  das 
linke  ist. 

Die  Fibrce  arcuatce  internce  sind  rechts  nur  wenig  zahlrei- 
cher als  links.  Man  kann  ihren  Verlauf  bis  in  den  Nucleus  fu- 
nicuU  gracilis  beiderseits  verfolgen;  aber  auch  in  den  Nucleus 
f.  cuneati  gehen  links  (von  der  atrophischen  Schleifenhälfte)  zahl- 
reiche Fasern  (Präp.  X.  27). 

Nucleus  funiculi  gracilis  ist  links  nicht  kleiner  als  rechts 
und  auch  nicht  N.  funiculi  cuneati.  Die  Fasern  und  P'asern- 
netze  sind  beiderseits  gleich  reichlich. 

///  dein  antero-lateralen  Strang  findet  sich  eine  deutliche  halb- 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


So 


mondförmige  Atrophie  von  der  Grösse  1,5  m.m.  längs  der  Peri- 
pherie, und  0,5  in  radiärer  Richtung.  Sie  Hegt  am  lateralen 
Rande  der  atrophischen  vorderen  Pyramidenbahn,  von  ihr  durch 
ein  etwa  0,5  m.m.  breites  Bündel  von  Nervenfasern  getrennt. 
Innerhalb  der  gelben  Atrophie  findet  man  nur  vereinzelte  Fa- 
sern. 

Weiter  nach  unten  wird  diese  Atrophie  keilförmig  mit 
der  Spitze  nach  innen-vorn.  Sie  wird  dabei  auch  nach  innen 
etwas  diffuser,  indem  ein  etwas  bleicheres  Feld  sich  nach  der 
atrophischen  Pyramidenbahn  hin  erstreckt.    (Präp.  4.  13.  36.) 

Das  Cervicalmark : 

1)  die  Atrophie  der  linken  hinteren  lateralen  Pyramiden- 
bahn ist  vollständig ; 

2)  die  nicht  gekreuzte  Pyramidenbahn  zeigt  eine  deutliche 
Atrophie; 

3)  die  nach  aussen  von  ihr  liegende  Kleinhirnseitenstrang- 
bahn  zeigt  einen  Fasernausfall ; 

4)  der  antero-laterale  Strang  zeigt  wie  oben  erwähnt  eine 
partielle,  aber  ausgeprägte  Atrophie.    (Taf.  XIV.  ¥\g.  6.  a.) 

Bei  näherer  Nachforschung  wie  weit  nach  oben  diese  kleine 
Atrophie  verfolgt  werden  könnte,  zeigte  sich,  dass  sie  sich  an 
allen  Schnitten  der  Medulla  oblongata  wieder  auffinden  Hess. 
Sie  lag  überall  fast  an  derselben  Stelle,  aber  näherte  sich  nach 
oben  etwas  dem  lateralen  Rande  der  degenerirten  Pyramiden- 
bahn. Im  Gebiet  der  unteren  Olive  hat  die  Atrophie  die  Form 
einer  schmalen  Sichel  und  liegt  latero-ventral  (resp.  antero-late- 
ral)  von  der  Olive  (Taf.  XIV.  Fig.  5.  a).  Nach  aussen  ist  die 
Atrophie  von  einigen  Fasern  der  Fibrse  arcuatae  externae,  nach 
innen  von  dem  Stratum  zonale  der  Olive  umgeben. 

An  dieser  Stelle  kann  man  die  Atrophie  bis  zum  oberen 
Ende  der  Olive  verfolgen,  also  so  weit  als  überhaupt  meine 
Schnittserie  sich  erstreckt.  Ihr  weite/er  Verlauf  nach  oben  ist 
mir  also  unbekannt.  Im  Ganzen  behält  die  Atrophie  ungefähr 
dieselbe  Grösse  der  Area,  obwohl  ihre  Form  sich  bedeutend 
ändert. 

Epikrise. 

Kurzer  Krankenbericht.  Keine  nervöse  Belastung. 
Sie  soll  Alkohol  genossen  haben;  ob  sie  Syphilis  gehabt,  ist 
nicht  bekannt.  Im  Frühling  1890,  im  Alter  von  74  Jahren, 
wurde  sie  sehr  schwach  und  hatte  bisweilen  leichte  Schwin- 
delanfälle. Einmal  fiel  sie  plötzlich  zu  Boden  und  verlor  eine 
Weile  das  Bewusstsein.  Hatte  dann  wiederholte  Schwindel- 
anfälle, nach  Angabe  ohne  Zuckungen,  musste  jedoch  eine 
Zeit  lang  das  Bett  hüten.  Im  Juli  Schlaganfall;  sie  fiel  zu 
Boden  und  war  eine  längere  Weile  bewusstlos.  Der  Mund 
war  nach  links  gezogen,  die  Augen  nach  oben  und  nach 
links,  die  linke  Seite  gelähmt.  Seit  dieser  Zeit  war  sie  stets 
bettlägerig  und  hatte  wiederholte  Anfälle.  Die  Beine  wur- 
den kontrahirt.  Während  der  letzten  6  Monate  hat  man 
wahrgenommen,  dass  Fat.  nach  links  hin  blind  war. 

St.  prces.  ^«/ji  1893. 
Ausgedehntes  Eczem.    Grosser  Decubitus.  Anzeichen 
von  Herzdegeneration,  unruhig.    Psyche:  schlaff.  Keine  Apha- 
sie.   Kranialnerve7i.    I.   Geruch  verschwunden,    II.   hm  lin- 


ken Auge  blind,  am  rechten  Auge  hemianopisch  nach  links. 
Kann  Farben  unterscheiden.  Scheint  Gesichtshallucinationen 
zu  haben.  III.  IV.  VI.  Die  Augenbewegungen  sind  sehr  be- 
schränkt und  sie  scheint  nur  nach  rechts  sehen  zu  können. 
Die  linke  Pupille  etwas  grösser,  eine  hemiopische  Pupillen- 
reaktion ist  vorhanden,  aber  nicht  vollständig.  V.  Die  linke 
Gesichtshälfte  unempfindlich  für  alle  Sensibilitätsqualitäten. 
VII.  Keine  deutliche  Facialisparese.  VIII.  Taub  am  linken 
Ohr.  IX.  Der  Geschmack  bedeutend  herabgesetzt.  Keine 
deutliche  Parese  der  Zunge.  Die  linke  Rumpfhälfte,  der 
linke  Arm  und  das  linke  Bein  sind  hochgradig  anästetisch 
für  Berührung,  Schmerz,  Kälte  und  Wärme.  Die  linke  Seite 
ist  vollständig  gelähmt.  Das  rechte  Bein  scheint  auch  paret- 
isch.    Fat.  verschied  93. 

Diagnose.  Art  der  Läsion.  Der  Verlauf  der  Krank- 
keit, die  sich  im  Jahre  1890  entwickelnde  allgemeine  Schwäche 
im  Verein  mit  wiederholten  Schwindelanfällen  sprach  ohne 
Zweifel  für  eine  entwickelte  Herzdegeneration  und  Sklerose 
der  Gehirngefässe.  Der  unregelmässige  Puls  und  der  grosse 
Decubitus  waren  gewiss  geeignet  diesen  Schluss  zu  bestätigen. 
Sowohl  der  erste  Schlaganfall  wie  auch  die  wiederholten  nach- 
folgenden Anfälle  waren  vom  Verlust  des  Bewusstseins  be- 
gleitet, aber  scheinen  ohne  Zuckungen  oder  Krämpfe  abge- 
laufen zu  sein.  Da  nun  die  vollständige  Lähmung  sowie  der 
hochgradig  herabgesetzte  Allgemeinzustand  der  Fat.  für  einen 
sehr  ausgedehnten  pathologischen  Hirnprozess  sprach,  so 
waren  überhaupt  alle  Indicien  für  das  Vorhandensein  einer 
Thrombose  der  sclerosirten  Gehirngefässe  vorhanden  und  die 
Herzdegeneration  schien  die  Diagnose  zu  bestätigen.  Die 
Sektion  zeigte  einen  ausgedehnten  malacischen  Prozess,  wel- 
cher hauptsächlich  in  der  Corona  radiata  und  im  Linsen- 
körper lokalisirt  war.  Die  löcherige  Beschaffenheit  des  Ge- 
webes deutete  auf  wiederholte  Anfälle.  Ausserdem  fand  sich 
im  Pulvinar  eine  grössere  hämorrhagische  Cyste  und  ver- 
schiedene kleinere  punktförmige  Hämorrhagien.  Es  lag  also 
ein  gemischter  Prozess  vor,  wenn  auch  die  Thrombose  der 
wichtigste  war.  Die  klinische  Diagnose  war  also  im  Ganzen 
richtig. 

Lokalisation.  Die  vollständige  und  plötzliche  Lähmung 
sowie  die  vollständige  Anästhesie  und  Hemianopsie  deuteten 
auf  einen  centralen  Sitz  des  Hirnprozesses,  dessen  Ausdehn- 
ung übrigens  nicht  praeciser  angegeben  werden  konnte,  da 
wir  wohl  zur  Zeit  keine  dififerentiele  Merkmale  einer  Läsion 
der  centralen  Ganglien  kennen.  Jedoch  sprach  die  partielle 
Unbeweglichkeit  der  Augen  dafür,  dass  auch  die  Kerne  der 
Augenmuskeln  an  irgend  einer  Stelle  getroffen  waren. 

Analyse.  Obwohl  der  vorliegende  Fall  besonders  aus 
pathologisch-anatomischen  Gesichtspunkten  von  Interesse  ist, 
so  verdient  er  jedoch  auch  in  klinischer  Hinsicht  analysirt  zu 
werden.  Wenn  man  die  Taf.  XII  betrachtet,  so  sieht  man 
gleich,  dass  die  Hauptmasse  der  Corona  radiata  der  rechten 
Hemisphäre  mehr  oder  minder  vollständig  zerstört  war,  und 
dass  besonders  fast  alle  Verbindungen  zwischen  der  Rinde  und 
den  centralen  Ganglien  aufgehoben  waren,  ebenso  wie  auch  die 
Verbindungen  zwischen  den  beiden  Hemisphären  in  weiter 
Ausdehnung  durch  den  malacischen  Prozess  beeinträchtigt 
oder  vollständig  vernichtet  worden  waren   Der  Fall  ähnelt  in 


84  S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


dieser  Hinsicht  einigen  der  vorhergehenden  und  besonders 
dem  Fall  N:o  i  Malm,  wenn  auch  der  Prozess  hier  nicht  so 
alt  ist. 

Psychische  Funktionen.  Was  in  dem  Fall  Malm  von  die- 
sen bemerkt  ist,  das  gilt  auch  von  diesem  und  wird  im  Allge- 
meinen von  diesem  Fall  bestätigt.  Die  allgemeine  Intelligenz 
war  ab  und  zu  wenigstens  klar.  Die  Pat.  verstand  und  be- 
antwortete in  ihren  klaren  Augenblicken  an  sie  gerichtete 
Fragen  und  der  Bericht  der  Kranken  über  ihre  Krankheit 
zeigte,  dass  ihr  Gedächtnis  überhaupt  als  ein  verhältnismässig 
gutes  bezeichnet  werden  konnte.  Ihre  hochgradige  Schlaff- 
heit scheint  die  notwendige  Folge  ihrer  vorhergegangenen 
schlechten  Behandlung  und  ihres  elenden  Zustandes  gewe- 
sen zu  sein.  Sie  war  vorher  in  einem  Armenhaus  unter- 
gebracht. Das  ausgebreitete  Eczem  und  die  grossen  Ge- 
schwüre an  den  Hüften  deuteten  auf  eine  vollständige  Ver- 
nachlässigung von  Seiten  ihrer  Umgebung.  Wenn  man  dies 
in  Betracht  nimmt  und  sich  zugleich  erinnert,  dass  sie  nur 
wenige  Tage  vor  ihrem  Tode  in  der  Klinik  untersucht  wurde, 
so  dürfte  man  wohl  berechtigt  sein  zu  erstaunen,  dass,  unge- 
achtet der  ausgebreiteten  Encephalomalacie  in  der  rechten 
Hemisphäre,  die  Intelligenz  verhältnissmässig  so  gut  war. 
Ohne  Zweifel  deutet  dies  hier,  wie  im  Fall  i,  darauf  hin, 
dass  die  Intelligenz  durch  Zerstörung  des  Marks  der  rechten 
Gehirnhälfte  überhaupt  wenig  beeinträchtigt  wird.  Es  genügt 
also,  wie  ich  schon  an  der  Seite  15  ausgesprochen  habe,  die 
linke  Hirnhälfte  für  ein  fast  normales  psychisches  Leben.  In 
diesem  Falle  beitrugen  die  Atheromatose  der  Gefässe  und 
die  dadurch  gewiss  selbst  in  der  linken  Gehirnhälfte  veran- 
lassten Cirkulationsstörungen  für  die  Herabsetzung  der  geist- 
igen Kräfte. 

Gesichtsperccptionen.  Gesichtsperceptionen  konnten  in 
das  rechte  Gesichtscentrum  von  aussen  nicht  eingeführt  wer- 
den, denn  die  Sehstrahlung  war  malacish.  Das  Sehcentrum 
war  auch  durch  die  ausgedehnte  Malacie  des  Markes  ausser 
Verbindung  mit  weiter  nach  vorn  liegenden  Teilen  der  Rinde 
gesetzt.  Dagegen  war  die  Association  mit  dem  linken  Occi- 
pitallappen  noch  möglich  und  zwar  sowohl  hinsichtlich  der 
medialen  wie  der  lateralen  Rinde.  Sowohl  ihre  Gesichtsper- 
ceptionen, wie  Gesichtsvorstellungen  müssen  wohl  als  verhält- 
nissmässig normal  betrachtet  werden,  wenn  auch  Gesichts- 
hallucinationen  vorhanden  waren. 

Dasselbe  gilt  von  den  Gehörperceptionen  und  Gehör- 
vorstellungen. 

Aphasie.  Es  war  keine  Form  von  Aphasie  vorhanden. 
Die  Pat.  fasste  Fragen  richtig  auf  und  gab  klar,  wenn  auch 
wortkarg  Antwort. 

Kranialnerven.  I.  Das  Fehlen  des  Geruchs  durfte 
wohl  nicht  auf  der  cerebralen  Läsion  sondern  auf  unbekannten 
Veränderungen  in  der  Schleimhaut  beruhen;  da  jedenfalls  die 
linke  Hemisphäre  normal  war,  und  in  anderen  Fällen,  wo  eine 
genauere  Untersuchung  vorgenommen  werden  konnte,  die 
einseitige  Läsion  des  Temporallappens  überhaupt  kaum  eine 
merkbare  Geruchsstörung  hervorzurufen  pflegte. 

II.  Die  linksseitige  Hemianopsie  findet  in  der  ausge- 
dehnten  Läsion  sowohl  des  Kniehöckers  wie  der  Sehstrah- 


lung der  rechten  Hemisphäre  ihre  Erklärung.  Aber  der  Fall 
ist  überhaupt  nicht  geeignet  die  Sehbahn  näher  zu  lokalisiren. 

Die  erhalten  gebliebene  temporale  rechte  Gesichtsfeld- 
hälfte war  ausserdem  beschränkt,  was  wohl  durch  die  Zer- 
störung der  rechten  Hemisphäre  als  eine  Amblyopie  erklärt 
werden  muss. 

Ob  wirklich  GesicIitslialhici7iatio7ien  vorhanden  waren, 
Hess  sich  nicht  mit  Sicherheit  feststellen.  Wenn  dies  der 
Fall  war,  so  lassen  sie  sich  leicht  durch  die  ausgedehnte 
Läsion  in  dem  hinteren  Abschnitt  der  rechten  Hemisphäre 
erklären. 

III.  IV.  VI.  Die  Beschränkung  der  Augenbewegungen 
fand  in  dem  Sektionsbefund  keine  genügende  Erklärung, 
wenn  man  nicht  annehmen  will,  dass  der  Umstand,  dass  Pat. 
am  linken  Auge  blind  und  am  rechten  hemianopisch  war, 
dazu  mitgewirkt  habe.  Sie  hatte  ein  Gesichtsfeld  nur  nach 
rechts  und  auch  dieses  war  sehr  beschränkt.  Nach  dieser 
Richtung  hin  bewegte  sie  auch  die  Augen.  Eine  solche  Er- 
klärung der  Parese  der  Augenbewegungen  scheint  mir  jedoch 
wenig  genügend,  und  die  freie  Bewegung  der  Hemianopischen 
selbst  bei  gleichseitig  vorhandener  Amblyopie  mit  beschränk- 
tem Gesichtsfelde  steht  im  Gegensatz  mit  dieser  Erklärungs- 
weise. 

Hemiopische  Reaktion.  Im  vorliegenden  Falle  steht 
das  Vorhandensein  dieser  Reaktion  mit  dem  Sektionsbefund 
in  völliger  Übereinstimmung.  Wenn  man  die  Taf.  V  Fig. 
7  betrachtet,  so  findet  man  gleich,  dass  die  Bahn  der  Pupil- 
lenfasern in  der  rechten  Hemisphäre  zwischen  dem  Pulvinar 
und  Colliculus  anterior  durchschnitten  war,  und  zwar  in  grosser 
Ausdehnung.  Da  inzwischen  die  Läsion  im  Pulvinar  so  aus- 
gedehnt war,  so  giebt  der  Fall  nur  wenig  Auskunft,  wo  die 
Pupillenfasern  verlaufen.  Im  Tractus  scheint  der  Abbruch 
nicht  vorhanden  zu  sein.  Dagegen  sind  sowohl  der  äussere  wie 
der  innere  Kniehöcker  zerstört  sowie  auch  die  Verbindung 
zwischen  dem  Pulvinar  und  dem  Colliculus  anterior;  und  da 
selbst  das  Stratum  zonale  und  zum  Teil  Cappa  cinerea  im 
vorderen  Ab.schnitt  des  Colliculus  anterior  geschädigt  .sind,  so 
kann  aus  dem  vorliegenden  Falle  überhaupt  ein  sicherer 
Schluss  über  den  Verlauf  der  Pupillenfasern  nicht  gezogen 
werden  aber  das  Vorhandensein  einer  solchen  seltenen  Reak- 
tion bleibt  von  Interesse  übrig. 

Aus  der  Taf.  V  P^ig.  7  ersieht  man,  dass  dem  unge- 
achtet die  radiären  Fasern  im  Colliculus  anterior  vorhanden 
waren  und  die  Taf.  XIV  Fig.  7  zeigt,  dass  die  zu  diesen  ra- 
diären Fasern  wahrscheinlich  gehörigen  im  Stratum  opticum 
liegenden  grossen  Zellen  keine  Spur  von  Atrophie  zeigten. 

Hieraus  lässt  sich  der  Schluss  mit  Wahrscheinlichkeit 
ziehen,  dass  diese  Zellen  und  diese  radiären  Fasern  nicht  in 
Kontinuität  mit  den  Pupillenfasern  stehen.  Denn  die  Pupillen- 
fasern im  Tractus  wurden  wohl  bei  dem  Schlaganfalle  im 
Jan.  1890  zerstört,  und  Pat.  starb  erst  4  Jahre  später.  Diese 
Zeit  genügt  gewiss  die  Degeneration  einer  Zelle  eines  Neurons 
hervorzurufen,  besonders  da  die  Läsion  der  Nervenfaser  sehr 
nahe  der  Zelle  liegt. 

V.  Bei  der  vollständigen  Zerstörung  der  Capsula  in- 
terna ist  die  vollständige  Unempfindlichkeit  des  linken  Tri- 
geminus  nicht  befremdend,    Nur  mag  bemerkt  sein,  dass  bei 


NEUE  FALLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


85 


ähnlichen  Läsionen  die  Anästhesie  nicht  immer  so  vollstän- 
dig ist. 

VII.  Um  so  auftallender  war,  dass  der  Facialis  über- 
haupt nicht  merkbar  ergriffen  war.  Die  Augenlider  schlössen 
sich  beiderseits  in  gleicher  Weise,  und  eine  deutliche  Schief- 
heit des  Mundes  war  nicht  zu  entdecken.  —  Wenn  man 
diesen  klinischen  Befund  mit  denen  in  anderen  Fällen  ver- 
gleicht und  dabei  in  Betracht  zieht,  dass  die  innere  Kapsel 
rechts  vollständig  destruirt  war,  so  muss  man  dem  individuel- 
len Wechsel  in  verschiedenen  Fällen  einen  gewissen  Spiel- 
raum einräumen.     Sonst  wird  der  Befund  unerklärlich. 

VIII.  Die  Taubheit  des  linken  Ohres  kann  wohl  die 
Folge  der  Zerstörung  der  Verbindung  zwischen  dem  Pulvinar 
und  dem  Colliculus  posterior  sein.  Da  inzwischen  die  Ge- 
hörstörung in  analogen  Fällen  bei  einseitiger  Zerstörung 
der  Gehörbahn  nur  geringgradig  wird,  so  müssen  ausserdem 
peripherische  Veränderungen  vorliegen.  Dafür  spricht  auch 
der  Umstand,  dass  das  Gehör  selbst  am  rechten  Ohr  be- 
deutend herabgesetzt  war. 

IX.  Der  Geschmack  war  wie  auch  der  Geruch  fast 
verschwunden.     Die  Erklärung  dürfte  die  gleiche  sein. 

XL  Es  ist  auffallend,  dass  in  diesem  Fall  die  Kopf- 
bewegungen nach  links  aufgehoben  waren,  nicht  dagegen 
nach  rechts  —  ein  analoges  Verhältnis  mit  dem  was  hin- 
sichtlich der  Augenbewegungen  bemerkt  wurde. 

XII.  Auch  hinsichtlich  der  Zunge  ist  es  auffallend, 
dass  die  Spitze  nicht  abwich. 

Durch  die  Störungen  mehrerer  Kranialnerven  weicht  also 
der  Fall  von  dem  Gewöhnlichen  ab. 

Sensibilität.  Die  Anästhesie  der  linksseitigen  Glieder 
und  der  linken  Rumpfhälfte  ist  zwar  sehr  stark,  aber  nicht 
absolut  vollständig.  Fat.  reagirt  nämlich  für  einen  stärkeren 
Druck.    Die  innere  Kapsel  war  jedoch  vollständig  destruirt. 

Motilität.  Die  Motilität  der  linken  Seite  war  voll- 
ständig aufgehoben.  Eine  hochgradige  Kontraktur  war  auch 
eingetreten.  Auch  war  die  Pyramidenbahn  völlig  degenerirt. 
Es  scheint  in  Anbetracht  anderer  Fälle  wahrscheinlich,  dass 
die  Kontraktur  der  Glieder  die  geringfügige  ursprünglich  er- 
halten gebliebene  Beweglichkeit  derselben  genommen  hatte. 
Gewiss  war  Pat.  niemals  einer  zweckmässigen  Behandlung 
unterworfen. 

Die  trophischen  Störungen  waren  sehr  stark  ausgeprägt. 

Pathologisch-anatomische  Bemerkungen. 

Der  vorliegende  Fall  hat  sein  Hauptinteresse  in  den 
pathologisch-anatomischen  Veränderungen.  Durch  die  aus- 
gedehnte und  beim  Tode  der  Pat.  fast  4-jährige  Malacie  der 
Corona  radiata  und  der  angrenzenden  Teile  war  die  Verbind- 
ung zwischen  der  Rinde  der  rechten  Hemisphäre  und  dem 
veriängerten  Marke  fast  vollständig  aufgehoben.  Ein  Blick 
auf  die  Taf  XII  überzeugt  davon.  Die  Rinde  des  Occipital- 
lappens  war  durch  die  Zerstörung  der  Sehstrahlung  ausser 
Verbindung  mit  den  centralen  Ganglien  gesetzt.  Ebenso  die 
durch  die  Corona  radiata  nach  der  parietalen  Rinde  verlaufen- 
den Fasern,  wie  auche  viele  nach  der  Temporalrinde.  Wie 


schon  bemerkt  ist  und  die  Taf.  XII  Fig.  4  und  die  Taf  V 
Fig.  7  —  II  zeigen,  sind  jedoch  Fasern,  welche  in  ventraler 
(resp.  dorsaler)  Richtung  verlaufen,  noch  erhalten  geblieben. 
Wenn  diese  auch  zum  Teil  in  Degeneration  begriffen  waren, 
so  fanden  sich  dennoch  nicht  wenige,  w'elche  keine  Anzeichen 
einer  pathologischen  Veränderung  darboten.  Viele  von  die- 
sen strahlten  in  den  äusseren  Kniehöcker  ein. 

Die  Verbindungen  mit  den  Centralganglien  waren  also 
überhaupt  aufgehoben.  Und  so  war  dies  auch  grössten  Teils 
der  P"all  hinsichtlich  des  Stirnlappcns ;  die  Frontalstrahlung 
war  auch  zerstört. 

Der  Effekt  dieser  ausgedehnten  Destruktion  hinsichtlich 
der  Centralganglien  war  der,  dass  überhaupt  alle  diejenigen 
Fasernsysteme,  welche  in  centrifugaler  Richtung  von  der  Rinde 
in  die  centralen  Ganglien  einstrahlen,  verschwunden  waren. 
Das  Präparat  zeichnet  sich  also  als  ein  physiologisches  Cor- 
rosionsi^räparat  aus,  wo  alle  erwähnten  Fasern  corrodirt  sind. 
Auch  diejenigen  Zellen,  welche  in  centripetaler  Richtung 
durch  die  destruirte  Corona  radiata  Fasern  entsenden,  dürften 
verschwunden  gewesen  sein.  Dagegen  scheinen  die  von  in 
mehr  caudalen  Teilen  gelegenen  Zellen  kommenden  cen- 
tripetal  verlaufenden  Fasern,  welche  in  den  nicht  geschädigten 
Abschnitten  der  centralen  Ganglien  enden,  noch  zu  bestehen. 
Aber  die  Centralganglien  sind  leider  auch  durch  patholog- 
ische Prozesse  primär  ergriffen.  Teils  finden  wir  hier  im 
Pulvinar  eine  grössere  Cyste,  welche  die  medio-dorsale  Partie 
des  Pulvinars  einnimmt.  Diese  Cyste  erstreckt  sich  durch 
die  Verbindung  des  Pulvinars  mit  dem  Colliculus  anterior 
unter  der  Oberfläche  des  Pulvinars  nach  unten  hin  und  hat 
hier  den  inneren  und  zum  Teil  auch  den  äusseren  Kniehöcker 
zerstöft.  Dabei  ist  auch  der  Pes  nicht  unberührt  geblieben 
(Taf  V  Fig.  8,  9). 

Am  meisten  ist  jedoch  der  laterale  Abschnitt  der  Cen- 
tralganglien durch  die  grosse  Malacie  ergriffen.  Hier  ist  das 
Putamen  des^  Linsenkörpers  völlig  zerstört.  Von  ihm  findet 
man  in  occipitalen  Schnitten  nur  einige  degenerirte  Bündel 
noch  übrig  (Fig.  7 — 9);  der  mittlere  Abschnitt  ist  vollstän- 
diger zerstört  (Fig.  11  — 13).  Nur  vorne  bei  dem  Zusammen- 
fluss  des  Putamens  mit  dem  Caput  nuclei  caudati  ist  der 
^mediale  Abschnitt  des  Putamens  zum  grösseren  Teil  erhalten 
geblieben. 

Es  liegen  also  ganz  verschiedene  Prozesse  vor,  teils 
i)  eine  primäre  Hämorrhagie  (Cyste),  teils  2)  eine  Malacie, 
teils  3)  sekundäre  Degenerationen. 

Da  nun  die  destruirten  Partien  sich  unregelmässig  gegen 
die  erhalten  gebliebenen  abgrenzen  und  die  erwähnte  Cyste 
ebenso  umfangsreich,  als  unregelmässig  i  t,  so  ist  es  über- 
haupt nicht  leicht  die  vorliegenden  Präparate  in  pathologisch- 
anatomischer Hinsiciit  richtig  zu  deuten. 

Nach  dieser  Übersicht  gehe  ich  zur  Betrachtung  der 
verschiedenen  Systeme  über. 

Das  optische  System. 
Das  wichtigste   hinsichtlich  dieses  Systems   habe  ich 
schon   oben  erwähnt.    Hier   dürfte  nur  folgendes  noch  be- 
merkt werden. 

Der  rechte  Tracius  ist  überhaupt  sehr  atrophisch.  Nur 


86  S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


im  dorso-medialen  Abschnitt  des  Durchschnittes  findet  man 
noch  eine  Anzahl  Fasern,  welche  jedoch  zum  Teil  degenerirt 
sind.  Zum  Teil  strahlen  die  erhalten  gebliebenen  Fasern  in 
den  Kniehöcker  ein.  Ob  sie  zum  Teil  zur  Gudden'schen 
Kommissur  gehören,  muss  ich  unentschieden  lassen. 

Die  Ursache  der  hochgradigen  Atrophie  ist  folgende. 
Die  Gudden'sche  Kommis.sur  und  der  optische  Teil  sind  ja 
als  Bestandsteile  des  Tractus  zu  betrachten.  Wenn  man  mit 
Darkschewitz,  Pribytkow  und  Bechterew  annimmt,  dass  die 
Gudden'sche  Kommissur  eine  Verbindung  zwischen  dem  in- 
neren Knichöcker  und  dem  gekreuzten  Linsenkörper  ist,  so 
sollte  sie  wohl  im  vorliegenden  Falle  wenigstens  zum  Teil 
atrophisch  sein,  da  jene  beide  Ganglien  zum  grössten  Teil 
zerstört  waren. 

Was  den  optiscJum  Abschnitt  betrifft,  so  waren  gewiss 
die  Pupillenfasern  durchtrennt  und  zwar  an  ihrer  Peripherie 
im  Brachium  anterius.  Die  übrigen  strahlen  wie  genannt  in 
den  äusseren  Kniehöcker  ein,  es  waren  aber  nur  wenige 
blass  und  bildeten  keine  zusammenhängenden  Bündel  oder 
Lamellen;  zum  grössten  Teil  waren  sie  aber  durch  die  Cyst- 
bildung  im  Ganglion  durchschnitten.  Alle  Bestandteile  des 
Tractus  müssten  also  mehr  oder  weniger  vollständig  atroph- 
isch sein. 

Über  den  Zusammenhang  der  Fasern  mit  den  Zellen 
des  äusseren  Kniehöckers  habe  ich  oben  (S.  78)  das  wich- 
tigste erwähnt.  Dabei  will  ich  nur  noch  einmal  hervorheben, 
dass  auch  Fasern  aus  dem  Temporallappen  in  das  Ganglion 
geniculatum  extcrnum  einzustrahlen  scheinen. 

Da  die  Sehstrahlung  vollständig  zerstört  war,  so  bot  es 
Interesse  festzustellen,  welche  Veränderungen  in  der  Rinde 
des  Occipitallappens  sich  etwa  finden  würden  und  besonders 
wie  die  dortigen  Rindezellen  sich  verhalten  möchten.  In  die- 
ser Hinsicht  weise  ich  auf  die  Seite  79  hin. 

Das  sensible  System  (Die  Schleife). 

Durch  einen  Blick  auf  die  Figuren  der  Taf  XII  und  der 
Taf  V  gewinnt  man  die  Uberzeugung,  dass  alle  Fasern  zwischen 
den  Centraiwindungen  und  den  centralen  Ganglien  zu  Grunde 
gegangen  sein  müssen.  Diejenigen  Fasern,  welche  in  diesen 
Ganglien  an  den  Präparaten  noch  erhalten  geblieben  sind, 
können  also  nicht  in  unmittelbarem  Zusammenhang  mit  der 
Rinde  stehen.  Dadurch  lässt  es  sich  erklären,  dass  in  den  cen- 
tralen Ganglien  überhaupt  so  wenige  Fasern  noch  vorhanden 
sind.  Spuren  von  degenerirten  Bündeln  sind  ausserdem  dort 
noch  zu  entdecken.  Die  Taf  V  Fig.  10  zeigt  ein  Präparat 
nach  Marchi,  wo  man  noch  Reste  der  Fasern  der  Capsula 
interna  und  so  weiter  sieht. 

Wenn  man  nun  die  sciisible  Bahn  von  der  Rinde  bis 
zum  Rückenmark  in  Betracht  nimmt,  so  findet  man  gleich, 
dass  der  kortikale  Abschnitt  vollständig  zerstört  ist.  Eine 
Capsula  interna  existirt  auch  nicht  da  wo  die  sensiblen  Fa- 
sern durch  sie  passiren.  Dagegen  finden  sich  zahlreiche  sen- 
sible Fasern  im  Thalamus.  Man  sieht  sie  an  den  Fig.  8,  9 
und  1 1  unmittelbar  medial  von  der  inneren  Kapsel.  An  der 
vordersten  dieser  Figuren  (Fig.  11)  ersieht  man  in  dem  ven- 
tralen Abschnitt  des  Thalamus  die  Haubenstrahlung  mit  einer 
)recht  reichlichen  Anzahl  von  Fasern  lateralwärts  vom  roten 


Körper  und  ausserdem  die  dorsal  vom  roten  Körper  liegen- 
den Bündel  nach  aussen  ziehen. 

Ventral  von  der  Haubenstrahlung  sieht  man  hier  nur 
ein  schmales  Bündel,  welches  mit  dem  roten  Körper  nicht 
zusammenzuhängen  scheint. 

Weiter  nach  hinten  treten  dagegen  kräftige  Bündel  auf 
(Fig.  9),  welche  sich  im  ventralen  Abschnitt  des  Thalamus 
mit  den  vom  roten  Körper  kommenden  Bündeln  zusammen- 
weben und  hier  einen  rundlichen  Körper  bilden,  welcher  sich 
an  der  Fig.  8  besonders  deutlich  darstellt.  An  der  Fig.  9 
sieht  man,  dass  aus  diesem  Knäuel  Bündel  sowohl  nach  dem 
roten  Körper  wie  nach  unten  medialwärts  ziehen,  weiter 
nach  hinten  (Fig.  8)  aber  läuft  eine  Masse  dieser  Fasern  ven- 
tralwärts  vom  roten  Körper  hin,  welche  offenbar  als  Schlei- 
fenfasern angesehen  werden  müssen. 

Leider  konnte  ich  aus  äu.sseren  Gründen  die  Lage  und  den 
Verlauf  dieser  Fasern  nicht  Schnitt  für  Schnitt  nach  unten  ver- 
folgen. Aber  in  der  Höhe  der  Oliven  findet  man  eine  ausge- 
prägte Atrophie  der  Schleife,  welche  auch  weiter  bis  zum  Rüc- 
kenmark deutlich  zu  verfolgen  ist.  Überall  trifft  die  Atrophie 
sowohl  das  Zwischenolivenfeld  wie  auch,  in  geringerem  Grade 
die  mehr  dorsale  Schicht  (Fibrse  interreticulares).  Eine  voll- 
ständige Atrophie  findet  sich  jedoch  nicht.  Die  übriggeblie- 
benen Fasern  müssen  wohl  3.  T.  die  oben  erwähnten  Thalamus- 
fasern  sein.  Bei  der  Kreuzung  der  sensiblen  Fasern  sieht  man, 
dass  diese  Fasern  sowohl  in  den  Nucleus  gracilis  wie  in  den 
Nucleus  caudatus  einstrahlen. 

Wenn  man  sich  diese  Thatsachen  vergegenwärtigt,  so 
drängt  sich  einem  wohl  die  Ansicht  auf,  dass  die  Haupt- 
masse der  von  den  linkseitigen  Nuclei  funicuh  gracilis  et  funi- 
culi  cuneati  ausgehenden  erhalten  gebliebenen  Fasern,  welche 
sich  nachher  als  Fibrae  arcuatai  internae  kreuzen  um  in  der 
rechten  Schleifenbildung  nach  oben  zu  steigen,  nicht  höher  als 
in  die  centralen  Ganglien  aufsteigen  und  hier  eine  vorläufige 
Endigung  finden.  Wenn  diese  Fasern  wirklich  mit  der  Rinde 
unmittelbar  zusammenhingen,  dann  wären  sie  ohne  Zweifel 
mehr  oder  weniger  vollständig  untergegangen  (degenerirt  oder 
atrophirt).  Und  da  nun  in  der  Medulla  die  rechtseitige  Schleife 
kaum  auf  die  Hälfte  im  Verhältnis  zu  der  linken  reducirt  war, 
so  folgt  daraus,  dass  die  von  der  Rinde  eventuel  kommenden 
direkten  Schleifenfasern  weniger  als  die  Hälfte  der  Schleife 
ausmachen. 

Eine  zweite  Frage  ist  nun,  woher  kommen  die  atrophir- 
ten  Fasern.  Nach  den  geläufigen  Ansichten  haben  die  Schlei- 
fenfasern folgende  Hauptursprungs-  oder  Endigungsstellen, 
nämlich  die  Rinde,  Thalamus,  Globus  pallidus,  Corpus  Luysii 
und  Colliculus  anterior.  In  welchem  Masse  diese  Ganglien 
eher  als  Ursprungs-  oder  Endigungsorte  der  Schleifenfasern 
bezeichnet  werden  dürften,  ist  noch  nicht  eruirt.  \^on  diesen 
Ganglien  sind  nun  Thalamus,  Corpus  Luysii  und  Colliculus 
anterior  wesentlich  erhalten  geblieben,  dagegen  der  Globus 
pallidus  zum  grossen  Teil  zerstört  und  .sein  Zusammenhang 
mit  der  Rinde  aufgehoben. 

Betrachtet  man  die  Fig.  7—13  Taf.  V,  so  wird  die  Ant- 
wort auf  die  Frage  kaum  zweifelhaft.  Die  Hauptmasse,  der 
erhalten  gebliebenen  Schleifenfasern  enden  wohl  im  Thala- 
mus.   Wir  haben  in  den  Figuren  fast  wie  auf  einem  Corro- 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


87 


sionspräparat  die  Thalamusschleife  vor  uns.  Ein  bedeutender 
Teil  der  Schleifenfasern  findet  also  im  Thalamus  ihre  vorläu- 
fige Endigung  und  diese  Fasern  hängen  also  nicht  unmittelbar 
mit  der  Rinde  zusammen. 

Die  Untersuchung  der  Präp.  (s.  Fig.)  zeigt  weiter,  dass 
wenn  überhaupt  Fasern  vom  Globus  pallidus  und  dem  Luys' 
sehen  Körper  kommen,  welche  erhalten  geblieben  sind,  diese 
in  der  Schleife  sehr  spärlich  vorhanden  sein  müssen.  Die 
vom  Colliculus  anterior  herkommenden  Fasern  dürften  über- 
haupt erhalten  geblieben  sein. 

Weiter  ist  zu  bemerken,  dass  die  Atrophie  an  mehr 
proximalen  Schnitten  der  Medulla  oblongata  mehr  ausgeprägt 
ist  als  weiter  caudalwärts.  Dieses  deutet  darauf  hin,  dass 
zur  Schleifenbildung  des  Zwischenolivenfeldes  recht  zahlreiche 
Fasern  mitwirken,  welche  also  von  mehr  caudalen  Kernen 
kommen  (resp.  gehen).  Was  dann  die  untergegangenen  Fa- 
sern der  Schleife  betrifft,  so  müssen  sie  entweder  von  der 
Rinde  oder  von  dem  Globus  pallidus  oder  dem  Luys'schen 
Körper  kommen  (resp.  dort  enden). 

In  dieser  Hinsicht  ist  das  Präp.  (resp.  Taf.  V  Fig.  lo) 
von  besonderem  Interesse.  Wir  sehen  hier  Spuren  einer  An- 
zahl vollständig  degenerirter  Fasern,  welche  radiär  in  den 
Thalamus  einstrahlen.  Es  ist  wohl  im  höchsten  Grade  wahr- 
scheinlich, dass  wir  hier  mit  Rindenfasern  zu  thun  haben  und 
zwar  mit  sensiblen  Fasern,  welche  wohl  wahrscheinlich  die 
Verbindung  zwischen  der  Thalamusschleife  und  der  Rinde 
ausmachen. 

Betrachtet  man  einen  vertikalen  mit  der  Cox'schen  Lös- 
ung gefärbten  Schnitt  der  Rinde  der  Centralvvindungen  (Taf. 
XIV  Fig.  Ii),  so  ersieht  man  gleich  bei  Vergleichung  mit 
einem  homologen  Schnitt  aus  der  rechten  Hemisphäre,  dass 
eine  ausgeprägte  Atrophie  der  Zellen  vorliegt.  Nur  wenige 
normale  Zellen  sind  vom  Quecksilber  imprägnirt.  Die  Atro- 
phie hat  fast  alle  Zellenschichten  getroffen  und  wie  es  scheint, 
alle  Formen  von  Zellen.  Wenige  Zellen  haben  noch  ihre  nor- 
malen Fortsätze  erhalten.  An  Präparaten,  welche  nach  Niessl 
gefärbt  sind,  sieht  man  die  Veränderungen  nur  sehr  undeut- 
lich (vergl.  oben). 

Der  rote  Körper. 
Was  das  System  des  roten  Körpers  betrifft,  so  findet 
man,  dass  der  rote  Körper  im  Ganzen  als  normal  bezeichnet 
werden  muss.  Vom  roten  Körper  zieht  die  recht  kräftige  Hau- 
benstrahlung gegen  den  ventralen  Abschnitt  des  Thalamus 
hin  s.  Taf.  V  Fig.  9).  Da  nun  die  Verbindung  der  Hauben- 
strahlung mit  der  Rinde  aufgehoben  ist,  so  muss  wohl  we- 
nigstens die  Hauptmasse  dieser  Haubenstrahlung  im  ventralen 
Abschnitt  des  Thalamus  eine  vorläufige  Endigung  finden. 


Hier  begegnen  sich  also  die  Fasern  der  Haubenstrahlung 
und  die  der  Schleife,  und  von  hier  geschieht  die  Verbindung 
mit  der  Rinde  durch  neue  Neurone. 

Das  Vorhandensein  der  Haubenstrahlung  bei  so  gross- 
artiger Atrophie  des  Thalamus  scheint  nun  dafür  zu  sprechen, 
dass  die  Hauptmasse  der  erhalten  gebliebenen  Fasern  dieser 
Strahlung  von  den  Zellen  des  Nucleus  ruber  stamme.  Die 
erhalten  gebliebenen  Fasern  sind  also  wohl  diejenigen,  welche 
in  centripetaler  Richtung  vom  Kleinhirn  durch  den  Bindearm 
und  den  roten  Körper  nach  der  Rinde  leiten.  Wie  es  sich 
mit  den  in  entgegensetzter  Richtung  eventuell  leitenden  Fa- 
sern verhält,  geht  aus  dem  Fall  nicht  hervor.  Es  scheint 
mir  jedoch  wahrscheinlich  zu  sein,  dass  in  der  Haubenstrah- 
lung und  im  roten  Körper  ein  F"aserausfall  vorhanden  ist, 
und  dass  dabei  die  eventuell  zu  Grunde  gegangenen  Fasern 
vollständig  resorbirt  sind  (wie  anderswo  im  Thalamus),  des- 
halb konnten  deutlich  degenerirte  Fasern  nicht  aufgefunden 
werden.  Diese  geschwundenen  Fasern  sind  wohl  die  von 
der  Rinde  des  Grosshirns  zum  Kleinhirn  verlaufenden  Fasern. 

Die  Verbindung  zivisdien  dem  Globus  pallidus  und  dem 
Lnys'schen  Körper  tritt  in  Folge  des  Ausfalls  der  inneren 
Kapsel  besonders  schön  hervor.  Die  Fig.  1 1  zeigt  sehr  hübsch 
wie  diese  beiden  Ganglien  intim  zusammenhängen.  Fasern 
vom  Globus  pallidus  bilden  zum  Teil  die  Kapsel  des  Luys' 
sehen  Körpers,  zum  Teil  ziehen  sie  in  das  innere  dieses 
Ganglions  ein. 

Die  Verbindung  zwischen  dem  Globus  pallidus  und  der 
ventralen  Strahlung  tritt  in  der  Fig.  1 1  auch  besonders  klar 
hervor. 

An  der  Fig.  13  tritt  eine  Ansa  lenticularis  deutlich 
hervor,  wie  auch  der  nahe  Zusammenhang  dieser  Schlinge 
mit  der  Meynerf sehen  Kommissur.  Etwas  weiter  nach  hin- 
ten fliessen  diese  anscheinend  zusammen. 

Die  Reste  der  inneren  Kapsel  treten  an  der  Fig.  10 
besonders  schön  hervor.  Man  bekommt  durch  die  Figur 
eine  Vorstellung  von  der  Form  derselben  und  von  der  Art 
und  Weise  wie  von  verschiedenen  Richtungen  kommende  Fa- 
sern in  dieselbe  eintreten. 

Das  Fornixsystem. 

Die  Columna  ascendens  ist  noch  erhalten  geblieben 
und  zwar  recht  kräftig  (Fig.  13).  Die  Columna  Vicq  d'Azyr 
tritt  sehr  schwach  hervor,  aber  die  Columna  Thalami  kann 
man  an  der  Fig.  12  recht  gut  verfolgen.  Ihr  Verhältnis 
zum  Luys'schen  Körper  liegt  hier  klar.  Über  das  Corpus 
mamillare  selbst  siehe  den  Text. 


88 


S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Fall  8.  Winström. 

59  Jahre.  Tischler. 
(Taf.  XIII.  XIV.) 


Klinische  Diagnose:  Hemiplegia  sin. 

Krankengeschichte. 

Da  der  Pat.  in  Stockholm  im  Armenliause  »Grubl^ens  gärde» 
verpflegt  wurde,  so  hatte  ich  nur  einmal  die  Gelegenheit  ihn  zu 
untersuchen  und  zwar  etwa  3  Monate  vor  seinem  Tode.  Da 
die  Untersuchung  des  Gehirns  post  mortem  zeigt,  dass  nachher 
keine  neue  Veränderungen  zugekommen  sind  und  nur  ein  Herd 
vorhanden  war,  und  ausserdem  keine  neuen  Schlaganfiille  ihn 
getroffen  hatten,  so  scheint  diese  einzige  eingehende  Untersuch- 
ung genügend  zu  sein.  Die  Augenuntersuchung  wurde  von 
einem  Augenarzte  Herrn  Docent  A.  Gullstrand  vorgenommen. 

Anamnese.  Der  Vater  war  Alkoholiker,  ein  Bruder 
hatte  im  i6:sten  Jahre  Epilepsie.  Ein  Onkel  und  die  Schwester 
des  Vaters  hatten  Schlaganfälle;  auch  sind  Geisteskrankheiten  in 
der  Familie  aufgetreten. 

Pat.  selbst  ist  verheiratet  und  hat  2  gesunde  Kinder.  Er 
hat  vor  vielen  Jahren  Variola  durchgemacht,  dann  auch  Nerven- 
fieber. 

Er  war  früher  dem  Trunk  sehr  ergeben  und  hatte  sich 
ausserdem  im  lyisten  Jahre  Gonorrhoe  zugezogen. 

Schon  18^6  soll  sich  Pat.  eine  linkseitigc  wahrscheinlich 
peripherische  Facialis-parese  zugezogen  haben.  Er  wurde  dann 
ins  Catharina  Krankenhaus  aufgenommen. 

iSjS  am  20.  November  um  7  Uhr  des  Morgens  wurde  er 
von  einem  Schlagaiifalle  getroffen.  Der  Anfall  war  mit  Zuck- 
ii/igcn  verbunden,  er  wurde  während  einiger  Stunden  beiaussths. 
Beim  Erwachen  war  er  in  der  linken  Seite  iwllständig  gelüJwit. 
Die  Sensibilität  war  in  derselben  Seite  bedeutend  vcrtnindert, 
und  er  hatte  keine  Empfindung  vom  Kneifen.  Auch  im  Gesicht  war 
die  Empfindung  weg,  das  Gesicht  war  schief  und  das  linke  Auge 
thränte.  Er  hatte  Schwierigkeit  zu  sj>?-cchen.  Von  der  Blase 
war  keine  Störung  vorhanden. 

Unter  Behandlung  mit  Elektricität  etc.  wurde  er  indessen 
gebessert.  Die  Fähigkeit  die  Glieder  zu  bewegen  kam,  wenn 
auch  nur  in  geringerem  Grade,  zurück,  auch  wurde  die  Sensi- 
bilität gebessert.    Er  hatte  nur  diesen  einen  Anfall  gehabt. 

Status  praesens  am  7.  November  1891. 

Das  Fettpolster  ist  gut  entwickelt;  der  Körperbau  kräftig, 
der  Kräftezustand  gut.  Der  Appetit  und  der  Stuhlgang  zeigen 
nichts  Abnormes.    Er  schläft  schlecht. 

Subjektive  Symptome. 

Pat.  ist  nervös  und  weint  gern.  Er  klagt  über  Schmer- 
zen im  Rücken  wenn  die  Zuckungen  sich  einstellen.  Er  hat 
auch  Parästhesien  in  der  linken  Seite  und  bekommt  bisweilen 
Gesichtshallticinationen,  indem  er  grüne  Wälder  oder  Bäumchen 
sieht.    Diese  sollen  nach  links  projicirt  werden. 


Pathol. -anatoin.  Vepänd. :  HiBmopphagia.    Cysta  haemopphagiea 
in  Capsula  intepna  et  Thalamo  optieo. 

Objektive  Untersuchung. 
Psychische  Funktionen. 

Pat.  hat  ein  gutes  Aussehen.  Seine  Auffassung  der  Um- 
gebung ist  auch  gut.  Sein  Urteilsvermögen  ist  wie  das  Gedächt- 
nis gut,  aber  wie  erwähnt,  ist  sein  Gemüt  etwas  weinerlich. 
Keine  Delirien. 

Aphasie.  Weder  Wortblindheit,  Worttaubheit  oder  Aphä- 
mic  ist  vorhanden;  und  er  spricht  ohne  Schwierigkeit. 

Keine  Anzeichen  von  Seelenblindheit  oder  Seelentaubheit. 

Kranialnerven. 

I.  Der  Geruch  ist  rechts  schlecht,  links  besser.  Keine 
Geruchsamnesie. 

II.  Die  Sehschärfe  links  =  0,3,  rechts  =  0,4.  Eine  be- 
ginnende Kernkatarakt  im  rechten  Auge.  Beginnende  Katarakt- 
bildung auch  im  linken  Auge  und  daneben  senile  Veränderungen 
in  der  Gegend  der  Macula  lutea. 

Keine  Hemianopsie ;  das  Gesichtsfeld  Hess  sich  ohne  Schwie- 
rigkeit mit  dem  Perimeter  genau  messen;  koncentrische  Be- 
schränkung etwas  mehr  links  als  rechts. 

Die  linke  Cornea  und  Conjunctiva  haben  verminderte  Sen- 
sibilität. 

GesiclitsJialliicinationen  (s.  oben). 

III.  IV.  VI.  Die  Bewegungen  der  Augen  sind  normal.  Die 
Pupillen  sind  beiderseits  klein  und  reagiren  beim  Licht  nur  träge ; 
sie  reagiren  auch  bei  Accomodation. 

V.  Die  Empfindung  im  Gesicht  ist  für  Tasten  rechts  gut, 
links  vermindert. 

Der  Schmerzsinn  ist  rechts  gut,  links  bedeutend  herab- 
gesetzt. 

VII.  Oberer  Facialis:  rechts  normale  Motilität,  links  ver- 
mindert. 

Unterer  Facialis:  rechts  normal;  im  unteren  Facialisgebiet 
ist  das  Gesicht  schief,  links  paretisch. 

VIII.  Das  Gehör  ist  auf  beiden  Ohren  herabgesetzt,  und 
zwar  etwa  in  gleichem  Grade. 

IX.  Die  Schluckbewegungen  gehen  leicht  von  Statten. 

XI.  Die  Stimme  ist  gut. 

XII.  Die  Zunge  weicht  beim  Herausstrecken  nach  links 
ab;  keine  trophischen  Veränderungen. 

Spinalnerven. 

Sensibilität. 

Tastsinn.  Sowohl  an  den  Armen  wie  Beinen  ist  der  Tast- 
sinn rechts  recht  gut,  links  auffallend  vermindert. 

Schnierzsinn.  In  den  Armen  und  Beinen  ist  er  rechts  gut, 
links  vermindert. 

Tcmpcratiirsinn.  Für  Kälte:  rechts  gut,  links  dagegen 
schlechter. 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


89 


Für  Wärme:  ist  das  Resultat  dasselbe,  sowohl  in  den  Ar- 
men wie  Beinen. 

Muskelsinn  ist  rechts  normal,  im  linken  Arme  etwas  ver- 
mindert, besser  im  linken  Beine. 

Die  Motilität 

der  Arme  und  Beine  ist  rechts  gut;  dagegen  ist  der  linke  Ann 
fast  vollständig  gelähmt,  nur  eine  geringe  gröbere  Beweglich- 
keit ist  noch  zurück. 

l^as  linke  Bein  ist  nur  paretisch;  die  gröberen  Bewegungen 
werden  gut  ausgeführt,  dagegen  nicht  die  feineren. 

Die  Bewegungen  des  Rumpfes  scheinen  gut  zu  sein. 

Ataxie:  Der  Gang  des  Pat.  ist  hemiplegisch. 

Zuckungen  entstehen  leicht  im  Arm  und  zwar  sehr  stark, 
auch  im  Beine. 

Kontraktur  findet  sich  im  linken  Arme. 

Reflexe.  Starker  Dorsalklonus  ist  im  linken  Beine  vor- 
handen, fehlt  aber  im  rechten. 

Die  Patellarreflexe  sind  beiderseits  stark. 

Blase:  nichts  Besonderes.  Die  Harnmenge  ist  eine  ge- 
ringe. 

Trophische  Störungen:  Die  Atrophie  der  linkseitigen  Glie- 
der ist  hochgradig. 

Kein  Decubitus. 

Vasomotorische  Störung:  Die  linksseitigen  Glieder  waren 
früher  gerötet  und  angeschwollen,  jetzt  aber  nicht;  sie  sind  da- 
gegen kälter  als  die  rechtsseitigen. 

Innere  Organe: 
Herz:  nichts  Besonderes. 
Lungen:  nichts  von  Bedeutung. 
Pat.  starb  im  Februar  1892. 

Sektion. 

Beschreibung  des  gehärteten  Gehirns. 

Die  Dura  gleichmässig  verdickt,  aber  sonst  ohne  patholo- 
gische Veränderungen. 

Die  Pia  lässt  sich  ohne  Schwierigkeit  von  der  Oberfläche 
ablösen  und  ist  dünn  und  durchsichtig. 

Die  linke  Hemisphäre. 
Die  Oberfläche  zeigt  nichts  Besonderes.    Die  Windungen 
sind   im   Allgemeinen   etwas   klein,   schmal  und  atrophisch  und 
zwar  besonders  im  Frontalhirn. 

Durchschnitte. 

An  den  Durchschnitten  werden  pathologische  Veränderun- 
gen nicht  wahrgenommen.  Die  Hirnsubstanz  ist  überall  fest  und 
hat  normales  Aussehen. 

Die  Centralganglien,  Thalamus,  Nucleus  caudatus,  Corpora 
geniculata  externum  und  internum,  wie  auch  die  Corpora  qua- 
drigemina  von  normaler  Form  und  Konsistenz. 

Die  rechte  Hemisphäre. 
Die  Oberfläche  ohne  Veränderungen.   Die  Windungen  sind 
zwar  etwas  schmal  aber  ohne  begrenzte  Atrophien. 
S.  E.  Heu  sch  en,    Pathologie  des  Gehii  tis. 


Durchschnitte. 

An  den  Durchschnitten  werden  Veränderungen  nicht  wahr- 
genommen. Die  Rinde  wie  das  Mark  ist  überall  normal,  mit 
Ausnahme,  dass  die  Insularrinde  im  hinteren  oberen  Abschnitte 
an  einer  Strecke  von  2  cm.  verfärbt  und  zum  Teil  mala- 
cisch  ist. 

Erst  an  einem  Durchschnitt  im  Frontalplane  des  hinteren 
Abschnitts  des  Thalamus  tritt  eine  Veränderung  in  der  Form  einer 
streifenförmigen  Verfärbung  (Taf.  XIV.  Fig.  i,  atr.)  hervor.  Die- 
ser Degenerationsstreifen  liegt  lateral  vom  vertikalen  Mark,  dicht 
medial  von  der  Rinde  der  Fossa  Sylvii  und  streckt  sich  teils  in 
ventro-lateraler  Richtung  in  das  Mark  des  Temporallappens,  teils 
auch  mehr  horizontal  dem  Dach  der  Fossa  Sylvii  entlang.  Diese 
beiden  Streifen  konvergiren  gegen  ein  Loch  (Defekt),  welches 
zu  einer  älteren  Cyste  im  Thalamus  (Taf.  XIV.  Fig.  i.  Cy.)  führt. 

Im  Zusammenhang  hiermit  ist  der  Nucleus  caudatus  hier 
narbig  geschrumpft.  Dem  Loch  gegenüber  ist  die  Oberfläche 
des  Thalamus  etwas  konkav. 

Die  Öffnung  des  Loches  misst  2 — 3  m.m.  und  die  Tiefe 
der  Höhle  etwa  5  m.m.  in  horizontal-frontaler,  dagegen  etwa 
IG  m.m.  in  horizontal-sagittaler  Richtung.  Das  umgebende  Ge- 
webe ist  nach  allen  Seiten  hin  weich  und  bräunlich  (in  MüUer's 
Lösung  gehärtet)  verfärbt. 

Die  Centralganglien. 
Nucleus  caudatus  (Taf  XIV.  Fig.   i.).    Er  ist  in  seinem 
ganzen  frontalen  Abschnitt  normal.    Erst  im  hinteren  ist  seine 
Masse  zerstört. 

Das  Ependym  ist  erhalten  geblieben,  aber  es  zeigt  hier 
eine  narbige  Einziehung. 

Thalainus  ist  infolge  der  Cyste  im  hinteren  lateralen  Ab- 
schnitt eingesunken  und  etwas  weicher  als  normal.  Diese  Ein- 
buchtung misst  in  sagittaler  Richtung  etwa  2  cm.  bezw.  von 
der  höchsten  Wölbung  des  Thalamus  bis  zum  Ende  des  Pulvi- 
nars,  und  nimmt  die  ganze  Breite  des  Ganglions  ein;  wie  tief  die 
Cyste  ist,  tritt  erst  an  den  Durchschnitter,  hervor.  Durch  die  Ein- 
ziehung ist  also  der  hintere  Abschnitt  des  Thalamus  abgeplattet 
und  die  Wulst  des  Pulvinars  tritt  deshalb  als  eine  platte  Wöl- 
bung an  ihrer  medialen  Seite  vor;  die  Oberfläche  des  Pulvinars 
ist  etwas  kleinhöckerig. 

Aber  auch  der  frontale  Abschnitt  des  Thalamus  ist  auffal- 
lend vermindert,  die  mediale  Fläche  ist  nicht  wie  die  der  lin- 
ken Hemisphäre  hervorgewölbt,  sondern  narbig  eingezogen  und 
im  Ganzen  an  Volumen  reduzirt. 

Das  Corpus  gcniculatuni  externum  sprinjt  rechts  etwas  mehr 
als  links  hervor,  aber  das  Ganglion  ist  nicht  verkleinert. 

Corpus  gcniculatum  internum  ist  etwas  eingezogen  und  auf- 
fallend verkleinert.  Die  Furche  zwischen  dem  Pulvinar  und  den 
Corpora  quadrigemina  ist  eingezogen.  Die  Oberfläche  ist  nicht 
makroskopisch  verändert. 

Corpora  4-gemina.  Colliculi  anteriores  und  posteriores  sind 
an  der  rechten  Seite  unbedeutend  verkleinert.  Der  Unterschied 
tritt  erst  bei  genauerer  Betrachtung  hervor.  Die  Form  ist  bei- 
derseits gleich. 

12 


90  S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Kleinhirn. 
Ohne  Bemerkenswertes. 

P  0  n  s  und  M  e  d  u  1 1  a. 
Die  rechte  Hälfte  ist  in  Folge  der  Atrophie  der  rerliten 
Pyraniidenbahn  und  der  rechten  Schleife  deutlich  vermindert. 

Mikroskopisches. 

I 

Die  Centralganglien  der  recliten  Hemisphäre. 
(Taf.  XIII). 

Die  Centralganglien  wurden  in  eine  Horizontalschnittserie 
zerteilt  und  zwar  in  etwa  6oo  Schnitte,  von  denen  etwa  200  ge- 
färbt wurden. 

Die  schon  an  der  Oberfläche  der  Centralganglien  an  der 
Fig.  I.  Taf.  XIV  sichtbare  Cyste  verhielt  sich  folgendermassen. 

An  den  dorsalsten  Schnitten,  welche  den  dorsalen  Rand  des 
Nucleus  caudatus  und  dorsal  von  dem  an  der  Fig.  i.  Taf.  XIV 
mit  Cy  bezeichneten  Loch  getroffen  hatten,  sieht  man  nur  eine 
begrenzte  Verfärbung  (an  der  Fig.  i  mit  atr.  bezeichnet).  In  die- 
sem Gebiete  sind  die  Nervenfasern  entweder  atrophisch  oder  in 
Degeneration  begriffen  und  nehmen  kaum  Farbe  an;  das  Ge- 
webe ist  locker  und  die  Fasern  spärlich. 

Etwa  2  m.m.  weiter  nach  unten  im  Dach  der  Cyste  ist 
die  Verfärbung  ausgesprochener,  das  Nervengewebe  ist  in  einer 
Ausstreckung  von  15  m.m.  in  sagittaler  und  etwa  5  m.m.  in 
frontaler  Richtung  ganz  zu  Grunde  gegangen.  Am  hinteren 
Umfange  strahlen  noch  erhalten  gebliebene  aber  degenerirte  Fa- 
sern der  Corona  radiata  hindurch.  Der  Nucleus  caudatus  ist 
hier  nicht  getroffen,  Hegt  mehr  ventral  und  frontal  (Fig.  i.  Taf. 
XIII;  Präp.  II.  79).  Diese  Fasern  der  Corona  stammen  wohl 
aus  Lobus  parietalis  superior  und  inferior  und  Lobus  paracen- 
tralis  (Central,  posterior,  vielleicht  auch  aus  dem  dorsalsten  Ab- 
schnitt des  Centralis  anterior).    (Fig.  i  Taf.  XIV.) 

Im  Dache  der  Cyste  tritt  nun  reichliches  Blutpigment  in 
Form  von  mikroskopischen  Körnchen  auf. 

In  der  Ebene,  wo  die  Cyste  auftritt,  ist  auch  der  entsprech- 
ende Abschnitt  des  Nucleus  caudatus  in  den  Prozess  hinein- 
gezogen und  ist  hier  in  narbiges  Bindegewebe  verwandelt,  in 
dem  nur  spärliche  Reste  der  Nervenfasern  noch  übrig  geblieben 
sind.    (Fig.  2.  Taf.  XIII). 

Die  Cyste  ist  ringsum  von  degenerirtem  Gewebe  umgeben 
und  liegt  also  an  den  Weigert'schen  Präparaten  in  einem  ovalen 
gelben  Fleck  von  der  oben  erwähnten  Ausdehnung.  P^twas  mehr 
ventralwärts  dehnt  sich  das  degenerirte  Gebiet  mehr  aus,  in  dem 
Masse  wie  die  Cyste  sich  vergrössert.  Diese  wird  bald  etwas 
sinuös  und  dehnt  sich  bis  zur  Insularrinde  aus  und  zwar  in  der 
Ebene  der  dorsalsten  Schnitte  des  Thalamus.    (Fig.  2.) 

Schon  in  dieser  Ebene  ist  der  hinterste  Rand  des  Thala- 
mus durch  den  pathologischen  Prozess  zum  Schwund  gebracht 
und  die  vom  occipito-lateralen  Umfang  nach  vorn  in  das  Gang- 
lion einstrahlenden  Bündel  sind  atrophirt.  Dagegen  sind  mehr 
frontal  liegende  Bündel  sowie  die  vor  der  Cyste  liegenden  Bün- 
del der  Corona  radiata  mikroskopisch  unverändert,  ausgenom- 
men in  der  unmittelbaren  Nähe  der  Cyste  (Fig.  2.  Präp.  II.  166). 

Da  nun  durch  die  Cyste  der  ganze  occipitale  Abschnitt 
der  Corona  radiata  (resp.  die  Parietalstrahlung)  durclitrennt  war 


und  folglich  auch  die  in  den  Thalamus  einstrahlenden  parie- 
talen Bündel  fehlten  oder  degenerirt  waren,  so  war  der  Thalamus 
in  seinem  occipitalen  Abschnitt  teils  eingesunken  teils  geschrumpft 
und  der  hintere  sonst  abgerundete  Rand  des  Ganglions  in  der 
Frontallinie  der  Mündung  der  Cyste  verschwunden.  Die  am 
Rande  liegenden  Nervenfasern  waren  atrophisch,  bleich  und  de- 
generirt, weshalb  der  occipitale  Rand  des  Thalamus  sich  blass 
darstellte.    (Fig.  3.  Präp.  IL  218.) 

An  den  folgenden  Präparaten  tritt  nun  das  Putamen  auf. 
Die  Cyste  erstreckt  sich  hier  weiter  nach  aussen,  und  lateral  vom 
Putamen  in  der  Capsula  externa  nach  vorn.  Die  Insularrinde 
ist  hier  durchlöchert  und  atrophisch,  das  Putamen  dagegen  er- 
halten geblieben;  dagegen  ist  der  occipitale  Abschnitt  des  Pu- 
tamens völlig  in  Bindegewebe  umgewandelt,  und  alle  Nervenfa- 
sern fehlen.  Dieses  Bindegewebe  setzt  sich  als  eine  2  m.m. 
breite  blasse  Kante  auf  den  occipitalen  Rand  des  Thalamus  fort. 

Etwas  mehr  ventral  (Präp.  II.  307)  ist  die  ganze  occipi- 
tale Hälfte  des  Thalamus  durch  die  Cyste  entweder  zerstört  oder 
in  Bindegewebe  umgewandelt  und  zwar  in  einer  Ausdehnung 
(Fig.  4.)  von  etwa  i  cm.  in  sagittaler  Richtung,  dagegen  ist 
die  frontale  Hälfte  gut  erhalten.  Der  Rand  der  Zerstörung  liegt 
etwa  in  der  frontalen  Linie  des  Ganglion  habenul?e. 

In  der  folgenden  Schnittserie  dehnt  sich  die  Cyste  in  fron- 
taler Richtung  gegen  die  Mittellinie  bedeutend  aus.  Sie  durch- 
setzt den  ganzen  occipitalen  Abschnitt  des  Thalamus  und  dringt 
gerade  bis  zum  Ganglion  habenulse  vor.  Ihre  Breite  (in  sagit- 
taler Richtung)  ist  4  —  6  m.m.,  ihre  Länge  von  der  Insularrinde 
bis  zum  Ganglion  etwa  2,5  cm.  Die  Höhle  ist  ringsum  von  nar- 
bigem Bindegewebe  umgeben  und  zwar  nach  vorn  bis  zu  einer 
Dicke  von  i  —  2  m.m.,  nach  hinten  ist  das  ganze  Pulvinar  zwar 
nicht  wesentlich  in  der  Form,  wohl  aber  in  der  Struktur  verän- 
dert, indem  sowohl  Zellen  als  Nervenfasern  verschwunden  sind. 
In  derselben  Linie  ist  auch  die  innere  Kaj^sel,  die  occipitale 
Strahlung  und  das  Putamen  völlig  vernichtet.  (Präp.  III.  62. 
Fig.  5.)  Ausserdem  tritt  4  m.m.  von  der  Mittellinie  und  7  m.m. 
nach  hinten-aussen  von  dem  Ganglion  habenulae  ein  2  m.m. 
grosser  hemorrhagischer  Herd  auf,  welcher  das  umgebende  Ge- 
webe des  Thalamus  zur  Atrophie  gebracht  hat.    (Fig.  5.  Cy). 

An  den  folgenden  Präparaten  ist  der  Effekt  der  Cyste  ein 
noch  grösserer,  indem  ein  noch  grösserer  Abschnitt  des  Pulvi- 
nars  sowie  auch  der  medio-occipitale  Abschnitt  des  Thalamus 
dadurch  gelitten  hat.  Diese  Veränderung  wird  durch  die  eben 
erwähnte  kleinere  Cyste  verursacht. 

An  den  folgenden  Präparaten  (von  etwa  III.  50)  treten  nun 
im  Pulvinar  die  ersten  Spuren  von  Nervenfasern  auf.  Diese 
kommen  von  der  Occipitalstrahlung.  Die  Cyste  ist  an  Dimen- 
sionen etwas  vermindert;  am  Rande  des  Pulvinars  treten  die  zo- 
nalen Fasern  auf  und  an  mehr  ventralen  Präp.  bald  auch  Fa- 
sern im  Inneren;  diese  alle  sind  nunmehr  kaum  oder  doch  nur 
wenig  verändert.  Diese  Schnitte  liegen  in  der  Höhe  der  hinte- 
ren Kommissur  und  der  Oberfläche  des  Colliculus  anterior  (Präp. 

in.  38). 

Je  tiefer  man  nun  kommt,  desto  zahlreicher  treten  im  Pul- 
vinar die  von  der  occipitalen  Strahlung  kommenden  Nervenfa- 
sern auf;  die  Fasern  des  Brachium  anterius  erscheinen,  die  Cyste 
vermindert  sich  und  wird  vom  Narbengewebe  ersetzt.  Diese 
Narbe   durchsetzt  wie  ein  Keil  das  hintere  Ende  des  Putamens 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


91 


und  des  Globus  pallidus,  die  innere  Kapsel  und  den  hinteren 
Abschnitt  des  Thalamus  bis  zur  hinteren  Kommissur  (Präp.  III. 
24)  (Fig.  6  =  Präp.  III.  10.) 

Mehr  ventralwärts  zieht  sich  die  Cyste  zusammen  und 
dehnt  sich  nur  in  der  Vertikallinie  am  lateralen  Rande  des 
Putamens  aus,  das  Narbengewebe  erstreckt  sich  nur  einige 
m.m.  in  den  ventro-occipitalen  Abschnitt  des  Thalamus  hin- 
ein und  erreicht  nunmehr  nur  das  mediale  Ende  des  inneren 
Kniehöckers.  Das  Narbengewebe  vermindert  sich  und  misst 
bald  nur  3  m.m.  in  der  Breite  da,  wo  es  die  innere  Kapsel 
von  der  occipitalen  Strahlung  trennt.  Die  Narbe  berührt  den 
frontalen  Rand  des  inneren  Kniehöckers,  hat  aber  das  Gang- 
Hon  nicht  in  den  pathologischen  Prozess  hineingezogen;  der 
äussere  Kniehöcker  ist  unberührt,  der  rote  Körper,  (Fig.  7  = 
II,  179)  kaum,  wohl  aber  das  occipitale  Ende  des  Luys'schen 
Körpers. 

Man  hat  sich  nun  dem  Boden  der  Cyste  genähert ;  hier  exi- 
stirt  die  Cyste  nur  noch  am  Aussenrande  des  Putamens,  das  Nar- 
bengewebe durchsetzt  nunmehr  nur  zum  Teil  den  hinteren  Ab- 
schnitt des  Putamens  ohne  das  Ende  zu  zerstören,  und  hat  auch 
das  occipitale  Ende  des  Globus  paüidus  in  ganz  geringer  Aus- 
dehnung geschädigt. 

Noch  tiefer,  in  der  Höhe  des  Tractus,  liegt  die  Cyste  an 
der  Aussenseite  des  Tractus,  ohne  diesen  zu  durchschneiden 
(II.  III.)  (Fig.  9.)  oder  zu  usuriren,  und  in  der  Höhe  der 
Vereinigung  des  Tractus  mit  dem  Kniehöcker  findet  man  einen 
Ausläufer  der  Cyste  am  lateralen  Rande  der  äusseren  Kapsel 
8  m.m.  lateral  vom  Tractus  (Präp.  II.  82  =  Fig.  10).  Die 
Cyste  dringt  nach  unten  bis  in  die  Substantia  perforata  ein. 

Die  Schnitte  bieten  dann  nichts  Pathologisches  mehr  dar. 

Rückblick.  Aus  der  eben  gegebenen  Beschreibung 
der  Lage  der  Cyste  und  des  sie  umgebenden  Gewebes  geht 
also  hervor,  dass  die  Cyste,  welche  an  der  klassischen  Stelle 
im  hinteren  Abschnitte  des  Nucleus  caudatus  an  der  Fissura 
chorioidea  nach  einer  Ha;morrhagia  cerebri  entstanden  ist, 
von  diesem  Punkte  sich  teils  nach  aussen  bis  zur  Oberfläche 
der  Inselrinde,  teils  nach  vorn  bis  zum  lateralen  Rand  der 
Capsula  externa  und  vor  allem  niedialwärts  hin  erstreckt. 
Dabei  nimmt  sie  auch  eine  quere  Richtung  und  durch- 
bricht sowohl  das  Putamen,  die  Capsula  interna  und  den  hin- 
teren Abschnitt  des  Thalamus  und  erreicht  die  mediane  Wand 
dieses  Ganglions  am  Ganglion  habenulae.  Dadurch  sind  die 
eben  genannten  Teile  zerstört,  der  dorsale  Abschnitt  des  Pul- 
vinars  atrophirt  und  das  occipitale  Ende  des  Luys'schen  Kör- 
pers verändert. 

Durch  die  Cyste  sind,  wie  durch  ein  Experiment,  der 
hintere  Abschnitt  der  Capsula  interna  und  in  dieser  Frontal- 
ebene liegende  Teile  des  Thalamus  und  das  Corpus  lenti- 
forme  von  oben  bis  zur  Höhe  des  Tractus  quer  durchschnit- 
ten. Tractus  opticus  und  Corpora  ^eniculata  soxvie  der  ven- 
trale Abschnitt  des  Pulvinars  sind  dabei  nicht  getroffen. 

Obwohl  aus  dieser  Beschreibung  der  Cyste  hervorgeht, 
welche  Teile  überhaupt  geschädigt  oder  zerstört  worden  sind, 
dürfte  eine  eingehendere  Beschreibung  lehrreich  sein. 


Nucleus  caudatus. 
Fig.  I.  2  zeigen,  dass  er  nur  in  seinem  occipitalen  Abschnitt 
getroffen  ist,  nämlich  gegenüber  der  in  der  Fig.,  Taf.  XIV  sicht- 
baren Öffnung  der  Cyste.  Hier  ist  das  Ganglion  in  einer  Aus- 
dehnung von  etwa  10  m.m.  in  Bindegewebe  verwandelt.  Der 
frontale  Abschnitt  (Fig.  i.  2  Taf.  XIII)  ist  völlig  normal. 

Thalamus  opticus. 
Der  Cyste  gegenüber  ist  der  Thalamus,  wie  die  Fig.  i.  Taf. 
XIV  zeigt,  eingesunken.  Der  dorsale  Abschnitt  bildet  das  Dach 
der  Cyste  und  ist  wie  erwähnt  in  einer  Ausdehnung  von  etwa 
I  cm.  völlig  degenerirt,  Nervenzellen  und  Nervenfasern  fehlen 
hier.  Die  Ausdehnung  dieser  Veränderung  tritt  in  den  Fig.  2  —  6 
hervor.  Aus  der  oben  gegebenen  Beschreibung  der  Ausdehnung 
der  Cyste  lässt  sich  entnehmen,  in  welcher  Ausdehnung  der  Thala- 
mus zerstört  ist.  Daraus  geht  also  hervor  (vgl.  die  Fig.  3 — 4), 
dass  der  Thalamus  hinter  der  Frontalebene  des  Ganglion  habenulae 
in  seinem  dorsalen  Teil  völlig  degenerirt  oder  selbst  zerstört  ist. 

Der  dorsale  Abschnitt  (Fig.  i — 4). 
Die  frontale  Hälfte  zeigt  dagegen  im  Ganzen  eine  normale 
Beschaffenheit. 

Fasern:  die  frontale  Einstrahlung  ist  gut  entwickelt,  ihre 
Fasern  intensiv  gefärbt,  nicht  varikös. 

Die  mittlere  Einstrahlung  ebenso  bis  zur  Grenze  der  Narbe. 

Die  Fasernetze  sind  schön  und  die  Zellen  ohne  deutliche 
Veränderung. 

Die  Gitterschicht  reichlich  bis  zur  Grenze  der  Cyste. 

Der  mittlere  Abschnitt  (Fig.  5 — 6). 
Hier  tritt  das  degenerirte  Pulvinar  auf  Die  Cyste  dringt 
bis  zum  Ganglion  habenulse  ein  und  hier  tritt  eine  neue  kleine 
(3+1)  m.m.  hämorrhagische  Cyste  nahe  der  Mediallinie  auf. 
Durch  diese  letztere  ist  hier  der  Nucleus  internus  fast  in  seiner 
ganzen  Ausdehnung  degenerirt,  wenn  auch  einzelne  Faserbündel 
noch  erhalten  geblieben  sind.  Dagegen  ist  der  Nucleus  externus 
gut  erhalten  (bis  zum  Rande  der  grossen  Cyste)  (Fig.  5).  Schon 
etwa  I  m.m.  mehr  ventralwärts  hat  die  kleine  Cyste  nicht  mehr 
auf  das  Gewebe  eingewirkt.  Indessen  ist  durch  die  Einwirkung 
der  beiden  Cysten  der  Thalamus  etwas  geschrumpft,  was  sich 
besonders  auch  dadurch  kennzeichnet,  dass  die  mediale  Wand 
etwas  konkav  ist. 

Ventraler  Abschnitt. 

Weiter  nach  unten  vermindert  sich  nach  und  nach  die 
Cyste  und  das  umgebende  atrophische  Gewebe  wird  von 
normalem  Nervengewebe  ersetzt.  Der  occinitale  Abschnitt  (das 
Pulvinar)  nähert  sich  dabei  dem  frontalen  Teile  des  Thalamus, 
aber  immer  bis  auf  den  Tractus  opticus  ist  das  hintere  Drittel 
der  Capsula  interna  von  der  Cyste  durchschnitten  und  durch 
das  umgebende   Gewebe  mehr  oder  weniger  vollständig  ersetzt. 

In  der  Horizontalebene  der  hinteren  Kommissur  misst  die- 
ser Defekt  an  Horizontalpräparaten  5  m.m.  (Fig.  6).  Nach  aus- 
sen sind  sowohl  die  occipitalen  Abschnitte  des  Putamens  als  des 
Globus  pallidus  dadurch  abgeschnitten.  Nach  innen  dringt  die 
Veränderung  bis  zur  Insertion  der  Kommissur  vor.  Das  Pul- 
vinar ist  nur  am    frontalen   Rande  berührt.    Das  Thalamusge 


92 


S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


webe  zeigt  hier  fortdauernd  im  Nucleus  externus  die  radiäre  An- 
ordnung der  einstrahlenden  Bündel.  Alle  diese  radiären  Bündel 
enthalten  normale  Fasern.  Dagegen  giebt  es  selbst  im  frontalen 
Abschnitte  zahlreiche  äusserst  variköse  Fasern  (degenerirte '?), 
welche  zwischen  diesen  Bündeln  liegen. 

Die  Frontalstrahlung  hat  normale  Fasern. 

Der  Vicq  d'Azyr'sche  Mammillarschenkel  ist  normal. 

Trigonum  haboiidcc.  Da  die  Läsion  im  Winkel  zwischen 
dem  medialen  Rand  des  Pulvinars  und  Trigonum  habenul« 
fast  bis  zur  Ventrikelwand  vorgedrungen  ist  und  hier  nur  durch 
eine  i-m.m.  dicke  Brücke  atrophischen  Gewebes  von  dem  Ven- 
trikel getrennt  ist  und  ebenso  nur  i  m.m.  von  Ganglion  habe- 
nulse  entfernt  bleibt,  so  sind  sowohl  Fasern  wie  Zellen  dieses 
Ganglions  durch  die  Läsion  in  hohem  Grade  affizirt. 

Die  Fasern  sind  im  Ganzen  in  der  Nähe  der  Läsion  spär- 
lich; es  ist  ein  bedeutender  Faserschwund  vorhanden  und  auch 
die   im  Trigonum  liegenden  Zellen  scheinen  atrophisch  zu  sein. 

Die  Stria  mediiUaris  ist  fast  verschwunden  und  der 
Rand  des  Thalamus  ist  hier  konkav  und  blass,  aber  etwa  0,5 
m.m.  innerhalb  der  Ventrikelwand  ist  ein  nach  vorn  ziehendes 
Faserbündel  noch  vorhanden. 

Ptilvinar. 

Wie  schon  erwähnt  fehlt  der  dorsalste  Abschnitt  des  Pul- 
vinars vollständig  (Fig.  2  —  3),  der  zunächst  liegende  ist  zum  Teil 
zerstört,  zum  Teil  in  atrophisches  Bindegewebe  umgewandelt 
(Fig.  4 — 5).  Der  dann  folgende,  also  in  der  Ebene  der  Commis- 
sura  posterior,  hat  normales  Aussehen.  Sein  occipitaler  Rand  ist 
kaum  geschrumpft  (Fig.  6). 

Fasern.  Das  Stratum  zonale  ist  gut  entwickelt.  Seine 
Fasern  sind  varikös  und  erscheinen  etwas  dünn  und  schwach 
gefärbt  (Fig.  6). 

Die  tiefer  liegenden  resp.  mehr  frontalen  Fasern  sind  recht 
zahlreich  und  obschon  auffallend  varikös  jedoch  im  Ganzen  er- 
halten und  normal.  Den  Verlauf  dieser  Fasern  kann  man  an 
einer  grösseren  Anzahl  von  Präparaten  besonders  leicht  verfol- 
gen, lateralwärts  bis  zur  lateralen  Kapsel  des  Pulvinars,  wo  eine 
Anzahl  Fasern  sich  in  die  Kapsel  einwebt  (Fig.  6).  Andere  be- 
sonders mehr  occipitale  strahlen  in  die  Sehstrahlung  occipital- 
wärts  ein.  Dieselben  Bündel  verlaufen  medialwärts  in  den  Col- 
liculus  anterior  ein  und  strahlen  hier  in  die  verschiedenen  Schich- 
ten dieses  Ganglions  ein.  Ihre  Ausbreitung  hier  ist  sehr  leicht 
zu  verfolgen.  Die  mehr  frontal  liegenden  Fasern  liegen  auch  im 
Colliculus  mehr  frontal  u.  s.  w. ;  die  Fasern  breiten  sich  also 
ziemlich  gleichmässig  sowohl  in  das  Stratum  zonale,  opticum  (in 
seine  drei  Schichten)  und  ins  Stratum  lemnisci  aus.  Die  frontalen 
streben   nach   der  Kommissur  hin  und  dürften  in  sie  gelangen. 

An  höher  (mehr  dorsal)  gelegenen  Schnitten,  wo  diese  Fa- 
sern im  Pulvinar  fehlen  oder  schwach  vertreten  sind,  scheint 
auch  die  occipitale  Strahlung  schwach  zu  sein. 

Ob  nun  einige  von  diesen  Bündeln,  welche  die  laterale 
Kapsel  des  Pulvinars  bilden,  nach  unten  schwenken  und  dann 
in  den  Tractus  opticus  gelangen  lässt  sich  nicht  entscheiden. 

Die  Zellen  sind  wenigstens  zum  Teil  normal,  scharf  kontur- 
irt  und  eckig,  aber  pigmentirt. 

Der  vejitrale  Ahsclmitt.    Hier  ist  das  Gewebe  völlig  nor- 


mal. Die  Fasern:  Die  Bündel  sind  sehr  zahlreich  und  kräftig 
entwickelt;  und  ihre  Fasern  intensiv  gefärbt  und  kaum  varikös. 
Die  Fasernetze  zahlreich  und  schön  (Fig.  7  —  9). 

Die  Zellen  zwar  pigmentirt,  aber  sonst  normal.  Die  late- 
rale Kapsel  ist  wie  das  Stratum  zonale  stark  entwickelt. 

Das  Ganglion  geniculatum  internum  misst  etwa 
5-1-3  m.m.  auf  den  Horizontalschnitten.  Fasern:  die  oberfläch- 
liche Kapsel  ist  dick  und  enthält  stark  gefärbte  Fasern.  Die 
Bündel  im  Inneren  des  Ganglions  sind  auch  gut  entwickelt  und 
tief  schwarz  gefärbt;  die  Fasern  etwas  varikös.    Zellen  gross. 

Also:  normal. 

Das  Ganglion  geniculatum  externum  wird  von 
der  Cyste  oder  dem  atrophischen  Gewebe  nicht  berührt.  In 
den  dorsalen  Teilen:  die  Form  und  Grösse  ist  normal.  Fasern: 
die  occipitale  und  occipito-laterale  sowie  occipito-mediale  und 
frontale  Kapsel  gut  entwickelt.  Besonders  ist  die  occipito-late- 
rale (nach  der  Sehstrahlung)  kräftig.  Markstrahlen  und  Fasern 
im  Inneren  sehr  reichlich. 

Zellen:  die  Randzone:  die  grossen  Zellen  normal,  an  Zahl 
und  Grösse.  Im  Inneren:  die  kleinen  Zellen  zahlreich  vorhan- 
den, erscheinen  normal. 

Die  mediale  Wurzel  des  Tractus  ist  stark  gefärbt  und  ihre 
Fasern  sind  normal. 

Der  Traetiis  selbst  ist  von  der  Cyste,  obschon  sie  bis  zu 
seiner  dorsalen  Oberfläche  vordringt,  gar  nicht  berührt.  Er  ist 
dick,  intensiv  gefärbt  und  hat  normale  Fasern. 

Linse  nkörper. 

Wie  schon  beschrieben,  ist  dieses  Ganglion  in  seinem  hin- 
teren Abschnitt  von  der  Cyste  überlagert  und  dadurch  verklei- 
nert. Wo  die  Läsion  liegt,  ersieht  man  am  besten  an  den  Fig. 
I  —  8.  Die  Läsion  liegt  in  dorsalen  Schnitten  an  dem  hinteren 
Ende  des  Putamens,  in  ventralen  etwas  vor  dem  Ende,  und  die 
occipitale  Spitze  bleibt  deshalb  hier  unversehrt. 

In  mehr  ventralen  Schnitten  ist  auch  der  Globus  pallidus 
am  hinteren  Ende  etwas  getroffen. 

Das  Putamen  ist  in  der  Nähe  der  Cyste  deutlich  in  Dege- 
neration begriffen;  die  Zellen  sind  daselbst  in  Körnchenmassen 
umgewandelt.    Weiter  nach  vorn  ist  das  Gewebe  normal. 

Die  Capsula  externa  ist  in  Folge  der  Ausdehnung  der 
Cyste  (s.  die  Fig.  3  —  6)  in  weiterer  Ausstreckung  degenerirt. 

Globus  pallidus  ist  im  Ganzen  von  der  Cystenbildung 
nicht  berührt,  nur  seine  hintere  Spitze  ist  in  einer  Länge  von 
höchstens  etwa  2  m.m.  dadurch  zerstört. 

Die  Fasern  im  Innern  sowie  in  den  Kapseln  (Laminse) 
sind  reichlich  und  intensiv  gefärbt,  aber  in  frontalen  Abschnitten 
stark  varikös.  Die  durch  die  innere  Kapsel  verlaufenden  Ver- 
bindungen mit  dem  Luys'schen  Körper  sind  zahlreich  und  an- 
scheinend normal;  nur  ihre  oecipitalsten  Fasern  sind  zerstört. 

Im  ventralsten  Abschnitte  ist  das  Fasernetz  sehr  dicht  und 
intensiv  gefärbt;  hinten  an  der  Cystenbildung  ist  jedoch  dieses 
Netz  in  kleiner  Ausdehnung  geschädigt.  Vorne  schlägt  es  sich 
mit  kräftigen  Bündeln  um  den  Pes  herum. 

Die  Ansa  lenticularis  scheint  kaum  geschädigt. 

Luys'  Körper.    Dieses  Ganglion  ist  im  Ganzen  völlig  nor- 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


93 


mal.  Seine  Kapsel  ist  recht  gut  entwickelt,  das  Fasernetz  im  In- 
neren reichlich  mit  intensiv  gefärbten  Fasern. 

Die  Zellen  gross,  scharf  konturirt,  blass.  Dagegen  ist  der 
occipitale  Pol,  welcher  vor  der  Cystenbildung  liegt,  blasser,  hat 
spärlichere  Fasern,  scheint  aber  sonst  auch  recht  gut  erhalten 
zu  sein. 

Nucleus  ruber. 

Der  Nucleus  ruber  selbst  wird  von  der  Cyste  nirgends 
berührt,  wohl  aber  die  ihn  an  dem  occipito-lateralen  Umfange 
begrenzenden  Bündel  d.  h.  die  Haubenstrahlung  des  roten  Kör- 
pers. Diese  wird  in  einer  Entfernung  von  i  — 1,5  m.m.  vom 
Ganglion  durchschnitten  und  ist  in  der  Richtung  gegen  die  Cap- 
sula interna  völlig  vernichtet  und  zwar  sowohl  an  mehr  dorsa- 
len als  an  mehr  ventralen  Schnitten.  An  einer  Anzahl  von  Prä- 
paraten ist  deshalb  auch  die  latero-occipitalc  Kapsel  auffallend 
schwächer  als  normal,  aber  die  zurückgebliebenen  Fasern  sind 
intensiv  gefärbt  und  keineswegs  varikös. 

Die  mediale  und  frontale  Kapsel  des  Ganglions  ist  kräftig 
mit  intensiv  gefärbten  Fasern;  nur  die  Bündel  zwischen  dem  ro- 
ten und  dem  Luys'schen  Körper  werden  weniger  dicht  und  zahl- 
reich in  dem  Masse  sie  sich  dem  pathologischen  Herd  nähern. 

Der  ventrale  Abschnitt  des  Ganglions  wird  von  der  Läsion 
überhaupt  gar  nicht  berührt.  Das  Ganglion  selbst  hat  normales 
Aussehen,  die  Bündel  sind  kräftig  und  die  Fasern  intensiv  ge- 
färbt, das  Nervennetz  auch  normal  und  die  Zellen  gross,  nicht 
pigmentirt  mit  scharfer  Kontur. 

Corpora  4-gemina. 

Brachintn  anteriiis.  Die  Läsion  (d.  h.  die  Cyste  und  das 
sie  umgebende  atrophische  Gewebe)  ist  bis  zum  Brachium  vor- 
gedrungen, hat  es  aber  nicht  durchs  .hnittten ;  die  Fasern  sind 
reichlich  und  normal  und  breiten  sich  in  den  oberflächHchen 
Schichten  (Stratum  zonale,  Cappa  und  Str.  opticum)  aus  (Fig.  6). 
Man  kann,  wie  schon  erwähnt,  den  Verlauf  dieser  Fasern  bis  in 
die  occipitale  Strahlung  genau  verfolgen. 

Colliculiis  anterior. 

Stratum  zonale:  ist  gut  entwickelt;  mit  normalen  Fasern. 

Cappa  cinerea  enthält  eine  normale  Anzahl  von  Fasern; 
letztere  sind  normal. 

Stratum  opticitm:  Fasern  zahlreich  und  normal. 

Das  Stratum  Lcmnisci  enthält  zahlreiche  normale  Fasern. 

An  dorsalen  Schnitten  kann  man  deutlich  verfolgen,  wie 
alle  Fasern  dieser  Schichten  dann  durch  das  Brachium  anterius 
lateralwärts  durch  das  Pulvinar  ziehen  um  dann  in  die  occipi- 
tale Strahlung  einzulaufen. 

An  mehr  ventralen  Schnitten  sieht  man  wie  Fasern  aus 
diesen  Schichten  durch  den  inneren  Kniehöcker  in  der  Richtung 
gegen  den  oberen  Abschnitt  des  äusseren  Kniehöckers  ziehen. 

Brachiinn  posterius  scheint  normal  zu  sein. 

Colliculus  posterior. 
Stratum  zonale  normal. 

Nucleus.  Zahlreiche  Faserbündel  ziehen  sowohl  in  radiärer 
wie  cirkulärer  Richtung  um  und  in  das  Ganglion. 

Der  Colliculus  scheint  also  ganz  normal  zu  sein. 


Capsula  interna. 
Sie  ist  in  ihrem  hinteren  Drittel  durch  die  Cyste  zerstört 
und  durch  atrophisches  Gewebe  ersetzt.  Wie  breit  der  Defekt 
ist,  lässt  sich  kaum  mehr  exakt  bestimmen,  da  eine  Narbenre- 
traktion  eingetreten  ist.  Im  mittleren  Abschnitte  ist  die  Läsion 
am  grössten,  im  dorsalen  auch  gross  und  im  ventralsten  am 
kleinsten. 

Dorsaler  Abschnitt. 

An  den  dorsalsten  Schnitten  (Fig.  3)  in  der  Höhe  des 
Nucleus  caudatus  misst  die  Narbe,  welche  hier  die  Corona  ra- 
diata  trifft,  wenigstens  13  m.m.  in  sagittaler  Richtung  und  er- 
streckt sich  von  der  Ventrikelwand  bis  in  die  Inselrinde;  die 
Zerstörung  ist  vollständig. 

In  der  Ebene,  wo  die  ersten  Spuren  vom  Putamen  auftre- 
ten, liegt  die  Läsion  an  seinem  hinteren  Ende  und  hat  etwa 
dieselbe  Grösse  (cirka  1,3  cm.  in  sagittaler  Richtung). 

Weiter  nach  unten,  wo  die  Capsula  interna  deutlich  ist, 
hat  die  Zerstörung  dieselbe  Grösse  (Fig.  4).  Auch  die  occipi- 
tale Strahlung  in  den  Thalamus  ist  hier  gänzlich  zerstört.  Da- 
durch erscheint  die  krankhafte  Veränderung  der  Capsel  noch 
grösser. 

Erst  an  den  Präp.  in  der  Ebene  des  Ganglion  habenulje 
treten  die  ersten  Spuren  von  Fasern  in  der  occipitalen  Strahlung 
hervor  (Fig.  5.  III.  62).  Die  Lücke  zwischen  dieser  und  dem 
frontalen  erhalten  gebliebenen  Abschnitt  der  Capsula  interna 
beträgt  12  m.m.  und  ist  durch  Narbengewebe  ersetzt,  in  welchem 
Fasern  gänzlich  fehlen. 

An  den  folgenden  Schnitten  vermindert  sich  diese  Lücke 
und  an  Präparaten  in  der  Höhe  der  Oberfläche  des  Colliculu- 
anterior  (Präp.  III.  37)  (also  etwa  i  m.m.  mehr  ventral)  ist  sie 
9  m.m.  breit  (in  sagittaler  Richtung).  Nun  vermindert  sich  die 
Narbe  schnell  und  da  wo  der  Luys'sche  Körper  auftritt  (III.  i. 
also  etwa  i  m.m.  weiter  ventralwärts)  misst  die  Lücke  nur  3 
m.m.  (Fig.  7).  Die  occipitale  Strahlung  hat  sich  nach  vorn 
verlängert.  Diese  Lücke  entspricht  recht  genau  dem  hinteren 
Pole  des  Luys'schen  Körpers  und  umfasst  also  den  hintersten 
Abschnitt  der  inneren  Kapsel.  Der  frontale  Rand  der  Lücke  liegt 
hier  14  m.m.  occipital  vom  frontalen  Rande  der  inneren  Kapsel. 

Die  vom  Globus  pallidus  zum  Luys'schen  Körper  verlau- 
fenden, die  Kapsel  durchsetzenden  Fasern  sind  hier  atrophisch. 

Ventraler  Abschnitt. 

Wir  sind  hier  fast  an  die  Formation  des  Pes  angelangt. 
An  der  Grenze  zwischen  Capsula  interna  und  dem  Pes  ist  die 
Lücke  keilförmig,  breiter  nach  aussen  (3  m.m.)  und  schmaler 
nach  innen  (i  m.m.),  aber  durchsetzt  noch  die  Kapsel  in  ihrer 
ganzen  Breite.  Hier  liegen  zwischen  der  Läsion  und  dem  äus- 
seren Kniehöcker  noch  erhaltene  Fasern  in  einer  Breite  von 
1,5—2  m.m.  (Fig.  8).  Diese  Fasern  hängen  deutlich  mit  der 
occipitalen  Strahlung  zusammen  und  können  in  Anbetracht  der 
Form  und  Breite  nicht  als  zur  inneren  Kapsel  gehörig  betrach- 
tet werden.  Occipital  von  diesem  2  m.m.  breiten  Bündel  liegt 
die  Kapsel  des  äusseren  Kniehöckers  (Fig.  8).  Noch  weiter 
ventralwärts  liegt  zwischen  dem  Pes  und  der  medialen  Wurzel 
des  Tractus  opticus  (Fig.  9)  ein  i  m.m.  breites  Feld  von  atro- 
phischem  Gewebe,  welches  hier  den  Pes  durchsetzt. 

Dieser  Streifen  ist  also  der  ventrale  Ausläufer  der  Läsion. 


94  S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Rückblick.  Aus  der  Beschreibung  geht  also  hervor, 
dass  der  occipitale  Abschnitt  der  Capsula  interna  von  oben 
bis  nach  unten  zerstört  ist.  Oben  misst  die  Narbe  i  cm., 
wird  dann  etwa  1,3  cm.  und  wird  im  ventralen  Teil  immer 
schmäler.  Tm  ventralsten  Abschnitt  tritt  ein  etwa  2  m  m.  brei- 
tes Band  von  Bündeln  auf,  welche  von  der  occipitalen  Strahl- 
ung in  den  Pes  einstrahlen.  Dagegen  ist  der  occii^itale  Ab- 
schnitt der  eigentlichen  Capsula  interna  von  oben  nach  unten 
vollständig  zum  Schwund  gebracht. 

Der  rechte  Occipito-parietal-lappen. 

Für  die  mikroskopische  Untersuchung,  ob  auch  in  der  Seh- 
strahlung  eine  secundäre  Atrophie  vorhanden  wäre,  wurde  das 
Occipitalhirn  in  eine  grössere  Serie  von  frontalen  Schnitten  zer- 
teilt, welche  nach  Weigert  gefärbt  wurden. 

In  den  frontalsten  von  diesen  Schnitten,  wo  noch  die  Bal- 
kenfaserung  zu  sehen  war  und  welche  Schnitte  etwa  6  c.vi.  vor 
der  Occipitalspitze  liegen,  wurden  in  der  dorsalen  Partie,  ent- 
sprechend der  Höhe  des  Balkens  zwei  atrophische  Flecken  wahr- 
genommen. Der  mehr  dorsale  misst  etwa  3  m.m.  und  liegt  in 
der  Höhe  der  oberen  Fläche  des  Balkens,  also  etwas  höher  als 
der  höchste  Punkt  des  Hinterhorns,  der  mehr  ventrale  etwa  in 
der  Höhe  der  unteren  Fläche  des  Balkens  und  misst  etwa  4 
m.m.  in  der  Breite,  3  in  der  Höhe.  Das  Gewebe  ist  in  diesen 
Flecken  in  Folge  des  Schwunds  einer  grösseren  Anzahl  von  Ner- 
venbündeln mehr  durchsichtig  als  in  der  Umgebung.  Die  Atro- 
phie liegt  zwar  vorzugsweise  in  der  mittleren  Schicht  des  verti- 
kalen Marks  aber  dehnt  sich  auch  in  die  äussere  longitudinale 
Schicht  aus  und  wird  übrigens  von  zahlreichen  Associationsfasern, 
welche  aus  dem  Balken  kommen,  durchzogen. 

Diese  zwei  atrophischen  Flecken  scheinen  nach  hinten  und 
oben  zusammenzufliessen. 

Die  ScJinittc  etwa  5,  4,  j  und  2  cm.  zeigten  in  der  Seh- 
strahlung keine  Veränderung,  mit  Ausnahme  in  der  Serie  5  cm., 
wo  in  der  Höhe  des  Balkens  einige  suspecte  Flecken  von  Atro- 
phie vorkamen. 

Die  Rinde  der  Fissitra  calcarina  scheint  völlig  normal  zu 
sein.  Die  Dicke  war  die  gewöhnliche,  die  einstrahlenden  radiä- 
ren Bündel  zahlreich  mit  intensiv  gefärbten  Fasern,  der  Vicq 
d'Azyr'sche  Streifen  war  gut  markirt  und  intensiv  gefärbt.  Die 
Zellen  zeigen  keine  deutliche  Atrophie  und  das  Stroma  hat  nor- 
male Durchsichtigkeit  und  Körnigkeit. 

Also:  keine  deutliche  Atrophie  in  der  Sehstrahlung  oder 
der  Rinde  des  Occipitallappens  (resp.  Fissura  calcarina). 

Schnitte  etwa  2  cm.  vor  der  Spitze.  Die  Sehstrahlung 
zeigte  nichts  Abnormes. 

Dagegen  wurde  bemerkt,  dass  an  einer  Anzahl  von  Prä- 
paraten die  Rinde  zwischen  dem  Vicq  d'Azyr'schen  Streifen 
und  dem  Mark  durchsichtiger  ist  als  sonst  der  Fall.  An  den 
Präp.  nach  Weigert  kann  ich  sonst  Veränderungen  nicht  wahr- 
nehmen. 

Medulla  oblongata. 
Die  Hatiptschleife  (Fig.  2.  Taf  XIV)  ist  links  völlig  nor- 
mal   sowohl   in   ihren   medialen,   mittleren   und  lateralen  Ab- 
schnitten.   Wenn   man  damit  die  rechte  Schleife  vergleicht,  so 
findet  man  an  einem  Schnitte  etwas  unterhalb  des  Trochlearis- 


kerns  folgendes.  Die  rechte  Schleife  ist  überhaupt  höchst  atro- 
phisch. In  einer  Ausdehnung  von  4  m.m.  von  der  Mittellinie 
finden  sich  nur  einige  kleine  Bündel  mit  graugefärbten  Fasern; 
dann  liegt  eine  Sammlung  von  intensiv  gefärbten  Nervenbündeln, 
welche  zusamman  etwa  2  m.m.  in  der  Breite  (frontal),  und  etwa 
0,75  m.m.  in  der  Dicke  messen.  Lateral  von  diesem  Fascikel, 
entsprechend  dem  lateralen  Abschnitte  der  linken  Schleife,  ist  die 
Atrophie  wieder  sehr  ausgeprägt.  An  homologer  Stelle  misst  die 
linke  Schleife  1.50  m.  m.;  aber  ausserdem  ist  die  rechte  graublau, 
die  linke  blauschwarz ;  in  der  rechten  finden  sich  noch  zahlreiche 
Nervenfasern,  aber  diese  liegen  nicht  dicht  an  einander,  sondern 
die  einzelnen  Fasern  sind  durch  Bindegewebe  von  einander  ge- 
trennt, während  in  der  linken  die  Fasern  dicht  an  einander  lie- 
gen. Dadurch  gewinnt  der  Durchschnitt  rechts  eine  graue  Farbe, 
während  er  links  dunkelblau-schwarz  erscheint. 

Die  laterale  Schleife  ist  vielleicht  auch  rechts  etwas  schma- 
ler als  links (?). 

Weiter  nach  unten. 

Hier  tritt  auch  die  Atrophie  der  rechten  Schleife  deutlich 
hervor,  aber  die  genauere  Lokalisation  der  Atrophie  innerhalb  der 
Hauptschleife  ist  schwieriger  zu  bestimmen;  der  Faserausfall  ist 
am  deutlichsten  bei  der  Mittellinie  und  im  ventralen  Abschnitt 
der  Schleife  (s.  Fig.  3). 

In  der  Höhe  der  Oliven.  (Fig.  4.)  Hier  tritt  sowohl  der 
Unterschied  zwischen  links  und  rechts  wie  auch  die  Lokalisation 
besonders  deutlich  hervor.  An  der  Raphe  kann  man  in  den  dor- 
salsten etwa  1,5  m.m.  keine  Differenz  in  der  Farbenintensität  unter- 
scheiden, dann  wird  deutlich  die  Schleife  rechts  bleicher  und  fa- 
sernärmer ;  je  mehr  ventralwärts,  desto  deutlicher  tritt  der  Unter- 
schied in  der  Farbenintensität  hervor,  und  in  der  Höhe  des  dor- 
salen Blattes  der  rechten  Olive  ist  die  Schleife  rechts  auffallend 
blass  und  auch  schmaler  als  links.  Entsprechend  dem  ventralen 
Blatte  der  Olive  ist  die  rechte  Schleife  wohl  etwa  nur  '/2  der 
linken  und  die  Fasern  sind  hier  nur  spärlich,  links  aber  zahl- 
reich. Überall  finden  sich  jedoch  gleichförmig  gestreute  inten- 
siv gefärbte  Fasern. 

Die  inneren  radiären  Fasern  (Fibrje  arcuatje  internse)  sind 
beiderseits  recht  zahlreich,  links  spärlicher  als  rechts. 

Die  Fyraniidenbalin.  Sowohl  im  Pons  wie  in  der  Pyramide 
ist  rechts  ein  bedeutender  Faserschwund  und  Atrophie  vorhanden. 
Deshalb  ist  die  ganze  rechte  Hälfte  des  Pons  vermindert.  Doch 
finden  sich  hier  einzelne  erhaltene  Bündel  und  nicht  wenige  einge- 
streute normale  Fasern. 

In  der  Pyramidenbahn  dagegen  ist  ein  fast  vollständiger 
Schwund  der  Nervenfasern.  Kaum  einige  sind  noch  erhalten, 
während  die  linke  Pyramidenbahn  normal  und  kräftig  ist. 

Nucleus  funiculi  cuneati  ist  rechts  auffallend  grösser 
als  links  und  in  ihn  strahlen  (resp.  gehen  aus)  zahlreiche  Fibrte 
arcuatcC  internje  und  bilden  am  lateralen  Rande  einen  dicken 
Saum,  während  der  linke  Kern  auf  etwa  — reducirt  ist, 
und  nur  wenige  Bündel  ein-  (resp.  aus-)strahlen. 

Nuclei  funicul.  gracilium  sind  an  Grösse  kaum  ungleich, 
aber  in  den  rechten  strahlen  recht  zahlreiche  Fibrse  arcuatae  in- 
ternse,  während  nur  wenige  in  den  linken  Kern  ein-  (resp.  aus-) 
strahlen. 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


95 


Sonst  findet  sich  kein  Unterschied  in  Grösse,  Farbeninten- 
sität oder  Faserreichtum  zwischen  links  und  rechts. 

Die  Oliven  sind  beiderseits  normal  und  gleich  gross.  Die 
eintretenden  Fasern  und  die  Fasernetze  sind  beiderseits  gleich 
stark. 

Corpora  restiformia  sind  beiderseits  intensiv  gefärbt. 
Epikrise. 

Kurzer  Krankenbericht.  Starke  neuropathische 
Belastung,  Alkoholiker.  Bekam  1876  eine  wahrscheinlich  pe- 
ripherische linksseitige  Facialisparese  und  1878  2o^j^  eine  Apo- 
plexie mit  kurzdauerndem  Bewusstseinsverlust  und  Zuckungen. 
Linksseitige  vollständige  Paralyse  und  Hemianästhesie.  Dann 
geringe  Besserung.  1891  ''/i  war  Fat.  klar.  Keine  Aphasie. 
Geruch  rechts  etwas  vermindert,  verminderte  Sehschärfe,  ocu- 
läre  Fehler  (s.  oben),  Sehfeld  etwas  eingeschränkt;  III.  IV. 
VI.  normal.  Anästhesie  links  im  Gesicht,  Arm  und  Bein. 
Parese  links,  unbedeutend  im  Gesicht,  fast  vollständig  im 
Arm,  stark  im  Bein.  Linksseitige  Kontraktur  mit  Dorsalklo- 
nus.  Starb  P'ebr.  1892.  Die  Sektion  zeigte  eine  hämorrha- 
gische Cyste  im  Thalamus  und  hinteren  Abschnitte  der  in- 
neren Kap.sel  sowie  konsekutive  Degeneration  der  Schleife 
und  der  Pyramidenbahn. 

Diagnose.  Art  der  Läsioii.  Der  Pat.  scheint  nur 
einen  Hirnschlaganfall  gehabt  zu  haben  und  z\\'ar  am  20. 
Nov.  1878.  Die  vorhergehende  Parese  des  rechten  Facialis 
scheint  eine  peripherische  gewesen  zu  sein.  Der  Hirnschlag 
wurde  schon  ante  mortem  als  eine  HjEmorrhagia  cerebri 
diagnosticirt,  und  diese  Diagnose  wurde  durch  die  Sek- 
tion bestätigt.  Es  fand  sich  nämlich  in  den  Wänden  der  in 
den  rechtsseitigen  Centraiganglien  befindlichen  Cyste  reich- 
liches Blutpigment  in  krystallinischen  Körnchen.  Die  Dia- 
gnose stützte  ich  auf  folgende  Momente:  verhältnismässig  ju- 
gendliches Alter  (46  Jahre),  nachgewiesener  Alkoholismus;  be- 
sonders jedoch  auf  die  Symptome  bei  dem  Anfalle.  Dieser 
trat  plötzlich  auf,  und  war  mit  Verlust  des  Bewusstseins  und 
Zuckungen  verbunden  ohne  deutlich  vorhergehende  Schwäche 
des  Herzens.  Endlich  war  bei  der  Untersuchung  kein  Zei- 
chen von  Degeneration  des  Herzens  vorhanden.  Aus  diesen 
Gründen  konnte  hier  eine  Thrombose  ausgeschlossen  werden. 
Die  Thrombose  der  cerebralen  Arterien  tritt  nämlich  vor- 
zugsweise bei  gleichzeitiger  Herzdegeneration  und  Arterio- 
sclerose  ein.  Diese  letztere  entwickelt  sich  selten  bei  ei- 
nem 46-jährigen  Manne.  Endlich  ist  die  Thrombose  selten 
mit  Zuckungen  verbunden,  und  nur  wenn  sie  ein  grösseres 
kortikales  Gebiet  umfasst,  ist  sie  vom  Verlust  des  Bewusst- 
seins begleitet.  Der  Schlaganfall  hatte  also  hier  alle  Charak- 
tere einer  Hämorrhagie. 

Locus  IcEsionis.  Die  vor  dem  Tode  gestellte  Lokaldia- 
gnose wurde  auch  durch  die  Sektion  bestätigt.  Die  Hä- 
morrhagie hatte  die  Capsula  interna  getroffen.  Die  kurz- 
dauernde Bewusstlosigkeit  deutete  auf  eine  nicht  zu  grosse 
Blutung  und  zwar  irgend  wo,  wo  eine  Ausgleichung  des  ge- 
steigerten intrakraniellen  Drucks  bald  stattfinden  konnte.  Eine 
solche  Stelle  ist  der  Thalamus  opticus,  weil  dieses  Ganglion 
nach  der  Mittellinie  hin  leicht  ausweichen  und  daselbst  die 
Cerebrospinalflüssigkeit  zum  Entweichen  bringen  kann.  In  der 


That  ist  die  Bewusstlosigkeit  bei  Thalamus-blutungen  ge- 
wöhnlich kurzdauernd,  wenn  diese  nicht  zu  gross  sind.  Die 
nachfolgende  mit  fast  vollständiger  Anästhesie  verbundene 
Paralyse  der  linken  Seite  deutete  auf  die  Capsula  interna  als 
Stelle  der  Blutung  hin. 

Sonst  hatte  der  Fall  an  und  für  sich  nichts  besonders 
charakteristisches.  Weder  Hemianopsie  noch  Oculimotorius- 
lähmung  waren  vorhanden.  Der  Fall  ist  ein  typischer  und 
gewöhnlicher.  Nichts  destoweniger  ist  er  won  grossem  Inter- 
esse und  geeignet  in  einigen  wichtigen  Beziehungen  die  all- 
gemeine Auffassung  über  den  Symptomenkomplex  bei  Her- 
den in  der  Capsula  interna  zu  korrigiren. 

Analyse  der  Symptome. 

PsycJie .  Den  Insult  bei  dem  Schlaganfalle  ausgenommen 
findet  sich  hier  keine  Störung  der  psychischen  Funktionen. 
Dies  zeigt,  dass  die  psychischen  Symptome  des  Insults  auf 
gesteigertem  Drucke  und  konsekutiven  Cirkulationsstörungen 
in  grösseren  und  entfernteren  Gebieten  beruhten. 

Dass  anderseits  selbst  eine  grössere  Zerstörung  im  Tha- 
lamus von  wenig  Belang  für  das  psychische  Leben  ist,  ist 
eine  längst  bekannte  Thatsache. 

Aphasie  kam  in  diesem  Falle  nicht  vor. 

Kranialnerven. 

I.  Geruch.  Obschon  hier  die  Capsula  interna  eben  im 
Carrefour  sensitif  rechts  zerstört  war,  war  der  Geruch  rechts 
schlechter  als  links.  Spricht  gegen  die  Lehre  von  »Garre 
four  sensitif». 

II.  Die  herabgesetzte  Sehschärfe  links  0,3,  rechts  0,4 
wird  zwar  aus  den  intraokulären  Fehlern  genügend  erklärt. 
Ophthalmoskopisch  merkbare  Veränderungen  fanden  sich  links 
im  Gebiete  der  Macula  lutea,  und  rechts  war  eine  beginnende 
Catarakt  vorhanden.  Unter  solchen  Umständen  liegt  kein 
zwingender  Grund  vor  die  verminderte  Sehschärfe  im  Zusam- 
menhang mit  der  intracerebralen  Läsion  zu  setzen,  wenn  auch 
die  Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen  werden  kann,  dass  diese 
Läsion  zur  Verminderung  der  Sehschärfe  beigetragen  haben 
könnte.  Jedenfalls  ist  es  bemerkenswert,  dass  die  Sehschärfe 
am  rechten  Auge,  wo  ein  beginnender  Catarakt  vorhanden 
war,  dessen  ungeachtet,  0,4  beträgt,  und  am  linken,  wo  ein 
Catarakt  fehlte,  nur  0,3. 

Der  vorliegende  I'all  ist  darum  von  grossem  Interesse, 
weil  einerseits  das  hintere  ^/s  der  Capsula  interna  total  zer- 
stört war,  anderseits  eine  Hemianopsie  nicht  vorlag.  Die 
Frage  nach  dem  Zusammenhang  der  Sehstörungen  mit  Lä- 
sionen der  inneren  Kapsel  ist  eine  noch  nicht  genügend  auf- 
geklärte, aber  gehört  zu  den  am  meisten  diskutirten  auf  dem 
weiten  Gebiete  der  Fragen  nach  den  Sehstörungen  bei  ce- 
rebralen Läsionen.  Es  ist  nicht  meine  Absicht  hier  tiefer 
in  dieses  Gebiet  einzudringen,  nur  möchte  ich  die  Konsequen- 
zen der  vorliegenden  thatsächlichen  Beobachtung  etwas  her- 
vorheben. 

Seit  langem  hatte  besonders  die  Charcot'sche  Schule  be- 
obachtet, dass  Läsionen  der  inneren  Kapsel  oft  von  Sehstör- 
ungen begleitet  sind  und  stellte  in  Folge  dessen  die  Lehre 


96 


S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


von  »Amblyopie  croisee»  auf,  eine  Lehre,  welche  einerseits 
zur  Hypothese  von  der  doppelten  Kreuzung  der  Opticusfa- 
sern,  anderseits  zur  Annahme  zweier  verschiedener  kortikaler 
Centren  —  das  eine  für  das  bilaterale  Sehen,  das  andere  für 
das  unilaterale  Sehen  führte. 

Die  dieser  Hypothese  zu  Grunde  liegenden  Beobacht- 
ungen waren  hauptsächlich  klinische  Daten  —  die  Coincidenz 
einer  Hirnläsion  mit  einer  »Amblyopie  croisee»  welche  ge- 
wöhnlich mit  gleichseitiger  Anästhesie  des  Auges  verbun- 
den war.  Nur  wenige  anatomische  Thatsachen  finden  sich 
als  Stütze  dieser  Lehre.  Fere  hat  diese  klinisch-anatomischen 
Fälle  in  seiner  bekannten  Arbeit,  —  »Troubles  fonctionels 
de  la  Vision»,  zusammengestellt  —  im  Ganzen  sind  diese  nur 
etwa  6.  In  diesen  Fällen  hat  man  eine  Läsion  in  oder  nahe 
dem  hinteren  Abschnitt  der  inneren  Kapsel  gefunden.  Mit 
Ubergehen  .späterer  Beobachtungen  von  Thomsen  und  Oppen- 
heim, welche  auch  die  Coincidenz  der  Amblyopie  mit  An- 
ästhesie bestätigen  konnten,  will  ich  nur  hervorheben,  dass 
noch  über  der  Lehre  von  der  »Amblyopie  croisee»  ein  Dun- 
kel liegt. 

Unter  solchen  Umständen  scheint  es  angemessen  jede 
diesbezügliche  genau  beobachtete  Thatsache  zu  publiciren  um 
Klarheit  zu  gewinnen,  welche  Sehstörung  eine  Läsion  der  in- 
neren Kapsel  verursacht.  In  dieser  Hinsicht  ist  der  vorlie- 
gende Fall  lehrreich.  Die  Natur  hat  hier  selbst  ein  Experi- 
ment gemacht,  schade  nur,  dass  der  Fall  nicht  von  Anfang 
an  verfolgt  werden  konnte.  Welche  Art  von  Sehstörung  der 
apoplektische  Insult  hervorgerufen  hatte,  weiss  man  nicht. 
Bei  der  von  mir  und  Herrn  Doktor  Gullstrand  gemachten 
klinischen  Beobachtung  war  die  Läsion  eine  konstante,  eine 
stillstehende.  Hier  ist  nun  die  Capsula  interna  in  ihrem  hin- 
teren Drittel  völlig  zerstört.  Die  Stelle  entspricht  einer  Li- 
nie, welche  vom  occipitalen  Ende  des  Putamens  bis  zum  Gang- 
lion habenulae  geht.  Eine  Cyste  und  das  dieselbe  umgebende 
völlig  atrophische  Gewebe  hat  das  Nervengewebe  ersetzt.  Die 
Folge  der  Zerstörung  bezüglich  der  Gesichtsfunktionen  war 
nun  keine  Hemianopsie,  wohl  aber  eine  deutliche,  aber  nicht 
hochgradige  koncentrische  Gesichtsfeldeinschränkung,  welche 
links  ein  wenig  grösser  war.  In  dieser  Hinsicht  spricht  der 
Fall  eine  unzweideutige  Sprache,  welche  um  so  wertvoller 
ist,  als  die  Läsion  die  Kapsel  und  zwar  in  aufiallender  Breite 
bis  auf  den  Tractus  durchschnitt  und  die  Gesichtsfeldbeschränk- 
ung keineswegs  als  hemianopisch  bezeichnet  werden  kann. 
Die  Beobachtung  dürfte  in  dieser  Hinsicht  entscheidend  sein 
—  es  treten  nicht  visuelle  Fasern  in  oder  diircJi  den  Jiintcreit 
Abschnitt  der  Capsida  ijiterna  ein. 

Da  anderseits  Fälle  mit  Hämorrhagie  in  der  inneren 
Kapsel  bisweilen  von  Hemianopsie  begleitet  sind,  so  wird  es 
notwendig  sein  zu  untersuchen,  unter  welchen  Verhältnissen 
diese  Hemianopsien  bei  Läsionen  der  Kapsel  auftreten  —  und 
zwar  besonders,  ob  sie  transitorisch  oder  permanent  sind. 

Ein  Bhck  auf  die  Figuren  i — lo  Taf.  XIII  überzeugt  bald 
davon,  dass  die  frontale  Hauptmasse  des  Thalamus  durch 
den  pathologischen  Process  vollständig  sowohl  vom  Pulvinar 
als  von  den  Ganglia  geniculata  und  den  Corpora  4-gemina 
getrennt  ist.  Diese  Trennung  ist  in  der  That  so  vollständig 
wie   man  es  überhaupt  nur  wünschen  kann.    Ausserdem  ist 


der  dorso-occipitale  Abschnitt  des  Thalamus  destruirt.  Da 
man  nun  überhaupt  keine  Verbindungen  zwischen  dem  fron- 
talen Teil  des  Tractus  und  dem  Thalamus  opticus  kennt,  so 
dürfte  wohl  der  Schluss  nicht  unberechtigt  erscheinen,  dass 
überhaupt  Thalamus  opticus  (Pulvinar  ausgenommen,  wovon 
unten)  visuelle  Fasern  nicht  empfängt  und  also  kein  Sehgang- 
lion ist.  Seine  Bezeichnung  »opticus»  ist  folglich  missleitend 
und  der  Name  »Thalamus  centralis»  sowohl  von  anatomischem, 
physiologischem  und  selbst  pathologischem  Gesichtspunkte 
aus  bezeichnender. 


L.A.  RA. 

Pulvinar.  Hinsichtlich  des  Pulvinars  bemerke  ich,  dass 
der  dorsale  Abschnitt  (Fig.  i — 4.  Taf  XIII)  völlig  destruirt 
war;  der  mittlere  Teil,  in  der  Höhe  des  Ganglion  habenulae 
(F^'g-  5)  war  ebenfalls  so  durchgreifend  verändert,  dass  dieser 
Abschnitt  gewiss  nicht  funktioniren  konnte.  Nur  der  ventrale 
Abschnitt  (Fig.  6 — 10)  war  nach  Form  und  Struktur  noch 
erhalten  geblieben.  Hieraus  lässt  sich,  ohne  Gefahr  zu  irren, 
der  Schluss  ziehen :  eine  Läsion  des  dorsalen  Abschnittes  des 
Pulvinars  verursacht  keinen  hemianopischen  Defekt  im  Ge- 
sichtsfelde. In  wie  weit  aber  der  ventrale  Abschnitt  visu- 
elle Fasern  enthält,  darüber  entscheidet  dieser  Fall  nichts. 

Verschiedene  wichtige  Schlüsse  lassen  sich  also  aus  dem 
vorliegenden  Falle  ziehen. 

Was  dann  die  »Amblyopie  croisee»  betrifft,  wenn  man 
darunter  die  Beschränkung  des  Gesichtsfeldes  und  die  Ver- 
minderung der  Sehschärfe  einbegreift,  so  ist  der  Fall  in  die- 
ser Hinsicht  nicht  rein  genug  um  sichere  Schlüsse  aus  ihm 
zu  ziehen.  Zwar  ist  das  Gesichtsfeld  beschränkt  und  die 
Sehschärfe  herabgesetzt,  aber  wie  schon  erwähnt,  lässt  sich 
die  verminderte  Sehschärfe  am  rechten  Auge  aus  dem  Vor- 
handensein der  Catarakt  erklären,  und  im  linken  Auge  sind 
ophthalmoskopisch  bemerkbare  Veränderungen  im  Gebiete 
der  Macula  lutea  vorhanden.  Ob  nun  die  Beschränkung  des 
Gesichtsfeldes  eine  unmittelbare  Folge  aus  der  Verminderung 
der  Sehschärfe  ist  oder  in  Zusammenhang  mit  der  Zerstörung 
der  inneren  Kapsel  steht,  lässt  sich  wohl  kaum  mit  völliger 
Sicherheit  entscheiden.  In  Anbetracht  aber,  dass  die  reti- 
nalen Veränderungen  nur  das  Gebiet  der  Macula  lutea  be- 
trafen, scheint  es  mir  wahrscheinlich,  dass  die  Beschränkung 
des  Gesichtsfeldes  am  besten  als  eine  Folge  der  Veränder- 
ungen der  inneren  Kapsel  betrachtet  werden  muss.  Wenn 
dem  so  ist,  dann  ist  dieser  Fall  ein  interessanter  Beleg  der 
Lehre  der  Charcot'schen  Schule  von  der  Amblyopie. 

In  welchem  Verhältnisse  aber  diese  Amblyopie  croisee 
zu  der  Kap.seldestruktion  steht,  darüber  behalte  ich  mir  vor 


NEUE  FALLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUM  BETREFFEND 


97 


an  einer  anderen  Stelle  mich  zu  äussern.  Jedenfalls  kann 
für  die  Erklärung  der  Umstand,  dass  die  Amblyopie  gleich- 
zeitig mit  einer  Anästhesia  faciei  et  bulbi  auftritt,  nicht  aus- 
ser Acht  gelassen  werden. 

III.  IV.  VI.  Überhaupt  nichts  Abnormes.  Die  Ver- 
engerung der  Pupillen  steht  wohl  mit  der  Verminderung  der 
Sehschärfe  in  Zusammenhang. 

V.  Die  Verminderung  der  Sensibilität  für  Berührung 
und  Schmerz  ist  die  unmittelbare  Folge  der  Zerstörung  des 
hinteren  Drittels  der  äusseren  Kapsel  (vergl.  unten :  Sensi- 
bilität). 

VII.  Die  Parese  hat  sowohl  die  oberen  wie  die  hinte- 
ren Zweige  getroffen ;  überhaupt  ist  die  Störung  nicht  sehr 
hochgradig.  Dies  lässt  sich  ohne  Schwierigkeit  dadurch  er- 
klären, dass  der  vordere  Abschnitt  der  Kapsel  intakt  ist. 

In  Anbetracht,  dass  die  Cyste  nach  aussen  oben  sehr 
unregelmässig  ist,  lässt  sich  die  Möglichkeit  nicht  ausschlies- 
sen,  dass  verschiedene  Facialisfasern  durchschnitten  sind,  wenn 
sich  auch  die  sekundäre  Atrophie  in  der  vorderen  Partie  der 
inneren  Kapsel  nicht  bemerkbar  macht. 

VIII.  Die  Gehörbahn  scheint  nicht  von  der  Zerstörung 
an  irgend  einem  Punkte  getroffen  zu  sein.  Die  Bahn  scheint 
nämlich  ventro-occipital  von  der  Läsion  zu  liegen.  Ihr  ge- 
nauer Verlauf  ist  jedoch  nicht  bekannt.  Die  Verminderung 
der  Gehörschärfe  an  beiden  Ohren  ist  also  gewiss  peripher- 
ischer Natur. 

X.  Vom  Hypoglossus  gilt  mutatis  mutandis  dasselbe 
wie  vom  Nervus  facialis. 

Sensibilität. 

Hier  war  die  Sensibilität  auffallend  mehr  vermindert  als 
im  Gesicht;  überhaupt  war  sie  bedeutend  geschwächt  und 
zwar  hinsichtlich  aller  Qualitäten,  aber  besonders  waren  die 
Tast-  und  Schmerz-sinne  getroffen.  Hieraus  will  ich  schliessen: 

In  Anbetracht  der  Lage  und  Ausdehnung  der  Cyste 
und  des  sie  umgebenden  atrophischen  Gewebes  sowie  auch 
des  Umstandes,  dass  die  Läsion  in  der  Capsula  interna  auf 
das  hintere  Drittel  der  Kapsel  beschränkt  war,  muss  man  an- 
nehmen, dass  Nervenfasern  für  alle  Qualitäle/i  in  der  zer- 
störten Partie  der  Kapsel  verlaifen. 

Dagegen  beweist  der  Fall  nicht,  dass  alle  diese  sen- 
siblen F"asern  für  die  Extremitäten  hier  verlaufen.  Es  lässt 
sich  nämlich,  da  keine  vollständige  Paralyse  vorlag,  denken, 
dass  sich  auch  in  der  vorderen  Partie  der  Kapsel  Sensibili- 
tätsfasern vorfinden.  Die  unvollständige  Störung  lässt  sich 
auch  dadurch  erklären,  dass  die  linke  Hemisphäre  kompen- 
satorisch eingetreten  ist;  oder  endhch  lassen  sich  diese  bei- 
den Erklärungsweisen  gleichzeitig  anwenden,  da  sie  nicht  im 
Gegensatz  zu  einander  stehen 

Motilität. 

Die  Lähmung  der  linksseitigen  Extremitäten  war  hoch- 
gradig. Nur  die  gröberen  Bewegungen  des  linken  Armes 
waren  noch  vorhanden  und  zwar  nur  in  geringem  Grade. 
Das  linke  Bein  war  dagegen  nur  paretisch  und  Pat.  konnte 

S.  E.  Menschen.    Pathologie  des  Gehirns. 


die  gröberen  Bewegungen  ohne  Schwierigkeit  ausführen.  Im 
Arme  fand  sich  noch  eine  starke  Kontraktur  vor. 

Bei  der  Untersuchung  der  Pyramidenbahnen  in  der  Me- 
dulla  oblongata  findet  man  nun,  dass  die  rechte  Pyramiden- 
bahn vollständig  atrophisch  und  geschrumpft  ist.  Kaum  fin- 
det man  da  noch  einige  erhalten  gebliebene  Fasern,  und  da 
nun  eine  Kreuzung  der  motorischen  Fasern  zwischen  der  in- 
neren Kapsel  und  der  Pyramidenbahn  (in  der  Höhe  der  Oli- 
ven) nicht  bekannt  ist,  so  schliesse  ich  daraus,  dass  alle  mo- 
torischen Fasern  der  rechtsseitigen  Extremitäten  in  der  inne- 
ren Kapsel  atrophisch  sind.  Nun  findet  man  im  vorderen 
Abschnitt  der  Kapsel  keine  Spur  von  Atrophie.  Daraus 
dürfte  man  berechtigt  sein  zu  schliessen,  dass  alle  motorischen 
I'asern  der  Extremitäten  an  der  Stelle  der  Cyste  und  des  sie 
umgebenden  atrophischen  Gewebes  liegen.  Zwar  findet  man 
bisweilen  bei  Atrophie,  dass  der  Schwund  der  Fasern  biswei- 
len so  vollständig  sein  kann,  dass  es  schwierig  ist  die  atro- 
phische Stelle  ausfindig  zu  machen,  aber  hier  dürfte  wohl, 
in  Anbetracht  der  hochgradigen  Paralyse  und  der  vollständi- 
gen Atrophie  der  Pyramidenbahn,  die  Atrophie  ausgedehnt 
genug  gewesen  sein,  um  in  dem  vorderen  Abschnitt  der  Kap- 
sel mit  dem  Mikroskope  entdeckt  zu  werden.  Daraus  dürfte 
man  berechtigt  sein  zu  schliessen,  dass  die  Hauptmasse  der 
motorischen  Fasern  im  hinteren  Abschnitt  der  inneren  Kap- 
sel verlaufen  und  zwar  da,  wo  die  grosse  Atrophie  sich  vor- 
findet. 

Diese  Stelle  liegt  in  der  Kapsel  recht  weit  nach  hinten, 
wie  besonders  die  Figuren  4 — 6  zeigen  und  speciel  weiter 
nach  hinten  als  z.  B.  Bechterew  in  Schema  13.  Seite  154 
und  Obersteiner  (Anleitung  b.  Stud.)  .sie  abbildet.  Sie  ent- 
spricht dem  occipitalen  Ende,  des  Putamens.  Die  grosse 
Ma.sse  der  Kapselfasern  ist  dagegen  erhalten  geblieben. 

In  der  rechten  Pyramidenbahn  in  der  MeduUa  oblon- 
gata sind  nun  fast  alle  Fasern  vollständig  untergegangen,  nur 
im  dorso-msdialen  Abschnitte  des  Durchschnittes  findet  man 
in  einigen  Bündeln  eine  kleine  Anzahl  Nerven,  von  denen 
nicht  wenige  deutlich  von  der  Raphe  stammen  und  wohl 
nicht  zu  den  Pyramidenfasern  zu  rechnen  sind.  Da  nun  un- 
geachtet der  so  vollständigen  Atrophie  der  Fasern  für  die 
Extremitäten  mit  dem  linken  Arm  gröbere  Bewegungen  aus- 
geführt werden  konnten  und  mit  dem  linken  Bein  solche  Be- 
wegungen  selbst  gut  von  Statten  gingen,  so  lässt  sich  dies 
kaum  auf  andere  Weise  erklären,  als  dass  die  Fasern  der  hn- 
ken  Pyramidenbahn  die  linksseitigen  Glieder  innerviren.  Diese 
kommen  aus  der  linken  Hemisphäre.  Ob  der  Ursprungsort 
des  Reizes  bei  solchen  Bewegungen  in  diese  Hemisphäre 
oder  in  die  rechte  (vermittelst  des  Balken)  verlegt  werden 
soll,  darauf  antwortet  dieser  Fall  nicht. 

In  noch  höherem  Grade  gilt  dieser  Schluss  hinsichtlich 
der  Innervation  des  Rumpfes.  Der  Pat.  konnte  gut  gehen. 
Er  benutzte  dabei  natürlich  auch  die  rechte  Rumpfhälfte,  und 
diese  wurde  gewiss  von  der  linken  Hemisphäre  (direkt  oder 
indirekt)  innervirt. 

Pathologisch -anatomische  Bemerkungen. 

Dass  in  diesem  Falle  die  Cyste  durch  Hcemorrhagie  ent- 
standen   ist,   geht  aus   der  mikroskopischen  Untersuchung 

13 


98  .S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


hervor.  Überall  in  der  Nähe  der  Cyste  findet  man  zahlreiche 
Hämatoidinkrystalle. 

Dadurch  erklärt  sich  auch,  dass  das  atropJiischc  Gewebe 
um  die  Cyste  Jicruvi  relativ  misgedeJint  ist,  indem  das  Ge- 
webe zuerst  durch  den  Druck  so  bedeutend  gelitten  hat,  wo- 
durch die  Nervenfasern  geschwunden  sind  und  das  Gewebe 
dann  nach  Resorption  des  Blutes  in  Bindegewebe  umgewandelt 
ist.    Sonst  ist  die  Atrophie  recht  scharf  begrenzt. 

Das  optische  System. 

Dieses  System  ist  nicht  von  der  Läsion  betroften.  Da 
nun  diese  das  hintere  Drittel  der  inneren  Kapsel  betroflen 
hat,  und  die  Beschränkung  des  Gesichtsfeldes  in  Vereinigung 
mit  einer  Verminderung  der  Sehschärfe  vielleicht  als  eine 
»Amblyopie  croisee»  aufgefasst  werden  und  daraus  der  Schluss 
gezogen  werden  könnte,  dass  in  jener  Partie  der  inneren  Kap- 
sel visuelle  Fasern  verlaufen,  so  ist  die  Thatsache,  dass  im 
rechten  Tractus  keine  Spur  von  Atrophie  oder  Degeneration 
entdeckt  werden  kann,  von  grosser  Bedeutung. 

Ein  Blick  auf  die  Fig.  4 — 6  Taf  XIII  überzeugt,  dass' 
die  Läsion  sich  bis  zum  Ganglion  habenulae  erstreckte  und 
dass  dieses  Ganglion  wesentlich  ergriffen  und  zur  Atrophie  ge- 
bracht worden  war.  Da  nun  Darkschewitsch  durch  Experimente 
zu  der  Ansicht  gekommen  ist,  dass  dieses  Ganglion  mit  den 
Pupillenfasern,  welche  im  Tractus  verlaufen,  in  Zusammenhang 
stehe,  so  ist  auch  die  Beobachtung  von  Wichtigkeit,  dass  im 
Tractus  keine  Atrophie  zu  entdecken  war.  Die  Fig.  4,  5 
und  6  zeigen,  dass  die  Atrophie  sich  an  beiden  Seiten  des 
Trigonum  habenulje  ausbreitet.  Es  lässt  sich  unter  solchen 
Umständen  kaum  denken,  dass  Pupillenfasern,  wenn  sie  mit 
jenem  Ganglion  Verbindung  hätten,  nicht  zerstört  worden 
wären. 

Dagegen  ist  die  mediale  Wurzel  des  Tractus  erhalten 
geblieben  und  kein  Hindernis  scheint  im  Wege  zu  stehen, 
dass  die  Pupillenfasern  durch  diese  Wurzel  und  dann  in  der 
Nähe  des  inneren  Kniehöckers  zum  vorderen  Vierhijgel  ge- 
langen können,  denn  dieser  Hügel  ist  intakt,  sowohl  in  vor- 
deren wie  hinteren  Abschnitten. 

Die  Einstrahlung  der  occipitalen  Strahlung  in  das  Pul- 
vinar  tritt  an  den  Präparaten  besonders  schön  und  rein  hervor, 
und  zwar  aus  dem  Grunde,  dass  durch  die  Läsion  alle  vom 
frontalen  Abschnitt  des  Thalamus  kommenden  Fasern  abge- 
schnitten sind.  (Vergl.  Fig.  6 — 10.) 

Diese  Einstrahlung  in  den  ventralen  Abschnitt"  des 
Pulvinars  ist  reichlich  und  tritt  an  den  Fig.  sehr  klar  hervor. 
In  wie  weit  Tractusfasern  untermischt  sein  können,  ist  zwar 
ungewiss,  aber  anscheinend  hängen  die  Pulvinarbündel  mit  der 
occipitalen  Strahlung  zusammen  (Fig.  7 — 10). 

Ebenso  klar  tritt  die  Einstrahlung  der  occipitalen  Fasern 
in  den  äusseren  Kniehöcker  (Fig.  7 — 8)  hervor. 

Aber  am  schönsten  fällt  die  Faserstrahlung  im  dorsalen 
Abschnitt  des  Pulvinars  auf  (Fig.  6).  Hier  kann  man  mit 
Vorteil  den  Verlauf  der  occipitalen  F"asern  durch  das  Pulvinar 
in  den  Colliculus  anterior  studiren.  Die  Fasern  breiten  sich 
hier  nicht  nur  in  das  s.  g.  Stratum  opticum  sondern  auch 
oberflächlich,  und  so  weit  ich  an  anderen  Präparaten  sehen 
kann  auch  tiefer  in   das  s.  g.  Stratum  Lemnisci  und  zwar 


nach  vorn  bis  in  die  hintere  Kommissur  aus.  Wahrscheinlich 
sind  diese  in  den  Colliculus  einstrahlenden  Fasern  Reflexfasern, 
welche  von  den  occipitalen  Teilen  des  Gehirns  kommen. 
Die  Faserung  der  Colliculi  ist  reichlich. 

Das  sensible  System. 

Hier  finden  wir  die  interessante  Thatsache,  dass  der 
laterale  Abschnitt  der  Hauptschlcife  hochgradig  atrophisch  ist. 
Verschiedene  Ansichten  über  den  Zusammenhang  dieses  Ab- 
schnittes mit  anderen  Hirnteilen  machen  sich  zur  Zeit  geltend. 
Wenn  man  z.  B.  das  Schema  1 1  Bechterews'  (Leitungsbahnen 
Seite  89)  betrachtet,  so  findet  man,  dass  die  Linie  9,  welche 
den  lateralen  Abschnitt  der  Hauptschleife  vertritt  zum  Luys'- 
schcn  Körper  und  Linsenkörper  verläuft  und  an  den  Fig.  IV 
— VI  findet  man  denselben  Verlauf  abgebildet. 

Obersteiner  dagegen  lässt  dieselbe  Portion  der  Haupt- 
schleife zum  Thalamus  und  den  Centrahvindungen  verlaufen 
(Fig.  140  S.  331).  Ohne  näher  auf  dieses  Thema  einzugehen, 
bemerke  ich  nur,  dass  auch  Hösel  in  einem  neulich  in  Rom 
gehaltenen  Vortrage  zu  derselben  Ansicht  gekommen  ist, 
dass  die  mediale  Portion  der  Hauptschleife  teils  zum  Linsen- 
körper teils  zur  Inselrinde  (vermittelst  des  Linsenkörpers) 
verläuft. 

Der  vorliegende  Fall  scheint  in  dieser  Hinsicht  lehrreich. 
Vor  allem  ist  die  laterale  Portion  hochgradig  atrophisch,  jedoch 
finden  sich  noch  da  zahlreiche  Fasern  vor.  Daraus  geht  teils 
hervor,  dass  die  zerstörte  Partie  im  Thalamus,  CajDsula  interna 
und  Corona  radiata  hauptsächlich  in  Zusammenhang  mit  der  la- 
teralen Portion  der  Hauptschleife  steht,  was  am  nächsten  mit 
der  Ansicht  von  Obersteiner  und  Flechsig-Hösel  stimmt,  teils 
dass  durch  diese  Läsion  des  Thalamus  nicht  alle  Fasern  der 
lateralen  Partie  der  Hauptschleife  zerstört  werden.  Die  erhalten 
gebliebenen  bilden  keinen  besonderen  Abschnitt  oder  Bündel 
der  lateralen  Portion,  sondern  sind  mit  den  zum  Schwund  ge- 
brachten vermischt.  Da  inzwischen  die  Läsion  recht  aus- 
gedehnt ist,  so  fragt  es  sich:  mit  welchen  von  den  zerstörten 
Fasern  oder  Partien  stehen  die  geschwundenen  Schleifenfasern 
in  Verbindung?  Fasern  aus  der  Inselrinde,  den  Central-  und 
Parietalwindungen,  der  Capsula  interna  und  dem  Thalamus 
waren  lädirt  und  im  Thalamus  erstreckt  sich  die  Läsion  von 
oben  nach  unten.  Diese  Frage  lässt  sich  nicht  mit  Hülfe 
nur  dieses  einen  Falles  entscheiden.  Die  Läsion  der  Insel- 
rinde ist  in  diesem  Falle  verhältnismässig  gering.  In  anderen 
Fällen  war  die  Läsion  der  Inselrinde  sowohl  sehr  ausge- 
dehnt wie  auch  alt  (z.  B.  im  Falle  I.  Malm  Teil  III  S.  20), 
ohne  dass  eine  Veränderung  der  lateralen  Portion  sich  be- 
merkbar machte.  Die  Veränderung  in  diesem  Falle  hängt 
also  wahrscheinlich  nicht  von  der  Insularläsion  ab.  Die  Lä- 
sion des  Putamens  kann  als  klein,  ja  minimal  bezeichnet 
werden  und  bei  grösseren  Destruktionen  des  Putamens  wie 
im  Falle  I.  Malm  S.  20  wird  die  erwähnte  Portion  der  Haupt- 
schleife nicht  atrophisch.  Ebenso  ist  der  Fall  mit  dem  Glo- 
bus pallidus.  So  weit  ich  sehen  kann,  ist  die  Ansa  lenticula- 
ris kaum  oder  nur  minimal  getroffen,  die  Bündel  des  Globus 
pallidus  sind  reichlich  vertreten  und  intensiv  gefärbt;  überhaupt 
kann  dieses  Ganglion  als  normal  bezeichnet  werden.  Die 
atrophischen  Fasern  der  Hauptschleife  dürften  deshalb  nicht 


NEUE  FÄLLE  DIE  LEHRE  VON  DER  SEHBAHN  UND  DEM  SEHCENTRUiM  BETREFFEND 


99 


mit  dem  Linsenkörper  in  Verbindung  gewesen  sein.  Der 
Luys'sche  Körper  ist  nur  im  occipitalen  Pole  an  einem  klei- 
nen Gebiete  geschädigt.  Dies  kann  nicht  die  Schleife  zur 
Atrophie  gebracht  haben. 

Die  Atrophie  der  Hauptschleife  wird  folglich  durch  die 
Zerstörung  des  Thalamus  resp.  der  durch  die  Capsula  interna 
von  der  Rinde  der  Central-Parietalwindungen  kommenden  Fa- 
sern bedingt.    Der  Fall  ist  soweit  recht  überzeugend. 

Aber  im  Thalamus  sind  verschiedene  Bildungen  durch- 
schnitten, zuerst  die  hintere  Partie  des  Ganglions  (Fig.  2 — 4), 
weiter  eine  bedeutende  Portion  der  Haubenstrahlung,  welche 
deutlich  nach  dem  hinteren  Abschnitt  der  inneren  Kapsel  ver- 
läuft, und  zwar  sowohl  in  dorsalen  wie  mittleren  Teilen  des 
roten  Körpers  (Fig.  6--8),  ja  selbst  in  ventralen  Partien 
dieses  Ganglions  findet  die  Wirkung  der  Cyste  (Fig.  9)  statt. 
Es  fragt  sich  deshalb  ob  hier  Linsenkörperfasern  getroften  sind. 

Ich  wage  zwar  die  Möglichkeit  eines  solchen  Verhält- 
nisses nicht  zu  verneinen,  aber  schon  ein  Blick  auf  die  Fig. 
7 — 10  macht  den  Eindruck,  dass  höchstens  relativ  wenige 
solcher  Fasern  zerstört  werden  können,  während  die  durch 
die  Cyste  zerstörten  mit  der  Haubenstrahlung  verlaufenden 
Fasern  sehr  zahlreich  sein  müssen. 

Es  scheint  mir  deshalb  kaum  zweifelhaft,  dass  die  Atro- 
phie der  lateralen  Portion  der  Hauptschleife  in  Zusammen- 
hang mit  der  Zerstörung  der  Haubenstrahlung  und  den  zur 
hinteren  Partie  der  inneren  Kapsel  verlaufenden  Fasern  steht 
und  dass  also  die  laterale  Portion  der  Schleife  mit  der  Rinde 
der  Central-  (Parietal  ?)  Windungen  zusammenhängt. 


Ob  diese  Verbindung  eine  unmittelbare  oder  eine  durch 
den  Thalamus  vermittelte  ist,  entscheidet  dieser  Fall  nicht. 
Der  Fall  Malm  spricht  kräftig  für  eine  nur  mittelbare  Ver- 
bindung. 

Betrachtet  man  Schnitte  der  Medulla  oblongata  aus  der 
Höhe  der  Oliven,  so  findet  man,  dass  die  Atrophie  im  ven- 
tralen Abschnitte  des  Zwischenolivenfeldes  am  ausgesprochen- 
sten ist,  dass  sie  aber  ohne  scharfe  Grenzen  in  die  mehr  dor- 
sale zusammenfliesst  (Fig.  4.  Taf  XIV),  während  die  Atrophie 
höher  hinauf  sich  scharf  auf  die  laterale  Portion  beschränkt. 
Aber  überall  finden  sich  noch  intensiv  gefärbte  Fa.sern,  wenn 
auch  am  wenigsten  im  dreieckiger  Raum  zwischen  der  Olive, 
Raphe  und  der  Pyramidenbahn. 

Die  laterale  Portion  der  Schleife  steht  also  im  intimsten 
Zusammenhang  mit  dem  ventralen  Abschnitte  des  Zwischen- 
olivenfeldes wie  wohl  auch  allgemein  angenommen  wird. 

Es  folgt  hieraus,  dass  im  lateralen  AbscJuiitt  der  Schleife 
sowohl  Tast-  tvie  Schmers-  ja  selbst  Tetiiperatur-  tmd  Micskel- 
empfindiingen  geleitet  zuerden. 

Motorische  Bahn. 

Hier  betone  ich  nur  die  Lage  der  Pyramidenbahn  in 
der  inneren  Kapsel  (s.  oben). 

Im  Pes  haben  wir  teils  mit  dem  ventralsten  Ausläufer 
der  Läsion  (Fig.  9,  atr.)  zu  thun,  teils  mit  der  sekundären 
Atrophie  der  höher  oben  zerstörten  Fasern.  Diese  liegt 
mehr  medial  und  wird  durch  reichliches  Bindegewebe  be- 
zeichnet. 


II. 

Ueber  hemiopische  Pupillenreaktion. 


Schon  im  Jahre  1881  hatte  IFZ/^ra««/ auf  Grund  klinischer 
Beobachtungen  nachgewiesen,  dass  bei  Tractusläsionen  die 
Pupillenreflexe  und  Lichtempfindungen  einander  parallel  gehen 
müssen. 

Auf  Grund  theoretischer  Erwägungen  *  kam  dann  Wcr- 
nicke  1883  zur  Ansicht,  dass  die  Pupillenreaktion  verschieden- 
artig ausfallen  muss,  wenn  man  bei  einer  Läsion  des  einen 
Tractus  vor  dem  Punkte,  wo  die  Pupillarfasern  zu  ihrem  Cen- 
trum hin  von  der  Bahn  der  Sehfasern  abweichen,  die  linke 
oder  die  rechte  Retinahälfte  reizt.  Dieses  Centrum  verlegte 
Wernicke  nach  den  Vierhügeln.  » Central wärts»  »hängt  jeder 
Tractus  opticus  mit  einem  reflexvermittelnden  Centrum  in  den 
Vierhügeln  zusammen».  »Eine  hemiopische  Pupillenreaktion 
entsteht  dann,  wenn  der  eine  Tractus  opticus  quer  durch- 
trennt oder  leitungsunfähig  geworden  ist.» 

Bald  wurde  diese  lokaldiagnostische  Reaktion  von  ver- 
schiedenen Autoren  wie  Mauthner  (1885),  Moebius  (1886)  und 
Philipsen  (1886)  als  geltend  angeführt,  ohne  dass  sie  jedoch, 
wie  es  scheint,  beweisende  Fälle  mitgeteilt  hatten.  Nach  Wer- 
nicke ist  die  hemiopische  Pupillenreaktion  nicht  etwa  bloss  ein 
theoretisch  kombinirtes  Symptom,  sondern  durch  vielfache  ana- 
loge Beobachtungen  bestätigt.  Und  er  führt  selbst  an,  dass 
er  in  einem  Falle  von  Chiasma-läsion  resp.  bitemporaler  He- 
mianopsie eine  solche  Pupillenreaktion  beobachtet  hat.  Da- 
gegen ist  es  mir  nicht  gelungen  die  Beschreibung  des  von 
ihm  beobachteten  Falles  in  der  Literatur  zu  finden.  Erst 
später  konnte  deshalb  die  praktische  Bedeutung  der  neuen 
Reaktion  durch  jjenauere  klinische  Beobachtungen  nachgewie- 
sen werden. 

Schon  im  Jan.  1886  hatte  ich  einen  klinischen  Fall 
mit  hemiopischer  Pupillenreaktion  in  meiner  klinischen  Ab- 
teilung beobachtet,  aber  erst  nachdem  ich  im  Jahre  1888 
einen  neuen  abweichenden  Fall  mit  transitorischer  recurrenter, 
hemiopischer  Pupillenreaktion  untersucht  hatte,  teilte  ich  am 
4.  Okt.  1889  drei  Fälle  im  Ärzte-Verein  in  Upsala  (Upsala 
läkareförenings  förhandl.  1889—90)  mit.  Diese  Fälle  finden 
sich  im  ersten  Teile  dieser  Arbeit  unter  N:o  20,  32  und  35. 

Inzwischen  hatte  Martijis  im  Jahre  1887  einen  klinischen 
Fall  aus  Gerhardts  Klinik  in  den  Charite  Annalen  publicirt; 

•  S.  Wernicke,  Gesammelte  Aufsätze  1893  S.  211.  325,  Anm.  48. 


der  Fall  kam  nicht  zur  Sektion  und  die  lokaldiagnostische 
Bedeutung  der  Reaktion  konnte  also  in  diesem  F"alle  nicht 
bestätigt  werden. 

Im  selben  Jahre  hatte  Scguin  in  der  New-Yorker  Neuro- 
logischen Gesellschaft  3  Fälle  von  bitemporaler  Hemianopsie 
mit  dieser  Reaktion  mitgeteilt.  Alle  waren  aber  klinische 
F'älle  ohne  Sektion  (Journal  of  mental  and  nervous  diseases. 
1887.  S.  721). 

Der  erste  durch  Sektion  bestätigte  Fall  wurde  von  ScJiniidt- 
Riinplcr  beobachtet,  ein  Fall,  in  welchem  eine  undeutliche  he- 
miopische Pupillenstarre  bei  Tractusatrophie  wahrgenommen 
wurde,  (Arch.  f.  Augenheilk.  1888).  Dieser  Fall  steht  mit 
der  Wernicke'schen  Voraussetzung  in  Übereinstimmung.  — 
Der  nächste  durch  Sektion  bestätigte  Fall  wurde  von  mir 
im  Mai  1889  beobachtet,  und  im  Okt.  des  folgenden  Jahres 
im  Ärzte-Verein  in  Upsala  mitgeteilt.  Im  ersten  Teil  (unter 
N:o  20)  findet  sich  der  ausführliche  Kranken-  und  Sektions- 
bericht. Dieser  P'all  war  anscheinend  nicht  geeignet  die  Wer- 
nicke'sche  Lehre  von  der  hemiopischen  Pupillenreaktion  zu 
bestätigen.    Doch  hierüber  unten  mehr. 

Aus  dem  Jahre  1890  stammten  weiter  einige  Mitteilungen 
über  dieselbe  Reaktion.  Ferrier  beobachtete  nach  zufälliger 
Lädirung  der  Tractus  an  zwei  Affen  bei  einer  am  Temporal- 
lappen vorgenommenen  Operation  die  hemiopische  Pupillen- 
reaktion (Croonian  lectures  1890  s.  59).  Seitdem  sind  ver- 
schiedene Fälle  publicirt,  wie  aus  den  folgenden  Zeilen  wohl 
hervorgeht. 

Nach  dieser  kurzen  Skizze  der  Entwicklung  unserer 
klinischen  Kenntnisse  über  die  hemiopische  Pupillenreaktion, 
will  ich  zuerst  einige  allgemeine  Bemerkungen  hinsichtlich  der 
Reaktion  vorausschicken,  weiter  die  bisher  bekannten  klinischen 
Fälle  anführen,  um  dann  die  lokaldiagnostische  und  anatomische 
Seite  der  Sache  zu  betrachten. 

Die  Frage  nach  der  hemiopischen  Pupillenreaktion  kann 
überhaupt  als  eine  missliche  betrachtet  werden.  Es  wird 
von  verschiedenen  Forschern  nicht  nur  bezweifelt,  dass  bis- 
her Fälle  von  hemiopischer  Reaktion  beobachtet  worden 
sind,  sondern  selbst  die  Möglichkeit  der  Reaktion.  Auf  dem 
internationalen  Kongresse  in  Rom  d.  J.  (1894)  wurde  während 
der  Diskussion  aus  Anlass  einer  von  mir  gemachten  Mitteil- 


UEBER  HEMIOPISCHE  PUPILLENREAKTION 


101 


ung  über  die  hemiopische  Pupillenreaktion  selbst  von  den 
hervorragendsten  Augenärzten  bemerkt,  dass  sie  Fälle  mit 
hemiopischer  Pupillenreaktion  nie  beobachtet  hatten.  Die 
Möglichkeit  der  Reaktion  wird  aus  teoretischen  Gründen  in 
Frage  gestellt.  Von  verschiedenen  Forschern  wird  nämlich 
hervorgehoben,  dass  ein  in  das  Auge  von  einer  Seite  einge- 
worfener Lichtkegel  nicht  nur  die  entgegengesetzte  Retina- 
hälfte beleuchtet,  sondern  den  ganzen  Augenboden  beleuchten 
muss.  In  Folge  dessen  muss,  um  ein  konkretes  Beispiel  zu 
nehmen,  bei  einer  linksseitigen  Hemianopsie,  wo  der  rechte 
Tractus  zerstört  ist  und  in  Folge  dessen  die  rechtsseitigen 
Retinahälften  für  Lichtreiz  unempfindlich  sind,  das  von  links 
auf  diese  Hälfte  eingeworfene  Licht  nicht  nur  die  rechts- 
seitigen Hälften  sondern  auch  die  beiden  Macuhe  luteas  und 
die  linksseitigen  Retinahälften  beleuchten  und  zwar  mit  ge- 
nügender Stärke  um  die  Pupillenkontraktion  reflektorisch 
auf  dem  Wege  des  unversehrten  linksseitigen  Tractus  aus- 
zulösen. 

In  der  That  ist  die  klinische  BeobacJiüing  der  hemianop- 
ischen  Pupillenreaktion  eine  schwierige.  Zwar  erklärte  Samel- 
soJin  auf  dem  erwähnten  Kongresse,  dass  es  genüge  mit  einem 
gewöhnlichen  Licht  den  Augenboden  (von  der  Seite?)  zu 
beleuchten  um  die  Reaktion  auszulösen.  So  leicht  ist  es  mir 
indessen  im  Allgemeinen  nicht  gelungen,  die  Reaktion  hervor- 
zurufen; früher  warf  ich  mit  dem  Augenspiegel  einen  durch 
eine  Konvexlinse  koncentrirten  Lichtkegel  in  einem  dunklen 
Zimmer  in  das  nach  aussen  oder  nach  innen  abgelenkte  Auge 
ein,  und  zwar  mit  sorgfältiger  Rücksicht  darauf,  dass  das 
Licht  nicht  die  Macula  lutea  treffen  sollte.  In  den  letzten 
Jahren  brauche  ich  für  diesen  Zweck  eine  besonders  ein- 
gerichtete Lampe.  Das  Licht  ist  von  einem  Blechtubus  um- 
geben um  jeden  Lichtreiz  auszuschliessen  und  nur  durch  ein 
kleines  Loch  in  einem  Diaphragma  kann  der  Lichtkegel  her- 
ausstrahlen; er  wird  dann  durch  eine  Konvexlinse  koncentrirt. 
Mit  einer  solchen  Lampe  ist  es  leicht  dem  Lichtkegel  die 
gewünschte  Richtung  zu  geben. 

Aber  selbst  unter  diesen  Umständen  ist  es  manchmal 
schwierig  zu  bestimmen,  ob  die  Reaktion  verschieden  stark 
ausfällt,  wenn  das  Licht  von  den  verschiedenen  Seiten  in  das 
Auge  eingeworfen  wird.  Ist  die  Pupillenreaktion  aus  anderen 
Gründen  —  wie  bei  alten  Leuten,  bei  der  Katarakt  —  träge, 
so  vermehrt  sich  die  Schwierigkeit  zu  entscheiden,  ob  eine 
hemiopische  Reaktion  vorliegt  oder  nicht.  Überhaupt  muss 
man  nicht  fordern,  dass  selbst  beim  Vorhandensein  der  he- 
miopischen  Reaktion  jede  Pupillenbewegung  ausbleiben  soll, 
wohl  aber  dass  die  Reaktion  von  den  beiden  Retinahälften 
deutlich  verschieden  intensiv  ausfällt.  Dieses  Verhältnis  dürfte 
wohl  darin  eine  Erklärung  finden,  dass  selbst  der  auf  das 
peripherische  Gebiet  der  Retina  in  das  Auge  schräg  einge- 
worfene Lichtkegel  auf  das  centrale  Gebiet  etwas  dispersirt  wird. 

Weiter  muss  daran  erinnert  werden,  dass  wohl  die  in 
zwei  Augen  geworfenen  Lichtkegel  selbst,  wenn  sie  unter 
demselben  Winkel  eingeworfen  werden,  verschieden  wirken 
können,  je  nach  der  verschiedenen  Ausstreckung  des  von 
Wilbrand  als  »überschüssiges  Gesichtsfeld»  bezeichneten  Ge- 
bietes. Wenn  z.  B.  bei  linksseitiger  Tractus-hemianopsie  in 
einem  Fall  die  Trennungslinie  mathematisch  durch  den  Fixa- 


tionspunkt  verläuft  und  in  einem  anderen  Auge  dagegen  ein 
grosses  »überschüs-siges  Gesichtsfeld»  vorhanden  ist,  so  muss 
in  jenem  Auge  der  auf  die  linke  Retinahälfte  eingeworfene 
Lichtkegel  nicht  so  leicht  die  zu  der  rechten  Hemisphäre  ver- 
laufenden ungeschädigten  centripetalen  Pupillenfasern  treffen, 
wie  in  diesem  Falle,  wo  ein  ausgiebiges  überschüssiges  Ge- 
sichtsfeld vorhanden  ist. 

Thatsache  ist  jedenfalls,  dass  die  klinische  Beobachtung 
der  hemiopischen  Pupillenreaktion  eine  missliche  ist. 

Was  die  aiiatoiniscJie  Untersiichniig  post  mortem  solcher 
Fälle  betrifft,  so  muss  hervorgehoben  werden,  dass  diese  im- 
mer mit  dem  Mikroskope  vorgenommen  werden  muss.  Es  gilt 
die  Stelle  ausfindig  zu  machen,  wo  die  bisweilen  mikroskopische 
Läsion  die  Reflexbahn  betroffen  hat.  Die  Notwendigkeit  der 
mikroskopischen  Untersuchung  habe  ich  selbst  in  einem  Falle 
erfahren.  Im  Falle  N:o  20  (s.  Teil  I.)  fand  ich  eine  ausge- 
dehnte makroskopische  Malacie  im  Parietallappen  (Taf  XXV.) 
und  hemiopische  Pupillenreaktion,  was  im  Wiederspruch  mit 
der  Wernicke'schen  Theorie  zu  stehen  schien.  Erst  etwa  2 
Jahre  später  fand  ich  in  den  anscheinend  unversehrten  Cen- 
tralganglien  eine  mikroskopische  Läsion,  welche  vom  Thala- 
mus auf  den  rechten  Tractus  Übergrift"  und  das  Auftreten  der 
eigentümlichen  Pupillenreaktion  leicht  erklärte. 

Nach  diesen  Betrachtungen  gehe  ich  unmittelbar  zu  den 
klinischen  Beobachtungen  über  um  nachher  die  Schlüsse  zu 
ziehen. 


Die  klinischen  BeobacJitJingen  betrefts  der  hemiopischen 
Pupillenreaktion  sind  teils  positiver,  teils  negativer  Art.  Seit 
mehreren  Jahren  habe  ich  die  allermeisten  Kranken  mit  cere- 
bralem Leiden  auf  die  Reaktion  untersucht  und  besonders  habe 
ich  die  H^mianopischen  darauf  geprüft.  Die  meisten  dieser 
Patienten  sind  nicht  zur  Sektion  gekommen.  In  allen  jenen 
Fällen  fehlte  diese  Reaktion  mit  euier  Ausnahme,  nämlich 
im  Falle  32  Johansson.  Dieser  Fall  ist  im  Teil  I.  S.  202 
ausführlicher  beschrieben.  Da  in  den  übrigen  die  Sektion 
noch  fehlt,  so  dürfte  es  nicht  angemessen  scheinen  sie  hier 
anzuführen,  da  eine  Lokaldiagnose  in  diesen  Fällen  nicht  mit 
völliger  Sicherheit  gestellt  werden  kann.  Dagegen  ist  es  lehr- 
reich diejenigen  Fälle  kurz  anzuführen,  welche  zur  Sektion 
gekommen  sind,  selbst  wenn  die  hemiopische  Pupillenreak- 
tion fehlte.  Nur  durch  die  Zusammenstellung  dieser  Fälle 
mit  den  positiven,  wo  die  Reaktion  vorhanden  war,  kann  man 
überhaupt  eine  richtige  Vorstellung  von  der  Bedeutung  der 
Reaktion  in  lokaldiagnostischer  und  anatomischer  Hinsicht 
bekommen. 

Die  klinischen  Fälle  können  am  besten  nach  der  Lage 
der  anatomischen  Läsion  angeordnet  werden. 

L  Die  Läsion  liegt  hinter  oder  lateral  von  dem  äusseren 
Kniehöcker. 

A)  Fälle  ohne  hemiopische  Pupillenreaktion, 
a)  Fälle  ohne  Hemianopsie. 
Fall  I.    Henschen  (Lovisa  Berg)  (Teil  II.  S.  435).  Ausgedehnte 

Encephalomalacie  im  rechten  Occipito-temporallappen ;  die 


102  S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Malacie  drang  in  die  Sehstrahlung  ein.  Keine  Malacie  in 
der  frontalen  Sehbahn  oder  in  den  Centraiganglien.  (Taf. 
LH— LIV.) 

Fall  2.  Renschen  (Stjernström)  (Teil  III.  S.  59).  Bilaterale 
Malacie  in  den  beiden  Cunei  und  verschiedene  kleine 
Malacien  in  den  beiden  Sehstrahlungen.  Keine  Läsion  in 
der  frontalen  Sehbahn  oder  in  den  .Centralganglien.  (Taf. 
IX.  X.  XI.) 

b)  Fälle  mit  Hemianopsie. 
*)  Geschwülste. 

Fall  j.  Renschen  (Zetterberg)  (Teil  I.  S.  127).  Zuerst  uni- 
laterale Hemianopsie,  dann  vollständige  Blindheit.  Mul- 
tiple Krebsgeschwülste,  sowohl  in  der  Rinde  der  beiden 
Hemisphären,  wie  in  den  beiden  Sehstrahlungen.  (Taf. 
XXIII.) 

Fall  4.  Renschen  (Augusta  Eriksson)  (Teil  III.  S.  46).  Eine 
grössere  Geschwulst  im  Temporallappen,  welche  in  die  Seh- 
strahlung eindrang  und  selbst  auf  das  Pulvinar  drückte. 
(Vgl.  S.  50.)  (Taf.  VIII.) 

Fall  5.  Renschen  (Ekelund)  (noch  nicht  publizirt).  Grosse 
Geschwulst,  welche  vom  rechten  Parietallappen  gegen  den 
frontalen  Abschnitt  der  Sehstrahlung  dringt  und  durch  Druck 
eine  bilaterale  homonyme  linksseitige  Hemianopsie  hervor- 
gerufen hat. 

**)  Malacie. 

Fall  6.  Renschen  (Joel  Andersson)  (Teil  II.  S.  363).  Eine 
Encephalo-malacie  nahm  den  mittleren  Abschnitt  der  lin- 
ken Hemisphäre  ein  und  drang  bis  in  die  unmittelbare 
Nähe  des  Tractus  und  des  äusseren  Kniehöckers  hervor. 
Das  Ganglion  war  entzündlich  affizirt  (Taf.  XXIX). 

B)  Fälle  mit  hemiopischer  Pupillenreaktion. 

Fall  7.  Renschen  (Anders  Ersson)  (Teil  III.  S.  38).  Anfangs 
keine  hemiopische  Pupillenreaktion,  später  reagirten  die 
Pupillen  nicht  mehr  auf  Licht  von  der  rechten  Seite,  aber 
schwach  von  der  linken  Seite.  Eine  diffuse  grosse  Ge- 
schwulstmasse drang  von  dem  Temporallappen  sowohl 
nach  oben  und  nach  hinten  wie  nach  innen  gegen  die 
Centralganglien  und  den  äusseren  Kniehöcker  vor.  (Taf. 
VL  und  VII.  Fig.  i.  2.) 

Fall  8.  Renschen  (Anna  Olsson)  (Teil  II.  S.  370).  Nur  bei 
den  Kongestionsanfällen  kurz  vor  dem  Tode  wurde  ein 
hemianopischer  Defekt  im  unteren  Quadranten  des  Ge- 
sichtsfeldes beobachtet.  Gleichzeitig  wurde  die  hemiop- 
ische Pupillenreaktion  wahrgenommen.  Die  Sektion  zeigte 
eine  grössere  Geschwulst  in  der  Fossa  Sylvii,  welche  von 
oben  an  den  vorderen  Abschnitt  des  Tractus  einen  indi- 
rekten Druck  ausgeübt  haben  dürfte.    (Taf.  XL.  XLI.) 

II.    Die  Läsion  liegt  in  den  Centralganglien. 
A)  Eine  hemiopische  Pupillenreaktion  ist  vorhanden, 
a)  Fälle  mit  recurrenter  hemiopischer  Reaktion. 
Fall  g.    Renschen  (Carl  L.  C.)  (Teil  I.  S.  211.   T.  II.  S.  440). 
Anfangs  transitorische,  dann  permanente  Hemianopsie,  tran- 
sitorische   mehrmals   recurrente  hemiopische  Pupillenreak- 
tion, welche  schliesslich  permanent  (V)  wurde.   Bei  der  Sek- 


tion teils  bilaterale  grössere  Veränderungen  im  linken  Oc- 
cipital-  und  rechten  Parietallappen  und  in  den  Centrai- 
windungen, teils  Veränderungen  des  rechten  Pulvinars  und 
des  inneren  Kniehöckers,  wogegen  der  äussere  Kniehöcker 
nur  wenig  verändert  war.  Der  pathologische  Process  war 
hier  eine  sekundäre  diffuse  fortschreitende  Bindegewebs- 
wucherung  im  Gebiete  des  hinteren  Abschnittes  des  Tractus. 
(Taf.  LIV.  LV.  LVI.) 
Fall  10.  Renschen  (Elin  Andersson)  (Teil  II.  S.  413).  Die 
Reaktion  wurde  zweimal  beobachtet.  Bei  der  Sektion : 
ausgedehnte  Malacie  in  der  linken  Hemisphäre  mit  Zer- 
störung des  linken  äusseren  Kniehöckers  und  des  Pulvinars. 
(Taf.  XLV.  XLVL  LVI.). 

b)  Fälle  mit  permanenter  (?)  hemiopischer  Pupillenre- 
aktion. 

*)  Haemorrhagie. 

Fall  II.  Renschen  (August  Johansson)  (Teil  1.  S.  203).  Nur 
klinischer  Fall.  Infantile  Hemiplegie  nach  einer  in  seinem 
3:ten  Jahre  eingetroffenen  Apoplexie,  welche  wahrschein- 
lich durch  eine  Haemorrhagie  in  den  Centralganglien  ver- 
ursacht war. 

**)  Encephalo-malacie. 

Fall  12.  Renschen  (Jakobsdotter)  (Teil.  III.  S.  71).  Die  Lä- 
sion bestand  in  einer  ausgedehnten  Malacie  mit  Zerstörung 
der  Corona  radiata  bis  in  den  Thalamus  und  ausserdem 
eine  Hremorrhagie,  welche  die  Verbindung  zwischen  dem 
Colliculus  anterior  und  dem  Thalamus  aufgehoben  hatte. 
(Taf.  XII.  und  VX-) 

Fall  13.  Knies.  (Die  Beziehungen  des  Sehorgans  1893.  S.  58.) 
Bei  einem  64-jähr.  Mann  mit  Atheromatose  der  Rirnarte- 
rien  war  eine  Sehstörung  plötzlich  aufgetreten,  nämlich 
rechts  vom  Fixirpunkt  eine  amblyopische  Stelle  (s.  Orig.). 
Eine  hemianopisch  verminderte  Lichtreaktion,  nach  Knies 
wahrscheinlich  durch  eine  kleine  Blutung  entweder  in  das 
central  gelegene  Bündel  des  Tractus  oder  wahrscheinlich 
ins  Corpus  geniculatum  externum  (Schwiele?). 
***)  Geschwülste. 

Fall  14.  Dercum  (Journal  of  mental  and  nervous  diseases  1890. 
S.  506.  Ref.  im  Teil  II.  S.  270). 

Hemiopische  Pupillenreaktion  wurde  wiederholt  be- 
obachtet. Thalamus  und  besonders  Pulvinar  war  durch  ein 
Gliosarcoma  infiltrirt,'  wie  auch  zum  Teil  Nucleus  cauda- 
tus;   dagegen  weder  Corpora  quadrigemina  noch  Tractus. 

Da  Thalamus  hier  bedeutend  vergrössert  war,  lässt  es 
sich  nicht  bestimmen,  ob  die  Reaktion  durch  die  Infiltra- 
tion des  Thalamus  oder  den  eventuellen  Druck  auf  den 
Tractus  entstand. 

B)  Negative  Fälle.    Keine  hemiopische  Reaktion. 

a)  Malacie. 

Fall  Iß.  Renschen  (Westerberg)  (Teil  III.  S.  23).  Malacie  im 
Pulvinar  und  den  Kniehöckern  wie  die  Taf  V.  näher  zeigt. 
Ausserdem  ausgedehnte  Malacie  der  medialen  Rinde  des 
Occipitallappens. 

b)  Gumma. 

Fall  16.    Renschen  (Lovisa  Olsson)  (Teil  III.  S.  53).  Gummöse 


UEBER  HEMIOPISCHE  PUPILLENREAKTION 


103 


Geschwulst  an  der  unteren  Fläche  des  Pulvinars,  die  Knie- 
höcker zerstörend.    (Taf.  VII.  Fig.  5.  7.) 
Fall  77.    c)  Ruel  (Tubercul.quadrij.  1890).    Eine  vom  hinteren 
Vierhügel  auf  den  äusseren  Kniehöcker  übergreifende  Ge- 
schwulst, ohne  hemiopische  Reaktion. 

in.  Tractus-Fälle. 

A)  Positive  Fälle. 

a)  Encephalo-malacien. 

Fall  iS.  Renschen  (Jan  Jansson)  (Teil  1.  S.  136).  Die  hemi- 
opische Reaktion  wurde  wiederholt  beobachtet.  Die  Sek- 
tion zeigte  eine  ausgedehnte  Malacie  im  Mark  und  in  der 
Rinde  der  rechten  Hemisphäre  und  ausserdem  eine  fast  mi- 
kroskopische Läsion  des  rechten  Tractus  und  des  angren- 
zenden Gebietes  des  Thalamus.  (Taf.  XXV.  XXVI.  und 
im  Teil  III.  Taf.  IIL  Fig.  1-4.) 

Fall  IQ.    Leyden  (Virchow's  Festschrift  1891.  III.  S.  304). 

Im  Herbst  1890  rechtsseitige  transitorische  Hemiplegie, 
^^/i  1891.  Wiederholter  Anfall  von  Apoplexie  mit  links- 
seitiger Lähmung,  Augenablenkung  nach  rechts  und  links- 
seitiger Hemianopsie.  Keine  Sensibilitätsstörung,  aber  he- 
miopische Pupillenreaktion.  Am  4.  Mai  war  diese  nicht 
mehr  nachzuweisen,  wohl  aber  am  8.  Mai.  Bei  der  Sek- 
tion wurde  ein  Erweichungsherd  im  rechten  Linsenkern 
sowie  in  dem  Hirnschenkel  gefunden.    Tractus  ergriffen. 

Fall  20.  Martins  (Charite  Annalen  1887).  Klinischer  Fall,  wo 
die  Hemianopsie,  mit  Hemiplegie,  Hemianästhesi  und  Ocu- 
limotoriusparalyse  die  Verlegung  der  Läsion  zum  Pedun- 
culus  cerebri  und  Tractus  berechtigt. 

Fall  21.  Peters  (Deutsche  medic.  Wochenschr.  1891.  S.  1097). 
Nach  einer  Schädelfractur  eine  t.efe  Depression  des  Schä- 
dels über  dem  Hinterhauptlappen  mit  Hemianopsie,  Atro- 
phie des  Tractus  und  Strabismus.  Fast  vollständige  he- 
miopische Reaktion,  besonders  am  rechten  Auge. 

b)  Geschwülste. 

Fall  22.  Samelsohn  (Berlin,  klin.  Wochenschrift  1890.  N:o 
14  und  nach  brieflicher  Mitteilung  1894).  Hemiachroma- 
topsie  mit  Gesichtshallucinationen.  »Gliosarcoma  des  Tractus 
opticus  mit  Fortpflanzung  auf  Thalamus  opticus  und  Vier- 
hügel.   Die  Rinde  wie  die  Sehstrahlung  völlig  frei.» 

Fall  24.  Oliver  (Ophthalmie  Review  1890.  S.  268,  American 
Ophth.  Soc.    Ref.  im  Teil  II.  S.  268.) 

Deutliche  hemiopische  Pupillenreaktion.  Gliosarcoma 
im  Thalamus  und  Corpus  striatum.  Der  linke  Tractus 
war  bis  zum  Chiasma  deutlich  durch  den  Druck  abgeplat- 
tet. —  Auch  in  diesem  Fall  ist  es  unmöglich  zu  bestim- 
men, ob  die  Ursache  der  Pupillenreaktion  zum  Tractus 
oder  Thalamus  zu  lokalisiren  sei. 

Fall  25.  Uhthoff  (Über  die  bei  der  Syphilis  des  Centrainerven- 
systems vorkom.  Augenstörungen  S.  226.  308.  Auch  in 
Graefe's  Archiv.  Vol.  39.  II.  172.).  Klinischer  Fall  ohne  Sek- 
tion. Doppelseitige  Hemianopsie.  Die  Pupillenreaktion  war 
nicht  im  strengen  Sinne  hemiopisch,  sondern  nur  andeu- 
tungsweise, indem  die  Pupillen  bei  seitlicher  Beleuchtung 
der  ganzen  blinden  Retinahälften  unter  sonst  gleichen  Un- 


tersuchungsbedingungen deutlich  weniger  lebhaft  reagirten 
als  bei  Beleuchtung  der  noch  etwas  sehenden  Hälften.  Es 
wurde  diagnosticirt:  Tractus-affektion  mit  Übergreifen  auf 
das  Chiasma. 

c)  Entzündungen. 
Fall  26.  Schmidt-RImpler  (Arch.  f.  Augenheilkunde  Bd.  XIX. 
1888).  Abscess  Im  rechten  Occipitallappen.  Meningitis. 
Rechts:  Atrophie  des  Pulvinars  und  der  Kniehöcker  und 
des  Tractus  zum  Teil  in  Folge  der  Meningitis.  —  Unvoll- 
ständige hemiopische  Pupillenreaktion. 

Wie  weit  die  Entzündung  auf  die  primären  optischen 
Centren  eingewirkt  hat,  ist  wohl  ohne  mikroskopische  Un- 
tersuchung unentschieden.  Der  Fall  Ist  für  die  Lokalisa- 
tion der  Pupillenfasern  nicht  brauchbar. 

B)  Negative  Fälle. 
Fäll  27.  Morris  (Ophth.  Review  1890.  S.  267.  Medical  Record 
189 1.  S.  391.  Ref.  im  Teil  II.  S.  269).  Ein  grösserer 
Defekt  im  oberen  linken  Quadranten,  später  vollständige 
Hemianopsie.  An  der  linken  Seite  war  mehr  als  ein  Qua- 
drant blind  und  an  der  rechten  beinahe  die  Hälfte,  dessen 
Rand  schief  und  irregulär  war.  Keine  hemiopische  Pupil- 
lenreaktion. 

Ein  Gumma  bei  der  Vereinigung  zwischen  Crus  ce- 
rebri und  dem  Temporallappen  streckte  sich  nach  hinten 
zur  Aussenseite  des  Unterhorns;  nach  vorn  und  innen  brei- 
tete sich  die  Geschwulst  bis  zum  Tuber  cinereum  aus  und 
umgab  den  Tractus,  nach  oben  bis  Zoll  über  das  Pul 
vinar,  sie  infiltrirte  den  Linsenkörper,  den  vorderen  Ab- 
schnitt der  inneren  Kapsel  und  streckte  sich  lateralwärts 
bis  zum  Thalamus. 

Die  -Geschwulstmasse   scheint   erst  spät  den  Tractus 
erreicht  zu  haben  (vgl.  Teil  II.  S.  269.  Bemerkung). 
Fall  28.    Remak  (Neurol.  Centralbl.  1890.  S.  130). 

Klinischer  Fall:  Partielle  linksseitige  Hemiplegie, 
rechtsseitige  Ptosis  und  Parese  des  rechten  Rectus  supe- 
rior.  Linksseitige  Hemianopsie.  »Spuren  eines  Lichtscheines 
an  einzelnen  Stellen  des  Gesichtsfeldes  scheinen  noch  vor- 
handen zu  sein.»    Keine  hemiopische  Pupillenreaktion. 

IV.  Chlasma-Fälle. 

A)  Positive  Fälle. 

Fall  2Q.  Seguin  (Journal  of  mental  and  nervous  diseases  1887. 
S.  721).  Khnischer  Fall  ohne  Sektion.  L.  A.  Blind.  R.  A. 
Temporale  Hemianopsie.  Komplete  Atrophie  des  linken, 
inkomplete  des  rechten  Auges.  Keine  anderen  Symptome 
eines  Gehirnleidens, 

Fall  jo.  Seguin  (a.  a.  St.  S.  724).  Partielle  Blindheit  mit  aus- 
geprägter Atrophie  der  beiden  Sehnerven.  Bitemporale 
Hemianopsie  mit  Verdunklung  des  oberen  Quadranten  des 
linken  Gesichtsfeldes.  Keine  anderen  Symptome  eines  Ge- 
hirnleidens.   Hemiopische  Reaktion  am  rechten  Auge. 

Fall  ji.  Seguin  (a.  a.  St.  S.  726).  Beinahe  vollständige  Blind- 
heit am  rechten  Auge.  Temporale  Hemianopsie  am  lin- 
ken Auge.  Partielle  Atrophie  der  beiden  Sehnerven.  Keine 
anderen  Symptome  eines  Gehirnleidens. 


104 


S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Fall  J2.  Gullstrand  (mündliche  Mitteilung).  Bitemporale  He- 
mianopsie. Chiasmageschwulst. 

J^f^^  33-  Asmus  (Arch.  f.  Ophth.  Bd.  39.  2.  1893).  Klinischer 
Fall.  Akromegalie  mit  temporaler  Hemianopsie,  wahrschein- 
lich in  Folge  einer  Hypophysisgeschwulst.  Bei  Beleuchtung 
der  inneren  Retinahälften  keine  Reaktion,  dagegen  eine 
träge  bei  Beleuchtung  der  äusseren  Hälften.  Sehvermögen 
stark  herabgesetzt,  besonders  rechts. 

Fall  J4.  Peretti  (Hemianopsia  bitemporalis  traumatica  in:  50 
Beiträge.  Festschrift  zur  Feier  des  Jubilceums  des  Vereins 
d.  Ärzte  des  Regierungsbezirkes  Düsseldorfs.  Bergmanns 
Verl.  1894).  Kopftrauma.  Bitemporale  Hemianopsie.  Zuerst 
normale  etwas  träge  Pupillenreaktion;  später  verschlechterte 
sich  das  Sehvermögen  am  linken  Auge  und  erlosch  schliess- 
lich ganz.  Erst  jetzt  konnte  P.  bei  intensiver  Beleuchtung 
der  temporalen  (?)  Netzhauthälfte  eine  immer  deutlicher 
werdende  hemiopische  Pupillenreaktion  nachweisen. 

B)  Negativer  Fall. 

Fall  j^.  Story  (Brit.  med.  Journ.  1891  31.  Mai)  Keine  he- 
miopische Reaktion.  Rechts  totale  Erblindung,  links  tem- 
porale Hemianopsie.  Chiasmageschwulst. 

[Fälle  von  Uhthoff,  nicht  näher  beschrieben,  wo  er 
eine  hemiopische  Reaktion  vergebens  suchte.] 

[3  Fälle  von  Samelsohn  mit  hemiopischer  Reaktion 
—  nicht  näher  beschrieben  (briefl.  Mitteilung  1894).  Chi- 
asmafälle?] 

V.  Opticus-Fall. 

Fall  j6.  Wilbrand  (briefliche  Mitteilung  1894).  Klinischer  Fall 
ohne  Sektion.  Zerreissung  des  linken  Sehnervens  in  Folge 
einer  Schädelfraktur  in  der  Nähe  des  Foramen  opticum 
mit  monokulärer  temporaler  Hemianopsie  auf  dem  linken 
Auge.  Rechtes  Auge  normal.  Hemiopische  Pupillenreak- 
tion links. 

Es  liegt  also  eine  recht  bedeutende  Anzahl  von  Beob- 
achtungen über  die  hemiopische  Reaktion  vor;  in  einigen 
Thailen  fand  sich  die  hemiopische  Reaktion,  in  anderen  fehlte 
sie.  Wenn  auch  die  Anzahl  nicht  zureichend  ist  um  die  Be- 
deutung der  Reaktion  in  diagnostischer  und  anatomischer 
Hinsicht  endgültig  zu  beurteilen,  so  dürfte  es  doch  ange- 
messen sein,  diese  Fälle  etwas  näher  zu  analysiren,  um  einige 
vorläufige  Schlüsse  aus  ihnen  zu  ziehen. 

Betrachten  wir  dann  die  mitgeteilten  Fälle,  so  finden 
wir  zuerst  im  Falle  i  Berg,  dass  selbst  eine  ausgedehnte  Ma- 
lacie  in  der  Rinde  der  occipitalen  und  parietalen  Lappen  nicht 
von  der  Reaktion  begleitet  wird.  Diese  Malacie  hatte  nicht 
Hemianopsie  verursacht. 

Im  I*"alle  2  Stjernström  fand  sich  eine  Rindenmalacie  in 
den  beiden  Cunei  und  ausserdem  verschiedene  kleine  Verän- 
derungen in  den  Sehstrahlungen  mit  auffallender  Einschränkung 
der  Gesichtsfelder.    Keine  hemiopische  Pupillenreaktion. 

Wenn  ich  zu  diesen  Erfahrungen  lege,  dass  ich  in  einer 
grösseren  Anzahl  von  Fällen,  welche  nicht  zur  Sektion  ka- 
men, aber  wo  verschiedene  pathologische  Processe  ausserhalb 


der  Sehbahn  vorhanden  waren,  nicht  eine  hemiopische  Reak- 
tion angetroffen  habe,  so  dürfte  der  Schluss  wohl  berechtigt 
sein,  dass  selbst  grosse  Malacien  der  occipitalen  SehbaJui  oder 
der  Rinde  der  Occipito-parietallappen  iibcrJiaupt  nicht  Jicnii- 
opiscJie  Reaktion  hervornifen. 

Der  Fall  6  vervollständigt  diese  klinische  Erfahrung.  Hier 
drang,  wie  die  Fig.  2  Taf.  XXXIX.  vermuten  lässt  und  die 
mikroskopische  Untersuchung  nachwies,  die  Malacie  bis  in 
die  unmittelbare  Nähe  der  frontalen  Sehbahn  (3  m.m.  vom 
Kniehöcker  entfernt)  ohne  die  Bahn  unmittelbar  zu  berühren; 
der  Kniehöcker  war  entzündlich  afficirt,  aber  der  Tractus 
unberührt  und  doch  fehlte  die  hemiopische  Reaktion. 

In  den  Fällen  3 — 5  haben  wir  mit  grossen  uni-  und  bi- 
lateralen Geschwülsten  zu  thun,  welche  den  hinteren  Abschnitt 
der  Sehbahn  direkt  oder  indirekt  berühren  und  ausserdem  ein 
grösseres  Gebiet  des  Marks  und  der  Rinde  einnehmen.  In 
den  Fällen  3 — 4  ist  die  Sehbahn  zerstört,  im  Pralle  5  dagegen 
durch   Druck  unmittelbar  hinter  den  CentralCTan<jlien  zusam- 

o  o 

mengedrückt.  Im  keinem  von  diesen  P'ällen  war  die  Reaktion 
vorhanden.  Geschwülste  in  der  occipitalen  Sehbahn  oder  im 
Occipital-,  Temporal-  oder  Parietallappen  rufen  also  im  Allge- 
meinen keine  hemiopische  Reaktion  hervor.  In  einem  von 
diesen  Fällen  (Fall  4)  war  jedoch  ein  deutlicher,  wenn  auch 
nicht  sehr  starker  Druck  auf  das  Pulvinar  wie  auch  auf  den 
hinteren  Abschnitt  des  Colliculus  anterior  ausgeübt  und  doch 
blieb  die  Reaktion  aus. 

Gehen  wir  so  zu  den  Fällen  7  und  8  über,  so  finden 
wir,  dass  auch  hier,  wo  grösse  circumscripte  oder  diffuse  Ge- 
schwülste vorhanden  waren  und  den  mittleren  Abschnitt  des 
Gehirns  einnahmen,  die  Reaktion  doch  nicht  im  Allgemeinen 
vorhanden  war.  Aber  im  Falle  7,  wo  die  Geschwulstmassc 
bis  zur  unmittelbaren  Nähe  des  Tractus  und  Corpus  geni- 
culatum  externum  vorgedrungen  war,  trat  die  Reaktion  in  den 
letzten  Tagen  des  Lebens,  obschon  nur  schwach,  ein.  Die 
Fig.  4  Taf  VI.  und  die  Fig.  i.  Taf  VII.  zeigen,  dass  die 
Geschwulstmasse  zu  dieser  Zeit  kaum  ein  m.m.  von  der  fron- 
talen Sehbahn  entfernt  war.  Ihr  Einfluss  auf  diese  ist  also 
ausser  Zweifel  gesetzt,  wenn  sie  auch  nicht  durchbrochen  wor- 
den war. 

Im  Falle  8  Anna  Olsson  (II.  Teil  S.  370)  war  ein 
Tumor  diagnosticirt.  Während  der  letzten  Tage  tritt  nun 
eine  inkomplete  Hemianopsie  der  unteren  Quadranten  bei  den 
Kongestionsanfällen  der  Pat.  auf  Es  wurde  diagnosticirt,  dass 
ein  Tumor  von  oben  aussen  auf  die  Sehbahn  drückte,  aber 
ich  musste  unentschieden  lassen,  ob  der  Tumor  vor  oder  hinter 
dem  Corpus  geniculatum  externum  lag.  Dann  trat  zwei  Tage 
vor  dem  Tode  der  Pat.  während  eines  Anfalles  eine  unvoll- 
ständige hemiopische  Pupillenreaktion  gleichzeitig  mit  dem 
Erscheinen  des  hemianopischen  Defektes  auf.  Deutlicher  war 
die  Reaktion  in  derselben  Nacht  als  die  Pat.  während  eines 
solchen  Anfalles  verschied.  Die  Pat.  war  dann  benommen, 
und  es  war  unmöglich  festzustellen,  ob  der  hemianopische 
Defekt  quadrantisch  oder  total  war. 

Hier  lag  die  Geschwulst  von  der  Sehbahn  recht  entfernt. 
Die  sehr  begrenzte  fibröse  Geschwulst,  welche  von  der  Dura 
ausging  und  überhaupt  mit  der  Hirnrinde  oder  den  Meningen 
nicht  zusammengewachsen  war,  drückte  gegen  die  Fossa  Syl- 


UEBER  HEMIOPISCHE  PUPILLENREAKTION 


105 


vii.  Unter  gewöhnlichen  Umständen  übte  sie  keinen  merk- 
baren Druck  auf  die  Sehbahn  aus,  aber  bei  den  Kongestions- 
anfällen entstand  der  partielle  quadrantische  Defekt  im  unteren 
Gesichtsfelde  und  nun  trat  während  der  Anfälle  die  hemiop- 
ische  Pupillenreaktion  auf 

Durch  diese  Eigentümhchkeiten  wird  dieser  Fall  beson- 
ders lehrreich  und  zugleich  einzelstehend. 

Wir  gehen  einen  Schritt  vorwärts,  wir  gehen  zu  den 
Fällen  der  Gruppe  III  über.  Hier  berührt  die  Läsion  den 
Tractus  opticus.  Mehrere  interessante  Fälle  kommen  in  dieser 
Gruppe  vor.  Der  Fall  20  Martius  ist  ein  klinischer  Fall,  wo 
also  die  Diagnose  einer  Tractus-afifektion  zwar  sehr  wahr- 
scheinlich erscheint,  jedoch  nicht  durch  Sektion  kontrollirt 
wurde. 

Dagegen  sind  mehrere  Fälle  durch  Sektion  kontrollirt. 
Der  eine  (Fall  16)  ist  von  Leyden  beobachtet.  Das  Vorhan- 
densein der  jedoch  nicht  konstanten  Reaktion  wurde  durch 
eine  vom  Linsenkern  auf  den  Tractus  übergreifende  Malacie 
erklärt.  Eine  genauere  mikroskopische  Untersuchung  scheint 
nicht  vorgenommen  worden  zu  sein.  Der  zweite  Fall,  welcher 
überhaupt  einer  der  ersten  durch  Sektion  kontrollirten  Fälle 
von  hemiopischer  Reaktion  war,  ist  von  mir  beobachtet  und 
hatte  für  mich  persönlich  ein  besonderes  Interesse.  Der  schon 
im  Teil  I.  dieses  Werkes  mitgeteilte  Fall  zeigte  eine  deutliche 
hemiopische  Reaktion,  aber  die  Sektion  zeigte  (vgl.  Taf.  XXV. 
und  XXVI.)  anscheinend  nur  eine  ausgedehnte  Malacie,  vor- 
zugsweise im  Parietallappen,  während  in  den  Centralganglien 
und  im  Tractus  keine  makroskopische  Veränderung  zu  Tage 
trat  (vgl.  Teil  I.  S.  139).  Erst  später  entdeckte  ich  unter 
dem  Mikroskope  eine  kleinere  Veränderung  im  Thalamus, 
welche  auf  den  Tractus  übergriff. 

Eine  Beschreibung  der  Veränderungen  möchte  hier  als  ein 
Anhang  zum  Sektionsbericht  (Teil  I.  S.  136)  Platz  finden. 

Fall  20.  Jan  Janssen.  Makroskopisch  waren  die  Central- 
ganglien an  ihrer  Aussenfläche  gar  nicht  verändert,  aber  beim 
Durchschneiden  wurde  im  vorderen  Abschnitt  eine  kleine  Mala- 
cie in  der  unmittelbaren  Nähe  des  Tractus  opticus  angetroffen. 
Um  die  genaue  Lage  dieser  Malacie  zu  studiren,  wurden  die 
Centralgangligen  zuerst  in  horizontaler  Richtung  in  i-m.m.  dicke 
Scheiben  geschnitten  und  für  jeden  Millimeter  einige  mikroskop- 
ische Schnitte  zur  Färbung  herausgenommen,  dann  wurden  die 
i-m.m.  dicken  Scheiben  mit  Celloldin  zusammengefügt  und  die 
Centralganglien  in  vertikale  Schnitte  zerteilt.  Auf  diese  Weise 
war  es  möglich  die  Lage  der  fast  mikroskopischen  Malacie  im 
Verhältnis  zum  Tractus  sowohl  in  vertikaler  als  in  horizontaler 
Richtung  zu  bestimmen.  (Taf.  III.  Fig.  i,  2  Horizontalschnitte, 
Fig.  3,  4  Frontalschnitte.) 

Die  Malacie  im  Thalamus  ist  am  grössten  etwas  dorsal 
vom  Tractus.  Sie  misst  etwa  9  m.m.  in  der  Länge,  2  in  der 
Breite,  hat  also  eine  längliche  Form  und  liegt  in  der  innersten 
Portion  des  Linsenkerns  dem  lateralen  Rande  des  Pes  entlang 
und  schneidet  mit  einer  dreieckigen  2  m.m.  breiten  Spitze  etwa 
12  m.m.  frontal  von  hinteren  Ende  des  Pes  in  ihn  hinein  und 
hindurch  ohne  den  Thalamus  zu  berühren  (Fig.  i,  2).  Weiter 
dorsalwärts  hört  sie  auf  und  erreicht  den  dorsalsten  Teil  des  Tha- 
lamus  gar   nicht.    In   der  Höhe  des  Tractus  liegt  die  Malacie 

S.  E.  II e  n  s  c  Ii  e  u.     Pathologie  de!;  Gehirns. 


im  lateralen  Rande  des  Pes  und  des  Thalamus  und  schneidet  in 
den  medialen  Rand  des  Tractus  etwas  ein,  wie  die  Fig.  i,  4 
näher  zeigen.  Die  Malacie  überschreitet  dabei  nicht  '/3~'/ides 
Umfanges  des  Tractus.  Die  frontale  Grenze  der  Malacie  liegt 
am  Tractus  etwa  17  m.m.,  die  occipitale  etwa  13  m.m.  vor  dem 
frontalen  Rande  des  äusseren  Kniehöckers.    (Fig.  i.) 

Wie  die  Malacie  sich  zum  Tractus  verhält,  geht  weiter  aus 
den  vertikalen  Schnitten  (Fig.  3,  4)  hervor.  Hier  finden  wir  an 
den  am  meisten  frontalen  Schnitten  (Fig.  3),  dass  die  Malacie 
dem  Tractus  ganz  nahe  liegt,  ohne  auf  ihn  Uberzugreifen;  an 
mehr  occipitalen  Schnitten  sieht  man,  dass  der  Tractus  in  seinem 
oberen  medialen  Umfange  zwei  kleine  (0,5  m.m.)  verfärbte  de- 
generirte  Fleckchen  zeigt  (Fig.  4  atr.).  Das  an  der  lateralen 
Spitze  liegende  weisse  Fleckchen  ist  keine  Degeneration,  sondern 
bezeichnet  den  Durchtritt  eines  Gefässes. 

Mikroskopisch  findet  man  die  malacische  Höhle  mit  Körn- 
chenzellen erfüllt,  aber  auch  unmittelbar  lateral  vom  Tractus 
finden  sich  solche  Ansammlungen.  Die  Grenze  der  Malacie  ist 
überhaupt  scharf.  Im  Rande  des  Tractus  findet  sich  eine  An- 
zahl mehr  oder  weniger  degenerirter  Nervenfasern.  Normale 
Fasern  fehlen  in  dem  dorso-lateralen  degenerirten  Fleckchen  des 
Tractus  fast  vollständig,  aber  am  dorso-medialen  sind  noch  zahl- 
reiche wenig  veränderte  vorhanden.  Die  Hauptmasse  des  Trac- 
tus wird  von  ganz  normalen  Fasern  gebildet.  Diese  färben  sich 
sehr  schön  und  zeigen  keine  abnormen  Varicositäten. 

In  Anbetracht  der  wiederholt  beobachteten  hemiopischen 
Reaktion  und  der  genauen  Untersuchung  der  mikroskopischen 
Veränderung  im  Tractus  scheint  der  eben  beschriebene  Fall 
für  die  Lehre  von  der  hemiopischen  Reaktion  von  besonderer 
Wichtigkeit.  Eine  mikroskopische  Malacie  im  dorso-medialen 
Umfange  des  Tractus  genügt  also  um  die  Reaktion  hervor- 
zurufen, und  die  klinische  Beobachtung  hat  nachgewiesen, 
dass  bei  jener  Lage  der  kleinen  Erweichungen  die  Reaktion 
zwar  an  beiden  Augen  erscheint,  aber  auf  dem  linken  Auge 
besonders  stark  hervortritt,  bedeutend  schwächer  auf  dem 
rechten.  (Ein  mis,sleitender  Druckfehler  findet  sich  Teil  I. 
S.  137.  8  Zeile:  von  der  »linken»  Seite,  soll  von  der  »rechten» 
Seite  sein.) 

Während  der  Fall  also  zuerst  überhaupt  im  Widerspruch 
mit  der  Wernicke'schen  Theorie  stand  (vgl.  Teil  I.  S.  139), 
wurde  er  später  nacJi  der  mikroskopischen  Untersuchung  ein 
schlagender  Beweis  für  ihre  Richtigkeit. 

Zwischen  meinem  Fall  und  dem  Leyden'schen  besteht 
also  volle  Übereinstimmung. 

Was  die  Fälle  26  Schinidt-Riiiiplcr  und  21  Peters  betreften, 
so  haben  sie  das  gemeinsam,  dass  in  beiden  ein  Trauma  über 
dem  Hinterlappen  mit  Depression  des  Schädels  und  mit  wie 
es  scheint  in  beiden  Fällen  nachfolgender  Meningitis  die  He- 
mianopsie hervorgerufen  hat.  Eine  Atrophie  des  Tractus 
ist  zugekommen  sowie  eine  hemiopische  Reaktion.  In  dem 
Schmidt-Rimpler'schen  Falle  waren  die  subkortikalen  Seh- 
ganglien zum  Teil  verzerrt  und  der  meningitische  Process 
war  bis  in  ihre  Nähe  vorgedrungen.  Wie  die  Sache  sich 
im  Peters'schen  Falle  verhält,  ist  ungewiss,  da  der  Pat.  noch 
im  Leben  ist.  Es  ist  nun  sehr  wahrscheinlich,  dass  die  Atro- 
phie des  Tractus  in  den  beiden  Fällen  durch  die  begleitende 

14 


106 


S.  K.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Meningitis  hervorgerufen  war,  und  nicht  als  eine  sel<undäre 
betrachtet  werden  soll.  In  Anbetracht  dieser  Umstände  und 
da  keine  mikroskopische  Untersuchung  des  ersten  Ealles  vor- 
genommen ist,  können  diese  Fälle  überhaupt  nicht  genauer 
anal3'sirt  werden.  Die  hemiopische  Reaktion  wird  wahrschein- 
lich durch  das  Übergreifen  des  meningitischen  Processes  auf 
den  Tractus  oder  auf  die  Centraiganglien  verursacht.  Die 
Ansicht  Peters'  dass  bei  einer  Läsion  der  occipitalen  Sehbahn 
die  Reaktion  dann  eintritt,  wenn  eine  sekundäre  Atrophie 
des  Tractus  der  Läsion  des  Occipitallappens  folgt,  ist  nicht 
aufrechtzuhalten,  da  die  Pupillenfasern  im  Tractus  gewiss 
nicht  nach  einer  solchen  Läsion  sekundär  atrophiren,  sondern 
nur  die  visuellen  Fasern  des  Tractus.  Greift  aber  der  pa- 
thologische Process  direkt  auf  den  Tractus  i.iber,  dann  kön- 
nen auch  die  Pupillenfasern  atrophiren,  und  dann  möchte  eine 
hemiopische  Reaktion  eintreten. 

Gehen  wir  also  zu  den  Geschwülsten  über.  Der  Fall  22 
Sainciso/m,  wo  nach  einer  brieflichen  Mitteilung  die  Reaktion 
sich  vorfand,  zeigte  eine  auf  den  Tractus  übergreifende  Ge- 
schwulst. Der  Fall  ist  nicht  ganz  klar,  indem  nach  der 
klinischen  Beobachtung  keine  Hemianopsie,  sondern  nur  eine 
Hemiachromatopsie  vorlag.  Da  weder  eine  eingehende  kli- 
nische Untersuchung  noch  ein  genauerer  Sektionsbericht  vor- 
liegt und  eine  mikroskopische  Untersuchung,  wie  sich  die 
Geschwulst  dem  Tractus  gegenüber  verhält,  wie  es  scheint, 
nicht  vorgenommen  ist,  so  entzieht  sich  der  Fall  jeder  Kri- 
tik, bis  ausführlichere  Auskunft  vorliegt.  Wenig  beweisend  ist 
der  U/itkoff' fic\\Q  Fall  25,  wo  eine  Tractusafifektion  mit  Über- 
greifen auf  das  Chiasma  infolge  Syphihs  klinisch  diagnosticirt 
war.  In  Anbetracht  des  Fehlens  der  Sektion  entzieht  sich 
der  Fall  der  Kritik.  Die  Reaktion  war  nur  eine  unvoll- 
ständige. 

Dagegen  steht  der  Norris' sehe.  Fall  N:o  27  in  schein- 
barem Widerspruch  mit  der  Theorie,  aber  nur  scheinbar. 
Hier  war  zuerst  nur  eine  Ouadranten-hemianopsie  vorhanden, 
später  eine  vollständige  Hemianopsie.  Eine  hemiopische  Re- 
aktion trat  bei  der  Prüfung  zwar  nicht  ein;  aber  aus  der  Be- 
schreibung des  Falles  geht  nicht  hervor,  wann  die  Unter- 
suchung auf  die  Pupillen-reaktion  vorgenommen  wurde,  ob 
im  Stadium  der  Quadranten-heraianopsie  oder  in  dem  der 
vollständigen  Hemianopsie.  Dass  eine  hemiopische  Reaktion 
selb.st  bei  Quadranten-hemianopsie  deutlich  genug  hervortre- 
ten kann,  weist  mein  P'all  8  Anna  Olsson  (Teil  II.  I-^all  38. 
S.  368.  Teil  III.  S.  102).  Ihr  Nicht-erscheinen  wird  aber 
durch  die  Schwierigkeit  der  L^ntersuchung  leicht  erklärlich, 
denn  nur  in  dem  Falle,  dass  der  schräg  in  das  Auge  ein- 
geworfene Lichtkegel  ausschliesslich  den  hemianopischen  Qua- 
dranten der  Retina  trifft,  kann  man  eine  deutliche  hemiop- 
ische Pupillenreaktion  erwarten. 

Ausserdem  wurde  meines  Wissens  keine  mikroskopische 
Untersuchung  über  die  Ausdehnung  der  Geschwulst  vorge- 
nommen. Es  lässt  sich  denken  und  der  Fall  Jan  Jansson 
(Taf.  III.  Fig.  4)  scheint  es  anzudeuten,  dass  die  Pupillen- 
fasern im  Tractus  ein  besonderes  Bündel  am  dorso-medialen 
Rande  bilden.  Nur  wenn  die  Geschwulst  dieses  Bündel  zer- 
stört, muss  die  hemiopische  Reaktion  eintreten.  Beim  Fehlen 


einer  mikroskopischen  Untersuchung,  lässt  der  Fall  sich  nicht 
kritisiren. 

Der  Norris'sche  I'all  braucht  also  nicht  in  Widerspruch 
mit  den  übrigen  Fällen  zu  stehen. 

Es  fragt  sich  dann,  welche  Läsionen  der  Centrnlganglicn 
von  der  Reaktion  begleitet  werden.  Hier  treten  uns  misslichere 
Verhältnisse  entgegen,  und  zwar  deswegen,  weil  die  anato- 
mische Untersuchung  dieser  Fälle  überhaupt  unvollständiger 
als  in  den  vorigen  P'ällen  ist  und  auch  anscheinend  einander 
widersprechende  Befunde  vorliegen. 

Was  dann  zuerst  den  Fall  14  Dcrcinn  betrifft,  so  war  hier 
sowohl  Thalamus  wie  Pulvinar  durch  eine  Geschwulstmasse 
infiltrirt.  Ob  hier  die  Reaktion  durch  den  auf  den  Tractus 
ausgeübten  Druck  oder  durch  die  Infiltration  des  Thalamus 
(resp.  Pulvinar)  hervorgerufen  wurde,  ist  wohl  ungewiss;  je- 
denfalls erklärt  die  Infiltration  an  und  für  sich  genügend  das 
Erscheinen  der  Reaktion,  giebt  aber  keine  nähere  Auskunft 
über  die  wichtige  P'rage,  wo  die  centrii3etalen  Pupillcnfasern 
in  den  Centraiganglien  verlaufen. 

Wie  schon  bemerkt  wurde,  gehört  vielleicht  auch  hiehcr 
der  Fall  N:o  24  Oliver. 

Ob  mein  klinischer  Fall  N:o  1 1  August  Johansson  hicher 
gehört  oder  nicht,  ist  beim  Fehlen  einer  Sektion  nicht  zu  ent- 
scheiden. 

Dagegen  hatte  ich  Gelegenheit  in  drei  Fällen  bei  Sek- 
tion Läsionen  in  den  Centralganglien  anzutreffen.  Diese  sind 
die  Fälle  N:o  9  Carl  L.  C,  10  Elin  Andersson  und  12  Lena 
Jakobsdotter.  Betrachten  wir  zuerst  die  ersten  zwei  Fälle. 
In  klinischer  Beziehung  sind  sie  schon  aus  dem  Grunde  be- 
merkenswert, dass  die  Reaktion  transitorisch  war;  in  diesem 
wurde  sie  zweimal  beobachtet  um  dann  zu  verschwinden,  in 
jenem  wurde  das  Auftreten  und  Verschwinden  wiederholt 
beobachtet. 

Im  Falle  Carl  L.  C.  (Fall  35  Teil  I.  S.  208)  war  bei  der 
Aufnahme  des  Status  am  ^^/lo  1887  eine  rechtsseitige  He- 
mianopsie und  linksseitige  Hemiplegie  nach  einer  Apoplexie 
am  23.  Sept.  s.  J.  vorhanden.  Diese  Hemianopsie  war 
verschwunden,  '''/la  wurde  der  Pat.  von  einem  neuen  Insult 
getroffen  und  nun  trat  von  neuem  die  Hemianopsie  hervor 
um  schon  am  ^*/i2  zu  verschwinden.  W'iederholter  Insult  am 
^"/'i  1888  rief  abermals  die  Hemianopsie  hervor,  welche  schon 
Anfang  Februar  vermindert  war.  So  traten  immer  neue  von 
Hemianopsie  begleitete  Insulte  ein.  Nach  einem  in  der  Nacht 
des  ^/n  eingetretenen  Insulte  wurde  nun  zum  ersten  Male  die 
hemiopische  Pupillenreaktion  beobachtet.  Schon  am  Abend 
desselben  Tags  war  die  Reaktion  jedoch  undeutlicher  und 
am  "/ii  konnte  sie  nicht  mehr  wahrgenonmien  werden.  Am 
"^/2  1889  wurde  nach  einem  Anfalle,  und  ebenso  im  April 
und  Mai  s.  J.  nach  neuen  Hirninsulten  dasselbe  Phänomen 
beobachtet.  In  diesem  Jahre  wurde  die  Hemianopsie  konstant, 
aber  die  hemiopische  Pupillenreaktion  konnte  nicht  wahrge- 
nommen werden  (vgl.  S.  213). 

Im  Jahre  1890  wiederholten  sich  die  epileptiformen  An- 
fälle (II.  S.  440)  und  linksseitige  Hallucinationen  traten  dabei 
auf  Bei  Prüfung  auf  die  Wernicke'sche  Pupillenreaktion  war 
der  Ausschlag  gewöhnlich  negativ,  aber  unmittelbar  nach  den 


UEBER  HEMIOPISCHE  PUPILLENREAKTION 


107 


Anfällen  positiv.  So  z.  B.  am  ^^/a  und  ^^/a  90  epileptiforme 
Anfälle ;  gleich  nach  dem  Anfalle  deutliche  Wernicke'sche 
Reaktion;  ^°/9  zwei  Anfälle  aber  die  Reaktion  verschwunden; 
^'/a  ein  Anfall,  keine  hemiopische  Reaktion.  Am  '^/i2  1891 
neuer  Anfall  um  5  v.  M.  Um  1 1  v.  M.  hemiopische  Re- 
aktion.   ''/12  Neuer  Anfall.   '''/12  hemiopische  Reaktion,  ebenso 

und  ^^/i  1892;  ^*/2  und  ^/a  Anfälle  mit  hemiopischer  Re- 
aktion.   Verschied  am  ^^/a. 

Bei  der  Sektion  fand  sich  eine  durch  das  Pulvinar  und 
Corpus  geniculatum  internum  verlaufende  Narbe  (S.  445.  Taf. 
LIV.  Fig.  4).  Das  Pulvinar  war  in  narbiges  Gewebe  ver- 
v/andelt;  dagegen  war  der  äussere  Kniehöcker  nur  wenig  an- 
gegriffen und  nur  seine  ventro-laterale  Spitze  war  atrophisch. 
Das  Brachium  anterius  war  in  Bindegewebe  umgewandelt. 
Der  Tractus  opticus  war  im  Ganzen  wenig  reducirt,  in  der 
Nähe  des  äusseren  Kniehöckers  zeigt  der  Durchschnitt  eine 
nicht  unbeträchtliche  Neubildung  von  Bindegewebe. 

Hier  finden  wir  einen  ersten  Fall  mit  temporärer  hemi- 
opischer Pupillenreaktion.  Nach  fast  jedem  Insulte  konnte 
die  Hemianopsie  beobachtet  werden  und  verschwand  nach 
wenigen  Tagen.  Nach  einer  Reihe  von  epileptiformen  Insulten 
wurde  die  Hemianopsie  erst  nach  etwa  2  Jahren  konstant;  die 
hemiopische  Pupillenreaktion  scheint  anfangs  nur  bei  den  Kon- 
gestionsanfällen eingetreten  zu  sein.  Hier  ist  also  das  Auf- 
treten und  Verschwinden  der  Reaktion  ebenso  intressant  wie 
der  Wechsel  der  Hemianopsie.  Die  Deutung  dieser  Verhält- 
nisse bietet  keine  Schwierigkeiten.  Die  Anfälle  wurden  durch 
Kongestionen  oder  Blutungen  hervorgerufen.  Die  Hemianopsie 
wie  die  Pupillarreaktion  war  Anfangs  ein  Druck-  oder  Reiz- 
symptom von  der  Sehbahn  aus,  welches  sobald  die  Konge- 
stion verschwand  oder  der  Druck  der  Blutung  nachUess,  auf- 
hörte. 

In  dem  zweiten  Falle  N:o  10  (Teil  II.  S.  394)  Elin  An- 
dersson  war  auch  eine  Hemianopsie  in  Folge  der  Zerstörung 
der  Sehstrahlung  vorhanden;  aber  ausserdem  fand  sich  hier 
bei  der  Sektion  eine  Läsion  des  Corpus  geniculatum  externum 
und  eine  sekundäre  Atrophie  des  linken  Tractus.  Nachdem 
Pat.  schon  am  '^'^jn  1886  von  einem  schweren  apoplektischen 
Insulte  getroffen  war,  wodurch  sie  aphasisch,  hemiplegisch 
und  hemianopisch  wurde,  kamen  während  des  Aufenhalts  der 
Pat.  in  meiner  klinischen  Abteilung  in  den  Jahren  1887  und 
1888,  1889  und  1892  wiederholte  epileptiforme  Anfälle  vor, 
gleich  wie  im  vorigen  Falle. 

Am  ^^/lo  1889  trat  ein  ähnlicher  Krampfanfall  während 
nur  5 — 10  Minuten  auf.  Gleich  darnach  war  Pat.  bei  Bewusst- 
sein  und  nun  wurde  eine  hemiopische  Pupillenreaktion  wahr- 
genommen, welche  schon  nach  einigen  Tagen  verschwand. 
Auch  später  wurde  diese  Reaktion  vorübergehend  beobach- 
tet. Bei  kurz  vor  dem  Tode  vorgenommener  Untersuchung 
konnte  keine  solche  Reaktion  wahrgenommen  werden,  ob- 
wohl bei  der  Sektion  eine  nicht  unbedeutende  Läsion  des 
rechten  Corpus  geniculatum  externum  und  des  rechten  Pul- 
vinars  (S.  403)  vorhanden  war  (Taf.  LVI.  Fig.  7). 

Der  zuerst  angeführte  Fall  (Carl  L.  C.)  ist  zweideutig, 
kann  aber  beweisen,  dass  eine  Zerstörung  des  eigentlichen 
Pulvinars  nicht  von  einer  hemiopischen  Reaktion  begleitet 
wird,  wenn  nämlich  die  Bindegewebeumwandlung  des  Pulvinars 


älter  als  die  Reaktion  war,  in  dem  zweiten  Falle  (Taf.  LVI. 
Fig,  7)  war  das  Pulvinar  auch  verödet,  wie  auch  der  äussere 
Kniehöcker  ,07/w  Tf//  zerstört. 

Der  dritte  Fall  12  Jakobsdotter  (Teil  III.  S.  71)  bietet 
auch  Veränderungen  in  den  centralen  Ganglien  dar.  Zwar  ist 
hier  das  Corpus  geniculatum  externum  zum  grössten  Teil  zer- 
stört, aber  die  Hauptläsion  in  der  Opticusbahn  bildet  doch  eine 
grosse  haemorrhagische  Cyste,  welche  einen  bedeutenden  Teil 
des  Pulvinars,  den  inneren  und  zum  Teil  den  äusseren  Knie- 
höcker zerstört  hat  und  vor  allem  den  Colliculus  anterior  von 
der  Verbindung  mit  dem  Pulvinar  getrennt  hat.  Die  Fig.  7 — 9 
an  der  Taf  V.  zeigen  dies  besser  als  eine  Beschreibung.  Hier 
wurde  nun  eine  hemiopische  Pupillenreaktion  wahrgenommen. 
Es  Hegt  am  nächsten  anzunehmen,  dass  die  Pupillarfasern  im 
oder  kurz  vor  dem  Brachium  anterius  durchschnitten  sind, 
aber  zi/6'un  sie  an  der  Oberfläche  des  Kniehöckers  oder  im 
äusseren  oder  inneren  Kniehöcker  verlaufen,  so  können  sie 
auch  hier  abgeschnitten  sein.  Da  ausserdem  auch  in  der 
Nähe  des  Tractus  kleine  Cysten  vorhanden  sind,  so  lässt  sich 
der  Fall  nur  mit  Reserve  für  die  Lokaldiagnostik  verwerten. 

Auch  Fälle,  wo  ungeachtet  Veränderungen  im  hinteren 
Abschnitte  des  Thalamus  (resp.  Pulvinars)  die  Reaktion  nor- 
mal (resp.  nicht-hemiopisch)  war,  sind  —  ich  kann  wohl  sagen 
leider  —  von  mir  beobachtet.  Im  Falle  15  Westerberg  finden 
sich  nicht  unbedeutende  Veränderungen  im  hinteren  Segment 
des  Thalamus  (resp.  Pulvinars).  Die  Lage  dieser  Zerstörungen 
geht  am  besten  aus  den  F"ig.  i — 5  Taf  V.  hervor.  P^s  wird 
überhaupt  recht  schwierig  in  diesem  Falle  das  Ausbleiben 
der  Reaktion  zu  erklären  (vgl.  unten). 

Auch  im  Falle  16  Lovisa  Olsson  (Teil  III.  S.  51)  (Taf. 
VII.  Fig.  5 — 7)  kann  es  schwierig  sein  das  Nichtvorhandensein 
der  Reaktion  zu  erklären,  wenn  die  Fasern  an  der  Oberfläche 
des  inneren  Kniehöckers  verlaufen  (vgl.  unten). 

Zu  diesen  unklaren  Fällen  gehört  auch  ein  Fall  von  Knies 
N:o  13  mit  Andeutung  einer  hemiopischen  Reaktion  aber  ohne 
Hemianopsie.  Da  indessen  dieser  Fall  nur  klinisch  beobachtet 
ist,  so  ist  überhaupt  eine  Verwertung  des  sonst  intressanten 
Falles  vorläufig  nicht  möglich.  Die  Deutung  von  Knies  scheint 
mir  ebenso  unwahrscheinlich  wie  seine  Theorie,  dass  bloss 
die  makularen  Fasern  des  Tractus  mit  dem  äusseren  Knie- 
höcker zusammenhängen.  Eine  solche  Theorie  entbehrt  z.  Z. 
meines  Erachtens  der  thatsächlichen  Grundlage  (s.  im  Teil  I. 
und  II  zahlreiche  Fälle  wie  z.  B.  Fall  2)  und  ist  übrigens 
unwahrscheinlich.    (Vgl,  Knies  a.  O.  S.  58  u.  s.  w.) 

Lehrreich  ist  dagegen  der  Fall  von  Riiel  (S.  103),  wo 
eine  sich  vom  hinteren  Vierhügel  entwickelnde  Geschwulst 
auf  den  äusseren  Kniehöcker  übergriff,  ohne  dass  eine  hemi- 
opische Pupillenreaktion  vorlag  —  ein  Befund,  der  unten  ver- 
wertet werden  wird. 

Lassen  wir  damit  vorläufig  dieses  schwierige  Gebiet, 
um  bei  der  Betrachtung  der  anatomischen  Seite  der  Sache 
dorthin  zurückzukehren,  und  wenden  wir  uns  zu  den  Chiasuia- 
fällcn,  so  ist  es  einleuchtend,  dass  diese  überhaupt  klarer 
und  einfacher  liegen.  Die  Lokaldiagnose  ist  in  allen  Fällen 
mit  bitemporaler  Hemianopsie  gesichert.  Diese  sind  die  3 
Fälle  29 — 33  von  Segidn  und  je  ein  von  Gullsirand  und 


108  S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Asmiis.  Diese  Fälle  stimmen  darin  mit  einander  überein,  dass 
die  bitemporalc  Hemianopsie  mit  einer  hcmiopischen  Reak- 
tion verbunden  war. 

Schwieriger  wird  es  die  negativen  Fälle  zu  erklären.  In 
Story's  Falle  wurde  eine  Chiasmagcschwulst  diagnosticirt,  aber 
da  Fat.  noch  lebte  (1891),  weiss  man  nicht  ob  das  Chiasma 
durch  die  Geschwulst  infiltrirt  war  oder  nicht.  Der  Fall  be- 
weist also  überhaupt  nichts. 

Von  weit  grösserer  Bedeutung  scheint  es,  dass  Uhthoft' 
ungeachtet  seiner  umfassenden  Erfahrung  über  mit  Opticus- 
atrophie  begleitete  Fälle  von  Chiasmagummata  (resp.  Syphi- 
lis) nie  einen  Fall  mit  hemiopischer  Reaktion  beobachtet  hat, 
ausgenommen  in  dem  Falle  N:o  25,  wo  eine  unvollständige 
Reaktion  wahrgenommen  wurde. 

In  nächster  Beziehung  zu  diesen  Cliiasmafällen  steht 
auch  ein  klinischer  Fall  28  von  Rcinak.  wo  beim  Vorhanden- 
sein einer  Hemianopsie  in  Folge  eines  diagnosticirten  Gumma 
(resp.  Syphilis)  an  der  Basis  Cranii  (resp.  Tractus)  die  hemi- 
opische  Reaktion  fehlte.  In  Anbetracht  der  oft  unregelmäs- 
sigen Ausdehnung  der  gummatösen  Geschwülste  (vgl.  Uhthoff 
über  die  bei  der  Syphilis  etc.  S.  250)  und  des  Fehlens  einer 
Sektion  verzichte  ich  auf  eine  Disku.ssion  des  Falles  und  be- 
merke nur,  dass  viellciclit  (s.  unten)  im  Tractus  die  centripe- 
talen  Pupillenfasern  ein  besonderes  Bündel  bilden  und  von 
der  Geschwulst  nicht  beeinträchtigt  waren.  Remak  erklärt 
den  Fall  durch  das  Vorhandensein  einer  Spur  von  Lichtschein 
in  der  blinden  Retinahälfte.    (Neurol.  Centraiblatt  1890.) 

Pcrcttrs  P'all  34  unterscheidet  sich  von  den  vorigen 
hauptsächlich  in  ctiologischcr  Hinsicht  (Trauma)  und  dadurch, 
dass  die  hemiopische  Reaktion  erst  nach  lirblindung  des 
Auges  eintrat,  was  wohl  darauf  deuten  kann  —  was  auch 
Peretti  erwähnt  —  dass  die  hemiopische  Reaktion  infolge  von 
Diffusion  des  Lichtes  auf  die  sehende  Retinahälfte  au.sbleiben 
kann,  selbst  wenn  die  centripetalen  Pupillenfa.sern  einseitig 
beeinträchtigt  sind. 

Endlich  hat  nach  brieflicher  Mitteilung  SainclsoJin  3 
Fälle  mit  hemiopischer  Reaktion  in  dem  Ärzte-Verein  in  Bonn 
mitgeteilt,  über  welche  jede  nähere  Auskunft  leider  fehlt. 

Von  hemiopischer  Pupillenreaktion  bei  Opticusläsion 
scheint  nur  ein  Fall  vorliegen,  nämlich  der  Fall  von  Wil- 
brand,  welcher  noch  nicht  publicirt  ist.  Dass  hier  eine  Hemi- 
läsion  vorliegt,  geht  aus  dem  Vorhandensein  einer  monoku- 
laren Hemianopsie  hervor.  Der  Fall  deutet  auf  eine  be- 
stimmte anatomische  Beziehung  zwischen  den  pupillaren  und 
visuellen  Opticusfasern. 

Es  liegt  also  schon  eine  bedeutende  Kasuistik  über 
Fälle  mit  hemiopischer  Pupillenreaktion  vor.  Es  existirt  kein 
Zweifel  mehr,  dass  in  der  That  diese  Reaktion  vorkommen 
kann,  wenn  auch  hervorragende  Auktoritäten  auf  dem  Ge- 
biete der  Ophtalmologie  ihr  Vorhandensein  oder  selbst  Mög- 
lichkeit leugnen.  Bei  dem  Kongresse  in  Rom  d.  J.  (1894) 
bezweifelten  verschiedene  Augenärzte  ihre  Existenz. 

Eine  kurze  Ubersicht  ihrer  lokaldiagnostischen  Bedeutung 
dürfte  hier  am  Platze  sein. 

I.  Die  H.R.  (=  hemiopische  Reaktion)  tritt  nicht  auf 


ä)  bei  Malacien  im  Occipital-,  Parietal-  oder  Temporal- 
lappen.   (Fälle  I  — 2.) 
a)  selbst  wenn  sie  sehr  gross  sind,  oder 
ß)  die  Malacie  bis  in  die  Nähe  des  Kniehöckers  vor- 
gedrungen ist  (Fall  6). 

b)  bei  Geschwülsten  in  den  erwähnten  Teilen, 

7.)  selbst  wenn  sie  ausgebreitet  sind  (Fälle  3 — 5)  oder 
ß)  die  Sehstrahlung  zerstört  haben  (Fall  3 — 4), 
Y)  oder  einen  leichteren  Druck  auf  das  Pulvinar 
S)  oder  die  Vierhügel  von  hinten  ausgeübt  haben. 
II.  ä)  Wenn  eine  Geschwulst  in  die  unmittelbare  Nähe  der 
frontalen  Sehbahn  vorgedrungen  ist,  kann  eine  undeut- 
liche oder  unvollständige  H.R.  entstehen,  selbst  wenn 
die  frontale  Bahn  nicht  abgeschnitten  ist  (Fall  7). 

b)  Plbcnso  kann  (ausnahmsweise?)  eine  grö.sserc  Ge- 
schwulst von  der  Fossa  Sylvii  aus  auf  den  Tractus 
so  stark  drücken,  dass  U.R.  entsteht,  wenn  zugleich 
der  intrakranielle  Druck  hochgradig  gesteigert  ist 
(Fall  8). 

III.  Die  H.R.  entsteht  in  der  Regel  bei  Läsionen  im  Tractus 
(Fall  18—20),  selbst  wenn  sie  sehr  klein  sind  (Fall  17). 

IV.  Die  Läsion  des  äusseren  Kniehöckers  scheint  nicht  die 
H.R.  hervorzurufen. 

a)  wie  z.  B.  wenn  der  Kniehöcker  entzündlich  affizirt 
ist  (Fall  6), 

b)  oder  durch  ein  Gumma  (Fall  16)  oder  andere  Ge- 
schwulst (Fall  17), 

c)  oder  durch  eine  Malacie  ergriffen  ist  (Fälle  10,  15). 
V.  Ob  eine  FI.R.  durch  eine  Affektion  des  inneren  Knie- 
höckers entstehe  ist  noch  nicht  entschieden. 

VI.  Die  H.R.  scheint  durch  die  Zerstörung  des  Pulvinars 
nicht  zu  entstehen,  weder 

a)  bei  Malacie  und  Narbenbildung  etc.  (Fall  9?  10,  15,  16) 

b)  oder  bei  einem  leichten  Druck  auf  das  Ganglion 
(Fall  4). 

VII.  H.R.  bleibt  bei  Zerstörung  der  hinteren  Vierhügel  aus 

(Fall  17). 
VIII.  H.R.  ensteht 

d)  bei  ausgedehnter  Geschwulstinfiltration  des  hinteren 
Abschnittes  des  Thalamus  und  Pulvinars  (Fall  14). 
(Druck  auf  den  Tractus?) 

b)  bei  ausgedehnter  Zerstörung  dieses  Gebietes,  Fall 
12  (durch  Zerstörung  des  Brachium  anterius?). 

IX.  H.R.  entsteht  bei  Chiasmaaffektionen  (besonders  Syphilis) 
mit  bitemporaler  Hemianopsie  (Fälle  29,  30,  31,  32,  33) 
bleibt  doch  dabei  oft  aus,  aus  unbekannten  Gründen, 
wie  z.  B.  bei  Hypophysis-Geschwülsten  ?  (Fall  35)  oder 
Syphilis  (Uhthoff 's  Erfahrungen). 

X.  H.R.  kann  nach  Fractur  in  der  Nähe  des  Foramen 
orbitale  mit  monokulärer  Hemianopsie  vorhanden  sein 
(Fall  34). 

In  wie  weit  die  H.R.  von  lokaldiagnostischer  Bedentung 
ist  geht  aus  dieser  kurzen  Übersicht  der  Kasuistik  hervor. 
Wenn  man  die  den  übrigen  anscheinend  widersprechenden 
Fälle  N:is  15,  16,  27  und  35  genau  analysirt,  so  dürfte  man 
wohl   zu  der  Ansicht  kommen,  dass  sie  wohl  zu  erklären 


UEBER  HEMIOPISCHE  PUPILLENREAKTION 


109 


sind.  Jedenfalls  sind  alle  diese  von  negativer  Art  (eine  H.R. 
ist  in  diesen  nicht  gefunden)  und  es  lässt  sich  selbst  denken, 
class  in  einigen  das  Ausbleiben  der  Reaktion  auf  fehlerhafter 
Untersuchung  beruht,  indem  vielleicht  der  in  das  Auge  ein- 
geworfene Lichtkegel  selbst  die  Macula  lutea  oder  das  von 
den  beiden  Hemisphären  inncrvirte  überschüssige  Gesichtsfeld 
gereizt  hat. 

Und  damit  lasse  ich  die  klinische  Seite  dieser  Frage, 
um  die  anatouiische  zu  behandeln. 


Die  Frage  nach  dem  Verlaufe  der  ceniripetaleii  Pitpillcn- 
fasern  hat  sowohl  ein  theoretisches  wie  ein  praktisches  In- 
teresse. Erst  wenn  man  den  anatomischen  Verlauf  dieser 
Fasern  kennt,  wird  man  im  Stande  sein  die  diagnostische 
Bedeutung  der  Pupillenveränderungcn  im  speciellen  Falle 
diagnostisch  zu  verwerten. 

Die  Lehre  von  der  hemiopischen  Pupillenreaktion  geht 
von  der  Voraussetzung  aus,  dass  es  besondere  Pupillenreflex- 
fasern  giebt  und  dass  diese  sich  im  Chiasma  ähnlich  wie  die 
übrigen  Opticusfascrn  hinsichtlich  der  Kreuzung  verhalten, 
dass  also  auch  eine  Partialkreuzung  dieser  F"asern  stattfindet 
und  dass  sie  nach  dieser  Kreuzung  im  Tractus-Strange  mit 
den  übrigen  Opticusfascrn  verlaufen.  Ein  solches  Verhältnis 
scheint  auch  a  priori  am  wahrscheinlichsten  und  das  blosse 
Auftreten  der  hemiopischen  Pupillenreaktion  ist  im  höchsten 
Grade  geeignet  eine  solche  Auffassung  zu  bestätigen.  Der 
anatomische  Beweis  für  die  Richtigkeit  dieser  Ansicht  dürfte 
jedoch  bisher  nicht  geliefert  worden  sein.  Auf  dem  ana- 
tomischen Wege  ist  es  meines  Wissens  noch  nicht  gelungen 
die  centripetalen  Pupillenfasern  von  den  übrigen  zu  isoliren, 
oder  ihrem  Verlauf  in  der  vorderen  Sehbahn  zu  folgen.  Und 
auf  rein  anatomischem  Wege  dürfte  überhaupt  dieses  Problem 
nicht  gelöst  werden  können,  wenn  sich  auch  hervorragende 
Anatomen  damit  beschäftigten.  Es  dürfte  hier  überflüssig 
sein  die  geschichtliche  Entwicklung  der  Frage  nach  dem 
Verlauf  dieser  Fasern  darzustellen.  Nur  daran  will  ich  erin- 
nern, dass  nach  Meynert  die  Radiärfasern,  welche  aus  den 
Kernen  der  vorderen  Vierhügel  in  das  Aquäductusgrau  ein- 
dringen, die  Reflexe  von  den  in  die  Vierhügel  eindringen- 
den Opticusfascrn  auf  die  Oculimotoriuskerne  überführen. 

Forel2htx  leugnet  selbst  das  Vorhandensein  dieser  Fasern, 
sowie  ihre  von  Meynert  supponirte  Funktion. 

Uberhaupt  sind  wir  auf  rein  anatomischem  Wege  kaum 
weiter  als  Meynert  gekommen  —  nämlich  wir  können  kon- 
statiren,  dass  Fasern  aus  Tractus  opticus  in  die  vorderen 
Vierhügel  gelangen,  und  Ranwn  y  Cajal  hat  konstatirt,  wie 
die  als  Opticusfascrn  supponirten  Fasern  hier  bäumchenför- 
mig  enden,  aber  den  Beweis,  dass  diese  Fasern  die  Pupillen- 
reflexbahn  bilden,  kann  überhaupt  die  reine  Anatomie  nicht 
liefern. 

Nur  durch  das  Experiment  oder  die  klinisch-anatomische 
F"orschung  können  wir  hier  zu  einem  Resultat  gelangen.  Ver- 
schiedene Forscher  waren  mit  dem  Problem  beschäftigt,  vor 
allen  haben  Gudden,  Bechterew  und  DarkschezvitscJi  versucht 
auf  dem  Wege  des  Experiments  die  Sache  zu  lösen,  sind 
aber  zu  verschiedenen  Resultaten  gekommen, 


Durch  Exstirpations versuche  an  Kaninchen  kam  Gudden'^- 
zu  folgenden  Schlüssen.  Wird  der  eine  Colliculus  anterior 
Corporis  quadrigemini  z.  B.  der  rechte  weggenommen,  so 
wird  das  Thier  am  entgegengesetzten  Auge  blind.  Das 
Thier  sieht  links  nicht,  die  Pupillen  aber  verhalten  sich  auf 
beiden  Seiten  gleich  und  normal.  Nimmt  man  beide  obere 
Hügel  fort,  so  erscheint  das  Thier  blind,  die  Pupillen  aber 
verhalten  sich  wie  bei  normalen  Thieren.  Nimmt  man  aber 
mit  dem  oberen  rechtsseitigen  Hügel  auch  einen  vor  dem- 
selben liegenden  »Buckel»  (im  Thalamus)  weg,  so  beobachtet 
man  au.s3er  der  linksseitigen  Blindheit  noch  eine  ungemein 
starke  Erweiterung  der  Pupille  auf  dem  blinden  Auge.  In 
beiden  diesen  Fällen  entsteht  im  linken  Sehnerv  eine  diffuse 
aber  unvollständige  Atrophie.  »Zwei  Centren  sind  demnach 
vorhanden,  jedes  mit  einem  besonderen  Fasersystem,  ein  Seh- 
centrum (oberer  Hügel)  und  ein  vor  diesem  liegendes,  durch 
welches  auf  reflektorischem  Wege  die  Verengerung  der  Pupille 
herbeigeführt  wird.»  Ein  drittes  Centrum  findet  sich  im  äus- 
seren Kniehöcker. 

Durch  Thierexperimente  kam  später  DarkscJiewitsch  hin- 
sichtlich des  Verlaufs  der  centripetalen  Pupillenfasern  zu  einer 
im  Ganzen  ähnlichen  Ansicht.  (Arch.  i.  Anat.  und  Physiol., 
Anat.  Abteil,  1883.  S.  268,  Wratsch  1886  N:o  43.  Ref. 
in  neurol.  Centralbl.  1887.  S.  36). 

Nach  ihm  folgen  diese  Pupillenfasern  dem  Tractus,  treten 
im  Gebiete  des  äusseren  Kniehöckers  aus  dem  Tractus  und 
ziehen  nun  durch  den  Sehhügel  hindurch  zur  Zirbeldrüse 
und  Ganglion  habenulae  und  von  hier  werden  die  Reflexe  durch 
Fasern  der  hinteren  Kommissur  zu  den  Kernen  der  Nervi 
Oculimotorii  geführt.  Dieser  Verlauf  wurde  von  Darksche- 
witsch,  teils  durch  die  Atrophiemetode,  teils  durch  Durch- 
schneidung des  Pupillenfasernbündels,  wo  es  in  der  hinteren 
Sehhügelsportion  oder  in  der  hinteren  Abteilung  der  Seiten- 
wand des  dritten  Ventrikels  verläuft,  erwiesen. 

Dieser  Auflassung,  dass  die  PuDÜlenfasern  durch  den 
Thalamus  verlaufen,  scheint  auch  Bellonci  nach  umfassenden 
komparativ-anatomischen  Studien  sich  anzuschliessen  (Zeit- 
schrift f.  wissenschaftl.  Zoologie  Bd.  74.  Hft.  i.  S.  25). 

Auch  Mendel  schliesst  sich  in  so  weit  der  Ansicht  Dark- 
schewitsch's  an,  dass  er  im  Ganglion  habenulae  ein  Pupillen- 
ganghon  ersieht.  Nach  Exstirpation  der  Iris  bei  neugeborenen 
Thieren  fand  er  eine  Atrophie  des  gleichseitigen  Ganglion 
habenuljE  wie  auch  gewisser  Fasern  der  Commissura  posterior. 
Die  Reflexbahn  für  die  centripetalen  Pupillenfasern  ist  also  nach 
Mendel:  Nervus  opticus,  Chiasma,  Tractus  opticus,  ungekreuzt 
zu  Ganglion  habenulre,  Commissura  posterior  zu  dem  Gudden' 
sehen  Kern  und  zu  dem  Oculimotorius. 

Anders  verlaufen  nach  BecJitereiv  die  centripetalen  Pupil- 
lenfasern. 

Er  kam  nämlich  auf  Grund  seiner  Experimente  zum  Re- 
sultate, dass  die  centripetalen  Pupillenfasern  im  Nervus  op- 
ticus nur  bis  zum  Chiasma  verlaufen,  dass  sie  aber  weiter 
caudalwärts  nicht  dem  Tractus  folgen  oder  in  die  Corpora 
geniculata  gelangen,  sondern  hinter  dem  Chiasma  unmittelbar 
und  ohne  Kreuzung  in  das  die  Höhle  des  dritten  Ventrikels 

*  Gesammelte  Abhandl.  S.  188.  198, 


110 


s.  E.  hp:nschen. 


PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


bekleidende  Centralgrau  hineintreten,  um  dann  zu  den  Kernen 
des  Oculimotorius  zu  ziehen.  Während  ilires  ccntripetalen 
Verlaufs  sind  sie  nicht  gekreuzt.  Am  Boden  des  dritten  Ven- 
trikels findet  sich  nicht  ein  Centrum,  sondern  nur  ein  Teil 
der  centripetalen  Bahn  des  Reflexbogens ;  das  Centrum  selbst 
befindet  sich  nach  Bechterew  im  Kern  des  Oculimotorius 
(Neurol.  Centraiblatt  1883  S.  320  Ref.). 

Zu  diesem  Resultate  gelang  Bechterew  durch  Experi- 
mente an  Hunden.  Nach  dem  Durchschneiden  des  einen 
Tractus  opticus  bekam  er  Hemianopsie,  aber  keine  Änderung 
in  der  Weite  und  Beweglichkeit  der  Pupillen.  Auch  nach 
Zerstörung  der  Erhebungen  des  vorderen  Vierhügels  und 
Läsion  des  lateralen  Kniehöckers  hörte  bei  Hunden  die 
Lichtreaktion  der  Pupille  nicht  auf 

Wie  Heddätis  aber  bemerkt  und  jeder  Kliniker,  der  die 
hcmiopische  Pupillenreaktion  beobachtet  hat,  weiss,  ist  dieser 
Schluss  verfrüht,  denn  infolge  der  Partialkreuzung  der  Pupil- 
larfasern  im  Chiasma  wird  selbst  nach  Zerstörung  des  einen 
Tractus  infolge  der  Wirkung  des  Lichtreizes  auf  die  andere 
Retinahälfte  und  auf  die  bilateral  innervirte  Macula  lutea 
eine  Veränderung  der  Pupillen  vermisst.  Wie  Heddäus  rich- 
tig anmerkt,  könnte  eine  solche  Veränderung  erst  nach  Zer- 
störung der  beiden  Tractus  eintreten. 

Inzwischen  findet  Bechterew  in  den  Darkschewitsch'en 
Untersuchungen  im  Ganzen  eine  Bestätigung  seiner  eigenen 
Untersuchungen,  obschon  Darkschewitsch  eben  in  seinen 
Ergebnissen  einen  Widerspruch  ersieht  (Bechterew,  Leitungs- 
bahnen S.  78). 

Auch  CJiristiaiii  hat  Beziehungen  der  Wand  des  3:ten 
Ventrikels  zur  Pupille  nachgewiesen. 

Zu  der  Ansicht  Bechterew's  neigt 'sich  Heddäus  und  zwar 
auf  Grund  verschiedener  eigener  Beobachtungen  aus  der 
menschlichen  Pathologie  (Heddäus,  Die  centripetalen  Pupillen- 
fasern 1894). 

Als  solche  pathologische  Thatsachen,  welche  für  eine 
Verlegung  der  Pupillenfasern  zur  Wand  des  dritten  Ventrikels 
sprechen,  hat  Moc/i*  einen  Fall  angeführt,  wo  eine  voUstän 
dige  bilaterale  Pupillendilatation  mit  Aufhebung  der  Pupillcn- 
rcaktion  durch  eine  Geschwulst  im  3:ten  Ventrikel  verursacht 
wurde.  Diese  Aufhebung  der  Reaktion  war  eine  dauernde 
und  ganz  gleichmässige.  Sie  war  bei  guter  Sehschärfe  und 
bei  vollkommener  P>haltung  der  Pupillenverengerung  auf 
Konvergenz  vorhanden.  Sowohl  der  Opticus  wie  der  Oculi- 
motorius waren  intakt.  Keine  ophthalmoskopische  Verän- 
derung. Unter  diesen  Umständen  sagt  Moeli  »liegt  es  nahe 
in  einer  Schädigung  dem  Ventrikel  benachbarter  Pupillen- 
fasern des  Opticus  durch  die  Geschwulst  den  Grund  für  die 
Starre  der  Pupillen  in  diesem  Falle  zu  suchen». 

Auch  ich  habe  einen  ähnlichen  Fall  beobachtet  (Teil  I. 
S.  92  Fall  13).  Hier  fand  sich  auch  im  3:ten  Ventrikel  eine 
Geschwulst  (Taf.  XIX.  Fig.  4).  Hier  waren  die  Pupillen  be- 
deutend dilatirt,  die  Reaktionsfähigkeit  ausgelöscht,  aber  die 
Augenbewegungen  normal.  Pat.  war  blind  und  hatte  Stasis- 
papille.  Die  Geschwulst  füllte  den  3:ten  Ventrikel  vollstän- 
dig aus. 


Endlich  hat  Schütz  *,  welcher  sich  speciell  mit  Unter- 
suchungen über  die  Veränderungen  der  Fasern  in  der  Wand 
des  3:ten  Ventrikels  bei  Paralysie  generale  beschäftigt  hat, 
gefunden,  dass,  ungeachtet  der  Pupillenstarre  der  Paralytiker, 
»die  aus  dem  Tractus  opticus  in  das  Infundibulum  abgehenden 
Fasern»  »sich  in  einigen  Fällen  von  Paralyse  mit  reflektor- 
ischer Pupillenstarre  intakt»  »erwiesen»  hatten.  »Es  Hess  sich 
keine  bestimmte  Beziehung  irgend  eines  Teiles  des  centralen 
Höhlengrau  zu  dem  Pupillenreflexe  auf  Licht  feststellen.» 
»Damit  ist  aber  die  Wahrscheinlichkeit  nicht  ausgeschlossen, 
dass  im  centralen  Höhlengrau  dennoch  Fasern  verlaufen,  die 
einen  Teil  jenes  Reflexbogens  bilden.» 

Was  nun  diese  Fälle  betrifft,  so  dürften  überhaupt  Fälle 
mit  Geschwülsten  für  die  genauere  Lokalisation  der  Bahn  der 
Pupillenfasern  nicht  geeignet  sein,  und  der  Schütz'sche  Be- 
fund spricht  wohl  eher  gegen  als  für  die  Bechterew  sehe 
Ansicht. 

Entscheidend  für  die  F"rage,  ob  die  Pupillenfasern  un- 
mittelbar nach  hinten  vom  Chiasma  von  der  Sehbahn  in  die 
Gehirnhemisphäre  übertreten  oder  dem  Tractus  folgen,  um 
erst  später  etwa  in  der  Gegend  der  Corpora  geniculata  in 
'  den  Thalamus  einzutreten  und  zu  ihrem  Kern  zu  gelangen, 
sind,  wie  mir  scheint,  die  klinischen  Ergebnisse  über  die 
hcmiopische  Pupillenreaktion.  Dieses  Symptom  lässt  sich 
nur  durch  eine  unmittelbare  oder  mittelbare  Läsion  oder  Be- 
einträchtigung der  Pupillenfasern  erklären.  Was  lehren  denn 
die  P"älle  mit  hemiopischer  Pupillenreaktion? 

Wie  oben  wiederholt  hervorgehoben  ist,  ruft  eine  Läsion 
in  der  occipitalen  Sehbahn  überhaupt  nie  die  hcmiopische 
Reaktion  hervor  (Fälle  l — 6),  wenn  diese  nicht  durch  ihre 
Nähe  auf  die  frontale  Bahn  beeinträchtigend  einwirkt.  Hier- 
aus geht  also  hervor,  dass  die  Pupillenfasern  nicht  in  der 
occipitalen  Sehbahn  liegen,  sie  weichen  an  einem  Punkt  vor 
dem  Anfang  dieser  Bahn  nach  der  Mittellinie  ab. 

Dass  anderseits  die  Pupillenfasern  im  Tractus  erhalten 
sind,  das  leidet  nunmehr  keinen  Zweifel.  Der  Fall  von  Ley- 
den  (S.  103)  und  noch  mehr  der  von  mir  beobachtete  und 
nach  dem  Tode  mikroskopisch  untersuchte  Fall  (S.  105),  wo 
sich  eine  minimale  Malacie  im  vorderen  Teil  des  Tractus,  dem 
frontalen  Teile  des  Pes  gegenüber,  vorfand,  beweist,  dass  sich 
hier  Pupillenfasern  vorfinden.  Die  Pupillenfasern  weichen  also 
nicht  wie  Bechterew  annimmt  schon  am  Chiasma  aus  dem 
Tractus  in  die  Wand  des  dritten  Ventrikels  ab,  sondern  erst 
später. 

Dieser  Schluss  steht  mit  den  anderen  Fällen,  wo  eine 
hcmiopische  Reaktion  durch  eine  Läsion  im  Tractus  verur- 
sacht wurde  nicht  in  Widerspruch,  wird  eher  bestätigt.  Wenn 
wir  dabei  die  rein  klinischen  Fälle  N:o  20.  21.  25  ausser  Acht 
lassen,  da  man  die  precisc  Lage  und  Ausdehnung  der  Läsion 
nicht  bestimmen  kann,  so  sind  die  Fälle  mit  Geschwülsten 
noch  übrig. 

In  Dercum's  Pralle  (N:o  8  Teil  II.  S.  270)  fand  sich  ein 
Tumor  Thalami,  welcher  das  Ganglion  ausdehnte  und  haupt- 
sächlich Pulvinar  und  in  bedeutender  Ausdehnung  auch  den 
eigentlichen  Thalamus  (»tubercle»)  einnahm.     Aus  dieser  Be- 


'  Archiv  f.  Psychiatrie  Bd.  i8.  S.  32. 


*  Archiv  f.  Psychiatrie    Bd.  22.  S.  584. 


UEBER  HEMIOPISCHE  PUPILLENREAKTION  III 


Schreibung  lässt  sich  wohl  vermuten,  dass  die  Pupillenfasern 
bei  ihrem  Durchgang  durch  den  hinteren  Absclinitt  des  Tha- 
lamus ergriften  waren;  doch  erlaubt  die  Beschreibung  nicht 
auszAischliessen,  dass  vielleicht  die  Pupillarfasern  in  der  Wand 
des  dritten  Ventrikels  angegriften  waren.  Sowohl  die  Vier- 
hügel wie  der  Tractus  waren  mikroskopisch  intakt,  was  doch 
nicht  einen  auf  sie  ausgeübten  Druck  ausschliessen  dürfte. 

Im  zweiten  Fall  (N:o  4  Oliver  Teil  II.  S.  268)  fand 
sich  auch  eine  Geschwulst  im  äusseren  Abschnitt  des  Tha- 
lamus und  im  Corpus  striatum.  Die  Geschwulst  drückte 
auf  den  Tractus  nach  vorn  bis  zum  Chiasma.  In  Folge 
dessen  erlaubt  der  Fall  die  Einwendung,  dass  die  hemiop- 
ische  Pupillenreaktion  vielleicht  durch  den  in  der  Nähe  des 
Chiasma  ausgeübten  Druck  hervorgerufen  sei.  Für  die  Lo- 
kalisation der  Pupillenfasern  ist  der  Fall  deswegen  nicht 
brauchbar. 

Dasselbe  gilt  von  dem  Falle  Samelsohn,  wo  eine  Ge- 
schwulst vom  Thalamus  auf  den  Tractus  übergreift. 

Ich  komme  nun  zu  der  Frage,  wo  diese  Pupillenfasern 
vom  Tractus  abweichen  um  in  den  Thalamus  einzutreten. 
Nach  dem,  was  wir  oben  gesagt  haben,  folgen  die  Fasern 
dem  Tractus  wenigstens  bis  zum  frontalen  Rande  des  Pe- 
dunculus  cerebri,  aber  treten  die  Fasern  in  den  äusseren 
Kniehöcker  ein  oder  nicht?  Nach  DarkscJiezvitsch  und  Bel- 
lonci.  trennen  sich  die  Pupillarfasern  vom  Tractus  im  Bereich 
des  Corpus  geniculatum  externum.  Es  wäre  inzwischen  von 
Interesse  entscheiden  zu  können,  ob  die  Pupillarfasern  inner- 
halb oder  vor  dem  Corpus  geniculatum  externum  abweichen. 
Es  lässt  sich  nämlich  denken,  dass  eine  Verfeinerung  der 
Lokaldiagnostik  eintreten  könnte,  wenn  'es  sich  nachweisen 
Hesse,  dass  die  Pupillarfasern  wirklk^h  frontal  vom  Kniehöcker 
nach  der  Mittellinie  abweichen. 

In  der  That  habe  ich  verschiedene  F"älle  beobachtet, 
welche  für  diese  Ansicht  sprechen.  Im  Falle  N:o  14  (Elin 
Andersson  Teil  II.  S.  394),  welcher  oben  ausführlich  be- 
schrieben ist,  entstand  nach  einer  Apoplexie  eine  dauernde 
Hemianopsie  nebst  VVortblindheit  und  rechtsseitige  Hemi- 
plegie. Die  Pat.  hatte  während  ihrer  mehrjährigen  Krankheit 
wiederholt  epileptische  Anfälle  und  dabei  trat  die  hemiop- 
ische  Pupillenreaktion  deutlich  auf,  um  in  der  Zwischenzeit  zu 
schwinden. 

Dieser  Wechsel  Hess  sich  einige  Male  nachweisen,  aber 
kurze  Zeit  vor  dem  Tode  fand  sich  keine  hemiopische  Reak- 
tion vor.  Bei  der  Sektion  war  nun'  eine  ausgeprägte  primäre 
Läsion  im  linken  äusseren  Kniehöcker  vorhanden. 

In  Ubereinstimmung  hiermit  war  eine  deutliche  sekun- 
däre Atrophie  im  Tractus  und  den  beiden  Sehnerven  nach- 
weisbar.   (Taf.  XXXVII.  Fig.  12—24.) 

Da  nun  ungeachtet  der  Zerstörung  des  Kniehöckers 
keine  konstante  hemiopische  Pupillenreaktion  vorhanden  war, 
so  scheint  es  gewissermassen  berechtigt  zu  sein  zu  schliessen, 
dass  die  Pupillenfasern  nicht  durch  den  Kniehöcker  ziehen, 
sondern  vor  dem  Ganglion  nach  der  Mediallinie  hin  in 
die  Substanz  des  Thalamus  abweichen.  Ganz  einwurftrei  ist 
der  Fall  doch  nicht,  denn  der  Kniehöcker  war  nicht  völlig 


destruirt,  und  es  lässt  sich  denken,  dass  die  Pupillarfasern 
im  erhaltenen  Abschnitt  des  Ganglions  hindurchtraten. 

Weniger  klar  ist  der  l'all  Carl  L.  C.  35  und  45,  (Teil  I. 
S.  20S  und  Teil  II.  S.  439  und  Teil  III.  S.  102).  Hier  wurde 
eine  Anfangs  transitorische  dann  anscheinend  permanente  he- 
miopische Pupillenreaktion  beobachtet.  Bei  der  Sektion  fand 
sich  der  äussere  Kniehöcker  wenig  affizirt,  aber  unmittelbar 
vor  ihm  lag  eine  schräg  über  den  Tractus  verlaufende  Narbe, 
welche  etwa  der  medialen  Tractuswurzel  entsprach.  Hier 
scheinen  also  die  Pupillenfasern  zu  verlaufen,  nicht  aber  im 
äusseren  Kniehöcker.  Weiter  nach  vorn  fand  sich  im  Tractus 
oder  Thalamus  keine  Läsion,  welche  die  Reaktion  erklärte  — 
ja  überhaupt  keine  primäre  Veränderung. 

Für  diese  Frage  ist  auch  der  Fall  N:o  32  Ruel  von 
Interesse  (Teil  II  S.  279).  Die  Symptome  datirten  wenigstens 
aus  dem  September  1886,  schon  im  Februar  1887  kam  Herab- 
setzung der  Intelligenz  und  Apathie  dazu,  im  Mai  war  der 
Pat.  schon  umnebelt  und  doch  konnte  Ruel  am  Ende  des 
Monats  keine  Wernicke'sche  Reaktion  nachweisen.  Noch  im 
August  war  die  Reaktion  des  rechten  Auges  normal.  Im 
Oktober  reagirten  die  beiden  Pupillen  nicht  mehr.  Der  Pat. 
fiel  in  einen  komatösen  Zustand  und  starb  '/i  1888.  Bei  der 
Sektion  nahm  eine  Geschuailst  den  linken  hinteren  Vierhügel 
ein;  daneben  waren  der  äussere  und  der  innere  Kniehöcker 
erweicht  und  die  Erweichung  dehnte  sich  bis  in  das  Pulvinar 
und  den  Hirnschenkel  aus.  Da  nun  gegen  das  Ende  des 
Pat.  beide  Pupillen  reaktionslos  waren,  so  kann  dieses  durch 
den  Hydrops  ventriculorum  am  besten  erklärt  werden.  Die 
lange  bis  in  August  hinein  erhaltene  Pupillenreaktion  und  das 
Fehlen  der  Wernicke'schen  Reaktion  im  Mai  kann  dafür 
sprechen,  dass  die  Pupillarfasern  nicht  den  äusseren  Knie- 
höcker passiren. 

Für  dieselbe  Auffassung  spricht  auch  der  Fall  5  (Teil 
III.  S.  51),  wo  eine  Gumma  den  äusseren  Kniehöcker  voll- 
ständig infiltrirt  und  zerstört  hatte,  ohne  dass  eine  hemiopische 
Reaktion  bei  der  Untersuchung  nachgewiesen  wurde.  —  Im 
Falle  N:o  2  (Teil  III.  S.  22),  wo  die  Reaktion  auch  ausblieb, 
war  dagegen  der  äussere  Kniehöcker  nur  im  lateralen  Rande 
zerstört,  weshalb  der  Fall  nichts  beweist. 

Endlich  fand  sich  im  Falle  N:o  37  (Teil  II.  S.  362)  eine 
sich  bis  in  die  unmittelbare  Nähe  des  äusseren  Kniehöckers 
ausdehnende  hämorrhagische  Malacie.  In  Folge  dessen  war 
das  Ganglion  entzündlich  affizirt.  Dessen  ungeachtet  war 
eine  hemiopische  Reaktion  nicht  vorhanden. 

Alle  diese  Fälle  stimmen  mit  einander  überein  und 
wenn  auch  jeder  Fall  für  sich  nicht  absolut  beweiskräftig 
ist,  so  sprechen  sie  zusammen  kräftig  dafür,  dass  die  Piipillcn- 
fasern  nickt  in  den  äusseren  Knieliöcker  eintreten.  Aus  die- 
sem Grunde  kann  ich  auch  Knies  nicht  beipflichten,  da  er 
der  zwar  hypothetischen  Anschauung  ist,  dass  eine  Läsion 
des  Kniehöckers  hemiopische  Pupillenreaktion  hervorruft. 

Die  Pupillenfasern  weichen  also  wahrscheinlich  zwischen 
dem  frontalen  Rande  des  Hirnschenkels  und  dem  äusseren 
Kniehöcker  nach  der  Mittellinie  ab.  Wenn  man  diese  Strecke 
des  Tractus  mit  dem  Mikroskope  mustert,  so  findet  man  ohne 
Mühe,  dass  hier  überhaupt  keine  Fasern  in  medialer  Richtung 
abweichen,  ausgenommen  die  mediale  Opticuswurzel  und  die- 


112  S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


jenigen  recht  zahlreichen  Fasern,  welche  den  hintersten  Ab- 
schnitt des  Pedunculus  in  einer  Ausstreckung  von  einigen 
m.m.  durchsetzen.  Diese  Fasern  sind  aber  recht  zahlreich. 
Es  liegt  also  am  nächsten,  hier  die  Pupillenfasern  zu  .suchen. 
Diese  Fasern  bilden  zum  grössten  Teil  die  mediale  Wurzel. 
Verschiedene  von  ihnen  schwenken  um  dem  occipitalen  Rand 
des  Pedunculus  herum,  um  dann  am  medialen  Rande  des 
Pedunculus  nach  vorn  in  der  Richtung  nach  dem  Luys'schen 
Körper  hin  zu  ziehen.  Die  Hauptmasse  aber  teilt  sich  in 
zwei  Bündel,  ein  tieferes  und  ein  oberflächliches.  Diese  um- 
fassen den  inneren  Kniehöcker,  oder  ziehen  in  das  Ganglion 
ein.  Es  ist  wahrscheinlich,  dass  wir  hier  die  Pupillenfasern 
zu  suchen  haben. 

Können  uns  dabei  die  klinischen  Beobachtungen  leiten  ? 
Es  fragt  sich  mit  anderen  Worten:  entsteht  eine  hcmiopische 
Reaktion  durch  die  Zerstörung  des  inneren  Kniehöckers  oder 
des  Pulvinars? 

Diese  Frage  gehört  zu  den  schwierigen. 

Was  zuerst  Pnlviiiar  betrifft,  so  war  es  im  Falle  41  Elin 
Andersson  (Teil  II.  S.  349)  vollständig  zerstört,  im  Falle  We- 
sterberg (Teil  III.  S.  22)  zum  grossen  Teil  und  im  Falle  5 
(Teil  III.  S.  51)  war  seine  untere  Fläche  gummatös  infiltrirt. 
In  diesen  drei  Fällen  war  die  hemiopische  Reaktion  dessen 
ungeachtet  vorhanden.  Es  scheint  deswegen  unwahrscheinlich, 
dass  die  Pupillarfasern  an  oder  unmittelbar  unter  der  Ober- 
fläche des  Pulvinars  verlaufen.  Hiermit  stimmt  auch  die  Be- 
obachtung in  meinem  Falle  N:o  4  (Teil  III.  S.  44),  wo  die 
im  Temporallappen  befindliche  Geschwulst  einen  deutlichen 
Druck  auf  das  Pulvinar  ausgeübt  hatte,  wodurch  es  abge- 
plattet war  (Teil  III.  S.  47),  ohne  dass  eine  hcmiopische 
Reaktion  auftrat. 

Weiter  ist  in  dieser  Hinsicht  der  Fall  Elin  Andersson 
lehrreich.  Wie  die  Fig.  7  Taf.  LVI.  zeigt,  ist  hier  das  Pul- 
vinar geschrumpft,  so  auch  die  innere  und  zum  Teil  der 
äussere  Kniehöcker  zerstört.  Wie  die  Figur  7  zeigt  findet 
sich  im  hintersten  Abschnitte  der  Capsula  interna  eine  kleine 
Cyste  (Cy)  aber  zwischen  dieser  und  dem  Pulvinar  läuft  ein 
auf  der  I'^igur  ersichtliches  dickes  Bündel  mit  zum  Teil  unver- 
sehrten h^asern  (vgl.  Teil  II.  S.  406).  In  Anbetracht  der  hier 
abgehandelten  Frage  habe  ich  -diese  Präparate  von  neuem 
einer  mikroskopischen  Untersuchung  unterworfen  und  finde, 
dass  obschon,  wie  die  Beschreibung  S.  406  und  407  an  die 
Hand  geben,  die  hier  zwischen  der  Cyste  und  dem  Pulvinar 
verlaufenden  Fasern  zum  Teil  atrophisch  sind,  doch  eine 
grcsse  Anzahl  dieser  I'asern  noch  gut  gefärbt  sind  und  keine 
deutliche  Anzeichen  einer  Atrophie  zeigen.  Diese  Fasern 
laufen  in  die  tieferen  Schichten  des  Colliculus  anterior  ein 
und  scheinen  also  in  Folge  ihrer  Lage  die  Pupillenrcflcxc 
vermitteln  zu  können. 

Weniger  entscheidend  ist  der  I'all  35  (45)  (Teil  II.  S. 
444,  445)  (Taf.  LVI.  Fig.  12).  Hier  war  sowohl  Pulvinar  wie 
der  innere  Kniehöcker  in  Bindegewebe  umgewandelt.  Die 
hemiopische  Reaktion  war  während  der  letzten  Zeit  des  Pat. 
vorhanden,  und  der  Sektionsbefund  steht  also  mit  der  klin- 
ischen Beobachtung  in  Uberein.stimmung;  dagegen  ist  es  wohl 
nicht  möglich  zu  sagen  wie  weit  in  einer  Zeit,  wo  die  he- 


miopische Reaktion  noch  fehlte,  die  Bindegewebeumwandlung 
fortgeschritten  war.  Diese  Veränderung  war  eine  sekun- 
däre, wahrscheinlich  von  oben-aussen  von  der  grossen  Cyste 
(Taf.  LV.  Fig.  4  Cystas)  aus  nach  unten-innen  auf  das  Pulvinar 
u.  s.  w.  fortschreitende  Bindegewebebildung.  Bei  den  durch 
Kongestionen  hervorgerufenen  epileptiformen  Anfällen  wurden 
die  in  der  unmittelbaren  Nähe  des  neugebildeten  Bindege- 
W'ebes  liegenden  Pupillenfasern  in  ihrer  Funktion  beeinträch- 
tigt. Nach  und  nach  wurde  das  hier  liegende  Gebiet  in 
Bindegewebe  umgewandelt  und  nun  wurde  die  hemiopische 
Reaktion  konstant. 

Die  beiden  Fälle  N:o  41  und  35  (45)  scheinen  also  mit 
einander  nicht  in  Widerspruch  zu  stehen,  wohl  aber  einander 
zu  vervollständigen. 

Aber  leider  habe  ich  einen  Fall  beobachtet,  welcher 
sich  mit  der  gegebenen  Anschauung  kaum  in  vollständigen 
Einklang  bringen  lässt,  nämlich  den  P'all  Westerberg  (Teil 
III.  S.  26—30)  (Taf.  IV  und  V.  4.  5.). 

Hier  finden  wir  eine  unregelmässige  in  Spitzen  aus- 
laufende Malacie,  welche  den  lateralen  Rand  des  äusseren 
Kniehöckers,  das  Pulvinar  zum  grössten  Teil  sowie  auch  das 
Gebiet  zwischen  Capsula  interna,  dem  inneren  Kniehöcker 
und  Thalamus  einnimmt  d.  h.  also  die  Gegend,  wo  eben  die 
tieferen  Bündel  der  medialen  Opticuswurzel  verlaufen  und  wo 
die  bei  Elin  Andersson  erhaltenen  Bündel  liegen.  In  diesem 
Falle  war  jedoch  keine  hemiopische  Reaktion  vorhanden. 
Ein  Blick  auf  die  Präparate  überzeugt,  dass  hier  aber  die 
oberflächlichen  Bündel,  welche  also  mit  der  medialen  Wurzel 
an  der  Oberfläche  des  inneren  Kniehöckers  verlaufen,  erhalten 
sind.  Die  Fig.  3 — 5  Taf.  V.  zeigen,  dass  diese  Fasern  nicht 
von  der  Malacie  getroffen  sind. 

Dieser  Fall  steht  also  scheinbar  mit  dem  Fall  N:o  41 
(Elin  Andersson)  in  Widerspruch.  Beide  Fälle  lassen  sich 
jedoch  erklären,  wenn  man  annimmt,  dass  sowohl  die  ober- 
flächlichen wie  die  tieferen  Bündel  Pupillenfasern  enthalten  und 
dass  eine  hemiopische  Reaktion  nur  dann  entstehe  wenn  so- 
wohl tiefe  wie  oberflächliche  Bündel  zerstört  worden  sind.  In 
wie  weit  eine  solche  Ansicht  berechtigt  sein  kann,  muss  ich 
z.  Z.  dahin  gestellt  sein  las.sen.  Ich  bin  eher  geneigt  anzu- 
nehmen, dass  im  Falle  2  Westerberg  die  klinische  Beob- 
achtung, dass  die  hemiopische  Reaktion  fehlte,  unrichtig  war. 
Der  Pat.  war  nur  10  Tage  im  Krankenhause  und  zwar  in 
einem  elenden  Zustande.  Unter  solchen  Umständen,  und  da 
der  Pat.  nicht  ohne  Schwierigkeit  untersucht  werden  konnte, 
lässt  es  sich  leicht  denken,  dass  der  ins  Auge  schief  einge- 
worfene Lichtkegel  bei  der  Prüfung  der  Pupillenreaktion  auch 
die  Macula  lutea  getroften  haben  kann. 

Die  delikate  P'ragc,  wo  in  der  Nähe  des  inneren  Knie- 
höckers die  Pupillenfasern  verlaufen,  kann  also  nur  durch 
wiederholte  kombinirtc  klinisch  anatomische  Untersuchungen 
endgültig  entschieden  werden.  Dabei  muss  die  anatomische 
Untersuchung  eine  mikroskopische  sein,  und  auf  dem  Ver- 
halten der  tieferen  und  oberflächlichen  Bündel  der  medialen 
Opticuswurzel  besonders  geachtet  werden.  Dass  die  Pupillen- 
fasern in  dieser  Wurzel  erhalten  sind,  betrachte  ich  infolge 
der  eben  gegebenen  Auseinandersetzung  äusserst  wahrschein- 


UEBER  HEMIOPISCHE  PUPILLENREAKTION 


113 


lieh,  da  keiner  der  Fälle  mit  dieser  Annahme  in  Wider- 
spruch steht. 

Unklarer  ist  der  Fall  N:o  5  Lovisa  Olsson  Teil  III.  S.  51 
(Taf.  VII.  Fig.  5 — 7).  Hier  lag  ein  Gumma  unmittelbar  auf 
der  unteren  Fläche  des  Pulvinars  und  hatte  sowohl  den  äus- 
seren wie  den  inneren  Kniehöcker  destruirt.  Nichts  desto 
weniger  blieb  die  hemiopische  Pupillenreaktion  aus,  aber 
wahrscheinlich  (vgl.  T.  III  S.  57)  waren  die  tieferen  Bündel 
der  medialen  Opticuswurzel  zum  Teil  erhalten  geblieben.  Der 
Fall  steht  also  mit  den  vorigen  nicht  in  Widerspruch,  wenn 
er  auch  kaum  als  eine  sichere  Stütze  angeführt  werden  kann. 

Für  die  Lösung  dieser  delikaten  Frage  sind  alle  die- 
jenigen Fälle,  wo  diffuse  pathologische  Prozesse  vorliegen, 
unbrauchbar.  Die  drei  Fälle  von  Samelsohn,  Dercum  und 
Oliver,  wo  diffuse  Geschwülste  vorliegen,  können  also  in 
dieser  Hinsicht  nicht  gebraucht  werden  und  zwar  besonders 
weil  in  allen  diesen  der  Tractus  entweder  direkt  (Fall  Samel- 
sohn) oder  indirekt  (Fälle  Dercum  und  Oliver?)  affizirt  wor- 
den war. 

Wir  haben  damit  die  Pupillenfasern  bis  zum  medialen 
Rande  des  inneren  Kniehöckers  verfolgt;  zwischen  diesem 
Punkt  und  dem  Pupillenkern  im  Aquaeductus-grau  ist  nur  eine 
kurze  Strecke  übrig. 

Wo  enden  nun  die  Pupillenfasern Das  ist  die  letzte 
Frage . 

Es  ist  dabei  zu  erinnern,  dass  obschon  wir  noch  nicht 
7nä  Sichcrlieit  wissen  wie  die  Pupillenfasern  enden  so  deutet 
doch  jede  Analogie  darauf  hin,  dass  die  Pupillenfasern  ihre 
Ganglienzellen  in  der  Retina  haben  und  dass  ihre  Endigung 
in  gewöhnlicher  Weise  mit  Ramifikat'onen  geschieht. 

Wo  die  Endigung  stattfindet,  das  wissen  wir  auch 
noch  nicht.  Einerseits  hat  schon  RIcyncrt  auf  den  Colliculus 
anterior  hingewiesen  und  besonders  supponirt,  dass  die  hier 
befindlichen  s.  g.  Meynert'schen  radiären  Fasern  Pupillcn- 
fasern  sind,  welche  selbst  bisweilen  bei  Pupillenstarre  atro- 
phiren  sollen  (Ross  Brain  1886.  S.  21),  während  andere  wie 
Oppcnlichn  und  Schiita  bei  Pupillenstarre  keine  Atrophie 
dieser  P^asern  gefunden  haben. 

Für  die  Meynert'sche  Ansicht  spricht  sich  auch  neulich 
Kdlliker  aus.  »Nach  meinen  eigenen  Erfahrungen  an  Golgi 
sehen  Präparaten  vermute  ich»,  sagt  Kölliker,  »dass  die 
Opticusfasern,  die  im  cerebralen  Vierhügelpaare  enden,  auf 
die  Zellen  dieses  Hügels  einwirken  und  dass  die.se  mit  ihren 
nervösen  Fortsätzen,  die  nachweislich  die  Bogenfasern  am 
Rande  des  centralen  Höhlengraues  bilden  helfen,  teils  direkt, 
teils  durch  zahlreiche  in  das  centrale  Grau  eindringende  Col- 
lateralen  auf  die  betreffenden  motorischen  Kerne  einwirken.» 

Weiter  ist  an  die  Monakow^' ic\\e  Theorie  zu  erinnern, 
dass  die  im  Mark  des  Colliculus  anterior  liegenden  Zellen, 
Fasern  nach  vorn  aussenden,  welche  mit  Ramifikationen  in 
der  Retina  enden. 

Endlich  sollen  nach  Darkschnviisch  die  Pupillenfasern 
in  der  Nähe  des  Ganglion  habenulae  enden  und  hier  in  naher 

'  Archiv  f.  Psychiatrie  Bd. 

S.  E.  Henschen.    Pathologie  des  Gehirns. 


Beziehung  zu  dem  oberen  vorderen  Oculimotoriuskern,  welcher 
der  Pupillenkern  sein  soll,  stehen. 

Nach  Kölliker  ist  es  indessen  nunmehr  nachgewiesen, 
dass  die  von  Darkschewitsch  als  Pupillenkern  supponirte  Zel- 
lensammlung nicht  zum  Oculimotorius  gehöre  (Kölliker  Lehr- 
buch. 1893.  S.  300).  Damit  ist,  scheint  es  mir,  eine  wichtige 
Stütze  für  die  Darkschewitsch'sche  Theorie  weggenommen. 

Anderseits  kennt  man  mit  Sicherheit,  dass  eine  Anzahl 
supponirter  Opticusfasern  in  den  oberflächlichen  Schichten 
des  Colliculus  bäumchenförmig  endet  (Ramon  y  Cajal).  Aber 
die  Frage,  ob  diese  Endigungen  auch  die  der  Pupillenfascrn 
seien,  ist  dadurch  nicht  erledigt.  Es  dürfte  nähmlich  wohl 
keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  im  Colliculus  auch  andere 
P'asern  als  Opticusfasern  ihre  Endigung  finden.  Nach  Mona- 
kow enden  hier  Fasern  aus  dem  Occipitallappen  und  die 
blosse  Betrachtung  einiger  Figuren  in  diesem  W^erke  ist  ge- 
eignet diese  Ansicht  zu  stützen,  dass  nicht  nur  Opticusfasern 
in  die  vorderen  Vierhügel  ein-  (resp.  aus-)  strahlen. 

Die  Fig.  i,  2,  3,  4,  Taf  III.  (Teil  I.)  zeigen  einen  Durch- 
schnitt durch  die  vorderen  Vierhügel  in  einem  Falle  von  voll- 
ständiger Atrophie  der  Sehnerven  (Fig.  7 — 10)  in  Folge  der 
Atrophie  der  Bulbi  und  der  Zerstörung  des  Chiasma.  Dem 
ungeachtet  findet  man  (im  Teil  I.  an  Taf  III.  Fig.  4,  5)  reich- 
liche Fasernbündel  (i — 5)  welche  von  der  Gegend  des  inneren 
Kniehöckers  in  die  vorderen  Vierhügel  ein-  (resp.  aus-?)  laufen. 
Und  in  der  Fig.  6  Taf  XIII  (Teil  III.)  ersieht  man,  wie  eine 
Anzahl  Bündel,  welche  anscheinend  von  der  Occipitalstrahlung 
kommt,  in  die  vorderen  Vierhügel  ein-  (resp.  aus-)  strahlt. 
Hier  ist  jedoch  vielleicht  der  Weg  vom  Sehnerven  noch  often 
(vergl.  Fig.  7,  8,  9). 

Nicht  auf  anatomischem,  sondern  physiologisch-expe- 
rimentellem oder  anatomisch-klinischem  Wege  dürfte  diese 
Frage,  wo  die  Pupillenfasern  enden,  ihre  Lösung  finden.  Und 
dabei  dürfte  besonders  das  Vorhandensein  oder  Fehlen  einer 
hemiopischen  Pupiilenreaktion  den  P'orscher  leiten. 

Es  dürfte  dabei  nicht  notwendig  sein  darauf  hinzu- 
weisen, dass  einfache  Beobachtung  über  die  Veränderungen 
der  Grösse  oder  Reaktionsfähigkeit  der  Pupillen  nicht  zum 
Ziele  führen  kann.  Beim  Vorhandensein  einer  einseitigen 
Zerstörung  der  centripetalen  Pupillenfasern  brauchen  die  Pu- 
pillen nicht  von  der  normalen  Grö.sse  und  Form  abzuweichen, 
und  die  Reaktion  wird  beim  Reiz  der  Macula  lutea  nicht 
verändert;  die  ganze  Pupille  kontrahirt  sich  ringsum  auch 
bei  unilateraler  Destruktion  der  centripetalen  Pupillenfasern. 

Im  Vorbeigehen  will  ich  jedoch  bemerken,  dass  ich 
mehrmals  beim  Vorhandensein  der  hemiopischen  Pupillen- 
reaktion eine  abweichende  F"orm  der  Pupillen  wahrgenommen 
habe. 

Im  Falle  N:o  20  (Teil  I.  S.  135)  hatten  die  Pupillen  die 
Form,  welche  an  der  Karte  C.  abgezeichnet  ist  und  im  Falle 
35  (Teil  II.  S.  208  =  Fall  45.  Teil  II.  S.  439)  die  eben  da- 
selbst angegebene  Form,  aber  auch  im  Falle  18  Zetterberg, 
wo  bei  der  Prüfung  keine  hemiopische  Reaktion  wahrgenom- 
men wurde  und  wo  die  Sektion  keine  Geschwulst  oder  Zer- 
störung der  Bahn  der  Pupillarfasern  ergab,  ^\ar  die  Form 
der  Pupillen  in  ähnlicher  Weise  abweichend.    (Karte  C.) 

Im  Falle  41  (Teil  II.  S.  398)  waren  die  Pupillen  eckig 

15 


114 


S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


iinregelmässig  und  in  einig-en  anderen  Fällen  (Teil  III.  S.  72) 
ungleich  gros.s.  In  Anbetracht  dieser  Thatsachen  verdient 
die  Form  und  Grös.se  bei  Hemianopsie  und  besonders  beim 
Vorhandensein  einer  hemiopischen  Pupillenreaktion  besondere 
Aufmerksamkeit. 

Mehrere  Forscher  haben  auch  die  Aufmerksamkeit  dar- 
auf hingelenkt,  dass  die  Pupillen  oft  bei  Läsionen  der  Vier- 
hügel Abweichungen  darbieten  (Nothnagel,  Eisenlohr). 

Zur  Zeit  können  jedoch  aus  den  vorliegenden  Beob- 
achtungen keine  sicheren  Schlüsse  gezogen  werden. 

Was  beweisen  nun  die  klinischen  Beobachtungen? 

Im  Falle  Augusta  Eriksson  (Fall  5  Teil  III.)  drückte 
die  Geschwulst  deutlich  auf  den  vorderen  Vierhügel,  aber 
dem  ungeachtet  blieb  die  hemiopische  Reaktion  aus.  P>inc 
Untersuchung  des  Präparates  zeigt  jedoch,  dass  der  Druck 
nicht  beträchtlich  war,  und  dass  der  vordere  Abschnitt  über- 
haupt nicht  dem  Drucke  ausgesetzt  war.  Im  hinteren  und 
am  meisten  konvexen  Abschnitt  war  die  Oberfläche  etwas 
plattgedrückt,  wie  auch  das  Pulvinar. 

Der  Ruel'sche  P^all  ist  in  negativer  Hinsicht  von  Be- 
deutung. Eine  Gesehwulst  entsprang  vom  hinteren  Vierhügel 
und  dehnte  sich  auf  den  äusseren  Kniehöcker  aus.  Keine 
hemiopische  Reaktion  war  vorhanden.  Also  im  hinteren 
Vierhügel  enden  die  Pupillenfascrn  nicht,  und  das  hat  wohl 
Niemand  angenommen. 

Der  einzige  Fall,  welcher  von  positiver  Bedeutung  für 
die  hier  abgehandelte  Frage  ist,  ist  der  Fall  12  Jakobsdotter. 
Hier  fand  sich  eine  hemiopische  Reaktion  und  eine  Cyste 
hatte  das  Brachium  anterius  abgeschnitten.  Leider  ist  der 
Schluss  nicht  erlaubt,  dass  die  Pupillenfasern  in  diesem  Arm 
verlaufen  und  zwar  aus  dem  Grunde,  dass  die  Cyste  nicht 
nur  die  Brachia  (anterius  und  posterius)  abgeschnitten  hatte, 
sondern  sich  auch  weiter  nach  vorn  erstreckte  und  da 
selbst  (Fig.  7,  8  Taf.  V.;  Fig.  5  Taf.  XII.)  das  Gebiet  des 
Ganglion  habenulaj  in  der  Weise  lacerirt  hatte,  dass  der 
Fall  die  Frage  nicht  lösen  kann,  ob  die  Pupillenfasern  nach 
diesem  Ganglion  oder  dem  Collieulus  anterior  verlaufen.  Da 
ausserdem  die  Gegend  des  inneren  Kniehöckers  geschädigt 
war,  so  besteht  der  Fall,  obschon  anscheinend  vom  grö.ssten 
Interesse,  nicht  die  Probe  einer  wissenschaftlichen  Anal)'se. 

Zur  Zeit  scheint  also  kein  endgültiger  klinisch-anatom- 
ischer Beweis  geliefert  zu  sein,  dass  die  Pupillenfasern  im  Colli- 
eulus anterior  enden,  wenn  auch  dies  im  höchsten  Grade 
wahrscheinlich  er.scheint.  Bei  der  Analyse  meiner  oben  in 
diesem  Werke  mitgeteilten  Fälle  habe  ich  auch  im  allgemeinen 
vorläufig  angenommen,  dass  dies  der  Fall  sei,  %vilL  aber  hier 
ausdriicklicJi  aiisgcsprocJien  Jiaben,  dass  ich  eine  solche  Ansicht 
noch  nicht  als  wissenschaftlicli  begründet  betrachte. 

Nur  noch  einige  Worte  über  die  im  vorderen  Vierhügel 
vorhandenen  radiären  Fasern.  Mehrere  Verfasser  haben  aus- 
gesprochen, dass  diese  in  der  That  Pupillenfasern  seien.  Ich 
will  deshalb  hervorheben,  dass  diese  P'asern  sich  auch  in 
dem  Falle  vorfinden,  wo  eine  vollständige  Opticusatrophie 
vorhanden   ist.     Im  P"alle  I.  (Teil  I.  S.  i.  1890)  finden  sie 


sich  noch  erhalten  und  sind  in  den  Fig.  i,  2,  3  und  4  Taf. 
III.  abgezeichnet;  auch  im  Falle  7  (Jakobsdotter),  wo  eine 
hemiopische  Pupillenreaktion  eine  Zerstörung  der  Pupillen- 
fasern rechts  angab  und  die  Cyste  (Cy  Fig.  7  Taf.  V.)  das 
Pulvinar  vom  Collieulus  anterior  getrennt  hatte,  waren  sie 
noch  schön  vorhanden.  Dieses  beweist,  dass  sie  mit  den 
Pupillenfasern  nicht  atrophiren,  sondern  wahrscheinlich  von 
den  Zellen  des  Marks  des  Collieulus  anterius  ausgehen  und 
mit  den  Fasern  des  Stratum  Lemnisci  zusammenhängen, 
welche  wahrscheinlich  den  Opticus-oculimotoriusreflex  ver- 
mitteln. 

Im  Zusammenhang  mit  der  Frage  nach  dem  Verlauf  der 
Pupillenfascrn  im  Thalamus  steht  die  Frage,  welche  Symp- 
tome dürften  eine  Läsion  in  dem  eben  abgehandelten  Gebiete 
der  Pupillenfasern  begleiten.  So  lange  die  Läsion  den  Trac- 
tus  triftt,  so  mu.ss  natürlich  Hemianopsie  entstehen;  aber  wenn 
die  Läsion  medialwärts  vom  Tractus  die  pupillenfascrn  (die 
mediale  Wurzel  bis  zu  ihrer  Endigung)  trifft,  so  ist  es  ein- 
leuchtend, dass  eine  hemiopische  Reaktion  entstehen  muss 
und  zwar  ohne  Hemianopsie.  Die  Fasern  passiren  dabei  in 
der  Nähe  des  inneren  Kniehöckers  und  da,  aller  Wahrschein- 
lichkeit nach,  dieses  Ganglion  etwa  dieselbe  Bedeutung  für 
das  Gehör  hat,  wie  der  äussere  Kniehöcker  für  das  Gesicht, 
so  dürfte  eine  solche  Läsion  von  anfangs  aufgehobenem,  dann 
aber  vermindertem  Gehör  auf  dem  gegenüberliegenden  Ohr 
also  bei  links.seitiger  Lä.sion  von  Herabsetzung  der  Gehör- 
schärfe am  rechten  Ohr  begleitet  sein. 

In  der  Nähe  des  inneren  Kniehöckers  liegt  weiter  die 
sensible  Bahn;  ihre  Läsion  ruft  Anästhesie  hervor.  Streckt 
sich  die  Läsion  noch  weiter,  so  kann  Hemiplegie  entstehen. 

Ein  .solcher  Symptomenkomplex  ist  meines  Wissens 
noch  nicht  klinisch  angetroffen.  Aber  in  Anbetracht  der 
häufigen  Läsionen  in  dieser  Gegend  habe  ich  ihn  seit  einigen 
Jahren  gesucht,  aber  vorläufig  ohne  einen  solchen  Fall  zu 
finden. 

Der  eriL'äJinte  Syviptovienkoniplex  dürfte  für  das  Gre7iz- 
gebiet  zzviscJien  Pulvinar  und  Thalamus  pathognomoniscJi  sein 
und  praktisch  von  bedeutender  Wichtigkeit,  indem  er  einen 
chirurgischen  Eingriff  kontraindiciren  kann. 

Nachdem  ich  schon  mehrere  Jahre  in  meiner  Klinik  die 
Mediciner  auf  diesen  Symptomenkomplex  aufmerksam  ge- 
macht habe  und  auch  meine  Ansichten  hierüber  in  dieser 
schon  im  Jahre  1892  verfas.sten  Abhandlung,  welche  erst  jetzt 
in  umgearbeiteter  Form  publizirt  wird,  dargelegt  hatte,  hat 
Knies  in  seiner  im  vorigen  Jahre  (1893)  gedruckten  Arbeit  (Die 
Beziehungen  des  Sehorgans  etc.)  auf  diesen  Symptomenkom- 
plex aufmerksam  gemacht  (S.  56).  Knies  hat  aber  die  An- 
sicht, dass  eine  Läsion  im  Pulvinar  Hemianopsie  hervorrufe 
und  dass  nur  die  Macularfasern  im  äusseren  Kniehöcker  (S.  57) 
endigen  und  stellt  in  Übereinstimmung  damit  eine  Theorie  auf, 
welche  ich  meines  Teils  als  weniger  gut  begründet  ansehen 
muss.  Die  Voraussetzungen  dafür  stimmen  nicht  mit  den 
von  mir  (im  Teil  II.  S.  357,  Teil  III  S.  96)  auf  Grund  zahl- 
reicher Thatsachen  gewonnenen  Ansichten.  Aber  wenn  seine 
Ansicht  richtig  ist,  nämlich  dass  Hemianopsie  durch  Zer- 
störung des  Pulvinars  entstehe,  so  muss  der  Symptomenkom- 


UEBER  HEMIOPISCHE  PUPILLENREAKTION 


115 


plex,  hemiopischc  Reaktion  ohne  Hemianopsie,  nur  durch  Zer- 
störung der  Endigungen  der  Pupillenfasern  eintreten.  Die 
Strecke  dieser  Endausbreitung  misst  eher  Millimeter  als  Cen- 
timeter. 

Nach  dem  was  oben  dargestellt  worden  ist,  hat  also 
die  hemiopische  Pupillenreaktion  nicht  nur  eine  teoretische 
sondern  auch  eine  praktische  lokaldiagnostische  Bedeutung. 
Aber  erst  weitere  Untersuchungen  können  den  Verlauf  der 
Pupillenfascrn  und  damit  die  Bedeutung  der  hemiopischen 
Pupillenreaktion  endgültig  entscheiden. 

Noch  ein  Wort  über  die  lokale  Anordnung  der  Pupillen- 
fasern innerhalb  der  frontalen  Gesichtsbahn.  Wie  liegen  die 
centripetalen  Pupillenfasern  in  der  Retina,  im  Opticus  und 
Tractus  ? 

Hinsichtlich  der  Verteilung  dieser  Fasern  in  der  Retina 
macht  die  Beobachtung,  dass  der  Pupillenreflex  überhaupt 
von  jedem  Punkte  der  Retina  ausgelöst  werden  kann,  es 
wahrscheinlich,  dass  die  Pupillenfasern  über  der  Retina  gleich- 
massig  gestreut  sind.  Hiermit  .stimmen  u.  A.  auch  die  Anga- 
ben Peretti's  *  und  Sachs'  überein,  welche  Pralle  beobachtet 
haben,  in  denen  nur  von  sehr  beschränkten  sehenden  Ge- 
bieten die  Pupillenreflexe  ausgelöst  Averden  konnten.  Was 
die  Lage  der  Pupillenfasern  im  Opticus  betrifit,  so  lehren 
die  bekannten  Untersuchungen  von  Key  und  Retziiis.  dass 
die  Opticusfasern  beim  Menschen  verschiedenen  Kalibers  sind. 
Es  ist  wohl  dann  auch  wahrscheinlich,  dass  sie  verschiedene 
Funktionen  haben.  Die  beiden  Arten  von  Fasern  sind  unter 
einander  gemischt.  Bei  den  Thieren  hatte  Giiddcn  schon 
1882  das  Vorhandensein  von  zwei  Fasersystemen  im  Opticus 
nachgewiesen,  und  zwar  ein  System  von  Sehfasern  und  ein 
solches  von  Fasern,  die  auf  reflektoiischem  Wege  die  Pupil- 
lenbewegung beherrschen.    Durch  Exstirpation  des  Colliculus 

*  Deutsche  Med.  Wocli.  1893  N:o  13, 
'*  Archiv  f.  Augenheilk.  Okt.  1893  (Nach  Peretti). 
Gesamm.  Abhandl.  1889.    S.  189.  199. 


anterior  (beim  Kaninchen)  konnte  Gudden  im  Sehnerven  der 
entgegengesetzten  Seite  >die  mächtige  Ansammlung  der 
dicken  Fasern»  nachweisen  d.  h.  ai-so  eine  Atrophie  der 
dünnen  Fasern.  Diese  Atrophie  war  in  der  Retina  eine  all- 
gemeine, nicht  eine  lokale. 

Der  mir  brieflich  von  Wilhrand  mitgeteilte  Fall,  in  wel- 
chem eine  nach  einem  Trauma  des  eines  Opticus  entstandene 
Hemianopsie  von  hemiopischer  Pupillenreaktion  begleitet  war, 
scheint  zu  beweisen,  dass  die  visuellen  und  centripetalen  Pu- 
pillenfasern für  ein  gewisses  Gebiet  der  Retina  im  Opticus 
zusammen  liegen. 

Betrefts  des  Chiasma,  wissen  wir  nur,  dass  hier  auch 
die  Pupillenfa.sern  einer  Partialkreuzung  unterworfen  sind ;  das 
zeigt  das  Vorhandensein  der  hemiopischen  Reaktion. 

In  Übereinstirnmung  hiermit  sah  Giiddeii  bei  der 
Katze  bei  Durchschneidung  des  einen  Tractus  opticus,  dass 
die  dicken  Fasern  denselben  Kreuzungsverhältnissen  wie  die 
dünnen  unterliegen. 

Wie  die  Pupillenfasern  im  Tractus  liegen,  darüber  fehlt 
auch  zur  Zeit  jede  Auskunft.  Im  Falle  2  (Teil  I.  S.  14, 
Teil  II.  S.  257)  habe  ich  nachgewiesen,  dass  sich  im  Tractus 
verschiedene  Bündel,  welche  sich  im  Chiasma  partiel  kreuzen, 
vorfinden.  Besonders  zeichnet  sich  ein  dorso-lateral  liegendes 
Bündel  von  den  anderen  deutlich  ab.  Ich  warf  dort  die  Frage 
auf,  ob  dieses  Bündel  die  centripetalen  Pupillenfasern  ent- 
halte und  erklärte,  dass  es  in  Anbetracht  der  lateralen  Lage 
wahrscheinlich  nicht  den  Pupillenfascrn  entspräche  (Teil  II. 
S.  259).  Der  einzigste  Fall,  welcher  meines  Wissens  geeignet 
ist,  Auskunft  über  die  Lage  der  Pupillenfasern  im  Tractus  zl 
geben  ist  wohl  mein  Fall  N:o  20  (Teil  III.  S.  104)  (Taf  III. 
Fig.  I — 4),  wo  eine  mikroskopische  Atrophie  im  dorso-medialen 
Rande  des  rechten  Tractus  einen  auf  dem  linken  Auge  deut- 
lichen und  auf  dem  rechten  Auge  undeutlichen  hemiopischen 
Pupillenreflex  hervorrief.  Dieser  Fall  deutet  also  an,  dass 
die  Pupillenfasern  am  dorso-medialen  Rand  des  Tractus  ein 
besonderes  Bündel  bilden.  Der  Fall  steht  aber  bisher  ver- 
einzelt. 


I 


Bezeicliniingen  auf  den  Tafeln. 


Die  punktirten  Stellen  sind  malacisch  oder  pathologiscli  verändert. 


A. 

—  Gyrus  angularis  ~  parietalis  infer.  poster. 

—  Pli  courbe. 

O'. 

Gyrus  occipitalis  primus  (superior). 

C. 

—  vordere  Centraiwindung  ~ 

Gyrus  frontalis 

ascendens. 

O^. 

„            „         medius  (secundus). 

C.  c. 

—  Corpus  callosum. 

03. 

„            „         inferior  (tertius). 

C.  i. 

—  Capsula  interna. 

00. 

Fissura  calcarina. 

C». 

—  hintere  Centraiwindung  — 

Gyrus  parietalis 

ascendens. 

op. 

Fissura  occipito-parietalis. 

Cun. 

—  Cuneus  —  Zwickel. 

p>. 

Gyrus  parietalis  superior. 

C.  4-gem.  —  Corpora  4-gemina. 

PI 

„            „        inferior  anterior  =  G.  siipramarginalis 

F'. 

—  Gyrus  frontalis  superior  = 

primus. 

p2/ 

„             „         inferior  posterior  =  G.  angularis  =  Pli 

F\ 

—       „           „        medius  = 

secundus. 

Praec 

Prsecuneus. 

F\ 

—      „           „        inferior  = 

tertius. 

r. 

rechts. 

F.  S. 

—  Fossa  Sylvii. 

S.  S. 

Sehstrahlung. 

H. 

—  Gyrus  Hippocaampi. 

T'. 

Gyrus  temporalis  superior  =  primus. 

I. 

—  Insula  =  Lobus  centralis. 

„             „         medius    =  secundus. 

ip. 

—  fissura  intraparietalis. 

„             „         inferior  tertius. 

1. 

—  links. 

T*. 

„      occipito-temporalis  externus  =  G.  fusiformis. 

lat. 

—  laterale  Fläche. 

„            „            „         internus  =  lobulus  lingualis. 

med. 

—  mediale  Fläche. 

U. 

Uncus. 

I 

I 


TAFEL  I. 


TAFEL  I. 


Fall  I.  Malm.    Encephalomalacie  der  rechten  Hemisphäre  mit 
Hemiplegie.    Seite  i. 

Fig.  I.    Die  rechte  Hemisphäre;  multiple  Malacien  in  der  Rinde;  laterale  Fläche. 

Fig.  2.    Die  rechte  Hemisphäre;  ventrale  Fläche  mit  einem  grossen  malacischen  Defekt 
im  0-T-Lappen. 

Fig.  3.    Die  linke  Hemisphäre;  Horizontalschnitt  in  der  Hohe  des  Nucleus  caudatus. 

N.  caud.  —  Nucleus  caudatus.  - 

Pulv.  —  Pulvinar. 

Thalam.  —  Thalamus  opticus. 

Fig.  4.    Die  rechte  Hemisphäre;    Horizontalschnitt  in  der  Höhe  der  Centralganglien  ;  mit 
ausgedehnter  Malacie  im  Marke, 
atr.  —  Atrophie. 
Cyst.  —  Cyste. 
Mal.  —  Malacie. 
Ventr.  III  —  Ventriculus  tertius. 


Fig.  5- 


Die  Centralganglien  mit  den  entsprechenden  Abschnitten  der  Hemisphären.  Die 
Centralganglien  rechts  geschrumpft. 


TAFEL  II. 


TAFEL  II. 
Fall  i.  Malm  (s.  Taf.  I).    Seite  i. 

Fig.  1  —  6,  8—10.    Die  rechte  Hemisphäre,   Fig.  7.  Die  linke  Hemisphäre. 

Fig.  I.    Horizontalschnitt   in  der  Höhe  des  Balkens  und  des  oberen  Abschnittes  der  an 
Taf.  I  Fig.  I  befindlichen  grossen  Cyste. 

Fig.  2  —  6.    Frontaldurchschnitte  durch  die  occipitale  Hälfte  der  rechten  Hemisphäre.  In 
den  Fig.  5  u.  6  grosse  cystöse  Räume. 

Fig.  7.    Die  occipitale  Spitze  der  linken  Hemisphäre  mit  kortikalen  Malacien  (mal.). 

Fig.  8—10.    Frontalschnitte  durch  den  Frontallappen  der  rechten  Hemisphäre. 
Fig.  8  —  2  cm.  nach  hinten  vor  der  Spitze, 
-f^'g-  9  —  3  c.m.  (nicht  4)         »       »  » 
Fig.  10  —  4  c.m.  (nicht  3)       »      »  » 


1 


TAFEL  III. 


TAFEL  III. 


Fig.  I — 4.    Fall  20.    Jan  Jansson.  Teil  I.  Seite  135,  Teil  III. 
S.  105.    Fig.  I.  2.  2-mal,  Fig.  3.  4.  4-mal  vergrössert. 

Fig.  I.  2.    Horizontalschnitte,  i.  —  durch  den  Tractus  opticus,  Pes,  Thalamus  und  Corpus 
Luysii,    2.  —  durch  Globus  pallidus,  Capsula  interna  und  Thalamus. 
In  beiden  Figuren  eine  kleine  Cyste  (mal.). 
C.  g.  a.  —  Corpus  geniculatum  externum. 
Corp.  Luys  —  der  Luys'sche  Körper. 
C.  i.  —  Capsula  interna. 
Gl.  pal.  —  Globus  pallidus. 

Fig.  3  —  4.  Frontalschnitte  durch  den  Tractus  opticus  und  Thalamus.  3.  —  der  Schnitt 
liegt  mehr  frontal;  4.  —  mehr  occipital  (vgl.  Fig.  i.).  In  der  Fig.  4.  zwei  kleine 
Atrophien  im  dorso-medialen  Rande  des  Tractus.  Der  laterale  weisse  P'leck  ist 
keine  Atrophie,  sondern  der  Durchtritt  eines  Gefässes. 


Fig.  5—10.  Fall  I.  Malm  (s.  Taf.  I).  Seite  i.  Fig.  5—8  4-mal 


vergrössert. 


I^'g-  5  —  7-    Horizontalschnitte  durch  die  geschrumpften  Centralganglien.  4-nial  vergrössert. 

Fig.  5.    Durc  hschnitt  durch  den  roten  Körper  und  den  äusseren  Kniehücker  (Corp.  gen.  ext.). 
Caps.  i.  —  Capsula  interna.  lat.  Mark.  —  laterales  Mark, 

f.  retr.  —  fasciculus  retroflexus.  N.  ext.  —  Nucleus  externus  Thalami. 

Hab.  —  Ganglion  Habenulse.  Sehstr.  —  Sehstrahlung. 

Haub.  Str.  —  Haubenstrahlung. 

Fig.  6.  7.    Durchschnitte  mehr  frontalwärts  als  Fig.  5. 

C.  Luys.  —  Corpus  Luysii.  N.  caud.  —  N.  caudatus. 

C.  mamill.  —  Corpus  mamillare.  N.  int.  —  N.  internus. 

F.M.  —  Meynert's  fascikel.  Put.  —  Putamen. 

Forn.  —  Columna  fornicis.  Thal.  —  Thalamus. 

Gl.  pall.  —  Globus  pallidus.  tr.  opt.  —  Tractus  opticus. 

Fig.  8.    Durchschnitt  durch  den  Pons. 

B.-A.  —  Bindearm  (links  atrophisch).       Schi.  —  Schleife  (rechts  atrophisch). 

Fig.  9.    Zellen  der  Substantia  nigra  a.  aus  der  rechten  Hemisphäre,  atrophisch,  b.  aus 
der  linken,  normal. 

Fig.  IG.    Zellen  aus  dem  rechten  äusseren  Kniehöcker. 


I 


TAFEL  IV. 


TAFEL  IV. 


Fall  2.  Westerberg.  Hemiplegia  sinistra  c.  Hemianopsia.  Seite  22. 

Fig.  I.    Die  mediale  Fläche  der  rechten  Hemisphäre.    Ausgedehnte  Malacie  im  Cuneus, 
T'^  und 

Fig.  2.    Die  Centralganglien  von  unten. 

C.  gen.  ext.  —  Corpus  geniculatum  externum. 
C.  gen.  int.   —       »  »  internum. 

C.  4-glm.  —  Corpus  quadrigeminum  ant.  (anterius),  post.  (posterius). 
Mal.  —  Malacie. 
Pulv.  —  Pulvinar. 

Fig.  3.    Die  occipitale  Spitze  der  rechten  Hemisphäre;        und  Cun.  etwas  erweicht.- 

Fig.  4  —  9.    Frontalschnitte  durch  den  occipitalen  Abschnitt  der  rechten  Hemisphäre,  resp. 
2.  3.  4.  5.  und  6.  cm.  vor  der  Occipitalspitze. 


Hensclien.  Patliologie  des  Gelurns. 


Tafel  Yj- 


I 

\ 


i 


TAFEL  V. 


TAFEL  V. 


Fig.  I — 6.  Fall  2.  Westerberg  (s.  Taf.  IV).  Seite  22. 

Fig.  1  —  5.    Horizontaldurchschnitte  durch  die  Centralganglien  der  rechten  Hemisphäre 
Fig.   I  die  dorsalsten  Schnitte  durch  den  Thalamus,  Fig.  5  die  ventralsten  durch 
den  Tractus  opticus.    2-mal  vergrössert. 
C.  g.  e.  —  Corpus  geniculatum  externum. 
C.  g.  i.  —        »  »  internum. 

C  i.  ■ —  Capsula  interna.  Lins.  —  Linsenkörper. 

C.  mani.  —  Corp.  mamillare.  L.  K.  —  Der  Luys'sche  Körper. 

C.  4-gem.  —  Corp.  quadrigeminum.         N.  r.  —  Nucleus  ruber. 
Col.  p.  —  CoUiculus  posterior.  Schi.  —  Schleife. 

Cort.  —  Cortex.  S.  S.  —  Sehstrahlung. 

Cy.  —  Cyste.  Thal.  —  Thalamus. 

Fl.p.  —  Fasciculus  longitudinalis  posterior,     tr.  opt.  —  tractus  opticus. 
Haub.  Str.  —  Haubenstrahlung. 
Fig.  6.   Durchschnitt  durch  den  Pons. 

B.A.  —  Bindearm.    Cy.  —  Cyste.    Sch.  —  Schleife. 


Fig.  7 — 10.    Fall  7.    Lena  Jakobsdotter.    Hemiplegia  sinistra. 

Seite  7L 

Fig.  6 — 10.  P'rontalschnitte  durch  die  Centralganglien  der  rechten  Hemisphäre.  Fig.  7 
die  occipitalsten  Schnitte  durch  die  Vierhügel  und  den  Pulvinar.  Fig.  13  die 
frontalsten  durch  den  frontalsten  Abschnitt  des  Thalamus.  Fig.  7.  8.  9.  11.  12  und 
13  nach  Weigert'schen  Präparaten,  Fig.  10  nach  einem  Präparate  nach  Marchi. 
Alle  Fig.  sind  2-mal  vergrössert. 
Die  Bezeichnungen  wie  in  den  Fig.  i  —  6. 

ansa  1.  —  ansa  lenticularis.  pineal  —  Pedunc.  glandulae  pinealis. 

Aq.  S.  —  Aquaeductus  Sylvii.  rad.  —  Radiäre  Fasern  im  äusseren  Kern 

Coli.  ant.  —  Colliculus  anterior.  des  Thalamus. 

H.  —  Gyrus  Hippocampi.  temp.  occ.  S.  —  die  temporo-occipitale 

häm.  —  Hämorrhagien.  Strahlung. 

lam.  med.  —  lamina  medullaris  corporis     tr.  —  tractus  opticus. 

lentiformis.  U.  H.  —  Unterhorn. 

Luys.  —  Corpus  Luysii.  Unc.  —  Uncus. 

M.  K.  —  Meynert's  Kommissur.  V.  chor.  —  Vena  corp.  striati. 

N.  III  —  Nervus  tertius  (oculimotorius). 


TAFEL  VI. 


TAFEL  VI. 


Fall  3.  Anders  Ersson.  Tumor  cerebri  (Hemisph.  sin.).  Seite  36. 

Fig.  I.  Der  frontale  Abschnitt  der  linken  Hemisphäre.  Geschwulstmasse  im  Temporal- 
lappen, mit  Ausbreitung  der  Geschwulstbildung  Uber  die  Fossa  Sylvii  und  den 
Frontallappen. 

Fig.  2  —  4.    Frontaldurchschnitte  durch  die  Geschwulstmasse.  Fig.  2  durch  den  vordersten 
Abschnitt   des  Temporallappens  c:a   5   cm.  hinter  der  Frontalspitze  der  Hemi- 
sphäre Fig.  3.  c:a  6.5  cm.  und  Fig.  4.  8  cm,  hinter  der  Frontalspitze, 
bulb.  olf.  —  Bulbus  olfactorius. 
C.  c.  —  Corpus  callosum. 
F.  S.  —  Fossa  Sylvii. 
N.  caud.  • —  Nucleus  caudatus. 
Th.  —  Thalamus. 
U.  —  Uncus  Hippocampi. 


Hensclien.  Pathologie  des  Geliirns 


Tafel  VT. 


TAFEL  VII. 


1 


TAFEL  VII. 


Fig.  I.  2.    Fall  3.    Anders  Ersson.    Tumor  cerebri.    Seite  36. 

Fig.  I.    Frontalschnitte   durch   den  occipitalen  Abschnitt  des  Thalamus  (Pulvinar),  die 
Vierhügel  und  den  äusseren  Kniehöcker  9  cm.  vor  der  Occipitalspitze. 

Fig.  2.    Frontalschnitte  7  cm.  vor  der  Occipitalspitze,  gleich  hinter  dem  Pulvinar  (pulv.). 


Fig.  3.  4.    Fall  4.    Augusta  Eriksson.    Gumma  regionis  tem- 
poro-parietalis  sinistrse.    Seite  44. 


Fig.  3.    Frontalschnitt  8  cm.  vor  der  Occipitalspitze,  von  vorn  abgebildet. 
In  der  Sehstrahlung  liegt  das  vordere  Ende  einer  Erweichung. 

Fig.  4.    Frontalschnitt  4  cm.  vor  der  Occipitalspitze  mit  Geschvvulstmasse  in  der  Rinde; 
Erweichung  in  der  Sehstrahlung, 
mal.  —  Malacie. 


Fig.  5.  6.  7.    Fall  5.    Lovisa  Olsson.   Gumma  regionis  Hippo- 
campi  dextri.    Seite  51. 


Fig.  6.    Die  Geschwulstmasse  infiltrirt  die  ventrale  Fläche  des  Pulvinars,  8  cm.  vor  der 
Occipitalspitze. 
tum.  —  Gumma. 

Fig.  7.    Die  Geschwulstmasse  füllt  den  Raum  zwischen  den  Vierhügeln,  dem  Fornix  und 
Gyrus  Hippocampi,    7  cm.  vor  der  Occipitalspitze. 
C.  4-gem.  p.  • —  Corpus  quadrigeminum  posterius. 


Fig, 


5 


Schnitt  9  cm.  vor  der  Occipitalspitze,  im  Ganzen  normal. 

C.  i.  —  Capsula  interna.  tract.  —  tractus  opticu-s. 

N.  ext.  —  Nucleus  externus  thalami.  tum.  —  tumor. 

N.  i.  —  Nucleus  internus. 


F.  S.  —  Fossa  Sylvii. 


H.  —  Gyrus  Hippocampi. 


Hensclien  Pathologie  des  Geliirns 

Tafel  VIT. 


A.  Gyllenspelz  delin.  ' 

LiÜi.  W.  Schlächter,  StocHiolm. 


I 


TAFEL  VIII. 


I 


TAFEL  VIII. 


Fall  4.    Augusta  Eriksson.    Gumma  regionis  temporo-parieta- 
lis  sinistrse.    Seite  44. 

Fig.  I.    Die  linke  Hemisphäre,  laterale  Fläche,   Geschwulst  in  der  zweiten  Temporal- 
windung. 

Fig.  2.  3.  4.    Frontalschnitte.    7.  6  und  5  cm.  vor  der  Occipitalspitze. 
C.  c.  —  Corpus  callosum. 
C.  p.  —  Cornu  posterius, 
prjec.  —  praecuneus. 


Hens  eilen.  Pathologie  des  Gelurns 


Tafel  WI 


I 

1 


I 


TAFEL  IX. 


TAFEL  IX. 


Fall  6.    Stjernström.    Encephalomalacia  hemisphaer.  dextr.  et 
sinistr.    Seite  58. 

Fig.  I.    Die  rechte  Hemisphäre;  laterale  Fläche  mit  multiplen  kortikalen  Malacien. 
Fig.  2  —  5.    Horizontalschnitte  resp.  2.  3.  4  imd  5  cm.  unterhalb  der  Margo  falcata. 

N.  c.  —  Nucleus  caudatus. 

Th.  —  Thalamus. 


L.L.LjurLjgreii  &  J  Fredlmii  delm.  ^ 

LitJi.  W  Schlächter,  Stochliolm^ 


TAFEL  X. 


TAFEL  X. 


Fall  6.    Stjernström.    Encephalomalacia  hemisphser.  dextr.  et 
sinistr.    Seite  58. 

Fig.  I.    Die  mediale  Fläche  des  linken  Occipitallappens. 

Fig.  2  —  7.    Die  Occipitalspitze  und  Frontalschnitte  durch  den  occipitalen  Abschnitt  der 
linken  Hemisphäre  resp.  i.  2.  3.  4  und  5  cm.  vor  der  Spitze. 

Fig.  8.    Die  mediale  Fläche  des  rechten  Occipitallappens. 

Fig.  9 — 15.    Die  Occipitalspitze  und  Frontalschnitte  durch  den  occipitalen  Abschnitt  der 
rechten  Hemisphäre  resp.  i.  1.5.  2.  3.  4  und  5  cm.  vor  der  Spitze. 


atr.  —  Atrophie. 
Cun.  —  Cuneus. 

F.  c;  oc. ;  calc  —  Fissura  calcarina. 
mal.  —  Malacie. 

oc.  inf.  —  Fissura  calcarina,  ramus  inferior, 
oc.  sup.  —     »  »  »  superior. 


J.  Fredkmd.  delm.  ^ 

Lith.  W  Schlacliter,  StocHiolm, 


TAFEL  XI. 


TAFEL  XL 


Fig.  1—5.    Fall    .    Blindgeborenes  Kind. 

Fig.  I.    Das  Gehirn,  von  vorne  abgebildet. 
Fig.  2.    Das  Gehirn,  von  hinten  abgebildet. 
Fig.  3.    Die  rechte  Hemisphäre,  laterale  Fläche. 
Fig.  4.    Die  linke  Hemisphäre,  laterale  Fläche. 

Fig.  5.    Die  mediale  Fläche  der  linken  Hemisphäre  und  Sagittalschnitt  in  die  Mittellinie 
c.  c.  —  corpus  callosum. 
C.  4-gem.  —  Corpus  quadrigeminum. 


Fig.  6 — 9. .  Fall  6.  Stjernström.  Encephalomalacia  hemisphaer. 
dextr.  et  sinistr.    Seite  58. 

Fig.  6.    Die  rechte  Hemisphäre  von  unten  abgebildet. 

Fig-  7  —  9-    Frontalschnitte  durch  diese  Hemisphäre  resp.   i.  2.  3  hinter  der  Temporal- 
spitze. 

F.  S.  —  Fossa  Sylvii. 
lat.  —  laterale  Fläche, 
med.  —  mediale  Fläche. 


1 


TAFEL  XII. 


TAFEL  XII. 


Fall  7.  Lena  Jakobsdotter.  Encephalomalacia  capsulae  internse 
region.  adjac.    Seite  71. 

Fig.  I — 7.    Frontalschnitte  durch  die  rechte  Hemisphäre. 

Fig.   I  —  4  resp.  4.  5.  6.  7  cm.  hinter  der  Frontalspitze,   Fig.  5.  6.  7.  resp.  8. 

7.  6.  cm.  vor  der  Occipitalspitze. 

C.  c.  —  corpus  callosum. 

C.  g.  e.  —  Corpus  geniculatum  externuni. 

Forn.  —  Fornix. 

F.  S.  —  Fossa  Sylvii. 

I.  —  Insula. 

Mal.  —  Malacie. 

Th.  —  Thalamus. 

U.  —  Uncus  Hippocampi. 


J  Fredkmcl  deliu. 


Lüh.  W.  ScWacliter,  StocMiolm. 


TAFEL  XIII. 


TAFEL  XIII. 


Fall  8.  Winström.  Cysta  haemorrhagica  in  Capsula  interna  et 
Thalamo  optico  dextro.    Seite  88.    Fig.  2-mal  vergrössert. 

Fig.  I  —  lo.    Horizontalschnitte  durch  die  Centralganghen.    Fig.  i.  Schnitt  in  der  Höhe 
der  dorsalen  Fläche  des  Thalamus,  durch  den  Nucleus  caudatiis.   Fig.  lo.  Schnitt 
durch  den  Tractus  opticus  und  Corpus  quadrigemin.  posterius, 
a  —  (Fig.  ig)  artificielle  Zertrennung  in  dem  Präparate. 
Aq.  S.  —  Aquaeductus  Sylvii. 
atr.  —  Atrophie. 
C.  ext.  —  Capsula  externa, 
C.  g.  e.  —  Corpus  geniculatum  externum. 
C.  g-  i.  ■ —        »  »  internum. 

C.  i.  —  Capsula  interna. 
C.  L.  —  Corpus  Luysii. 
Col.  ant.  —  Colliculus  anterior  (Vierhügel). 
Col.  p.  —  Colliculus  posterior  (Vierhügel). 
Com.  p.  —  Commissura  posterior. 
Cort.  —  Cortex. 
Cor.  rad.  —  Corona  radiata. 
Cy.  —  Cyste. 

C.  V.  d.  A.  —  Columna  Vicq  d'Azyr. 

Glob.  pall.  —  Globus  pallidus. 

N.  caud.  —  Nucleus  caudatus. 

N.  r.  —  Nucleus  ruber. 

Occ.  S.  —  Occipitale  Strahlung. 

Pulv.  —  Pulvinar. 

Put.  —  Putamen. 

Th.  —  Thalamus. 

Trig.  Hab.  —  Trigonum  Habenulae. 


Hensclien,  Pathologie  des  -Gelurns. 


Tafel  XÜT- 


A.  Cleve  deliu, 

Lift.  W.  Schlachter,  Stockholm. 


TAFEL  XIV. 


TAFEL  XIV. 


Fig.  I — 4.    Fall  8.    Winström.    Cysta  hsemorrhagica  in  Cap- 
sula interna  et  Thalamo  optico  dextro.    Seite  88. 

Fig.  I.    Die  Centralganglien  der  rechten  Hemisphäre. 
Atr.  —  Atrophie  (Degeneration). 
Col.  a.  —  Colliculiis  anterior  (Vierhügel). 
Col.  p.  —  Collicuhis  posterior  (Vierhügel). 
Cy.  —  Cyste. 

Trig.  H.  —  Trigonum  Habenulce. 

Fig.  2  —  4.    Durchschnitte  durch  den  Pons  und  die  Medulla  oblongata.  2-mal  vergrössert. 
B.A.  —  Bindearm.  r.  Schi.  —  rechte  Schleife. 

1.  —  links.  C.  r.  —  Corp.  restiforme. 

lat.  Schi.  —  laterale  Schleife.  Py.  —  Pyramidenbahn, 

r.  —  rechts. 


Fig.  5— II.    Fall  7.    Lena  Jakobsdotter.    Encephalomalacia  in 
Capsula  interna.    Seite  71. 

Fig  5.    Durchschnitt  durch  die  Medulla  oblongata.    2-mal  vergrössert. 
a.  —  Atrophie  des  antero-lateralen  Stranges. 
C.  r.  —  Corpus  restiforme. 
Py.  —  Pyramidenbahn, 
r.  Schi.  —  rechte  Schleife. 

Fig.  6.    Durchschnitt  durch  das  Cervikalmark.    2-mal  vergrössert. 
a.  —  rechter  antero-lateraler  Strang,  degenerirt. 
1.  Py.  —  der  linke  Seitenstrang,  degenerirt. 

Fig.  7.    Mikroskopischer  Schnitt  durch  den  rechten   Colliculus  anterior  des  Vierhügels. 
Hartnack  Obj.  7.   Ocul.  2. 

Fig.  8.    Zellen  aus  der  Rinde  der  linken  Fissura  calcarina  (S.  79.).    Hartnack  Obj.  7. 
Ocul.  2. 

Fig.  9.    Zellen  aus  der  Rinde  des  rechten  Lobulus  lingualis  (S.  79).    Hartnack  Obj.  7. 
Ocul.  2. 

Fig.  IG.    Zellen  aus  der  Rinde  der  linken  vorderen  Centraiwindung.    (S.  80.  81.) 

Fig.  II.    Zellen  aus  der  rechten  vorderen  Centraiwindung. 

Die  Fig.  10  und  11  sind  mit  Zeiss'  Camera,  und  bei  Zeiss'  Mikroskop  Obj.  16. 
Ocul.  4  gezeichnet. 


Hensclien.  PatMogie  des  Gelurns.  _  Tafel  217 


Cleve  deliu. 


Lüh 


W.  Schlachter,  StocHiolm. 


/ 


KLINISCHE  UND  ANATOMISCHE  BEITRÄGE 

ZUR 

THOLOGIE  DES  GEH  Ii! 

VON 

Dp.  SALOMON  EBERHARD  MENSCHEN 

PROFESSOR  DER   KLINISCHEN  MKDICIN,   DIREKTOR   DER   MEDICINISCHEN  KLINIK 
AN  DER   UNIVERSITÄT  UPSALA 


DRITTER  TEIL 


MIT  27  TAFELN 


UPSALA  1896 

ALMQVIST  &  WIKSELLS  BÜCHDRUCKEREI  AKTIENGF.SEI.LSCH AFT 


KOMMISSIONS-VERLAG  VON   K.   F.   KOEHLER.  LEIPZIG 


KLINISCHE  UND  ANATOMISCHE  BEITRAGE 


ZUR 

THOLOGIE  DES  GEH  Iß 

VON 

Dp.  SALOMON  EBERHARD  RENSCHEN 

PROFESSOR   DER  KLINISCHEN   MEDICIN,   DIREKTOR   DER  MEDICINISCHEN  KLINIK 
'  AN  DER   UNIVERSITÄT  UPSALA 


DRITTER  TEIL 

ZWEITE  HÄLFTE 
MIT  13  TAFELN 


UPSALA  1896 
A[,MQVIST  &  WIKSELLS  BUCHDRUCKEREI-AKTIENGESELLSCHAFT 


KOMMISSIONS-VERLAG  VON  K.   F.   KOEHLER.  LEIPZIG 


VORWORT. 


Durch  die  Freigebigkeit  des  Herrn  August  Röhss  in  Gothenburg  bin  ich  in  den 
Stand  gesetzt  worden,  diesen  dritten  Teil  herauszugeben.  Ich  statte  diesem  hochherzigen  Gön- 
ner und  Förderer  der  Kunst  und  der  wissenschafthchen  Forschung  hiermit  meinen  tiefgefühlten, 
herzlichsten  Dank  ab  und  hege  den  Wunsch,  dass  seine  Gabe  durch  die  in  diesem  Werke 
niedergelegten  Beobachtungen  auch  den  leidenden  Menschen  zu  Gute  kommen  möge. 

Bei  der  Abfassung  dieses  Teils  bin  ich  denselben  Grundsätzen  wie  früher  gefolgt:  die 
klinischen  Beobachtungen  eingehend  darzulegen,  überall,  wo  es  angemessen  erschien,  den  Sec- 
tionen  ausführliche  mikroskopische  Untersuchungen  beizufügen,  alles  Thatsächliche  in  den 
Vordergrund  zu  stellen  und  es  gewissenhaft  von  dem  Hypothetischen  zu  trennen,  das  Auf- 
stellen verfrühter  Theorien  zu  vermeiden  und  endlich  durch  zahlreiche  naturgetreue  Abbil- 
dungen und  ausführliche  Beschreibungen  den  Forscher  in  den  Stand  zu  setzen,  von  einem 
unabhängigen  Standpunkte  aus  die  Schlüsse  zu  kritisiren. 

So  suchte  ich  überall  die  Thatsachen  ihre  unwiderlegliche  Sprache  sprechen  zu  lassen 
und  ein  Material  über  hirnpathologische  Fragen  zu  sammeln,  aus  dem  auch  kommende 
Forscher  vielleicht  etwas  schöpfen  könnten,  wann  einst  die  verschiedenen  Probleme  ihrer 
Lösung  entgegenreifen. 

In  diesen  drei  Teilen  sind  Probleme,  die  den  Gesichtssinn  betreffen,  vorzugsweise  be- 
handelt worden,  aber  wenn  mir  Zeit  und  Kraft  nicht  fehlen  werden,  so  hoffe  ich  in  der  Fort- 
setzung des  Werkes  auch  die  Lokalisation  und  Funktionen  der  übrigen  Sinne,  soweit  diese 
der  kombinirten  klinisch-anatomischen  Forschung  zugänglich  sind,  zu  behandeln,  und  zwar 
unter  Zugrundelegen  der  in  diesen  drei  Teilen  vorgeführten  sowie  neuer  Beobachtungen. 

Mein  verehrter  Freund,  Herr  Doctor  H.  JVilbrand  hat  mir  einen  neuen  Beweis  seiner 
Freundschaft  und  Uneigennützlichkeit  geliefert,  indem  er  mir  drei  sehr  interessante  Kranken- 
geschichten, sowie  die  dazu  gehörenden  Gehirne  zur  Bearbeitung  überlassen  hat;  ich  danke 
ihm  deshalb  herzlichst. 

Für  die  einsichtsvolle  Korrektur  meiner  Manuskripte  spreche  ich  Herrn  IValtcr  Berger 
in  Leipzig  meinen  aufrichtigen  und  verbindlichsten  Dank  aus.  Fräulein  Agnes  Cleve  in 
Upsala,  welche  die  meisten  Abbildungen  in  diesem  Teile  gezeichnet  hat,  und  die  Herren  IV. 
Schlachter  und  Gustaf  Tholander  in  Stockholm,  welche  sie  sorgfältig  lithographirt  haben, 
teilen  das  Verdienst  der  schönen  Bilder  und  mögen  meinen  besten  Dank  empfangen. 

Endlich  bin  ich  den  Herren  y.  IViksell  und  K.  JV.  Appelberg  für  ihre  Mühe  bei  der 
Herstellung  des  schönen  Druckes  der  erschienenen  drei  Teile  in  hohem  Maasse  verpflichtet. 

Sätra  Brunn  d.  i.  Juli  1896. 

S.  E.  MENSCHEN, 


UEBER  HEMIOPISCHE  PUPILLENREAKTION 


115 


plex,  hemiopische  Reaktion  ohne  Hemianopsie,  nur  durch  Zer- 
störung der  Endigungen  der  Pupillenfasern  eintreten.  Die 
Strecke  dieser  Endausbreitung  misst  eher  Millimeter  als  Cen- 
timeter. 

Nach  dem,  was  oben  dargestellt  worden  ist,  hat  also 
die  hemiopische  Pupillenreaktion  nicht  nur  eine  teoretische 
sondern  auch  eine  praktische  lokaldiagnostische  Bedeutung. 
Aber  erst  weitere  Untersuchungen  können  den  Verlauf  der 
Pupillenfasern  und  damit  die  Bedeutung  der  hemiopischen 
Pupillenreaktion  endgültig  entscheiden. 

Noch,  ein  Wort  über  die  lokale  Anordnung  der  Pupillen- 
fasern innerhalb  der  frontalen  Sehbahn.  Wie  liegen  die 
centripetalen  Pupillenfasern  in  der  Retina,  im  Opticus  und 
Tractus  ? 

Hinsichtlich  der  Verteilung  dieser  Fasern  in"  der  Retina 
macht  die  Beobachtung,  dass  der  Pupillenreflex  überhaupt 
von  jedem  Punkte  der  Retina  ausgelöst  werden  kann,  es 
wahrscheinlich,  dass  die  Pupillenfasern  über  der  Retina  gleich- 
massig  zerstreut  sind.  Hiermit  stimmen  u.  A.  auch  die  Anga- 
ben Peretti's'-'  und  Sachs'*'-'  überein,  welche  Fälle  beobachtet 
haben,  in  denen  nur  von  sehr  beschränkten  sehenden  Ge- 
bieten die  Pupillenreflexe  ausgelöst  werden  konnten.  Was 
die  Lage  der  Pupillenfasern  im  Opticus  betrifft,  so  lehren 
die  bekannten  Untersuchungen  von  Key  und  Ketzins,  dass 
die  Opticusfasern  beim  Menschen  verschiedenen  Kalibers  sind. 
Es  ist  wohl  dann  auch  wahrscheinlich,  dass  sie  verschiedene 
Funktionen  haben.  Die  beiden  Arten  von  Fasern  sind  unter 
einander  gemischt.  Bei  den  Thieren  hatte  Gudden  schon 
1882  das  Vorhandensein  von  zwei  Fasersystemen  im  Opticus 
nachgewiesen,  und  zwar  ein  System  von  Sehfasern  und  ein 
solches  von  Fasern,  die  auf  reflektorischem  Wege  die  Pupil- 
lenbewegung beherrschen.  Durch  Exstirpation  des  Colliculus 
anterior  (beim  Kaninchen)  konnte  Gudden  im  Sehnerven  der 
entgegengesetzten  Seite  »die  mächtige  Ansammlung  der 
dicken  Fasern»  nachweisen  d.  h.  also  eine  Atrophie  der 
dünnen  Fasern.  Diese  Atrophie  war  in  der  Retina  eine  all- 
gemeine, nicht  eine  lokale. 

Der  mir  brieflich  von  Wilbraiid  mitgeteilte  Fall,  in  wel- 
chem eine  nach  einem  Trauma  des  einen  Opticus  entstandene 
Hemianopsie  von  hemiopischer  Pupillenreaktion  begleitet  war, 
scheint  zu  beweisen,  dass  die  visuellen  und  centripetalen  Pu- 
pillenfasern für  ein  gewisses  Gebiet  der  Retina  im  Opticus 
zusammen  liegen. 

Betreffs  des  Chiasma,  wissen  wir  nur,  dass  hier  auch 
die  Pupillenfasern  einer  Partialkreuzung  unterworfen  sind;  das 
zeigt  das  Vorhandensein  der  hemiopischen  Reaktion. 

In  Ubereinstimmung  hiermit  sah  Gudden  ***  bei  der 
Katze  bei  Durchschneidung  des  einen  Tractus  opticus,  dass 
die  dicken  Fasern  denselben  Kreuzungsverhältnissen  wie  die 
dünnen  unterliegen. 

'  Deutsche  Med.  Woch.  1893  N:o  13. 
"  Archiv  f.  Augenheilk.  Okt.  1893  (Nach  Peretti). 
Gesamm.  Abhandl.  1889.    S.  189.  199. 


Wie  die  Pupillenfasern  im  Tractus  liegen,  darüber  fehlt 
auch  zur  Zeit  jede  Auskunft.  Im  Falle  2  (Teil  I.  S.  14, 
Teil  II.  S.  257)  habe  ich  nachgewiesen,  dass  sich  im  Tractus 
verschiedene  Bündel,  welche  sich  im  Chiasma  partiel  kreuzen, 
vorfinden.  Besonders  zeichnet  sich  ein  dorso-lateral  liegendes 
Bündel  von  den  anderen  deuthch  ab.  Ich  warf  dort  die  Frage 
auf,  ob  dieses  Bündel  die  centripetalen  Pupillenfasern  ent- 
halte, und  erklärte,  dass  es  in  Anbetracht  der  lateralen  Lage 
wahrscheinlich  nicht  den  Pupillenfasern  entspräche  (Teil  II. 
S.  259).  Der  einzige  Fall,  welcher  meines  Wissens  geeignet 
ist,  Auskunft  über  die  Lage  der  Pupillenfasern  im  Tractus  zu 
geben,  ist  wohl  mein  Fall  N:o  20  (Teil  III.  S.  104)  (Taf  III. 
Fig.  I — 4),  wo  eine  mikroskopische  Atrophie  im  dorso-medialen 
Rande  des  rechten  Tractus  einen  auf  dem  linken  Auge  deut- 
lichen und  auf  dem  rechten  Auge  undeutlichen  hemiopischen 
Pupillenreflex  hervorrief  Dieser  Fall  deutet  also  an,  dass 
die  Pupillenfasern  am  dorso-tnedialen  Rand  des  Tractus  ein 
besonderes  Bündel  bilden.  Der  Fall  steht  aber  bisher  ver- 
einzelt da. 

Anhang. 

Nach  dem  Druck  der  obigen  Abhandlung,  sind  einige 
neue  Fälle  von  hemiopischer  Reaktion  in  der  Litteratur  be- 
kannt geworden,  welche  hier  der  Vollständigkeit  halber  an- 
geführt werden.  Auch  habe  ich  selbst  einige  diesbezügliche 
Beobachtungen  gemacht.  Diese  Fälle  sind  in  folgender  weise 
einzuregistriren  (vgl.  S.  loi). 

Unter  I.  A)  a)  (S.  loi). 

Fall  jy  Henschen  (Chr.  Wef)  Grosse  Geschwulst  in  der 
rechten  Plemisphäre  (in  den  Paracentral-  und  Parietallappen). 
Die  Geschwulstmasse  übte  auf  den  vorderen  Colliculus  anterior 
einen  indirekten  bedeutenden  Druck  aus  (s  unten)  ohne  he- 
miopische Pupillenreaktion  hervorzurufen. 

Unter  I.  A)  b)  (S.  102). 

Fall  j8.  Henschen  (Sundelin,  s.  unten,  S.  120).  Grosse 
Geschwulstmasse  im  Mark  des  unteren  Parietallappens  und 
der  angrenzenden  Windungen,  welche  zuerst  nur  eine  tempo- 
räre, .später  eine  konstante  Heinianopsie  hervorrief. 

Unter  III.  A)  b)  (S.  103). 

Fall  jg.  Horsley  (Brit.  med.  Journ.  1893  Dec,  S.  1366). 
Tumor  im  Temporosphenoidallappen. 

d)  Verletzungen  (nach  Fall  26)  (S.  193). 

Fall  4.0.  Wernicke  (Neurol.  Centralbl.  1895,  S.  511). 
Stichwunde  durch  den  Pedunculus  cerebri  und  den  TractuS. 

Unter  IV.    Chiasma-Fälle  (S.  103). 

Fall  ^i.  Mercanton  et  Combe  (Revue  medicale  de  la 
Suisse  romande,  Tome  XII,  S.  489).  Fall  von  Hirntuberkel 
mit  bitemporaler  Hemianopsie. 

Unter  V.  Opticus-Fälle  (oder  unter  IV.  Chiasma-Fälle) 
(S.  104). 

Fall  ^2.  Henschen  (Erika  Börjesson).  F^olgender  Fall 
scheint  eine  ausführlichere  Mitteilung  zu  verdienen. 


5.  E.  Henschen. 


Pathologie  des  Gehirns. 


1  in 


S.  E.  HENSCHEN.     PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Fall  9.  Börjesson. 

Klinische  Diagnose;  Meningitis  serosa  mit  monoculäpep  nasalep  Hemianopsie  und  tpansitopisehep  hemiopisehep  Pupillenpeaktion. 


Zusammenfassung:  Das  19jährige  Mädchen  hatte  im 
Alter  von  15  Jahren  eine  gelinde  Meningitis  überstanden,  wo- 
bei auch  die  Sehschärfe  sich  verminderte.  Von  Neujahr  1895 
an  eine  schleichende  Meningitis  serosa,  welche  besonders  das 
Sehvermögen  bedrothe.  Stauungspapille  entwickelte  sich  bei- 
derseits. Nach  Entleerung  erst  von  35  und  dann  von  4  Ku- 
bikcentimetern  durch  Lumbalpunktion  trat  schnelle  Besserung 
des  Allgemeinzustandes  ein,  und  die  Sehschärfe  schien  zuzu- 
nehmen; die  Stauungspapille  verschwand.  Gesund  entlassen. 
Uebrigens  rechts  monoculäre  nasale  Hemianopsie  mit  hemiop- 
ischer  Pupillcnreaktion. 

Krankengeschichte. 

Erika  Börjesson,  19  Jahre,  Dienstmagd,  wurde  am  29. 
Januar  1895  in's  Krankenhaus  aufgenommen  und  am  8.  Mai 
desselben  Jahres  als  gesund  entlassen. 

Weder  tuberculöse,  noch  nervöse  Belastung  findet  sich  in 
der  Familie.  Auch  weder  Lues  noch  Alkoholismus.  Patientin 
hat  die  Masern  durchgemacht.  Als  elf-  bis  zwölfjähriges  Kind 
hatte  sie  Rhacliitis,  war  sehr  schwach,  so  dass  sie  kaum  gehen 
konnte,  und  war  an  den  Gelenken  empfindlich,  ohne  dass  die 
Knochen  in  irgend  einer  Weise  deformirt  waren.  Die  Lebens- 
verhältnisse waren  sonst  ziemlich  gut,  und  sie  soll  nie  mit  Tu- 
berculosen umgegangen  sein. 

Im  Alter  von  15  Jahren  machte  sie  eine  mit  der  gegen- 
wärtigen ähnliche  Krankheit  durch.  Die  Symptome  waren:  Schwere 
in  der  Stirn  und  am  Scheitel,  besonders  links,  localisirte  Kopf- 
schmerzen, Erbrechen  und  Entkräftung.  Die  Sehschärfe  vermin- 
derte sich  während  der  Krankheit,  besonders  die  des  rechten 
Auges;  nur  mit  Schwierigkeit  konnte  sie  lesen,  und  es  war  ihr 
so  trübe  vor  den  Augen,  dass  sie  nur  die  am  nächsten  liegen- 
den Gegenstände  sehen  konnte.  Patientin  war  drei  Wochen 
bettlägerig.  Darnach  genas  sie  allmälich;  aber  seitdem  litt  sie 
bisweilen  an  Kopfweh  und  Müdigkeit.  Ob  die  Sehschärfe  schon 
seit  dieser  Zeit  herabgesetzt  war,  weiss  sie  nicht  anzugeben. 

Seit  vielen  Jahren  litt  sie  an  Bleiclisucht  mit  Schwäche, 
sowie  an  einem  Magenleiden,  wahrscheinlich  in  Folge  unmässigen 
Kaffeetrinkens. 

Von  NeujaJir  iSgß  datirt  sie  ihre  Krcinklieit.  Ohne  be- 
kannte Ursache  trat  Tag  und  Nacht  saures  Aufstossen  und  hef- 
tiges Erbrechen  von  saurem  Wa.sser  —  ja  zweimal  selbst  von 
Blut  —  ein.  Heftige  Schmerzen  im  Epigastrium.  Kein  Appetit. 
Nach  8  Tagen  musste  sie  sich  in's  Bett  legen. 

Am  29.  Januar  1895  wurde  Patientin  in's  Krankenhaus 
gebracht.  Sie  klagte  über  schweres  Kop/ice/i  und  Ohrensausen, 
Empfindlichkeit  am  Bauch.    Temperatur  38,4. 

5.  Februar.  Besser,  kann  etwas  essen.  9.  bis  12.  Februar. 
Fieber,  Kopfweh. 

Status  praesens  19.  Februar  1895. 
Kopfweh,  Ohrensausen,  Müdigkeit  und  Schwindel.    Ab  und 
zu  Erbreehen. 


Obstipation.  Temperatur  leicht  febril,  aber  der  Puls  lang- 
sam, lieute  54,  höchstens  98.  Blut  3,800,000,  Hämoglobin  .25 
Percent.    Die  weissen  Blutkörperchen  vermehrt. 

Empfindlich  im  Epigastrium.  Acidität  des  Mageninhaltes 
vermehrt.  Keine  deutlichen  krankhaften  Brustsymptome,  aus- 
genommen etwas  verschärftes  Athmen.  Keine  Bacillen  im  Ex- 
pectorat.    Sonst  nichts  Bemerkenswerthes. 

5.  März.  Es  wurde  bemerkt,  dass  die  Sehschärfe  beson- 
ders rechts,  bedeutend  herabgesetzt  war. 

R.  A.  Am  rechten  Auge  sieht  Pat.  in  einer  Entfernung 
von  5  cm.  tiegenstände  im  temporalen  Gesichtsfelde,  aber  kann 
die  Konturen  selbst  nicht  scharf  sehen.  Sieht  die  Konturen  eines 
Lichtes.    Keine  Refraktionsanomalie. 

L.  A.  Auch  keine  Anomalie  der  Refraktion.  S.  =  0.5. 
Vielleicht  unregelmässiger  Astigmatismus.  Gesichtsfeld  nicht  he- 
mianopisch. 

Die  Pupillen  reagiren  für  Licht  und  Accomodation,  gleich 
gross.  Keine  deutliche  hemiopische  Pupillenreaktion.  Weder 
Farbenblindheit  noch  Gesichtshallucinationen. 

Pat.  liest  eine  Weile  mit  Schwierigkeit,  kann  dann  nicht 
mehr  lesen;  es  wird  ihr  dunkel  vor  den  Augen. 

Gelinde  Stauungspapille  auf  beiden  Augen. 

7.  März.  Ophthalmoskopisch  (Prof.  Gullstrand  und  Ver 
fasser) :  L.  A.  Die  Papille  stark  geschwollen,  die  Grenzen  un- 
deutlich; die  Farbe  bleich,  die  obere  Grenze  hat  vertikale  ra- 
diirende  weisse  Streifen.  Die  Venen  erweitert,  geschlängelt,  die 
Arterien  verengt.  Zwei  kleine  Hämorrhagien,  die  eine  in  der 
Maculargegend,  von  der  Grösse  eines  Hanfkorns,  die  andere 
gleich  über  der  Papille  von  der  Grösse  des  Kopfes  einer  Steck- 
nadel. 

R.  A.  Die  Papille  mehr  angeschwollen;  sonst  sind  die 
Veränderungen  der  Gefässe  sowie  die  Grenzen  und  die  Farbe 
der  Papille  wie  links.  In  der  Maculargegend  eine  erbsengrosse 
gesprenkelte  Stelle.  Nach  aussen  davon  eine  linsengrosse  un- 
regelmässige Hämorrhagie. 

Gesichtsfeld:  L.  A.  Nichts  Auff'allendes  S  =  0,5.  R.  A. 
Nasale  Hemianopsie.  Im  temporalen  Ge'sichtsfelde,  ist  die  Seh- 
schärfe vermindert.  Keine  hemiopische  Fupillenreaktion.  Pupillen 
gleich",  die  rechte  reagirt  kaum  gegen  Licht  (9.  März). 

R.  A.  In  temporalen  Gesichtsfelde  ist  die  Sehschärfe  grös- 
ser im  oberen  als  im  unteren  Quadranten;  im  nasalen  kann 
sie  Finger  nicht  zählen. 

Mitte  März.  In  der  Zwischenzeit  hat  sich  der  Zustand 
kaum  verändert.  Kopfweh  in  Verbindung  mit  Erbrechen,  un- 
bedeutende Temperatursteigerung  bestanden  fort.  Patientin  war 
etwas  somnolent  und  schlaff. 

Die  Kranialncrven  normal,  ausgenommen  den  Opticus,  wo 
lechts  nasale  Hemianopsie  mit  Beschränkung  des  temporalen 
Gesichtsfeldes  bestand.    L.  A.  wenig  verengtes  Gesichtsfeld. 


UEBER  HEMIOPISCHE  PUPILLENREAKTION 


117 


13.  März  1895. 


Die  Augen  können  frei  in  alle  Richtungen  bewegt  werden. 
Kein  deutlicher  Strabismus.  Die  Pupillen  gleich  gross,  reagiren 
auf  Licht  und  bei  Accomodation,  am  rechten  Auge  keine  deut- 
liche hemiopische  Pupillenreaktion. 

Die  Spinalnerven.  Von  der  Sensibilität  und  Motilität  nichts 
Abnormes. 

Die  rechte  Lungenspitze  sehr  verdächtig  (stärkerer  Fremitus 
und  kürzerer  Percussionsschall.    Exspirium  verlängert). 

14.  März.  Schweres  Kopfweh  mit  Erbrechen;  Patientin 
konnte  kaum  im  Buche  lesen. 

Um  2  Uhr  20  Minuten  Nachmittags  Liimbalpunction  mit 
Entleerung  von  35  Kubikcentimeter  wasserklarer  Flüssigkeit  (Spur 
von  Eiweiss).  Die  Pupillen  erweiterten  sich  eine  Weile  bei  und 
nach  der  Function.  Patientin  fühlte  sich  auch  etwas  benommen. 
Nach  einer  Viertelstunde  Erbrechen.  Am  Nachmittag  fühlte 
sich  Patientin  ei-leichtert.  Das  Kopfweh  nahm  ab.  Temperatur 
Abends  38,7. 

15.  März.  Temperatur  36,9.  Sehschärfe  subjectiv  gebessert, 
aber  objectiv  unverändert.  Patientin  konnte  lesen.  Gesichts- 
felder unverändert.  16.  März.  Anschwellung  beider  Papillen 
kann  auf  drei  Dioptiren  geschätzt  werden  (Prof.  Gullstrand). 
Anzeichen  von  älterer  Atrophie.    Kein  Kopfweh. 

17.  März.  Abnahme  der  Sehschärfe,  wie  14.  März,  Kopfweh. 
18  März,  Lumbalpujiction.  'Hmx  4  Kubikcentimeter  entleert. 

—  19.  März.  Wenig  Kopfweli.  Kein  Erbrechen.  Patientin  steht 
auf.  Appetit  gebessert.  Patientin  sieht  nach  ihrer  Aussage 
besser;  objectiv  keine  Besserung. 

21.  März.  Die  PaiDÜle  links  vielleicht  etwas  klarer,  rechts 
klarer.  Die  Excavatibn  deutlicher.  Die  Streifung  der  oberen 
Grenze  vermindert.  Sieht  rechts  nur  (?)  im  oberen  temporalen 
Quadranten.    Undeutliche  hemiopische  Reaktion  rechts. 

1.  April.  R.  A.  Die  Anschwellung  der  Paiaillen  drei  Diop- 
trien. Die  Excavationen  sind  beiderseits  deutlich.  Die  Ver- 
änderungen an  den  Gefässen  weniger  ausgesprochen.  L.  A. 
Papille  weniger  gestreift.  Sehschärfe  entschieden  gebessert.  Pa- 
tientin Hest  feinen  Druck. 

2.  April.  Die  Hemianopsie  besteht  noch  am  rechten  Auge. 
Im  temporalen  Gesichtsfelde  sieht  Pat.  fleckenweise  deutlich, 
fleckenweise  dunkel. 

18.  April.  Bedeutende  Besserung  des  Allgemeinzustandes. 
Gewicht  seit  dem  22.  März  um  5,5  Kilogramm  vermehrt.  Ge- 
sichtsfelder erweitert.    S.  L.  0,9,  S.  R.  '/so. 


18.  April  1895. 


28.  April.  R.  A.  Papillenanschwellung  zwei  Dioptrien.  Die 
Papille  bleich,  graublau,  die  Grenzen  scharf.  Sowohl  Arterien 
wie  Venen  sind  verengt,  mit  deutlichen  Grenzen.  Längs  der 
unteren  Vene  helle  Streifen  (Perivasculitisj.  Die  Pupille  reagirt 
zwar  auf  Licht  von  beiden  Seiten,  aber  schwächer,  wenn  es  von 
der  linken  Seite  eingeworfen  wird  als  von  der  rechten;  also 
beide  Gesichtsfelder  sind  bedeutend  erweitert  im  Vergleich  mit 
dem  Zustande  am  13.  März.  Schwache  hemiopische  Reaktion 
(wechselt).    L.  A.  weniger  veränderte  Venen. 

7.  Mai.  S.  L.  0,9,  S.  R.  Vis  bis  ^/20.  Gesichtsfeld.  Rechts: 
Nasale  Hemianopsie.  Links :  Normales  Feld.  Im  nasalen  Ge- 
sichtsfeld des  rechten  Auges  kann  Pat.  die  Konturen  einer  Licht- 
flamme nicht  sehen. 

Bezüglich  der  Pupillenreaktion  unsicheres  Resultat. 

8.  Mai.    Gesund  entlassen. 

Epikrise. 

Das  früher  rhachitische  Mädchen  litt  anscheinend  an 
einem  Magenleiden,  charakterisirt  durch  Erbrechen,  selbst 
von  Blut,  saurem  Aufstossen,  Empfindlichkeit  im  Epigastrium 
u.  s.  w.  Unter  Fieber  entstanden  dann  Schwindel  und  schweres 
Kopfweh,  welches  sich  fast  bis  zu  Benommenheit  steigerte; 
das  Erbrechen  nahm  zu,  und  eine  Stauungspapille  bildete 
sich  auf  beiden  Augen  schnell  aus.  Der  Puls  war  54  bis 
98,  aber  die  Temperatur  bis  38 — 39,4.  Alle  diese  Symptome 
deuteten  auf  eine  gelinde  Meningitis  mit  vermehrtem  intra- 
kraniellen  Druck.  Die  Symptome  an  der  rechten  Lungen- 
spitze machten  eine  schleichende  Tuberculose  sehr  verdächtig, 
aber  keine  Bacillen  konnten  in  der  klaren  Punktionsflüssigkeit 
nachgewiesen  werden. 

Da  das  Sehvermögen  der  Patientin  deutlich  in  Gefahr 
war,  nahm  ich  die  Lunibalpiinktiod  vor.  Obschon  in  zwei 
Sitzungen  nur  etwa  40  Kubikcentimeter  entleert  wurden,  so 
datirte  sich  doch  von  dem  A2igenblicke  ab  die  Besserung  der 
Patientin,  denn  bis  dahin  hatte  sich  der  Zustand  immer  ver- 
schlimmert. Wenn  auch  die  Patientin  ohne  diese  Punktion 
hätte  genesen  können,  so  ist  es  meine  Ueberzeugung,  dass 
durch  die  Function  der  krankhafte  Process  plötzlich  abge- 
schnitten wurde  und  die  Flüssigkeit  unter  günstigere  Resorp- 
tionsverhältnisse gesetzt  wurde.  Dass  dadurch  das  Sehver- 
Diögen  auf  dem  linkefi  Auge  der  armen  Patientin  gerettet 
wurde,  ist  höchst  wahrscheinlich,  was  umso  wichtiger  war, 
da  der  rechte  Opticus  durch  einen  früheren,  augenscheinlich 
gleichartigen  Process  schon  geschädigt  war.  Es  war  nämlich 
hier  eine  ältere  partielle  Atrophie  vorhanden,  und  die  kleine 


118  S.  E.  RENSCHEN.     PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Narbe  im  Augengrund  war  auch  eine  Erinnerung  an  diesen 
älteren  Process. 

Die  Lmiibalpunktion  zvirkte  also  sehr  gihistig. 

Der  Fall  wird  hier  nicht  der  Lumbalpunktion  halber  an- 
geführt, sondern  wegen  der  vorhandenen  JuDiiopischeii  Pu- 
pillenreaktion am  rechten  Auge.  Diese  steht  hier  mit  der 
seltenen  Form  von  Gesichtsfeldsdefekt  an  demselben  Auge 
im  Kausalz.usammenhang.  Es  bestand  nämlich  am  rechten 
Auge  eine  nasale  Hemianopsie  während  in  dem  Gesichtsfelde 
des  linken  Auges  am  13.  März  eine  geringe  koncentrische 
Einschränkung  vorhanden  war,  welche  jedoch  nach  den  Lum- 
balpunktionen fast  vollständig  verschwand. 

Eine  solche  Kombination  von  Gesichtsfeldsdefekten  ist 
sehr  selten,  w  ie  überhaupt  eine  monokuläre  nasale  Hemianopsie. 

Seit  welcher  Zeit  diese  stammte,  ist  nicht  absolut  sicher, 
aber  nach  aller  Wahrscheinlichkeit  war  sie  schon  bei  dem 
früheren  Anfalle  von  Meningitis  vor  vier  Jahren  entstanden. 
Auch  fand  sich  sowohl  vermehrter  intrakranieller  Druck,  wie 
auch  wenigstens  eine  kleine  Blutung  im  rechten  Augengrund 
(s.  Beobachtung  am  7.  März).  In  Anbetracht  der  unbedeu- 
tenden Ausdehnung  kann  die  retinale  Blutung  die  nasale  He- 
mianopsie nicht  erklären,  und  es  muss  hier  ein  kleines  cir- 
cumscriptes  Exsudat  am  Chiasma  (im  äusseren  Winkel)  oder 
am  intrakraniellen  Teil  des  rechten  Nervus  opticus,  das  unge- 
kreuzte Bündel  zur  Atrophie  gebracht  haben.  Die  Untersuch- 
ung wies  ausserdem  nach,  dass  am  21.  März  selbst  das  tem- 
porale Gesichtsfeld  in  dem  oberen  Quadranten  beschränkt  war. 

Nach  der  Lnnibalpiniktion  erzveitertc  sich  das  vorher 
concentrisch  eingeengte  linke  Gesichtsfeld  und  wurde  fast 
normal,  auch  das  rechte  hemiopische  Feld  dehnte  sich  et- 
was aus. 

Die  hemiopische  Pnpillenreaktion  wurde  nicht  schon  im 
Anfang  der  Krankheit  wahrgenommen,  wenn  auch  nicht  ver- 
neint werden  kann,  dass  sie  schon  von  der  4.  Jahre  früher 
durchgemachten  Krankheit  her  hatte  bestehen  können.  Am 
7.  Marz  konnte  nämlich  bei  Prüfung  auf  hemiopische  Reaktion 
eine  solche  nicht  nachgewiesen  werden.  Sie  scheint  mit  der 
iCntwickelung  der  Meningitis  entstanden  zu  sein  und  mit  ihr 
auch  verschwunden  zu  sein.  Am  21.  März  bestand  eine 
schwache  hemiopische  Pupillenreaktion.  Bei  Prüfung  am  28. 
April  und  an  anderen  Tagen  wurde  sie  auch  nachgewiesen; 
aber  nicht  bei  allen  Proben  an  demselben  Tage  war  es  mög- 
lich sie  wahrzunehmen,  obschon  dieselbe  Methode  angewendet 
wurde.  Überhaupt  war  beim  E^inwerfen  des  Lichtes  in  das 
rechte  Auge  von  der  linken  Seite  her  nicht  eine  absolute  Pu- 
pillenstarre wahrzunehmen,  sondern  nur  eine  deutliche  Diffe- 
renz der  Intensität  der  Pupillenbewegung. 

Man  kann  den  Wechsel  der  hemiopischen  Pupillenreak- 
tion in  mannigfacher  Weise  erklären.  Wahrscheinlich  waren 
in  der  blinden  Retinahälfte  noch  Elemente  übrig,  durch  deren 
Reizung  bisweilen  eine  reflektorische  Kontraktion  ausgelöst 
wurde,  während  diese  Reizung  nicht  kräftig  genug  war,  eine 
Lichtperception  hervorzurufen. 

Dieses  deutet  entweder  auf  das  Vorhandensein  differenter 
Elemente  in  der  Retina  für  Lichtreflexe  und  Lichtperception 
oder  auf  eine  difierente  Empfindlichkeit  derselben  Elemente 
für  Reflexreiz  und  für  Lichtreiz,  d.  h.  die  Retinaelemente 


können  einen  Reiz,  welcher  durch  die  Reflexwege  fortgepflanzt 
wird,  noch  empfinden  oder  aufnehmen,  selbst  wenn  sie  in 
dem  Grade  geschädigt  sind,  dass  sie  zur  Aufnahme  von  Licht 
nicht  mehr  fähig  sind. 

Der  von  Peretti  beobachtete  Fall  (n:o  34.  S.  104)  von 
bitemporaler  Hemianopsie  nach  einer  Schädelfractur,  in  dem 
die  hemiopische  Pupillenreaction  erst  nach  dem  PIrblinden  des 
ganzen  linken  Auges  an  diesem  Auge  nachgeweisen  war,  spricht 
dafür,  dass  bei  einer  Läsion  des  frontalen  Abschnittes  der 
Sehbahn  die  Perception  oder  Leitung  des  Lichtreflexes  vor- 
handen sein  kann  selbst  wenn  die  Lichtperception  oder  ihre 
Leitung  erloschen  ist. 

Von  den  obigen  zwei  Möglichkeiten  bin  ich  für  die  erste 
mehr  geneigt  und  zwar  aus  dem  Grunde,  weil  wir  a)  teils 
nunmehr,  meiner  Meinung  nach,  ganz  bestimmt  wissen,  dass 
es  eigene  Reflexwege  für  Lichti;eiz  giebt  welche  nach  dem 
Pupillencentrum  verlaufen,  b)  teils  in  der  Retina  verschiedene 
Nervenelemente  bestehen,  und  c)  in  der  Sehbahn  Fasern  von 
ungleichem  Kaliber  sich  vorfinden. 

Nach  HeddiBHS  spielt  vielleicht  bei  dem  Wechsel  der 
Pupillenreaktion  der  Haab'sche  Hirnrindenreflex  eine  Rolle 
(Arch.  f  Augenheilk.  von  Knapp  &  Schweigger  1896  S.  91). 

Aus  dem  Vorhandensein  einer  monokularen  Hemianopsie 
und  hemiopischen  Pupillenreaktion  ist  weiter  zu  lernen,  dass  die 
pupillenreflektorischen  Fasern,  welche  im  Opticus  und  Tractus 
verlaufen,  gewiss  mit  den  optischen  Fasern  in  abgeschlossenen 
Bündeln  bis  zu  dem  oder  bis  in  das  Chiasma  verlaufen.  Die 
vorhandene  monokuläre  nasale  Hemianopsie  zeigt,  dass  das 
ungekreuzte  Bündel,  welches  die  temporale  Retinahälfte  in- 
nervirt,  mehr  oder  weniger  atrophisch  war.  Diese  Atrophie 
ist  durch  ein  meningeales  Exsudat  oder  dergleichen  in  der 
Kranialhöhle  zu  Stande  gekommen.  Das  Vorhandensein  einer 
hemianopischen  Pupillenstarre  beim  Einwerfen  vom  Licht  von 
der  linken  Seite  auf  die  rechte  Retinalhälfte  muss  auch  durch 
die  Atrophie  hervorgerufen  worden  sein  und  zeigt,  dass  dasselbe 
Bündel  nicht  für  den  Reflexreiz  leitend  war.  Dieser  Reiz 
muss  also  auch  in  demselben  ungekreuzten  Bündel  fortge- 
leitet werden. 

Schon  oben  S.  114  habe  ich  nachgewiesen,  dass  der 
von  Wilbrand  beobachtete  Fall  von  Hemianopsie  infolge  von 
P'raktur  an  dem  P'oramen  orbitale  zeigt,  dess  die  pupillen- 
reflektorischen Fasern  der  nasalen  Retinahälfte  in  der  Nähe 
von  diesem  Foramen  im  gekreuzten  Bündel  enthalten  sind. 
Mein  Fall  vervollständigt  in  wünschenswerther  Weise  jene 
sonst  einzeln  dastehende  Beobachtung  und  zeigt,  dass  in  dem 
ungekreuzten  Bündel  sowohl  Reflex-  wie  Sehfasern  enthalten 
sind,  und  zwar  auch  für  den  intrakraniellen  Abschnitt  des 
Opticus  oder  eventuel  selbst  für  das  Chiasma.  Dass  das 
meningeale  Exsudat  das  ungekreuzte  Bündel  nicht  im  Tractus 
ergriffen  hat,  scheint  mir  aus  dem  Grunde  wahrscheinlich, 
weil  das  ungekreutzte  Bündel  hier  hauptsächlich  im  Inneren 
des  Tractus  liegt  (Teil  II,  Taf  XXVIII,  17).  Es  lässt  sich 
dann  nur  schwierig  denken,  dass  ein  pathologischer  Prozess 
beim  Übergreifen  auf  dieses  Bündel  das  gekreuzte  unversehrt 
gelassen  hätte. 


UEBER  HEMIOPISCHE  PUPILLENREAKTION 


119 


Die  oben  angeführten  Fälle  von  hemiopischer  Reaktion 
fügen  überhaupt  unseren  früheren  Kenntnissen,  wie  sie  von 
mir  auf  dem  internationalen  Kongresse  in  Rom,  im  März 
1894,  und  hier  oben,  S.  loi  — 115,  mitgeteilt  sind,  wenig 
Neues  hinzu. 

Der  Fall  37  zeigt,  dass  selbst  ein  ansehnlicher  Druck  auf 
den  hinteren  Abschnitt  des  Colliculus  anterior  nicht  den  Pu- 
pillarreflex  aufhebt. 

Die  Fälle  39  und  40  bestätigen  die  schon  früher  durch 
vielfache  Beobachtungen  erhärtete  diagnostische  Bedeutung 
der  hemiopischen  Pupillenreaktion  bezüglich  Tractus-Läsionen, 
wie  auch  der  Fall  41  hinsichtlich  der  Chiasma-Läsion.  Da- 
gegen erweitert  der  Fall  42,  wie  schon  erläutert,  in  einigen 
Hinsichten  unsere  Kentnisse  über  die  Lage  der  Pupillen- 
Fasern  im  Verhältniss  zu  den  Sehfasern. 

Ausserdem  verdienen  noch  zwei  Beobachtungen  hier 
erwähnt  zu  werden;  die  eine  von  Keen  (Am  J.  of  med.  Sc. 
1894,  n:o  2.  S.  109  ff.),  die  andere  von  Rotlinimin  (Deutsche 
Medic.  Wochenschr.  1894,  n:o  15). 

In  dem  Falle  von  Keen  war  die  hemiopische  PupilUen- 
reaktion  so  undeutlich,  dass  Dr.  Oliver  ihr  keine  Bedeutung 
für  die  Lokalisation  zuerkennen  wollte,  und  in  Anbetracht  der 
Pupillensynechien  in  beiden  Augen  war  dies  gewiss  berechtigt. 

Bei  der  Sektion  wurde  an  der  Basis  des  Gehirns  im 
dritten  Ventrikel  eine  Geschwulst  angetroffen,  welche  auf  das 
plattgedrückte  Chiasma  und  auf  den  Tractus  drückte.  Da 
die  Geschwulst  auch  auf  die  Corpora  4-gemina  drückte,  so 


hat  der  Fall  nur  das  Interesse,  dass  die  Beachtung  der  hemi- 
opischen Reaktion  dem  auf  das  Kleinhirn  gerichteten  opera- 
tiven Eingriff  hätte  vorbeugen  können. 

Von  Rothmann  ist  ein  künischer  Fall  von  recidivirender 
Hemiplegie  und  Hemianopsie  im  Verein  mit  hemiopischer 
Pupillenreaktion  beobachtet  worden.  Da  der  Fall  nicht  zur 
Sektion  kam,  so  ist  überhaupt  jeder  Schluss  auf  Grund  dieses 
Falles  wenig  berechtigt.  Die  von  Rothmann  aufgestellten 
Sätze  über  die  Bedeutung  der  hemiopischen  Reaktion  gründen 
sich  auch  deutlich  auf  theoretische  Erwägungen  und  entbehren 
der  nothwendigen  kombinirten  klinisch-anatomischen  Grund- 
lage.   Dabei  muss  ich  besonders  hervorheben; 

1.  Satz  I  ist  unvollständig,  da  eine  hemiopische  Pupillar- 
reaktion  sowohl  bei  Läsionen  des  Sehnerven  und  des  Chiasma, 
sowie  auch  bei  chronisch  auftretenden  Hemianopsien  eintritt. 

2.  Der  Satz  4  ist  aus  dem  Grunde  unrichtig,  weil  eine 
Degeneration  der  Pupillarfasern  im  Tractus  durch  Läsion  eines 
»höher  sitzenden  primären  Herdes»  überhaupt  nicht  eintritt, 
wenn  nicht  der  Herd  auf  die  Pupillenfasern  übergreift,  wie  im 
Schmidt-Rimpler'schen  Falle  (S.  103). 

3.  Der  Satz  5  :  »Hemiopische  Pupillarreaktion  ohne  Hemi- 
anopsie beweist  einen  zwischen  Vierhügel  und  Sphincter 
iridis  gelegenen  Herd»  ist  aus  nahe  zur  Hand  liegenden 
Gründen  unrichtig,  denn  auch  Herde  zwischen  dem  Tractus 
und  dem  Endigungspunkt  der  centripetalen  Pupillarfasern 
müssen  dieselbe  Reaktion  ohne  Hemianopsie  hervorrufen  (s. 
oben,  S.  1 14),  wenn  die  Sehfasern  nicht  betroffen  sind. 


III. 

Zwei  Fälle  von  Hemianopsie  durch  Geschwülste  im  unteren  Parietallappen. 


Fall  10.  Sundelin. 

49  Jahre.  Arbeiter. 
Tafel  XVI.    Fig.  i— 6. 


Klin.  Diagnose:  Tumop  eerebpi,  lobi  papietal.  infep.  dexlpi  (He- 
miplegla  sin.)  +  Pneumonia  aeuta  dextpa. 

Zusammenfassung.  Alkoholiker,  seit  einiger  Zeit 
veränderte  Stimmung.  Dann  plötzlich  Schwindel  und  progres- 
sive Lähmung  der  linken  Seite  ohne  Zuckungen;  unter  Zu- 
nahme der  Symptome  kamen  bald  Hemianopsie  und  später 
allmählich  Symptome  von  Hirnkonipression  dazu.  Tod  nach  2 
Monaten.  Eine  grosse  Geschwulst  nahm  die  ganze  mittlere 
Partie  der  rechten  Hemisphäre  ein,  berührte  die  Rinde,  grifif' 
aber  nicht  auf  sie  über.  Die  Hemianopsie  war  eine  indirekte. 
Die  Sehstrahlung  oben  ein  wenig  berührt.  Rechtsseitige  Ge- 
sichtshallucinationen  in  Folge  von  Pialblutungen  im  linken 
Occipitallappen. 

Anamnese. 

Der  Vater  lebt  im  Alter  von  88  Jahren.  Der  Vater  soll 
mit  »Nervenkrankheit»  geboren  sein:  seine  Hände  zitterten,  wie 
auch  Teile  des  übrigen  Körpers;  auch  der  Grossvater  zitterte, 
aber  in  höherem  Grade.  Die  Mutter  litt  an  Athemnoth  und 
starb  im  Alter  von  46  Jahren  plötzlich  während  die  Arbeit  an 
Schlagfluss.  Pat.  hat  p  Geschwister,  welche  alle  an  Tremor  lit- 
ten. Sie  waren  auch  wie  Pat.  selbst  von  Athemnoth  beschwert, 
und  eine  Schwester  starb  daran.  An  Schwindel,  Herzklopfen 
oder  Husten  litten  sie  nie. 

Pat.  hat  unter  guten  hygienischen  Verhältnissen  gelebt; 
hat  Wechselfieber  im  Alter  von  14  Jahren  und  Masern  im  Alter 
von  16  Jahren  gehabt.  Verneint  Lues,  soll  periodenweise  Al- 
kohol in  nicht  unbedeutendem  Grade  gemissbraucht  haben. 

Er  war  immer  gesund  und  kräftig  bis  zum  Ausbruch  der 
gegenwärtigen  Krankheit,  ausgenommen  dass  er  vor  g  Jahren 
von  einem  Baugerüste  fiel.  Er  stiess  sich  nicht  an  einer  bestimm- 
ten Stelle,  fiel  auf  die  Hände,  nicht  auf  den  Kopf,  aber  war 
während  einiger  Tage  »sich  nicht  ähnlich-»;  er  zitterte  in  den 
Händen  und  war  nervös.  Diese  Symptome  schwanden  bald.  — 
In  den  letzten  Jahren  war  Pat.  nach  Angabe  seines  Schwagers 
i>sich  selbst  nicht  ähnlich-»;   wie,  das  konnte  er  nicht  näher  be- 


Anatom. Diagnose:   Glioma  eepebpl. 

stimmen.  Pat.  war  niedergedrückt  und  seine  Arbeitskraft  in  be- 
deutendem Grade  vermindert.  Er  klagte  jedoch  nicht  über  et- 
was Bestimmtes.    Soll  nicht  Schwindel  gehabt  haben. 

Die  Krankheit  begann  nach  Aussage  des  Pat.  plötzlich  am 
II.  Oktoker  i8g4.  Er  arbeitete  streng  an  einem  Mauerwerk 
und  .suchte  es  mit  der  linken  Schulter  zu  stützen.  Daher  nach 
seiner  Meinung  die  linksseitige  Lähmung.  Nachmittags,  als  er 
vom  Baugerüste  herunterstiegen  war,  wurde  es  ihm  dunkel  vor 
den  Augen,  und  er  fiel  nach  vorn,  hinüber;  verlor  aber  das  Be- 
wusstsein  nicht  und  setzte  bald  die  Arbeit  fort,  wie  auch  am  fol- 
genden Tag.  Am  13:  bemerkte  er,  dass  der  linke  Arm  in 
»  Unordnung»  war.  Er  sollte  seine  Tabaksdose  nehmen,  und 
fand  den  Arm  für  eine  kurze  Weile  7C'ie  gelähmt  und  er  konnte 
ihn  nicht  beherrschen ;  dann  war  er  wie  vorher  und  konnte  den 
ganzen  Tag  hindurch  arbeiten.  Am  15.  und  16.  desselben  Mo- 
nats wurde  er  gewahr,  dass  der  linke  Arm  und  das  linke  Bein 
etwas  geschwächt  waren;  er  konnte  nicht  mit  diesem  Arm  etwas 
tragen.  Er  bemerkte  auch,  dass  er  von  Sachen,  die  er  mit  der 
linken  Hand  trug,  nicht  los  kommen  konnte,  sondern  dass  er  die 
Finger  mit  der  rechten  Hand  losmachen  musste.  Die  linke  Hand 
war  also  krampfhafit  geschlossen.  Das  linke  Bein  wurde  jetzt  auch 
schwach.  Pat.  musste  sich  eines  Stockes  bedienen.  Die  Schwäche 
schritt  nun  in  den  folgenden  Tagen  schnell  fort.  Schröpfen 
half  nichts  und  mit  jedem  Tage  wurde  er  allmählich  schtvächer. 

Am  26.  Oktober  konnte  er  nur  wenig  den  Arm  und  die 
Hand  bewegen,  das  Bein  war  dagegen  beweglich;  er  konnte  es 
im  Knie  beugen  und  mit  einem  Stock  mit  Schwierigkeit  gehen.  In 
der  ganzen  Zeit  litt  er  nicht  an  Schmerzen  weder  im  Kopf  noch 
sonst.  Aber  die  linksseitigen  Gliedmassen  waren  taub,  und  in 
der   letzten  Zeit  fühlte  er  sie  nicht  mehr.    Kein  Ameisenkriechen. 

Pat.  hat  keine  Störung  des  Gesichts,  Gehörs,  Geruchs  oder 
Geschmacks  oder  Sprachstörung  wahrgenommen.    Er  war  immer 


ZWEI  FÄLLE  VON  HEMIANOPSIE  DURCH  GESCHWÜLSTE  IM  UNTEREN  PARIETALE  APPEN.  121 


klar  im  Kopf  und  hatte  keine  Hallucftiationen.  Harnentleerung 
und  Stuhlgang  ohne  Störung. 

Am  27.  Oktober  sollte  er  nach  dem  Krankenhause  ge- 
bracht worden,  aber  durch  Unglücksfall  fiel  er  aus  dem  Wagen 
und  stiess  sich  an  den  Unterleib  und  in  die  linke  Seite.  Sonst 
war  nach  seiner  Angabe,  keine  Veränderung  in  der  gelähmten 
Seite,  aber  es  wurde  bemerkt,  dat  der  Mitnd  scliief  gezogen  war; 
wie  Fat.  glaubt,  war  er  schon  früher  so. 

Wurde  am  27.  Oktober  1894  ins  Krankenkaus  aufgenommen. 

An  demselben  Tage  wurde  die  Perimeterkarte  L  aufge- 
nommen. 


Z,A,  RA. 


Bei  der  Prüfung  des  Gesichts  wurde  linksseitige  Hemianopsie 
auf  beiden  Augen  bemerkt.  Keine  konsensuelle  Reaktion  ;  auch 
keine  heniiopiscJie  Pupillenrtaktion.  Die  Sehschärfe  war  normal 
und  der  Augenhintergrund  ohne  Veränderungen. 

^^/lo.  Pat.,  welcher  bei  der  Aufnahme  den  linken  Arm 
etwas  bewegen  konnte,  vermag  es  heute  nicht  mehr.  Das  Bein 
kann  er  so  viel  heben,  dass  Unterschenkel  und  Oberschenkel 
einen  rechten  Winkel  bilden.  Eine  vorläufige  Untersuchung  der 
Sensibilität  zeigt,  dass  sie  in  der  ganzen  linken  Seite  herabgesetzt 
ist,  und  zwar  am  meisten  im  Arm,  am  wenigsten  im  Gesicht  und 
am  Bauche.  In  den  linken  Hälften  der  Gesichtsfelder  ist  die 
Sehschärfe  bedeutend  herabgesetzt  —  eine  ]^erdiinkliing  findet 
daselbst  statt,  aber  keine  Blindheit. 

^^10.  Pat.  ist  fortwährend  bei  klarer  Intelligenz  und  be- 
antwortet Fragen  ohne  Verzug. 

Pat.  erscheint  etwas  schlaff  und  nervös,  weint  leicht. 
Die  Hemianopsie  heute  mehr  ausgeprägt,  jedoeh  ist  er  im  dunklen 
Felde  nicht  völlig  blind.  Der  Harn  geht  in's  Bett.  Der  Puls 
stärker  an  der  gesunden  Seite. 

Status  praesens  d.  5.— 10.  November  1894. 

Allgemeinzitstand.  Pat.  ist  bettlägrig,  kann  nicht  selbst  die 
Lage  verändern.  Guter  Körperbau  und  starke  Muskulatur.  Kein 
Oedem.  Der  Appetit  ist  gut.  Schläft  nicht  nur  in  der  Nacht, 
sondern  auch  oft  am  Tage.   Afebril.   Radiales  nicht  sklerotisch. 

Subjektive  Symptome. 

Er  leidet  wenig.  Geringes  Kopfweh  an  der  Stirn  ist  in 
den  letzten  Tagen  eingetreten.  Keine  Übelkeit  oder  Erbrechen. 
Schmerzen  in  der  kranken  Seite.  »Es  ist,  als  ob  die  Seite  nicht 
vorhanden  wäre.»  In  den  letzten  Tagen  hat  er  Stechen  Amci- 
senkj'iechen  empfunden,  welches  am  linken  Knie  anfängt  und  sich 
nach  unten  bis  in  die  Zehen  fortsetzt.  In  der  rechten  Seite 
und  im  Bauche  hat  er  bei  Stilliegen  keine  Schmerzen,  bei  Be- 
wegungen bekommt  er  heftiges  Stechen  wie  mit  Messern. 


Objektive  Untersuchung. 

Psyche.  Das  Aussehen  war  anfangs  gesund,  ist  nunmehr 
sehr  schlaff  und  abwesend.  Das  Urteilsvermögen  ist  noch  ziem- 
lich klar,  sowie  die  Aufpassung,  doch  ist  eine  deutliche  Herab- 
setzung seit  der  Aufnahme  bemerkbar.  Das  Gedächtniss  noch 
gut;  Geruch,  Gesicht,  Gedächtniss  ohne  Besonderes.  Der  Wille 
ist  wenig  kräftig.    Keine.  Delirien  oder  Hallucinationen. 

Aphasie.  Keine  ausgeprägte  Form  von  Aphasie  liegt  vor; 
kann  etwas  lesen  und  schreiben,  wenn  auch  mit  Schwierigkeit, 
da  er  es  nicht  gelernt  hat.    Keine  Worttaubheit. 

Die  Sprache  ist  undeutlich  und  dick,  bisweilen  wie  abge- 
brochen. Seine  Sprache  war  immer  schwer  vorständlich.  Eine 
Verschlimmerung  ist  im  Krankenhause  eingetreten  (motorische 
Aphasie?).   Kann  nachsprechen,  und  findet  selbst  richtige  Worte. 

Kranialnerven. 

I.  Pat.  unterscheidet  auf  beiden  Nasenlöchern  Kampher- 
spiritus, Terpentin,  Nelkenöl  und  Essig;  kann  sie  aber  nicht 
immer  benennen.  Von  schwachen  Lösungen  hat  er  keinen  Ge- 
ruch.   Keine  Hallucinationen. 

II.  Die  Sehschärfe  war  bei  den  Aufnahme  ziemlich  nor- 
mal, jetzt  etwas  herabgesetzt. 

Die  am  -^/lo  erwähnte  Hemianopsie  war  bis  zum  eher 
eine  Verminderung  der  Sehschärfe  im  linken  Gesichtsfelde,  aber 
am  Abend  des  ^/u  war  eine  vollständige  Hemianopsie  vorhan- 
den. So  war  es  auch  der  Fall  an  dem  Abend,  als  er  aufge- 
nommen wurde.    Am  ^/ii  keine  Hemianopsie  nachzuweisen. 

Die  ophtalmoskopische  Untersuchung  zeigt  nichts  Abnormes. 
Die  Papillen  haben  scharfe  Grenzen,  und  die  Gefässe  sind  nicht 
verändert. 

III.  IV,  VI.  Kein  Strabismus  oder  Nystagmus.  Die  Pu- 
pillen sind  gleich  gross  und  reagiren  auf  Licht  und  bei  der  Ac- 
commodation.  Auch  konsensuelle  Reaktion  ist  vorhanden,  aber 
keine  hemiopische  Pupillenreaktion.  Die  Augenbewegungen  waren 
normal  bis  zum  10.  Oktober. 

V.  Die  Sensibilität  ist  links  im  Gesicht  deutlich  herab- 
gesetzt, wenn  auch  nur  wenig.  Dies  betrifft  sowohl  den  Tast- 
sinn wie  den   Ortsinn.    Leichtes  Betasten  empfindet  Pat.  nicht. 

Ortsinn.    Rechts  2  —  3  cm.    Links  7,5 — 10  cm. 

Schmerzsinn.  (Nadelstiche  und  Kneifen.)  Auch  links  et- 
was herabgesetzt. 

Temperatursinn.  C.  wird  rechts  als  lauwarm  empfun- 

den, links  hat  Pat.  davon  keine  deutliche  Empfindung. 

Die  Masseteres  ziehen  sich  beiderseits  gleich  kräftig  zusammen. 

VII.  Obere  Aste.  Das  Schliessen  der  Augenlieder  ist  schwä- 
cher links  als  rechts. 

Untere  Aste.  Schwäche  links.  Die  Uvula  weicht  nicht  ab, 
und  die  Gaumenbogen  stehen  beiderseits  gleich. 

VIII.  Das  Gehör  ist  beiderseits  herabgesetzt,  am  meisten 
links.  *^/u  hörte  er  eine  Taschenuhr  links  auf  7  cm.,  rechts 
auf  IG  cm.   ''/ii  horte  er  sie  noch  5  cm.  weiter  auf  beiden  Ohren: 

Pat.  unterscheidet  und  empfindet  beiderseits  an  der  Zunge 
Saures,  Salziges,  Süsses  und  Bitteres,  vielleicht  etwas  besser  rechts 
als  links.  Kann  die  Geschmachempfindungen  auch  richtig  be- 
nennen.   Keine  Hallucinationen. 

Das  Schlucken  etwas  erschwert,  der  Bissen  kommt  leicht 
zurück. 


122 


S.  E.  HENSCHEN.     PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Die  Sensibilität  im  Mund  und  Pharynx  scheint  herabgesetzt 
zu  sein  teils  für  Berührung,  teils  so  dass  der  Bissen  keine  Ver- 
suche zum  Schlucken  hervorruft. 

X.  Das  Athem  20. 

XI.  Die  Stimme  ist  undeutlich  und  vielleicht  heiser.  Mm. 
sternocleidomastoidei  beiderseits  gleich  kräftig. 

Der  Cucullaris  links  scheint  vollständig  gelähmt  zu  sein. 

XII.  Die  Zunge  weicht  nach  links  ab.  Keine  trophischen 
Störungen. 

Spinalnerven. 

Sensibilität. 

Ein  deutlicher  Unterschied  hinsichtlich  der  Sensibilität  sym- 
metrischer Teile  der  beiden  Körperhälften  ist  zu  constatiren. 
Die  grösste  Differenz  besteht  hinsichtlich  der  Arme,  dann  hin- 
sichtlich der  Beine. 

Der  Tastsinn  wurde  durch  Berühren  mit  Papierstreifen  und 
Hollundermarkscheiben  von  verschiedenem  Ciewicht  geprüft.  Eine 
bedeutende  Herabsetzung  des  Tastsinnes  besteht  links. 

Rechts  Links 
Ann:  Vola  maous..  ..   5  mg.  Erst  mehr  als  50  mg;  fühlterststärkcres Betasten 

dorsum  nianus   5   )>      »  »     »   5^  »     »     »        »  " 

vola  antibrachii  4  »      «  »      »   50  >>     » schonlciditesStrcichcln 

dorsum    »          3   »      »  »     >'   5°  »     »    »        »  » 

vola  hunieri  ...    5   »  50  » 

dorsum  ))       ...  10  »      »  >)      »   50  ))     »  erst  stärkeres  Streicheln 

Bnist:                              5    "  "^-'^  50  » 

Baufh:                           7   »       »  »     ^^Is  5°  » 

Behl:  Planta  pedis  .  .  50  »      »  »     »   50  « 

dorsum   «     ..  50  »      »  »     »   50  » 

Extensorenseite 

d.  Unterschenk.  50  »      »  »     »   50  » 
Extensorenseite 

d.  Oberschenk.  15   »      »  »     »   5°  " 

An  der  Fle.xorenseite  der  Beine  fühlt  er  iinks  erst  starkes 
Streicheln. 

Der  Ortsinn  zeigt  au(  h  eine  bedeutende  Herabsetzung  an 
der  linken  Seite. 

Prüfung  mit  dem  Aesthesiometer. 

Reclits  Links 
Acstliesiometer  in  der  Längsrichtung,  Querrichtung 

Ann:  Volamanus...  2    cm.             2  cm.;      fühlt  nur  eine  Spitze; 

dorsum  »   2     «                2  »           »       »      »  » 

vola  antibrachii          3     »               3,5  »          »       «     »  » 

dorsum    »   3,r,  »               3,5  »          »       »     «  » 

vola  hunicri  6     »               2,;-,  »          »       »     »  >> 

dorsum »                    3,.-,  »               2,5  »          »       »     »  » 

Brust:                                  9      »  15  '^'T'- 

Batich:                                3     »  12  « 

Rechts  Links 

Bein:  In  der  Längsrichtung,  Q.ucn-icluung  Längsriclit.  duerricht. 

Planta  pedis          3  cm.      5  cm.  5  cm.  5  cm. 

dorsum  »             5    »       7    »  10    »  10  » 

Vorderseite  des 

Unterschenkels  8    »       .4,,-  »  10    »:         nur  eine  Spitze 
Hinterseite  d 
Vorderseite  des 

Oberschenkels..  2    »       3    »  15    »  »     »  » 

Hinterseite  d:o...  4    »       3    »  15    »  >>     »  » 

Schmerzsinn.  Eine  Herabsetzung  besteht  links,  und  am 
meisten  ausgesprochen  an  den  Armen,  weniger  an  den  Beinen, 
auch  deutlich  am  Rumpf. 


Tempcratiirsinn  ungefähr  wie  im  Gesicht. 

Muskelsinn  links  nicht  zu  prüfen ;  scheint  auch  rechts  herab- 
gesetzt. Pat.  kann  mit  den  rechten  Gliedern  die  den  linken 
Gliedern  gegebenen  Stellungen  nachahmen  oder  einen  gegebe- 
nen Punkt  in  genauer  Weise  betasten. 

Elektrische  Reizbarkeit  an  beiden  Seiten  etwa  gleich. 

Motilität. 

Kopf:  Die  Bewegungen  sind  anscheinend  normal. 

Arme:  Pat.  kann  den  linken  Arm  und  die  linke  Schulter 
nicht  bewegen,  beim  Versuche  entstehen  Mitbewegungen  im  rech- 
ten Arm.  Er  kann  zwar  den  rechten  Arm  bewegen,  aber  dabei 
entsteht  Zittern,  so  dass  er  ohne  Hülfe  nicht  speisen  kann. 

Bauch:  Die  linken  Bauchmuskeln  etwas  schwächer  als  die 
rechten. 

Beine:  Er  kann  das  linke  Bein  bis  zum  rechten  Winkel 
im  Knie  an  sich  ziehen  und  auch  die  Ferse  vom  Bett  erheben. 
Kann  auch  etwas  ab-  und  adduciren.  Die  Kraft  ist  jedenfalls 
im  Krankenhause  vermindert.  Kann  sich  auf  dieses  Bein  nicht 
stutzen.  Das  reclite  Bein,  bewegt  Pat.  ziemlich  unbehindert,  wenn 
nicht  dabei  die  Schmerzen  in  der  linken  Seite  ihn  hindern.  Die 
Kraft  ist  jedenfalls  herabgesetzt.  Beim  Sitzen  will  Pat.  nach 
vorn  und  links  umfallen. 

Keine  fibrillären  Zuckungen  oder  Kontrakturen. 

Reflexe.  Die  Patellarreflexe  sind  beiderseits  verstärkt,  am 
meisten  links.     Dorsalklonus  fehlt. 

Hautreflexe  sind  geschwächt.  Bauch-  und  Cremasterreflexe 
fehlen. 

Blase  und  Rectum:  Der  Harn  geht  oft  ins  Bett,  einige 
Male  auch  der  Koth,  besonders  nach  Laxativen. 

Vasomotorische  Störungen:  nichts  Besonderes,  ausgenommen 
dass  der  linke  Puls  schwächer  schlägt  als  der  rechte. 

Trophische  Störungen:   nicht  vorhanden. 
Innere  Organe. 

Brust  und  Lungen:   ohne  Besonderheiten. 

Herz:  anscheinend  ein  wenig  vergrössert,  reicht  nach  links 
bis  zur  Mamillarlinie  und  überschreitet  nach  rechts  den  Sternal- 
rahd.    Die  Töne  klar. 

Bauch:  Der  Leib  etwas  träge. 

Harn:  Sp.  Gew..  i,oiii,  saure  Reaktion,  ohne  Albumin  oder 
Zucker. 

Behandlung :  Symj^tomatisch. 

Tagesnotizen :  "/n-  Heute  liegt  Pat.  in  somnolentem  Zu- 
stande. Antwortet  stossweise  und  undeutlich.  Der  Blick  ab- 
wesend. 


II.  Die  Hemianopsie  nach  links  ist  absolut;  er  reagirt  auf 
Licht  von  der  rechten  Seite. 


ZWEI  FÄLLE  VON  HEMIANOPSIE  DURCH  GESCHWÜLSTE  IM  UNTEREN  PARIETALLAPPEN 


123 


III,  IV,  VI.  Gestern  wie  heute  kann  er  die  Augen  nicht 
nach  hnks  über  die  Mittellinie  hinaus  bewegen. 

Abends:  Sensorium  freier,  wie  auch  die  Augenbewegungen. 
Er  kann  die  Augen  nach  links,  wenn  auch  schwierig  und  un- 
sicher, drehen.    Die  Hemianopsie  nicht  verändert. 

'^/ii.  Wie  gestern  Abend.  Gesichtsfelder  (s.  Karte  II) 
eingeschränkt.  Das  Resultat  etwas  unsicher.  Beim  Versuch  mit 
gefärbten  Probelappen  konnte  nur  so  viel  konstatirt  werden, 
dass  Pat.  sie  innerhalb  der  Grenzen  des  Weiss  sehen  konnte. 

^^\n.  Augenbewegungen  normal.  Leichter  Decubitus  am 
Kreuz.  Harn  geht  oft  ins  Bett.  Pat.  konnte  einen  Bekannten 
erkennen. 

^■^/ii.  Halbschlummer  den  ganzen  Tag  hindurch.  Schwatzt 
in  der  Nacht  verworrenes  Zeug.  Der  Bissen  kommt  oft  aus  dem 
Munde  zurück,  und  das  Schlucken  ist  schwierig. 

'■''/ii.  Die  Hemianopsie  wie  früher.  Einige  Male  reagirte 
er  noch  im  linken  GesicJitsfelde.  Augenhintergrund  nicht  mit  Si(~- 
herheit  verändert.    Augenbewegungen  normal. 

^Vii-  Schlaffer  als  früher.  Versteht  Worte,  aber  antwortet 
sehr  undeutlich;  findet  jedoch  Worte. 

'^/ii.    Am  Nachmittag  etwas  klarer. 

^^/u.    Somnolent.    Hemianopsie  absolut. 

^"/u.  Bei  Prüfung  auf  die  SensibiHtät  schien  der  Unter- 
schied zwischen  rechts  und  links  ausgeprägter  als  früher  zu  sein. 

^^/ii.  Spricht  vor  sich  hin;  glaubte  dass  er  mit  einem  Ver- 
wandten sprach.  Anscheinend  Sehhalli/cinationen,  denn  er  strei- 
chelt mit  der  rechten  Hand  an  der  nach  rechts  stehenden  Wand, 
als  ob  er  etwas  da  sehe.    BHckt  immer  nach  der  Wand  hin. 

'^'^\n.  Sehr  abwesend  und  schlaff;  ^'^/ii.  Etwas  komatös. 
Kannte  seine  Freunde  nicht.    T.  37,1°— P.  100. 

^^/ii.  Lebhafter.  Antworten  ziemlich  klar.  Kannte  seinen 
Schwager,  aber  war  sonst  gleichgültig. 

26|j^  —  ^'^/ii.    Sehr  schlaff,  will  nicht  essen. 

'^'^jn.  Hat  verschiedene  Sehliallucinationcn.  Er  sieht  Bur- 
schen teils  durch  das  Fenster  (nach  rechts)  einhüpfend,  teils  pro- 
menirend.  Er  sieht  sie  immer  nach  rechts,  an  welcher  Seite  er 
liegt.  Die  Leute  waren  »schwarz  gekleidet».  Hörte  auch  Leute 
im  Korridore  nach  links  »tanzen». 

^^\\\.  Die  Sehschärfe  konnte  untersucht  werden  und  wurde 
ziemlich  normal  befunden. 

^/i2.  Er  stiert  hartnäckig,  anhaltend  nach  rechts  (selten 
nach  links),  sieht  auch  in  dieser  Richtung  Figuren  u.  s.  w.  Wenn 
er  nach  vorn  oder  nach  links  sieht,  so  sagt  er,  dass  er  die  Figuren 
nicht  sehe.  Die  Hallucinationen  scheinen  also  den  Augcnbeivegun- 
gen  nicht  zu  folgen.  Wenn  man  sich  vor  seine  Augen  stellt  und 
versperrt  ihm  die  Aussicht,  so  sieht  er  auch  die  Figuren  nicht, 
sondern  will  sich  im  Bette  aufrichten,  um  an  der  Seite  des  vor 
ihm  stehenden  Arztes  vorbei  zu  sehen.  Sah  heute  zwei  Perso- 
nen mit  Gewehren  (an  dem  Fenster).  YjX 'konnte  die  ganzen  Per- 
sonen vollständig  sehen.  Wenn  man  an  der  Wand  ein  Gesicht 
abbildet,  so  unterscheidet  er  die  Abbildung  deutlich  von  der 
hallunicirten  Person. 

*~^/i2.    In  somnolentem  Zustande. 

^°/i2.  Vorm.  wie  früher.  Am  Nachmittag:  noch  schlaffer, 
liegt  mit  halbgeschlossenen  Augen  und  schnarchender  Athmung: 
reagirt   nicht   auf  Anreden.    Wenn  die  Hand  im  rechten  Ge- 

5.  E.  Hen  sehen.    Pathologie  des  Geliirns. 


sichtsfelde  vor  den  Augen  vorbeigeführt  wird,  so  blinzelt  er; 
dagegen  nicht,  wenn  man  dies  im  linken  macht  (Hemianopsie). 

'^/li?.  Allgemeinzustand  in  der  letzten  Zeit  verschlimmert. 
Er  ist  abgemagert.  Das  Aussehen  schlaff.  Liegt  in  Zwangslage 
mit  dem  Kopf  nach  rechts,  mit  dem  Körper  einen  Winkel  von 
etwa  45"  bildend. 

Augen  Untersuchung.  Linkes  Auge:  Die  Papille  hat 
nicht  mehr  das  klare  Aussehen  wie  früher,  ist  hyperämisch,  ge- 
trübt und  hat  nach  oben,  innen  und  unten  diffuse  Grenzen, 
nach  aussen  schärfere  Grenzen.  Die  Hauptvenen  sind  erweitert, 
aber  die  Arterien  kaum  verengt. 

Pat.  ist  für  Licht  von  der  rechten  Seite  in  beiden  Quadran- 
ten empfindlich,  nicht  aber  für  Licht  von  der  linken  Seite.  Er 
folgt  mit  den  Augen  Bewegungen  im  rechten  Gesichtsfelde. 

Die  Augen  sind  20 — 30°  nach  rechts  abgelenkt. 

Aufgerichtet,  fällt  er  ins  Bett  zurück. 

Die  Lähmung  des  linken  Arms  wie  früher;  im  rechten,  der 
noch  beweglich  ist,  scheint  eine  Kontraktur  in  den  Flexoren  des 
Unterarms  zu  bestehen.  Beine:  das  linke  völlig  gelähmt,  das 
rechte  noch  spontan  beweglich.  Gelinde  Kontraktur  beiderseits 
in  den  Adduktoren.  Am  Halse  besteht  Kontraktur  in  den  Mm. 
sternocleidomastoidei,  welche  hervorspringend  und  gespannt  sind. 
Auch  Kontraktur  in  der  Nackenmuskulatur.  Der  rechte  M.  cu- 
cullaris  bedeutend  mehr  gespannt  als  der  linke.  Sonst  ist  der 
Nacken  nicht  steif,  aber  nach  hinten  gebeugt. 

Die  Decubitus  wollen  nicht  heilen. 

^^/lä.  Sehr  schlaff,  liegt  mit  halbgeschlossenen  Augen.  Stra- 
bismus divergens.    Augen  nach  oben  gerichtet. 

Empfindlich  an  einem  Punkte,  4  cm  occipital  \-om  Gehör- 
gange und  in  der  Höhe  desselben.  Sonst  nicht  empfindlich  am 
Kopfe.    Keine  Narbe  findet  sich  hier. 

K— i5^j^2.    Wie  früher.     AVeder  Albuinen,  noch  Zucker  im 

Harn. 

Sehr  schlaff.  P.  112.  T.  36.9"  Vorm.  —  39.1"  Nachm. 
Cyanose,  Coma,  Tracheales  Rasseln.  An  der  Spitze  der  rechten 
Lunge  bronchiales  Athmen. 

'''/12  1894.    T.  40".    Tod  am        11  Vormittags. 

Bemerkung.  Pat.  hatte  im  Krankenhause  nie  Konvulsionen 
oder  Anfälle  von  Zuckungen. 

Sektion,  18.  Dec.  1894. 

Gehirn. 

Die  Dura  ohne  Befund. 

Die  Pia  lässt  sich  überall  leicht  iblösen.  In  derselben  fin- 
den sich  kleine  Blutungen  an  der  linken  HeniispJiäre  (Fig.  S.  124). 

a)  im  der  Broca'schen  Region,  sowie  über  dem  angren- 
zenden Anteil  der  vorderen  Centraiwindung  und  am  ventralsten 
Teil  der  zweiten  Frontalwindung: 

b)  über  dem  Prjecunens  und  an  der  Fissura  occipito-parie- 
talis  an  der  Margo  falcata. 

Die  Gefässe  ohne  Besonderes. 

An  der  Oberfläche  des  Gehirns  sind  die  Gyri  dicht  an 
einander  zusammengepresst  und  die  Sulci  verwischt.  Das  ganze 
Gehirn,  und  zwar  besonders  die  rechte  Hälfte,  ist  zusammenge- 
drückt, und  bei  der  Herausnahme  des  Gehirns  aus  der  Schädel- 
höhle schwillt  besonders  die  Parietalgegend  der  rechten.  Hemis- 
phäre Uber  die  Oberfläche  des  übrigen  Gehirns  empor. 

17 


124 


S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS. 


An  der  Oberfläche  finden  sich  ülirigens  keine  Verände- 
rungen. Nirgends  ist  die  Rinde  erweicht.  Bei  der  Palpation  ist 
die  Gegend  des  unteren  Parietallappens  etwas  schwappend 
anzufühlen. 

Die  linke  Hemisphäre 
an  der  Oberfläche  und  im  Inneren  ohne  pathologischen  Befund. 

Die  rechte  Hemisphäre 
wurde   wie  die  linke  in  i  cm.  dicke  Scheiben  zerteilt.  Dabei 
fand  sich  im  Inneren  eine  sehr  ausgebreitete  Gesc/nviilstmassc. 

Schilift  j  cm.  vor  der  Occipitalspitze.  Zu  oberst  im  Prsecuneus 
findet  sich  im  Mark  die  erste  Andeutung  einer  Geschwulst.  Das 
Mark  ist  hier  auf  dem  Durchschnitte  etwas  weicher  und  nicht  so 
glatt  und  glär^end  wie  sonst,  sondern  matt  und  etwas  porös  in 
einer  Ausdehnung  von  etwa  2  c.m.  Die  Veränderung  erstreckt 
sich  nicht  bis  an  die  Fissura  occipito-parietalis,  sondern  ist  auf 
den  Prrecuneus  beschränkt.  Das  Mark  ist  hier  mit  (reschwulst- 
elementen  infiltrirt. 

Der  Schnitt  sonst  normal  und  zeigt  Anzeichen  von  Kom- 
pression der  Sehstrahlung  und  der  Fissura  calcarina. 

Schnitt  4  c.m.  (Taf.  XVI,  Fig.  6).  Die  Geschwulstmasse 
bildet  eine  lose  Masse,  welche  das  Mark  vollständig  ersetzt  hat, 
und  zwar  in  der  Ausdehnung,  die  Fig.  6  angiebt  oder  bis  zur 
Fissura  occipito-parietalis.  Jedoch  ist  das  Mark  hier  recht  fest. 
Die  Grenze  der  Geschwulst  nach  unten  sehr  undeutlich.  Sie 
erreicht  nicht  die  Sehstrahliing.    Die  Rinde  ist  überall  verschont. 

Schnitt  5  c.?n.  (Taf.  XVI,  Fig.  5).  Die  Geschwulst  nimmt 
die  ganze  dorsale  Hälfte  des  Schnittes  ein  und  hat  das  ganze 
Mark  dorsal  von  dem  Hinterhorn  infiltrirt.  wie  auch  den  ober- 
sten Abschnitt  der  Sehstrahlung  bis  zu  der  Höhe  des  ersten 
Temporalsulcus.  Die  untere  Hälfte  der  Sehstrahlung  ist  normal, 
vielleicht  ein  wenig  von  oben  nach  unten  comprimirt  und  erscheint 
etwas  breit. 

Schnitt  6  c.m.  (Taf.  XVI,  Fig.  4.)  Die  Neubildung  hat  noch 
grössere  Ausdehnung  und  nimmt  das  ganze  Mark  dorsal  vom 


Unterhorn  ein.  Sie  infiltrirt  das  Mark  unter  Cp,  P^,  Lobus 
Ijaracentralis.  Gyrus  cinguH  und  selbst  den  dorsalen  Abschnitt 
der  occipitalen  Strahlung  bis  zu  der  Höhe  des  ersten  Temjjoralsul- 
cus  und  dem  dorso-lateralen  Rand  des  Balkens.  Die  ventralen 
25  m.m.  der  Sehstrahlung  sind  vollständig  normal,  erscheinen  aber 
breit  (von  oben  nach  unten  ein  wenig  zusammengedrückt). 

Schnitt  7  c.m.  (durch  den  hinteren  Teil  des  Pulvinars,  Taf. 
XVI,  Fig.  3).  Die  Geschwulstmasse  infiltrirt  das  Mark  unter  den 
G*.  GP,  P^,  Gyrus  cinguli  und  dringt  nach  unten  bis  zum  late- 
ralen Rand  das  Nucleus  caudatus  mit  diffuser  Grenze  vor.  In 
wie  weit  dieses  Cranglion  infiltrirt  ist,  ist  nicht  möglich  makro- 
skopisch festzustellen,  aber  das  Ganglion  ist  nach  innen  verdrängt. 
Die  Rinde  oder  Oberfläche  des  Gehirns  ist  nirgends  zerstört. 

Die  ganze  Sehstrahlung  ist  unberührt. 

Schnitt  S  c.m.  (durch  den  rothen  Kern,  Taf.  XVI,  Fig.  2). 
Auch  hier  hat  die  Geschwulstmasse  ungefähr  dieselbe  Ausdeh- 
nung, und  nimmt  das  Mark  des  G'',  G^  und  des  Gyrus  cinguli 
ein.  Die  untere  Grenze  ist  sehr  diffus  und  liegt  in  der  Höhe 
des  durch  die  Geschwulst  infiltrirten  Nucleus  caudatus.  Die 
Corona  radiata  ist  also  vollständig  dcstruirt  wie  die  Capsula 
interna;  und  die  Gitterschicht  scheint  die  Barriere  der  hervor- 
dringenden Geschwulstmasse  zu  sein. 

Der  Thalamus  ist  sonst  nicht  berührt. 

Sch/iitt  p  c.m.  (durch  den  vorderen  Thalamu.skern,  Taf. 
XVI,  Fig.  i).  Die  Geschwulstmasse  vermindert  sich,  wie  die  Fi- 
gur zeigt,  aber  die  Grenzen  sind  überall  so  diffus,  dass  man 
nicht  entscheiden  kann,  wo  Geschwulstmasse,  wo  Gehirnsubstanz 
vorhanden  ist.  Nach  unten  dringt  die  Geschwulst  bis  zur  oberen 
Grenze  des  Putamens  und  dann  lateral  von  diesem  Ganglion  in 
die  Capsula  externa  bis  zur  unteren  Grenze  des  Linsenkörpers. 
Das  Mark  des  C"  und  I  ist  also  infiltrirt  und  die  Corona  radiata 
zerstört.    Die  Centralganglien  sonst  unversehrt. 

Schnitt  10  c.m.    Die  Schnittfläche  ist  normal. 

Die  Ge.schwulstmasse  hat  also  das  Mark  der  vorderen 
und  hinteren  Centraiwindungen,  der  oberen  und  unteren  Pa- 
rietalwindungen,  des  Paracentrallappens,  der  Balkenwindung, 
des  Prsecuneus,  zuin  Teil  der  Angularwindung  diftus  infiltrirt, 
und  erstreckt  sich  von  der  Fissura  occipito-parietalis  interna 
bis  zum  Frontalbirn;  sie  hat  auch  die  Verbindung  der  Rinde 
dieser  Windungen  mit  den  Centralganglien  aufgehoben.  Da- 
gegen sind  die  Centralganglien  und  die  Sehbabn,  den  Schweif- 
kern ausgenommen,  unversehrt. 

Durch  den  Druck  ist  die  ganze  Hemisphäre  zusammen- 
gedrückt, und  besonders  scheint  dies  hinsichtlich  des  Occipi- 
tallappens  der  Fall  sein. 

Die  Geschwulst  ist  von  loser  Konsistenz,  selbst  zerfallend 
und  hat  überall  dififuse  Grenzen. 

Kleinhirn  imd  Medulla  oblongata. 

Diese  Teile  zeigten  weder  an  der  Oberfläche,  noch  auf 
den  Durchschnitten  etwas  Besonderes. 

Übrigens:  Degeneratio  parenchymatosa  et  adiposa  myo- 
cardii.  Atheromatosis  incipiens  arteriar.  coronar.  et  aortae. 
Atelectasis  pulmonis  dextri  lobi  superioris.  Pneumonia  lobu- 
laris  partis  anter.  pulmon.  sin.  Atrophia  centr.  hepatis.  De- 
generatio levis  parenchym.  renum. 


ZWEI  FÄLLE  VON  HEMIANOPSIE  DURCH  GESCHWÜLSTE  IM  UNTEREN  PARIETALLAPPEN.  125 


Mikroskopische  Unterzuchung:  Die  Geschwulst  be- 
steht aus  dicht  an  einander  hegenden  kleinen  Rundzellen  mit 
verhältnissmässig  grossen  Zellkernen  und  spärlichem  Protoplasma. 
Längs  der  zarten  Gefässe  liegen  die  Zellen  in  dichten  Reihen. 
Das  interstitielle  Gewebe  ist  spärlich,  glia-ähnlich.  Die  Grenzen 
zwischen  der  Geschwulstmasse  und  dem  gesunden  Hirngewebe 
sind  selbst  unter  dem  Mikroskope  diffus,  indem  die  Zellen  dieses 
infiltriren.  Es  liegt  also  ein  Gliotna  vor.  Fleckenweise  war  das 
Gewebe  degenerirt.    Die  Gefässe  sind  zahlreich. 

Epikrise. 

Kurzer  Krankenbericht.  Ausgeprägte  nervöse  Be- 
lastung. Tremor  beim  Vater,  bei  5  Geschwiestern  und  ande- 
ren Anverwandten.  Die  Mutter  starb  an  Schlagfluss.  Der 
49-jährige  Arbeiter  hat  Alkohol  gemissbraucht.  Sonst  gesund. 
In  den  letzten  Jahren  vor  der  Krankheit  veränderte  Stimmung 
mit  herabgesetzter  Arbeitskraft.  Hat  immer,  besonders  nach 
Alkoholgenuss,  besonders  an  den  Händen  gezittert.  Fiel  vor 
9  Jahren  ohne  sich  zu  schaden  von  einem  Baugerüste,  und 
war  einige  Tage  »sich  nicht  ähnlich». 

Erkrankte  plötzlich  ^^U^  1894  nach  einer  körperlichen 
Anstrengung  mit  Sclrwindel  ohne  Verlust  des  Bewusstseins. 
Den  -^^/lo  Schwäche  in  dem  linken  Arm  und  den  ^'''/lo  auch 
im  linken  Beine  und  tonische  Kontraktion  in  der  linken  Hand. 
Dann  allmähliche  Progression  der  Lähmung  ohne  Parästhesien 
oder  Schmerzen,  aber  mit  Taubwerden  der  linken  Seite,  '^^/lo 
war  der  Mund  schief;  Parese  des  linken  Arms  und  Beins. 
Bilaterale  Hemianopsie  nach  Imks,  zuerst  nicht  vollständige, 
dann  absolute  Verdunklung. 

St.  prses.  1894. 

Wenig  Kopfweh,  leichte  Parästhesien  im  linken  Knie, 
etwas  abwesend,  ohne  tiefere  Intelligenzstörung.  Kranialner- 
ven: I,  III,  IV,  VI.  normal;  II  linksseitige  Hemianopsie  mit 
koncentrischer  Einengerung;  keine  Stauungspapille;  V.  leichte 
Anästhesie;  VII.  leichte  Parese;  VIII.  Verminderte  Gehör- 
schärfe, besonders  links ;  IX.  Geschmack  gut,  Schlucken 
schwierig;  XII.  links  Parese.  Links  herabgesetzte  Sensibilität, 
auch  etwas  rechts.  Muskelsinn  normal.  Links:  Parese.  Pa- 
tellarreflexe verstärkt. 

Nachher:  Allmähhcher  Verfall  der  Intelligenz,  zuneh- 
mende Parese  links.  Zuletzt  rechtsseitige  Gesichtshallucina- 
tionen  und  beginnende  Stauungspapille.    Tod  "/12  1894. 

Diagnose.  Art  der  Läsion.  Der  Alkoholmissbrauch, 
der  plötzliche  Ausbruch  der  Krankheit  nach  einer  körperlichen 
Anstrengung  im  Zusammenhang  mit  dem  Alter  führte  den 
Gedanken  auf  eine  leichtere  Blutung  oder  Thrombose;  beson- 
ders auf  Blutung,  da  sich  keine  Gefäss-Sklerose  vorfand. 
Die  allmähliche  Entwickelung  der  Parese,  welche  sich  nicht 
dem  Schwindelanfalle  unmittelbar  anschloss  und  erst  nach  2 
Tagen  auftrat,  um  2  Tage  später  von  einer  Parese  des  Beins 
gefolgt  zu  werden,  konnte  dagegen  für  eine  Geschiviilst  spre- 
chen. Der  vor  9  Jahren  erlittene  Fall  aus  einer  Höhe  (ohne 
dass  Pat.  mit  dem  Kopf  anstiess),  konnte  vielleicht  als  entfern- 
tere Ursache  angeführt  werden,  besonders  da  der  Pat.  schon 


seit  einiger  Zeit  an  veränderter  Stimmung  und  verminderter 
Kraft  litt.  Dazu  konnte  jedoch  auch  der  Alkoholmissbrauch 
beigetragen  haben. 

Andererseits  sprach  besonders  das  Fehlen  eines  ausge- 
prägten Kopfwehs  und  der  Stauungspapille  gegen  Geschwulst. 
Je  mehr  die  Krankheit  sich  entwickelte,  desto  klarer  wurde 
es,  dass  eine  Geschwulst  vorlag,  wenn  auch  erst  sehr  spät 
eine  Andeutung  einer  Stauungspapille  erschien.  Es  war  be- 
sonders die  auffallende  Somnolenz,  das  allmähliche  Fortschrei- 
ten der  Krankheit,  das  allmähliche  Herabgehen  körperlicher 
und  geistiger  Kräfte,  welche  eine  solche  Diagnose  wahrschein- 
lich machten,  wenn  auch  der  plötzliche  Anfang  anscheinend 
nicht  damit  in  Übereinstimmung  stand.  Es  fehlten  auch  nicht 
Andeutungen  von  Reizsymptomen  —  der  tonische  Krampf  an- 
fangs und  dann  bisweilen  leichte  Parästhesien. 

Lokaldiagnose.  Nachdem  die  Diagnose  auf  Ge- 
schwulst gestellt  war,  machte  sich  die  Frage  gleich  geltend, 
ob  .sie  lokalisirbar  und  oj^erabel  wäre.  Es  war  dann  gleich 
klar,  dass  sie  in  der  rechten  Hemisphäre  lag.  Die  wichtig- 
sten Symptome  waren  linksseitige  Hemiplegie  und  Hemianop- 
sie.. Aus  dem  Krankenbericht  ging  es  hervor,  dass  die  He- 
miplegie sich  nicht  gleich  als  eine  vollständige  zeigte,  sondern 
dass  zuerst  der  linke  Arm,  2  Tage  später  das  Bein  gelähmt 
wurde,  und  hinsichtlich  der  Hemianopsie  konnte  nachgewiesen 
werden,  dass  sie  ursprünglich,  ja  selbst  später  bisweilen 
nur  eine  relative  war,  d.  h.  Pat.  war  im  dunklen  Felde  nicht 
vollständig  blind. 

Der  letzte  Umstand  wies  darauf  hin,  dass  die  Sehbahn 
nicht  zerstört  war,  sondern  nur  gedrückt,  und  das  Fehlen  der 
hemianopischen  Reaktion  sprach  eher  für  eine  Lokalisation 
occipital  als  frontal  vom  äusseren  Kniehöcker,  wenn  auch  bei 
der  Annahme,  dass  die  Hemianopsie  ein  indirektes  Druck- 
symptom war,  das  Verhalten  der  Pupillen  gegenüber  dem  von 
verschiedenen  Seiten  eingeworfenen  Licht  nicht  entscheidend 
sein  konnte.  Es  wurde  also  angenommen,  dass  die  Geschwulst 
irgendwo  auf  die  Sehstrahlung  drückte,  dass  sie  aber  nicht 
auf  sie  unmittelbar  übergriff,  da  die  Hemianopsie  dann  jeden- 
falls constant  sein  müsste.  Mit  der  von  mir  angenommenen 
Lage  der  occipitalen  Sehbahn  nämlich  in  der  Höhe  der  zwei- 
ten Temporalwindung  wurde  die  Geschwulst  dorsal  von  dieser 
Linie  verlegt. 

Die  hinsichtlich  sowohl  der  Ausdehnung  als  Intensität 
unvollständige  Hemiplegie  wies  auf  eine  Lokalisation  in  der 
Nähe  des  Armcentrums  hin.  Die  motorische  Bahn  dürfte  an- 
fangs nicht  zerstört,  sondern  nur  gedrückt  worden  sein. 

Nach  dieser  Auseinandersetzung  sollte  also  die  Ge- 
schwulst zwischen  dem  Armcentrum  in  den  Centraiwindungen 
und  dem  oberen  Teil  der  Sehstrahlung  liegen;  und  es  wurde 
deshalb  der  untere  Parietallappen  als  Ausgangspunkt  ange- 
nommen, und  dass  sich  die  Geschwulst  von  dieser  Gegend 
sowohl  nach  hinten  unten  wie  nach  vorn  und  oben  ausdehnte. 
Diese  Anjiahme  bestätigte  sich  auch  vollständig  bei  der  Sektion. 

Die  nächste  Frage  war;  ist  sie  operabel,  ist  sie  dem 
Messer  zugänglich,  liegt  sie  oberflächlich  oder  tief.?  Dabei 
wurde  in  Anbetracht  der  zuerst  partiellen  Lähmung,  welche 
sich  auf  den  Arm  beschränkte  und  erst  später  auch  das  Bein 


126 


S.  E.  HENSCHEN.    PA  fHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


umfasste,  und  der  gelinden  Art,  eine  Lokalisation  in  der  in- 
neren Kapsel  ausgeschlossen.  Also  entweder  im  Mark,  in 
der  Corona  radiata  oder  in  der  Rinde.  Folgende  Umstände 
sprachen  für  eine  tiefere  Lage :  das  Fehlen  jeder  Jackson'schen 
Epilepsie,  das  Fehlen  ausgeprägter  Parästhesien  und  ausge- 
prägter Empfindlichkeit  des  Schädels  über  der  supponirten 
Stelle.  Zwar  fand  sich  bisweilen  eine  gewisse  Art  von  toni- 
scher Kontraktur  der  Flexoren  an  der  linken  Hand.  Pat. 
konnte  bein  Tragen  von  Gegenständen  die  Finger  nicht 
spontan  lösen,  und  später  empfand  er,  wenn  auch  anscheinend 
selten,  Ameisenkriechen  und  Stechen  vom  Knie  bis  in  die 
Zehen,  aber  diese  Reizsymptome  waren  sehr  ephemär. 

Auch  der  geringe  Grad  vom  Kopfweh  sprach  gegen  eine 
kortikale  Lokalisation. 

Alle  diese  Umstände  niachlen  eine  Lokalisation  im  Mark 
sehr  iva/irscheinlich.  was  sich  auch  bestätigte.  Uberall  be- 
rührt die  Geschwulstmasse  nur  die  Rinde,  ohne  sie  irgendwo 
zu  durchbrechen,  oder  eigentlich  kortikal  zu  werden,  oder 
die  Rinde  zu  infiltriren.  In  dieser  Hinsicht  ist  der  Fall  für 
den  Chirurgen  lehrreich. 

Was  die  Art  der  Gesclnvulst  betrifft,  so  war  es  schwierig 
weiter  zu  kommen  als  zu  sagen:  sie  muss  schnell  wachsen 
und  also  wahrscheinlich  maligner  Natur  sein.  Also  wahr- 
scheinlich ein  zellenreiches  Sarkom  oder  Gliom,  und  diese 
sind  ja  gewöhnlich  infiltrirend. 

Die  Natur  und  die  Ausdehnung  der  Geschwulst  machten 
zwar  eine  Operation  nicht  unmöglich,  aber  andererseits  den 
Erfolg  sehr  ungewiss.  Und  die  Sektion  bestätigte  die  Be- 
rechtigung davon,  dass  sie  nicht  versucht  wurde.  Es  zeigte 
sich  nämlich,  und  die  Abbildungen  machen  es  klar,  dass  die 
Geschwul.stmasse  das  Mark  so  infiltrirt  hat,  dass  die  Grenzen 
nicht  mit  dem  Mikroskop  bestimmt  werden  können.  Bei  dem 
Durchschneiden  des  frischen  Gehirns  war  ich  erst  selbst 
unsicher,  was  ich  vor  mir  hatte,  eine  Erweichung  oder  eine 
lose  Geschwulstmasse.  Erst  das  Anschwellen  der  Gehirnober- 
fläche machte  dieses  wahrscheinlich  sowie  die  Rosafarbe  des 
Gewebes.  Das  Verfahren,  nicht  mit  Operation  einzugreifen, 
war  also  das  einzig  richtige.  Einem  Eingriff"  wäre  wahr- 
scheinlich profu.se  Blutung  und  Herabsetzung  der  Kräfte, 
wenn  nicht  der  Tod,  gefolgt  und,  wenn  sie  gelungen  wäre, 
würde  vollständige  Lähmung  gefolgt  sein  und  baldiges  Reci- 
diviren  mit  allen  damit  zusammenhängenden  Schwierigkeiten, 
ohne  Hoffnung  auf  Verlängerung  des  Lebens. 

Analyse  der  Symptome. 

Der  Fall  ähnelt  in  gewis.sen  Hinsichten  dem  Falle  n:o  3, 
Anders  Ers.son,  in  diesem  Teile  (S.  36),  und  deswegen  gelten 
hier  auch  einige  dort  in  der  Epikrise  gemachte  Bemerkungen 
über  die  allgemeine  Wirkung  der  Geschwülste. 

Psychische  Störungen. 

Schon  nach  dem  Pralle  vor  9  Jahren  hatte  sich  der  Pat. 
während  einer  Zeit  verändert.  Das  war  transitorisch.  Dann 
in  der  letzten  Zeit  vor  dem  Au.sbruche  der  Krankheit  war 
die  Veränderung  »einer  Stimmung  selbst  den  Verwandten  auf- 
fallend. Eine  tiefer  eingreifende  Intelligenzstörung  trat  nicht 
gleich  bei  dem  Ausbruche  der  Krankheit  ein.    Schon  etwa 


I  Monat  nach  dem  Beginn  der  Lähmung  verfiel  Pat.  in  einen 
gleichgültigen  Zustand,  der  allmählich,  wenn  auch  durch  »lucida 
Intervalla»  unterbrochen,  bis  zum  Tod  fortschritt.  Die  tiefe 
Somnolenz  ähnelte  dem  bei  Geschwülsten  gewöhnlichen  Zu- 
stande. 

Es  fragt  sich  nun,  wurde  dieser  Zustand  durch  den  Druck 
der  Geschwulstmasse  oder  durch  ausgedehnte  Zerstörung  in 
der  rechten  Hemisphäre  verursacht.  Dass  der  Druck  beim 
Tode  recht  bedeutend  war,  erleidet  keinen  Zweifel;  die  glatte 
Oberfläche  und  der  zusammengedrückte  Zustand  der  Windun- 
gen zeigen  es  deutlich,  aber  gewiss  war  die  Geschwulstmasse 
auch  dann  bedeutend  grösser.  Anfangs  machte  sich  der 
Druck  gewiss  weniger  geltend,  denn  die  Geschwulst  infiltrirte 
und  ersetzte  das  Mark;  auch  war  das  Kopfweh  sehr  gering, 
kaum  ausgeprägt,  und  eine  Stauungspapille  fehlte  bis  zu  den 
letzten  Tagen  und  war  selbst  dann  wenig  hervortretend. 
Dagegen  wies  die  schon  bei  der  Aufnahme  in's  Krankenhaus 
bestehende  Hemianopsie  auf  einen  starken  Ferndruck  hin. 

Hatte  denn  die  grosse  Zerstörung  des  Gehirns  den  Zu- 
.stand  verursacht?  Dabei  kann  ich  nicht  umhin  an  den  ersten 
Fall,  Malm,  dieses  Teiles  zu  erinnern,  wo  fast  das  ganze 
Mark  der  rechten  Hemisphäre  malacisch  oder  in  cystöse 
Räume  umgewandelt  war,  ohne  dass  dadurch  die  Intelligenz 
in  auffallendem  Grade  gelitten  hatte.  Eine  Destruktion  der 
rechten  Hemisphäre  scheint  nicht  eine  au.sgeprägte  Intelli- 
genzstörung hervorzurufen. 

Man  hat  auch  Grund  zu  fragen,  ob  nicht  durcli  den 
Zerfall  der  Gehirnsubstanz  oder  bei  der  Entwickelung  grosser 
Geschwulstmassen  toxische  Stoffe  gebildet  werden,  welche 
das  Gehirn  vergiften.  Eine  bestimmte  Antwort  auf  diese  Frage 
läs.st  sich  zwar  nicht  geben ;  aber  die  Herabsetzung  des  psy- 
chischen Lebens  scheint  in  diesem  Pralle  doch  genügend  als 
eine  I'olge  des  Drucks  zu  erklären  zu  sein. 

Die  verschiedenen  P'aktoren  des  psychischen  Lebens 
scheinen  alle  in  ungefähr  gleichem  Grade  gelitten  zu  haben. 
Die  Perceptionen  waren  träge,  das  Urteilsvermögen  wie  das 
Gedächtniss  vermindert  und  der  Wille  geschwächt;  die  Ge- 
rucherinnerungen waren  verblasst  u.  s.  w. 

Seelenblindheit  oder  Seelentaubheit  waren  nicht  vor- 
handen. Auch  kein  Reiz  der  Psyche,  was  um  so  auffallender 
ist,  da  die  Geschwulstmasse  bis  zur  Rinde  von  innen  hervor- 
drang. 

Sprache.  Motorische  Aphasie.  Pat.  soll  immer  undeut- 
lich gesprochen  haben.  Im  Krankenhause  trat  eine  bestimmte 
Verschlechterung  ein,  welche  oben  im  Status  preesens  als  ein 
gewisser  Grad  von  ataktischer  Aphasie  bezeichnet  wird.  Den 
^^/ii  wird  die  Sprache  als  stossweise  ausgesprochen  bezeichnet. 
Am  ^^jw  sprach  Pat.  lange  Zeit  mit  sich  selbst.  Am  ^'/n 
war  das  Sprechen  noch  schwieriger  und  unverständlicher,  ob- 
schon  Pat.  zu  verstehen  schien.  Am  '^Vii  sprach  er  viel  vor 
sich  hin  und  glaubte,  dass  er  mit  Verwandten  spräche.  Von 
dieser  Zeit  ab  hatte  er  auch  Gesichtshallucinationen. 

Es  war  also  wahrscheinlich  teils  eine  motorische  Parese, 
teils  ein  Reizzustand  des  motorischen  Sprachapparats  vor- 
handen. Es  ist  deshalb  von  Interesse,  dass  iiöer  dem  grösseren 
Teil  der  Broca' sehen  Region  sich  frische  Pialbluttmgeii  befin- 
den, wie  Figur  S.  124  zeigt. 


ZWEI  FÄLLE  VON  HEML\NOPSIE  DURCH  GESCHWÜLSTE  IM  UNTEREN  PARIETALLAPPEN 


127 


Andere  Formen  von  Aphasie  waren  nicht  vorhanden 
und  auch  keine  Pialblutungen  an  den  resp.  Centren. 

Kranial  nerven.  I.  Die  Geruchempfindung-  war  nicht 
gestört  und  die  Centren  waren  nicht  von  dem  Krankheitsherd 
getroffen. 

II.  Hemianopsie.  Die  gleich  am  ersten  Tage  im 
Krankenhause  beobachtete  linksseitige  Hemianopsie  war  eine 
absolute,  aber  an  den  folgenden  Tagen  war  ich  mehrmals 
unsicher,  ob  eine  Hemianopsie  bestand  oder  nicht.  Die  Proben 
fielen  verschieden  aus.  In  der  That  wechselte  der  Zustand, 
und  oft  war  die  Hemianopsie  nicht  absolut;  Pat.  war  im  dunklen 
Felde  nicht  absolut  blind.  Später  wurde  die  Hemianopsie 
absolut  und  konstant.  Dies  deutete,  wie  schon  gesagt,  nicht 
auf  eine  totale  Zerstörung  der  Sehbahn,  sondern  auf  einen  in 
der  Stärke  wechselnden  Ferndruck,  was  sich  auch  bei  der 
Sektion  bestätigte. 

Aber  nach  der  Sektion  hat  man  Grund  zu  fragen,  auf 
welchen  Punkt  der  Sehbahn  wirkte  der  Druck?  In  der  That 
ist  der  Abstand  der  Sehbahn  von  der  Geschwulstmasse  ein 
bedeutender,  nämlich  überall  i — 2  cm.  oder  mehr.  Das  Fehlen 
einer  hemiopischen  Pupillenreaktion  konnte  auf  die  Sehstrahlung 
hinweisen.  Die  Form  des  Tractus  (Taf  XVI  Fig.  i)  macht  es 
nicht  wahrscheinlich,  dass  er  gedrückt  war;  der  äussere  Knie- 
höcker (Fig.  2)  dagegen  hat  die  Form,  als  ob  er  etwas  gedrückt 
wäre,  und  ebenso  die  occipitale  Sehstrahlung  (Fig.  3 — 5), 
welche  breiter  und  von  oben  nach  untern  zusammengedrückt 
erscheint.  In  der  That  ist  es  nicht  sicher  anzugeben,  wo  die 
Sehbahn  dem  Druck  ausgesetzt  war.  Auch  der  ganze  Occi- 
pitallappen  war  nach  hinten  geschoben  und  machte  den  Ein- 
druck als  ob  er  gedrückt  wäre. 

Von  dem  Falle  24  im  ersten  Teil,  wo  auch  eine  Ge- 
schwulst, welche  auf  die  Sehstrahlung  etwas  übergriff  (Teil  I, 
Taf  XXXI,  Fig.  3),  aber  wo  nicht  eine  Hemianopsie,  sondern 
nur  eine  koncentrische  Einschränkung  nachgewiesen  wurde 
(Karte  A,  n:o  29),  unterscheidet  sich  dieser  P^all  durch  die 
bedeutend  grössere  Geschwulstmasse  und  den  vielleicht  in 
Folge  dessen  vermehrten  Druck.  —  Mit  dem  Anwachsen  der 
Geschwulst  verengte  sich  das  Gesichtsfeld  (Perimeterkarten 
I,  II). 

Für  den  Chirurgen  ist  es  von  Wichtigkeit,  dass  Hemia- 
nopsie durch  eine  so  entfernte  Geschwulst  verursacht  werden 
kann. 

Sehschärfe  und  StmiiDigspapillc.  Jene  war  bei  der  Auf- 
nahme normal  und  eine  Stauungspapille  bestand  gar  nicht. 
Erst  in  der  letzten  Zeit  konnte  eine  beginnende  Stasis  nach- 
gewiesen werden,  obschon  der  intiakranielle  Druck  gewiss 
dann  enorm  gestiegen  war.  Dies  ist  auffallend  und  spricht 
gegen  die  Druck-Theorie.  Auch  im  Pralle  3  dieses  Teiles, 
S.  26,  war  ungeführ  dasselbe  Verhältniss  vorhanden.  Sollte 
es  darauf  beruhen,  dass  die  Geschwulst  mitten  im  Mark 
eingebettet  war  und  nirgends  an  den  Duralraum  grenzte, 
wodurch  phlogogene  Stoffe  der  Papille  nicht  zugeführt  wurden? 

Halhicinaiio7ien.  Besondere  Aufmerksamkeit  zogen  die 
vom  21.  November  an  auftretenden  rechtsseitigen  Gesichts- 
hallucinationen  auf  sich.  Schon  im  Teil  I  habe  ich  sechs  Beo- 
bachtungen über  einseitige  Gesicht.shallucinationen  angeführt, 
und  diese  von  mir  gemachten  Mitteilungen  waren  die  ersten 


von  Sektion  begleiteten  Beobachtungen  in  der  Litteratur. 
Schon  1888  wurden  von  Seguiji  und  dann  von  Mackay  einige 
solche,  aber  nur  klinische  Beobachtungen  gemacht,  und  seit- 
dem haben  F.  Peter so)i  (New-York),  Schzveiniiz,  Bidon,  SoucJwn. 
Lamy,  Putzel  auch  einige  interessante  Mitteilungen  gemacht. 

Ausserdem  habe  ich  in  diesen  Tagen  eine  neue  Beo- 
bachtung gemacht,  und  zwar  in  einem  Falle  von  Geschwulst 
in  der  linken  Hemisphäre  des  Kleinhirns,  und  ich  konnte 
voraussehen,  dass  die  Gesichtshallucination  nach  oben  rechts 
erscheinen  würden ;  und  der  Pat.  bestätigte,  dass  die  Hallucina- 
tionen  immer  in  dieser  Richtung  erschienen  waren. 

Von  den  8  von  mir  beobachteten  Fällen  kamen  6  zur 
Sektion  wie  auch  der  Sch%veiHitz''?,c\\&  Fall.  In  allen  meinen 
Fällen  fanden  sich  Veränderungen  in  den  Occipitallappen  oder 
ihrer  unmittelbaren  Nähe,  während  in  dem  5fZ'7C'if/;//te'schen 
Falle  solche  nicht  nachgewiesen  werden  konnten,  wohl  aber 
ein  luetisches  Exsudat  an  der  Basis  des  Gehirns  und  an  dem 
Tractus  in  Verbindung  mit  Meningitis. 

Einseitige  HaUuci)iatione7i  im  blinden  Felde  bei  Hemian- 
opsie sind  also,  ivenn  auch  nicht  ein  7tntrfigliches,  jedoch  ein 
sehr  zvicJitiges  Zeichen  einer  Läsion  des  Occipitallappens  der 
entgegengesetzten  Seite  oder  seiner  Umgebung.  Im  vorliegenden 
Falle  dagegen  erregte  es  mein  Erstaunen,  dass  die  Hemian- 
opsie eine  linksseitige  war,  aber  die  Hallucinationen  nach 
rechts  projicirt  waren.  Es  war  nun  von  Interesse  zu  erfahren, 
dass  bei  der  Sektion  piale  Blutungen  im  linken  Occipitallaopen 
entdeckt  wurden,  nämlich  an  der  Margo  falcata  an  der  Fissura 
occipito-parietalis.  Es  unterliegt  wohl  keinem  Zweifel,  dass 
diese  die  Hallucinationen  verursacht  hatten. 

Im  Teil  I,  S.  151  und  ff.,  habe  ich  die  Ansicht  ausge- 
sprochen, dass  die  Gesichtshallncinationen  nicht  im  Sehcentrum 
selbst  (in  der  engeren  Bedeutung  genommen)  gebildet  werden, 
sondern  ausserhalb  des  Gebietes  der  Fissura  calcarina,  und 
gewöhnlich  in  Folge  von  Processen,  welche  die  laterale  Fläche 
des  Occipitallappens  oder  seiner  nächsten  Umgebung  reizen. 
Es  ist  nun  von  Interesse  dass  im  vorliegenden  Falle  eine  sehr 
begrenzte  Läsion,  vorliegt  welche  die  Fissura  calcarina  gar 
nicht  berührte. 

Hinsichtlich  der  Beschaffenheit  dieser  Hallucitiationen 
suchte  ich  zu  konstatiren,  ob  sie  von  den  Augenbewegungen 
abhängig  waren,  und  konnte  konstatiren,  dass  Pat.  die  Figuren 
nur  dann  sehen  konnte  wenn  die  Augen  nach  rechts  ge- 
richtet waren.  Es  muss  in  Zusammenhang  hiermit  hervorge- 
hoben werden,  dass  die  Augen  während  der  letzten  Zeit  an- 
haltend nach  rechts  gerichtet  waren.  In  Anbetracht  der 
von  Münk,  Obregia,  Schäfer  u.  A.  gemachten  Versuche, 
dürfte  man  also  berechtigt  sein,  anzunehmen,  dass  eine 
Reizung  der  Occipitalrinde  Augenbewegungen  hervorruft,  sowie 
auch  auf  Grund  meiner  Beobachtungen  gleichzeitig  Hallucina- 
tionen, welche  in  eine  bestimmte  Richtung  des  Raumes  proji- 
cirt werden.  Aber  in  welchem  Verhältniss  stehen  die  Augen- 
bewegungen und  die  Hallucinationen?  Diese  letzteren  werden 
bisweilen  nach  oben  projicirt,  wie  meine  Fälle  30  und  28 
(Teil  I)  zeigen,  gewöhnlich  aber  mehr  nach  der  Seite  hin.  Im 
vorliegenden  Falle  waren  sie,  wie  sich  zeigt,  nach  oben  rechts 
projicirt.  Von  Anderen  sind  nur  spärliche  Beobachtungen 
über  den  Zusammenhang  der  Augenbewegungen  mit  den  Seh- 


128  S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


hallucinationen  gemacht  worden.  Pcterson  in  New-York  hat 
in  einen  Fall  von  Paranoia  (New-York  medic.  Journal:  30. 
x\iig.  1890)  folgende  ]3enierkung  gemacht :  »If  pat.  directs  his 
eyes  towards  his  right  side,  where  the  vi.sions  appear,  the 
move  still  farther  towards  the  right.»  In  meinem  Falle  ist 
weiter  beobachtet  worden,  dass,  wenn  eine  Person  dem  Pat. 
die  Aussicht  benahm,  das  hallucinirte  Bild  verschwand,  und 
Pat.  setzte  sich  im  Bett  auf,  um  an  der  Seite  der  vor  ihm 
stehenden  Persone  vorbei  zu  sehen. 

Diese  spärlichen  Beobachtungen  zu  deuten,  ist  nicht 
leicht.  Im  /V^rj-«?« 'sehen  Falle  scheint  es,  als  ob  die  Hallu- 
cination  im  Auge  läge,  da  sie  sich  mit  dem  Auge  bewegte, 
in  meinem  Falle  entstanden  die  Hallucinationen  gewiss  in  der 
Occipitalrinde;  das  zeigt  die  dort  vorhandene  Pialblutung.  Die 
Beobachtung,  dass  Pat.  die  Bilder  nur  bei  einer  gewissen 
Richtung  der  Augen  sehen  konnte,  deutet  darauf,  dass  eine 
Reizung  an  der  linken  Margo  falcata  gleichzeitig  Hallucina- 
tionen erweckte,  welche  eine  ganz  bestimmte  Lokalisation 
im  Räume  nach  rechts  einnahmen,  und  die  Augen  in  eine 
bestimmte  Richtung  nach  diesem  Punkte  ablenkten;  die  Augen 
konnten  jedoch,  wenn  auch  schwierig,  von  dieser  Richtung 
abgelenkt  werden,  aber  erst  beim  Fi.xiren  dieses  Punktes 
erschienen  die  Hallucinationen  wieder. 

Die  Beobachtung,  dass  die  Hallucination  von  einer  vor 
dem  Pat.  stehenden  Person  zum  Verschwinden  gebracht  wurden, 
scheint  in  Widerspruch  mit  der  Natur  einer  spontan  in  der 
Rinde  entstehenden  und  nach  aussen  projicirten  Hallucination 
zu  stehen  und  scheint  besser  mit  einem  ausserhalb  des  Pat.  be- 
findlichen reellen  Gegenstand  übereinzustimmen.  Die  Beobach- 
tung lä.sst  sich  aber  erklären,  wenn  man  annimmt,  dass  das  Bild 
in  eine  bestimmte  Entfernung  vom  Pat.  verlegt  wurde.  Dieses 
aber  setzt  eine  bestimmte  Konvergenz  der  Seha.xen  und  eine 
damit  in  Übereinstimmung  stehende  Accommodation  voraus. 

Es  ist  auch  bemerkenswerth,  dass  Pat.  eine  auf  der 
Wand  gezeichnete  Figur,  z.  B.  ein  Gesicht,  von  dem  hallu- 
nicirtcn  Bild  unterscheiden  konnte.  Dies  lä.s.st  sich  auch  durch 
die  gegebene  Auslegung  der  Erscheinung,  nämlich  dass  die 
Figur  eine  andere  Konvergenz  der  Augenaxen  forderte,  erklä- 
ren, aber  auch  in  anderer,  nahe  zur  Hand  liegender  Weise, 
nämlich  dass  die  mit  Kreide  gezeichnete  Figur  andere  P'orm 
und  Farbe  als  die  Hallucination  hatte,  u.  s.  w. 

Der  Fall  bietet  also  verschiedene,  vielleicht  neue,  Ge- 
sichtspunkte i.iber  die  Natur  der  Hallucinationen,  aber  es  wäre 
verfrüht  aus  den  einzelnen  bisher  zugänglichen  Beobachtungen 
in  dieser  Hinsicht  Schlüsse  zu  ziehen.  Sie  fordern  immerhin 
zur  erneuerten  Beobachtung  auf,  und  die  oben  gemachten 
Auseinandersetzungen  werden  nur  als  hypothetische  Vermuth- 
ungen von  mir  betrachtet.  Endlich  bemerke  ich,  dass  die 
von  dem  Pat.  gesehenen  Bilder  vollständig,  nicht  halb  waren. 
So  war  es  auch  immer  in  den  früheren  von  mir  mitgeteilten 
Fällen.  Es  handelte  sich  also  nicht  um  »hemiopische»  Bilder. 
Wären  sie  im  Sehcentrum  gebildet  worden,  würden  sie,  der 
Theorie  nach,  halbe  Bilder  gewesen  sein. 

III.  IV.  VI.  Pupillen.  Eine  hemiopische  Pupillenreak- 
tion war  nicht  zu  erwarten,  da  die  Geschwulstmasse  so  ent- 
fernt von  der  Sehbahn  lag  (Vgl.  S.  124).  —  Die  Reaktion 
der  Pupillen  bot  sonst  nichts  Besonderes  dar. 


III.  IV.  VI.  Angenbeivegnngen.  Schon  oben  sind  diese 
Störungen  berührt.  Diese  Störungen  traten  nicht  von  Anfang 
der  Krankheit  an  auf,  sondern  erst  am  10.  November.  Pat 
konnte  die  Augen  nach  links  nicht  über  die  Mittellinie  hin- 
aus bewegen.  Schon  Nachmittags  desselben  Tages  wurden  die 
Bewegungen  freier,  und  am  15.  Nov.  waren  die  Bewegungen 
normal.  Vom  21.  Nov.  an  trat  die  konjugirte  Augenbewegung 
nach  rechts  auf,  um  jedoch  nach  einigen  Tagen,  als  Pat. 
somnolenter  wurde,  nachzulassen.  Am  29.  Nov.  wurde  sie  von 
Neuem  bemerkt,  wie  am  2i:ten  in  Verein  mit  rechtsseitigen 
Hallucinationen.  So  war  es  auch  später  am  3.  December. 
Schon  früher  war  auch  Zwangslage  eingetreten,  der  Kopf 
war  nach  rechts  gerichtet. 

Für  die  Erklärung  der  Augenbewegungen  habe  ich  oben 
die  Pialblutung  an  dem  linken  Occipitallappen  in  Anspruch 
genommen.  Aber  es  fragt  sich  auch,  ob  nicht  die  Ge- 
schwulst die  Augenablenkung  verursachen  konnte.  Und  diese 
Frage  ist  um  so  mehr  berechtigt,  da  die  Geschwulst  ihre 
Lokalisation  im  rechten  Parietallappen  hat.  Wernicke  sucht, 
wie  bekannt,  nach  dem  unteren  Parietallappen  ein  Centrum 
für  die  konjugirte  Augenablenkung  zu  verlegen,  und  im  Teil  I 
habe  ich  nachgewiesen,  dass  der  Befund  im  Falle  16  mit  einer 
solchen  Ansicht  in  Übereinstimmung  stehe,  ohne  jedoch  zu 
behaupten,  dass  der  P'all  die  Richtigkeit  der  Wernicke' 
Ansicht  positiv  bciviese. 

Es  ist  zur  Zeit  noch  unentschieden,  ob  wirklich  ein 
Centrum  für  konjugirte  Augenablenkung  im  P'  liegt.  That- 
sache  ist,  dass  einer  plötzlichen  Reizung  durch  Blutung,  und 
besonders  Geschwulst,  gewöhnlich  konjugirte  Ablenkung  folgt, 
wo  auch  der  Herd  liegen  mag.  In  diesem  Falle  kann  man 
nur  sagen  :  Anfangs  war  die  Augenablenkung  nicht  da,  obschon 
die  Geschwulst  in  P"'  oder  in  der  Nähe  dieser  Windung  an- 
gefangen hatte;  später  bei  gesteigertem  Druck  oder  Reiz  der 
Parietalrinde  trat  sie  ein,  ohne  konstant  zu  werden.  Ihre 
Inkonstanz  spricht  hier  gegen  ein  Abhängen  der  Augen- 
ablenkung von  der  Reizung  der  P"  Rinde.  Übrigens  müsste 
hier,  wenn  P'^  das  Centrum  wäre,  eine  Parese  eingetreten  sein, 
denn  das  Mark  war  zerstört;  also  Ablenkung  nach  rechts. 
Dagegen  spricht  das  y\uftreten  der  Augenablenkung  im  Verein 
und  gleichzeitig"  mit  den  Gesichtshallucinationen  dafür,  dass 
sie  durch  die  Blutung  im  linken  Occipitallappen  hervorgerufen 
wurde. 

V.  Die  Anästhesie  war  wenig  ausgesprochen  und  be- 
traf alle  Qualitäten. 

VII.  Die  Parese  betraf  wie  gewöhnlich  auch  die  oberen 
Äste,  aber  nicht  deutlich  den  Gaumenbogen.  Ein  Blick  auf 
die  Taf.  XVI,  Fig.  i,  2,  3,  erklärt  die  Störungen  in  dem 
Quintus  und  Facialis. 

VIII.  Die  bilaterale  Herabsetzung  des  Gehörs  steht  in 
vollständiger  Übereinstimmung  mit  der  bilateralen  Innervation 
der  Gehörcentren  und  dass  die  Leitung  zum  rechten  Gehör- 
centrum durch  den  Druck  der  Geschwulstmasse  beeinträchtigt 
war  (Taf  XVI,  Fig.  i — 3).  —  Auch  Hallucinationen  nach 
links  sind  erwähnt  und  lassen  sich  leicht  aus  der  Reizung  des 
rechten  Gehörcentrums  erklären. 

IX.  Eine  Störung  des  Geschmacks  wurde  nicht  sicher 
festgestellt.  —  Die  Schwierigkeit  bei  dem  Schlucken  kann  viel- 


ZWEI  FÄLLE  VON  HEMIANOPSIE  DURCH  GESCHWÜLSTE  IM  UNTEREN  PARIETALLAPPEN 


129 


leicht  von  der  Herabsetzung  der  Pharyngealreflexe  abhängen. 
Die  Herabsetzung  ist  jedenfalls  auffallend  und  weniger  ge- 
wöhnlich, wie  auch  in  Anbetracht  der  unilateralen  Störung 
schwierig  zu  erklaren. 

XI.  Auch  eine  leichtere  Störung  der  Innervation  der 
Larynxmuskeln  scheint  vorhanden  gewesen. 

Bemerkenswerth  ist  die  Parese  des  linken  M.  cucullaris. 

XII.  Die  Parese  der  linken  Zungenhälfte  bedarf  keiner 
Erklärung. 

Sensibilität. 

Eine  Herabsetzung  der  Sensibilität  der  linken  Seite  war 
vorhanden. 

Die  Störung  hat  alle  Sinnesqualitäten  betroffen,  wenn 
man  ausnimmt,  dass  der  Muskelsinn  nicht  genauer  geprüft 
werden  konnte.  Die  beobachtete  Störung  dieses  Sinnes  auch 
an  der  rechten  Seite  kann  wohl  von  der  allgemeinen  Herab- 
setzung der  Psyche  abhängen. 

Motilität. 

Die  Parese  der  linken  Seite  unterscheidet  sich  in  diesem 
Falle  sowohl  hinsichtlich  ihrer  Entstehung  wie  Entwickelung 
von  der  in  anderen  Fällen  von  Hemiplegie. 

Nach  einer  körperlichen  Anstrengung  hatte  Pat.  einen 
Schwindelanfall,  wovon  er  sich  jedoch  vollständig  erholte. 
Zwei  1  age  später  bemerkte  er  eine  Schwäche  im  linken  Ann. 
und,  wenn  er  etwas  fassen  sollte,  wurde  er  wie  gelähmt  und 
konnte  den  Arm  nicht  beherrschen.  Noch  zwei  Tage  ver- 
flossen, ohne  dass  Pat.  etwas  Krankhaftes  bemerkte ;  dann 
trat  eine  Schwäche  sowohl  im  Arm  wie  im  Bein  ein.  Gleich- 
zeitig bemerkte  er  eine  Art  von  tonischem  Krampf  Die  Hand 
löste  sich  nicht  vom  selbst,  sondern  schloss  sich  kramphaft 
um  die  Dinge.  Nach  diesem  Tag  schritt  die  Schwäche  fort, 
und  eine  Paralyse  entwickelte  sich  schnell  und  war  schon 
bei  der  Aufnahme  in's  Krankenhaus  vollständig.  Im  linken 
Beine  entstaaden,  wie  schon  erwähnt,  die  Symptome  erst 
einige  Tage  nach  denen  in  dem  Arme;  die  Schwäche  war 
geringer  als  im  Arm,  und  die  Parese  entwickelte  sich  nicht 
so  schnell  wie  im  Arme.  Er  konnte  selbst  am  lo.  November 
das  Bein  etwas  bewegen,  es  im  Knie  beugen,  und  selbst  die 
Ferse  vom  Bette  heben  u.  s.  w. 

In  den  Bauchmuskeln  war  die  Schwäche  links  noch  ge- 
ringer. 

Diese  allmähliche  Entwickelung  der  Paralyse  sowie  der 
Umstand,  dass  die  Schwäche  im  Beine  sich  nicht  schnell  und 


intensiv  entwickelte,  steht  in  vollem  Einklang  sowohl  mit 
der  Natur  der  Geschwulstbildung  als  mit  dem  gewöhnlichen 
Gesetz  für  die  kortikalen  Läsionen  der  motorischen  Centren 
und  Bahnen.  Die  Art  der  Störung  deutet  auch  darauf,  dass  die 
Geschwulst  erst  in  der  Nähe  des  Armcentrums  sich  entwic- 
kelt und  später  um  sich  gegriffen  hat.  Der  Sektionsbefund 
steht  damit  auch  in  Ubereinstimmung  (vgl.  Taf.  XVI,  Fig. 
I — 4).  Das  Centrum  der  Geschwulst  liegt  in  der  mittleren 
Höhe  der  hinteren  Centraiwindung  aber  etwas  mehr  nach 
hinten  und  hat  erst  später  den  dorsalsten  Teil  der  Centrai- 
windungen oder  das  Beincentrum  ergriffen. 

Im  Folge  der  grossen  Ausdehnung  der  Geschwulstmasse 
giebt  der  Fall  keine  für  die  Lokalisationslehre  neuen  Gesichts- 
punkte. 

Reizsymptome. 

Es  ist  auffallend,  dass  die  Irritationsphänomene  im  vor- 
liegenden Falle  gering  waren,  und  zwar  sowohl  hinsichtlich 
der  Sensibilität  wie  der  Motilität. 

S  e  n  s  i  b  i  1  i  t  ä  t  s  s  y  m  p  t  o  m  e.  Anfangs  fehlte  jedes  Reiz- 
symptom vollständig.  Nach  etwa  3 — 4  Wochen  traten  einige 
Parästhesien  im  Form  von  Stechen  und  Ameisenkriechen  im 
linken  Knie  und  nach  unten  bis  in  die  Zehen  auf  Später 
scheinen  auch  sie  verschwunden  zu  sein,  und  nur  sensorielle 
Reizsymptome  im  Form  von  Hallucinationen  traten  auf 

Motilitätssymptome.  Dagegen  traten  schon  gleich 
vom  Anfang  Zeichen  von  motorischer  Reizung  der  Hand  auf, 
wie  schon  erwähnt.  Auch  diese  waren  sehr  gering  und  vorü- 
bergehend, und  jedes  Anzeichen  eines  allgemeinen  oder  lokalen 
klonischen  Krampfes  fehlte,  was  besonders  in  diagnostischer 
Hinsicht  lehrreich  ist. 

Dagegen  nahm  Pat.  zuletzt  nit  dem  Kopf  eine  Zwangs- 
lage nach  rechts  (s.  oben)  ein.  Diese  trat  in  Zusammenhang 
mit  den  rechtseitigen  Hallucinationen  und  der  konjugirten 
Augenablenkung  auf  Die  Kopflage  muss  also  wohl  auch 
in  Zusammenhang  mit  den  Hallucinationen  stehen,  aber  zu 
beweisen,  dass  sie  von  der  Reizung  eines  bestimmten  Punktes 
in  der  Rinde  stammte,  ist  meiner  Meinung  nach  nicht  mög- 
lich, insbesondere  da  eine  solche  Zwangslage  fast  jeden 
epileptischen  Anfall  einleitet. 

Die  übrigen  S3'mptome  boten  nichts  Besonderes  dar. 


130 


S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Fall  11.  Eklund. 

Arbeiter.     72  Jahre  alt. 
Taf.  XV.    Fig.  1—4;    Taf.  XVII.    Fig.   i,  2, 


Klinische  Diagnose;  Hemiplegia  sin.  (Tumop?) 

Zusammenfassung:  Der  72-jäht-.  Alkoholiker  wurde 
nach  anstrengender  Arbeit  von  Parese  der  Finger  der  Hnken 
Hand  sowie  von  Zuckungen  befallen  und  wurde  zuerst  partiel 
dann  total  hetnianopisch  nach  links  und  paretisch  in  der  lin- 
ken Seite.  Hatte  später  Gesichtshallucinationen  nach  rechts. 
Eine  grosse  Geschwulst  infiltrirte  das  Mark  und  die  Rinde  des 
rechten  Parietallappens  sowie  zum  Teil  die  Sehstrahlung.  Be- 
ginnende Meningitis  über  der  linken  Hemisphäre.  —  Die  Hemi- 
anopsie war  zuerst  ein  Fernsymptom.  Die  rechtsseitigen  Ge- 
sichtshallucinationen werden  durch  die  Reizung  des  linken 
Occipitallappens  erklärt.  Die  Entwickelung  der  Krankheit  ist 
in  diagnostischer  Hinsicht  lehrreich. 

Anamnese.  Grossvater  und  Oros.smutter  des  Pat.  star- 
ben in  hohem  Alter.  Der  Vater  war  ein  entschiedener  Alkoho- 
liker, litt  vom  33.  Jahre  an  Athemnoth  und  Herzklopfen  und 
starb  plötzlich  an  Schlagfluss  im  Alter  von  50  Jahren.  Die 
Mutter  starb  in  demselben  Alter  an  einer  unbekannten  Krank- 
heit. Von  8  Geschwistern  sind  4  gestorben,  eines  an  Lungen- 
schwindsucht. Von  den  übrigen  i.st  nichts  bekannt.  Pat.  hat 
4  Kinder,  von  denen  2  gesund  sind,  eines  leidet  an  Kopfschmerz, 
eines  ist  schwächlich. 

Die  hygieinischen  und  übrigen  Leheiis7'crhältnissc  des  Pat. 
waren  sehr  wechselnd.  Oft  hatte  er  es  recht  gut,  oft  hat  er 
Noth  gelitten.  Gegen  seinen  Magenkatarrh  gab  die  Frau  ihm 
gewöhnlich  einen  Schnaps  in  Kaffe  und  so  entwickelte  er  sich 
zum  AlkoJioliker.  Auch  Tabakmissbrauch  hat  er  sich  hingegeben. 
Liictisclic  Infektion  leugnet  er. 

Er  beschäftigte  sich  früher  mit  Arbeit  auf  dem  Fände  und 
in  den  letzten  Jahren  mit  Holzhacken  und  soll  sich  bei  anstren- 
gender Arbeit  nie  geschont  haben. 

Die  psychische  und  körperliche  Entwickelung  des  Pat.  war 
normal,  und  sowohl  Intelligenz,  Gedächtniss  wie  Stimmung  wa- 
ren immer  gut  bis  zum  Jahre  1890,  als  die  Frau  starb.  Seit 
dieser  Zeit  war  sein  Gemüth  nach  Aussage  der  Kinder  gedrückt, 
und  er  hatte  seither  keine  Ruhe,  besuchte  seine  Kinder  unmoti- 
virt  und  verliess  sie  oft  ohne  Veranlassung.  Er  hat  seit  jener 
Zeit  keinen  Alkohol  mehr  genossen.  Sonst  wurde  nichts  Ab- 
normes bemerkt. 

Als  Kind  machte  er  die  Masern  durch.  Mit  den  25.  Jahre 
begann  Athemnoth  sich  einzustellen  und  von  dieser  Zeit  an  litt 
er  an  Magenkatarrh  und  Diarrhöe. 

In  späteren  Jahren  hatte  er  bisweilen  Sc/m'i/ideige/ii/ii  und 
Sausen  in  den  Ohren,  doch  nie  in  höherem  Grade.  Der  Schlaf 
war  früher  immer  gut,  aber  von  der  Mitte  Januar  dieses  Jahres 
(1894)  an  trat  eine  Veränderung  ein,  mAftm  A^r  Sehlaf  schlechter 
und  oft  von  Kopfschmerz  und  Frösteln  gestört  wurde. 


.'Anatom.  Diagnose;  Glio-sapcoma  lobi  parielalis  infep.  dextPi. 

Seine  Krankheit  fing  anscheinend  plötzlich  an.  Am  ij.  Dec 
jSpj  machte  er  eine  kleine  Wanderung  von  etwa  15  Kilometer 
von  seiner  Heimath  zu  seinem  Sohne.  Dort  am  Vormittage  an- 
gekommen, begann  er  Holz  zu  hacken  und  arbeitete  fort  bis  3 
Uhr  Nachmittags.  Am  Mittage  fühlte  er  sich  frostig  und  eigen- 
thunilich  im  Kör]jer.  Er  ging  auf  den  Abtritt,  aber  als  er  nach 
der  Defäkation  den  Hosenträger  befestigen  wollte,  merkte  er, 
dass  die  Finger  der  linken  Hand  nicht  mehr  ihren  Dienst  thun 
wollten:  auch  die  der  rechten  Hand  waren  nicht  wie  friiher. 
Schwindelgefühl  oder  Hallucinationen  sollen  nicht  vorgekommen 
sein.  Nachdem  er  eine  Weile  sich  über  die  Situation  gewundert 
hatte,  kehrte  er  in  das  Haus  zurück  und  hielt  dann  die  Hosen 
mit  dem  ret;hten  Unterarm;  der  linke  hing  schlaff  an  der  Seite 
und  war  taub.  Die  Tochter  half  ihm  jetzt  zu  einem  Stuhle  und 
bemerkte,  dass  der  Mund  nach  dem  linken  Ohr  verzogen  war, 
und  dass  es  Gesicht  und  besonders  in  den  Lippen  zuckte. 
Die  Augen  stierten  und  hatten  einen  eigenthümlichen  Ausdruck ; 
ob  sie  abgelenkt  waren,  erinnert  sich  die  Tochter  nicht.  Pat. 
sprach  nur  undeutlich  und  unverständlich.  Der  linke  Arm  und 
die  linke  Hand  lagen  schlaff  an  dem  Knie,  und  mit  der  rechten 
suchte  er  vergebens  seinen  Anzug  in  Ordnung  zu  bringen.  Als 
keine  Besserung  eintrat,  wurde  Pat.  nach  einigen  Stunden  in's 
Bett  gebracht.  Die  Hände  waren  kalt,  aber  nicht  die  Füsse. 
Er  wurde  mit  »Schlagwasser»  begossen.  Nach  einer  Weile  fing 
Pat.  plötzlich  an,  sich  zu  strecken  und  die  Arme  heftig  zu  be- 
wegen und  laut  zu  schreien.  Die  Brust  hob  sich  heftig.  Bald 
nachher  schlief  er  ein. 

Am  folgenden  Morgen  erwachte  er  mit  Kopfschmerz,  emp- 
fand dabei  auch  ein  Gefühl  von  Ameisenkriechen  in  der  Haut. 
Übrigens  war  er  matt.  Gehörs-  oder  Gesichtshallucinationen 
waren  nicht  vorhanden.  Am  Tage  besserte  sich  der  Zustand, 
Pat.  wollte  nach  Hause  gehen,  wurde  aber  zurückgehalten,  und 
erst  am  folgende  Tage  wurde  er  in  seine  Heimath  gebracht ; 
do(h  konnte  er  die  letzten  5  Kilom.  selbst  gehen.  Seine  Fa- 
milie bemerkte  jetzt  nichts  Ungewöhnliches  in  seinem  Benehmen, 
nur  dass  er  etwas  müde  war,  und  Pat. ging  aus  um  Holz  zu  hacken. 
Dabei  empfand  er  selbst,  dass  die  Finger  die  Axt  nur  schwierig 
halten  konnten. 

Während  einer  Zeit  von  einem  Monat  waren  seine  Kräfte 
etwas  herabgesetzt,  aber  sonst  waren  seine  Seelenkräfte  normal. 

Mitte  Januar  ging  er  einmal  aus.  Bei  seiner  Rückkehr 
war  es  ihm  eigenthümlich  im  Kopf  Es  sauste  vor  den  Ohren, 
er  sah  Finge  und  Streifen  von  Licht,  welche  vor  seinen  Augen 
tanzten,  und  zwar  in  gerader  Richtung  vor  den  Augen,  weder 
nach  rechts,  noch  nach  links.  Im  Munde  empfand  er  einen 
bitteren  Geschmack.  Es  zuckte  in  den  Augenlidern  und  auch  in 
den  Beinen. 


ZWEI  FÄLLE  VON  HEMIANOPSIE  DURCH  GESCHWÜLSTE  IM  UNTEREN  PARIETALLAPPEN 


131 


So  blieb  es  bis  Anfang  Februar,  als  der  Zustand  sich  ver- 
schlechterte. Seit  dieser  Zeit  war  er  bettlägrig,  unvermögend  etwas 
zu  thun.  Seine  Verwandten  bemerkten,  dass  er  au  der  liukcu 
Seite  gelähmt  war  und  nach  links  nicht  sehen  konnte.  Eine  Stö- 
rung des  Gefühls  wurde  nicht  wahrgenommen,  aber  er  fror, 
klagte  Uber  Kältegefühl  am  Scheitel,  weshalb  er  sich  oft  am  Koi)f 
rieb.  Bisweilen  wurde  es  ihm  >~'licht  vor  den  Augen».  Brillen 
konnten  ihm  keinen  Nutzen  bringen.  Eine  Störung  beim  Spre- 
chen wurde  nicht  wahrgenommen,  ausgenommen  dass  er  mit 
den  Antworten  etwas  zögerte.  Beim  Essen  klagte  er,  dass  es 
ihm  »im  Rachen  brenne».  Auch  hatte  er  Schwierigkeit  beim 
Schlucken.    Der  Harn  ging  einmal  spontan  ab. 

Da  keine  Besserung  eintrat,  wurde  er  in"s  Krankenhaus 
gebracht  und  wurde  daselbst  am  14.  Febr.  1894  aufgenommen. 

Status  praesens  16.  — 22.  Febr.  18^4. 

Allgemeinzustand.  Fat.  ist  bettlägrig,  kann  sich  im  Bette 
nicht  selbst  aufrichten  und  übrigens  sich  nicht  selbst  behelfen. 
Der  Körperbau  etwas  schwach.  Das  Fleisch  ist  reduzirt.  Die 
Nase  roth.    Der  Appetit  ist  gering.    Die  Darmentleerung  spärlich. 

Die  Radialarterien  sind  ein  wenig  sklerotisch.  Der  Puls 
giebt  am  Sphymographen  einen  -»Pulsus  differens».  und  zwar 
rechts  einen  »Pulsus  parvus  et  tardus»,  links  fast  einen  »Pulsus 
celer  et  magnus». 

Frequenz  80.  T.  afebril. 

Subjektive  Symptome, 

Pat.  liegt  des  Tages  gewöhnlich  //;  einem  soninolenten  Zu- 
stande mit  bisweilen  eintretendem  tieferen  Schlaf.  In  den  Näch- 
ten ist  er  oft  wach  und  braucht  Hülfe. 

Pat.  hat  und  hatte  besonders  in  der  letzten  Zeit  verschie- 
dene subjektive  Empfindungen.  Von  diesen  sind  jetzt  nur  die 
Geschmackhallucinationen  (s.  unter  IX.  Geschmack)  und  das  Ge- 
fühl von  Frieren  und  der  Kopfschmerz  zurückgeblieben.  Um 
das  Frieren  zu  beseitigen,  bedeckt  Pat.  beständig  den  Kopf 
mit  einem  Tuch. 

Den  Kopfsch?ner2  lokalisirt  Pat.  in  der  linken  Stirngegend 
(regio  supraorbitalis),  und  von  da  aus  erstreckt  sich  das  Gebiet 
wie  ein  Band  zum  hinteren  Teil  der  Temporalgegend.  Wenn 
Pat.  sich  im  Bette  aufrichtet,  hat  er  das  Gefühl,  als  ob  etwas 
im  Hinterkopf  liege,  und  als  ob  es  nach  unten  in  den  Nacken 
fallen  wollte. 

Objektive  Untersuchung. 

Psyche.  Pat.  befindet  sich,  wie  schon  erwähnt,  gewöhn- 
lich in  einem  somnolenten  Zustande.  Er  fasst  korrekt  auf  und 
antwortet  korrekt  und  deutlich  auf  Anfragen.  Seine  Intelligenz 
ist  also  nicht  tiefer  benommen  oder  gestört.  Das  Gedächtniss 
ist  für  in  der  Zeit  entferntere  Ereignisse  gut.  Dagegen  erinnere 
er  sich  nicht  gut  dessen,  was  in  der  letzten  Zeit  geschehen  ist. 

Die  Gesichts-,  Farben-,  wie  Gehörs-,  Geruchs-  und  Ge- 
schmacks-Gedächtnisse sind  erhalten  geblieben.  Die  Reflexions- 
fähigkeit ist  deutlich  herabgesetzt.  Keine  Zwangsvorstellungen 
oder  perversen  Triebe. 

Die  gedrückte  Stimmung  fällt  gleich  in  die  Augen.  Be- 
sonders, wenn  er  von  seinen  Verwandten  besucht  wird,  ist  er 
traurig.    Ist  dabei  jedoch  eigensinnig. 

S.   E.  He  n  sehen.    Pathologie  des  Gehirns. 


Sprache.  Pat.  antwortet  etwas  träge,  aber  korrekt  und 
deutlich.  Keine  Paraphasie.  Fasst  auch  die  Bedeutung  sowohl 
der  gedruckten  wie  der  geschriebenen  Buchstaben  und  liest  rich- 
tig vor.  Versteht  auch  die  Zahlen  und  bezeichnet  sie  richtig, 
jedoch  nur  bis  zu  der  Zahl  4,  durch  Zeichnen  von  geraden  Strei- 
chen. 5  bezeichnet  er  mit  so  vielen  Strichen,  als  an  der  Tafel 
Raum  finden.     Keine  Seelenljlindheit. 

Kranialnerven. 

I.  Pat.  erkennt  und  nennt  gleich  Schnupftabak.  Terpen- 
tinoel^  unterscheidet  er  nicht  gleich  von  Kampher.  Ammoniak 
und  Essig,  beide  verdünnt,  erkennt  er  nicht,  aber  empfindet  sie 
als  verschiedene  Geruchstoffe.  Eau  de  Cologne  giebt  (ieruch- 
sensation.    Zwischen  rechts  und  links  besteht  kein  Unterschied. 

II.  Die  Sehschärfe  konnte  nicht  geprüft  werden,  indem  Pat. 
aus  Eigensinn  nicht  antwortet  und  die  Augen  schliesst. 


Pat.  erkennt  Farben.  Die  Gesichtsfelder  s.  die  Karte ;  die 
Zuverlässigkeit  der  Abmessung  kann  wegen  des  Zustandes  des 
Pat.  nicht  garantirt  werden. 

Nach  späteren  Untersuchungen  besteht  eine  linksseitige  He- 
mianopsie  mit  der  Grenzlinie  ungefähr  durch  die  Mittellinie. 

Augenhintergrund  trotz  wiederholten  Versuchen  unmöglich 
zu  untersuchen,  da  Pat.  hartnäckig  die  Augen  schliesst  und 
Schwierigkeiten  macht. 

III,  IV,  VI.    Keine  hemiopische  Reaktion. 

Die  Aiigenbetiiegungcn  nicht  beschränkt,  ausgenommen  dass 
er  die  Augen  extrem  nach  links  nicht  ablenken  kann.  Kein  Ny- 
stagmus. 

V.    Genauere  Untersuchung  war  unmöghch. 

Tastsinn.  Ein  leichtes  Berühren  empfindet  der  Pat.  ebenso 
gut  in  der  Stirn  und  im  Gesicht,  und  beiderseits  in  gleichem 
Grade. 

Der  Schmerzsinn  scheint  nirgends  herabgesetzt  zu  sein. 
Tenperafursinn :  Die  Resultate  unsicher.    36,0°  C.  empfin- 
det er  als  warm,  28  "C.  als  kalt.   Gleich  auf  den  beiden  Seiten. 

VII.  Geringe  linksseitige  Parese.  Die  Augen  schliessen  sich 
beiderseits  gleich  gut.  ebenso  wird  die  Stirn  beiderseits  gleich 
leicht  gerunzelt.    Der  linke  Mundwinkel    steht  etwas  tiefer. 

Der  M.  masseter  sin.  zieht  sich  etwas  schwächer  zusammen 
als  der  M.  m.  dexter. 

VIII.  Gehör  beiderseits  in  gleichem  Grade  herabgesetzt. 
Hört  die  Taschenuhr  in  einer  Entfernung  von  20  —  30  cm.  und 
schwaches  Sprechen  in  einem  Abstand  von  i — 2  Metern. 

IX.  Geschmack.  Kein  Unterschied  zwischen  der  Spitze 
und  Wurzel  der  Zunge.   Schwache  Salzlösung  wurde  als  Bitteres 

18 


132 


S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


aufgefasst,  gleich  auf  beiden  Seiten;  schwache  Zurkerlösung  links 
als  süss,  rechts  bisweilen  als  süss,  bisweilen  als  bitter :  schwache 
Essiglösung  bisweilen  als  süss,  bisweilen  als  sauer,  und  zwar 
gleich  an  beiden  Zungenhälften.  Chininsuljjhat  wurde  als  stark 
und  süss  empfunden  und  gleich  auf  den  beiden  Seiten. 

Pat.  empfindet  spontan  einen  bitteren  Gese/nnaek  \m  Munde. 

Schunerigkcit  heim  Schlucken  fester  Speisen. 

X.  Die  Herzthätigkeit  ist  etwas  beschleunigt. 

XI.  Die  Stimme  etwas  heiser  und  schwach. 

Die  linke  Schulter  kann  nur  wenig  gehoben  werden. 

XII.  Die  Zunge  kann  nur  wenig  herausgestreckt  werden 
und  weicht  nach  rechts  ab.    Keine  tr()])his(  hen  Störungen. 

Sensibilität. 

(ienauere  Untersuchungen  wurden  durch  die  Schlaffheit 
des  Pat.  vereitelt. 

Tastsinn:  Der  Pat.  em})findet  an  den  Armen  und  Reinen 
gut  und  in  gleichem  (irade  leichtes  Betasten  mit  dem  Finger 
oder  einem  Papierstreifen.  * 

Der  Sciunerzsinn,  ebenfalls  grob  gejjrüft.  scheint  au(  h 
nicht  wesentlich  herabgesetzt  zu  sein. 

Temperattirsinn :  Das  Resultat  niuss  als  unsicher  bezeichnet 
werden.  Pat.  empfindet  in  der  Hand  36. ri'^  als  warm.  30"  als 
kalt,  und  beiderseits  gleich. 

Lokalisationssinn :  Keine  Störung,  indem  Pat.  bei  geschlos- 
senen Augen  die  berührte  Stelle  anzeigen  kann.  Er  nennt  da- 
bei immer  die  rechte  Hand,  die  linke  oder  den  rechten  Fuss, 
den  linken  u.  s.  w.  Darauf  aufmerksam  gemacht,  sagt  er,  dass 
er  »weggekommen»  ist,  aber  korrigirt  sich  nicht,  wenn  der  Ver- 
such wiederholt  wird. 

Reizbarkeit  der  Nerven  und  Muskeln  für  den  faradischen 
Strom : 


(jberer  Facialis  rechts 

6  c.m. 

links 

I  c.m. 

Unterer      »  » 

5.5 

» 

» 

6  » 

N.  accessorius  » 

7 

» 

» 

7,5  » 

»    ulnaris  » 

5 

» 

» 

6  » 

»   medianus  » 

6 

» 

» 

6  » 

»   peroneus  » 

6 

» 

» 

6  » 

Musculus  zygomaticus  » 

c 

J 

» 

» 

5  » 

»     bicejjs  » 

6 

» 

» 

6  » 

»    brachialis  int.  » 

4 

» 

» 

4,5  » 

»    vastus  int.  » 

2 

» 

» 

2 ,5  » 

Motilität. 

Pat.  liegt  auf  dem  Rücken  und  kann  im  Bette  nicht  die 
Lage  ändern.    Die  Beine  sind  oft  gekreuzt. 

Arm:  Der  Unke  Arm  ist  paretiscli.  Pat.  kann  ihn  jedoch 
zum  Gesicht  führen,  sowie  gegen  die  Mittellinie  des  Körpers: 
hilft  gern  dabei  mit  der  rechten  Hand  nach.  Kann  dagegen 
nicht  einen  vorgezeigten  Gegenstand  greifen,  sondern  greift  fehl, 
nach  vorn  oder  nach  hinten. 

Brust:    Der  Brustkorb  hebt  sich  beiderseits  gleichmässig. 
Beine:    Die   Beine  werden   beide   nach  oben  in  gleichem 
Grade  hinaufgezogen. 

Krämpfe  oder  fibrilläre  Zuckungen  sind  nicht  vorgekommen, 


Reflexe. 

Sowohl  die  Kubital-  wie  Patellarreflexc  sind  schwach.  Kein 
Dorsalklonus. 

Hautreflexe  fehlen. 

Harn  und  bisweilen  auch  Faeces  gehen  spontan  in's  Bett. 

J'asomotorisclie  Störunge/i:  Die  Gefässe  s.  oben.  Die  linke 
Hand  ist  wenig  kälter  anzufühlen  als  die  rechte.  Sonst  keine 
Störungen. 

Trophische  Störungen  sind  nicht  vorhanden. 

Innere  Organe. 

Lungen:  Nichts  Besonderes.   Hustet  nicht.   Respiration  12. 

Herz:  Tone  rein  und  kräftig.  Keine  absolute  Herzdämpf- 
ung. Der  Spitzenstoss,  im  5:ten  Zwischenrippenraum  3  c.m.  nach 
innen  von  der  Mamillarlinie.  ist  etwas  hebend  und  wird  von 
einem  Finger  bedeckt. 

Leber:    Nichts  Besonderes. 

Magen:  Am  "/2  Erbrechen.  Acidität  o.si;  "/o.  keine  Salz- 
säure-, aber  Milchsäure-Reaktion. 

Harn  schwach  sauer,  klar:  sp.  Gew.  r.nio,  frei  von  Eiweiss 
und  Zucker. 

T  a  g  e  s  a  u  f  z  e  i  c  h  u  n  g  e  n. 

'^'l-i.  Pat.  ist  sehr  träge  und  apathisch.  Ist  heiser:  der 
Klang  der  Stimme  verschwunden.  Harn  und  Faeces  gehen  in's 
Bett.    Er  zupft  an  der  Decke  mit  der  linken  Hand. 

^^/2.  Die  ganze  linke  Hand  und  der  linke  Arm  sind  para- 
lytiscli.  Arm  und  Finger  rechts  sind  gewöhnlich  ///  Kontraktions- 
stellung. Im  rechten  Ami  Zuckungen,  wechselnd  damit,  dass  Pat. 
bisweilen  mit  dem  Arm  schlägt.  Erkennt  nicht  seine  Verwand- 
ten.   Strabismus.    Keine  Reflexe. 

^''/z.  Puls  gleichmässig,  80.  Pat.  empfindet,  wenn  man 
den  linken  Arm  kneift.  Mit  der  rechten  Hand  pflückt  und  tappt 
er  ausserhalb  des  Bettes  herum.  Bei  der  Anfrage,  warum  er  das 
macht,  antwortet  er,  dass  er  »die  Knöpfe  knöpfen»  will.  Be- 
ginnender Decubitus. 

^/s.  Pat.  ist  seit  einigen  Tagen  weniger  schlaff.  Beant- 
wortet die  an  ihn  gestellten  Fragen.  Heute  Verschlimmerung. 
Zuckungen  in  der  rechten  Hand.  Kann  nur  schwierig  geweckt 
werden.  Der  Harn  geht  In  das  Bett.  Pat.  empfindet  Nadel- 
stiche im  Cxesicht  gleich  auf  den  beiden  Seiten.  An  dem  linken 
Arm  vollständige  Anästhesie.  An  dem  linken  Beine  ist  Pat.  für 
Stiche  noch  etwas  empfindlich. 

^js.  Abends  greift  Pat.  mit  der  rechten  Hand  nach  rechts 
von  der  Mittellinie.  Auf  Befragen  antwortet  er,  dass  er  »Haus- 
kobolde» sah.  Auch  sah  er  Fische,  im  Bettlaken  eingewickelt. 
Später  Abends  sah  er  den  Teufel  selbst  vor  sich  stehen;  aber 
er  wollte  keine  Beschreibung  von  ihm  geben.  Pat.  lag  nach 
rechts  gedreht.  ///  den  beiden  Quadranten  nach  rechts  scheint 
er  noch  Sehvermögen  zu  haben. 

^l3.  Heute  Vormittags  hat  Pat.  noch  Erinnerung  an  seine 
Hallucinationen.  Erzählt  dass  er  »schwarze  Kobolde  gesehen, 
welche  in  schwarzem  Wasser  hüpften»,  und  behauptet,  dass  die  Pati- 
enten im  Krankensal  auch  mit  den  Kobolden  tanzten.  Er  sah 
sie  weder  nach  oben,  noch  nach  unten.  Sie  plauderten  mit 
einander,  aber  Pat.  verstand  nicht,  was  sie  sagten. 

Abends  neue  Hallucinationen.  Pat.  lag  nach  rechts  ge- 
wendet. Er  sah  nach  rechts  und  recht  viel  nach  oben  teils  Segel- 
boote, teils  Tafeln,  und  er  griff  nach  diesen. 


ZWEI  FÄLLE  VON  HEMIANOPSIE  DURCH  GESCHWÜLSTE  IM  UNTEREN  PARIETALLAPPEN 


133 


Va.  Tafeln  sind  auch  heute  dem  Pat.  erschienen.  Sie  waren 
»buntgefärbt».  Pat.  lag  mit  dem  Gesicht  gerade  nach  vorn,  und 
in  dieser  Richtung  erschienen  die  Hallucinationcn.  Am  7.  Abends 
erschien  ein  weisser  Hase,  und  Pat.  suchte  ihn  zu  greifen.  Nach- 
her sah  er  etwas  nach  links  von  der  Mittellinie.  Lag  dann  mit 
dem  Gesicht  ebenfalls  nach  vorn. 

*"/:!.  Greift  auch  heute  Abend  nach  etwas;  wollte  von 
heute  ab  nichts  von  seinen  Hallucinationen  mitteilen. 

^[i.    Soporös.    Einzelne  Zuckungen  in  der  rechten  Hand. 

Pat.  giebt  kein  Zeichen,  dass  er  etwas  versteht. 

"^j-i.  T.  37,3°.  Wie  gestern.  Jlemiopische  Reaktion  besteht 
nicht.  Die  Pupillen  von  Mittelgrösse,  nicht  völlig  rund,  sondern 
von  Form  unregelmässig. 

Die  ophthalmoskopische  Untersuchung  wurde  durch  Kata- 
rakta  incipiens  und  stetige  oscillirende  Bewegungen  des  Auges 
vereitelt.  Ob  Veränderungen  im  Augenhintergrunde  vorhanden 
waren,  wurde  nicht  entschieden.  Aber  die  Papilla^  nerv,  optic. 
erschienen  mehr  grauroth  als  normal. 

Um  4.  Nachmittags  wurde  bronchiales  Athmen  Uber  beiden 
Lungen  gehört.  Um  '/^  7  Nachm.  war  die  T.  38,8".  Resp.  40. 
P.  120.    Verschied  '/a  1894  um  8,20  Nachmittags. 

Sektion. 

Die  Dura  ist  mit  dem  Schädel  nicht  zusammengelöthet. 
An  ihrer  Oberfläche  blutrei(-h,  überall  gespannt,  sowohl  in  den 
frontalen,  als  occipitalen  Teilen.  An  ihrer  Innenseite  findet  man 
über  den  rechtsseitigen  Centraiwindungen  eine  etwa  5  +  4  cm. 
grosse,  ganz  frische  Blutung,  ebenso  an  der  Oberfläche  der  an- 
liegenden Pia. 

Die  Pia  sonst  ohne  Veränderung;  sie  ist  blutreich,  an  der 
Oberfläche  der  Geschwulst  sehr  dünn.  Die  Oberfläche  des  Ge- 
hirns ist  abgeplattet  mit  verwischten  Sulci.  Bei  der  Heraus- 
nahme beobachtet  man,  dass  die  rechte  Hirnhälfte,  besonders 
in  den  parietalen  Teilen,  sich  bedeutend  hervorbuchtet.  Hier 
findet  man  auch  eine  gioblobirte  Geschwulst. 

Die  Gefässe  etwas  atheromatös  und  steif. 

Die  linke  Hälfte  ist  auffallend  kleiner,  ohne  makroskopische 
Veränderungen  darzubieten. 

Im  dritten  Ventrikel  findet  sich  ein  unregelmässiger,  von 
vorn  nach  hinten  6  m.m.,  von  oben  nach  unten  6  —  7  m.m.  mes- 
sender Blutfleck,  welcher  2  m.m.  nach  hinten  vom  aufsteigenden 
Vicq  d'Azyr'schen  Schenkel  liegt  und  etwa  8  m.m.  nach  vorn 
vom  Ganglion  habenulse  und  ic  m.m.  nach  unten  vom  Medul- 
larstreifen.    Er  ist  ganz  frisch  und  oberflächlich. 

Am  gegenüberliegenden  Punkte  in  der  Wand,  also  der  rech- 
ten Hemisphäre,  findet  sich  auch  eine  kleine  Blutung,  welche 
3  m.m.  hinter  dem  hinteren  Rand  des  aufsteigenden  Vicq  d'A- 
zyr'schen Schenkels  liegt,  und  12  m.m.  nach  unten  vom  Mark- 
streifen und  etwa  8  m.m.  vom  Ganglion  habenulse.  Diese 
Blutung  misst  3  m.m.  vorn,  r  hinten,  7 — 8  von  vorn  nach  hin- 
ten.   Keine  reaktiven  Veränderungen  in  der  Nähe. 

Die  linke  Hirnhälfte  ist  vor  dem  Splenium  mit  der  rech- 
ten leicht  verlöthet  und  zeigt  überhaupt  eine  nicht  unbeträcht- 
liche Reiztmg,  besonders  in  der  Nähe  der  Margo  falcata  am  Über- 
gange zwischen  O-  und  P-Lappen.  Diese  erstreckt  sich  hier  auf  der 
Aussenfläche  des  0-lappens  einige  cm.  diffus  hinab.  An  der  Aus- 
senfläche  des  rechten  0-lappens  war  keine  deutliche  Reizung  zu 


sehen.  Sonst  war  nichts  Bemerkenswerthes  in  dieser  Hemisphäre 
vorhanden. 

Die  rechte  Hemisphäre. 
Aus  der  Schädelhöhle  herausgenommen,  verändert  das  Ge- 
hirn seine  Form  und  nimmt  nach  1  —  2  Tagen  in  der  Härtungs- 
flüssigkeit die  in  der  Fig.  i.,  Taf.  XV,  angegebene  Form  an.  Die 
Mitte  der  Hemisphäre  wird  von  einer  orange-grossen,  rundlichen 
Geschwulstmasse  eingenommen.  Diese  hat  besonders  den  unteren 
Parietallappen  infiltrirt,  greift  aber  auch  auf  die  angrenzenden 
Partien  der  Angularivindung  und  der  ersten  Temporahaindu ng  nhtr. 
Dadurch  sind  die  angrenzende  hintere  Centraiwindung,  die  erste 
und  zweite  Temporalwindung,  die  übrige  x\ngularwindung  sowie 
die  Occipital-  und  obere  Parietalwindung  bedeutend  zusanimen- 
iredriickt.  An  der  Oberfläche  der  Geschwulstmasse  lassen  sich  noch 

o 

die  Form  der  Windungen  und  die  Sulci  im  Ganzen  erkennen, 
wie  aus  der  Figur  i.  hervorgeht.  Die  Oberfläche  der  Neubildung 
ist  rauh  und  wie  etwas  haarig.  Die  Geschwulstmasse  ist  halbhart 
anzufühlen,  nicht  schwappend. 

Die  Hemisphäre  wurde  in   i  cm.  dicke  Scheiben  zerteilt. 

Schnitte  i — 5  cm.  vor  dem  Occipitalpole.  An  allen  diesen 
Schnittflächen  finden  sich  keine  pathologischen  Veränderungen. 

Schnitt  4  cm.  (Taf.  XV,  Fig.  2).  Der  Schnitt  fällt  durch 
den  occipitalen  Teil  der  Geschwulstmasse  ungefähr  an  der  Grenze 
zwischen  der  Angularwindung  und  dem  unteren  Parietallappen 
fs.  Fig.  2.).  In  wie  weit  die  Angularwindung  infiltrirt  ist, 
zeigt  die  Fig.  i  am  besten.  Die  Ausdehnung  der  Geschwulst- 
masse tritt  auch  am  besten  an  der  Figur  hervor.  Diese  nimmt 
hauptsächlich  die  Gegend  zwischen  der  zweiten  Temporalwindung 
und  dem  oberen  Parietallappen  ein,  infiltrirt  also  A  und  P-,  und 
misst  in  der  Höhe  4,  in  der  Tiefe  3  cm.,  und  hat  diese  beiden 
Windungen  ausser  Lage  gebracht  und  gleichzeitig  gedrückt. 
Nach  innen  dringt  die  Geschwulst  bis  zum  dorsalsten  Abschnitt 
der  Sehstrahlung  hervor  und  begre  azt  sich  hier  diffus,  aber  infil- 
trirt nicht  die  Sehstrahlung,  welche  sich  ganz  distinkt  abzeichnet. 
Sie  infiltrirt  vollständig  die  Rinde.  Die  Grenzen  nach  oben  und 
nach  unten  gegen  P^  und  T^  sind  scharf. 

Scnnitt  5  cm.  (Taf.  XV,  Fig.  3).  Die  Geschwulst  nimmt 
eine  noch  grössere  Fläche  ein  und  misst  in  der  Höhe  5  cm., 
in  der  Tiefe  4  cm.,  infiltrirt  die  bedeutend  vergrösserte  P^  und 
nach  unten  A,  erstreckt  sich  von  dem  ersten  Temporalsulcus  bis 
zum  Sulcus  intraparietalis  und  hat  P^  zusammengedrückt.  Die 
Rinde  des  P^  ist  infiltrirt,  ausgenommen  die  dorsalsten  und  ven- 
tralsten Ränder. 

In  die  Tiefe  dringt  die  Geschwulst  bis  /;/  den  dorsalsten 
Abschnitt  der  Grntiolef sehen  Strahlung,  ohne  jedoch  diese  voll- 
ständig zu  infiltriren.   Sie  zeichnet  sich  im  Gegenteil  recht  gut  ab. 

Schnitt  6  cm.  (Taf.  XV,  Fig.  4).  Hier  dringt  die  noch 
ausgedehntere  Geschwulstmasse  bis  in  das  Unterhorn  ein  und 
durchsetzt  den  dorsalsten  Abschnitt  der  Sehstrahlung  in  einer 
Ausdehnung  von  2  cm.  vom  Balken  nach  unten  (s.  Fig.  4). 

Die  Masse  misst  in  vertikaler  Richtung  5,5  cm.,  in  frontaler 
6  cm.,  und  nimmt  die  vergrösserte  P^  und  den  dorsalsten  Teil 
der  T^  ein.  Die  Geschwulst  ist  hier  wie  sonst  der  Degeneration 
anheimgefallen. 

Schnitt  7  cm.  (Taf.  XVII,  Fig.  i).  Die  Geschwulstmasse 
hat  hier  ihre  grösste  Ausdehnung,  nimmt  an  der  Oberfläche  des 


134  S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Gehirns  V'^  und  zum  Teil  T',  sowie  das  ganze  Mark  der  P',  T' 
und  den  obersten  Teil  der  Gr'atiolefschen  Strahlung  ein,  welche 
diffus  infiltrirt  ist.  Die  untere  Grenze  der  Geschwulst  lässt  sich 
hier  nicht  makroskojiisch  bestimmen,  sie  liegt  anscheinend  in  der 
Höhe  des  ersten  Temporalsulcus,  ungefähr  i  cm.  dursal  vom 
Boden  des  Unterhorns  und  etwa  in  der  Höhe  des  äusseren  Knie- 
höckers und  wenige  mm.  occijutal  von  diesem  Ganglion. 

Die  Geschwulst  greift  nicht  auf  die  Rinde,  aber  auf  das 
Mark  der  Cp  über. 

Schnitt  S  CHI.  (Taf.  XVII,  Fig.  2.  Durch  den  äusseren 
Kniehöcker").  Die  (leschwulstmasse  ist  bedeutend  vermindert, 
dringt  bis  zur  Rinde  der  P^  hervor,  greift  weder  auf  noch  T' 
über;  sie  erstreckt  sich  nach  hinten  etwa  bis  zu  der  äusseren 
Grenze  des  Schweifkerns.    Die  Grenzen  sind  überall  diffus. 

Kleinhirn  und  M  e  d  u  1  la   o  I )  1  o  n  g  a  t  a. 

Weder  an  der  Oberfläche,  noch  auf  der  Schnittfläche  wurde 
etwas  Pathologisches  wahrgenommen. 

Deutliche  Zeichen  einer  Kompression  dieser  Teile  wurden 
ni(  ht  beobachtet. 

Käue  Ausclnvclhnig  der  PapilUc  11  error  11  in  o/>tieorn/n  konnte 
post  mortem  konstatirt  werden. 

Die  Sektion  des  übrigen  Körpers  wurde  von  den  Verwand- 
ten verweigert. 

M  i  k  r  o  s  k  o  j)  i  s  c  h  e  Untersuchung. 

Die  Geschwnlstinasse  ist  sehr  lose  und  von  zahlreichen 
dünnwandigen  (iefässen  durchzogen.  Hie  und  da  finden  sich 
kleinere  Blutungen  oder  Pigmenthäufchen.  Sie  besteht  aus 
dicht  an  einander  liegenden  Zellen  ohne  eigentliches  Stroma. 
Die  Zellen  sind  teils  Rnndzcllcn  verschiedener  Cirösse,  grössere 
mit  grösseren  Kernen  und  deutlicher  scharf  konturirter  Proto- 
plasmascheibe und  kleinere,  wahrscheinlich  jüngere  Zellen,  mit 
grossen  Kernen  und  spärlichem  Protoplasma  ohne  Kontur,  teils 
Spindelzelleii  mit  grösseren  Kernen  und  spitzen  oder  abgerunde- 
ten Enden.  Beide  Arten  von  Zellen  bilden  unter  einander  ge- 
mischte Kolonien  und  zahlreiche  Übergangsformen  von  Zellen 
finden  sich ;  die  Rundzellen  scheinen  überhaupt  jüngere  Formen 
zu  sein.    Inseln  von  degenerirtem  CJewebe  sind  eingestreut. 

Es  liegt  also  ein  Glio-sarkoin  vor. 

Um  die  genauere  Lage  der  Hämorrhagien  in  den  ^^"änden 
des  dritten  Ventrikels  zu  untersuchen,  wurde  von  der  linken  He- 
misphäre eine  Serie  von  mikroskopischen  Frontalschnitten  ver- 
fertigt. Aus  diesen  erhellte,  da.ss  die  Hämorrhagie  bis  0,5  —  0,7.5 
m.m.  in  die  Wand  in  der  Höhe  des  oberen  Umfanges  des  rothen 
Kerns  eindrang  und  sich  nach  vorn  hin  bis  zu  der  vorderen 
Grenze  dieses  Kernes  ausdehnte  und  nach  hinten  an  etwa  80 
mikroskopischen  Schnitten  als  tiefliegende  Blutung  zu  verfolgen 
war.  Diese  Ausdehnung  entspricht  also  den  vordersten  etwa 
3  m.m.  des  rothen  Kerns.  Die  Blutung  lag  i  m.m.  medial  von 
dem  medialen  Rande  dieses  Kernes  und  schräg  nach  oben  innen 
und  beschränkte  .sich  auf  die  graue  Substanz  der  Ventrikelwand. 
An  denselben  Schnitten  sieht  man  die  Bündel  des  Oculimotorius 
durchtreten. 

Wie  schon  erwähnt,  waren  die  Blutungen  beiderseits  in  den 
Wänden  symmetrisch. 


Epikrise. 

Kurzer  Krankenbericht.  Der  72-jährige  Arbeiter 
hatte  v.  ie  der  Vater  Alkohol  gemissbraucht.  Der  Vater  starb 
an  Schlagfluss.  Bis  in  das  hohe  Alter  hatte  er  anstrengende 
Arbeit;  war  aber  immer  stark  und  gesund.  Nach  dem  Tode 
der  l'rau  1890  wurde  er  verstimmt  und  eigenthümlich.  Seit 
der  Mitte  Januar  1894  war  der  Schlaf  gestört,  und  er  litt  an 
Kopfschmerz. 

Am  13.  Dec.  1893,  nach  körperlicher  Anstrengung,  wurde 
er  von  Schwäche  und  Taubsein  der  Einger  der  linken  Hand 
befallen,  auch  die  der  rechten  Hand  waren  nicht  wie  früher; 
der  Mund  wurde  nach  der  linken  Seite  hinaufgezogen,  und 
Zuckungen  stellten  sich  in  der  linken  Gesichtshälfte  ein,  und 
darnach  wurde  die  linke  Seite  .schlaft'.  Später  begann  er  zu 
schreien  und  mit  den  Armen  zu  schlagen.  Nach  zwei  Tagen 
konnte  er  eine  längere  Strecke  wandern.  Bei  der  Arbeit 
empfand  er  Schwäche  in  der  linken  Hand. 

Mitte  Januar  nach  einer  Promenade  empfand  er  Sausen 
in  den  Ohren  und  Licht-phänomene  vor  den  Augen  und  hatte 
Geschmackshallucinationen.  Seitdem  paretisch  in  der  linken 
Seite.  Hatte  Frostgefühl  am  Scheitel  und  sah  »Licht  vor 
den  Augen».  Den  14.  Febr.  1894  ins  Krankenhaus  auf- 
genommen. 

St.  pra^s.  16. — 23.  Febr.  Arteriosklero.se,  Pulsus  difte- 
rens,  bettlägrig.  Geruch-  und  Temperatur-Hallucinationen  oder 
Parästhesien.  Kopfschmerz.  Etwas  schlaft";  keine  Aphasie.  I. 
Recht  gut.  II.  Nach  links  beschränktes  Gesichtsfeld;  später 
Hemianopsie,  ohne  hemiopische  Pupillenreaktion.  Hinsichtlich 
des  Augenhintergrundes  kein  sicherer  Augenbefund.  III,  IV, 
VI.  Parese  des  linken  Auges  bei  extremer  Ablenkung  nach 
links.  V.  Keine  Anästhesie.  VII.  Parese  links.  VIII.  Beider- 
seits etwas  herabgesetzt.  IX.  S.  oben.  XI.  Stimme  heiser. 
XII.  Parese  links.  Sensibilität:  keine  deutliche  Abnormität. 
Motilität:  linksseitige  Parese  im  Arm  und  Bein.  Reflexe: 
schwach;  Harn  und  Faeces  gehen  unwillkürlich  ab.  Innere 
Organe  zeigen  nichts  Abweichendes,  ausgenommen  dass  das 
Herz  dilatirt  ist. 

Nach  und  nach  verfiel  Pat.  in  einen  somnolenten  und 
zuletzt  komatösen  Zustand.  Reizungsphänomene  in  Form 
kleiner  Zuckungen  traten  in  der  rechten  Hand  auf  (selten  in 
der  paretischen  linken  s.  ^"/a),  die  linke  Hand  wurde  anäs- 
thetisch, wie  auch  in  geringerem  Maasse  das  linke  Bein.  Seit 
d.  ^/s  bis  zum  Tode  hauptsächlich  wiederholte  Hallucinationen 
nach  rechts  und  Deviation  der  Augen  nach  derselben  Seite 
hin.    Pupillen  kaum  verändert.    Tod  ^,'3  1894. 

Diagnose. 

Art  der  Läsion.  Der  Fall  war  nicht  leicht  zu  diagnos- 
ticiren.  Einerseits  sprach  die  plötzliche,  wenn  auch  unbe- 
deutende Parese  nach  der  grossen  körperlichen  Anstrengung 
(Wanderung  von  etwa  15  kilom.  und  Holzhacken  während 
mehrerer  Stunden)  so  bestimmt  gegen  eine  Geschwulst  und 
für  eine  kleine  Blutung  oder  in  Anbetracht  des  früheren  Alko- 
holmissbrauchs, der  vorhandenen  Herzdilatation  und  des  Pulsus 
differens  und  der  F'orm  der  Pulskurve  für  eine  Thrombose 
eines  kleineren  Gefässes.  Und  diese  Auftassung  fand  eine 
gewisse  Stütze  darin,  dass  Pat.  nach  Erholung  binnen  einigen 


ZWEI  FÄLLE  VON  HEMIANOPSIE  DURCH  GESCHWÜLSTE  IM  UNTEREN  PARIETALLAPPEN 


135 


Tagen  nicht  nur  ohne  Schwierigkeit  längere  Strecken  wandern 
konnte,  sondern  auch  recht  gut  arbeiten  konnte.  Das  gelinde 
Kopfweh  und  die  geringen  Reizsymptome  sprachen  auch 
anscheinend  eher  gegen  als  für  einen  Tumor.  Alle  Versuche, 
durch  die  ophthalmoskopische  Untersuchung  einen  Haltpunkt 
in  der  Sache  zu  erlangen,  scheiterten  durch  den  Eigeasinn 
des  Pat.,  indem  er  bei  den  Versuchen,  ihn  zu  untersuchen, 
die  Augen  schloss  und  Augenbewegungen  ausführte.  Auch 
die  beginnende  Katarakt  stand  hindernd  im  Wege.  Zwar 
glaubte  ich,  kurz  vor  dem  Tode  beobachten  zu  können,  dass 
die  Papillae  nervorum  opticorum  etwas  diffuse  Grenzen  hatten, 
aber  das  Resultat  der  Untersuchung  war  zu  unsicher.  Übrigens 
bestand  gewiss  keine  ausgesprochene  Stauungspapille,  denn 
bei  der  Sektion  war  ich  in  Stande,  diese  zu  untersuchen,  und 
fand  keine  Scfnvelliing  der  Papillce. 

Aber  wenn  einerseits  viele  Umstände  für  eine  Thrombose 
und  gegen  eine  Geschwulst  sprachen,  so  war  doch  die  Ent- 
wickelung  der  Krankheit  ziemlich  charakteristisch  für  eine 
Geschwulstbildung.  Andererseits  traten  auch,  besonders  gegen 
das  Ende,  Zeichen  einer  intrakraniellen  Blutung  auf,  da  Pat.  ^/s 
in  einen  soporösen  Zustand  verfiel. 

Es  war  also  im  Leben  die  Diagnose  nicht  ganz  klar,  ob 
ein  Tumor  vorlag  oder  nicht. 

Da  durch  die  Sektion  eine  grosse  Geschundst  nach- 
gewiesen worden  ist,  und  ausserdem  eine  Blutung,  sowohl  an 
der  Oberfläche  der  Geschwulst  wie  in  demselben  Gebiete, 
eine  suprapiale  Blutung  sowie  kleine  Blutungen  in  den  dritten 
Ventrikel  und  ausserdem  eine  meningeale  Reizung  an  der 
Aussenseite  des  linken  Occipitallappens,  —  so  ist  es  lehr- 
reich, die  Symptome  auseinander  zu  setzen,  um  zu  sehen,  in 
wie  weit  diese  mit  dem  durch  die  Sektion  nachgewiesenen 
Befund  zusammenstimmen. 

In  dieser  Hinsicht  ist  es  erst  auffallend,  in  welchem  ho- 
hen Grade  dieser  Fall  mit  dem  Falle  Sundelin  (S.  120),  über- 
einstimmt. In  beiden  liegt  eine  infiltrirende  grosse  Geschwulst 
in  der  Mitte  der  rechten  Hemisphäre  vor.  In  beiden  hat  das 
Neoplasma  erst  das  Mark  infiltrirt;  aber  im  vorliegenden 
Falle  greift  es  auf  die  Rinde  über  und  dringt  bis  an  die 
Oberfläche  des  Gehirns  hervor  und  ruft  zugleich  hier  eine 
subdurale  und  subpiale  Blutung  hervor;  im  Falle  Sundelin 
dagegen  bildet  die  Rinde  gegen  die  sonst  das  Gewebe  in- 
filtrirende Geschwulst  eine  Barriere,  welche  undurchdringlich 
ist.  In  beiden  Fällen  war  die  Kompression  des  Gehirns  be- 
deutend. Die  Ausdehnung  des  Neoplasma  nach  vorn  und 
hinten  war  im  Falle  Sundelin  etwas  grösser,  und  das  ganze 
Mark  des  oberen  Parietallappens  und  der  Centraiwindungen 
war  von  ihm  infiltrirt.  Nach  innen  griff  die  Geschwulst  in 
beiden  Fällen  etwas  auf  den  dorsalen  Abschnitt  der  Seh- 
strahlung über,  ohne  den  ventralen  zu  zerstören.  Die  Centrai- 
ganglien waren  in  beiden  Fällen  im  Ganzen  verschont,  wie 
auch  die  Sehbahn  (s.  unten). 

Endlich  fand  sich  in  beiden  Fällen  eine  meningeale 
Irritation  oder  Blutung  an  der  Margo  falcata  des  rechten 
Occipitallappens. 

Diese  Übereinstimmung  hat  nicht  nur  für  die  Diagnose 
der  Gehirntumoren  eine  gewisse  Bedeutung,  sondern  ist  auch 
aus  physiologischem  Gesichtspunkte  lehrreich.    Hier  will  ich 


zuerst  die  praktisch-diagnostische  Seite  abhandeln,  um  dann 
unter  der  Rubrik  Analyse  der  Symptome  die  physiologi.sche 
zu  analysiren. 

Diagnostische  Ähnlichkeiten  der  Fälle  Eklund  und  Sunde- 
lin. 

Die  Anamnese  bietet  mehrere  Vergleichspunkte  dar. 

Aetiologie.  Schon  die  hereditären  Verhältnisse  waren 
in  so  weit  in  den  beiden  F"ällen  ähnlich,  als  in  den  Familien 
der  beiden  Pat.  eine  nervöse  Belastinig  vorhanden  war;  die 
Mutter  Sundelin's  starb  während  einer  anstrengenden  Arbeit 
an  einem  Schlaganfall  im  Alter  von  46  Jahren,  und  der 
Vater  Eklunds,  welcher  Alkoholiker  war,  starb  auch  an  Schlag- 
fluss  im  Alter  von  33  Jahren.  Ausserdem  bestand  Tremor 
in  der  Familie  Sundelin's.  Beide  Pat.  missbrauchten  Alkohol 
in  hohem  Grade,  sonst  waren  beide  gute  Arbeiter.  Bei  beiden 
ging  eine  längere  Zeit  vor  dem  Ausbruch  der  Krankheit 
Scinvernuith  oder  veränderte  Stimmung  voraus,  bei  Sundelin 
vielleicht  in  Folge  eines  Falles  9  Jahre  früher,  bei  Eklund  in 
Folge  des  Todes  seiner  Frau.  In  welchem  Masse  der  Alko- 
holmissbrauch oder  vielleicht  die  keimenden  Geschwülste  diese 
veränderte  Stimmung  veranlassten,  ist  ungewiss. 

Prodrome  der  Krankheit.  Bei  beiden  kam  der  Ausbruch 
der  Krankheit  anscheinend  plötzlich,  aber  schon  früher  hatten 
gewisse  Symptome  die  drohende  Gefahr  angekündigt. 

Unter  diesen  Symptomen  war  es  auftallend,  dass  das 
Kopftveh  bei  tlklund  so  gelinde  war,  und  bei  Sundelin  scheint 
dieses  sonst  so  wichtige  Symptom  erst  später  angefangen 
zu  haben.  Dies  scheint  damit  in  Zusammenhang  zu  stehen, 
dass  die  Geschwulst  bei  Eklund  oberflächlicher  lag  und  schon 
frühzeitig  die  Rinde  afficirte,  während  sie  bei  Sundelin  nie 
oberflächlich  wurde.  Dies  zeigt,  dass  das  Mark  relativ  oder 
absolut  unempfindlich  für  selbst  maligne  und  sonst  reizende 
Geschwülste  ist.  Das  Kopfweh  wird  leicht  bei  Eklund  durch 
die  meningealen  Reizung  erklärt;  Jei  beiden  nahm  es  mit  dem 
gesteigerten  Druck  zu. 

Ausbruch  der  Krankheit.  In  beiden  Fällen  gab  eine 
excessive  körperliche  Anstrengung  den  scheinbaren  Anstoss 
zum  Ausbrauch  der  Krankheit  (s.  oben)  und  in  beiden  Fällen 
begannen  die  ersten  Symptome  erst  eine  Weile  nach  dieser 
Anstrengung.  Zuerst  trat  Störung  des  Bewusstseins  ein,  wenn 
auch  in  verschiedenen  Formen.  Weiter  äussert  sich  die 
Krankheit  bei  Beiden  zuerst  in  sehr  begrenzten  Gebieten; 
bei  Sundelin  2  Tage  später  mit  einer  gewissen  Schwäche 
vielleicht  mit  gelinder  Kontraktion  in  der  linken  Hand  beim 
Greifen  einer  Tasse  Kaffee;  bei  Eklund  fingen  die  Symptome 
gleich  mit  Schwäche  in  den  Fingern  an  in  Verbindung  mit 
Kontraktion  des  Gesichtes,  wo  auch  Zuckungen  bemerkt 
wurden.  Bei  diesem  traten  also  Reizsymptome  etwas  deut- 
licher hervor,  in  Übereinstimmung  mit  der  kortikalen  Aus- 
dehnung des  Neoplasma;  dann  brach  eine  Art  von  epilep- 
tischem Anfall  bei  Eklund  aus  und  am  folgenden  Morgen 
hatte  er  Kopfschmerz  und  Parästhesien. 

So  verflossen  bei  Beiden  2  Tage  ohne  Verschlimmerung. 
Darauf  trat  bei  Beiden  eine  linksseitige  Pareso  ein,  welche 
jedoch  bei  Eklund  auf  den  Arm  beschränkt  war. 

Entivickclung.  Beim  Vergleichen  der  sich  dann  ent- 
wickelnden Symptomen  fällt  bezüglich  Beider  das  allmähliche 


136 


S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Nacheinanderaiiftreten  der  Zeichen  auf,  aber  -während  bei 
Sundelin  nur  paretische  Symptome  langsam  erschienen,  finden 
wir  bei  Eklund  neben  der  hnksseitigen  Parese  auch  ab  und 
7,u  deutHche  Reizsymptome,  und  zwar  in  vielen  Formen.  Hier 
spielen  besonders  die  subjektiven  Symptome  eine  Rolle,  l^k- 
lund  empfand  einen  eigenthümlichen  Geschmack  im  Munde, 
er  hörte  Sausen  in  den  Ohreii  und  sah  Lichtstreifen  und 
Lichiringe,  es  fror  ihn  am  Scheitel,  so  dass  er  sich  dort  reiben 
musste  oder  ein  Tuch  um  den  Kopf  legen  musste,  und  es 
schmerzte  ihn  im  Rachen  beim  Essen. 

Auch  bei  Sundelin  traten,  wenn  auch  anscheinend  gering- 
fügige Parästhesien  ein  —  AnieiscnkriccJien  vom  Knie  in  die 
Zehen  herab.  Sonst  prädominirte  bei  ihm  das  Tatibsein  der 
linken  Seite,  und  zwar  gewiss  in  Folge  der  früzeitigen  Aus- 
dehnung der  Geschwulstmasse  in  das  Mark  der  Centralwindun- 
gen,  welche  bei  Eklund  nie  in  demselben  Grade  primär  affi- 
zirt  wurden,  sondern  fast  nur  indirekt. 

Auch  das  allmähliche  Fortschreiten  der  Krankheit,  die 
nach  und  nach  eintretende  Sonmolenz  und  zuletzt  das  Koma 
ist  Beiden  gemeinsam.  Bei  Beiden  war  dieser  Schlaffheits- 
zustand von  »luciden  Intervallen»  unterbrochen  und  Anfälle 
von  plötzlich  gesteigertem  intrakraniellen  Druck  und  von  Reiz 
der  Rinde  wechselten  bei  Beiden. 

Viele  andere  Symptome,  welche  auch  physiologisches 
Interesse  haben,  werden  unten  abgehandelt.  Kaum  dürfte 
man  zwei  Pendants  mit  grösserer  Ähnlichkeit  finden.  Die 
Differenzen  vollenden  das  Bild;  der  P"all  S!i?idelin  ivar  der 
Typus  einer  snbcortikalen  Gesc/nunlstbildiing.  der  Fall  Fkliind 
einer  auf  die  Rinde  iibergreif enden. 

In  praktisch-diagnostischer  Hinsicht  möchte  ich  nur  Fol- 
gendes hinzufügen.  Beide  Geschiuiilste  waren  infiltrirend. 
Das  Hirngewebe  ist  in  beiden  Fällen  von  der  Neubildung  so 
vollständig  infiltrirt  und  ersetzt  worden,  dass  man  daselbst 
nur  neugebildete  Elemente  findet.  Diese  Infiltration  charak- 
terisirt  sich  auch  durch  die  vollständig  diffusen  Grenzen  der 
Geschwülste;  und  als  einen  Ausdruck  dafür  finden  wir  die 
geringfügige  und  erst  sehr  späte  Ansclnvelliing  der  PapilUe 
nerv,  opticoriini,  \\'elche  vielleicht  bei  Eklund  nicht  einmal 
deutlich  vorhanden  war.  Auch  in  dieser  Hin.sicht  sind  die 
Fälle  lehrreich.  Und  diese  Erfahrung  haben  schon  Goivers 
und  Andere  vorher  gemacht,  dass  selbst  grössere  infiltrirende 
Geschwülste  im  Mark  der  Grosshirnhemisphären  in  der  Nähe 
der  Centraiwindungen  ohne  Stauungspapille  verlaufen  können. 

Füge  ich  noch  zu  diesem  Krankheitsbilde,  dass  die  Ge- 
schwülste eine  ungefähr  gleiche  Ausdehnung  hatten,  dass 
beide  Fälle  mit  linksseitiger  Hemianopsie  ohne  hemianoj^ische 
Pupillenreaktion  verliefen,  mit  geringen  Gehörstörungen  und 
endlich  mit  sehr  bemerkenswerthen  rechtsseitigen  Gesichts- 
Hallucinationen  und  nach  rechts  eintretenden  Augenablenkungen 
verliefen  —  so  ist  das  Zwillingsbild  der  Kranken  vollständig. 

Lokalisation  der  Läsion.  Bezüglich  dieser  P'rage  kann 
ich  mich  kürzer  fassen.  Es  giebt  auch  in  dieser  Hinsicht  so 
viele  gemeinsame  Punkte  zwischen  den  beiden  Fällen,  dass 
die  Gründe,  welche  hinsichtlich  der  Lokalisation  bei  Sundelin 
angeführt  worden  sind,  auch  bei  Eklund  im  Ganzen  anwend- 
bar sind.    Die  zuerst  in  der  linken  Hand  auftretende,  dann 


sich  auf  die  ganze  linke  Seite  ausdehnende  Parese  deutet  auf 
einen  Herd  in  der  Nähe  des  Handcentrnm.  Die  zuerst  un- 
vollständige, später  vollständige  Hemianop.sie  nach  links  zeigt, 
dass  der  Herd  allmählich  auf  die  SeJibahn  übergriff,  und  das 
P^ehlen  der  hemiopischen  Pupillenreaktion  verlegt  den  Herd 
nach  hinten  von  der  frontalen  Sehbahn.  Also  aus  denselben 
Gründen  wie  im  Falle  Sundelin  musste  der  Herd  nach  dem 
unteren  Parietallappen  verlegt  zvcrden. 

Wie  tief  die  Geschwulst  liegen  musste,  geht  in  diesem 
Falle  am  besten  aus  den  begleitenden  Reizsymptomen  hervor. 
Diese  waren  hier  teils  mannigfacher,  teils  öfter  hervortretend 
als  im  Falle  Sundelin  und  deuten  auf  eine  mehr  kortikale 
Lage  —  eine  Infiltration  der  Rinde.  Andererseits  gingen  hier 
die  paretischen  Symptome  voraus  oder  erschienen  etwa  gleich- 
zeitig mit  den  Reizsymptomen,  was  auf  eine  sowohl  medulläre 
wie  kortikale  Lokalisation  deutet. 

Andererseits  konnte  eine  ursprünglich  kortikale  Lage 
ausgeschlossen  w^erden,  da  jede  ausgesprochene  Jackson'sche 
Epilepsie  fehlte. 

Die  später  erscheinenden  rechtsseitigen  Hallucinationen 
und  die  rechtsseitige  Ablenkung  der  Augen  werden  unten 
abgehandelt. 

Der  Fall  bietet  also  in  Verein  mit  dem  Falle  Sundelin 
für  den  Chirurgen  viele  lehrreiche  praktische  Gesichtspunkte 
dar  und  diese  beiden  können  als  2  etwas  verschiedene  Typen 
einer  subkortikalen  und  einer  ursprünglich  subkortikalen,  später 
auf  die  Rinde  übergreifenden  Geschwulst  aufgestellt  werden. 

Analyse  der  Symptome. 

Psyche.  Die  allgemeinen  psychfschen  Störungen  sind 
schon  oben  im  Wesentlichen  kurz  erwähnt,  und  hinsichtlich 
ihrer  Deutung  kann  kurzweg  auf  den  Fall  Sundelin  hingewiesen 
werden.  Die  ersten  Anfänge  beginnen  nach  dem  Tode  der 
Frau.  Die  Schwermuth,  von  der  er  darnach  befallen  wurde, 
dürfte  wohl  eine  stetige  Hirnhyperämie  unterhalten  haben, 
wodurch  eine  eventuel  keimende  Anlage  einer  Geschwulst- 
bildung hinzuzukommen  begann.  Ähnliche  Verhältnisse  (oeko- 
nomische  Sorgen)  liegen  im  Fall  3,  Anders  lirsson,  vor. 
Andererseits  läuft  man  Gefahr,  dabei  Ursache  und  Folge  zu 
verwechseln.  Unmotivirtes  Handeln  ging  schon  längere  Zeit 
dem  Insulte  voraus  (s.  Anamnese).  Nach  dem  Insulte  traten 
allerlei  Formen  von  Parästhesien  und  Hallucinationen  auf  (s. 
unten). 

Sprache:  Die  leichten  Störungen  bieten  nichts  Beson- 
deres dar. 

Kranialnerven.    I.    Nichts  Besonderes. 

II.  Hemianopsie.  Der  P^all  ist  ein  interessanter  Beleg 
und  Beweis  dafür,  dass  eine  Geschivulst  im  Jinieren  Parietal- 
lappen keine  Hemianopsie  verursacht  und  in  Anbetracht  des 
bedeutenden  Drucks,  welchen  die  Neubildung  auf  den  Gyrus 
angularis  gewiss  schon  frühzeitig  ausgeübt  hat,  und  der  aus- 
gedehnten Zerstörung  des  Marks  des  Parietallappens,  kann 
der  Fall  auch  als  ein,  wenn  auch  schwacher  Beweis  gegen 
die  Lokalisation  des  Sehcentrum  in  der  Angularwindung  gelten. 
Jedenfalls  ist  die  Beweiskraft  des  Falles  nicht  so  stark  wie 
die  des  Pralles  Sundelin,  wo  die  Ausdehnung  der  Geschwulst 
grösser  war.     Anfangs  trat  nur  eine  homonyme  Finschrän- 


ZWEI  FÄLLE  VON  HEMIANOPSIE  DURCH  GESCHWÜLSTE  IM  UNTEREN  PARIETALLAPPEN  137 


hing  der  linksseitigen  Gesichtsfelder  und  vielleicht  besonders 
der  unteren  Quadranten  auf,  später  erst  eine  koniplete  He- 
mianopsie. Die  etwa  einen  Monat  spater  gemachte  Sektion 
zeigte,  dass  die  Geschwulst  hier  zwar  den  dorsalen,  aber  nicht 
den  ventralen  Abschnitt  der  Gratiolet'schen  Sehstrahlung  in- 
filtrirt  hatte,  und  zwar  bis  zur  Höhe  des  ersten  Temporal- 
sulcus,  5 — 6  cm.  vor  dem  Occipitali^ole.  Aber  ganz  vorn, 
unmittelbar  occipital  vom  Pulvinar,  erstreckt  sich  die  Ge- 
schwulst bis  zur  Höhe  des  inneren  Kniehöckers.  Es  geht 
aus  der  Fig.  i,  Taf  XVII  hervor,  dass  diese  Infiltration 
bedeutend  später  sich  entwickelt  hat. 

Dieser  Befund  steht  in  Einklang  mit  der  von  mir  schon 
früher  ausgesprochenen  Ansicht  über  die  Lage  der  occipitalen 
Sehbahn.  Zuerst  war  hier  eine  indirekte  inkomplete  Hemia- 
nopsie vorhanden,  später  gewiss  eine  indirekt  auch  durch 
Druck  verursachte  komplete  Hemianopsie,  zuletzt  vielleicht 
eine  durch  Infiltration  der  Sehbahn  unmittelbar  hinter  dem 
äusseren  Kniehöcker  hervorgerufene  Hemianopsie. 

Beide  Hälften  der  Gesichtsfelder  sind  in  etwa  gleichem 
Grade  schon  anfangs  beeinträchtigt,  was  auf  ein  Aneinandcr- 
liegen  der  Bündel  der  beiden  Augen  deutet,  wenn  es  auch 
nicht  beweisend  ist. 

Die  Bedeutung  des  Ausbleibens  der  SiaiiiDigspapille  ist 
oben  kurz  erwähnt. 

So  ist  auch  das  Felden  der  Jicmianopischeii  Piipdle)i- 
reakt'ion  schon  angeführt. 

Hallucinationcn.  Interressant  sind  in  diesem,  wie  im  Pralle 
Sundelin,  die  gegen  das  Ende  des  Lebens  auftretenden  nach 
rechts  projicirten  GesicJdshalliiciiiaticmen.  Auch  in  dieser  Hin- 
sicht ähnelt  der  Fall  dem  oft  erwähnten  Falle.  Man  hätte 
hier  doch  nach  links  gesehene  Erscheinungen  erwartet.  Aber 
eigenthümlicherweise  wie  im  Falle  Sundelin  fand  sich  auch 
hier  eine  ausgesprochene  Meningeahrritation  an  der  Oberfläche 
des  linken  Occipitallappens  (s.  Sektionsprotokoll).  Ganz  in 
Übereinstimmung  hiermit  waren  auch  die  Augen  gewöhnlich 
nach  rechts  abgelenkt.  Hierüber  weise  ich  auf  den  Fall  Sun- 
delin (S.  127)  hin.  Dieser  Fall  ist  also  wenigstens  der  10. 
von  mir  beobachtete  Fall  von  einseitigen  Gesichtshallucina- 
tionen,  und  die  Sektion  hat  meine  früher  ausgesprochene  An- 
sicht über  die  Lokalisation  solcher  Erscheinungen  bestätigt. 
Hier  zuie  im  Falle  Sundelin  zvaren  die  rechtsseitigen  Halln- 
cinationen  nicht  mit  gleichseitiger  Blindheit  verbnnden,  was 
für  die  Lokalisation  und  Begrenzung  des  Sehcentrums,  die 
Lokalisation  der  Augenbewegungen  und  der  Gesichtsvorstel- 
lungen von  besonderem  Werthe  ist. 

Aber  ausnahmsweise  (am  ^/s)  traten  die  Erscheinungen 
7iach  links  auf  oder  gerade  nach  vorn  auf  Interressant  ist  dann 
zu  bemerken,  dass  sich  eine  Verwachsung  der  beiden  Hemis- 
phären nach  vorn  vom  Splenium  vorfand.  In  der  Nähe  des 
rechten  0-lappens  war  also  auch  eine  unbedeutende  Reizung 
vorhanden,  wodurch  dieses  Verhalten  erklärt  werden  kann. 
Beide  Hemisphären  waren  dabei  gereizt  und  die  Bilder  nach 
vorn  projicirt. 

III,  IV,  VI.  Anfangs  wurde  nur  eine  Schwäche  bei  der 
extremen  Ablenkung  des  linken  Auges  nach  links  beobachtet. 
Später  wurde  bei  dem  somnolenten  Zustande  Strabismus  wahr- 
genommen; endlich  beim  Fortschreiten  der  Krankheit  Schwie- 


rigkeit beide  Augen  nach  links  abzulenken,  und  noch  später 
trat  konjugirte  Ablenknng  nach  rechts  ein.  Dies  alles  lässt 
sich  durch  die  Reizung  an  der  Oberfläche  des  linken  Occipi- 
tallappens, weniger  leicht  durch  die  des  Parietallappens,  er- 
klären. Zwar  bestand  wohl  anfangs  eine  Reizung  der  rechten 
P",  aber  zu  dieser  Zeit  fanden  sich  keine  solchen  Symptome; 
später  war  jede  Einwirkung  von  diesem  Lappen  aufgehoben; 
es  sollte  also  eine  Parese  bestehen.  Doch  ka)in  man  sich 
denken,  dass  zuletzt  die  Innervation  von  der  linken  P'  sich 
geltend  machte.  Eine  solche  Erklärung  ist  selbst  im  Falle 
Sundelin  anwendbar,  wenn  auch  kaum  wahrscheinlich. 

Bei  der  Sektion  wurde  auch  in  dem  dritten  Ventrikel 
c:a  8  m.m.  nach  vorn  und  unten  vom  Ganglion  habenula; 
und  also  etwa  i  cm.  frontal  von  der  vorderen  Mündung  der 
Sylvi'schen  Wasserleitung  eine  bilaterale  Blutung  wahrgenom- 
men. Solche  Blutungen  bei  malignen  Geschwülsten  üben  fast 
immer  eine  nicht  geringe  Reizung  auf  die  Umgebung  aus; 
und  da  die  Blutung  hier  bilateral  war  und  das  Centrnm für  die 
Konvergenz  der  Angen  und  für  die  Pupilleninnervatio)i  in 
die  Nähe  verlegt  wird,  so  ist  es  von  einem  gewissen  Interesse, 
im  Leben  am  '','3  und  schon  früher  beobachtet  zu  haben, 
da.ss  die  Pupillen  von  Mittelweite  und  von  unregelmässiger 
Form  und  nicht  vollständig  rund  waren,  und  dass  weiter  eine 
hemiopische  Pupillenreaktion  fehlte.  Pat.  machte  bei  den  Ver- 
suchen zur  ophthalmoskopischen  Lhitcrsuchung  oscillirende 
Bewegungen. 

Eine  Kontraktion  der  Pupillen  odei-  Konvergenz  der  Au- 
gen war  nicht  vorhanden. 

V.    Keine  besondere  gröbere  Störung. 

VII.  Schon  anfangs  traten  auch  Reizsymptome  in  Form 
von  Zuckungen  und  tonischer  Kontraktion  des  Gesichts  auf, 
zu  erklären  durch  die  an  das  Gesichtscentrum  angrenzende 
Geschwulstbildung.  Später  bildete  sich  Parese  aus.  Die  Pa- 
rese betraf  nach  Angabe  nicht  die  oberen  Facialis- Aste.  In 
den  Augenlidern  traten  frühzeitig  Zuckungen  auf  (s.  Ana- 
mnese). 

VIII.  Die  geringe  doppelseitige  Gehörstörung  steht  im 
Einklang  mit  der  Läsion  der  rechten  Gehörbahn.  Doch 
hätte  man  eine  grössere  Störung  des  Gehörs  af  dem  linken 
Ohr  erwartet.  Auch  Halhici?iatio)ien  waren  voran sfegantfen 
(Reizung  der  ersten  rechten  Temporalwindung). 

IX.  Die  Beobachtungen  legten  eine  perverse  Sförnng 
des  Geschmacks  in  Verbindung  mit  Geschmackshallucinatio- 
nen  dar.  Ob  dabei  die  Geschmacksbahn  oder  das  Centrum 
gereizt  wurde,  ist  unsicher.  Die  perverse  Störung  schien  sich 
rechts  zu  lokaüsiren. 

Auch  die  Schwierigkeit  zu  schlucken  ist  bemerkenswerth, 
wenn  auch  zur  Zeit  schwierig  zu  erklären. 

X.  Der  ausgesprochene  Pulsus  dififerens  wird  vielleicht 
durch  Veränderungen  der  Aorta  erklärt  (Sektion  verweigert). 

XI.  Die  Heiserkeit  der  Stimme  wird  in  oft  erwähnter 
Weise  erklärt. 

XII.  Die  gewöhnliche  Erklärung. 

Sensibilität.  Die  Anästhesie  war  bei  den  ersten  Un- 
tersuchungen nicht  ausgesprochen.  Später  (^  3)  mit  dem  Fort- 
schreiten der  Geschwulstbildung  trat  eine  vollständige  Anas- 


138 


S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


thesie  in  der  linken  Hand  ein;  am  Beine  war  der  Schmerz- 
sinn diesen  Tag  nur  in  geringem  Grade  erhalten. 

Parästhesien.  Interessanter  sind  die  Parästhesien. 
Schon  frühzeitig  vor  der  Aufnahme  ins  Krankenhaus  empfand 
Pat.  »P"rieren  am  Scheitel»,  und  diese  Parästhesien  hielten 
dann  längere  Zeit  an.  Er  liebte  es  auch,  den  Kopf  mit  einem 
Tuche  7.U  bedecken  und  sich  den  Kopf  7x\  reiben.  Auch 
hatte  er  Schmerzen,  welche  in  der  linken  Seite  lokalisirt 
wurden. 

Diese  Parästhesien  sind  gewiss  durch  die  Reizung  der 
Rinde  der  Centraiwindung  hervorgerufen. 

Motilität.    Auch  hier  finden  sich  sowohl  Irritations- 


wie  paralytische  Symptome.  Beide  sind  oben  kurz  erwähnt 
und  lassen  sich  leicht  erklären. 

Unerwartet  genug  traten  ("*;2,  ^/s)  die  Symptome  von 
Reizung  auch  in  der  rechten  Hand  und  im  rechten  Arm  auf 
Dies  di-irfte  durch  eine  Reizung  der  Pia  der  linken  Hemi- 
sphäre erklärt  werden.  Eine  solche  Reizung  wurde  bei  der 
Sektion,  wenn  auch  nur  geringfügig  (s.  Protokoll)  entdeckt,  und 
deutet  wie  die  Pialreizung  des  linken  Occipitallappens  und  die 
Zusammenlöthung  der  beiden  medialen  Flächen  vor  dem  Sple- 
nium  auf  ein  Übergreifen  der  Irritation  auch  auf  die  linke 
Gehirnhälfte. 

Die  übrigen  Symptome  bedürfen  keiner  besonderen 
Analyse. 


IV. 

über  die  Beziehung  der  Sehfasern  zu  den  CentralgangHen. 


Nachdem  ich  in  einer  vorhergehenden  Abhandlung  Ȇber 
hemiopische  Pupilienreaktion»  die  Beziehung  der  Pupillarfasern 
zu  den  Centraiganglien  abgehandelt  habe,  so  beabsichtige  ich 
in  diesem  Abschnitt  einige  Beiträge  zu  der  wichtigen  P'rage 
nach  dem  Verlaufe  und  der  Beziehung  der  eigentlichen  Seh- 
bahn zu  den  ihr  angrenzenden  CentralgangHen  zu  geben. 
Diese  Frage  hat  für  die  Anatomie,  die  Physiologie,  die  Pa- 
thologie und  die  Klinik  gleich  grosse  Bedeutung;  und  die 
früher  von  Anderen  gemachten  Beobachtungen  waren,  wie 
ich  schon  im  Teil  II.  S.  355  nachgewiesen  habe,  nicht  im 
Stande,  dieses  Problem  zu  lösen,  indem  aus  den  positiven 
Fällen  von  Hemianopsie  nicht  geschlossen  werden  konnte, 
welcherlei  Funktionen  den  verschiedenen  sogenannten  sub- 
kortikalen Ganglien  dem  äusseren  Kniehöcker,  dem  Pulvinar, 
dem  Thalamus  und  dem  Colliculus  anterior  zukommen. 


Übersicht  der  Fälle. 

a)  Läsion  der  dorsalen  Tractus-Fasern.  Quadrant-Hemian- 

opsie  nach  unten. 
Fall  12.  Heyden.    Taf.  XVII.  XVIII.  XIX. 

b)  Läsion  des  dorsalen  Abschnittes  des  Kniekörpers.  Qua- 

drant-Hemianopsie  nach  unten. 
Fall  13.  Esche.    Taf.  XX.  XXI. 

c)  Klinische  Fälle  von  Quadrant-Hemianopsie  nach  unten. 
Fall  14.  I.  E.  Andei'ssoii .  Thrombose(?)  in  den  CentralgangHen. 
Fall  Iß.  Hilda  Berg.    Lues  in  den  CentralgangHen. 

d)  Frische  Blutung  im  Thalamus.  Hemianopsie. 
Fall  16.  Hinrichseu.    Taf.  XVII,  XIX. 

Anhang:  Fall  Jan  Anderson  (Teil  I.  Fall  15).  Taf.  XIX. 

e)  Läsion  im  Thalamus  und  Pulvinar  ohne  Hemianopsie. 
Fall  17.  Brita  Eriksdotter.    Taf  XXV. 

Fall  18.  Christina  Jönsson.    Taf  XXII. 


Fall  12.  Heyden. 

48  Jahre.  Maler. 
Taf.  XVll.  3.4.  XVIII.  XIX. 


Klin.  Diagnose:  Multiple  Sklerose,  Hemlplegia,  HemianaBsthesia, 
Hemianopsia  partiahs  dextpa. 

Friedrich  Heyden  wurde  am  25.  Maj  1890  in  das  Kran- 
kenhaus in  Eppendorfif,  Hamburg  aufgenommen  und  starb  im 
alten  Krankenhaus,  Hamburg,  den  19.  Dec.  1893.  Die  Kran- 
kengeschichte und  das  Gehirn  sind  mir  von  Dr.  H.  Wilbrand 
gefälligst  überlassen  worden. 

Zusammenfassung.  Pat.  hatte  wenigstens  4  Schlag- 
anfälle sowohl  mit  linksseitiger  als  rechtsseitiger  Hemiplegie. 
Zufällig  wurde  eine  rechtsseitige  Quadrant-Hemianopsie  nach 
unten  entdeckt.  Die  Sektion  zeigte,  dass  eine  Destruktion 
der  dorsalen  Hälfte  des  Tractus  bestand.  Die  Fasern  für 
die  dorsalen  Retinahälften  liegen  also  dorsal  im  Tractus.  — 
Später  trat  eine  vollständige  Zerstörung  der  linken  Sehbahn 
auf  mit  sekundärer  Degeneration  der  Sehstrahlung  hinter  dem 
Kniehöcker.  Ausserdem  war  eine  ausgedehnte  Zerstörung  des 
Linsenkörpers  vorhanden. 

S.  E.  Menschen.    Pathologie  des  Gehiins. 


Anatom.  Diagnose:  Cyst£e  hamopphagiege  ambap.  hemisphffip. 

Anamnese.  Nach  Angaben  der  Frau  litt  Pat.  als  Kind 
am  kalten  Fieber,  war  später  häufig  magenleidend;  klagte  über 
Drurk  und  Volle  im  Leib,  Uber  Aopetitlosigkeit  und  trägen 
Stuhl,  ohne  Erbrechen.  Er  ist  seit  20  Jahren  verheirathet,  hatte 
5  Kinder,  von  welchen  3  früh  starben.  Eine  Fehlgeburt  hatte 
die  Frau  nie  gehabt.    Pat.  ist  kein  Potator, 

Vor  10  fahren  hatte  Pat,  einen  Schlaganfall,  er  fiel  beim 
Waschen  um  und  war  kurze  Zeit  bncn/sstlos.  mehrere  Stunden 
fehlte  die  Sprache,  später  fiel  eine  Lähmung  des  linken  Armes, 
besonders  der  Hand  auf  die  nach  einigen  Wochen  zurückging; 
doch  blieb  die  li//ke  Hand  immer  etwas  schwächer;  im  übrigen 
war  Pat,  auch  in  geistiger  Beziehung  in  den  letzten  10  Jahren 
völlig  normal. 

Am  ■*/io  i88g)  2:ter  A?ifall.  Ohne  Bewusstseinsstörung,  ohne 
Erbrechen,  erfolgte  eine  Lähmung  des  rechten  Armes  und  Beins; 

19 


140 


S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Pat.  lag  8  Tage  lang  zu  Bett,  hat  sich  dann  meist  zu  Hause 
aufgehalten  und  fing  im  Früjahr  wieder  an  zu  arbeiten. 

A/n  ^'/ö  iSjpo  j.ier  Anfall.  (Gleichfalls  oliiic  ßeicitsstsci/is- 
st'oruiig  mit  Erbrechen  und  Krämpfen.  Es  resultirte  eine  Läli- 
Diiing  des  liukcu  Arms  und  Lähmung  der  Schluckmusculatur.  die 
früher  niemals  mit  betroffen  war.  Wurde  am  -''/s  ins  Kranken- 
haus in  Eppendorff  aufgenommen. 

Status  praesens  den  25.  Mai  1890. 

Psyche.  Seit  dem  letzten  Anfall  ist  der  Frau  auch  das 
veränderte  psychische  Verhalten,  der  Stimmungswechsel  und  die 
GcdäcJitinsscJm'äche  aufgefallen:  vor  demselben  soll  er  geistig 
völlig  normal  gewesen  sein. 

Auch  die  Sprache  ist  seit  dem  Anfalle  erschwert  wwA  lallend. 

Kranialnerven. 

L     Geruch  ohne  Störung. 
III.    Pupillen  reagieren  direkt  und  indirekt. 
V.    Kaiivermögen  seheint  gestört^zii  sein. 
VII.    Im   Stirnfacialis   kein   Unterschied,   Orbicularis  oculi 
links  leichter  zu  Uberwinden  als  rechts.    Mittlerer  und  unterer 
Teil   des  linken   Facialis  deutlich  paretisch.    SjMtzen  der  Lippen 
und  Pfeifen  nicht  möglich.     Pharynx  wird  nur  wenig  gehoben, 
beide  Gaumenbögen  stehen  gleich  hoch. 

Buccinatorfunktion  wird  beiderseits  schwer. 
IX.     Geschmack  ohne  Störung. 

Schlucken  sehr  erschwert.  Pat.  kann  nur  flüssige  Nahrung 
mit  Anstrengung  schlucken. 

XI.    Hals-  und  Nackenmuskulatur  ohne  Störung. 

XII.  Die  Zunge  wird  zitternd  vorgestreckt,  etwa  i  cm., 
etwas  nach  links  abweichend.  Keine  fibrillären  Zuckungen  in 
den  Lippen  und  in  der  Zungenmusculatur. 

Sensibilität.    Tastsinn   überall  gut,  Schmerzempfindung 
desgleichen ;  Nadel-Spitze  und  -Kopf  wird  überall  richtig  gefühlt. 
Temperatursinn  normal. 

Motilität.  Schultermusculatur  rechts  funktioniert,  ist  aber 
leicht  zu  überwinden.  Triceps  und  Biceps  ziemlich  kräftig.  Beu- 
ger des  Vorderarms  kräftig,  Strecker  gleichfalls.  Daumenballen 
und  Kleinfingermusculatur  schwach.  Interossei  gut.  Links:  Der 
Arm  wird  nur  mit  Mühe  bis  zur  Horizontalen  gehoben.  Wider- 
stände können  mit  der  Schultermusculatur  nicht  überwunden 
werden.  Pectoralis  maj.  und  Triceps  gut.  Biceps  funktioniert. 
Supinator  longus  sehr  kräftig,  Beuger  des  Vorderarms  paretisch, 
Strecker  gleichfalls";  doch  können  von  beiden  letzteren  die  Be- 
wegungen noch  kraftlos  ausgeführt  werden.  Interossei  völlig  pa- 
retisch; in  geringem  Grad  Daumen-  und  Kleinfingermusculatur. 
Bein:  Die  grobe  Kraft  der  Unter-  und  Oberschenkelmusculatur 
nicht  einseitig  herabgesetzt. 

Der  Gang  ist  leicht  spastisch,  aber  sonst  ohne  Schwanken. 
Auch  bei  geschlossenen  Augen  kein  Schwanken. 

Reflexe.  Lebhaftes  Kniephänomen.  Achillessehnenkopf- 
reflex  vorhanden;  Andeutug  von  Fiissklonus.  Oberarm-  und 
Vorderarmreflex  normal. 


Hautreflex,  Plantarreflex  sehr  lebhaft.  Scrotal-  und  Abdo- 
minalreflex schwach:  schwacher  Schlundreflex.  Stuhlgang  und 
Urin  ist  in  den  letzten  Tagen  in  das  Bett  entleert  worden. 

^"/g.    Schluckvermögen  hat  sich  etwas  gebessert. 

Pat.    wurde   anfangs   nur   mit   der   Schlundsonde  ernährt. 

Status  wie  bei  der  Aufnahme. 

Pat.  erklärte  ganz   plötzlich,  entlassen  werden  zu  wollen, 
worin  er  von  seiner  Frau  unterstützt  wurde. 
Entlassen  gegen  ärztlichen  Rath. 

Wurde  am  7.  Nov.  1893  in  das  alte  Krankenhaus  in  Ham- 
burg aufgenommen. 

Status  den  7  Nov.  1893. 
Mässig  guter  Ernährungszustand. 
Pulmones  et  Cor  ohne  Befund. 

Äusserst  fötider  Geruch  aus  dem  Munde,  so  dass  der  ganze 
Saal  verpestet  wird,  Folge  der  Stomatitis.  Appetit  ist  gut;  Pat. 
ist.  obgleich  er  mit  der  Schlundsonde  ernährt  wird,  in  den  Spei- 
sen wählerisch. 

Psyche.  Fassungsvermögen  gut  erhalten,  ebenso  ein  feines 
Ciehör.  Pat.  versteht  Alles.  Stimmung  wechselt  sehr,  oft  traurig. 
Pat.  fängt  leicht  an  zu  weinen.  Trotz  seines  jahrelangen  Leidens 
ist  Pat.  noch  hoffnungsvoll. 

Sprache.  Sprache  fehlt.  Er  giebt  seine  Wünsche  durch 
Schreiben  auf  der  Schiefertafel  kund.  Die  Schrift  ist  sehr  im- 
deutlich,  da  der  Griffel  nicht  fest  von  der  Hand  gehalten  wer- 
den kann  und  die  Hand  zittert. 

Kranialnerven. 

II.  Es  bestand  LLeniianopsia  honionynia  incompleta  dextra, 
und  zwar  fehlte  der  ret  hte  untere  Quadrant  in  jedem  Auge. 
Die  Farben  schnitten  scharf  mit  dem  Defect  für  Weiss  ab.  Pe- 
rimetrisch war  das  Gesichtsfeld  nicht  aufzunehmen,  weil  Pat. 
stets  sobald  man  ihn  vor  den  Perimeter  setzte  laut  zu  weinen 
anfing.    (Dieser  Befund  wurde  mitte  November  bestätigt.) 

Die  Hemianopsie  wurde  zufällig  entdeckt,  weil  Pat.  eine 
Brille  zum  Lesen  haben  wollte.  Wie  lange  sie  bestand,  konnte 
nicht  eruirt  werden,  da  er  nie  über  einen  Gesichtsfeldausfall 
Klage  geführt  hatte.  Die  Sehschärfe  des  Patienten  war  gut. 
Der  Augenspiegelbefund  normal. 

V.  Der  Speichel  fliesst  fortwährend  aus  dem  Munde  (Fa- 
cialisparese). 

VIII.    Gehör  gut. 
IX.    Schlucken   unmöglich.     Pat.   führt   sich   selbst  die 
Schlundsonde  gut  ein,  hauptsächlich  mit  der  Unken  Hand. 

Sensibilität  ist  nicht  zu  prüfen,  da  Pat.  wegen  der  feh- 
lenden Sprache  keine  genaue  Angaben  machen  kann. 

Motilität.  Parese  des  rechten  Arms  und  Beins;  geringere 
des  linken  Armes;  mit  der  rechten  Hand  ist  das  Schreiben  noch 
möglich. 

Gang  ist  etwas  unsicher  und  nach  vorn  schiessend:  doch 
fällt  Pat.  nie. 

Nachts  ist  Pat.  unruhig:  am  Tage  gar  nicht  im  Bett  zu  halten. 
\\'egen  des  (Geruchs,  den  Pat.  verbreitet,  wird  er  auf  ein 
Zimmer  für  sich  gelegt. 


ÜBER  DIE  BEZIEHUNG  DER  SEHFASERN  ZU  DEN  CENTRALGANGLIEN 


Ul 


^/ii.    Fat.  steht  auf.  Albuminurie, 
'"/u.    Urin  normal, 
^^/ii.    Stuhl  verstopft. 

^/i2.  Bisher  war  der  Zustand  des  Fat.  immer  der  gleiche 
geblieben;  heute  neuer  apoplektiscker  Insult,  etwas  teilnahnilos. 
Farese  der  rechten  Extremitäten  verstärkt;  Schreiben  nicht  mehr 
möglich.  Schlundsonde  wird  dagegen  noch  eingeführt.  (Jestern 
stand  Fat.  wohl  über  eine  Stunde  immer  auf  demselben  Fleck, 
sich  am  Bettpfosten  festhaltend ;  bald  darauf  konnte  er  nicht 
mehr  gehen.    Ord.  Bettruhe. 

''/12.    In  einer  Woche  4^2  kg.  abgenommen. 

Fat.  wird  teilnahmloser;  Schlundsonde  kann  er  nicht  mehr 
einführen. 

*^/i2.  Am  Tage  3,  in  der  Nacht  4  epileptiforme  Anfälle. 
^*'/i2.    Fieber;  Fneumonie. 

H.  R.  U.  handbreit  Dämpfung:  abgeschwächtes  Athmungs- 
geräusch. 

^7i2.  Wieder  epileptiforme  Anfälle;  Zunahme  der  Dämp- 
fung. 

^^/i2.    Dämpfung  bis  zur  Spitze. 
*^/i2  1893.  Gestorben. 

Sektion. 

Beschreibung  des  gehärteten  Gehirns. 

Die  Fia  ist  überall  mit  Ausnahme  des  Occipitallappens 
verdickt,  etwas  weisslich  und  derb.  Sie  löst  sich  überhaupt  von 
der  Rinde  leicht  ab,  ausgenommen  an  einigen  umschriebenen 
Stellen,  nämlich 

a)  an  der  linken  Hemisphäre,  wo  die  Fia  mit  der  Rinde 
des  vorderen  Abschnittes  der  unte'-en  Fläche  des  Temporallappens 
verlöthet  ist; 

b)  an  der  rechten  Hemisphäre  ist  die  Pia  fester  angelöthet 
i)  am  vorderen  Abschnitt  des  F'^  in  einer  Ausdehnung  von 
etwa  2,5  cm.; 

2)  am  Gyrus  angularis  da,  wo  die  Rinde  erweicht  ist 
(einige  cm.); 

3)  am  Gyrus  parietalis  superior; 

4)  am  Gyrus  occipitalis  superior. 

Die  Gefässe  sind  steif  ohne  grössere,  gelbe  atheromatöse 
Herde. 

Die  linke  Hemisphäre. 

Laterale  Fläche.  Sie  hat  normale  Form,  und  die  Gyri 
zeigen  nichts  Abnormes.    Die  Rinde  ist  nirgends  erweicht. 

Die  ventrale  Fläche  ist  normal.  Am  vorderen  Abschnitte 
des  Temporallappens  haftet  die  Pia  etij'as  fester  an  der  Rinde. 

Der  Occipitallappen  (Taf  XVII.  Fig.  4)  ist  in  toto  ge- 
schrumpft. Dies  tritt  jedoch  an  der  lateralen  Fläche  weniger 
als  an  der  medialen  Seite  hervor.  Die  Cuneusfläche  liegt  unter 
der  Ebene  der  übrigen  medialen  Fläche.  Die  Fissura  occipito- 
parietaHs  ist  weiter  offen  als  gewöhnlich.  Die  Schrumpfung 
scheint  fasst  nur  den  Cuneus  betroffen  zu  haben.  In  Folge  dessen 
misst  der  Cuneus  vorn  kaum  3  cm.  an  Höhe,  in  seiner  Mitte 
kaum  2  cm.  und  in  sagittaler  Richtung  an  seiner  Basis  nur 
4  cm. 

Die  Grösse  des  Lobulus  lingualis  scheint  mir  auch  etwas 
vermindert  zu  sein. 


Die  Rinde  ist  überall  normal  und  die  Pia  kann  leicht 
abgelöst  werden. 

Frontalschnitte  durch  die  Centraiganglien  (Taf  XVIII.  XIX). 
p  cm.  vor  der  Occipitalspitze  (entspricht  beinahe  der  Fig.  4. 
Taf  XVIII).  Der  Schnitt  fällt  durch  den  hinteren  Abschnitt  des 
Thalamus.  Hier  tritt  gleich  eine  Cyste,  welche  fast  den  ganzen 
Linsenkörper  einnimmt,  hervor.  Diese  Cyste  ist  hier  nahe  an 
ihrem  hinteren  Ende  getroffen,  sie  erstreckt  sich  dann  nach  vorn 
durch  drei,  i  cm.  dicke,  Scheiben  und  misst  also  in  sagittaler 
Richtung  gut  3  cm.  Vom  Linsenkörper  ist  nichts  erhalten  ge- 
blieben. 

Am  Schnitt  9  cm.  misst  die  Cyste  in  frontaler  Richtung 
2  —  2.5  m.m.,  in  der  Höhe  12  m.m.,  berührt  nach  oben  die 
Capsula  interna,  nach  aussen  die  Capsula  externa,  nach  unten 
ist  sie  durch  eine  5  m.m.  dicke  Wand  vom  Dach  des  Unter- 
horns getrennt.  Die  AVand  der  Cyste  ist  in  einer  Breite  von 
einigen  Mm.  pathologisch  verändert.  Ausserdem  findet  sich  ein 
kleiner  rundlicher,  pathologischer  Herd  von  c:a  3  +  3  m.m.  in 
der  Gitterschicht  des  Thalamus,  5  m.m.  ventral  von  der  dorsalen 
Oberfläche  des  Thalamus,  und  berührt  die  mediale  Fläche  der 
inneren  Kapsel.  Der  Herd  hat  etwas  loses  Gewebe  und  setzt 
sich  in  das  Pulvinar  fort.  Die  innere  Kapsel  selbst  ist  etwas 
gelblich,  ob  degenerirt,  lässt  sich  makroskopisch  nicht  bestimmen. 
Der  Tractus  opticus  ist  hier  nicht  berührt. 

Schnitt  10  cm.  (fällt  durch  den  Fornixschenkel,  entspricht 
beinahe  Taf.  XVIII.  Fig.  i).  Die  Cyste  ist  bedeutend  grösser 
und  nimmt  das  ganze  Futamen  ein;  sie  erstreckt  sich  nach  oben 
bis  zur  inneren  Kapsel ;  medialwärts  hat  sie  die  zwei  unteren 
Drittel  des  mittleren  Gliedes  des  Linsenkörpers  zerstört,  aber  das 
oberste  zurückgelassen  sowie  das  innere  Glied.  Sonst  keine  Ver- 
änderung in  den  Centraiganglien.  Der  Tractus  ist  nicht  berührt, 
die  insuläre  Rinde  auch  nicht. 

Schnitt  II  cm.  Hier  ist  dij  Cyste  gegen  den  äusseren 
Abschnitt  des  Futamens  scharf  begrenzt;  sie  berührt  nach  aussen 
die  äussere  Kapsel,  nach  oben  die  Frontalstrahlung,  nach  innen 
den  erhalten  gebliebenen  Teil  des  Futamens.  Die  Breite  8  m.m., 
die  Höhe  22  m.m.    Das  umgebende  Gewebe  ist  normal. 

Im  Übrigen  war  noch  folgendes  zu  konstatiren. 

Der  Thalamus  ist  im  Ganzen  nicht  geschrumpft,  wenn  auch 
die  mediale  Fläche  an  dem  gehärteten  Präparate  etwas  einge- 
sunken ist. 

Das  Fulvinar  ist  dagegen  bedei^tend  vermindert  und  ge- 
schrumpft, ohne  gröbere  Erweichungen  der  Oberfläche  zu  zeigen. 
Doch  ist  es  an  der  Oberfläche  von  etwas  weicher  Konsistenz. 

Das  Corpus  geniculatum  internuni  ist  ein  wenig  kleiner 
als  normal. 

Das  Corpus  geniculatum  externum  kann  nicht  untersucht 
werden,  da  das  Präparat  für  mikroskopische  Untersuchung  auf- 
bewahrt wurde. 

Corpora  4-gemina.  Der  Colliculus  anterior  ist  links  etwas 
mehr  platt  als  rechts,  sonst  normal. 

Der  Colliculus  posterior  ist  beiderseits  gleich  und  normal. 

Die  Occipitalstrahlung  ist  schmal  und  unten  kaum  3  m.m. 
dick;  sonst  keine  makroskopische  Veränderung. 


J42 


S.  E.  MENSCHEN. 


PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Die  rechte  Hemisphäre. 

Laterale  Fläche.  Die  allgemeine  Form  nicht  verändert. 
Gyri  von  normaler  Form. 

Froiiiallappen.  Die  drei  Gyri  sind  kräftig  entwickelt.  Am 
vorderen  Abschnitt  des  F'  in  einer  .Viisdehnvmg  von  24-2  cm. 
ist  die  Rinde  lose,  aber  ohne  deutliche  Verfärbung.  Die  an- 
grenzenden Gyri  sind  normal. 

Ccntralwiudiingen.  Ihre  Konfiguration  etwas  abweichend 
von  der  normalen.  In  der  oberen  Hälfte  der  hinteren  Centrai- 
windung ist  die  Rinde  in  einer  Ausdehnung  von  2  cm.  weich 
ohne  eine  deutliche  Verfärbung  zu  zeigen.  Dieser  Fleck  liegt  3 
cm.  lateral  von  der  Mittellinie.    Die  Pia  adhärirt  hier  nicht, 

Parietallappeii.  Im  P^  besteht  auch  eine  solche  kortikale 
Erweichung,  nahe  der  Fissura  intraparietalis.  Grösse  c:a  i  + 1 
cm.    Die  Pia  adhärirt  hier. 

Oceipitallappeii.  Laterale  Fläche.  O'  ist  im  Ganzen  normal, 
aber  an  der  Grenze  gegen  O'  findet  sich  eine  kleine  15  +  5  m.m. 
messende  eingesunkene  kortikale  Malacie,  i  cm.  nach  hinten 
aussen  von  der  Fissura  parieto-occipitalis. 

Ausserdem  zeigt  eine  grössere  kortikale  Erweichung, 
welche  den  vorderen  Abschnitt  des  0'^  den  hinteren  des  A  und 
den  oberen  hinteren  des  T-  einnimmt.  Die  Fläche  misst  etwa 
4  +  2  cm.,  ist  nicht  verfärbt.    Die  Pia  adhärirt  hier  leicht. 

Mediale  Fläche.  Sie  ist  völlig  normal.  Besonders  wurde 
die  Cuneusfläche  untersucht. 

Durchsclinitte.  Schnitt  4  cm.  hinter  dem  frontalen  Pole. 
Entsprechend  dem  Caput  nuclei  caudati  findet  sich  unmittelbar 
lateral  vom  Ependym  des  Vorderhorns  eine  2  cm.  hohe  und  4 
m.m.  breite  Cyste,  welche  also  dieselbe  Höhe  wie  das  vergrösserte 
Horn  hat.  Diese  Cyste  setzt  sich  durch  die  nächste  i  cm. 
dicke  Scheibe  fort. 

Schnitt  5  etil.  (Fig.  3.  Taf.  XVII.)  Die  viereckige  Cyste 
nimmt  hauptsächlich  den  mittleren  Abschnitt  des  Putamens  und 
der  frontalen  Strahlung  ein,  misst  in  der  Höhe  7  m.m..  in  Breite 
15  m.m.  und  wird  nur  durch  das  Ependym  vom  Vorderhorn 
getrennt  und  lässt  teils  den  dorsalen  Teil  des  Caput  nuclei  cau- 
dati, teils  den  ventralen  Abschnitt  des  Putamens  unversehrt.  Die 
Umgebung  ist  von  fester  Konsistenz.  Diese  Cyste  dringt  noch 
'/2  cm.  nach  hinten  in  die  zunächst  nach  hinten  liegende 
Scheibe  ein  und  misst  also  in  frontaler  Richtung  2  cm. 

Auf  dem  Schnitt  etwa  p  cm.  vor  dem  occipitalen  Pole 
oder  durch  etwa  die  Mitte  des  rothen  Kerns  findet  sich  im 
Thalamus  4  m.m.  unter  der  dorsalen  Fläche,  6  cm.  medial  von 
der  inneren  Kapsel  und  5  m.m.  dorsal  vom  rothen  Kern  eine 
kleine  in  frontaler  Richtung  5  m.m.,  in  vertikaler  i — 3  m.m. 
messende  Erweichung,  welche  also  weder  die  Haubenstrahlung, 
oder  die  Gitterschicht  noch  die  innere  Kapsel  berührt. 

Schnitt  7  cm.  vor  dem  occipitalen  Pole  in  der  Höhe  des 
Balkens  eine  unbedeutende  Erweichung  im  Tapetum. 

Kleinhirn  und  Medulla  oblongata  ohne  makroskopische  pa- 
thologische Veränderungen. 

Mikroskopisches. 

Die  Centralganglien  der  linken  Hemisphäre. 

Wie  schon  bei  der  makroskopischen  Sektion  klar  wurde 
und  aus  den  beigefügten  Figuren  erhellt,  nimmt  eine  grosse 
Cyste  das  Gebiet  des  Putamens  in  grosser  Ausdehnung  ein.  Ob 


diese  Cyste  die  Folge  einer  Hämorrhagie  oder  einer  Malacie 
ist,  ist  schwer  zu  .sagen.  Für  eine  vorhergehende  Blutung  spricht, 
dass  die  Wände  der  Cyste  mit  reichlichem  Blutpigment  infiltrirt 
sind. 

Diese  Blutung  hat  den  mittleren  Teil  des  Putamens  völlig 
zerstört  und  hier  sieht  man  (Taf.  XVIII.  Fig.  2.  3)  an  den  Wänden 
die  Gewebsreste;  bei  zunehmender  Blutung  ist  das  Blut  an  der 
Aussenseite  des  Putamens  nach  vorn  gedrungen. 

Die  in  dem  umgebenden  Gewebe  vorhandene  Ausdehnung 
der  Gefässe  deutet  auf  eine  bedeutende  Cirkulation.sstörungen. 

Die  Cyste  erstreckt  sich,  wie  aus  den  Fig.  i — 5.  Taf. 
XVIII  erhellt,  nach  vorn  ungefähr  bis  zum  Caput  Putaminis. 
An  den  frontalsten  Schnitten  meiner  Schnittreihe  tritt  sie  in  Form 
eines  vertikalen,  i  cm.  hohen  und  i  m.m.  breiten,  Schlitzes  an 
dem  lateralen  Umfange  des  Putamens  auf,  und  unmittelbar  medial 
von  und  parallel  mit  der  Capsula  externa.  Nach  hinten  behält 
die  Cyste  dieselbe  Form  und  ungefähre  Grösse  an  den  nächsten 
etwa  80  Schnitten,  vergrössert  sich  dann  an  den  nächsten  130 
Schnitten  allmählich  sowohl  in  vertikaler  wie  in  frontaler  Rich- 
tung und  misst  an  Höhe  1.5  cm.,  an  Breite  3  —  5  m.m.  Das 
Caput  Putaminis  ist  fortdauernd  wenig  ergriffen. 

Dann  erweitert  sich  die  Cyste  ansehnlich  in  der  Ebene  der 
vorderen  Kommissur  und  misst  in  der  Höhe  2  cm.  in  der  Breite 
I  cm.  und  greift  auf  das  Putamen  destruirend  über.  Nach  oben 
erreicht  die  Cyste  die  Ebene  der  Oberfläche  des  Thalamus,  nach 
unten  die  Commissura  anterior  (Fig.  i.  Taf.  XVIII)  und  die 
untere  Fläche  des  Linsenkörpers. 

Weiter  nach  hinten  greift  die  Cyste  auch  auf  die  übrigen 
Glieder  des  Linsenkörpers  über,  dringt  auch  nach  innen  unten, 
durchsetzt  die  innere  Kapsel  und  den  Pes  und  greift  selbst  auf 
den  Tractus  opticus  vom  oben  aussen  über  (Fig.  2.  3.  Taf. 
XVIII).  Die  Cyste  hat  hier  nicht  so  ebene  Wände,  sondern 
ist  von  fetzigen  Resten  des  Hirngewebes  begrenzt. 

Dann,  entsprechend  der  Fläche  des  Corpus  mammillare, 
beginnt  die  Cyste  sich  zu  vermindern;  sie  bildet  unmittelbar 
unter  der  inneren  Kapsel  einen  dreieckigen  Raum  (Fig.  3.  4. 
Taf.  XVIII)  und  zieht  sich  schnell  zusammen.  Aber  mit  einer 
Spitze  setzt  sie  sich  nach  hinten  fort.  Diese  dringt  (Fig.  4.  5. 
Taf.  XVIII)  nach  hinten  bis  zu  der  frontalen  Fläche  de  säusseren 
Kniehöckers  und  der  hinteren  Kommissur,  also  bis  zum  hinter- 
sten Ende  des  Putamens,  und  liegt  hier  dorsal  vom  Wernicke"schen 
Feld  des  Kniehöckers. 

Durch  diese  Cystenbildung  wurden  auch  verschiedene  an- 
grenzende Teile  nachteilig  eingewirkt,  wie  aus  der  folgenden 
Beschreibung  hervorgeht.  Am  meisten  affizirt  sind  der  Linsen- 
körper und  die  innere  Kapsel. 

Nticleus  caudatus.  Caput  und  Corpus  sind  erhalten  ge- 
blieben, aber  die  Cauda  (in  der  Nähe  des  äusseren  Kniehöckers) 
blutig  imbibirt  und  in  Bindegewebe  verwandelt. 

Capsula  interna.  Die  Cyste  liegt  in  grosser  Ausdehnung 
von  etwa  250  Schnitten  an  der  Aussenseite  der  inneren  Kapsel, 
an  den  frontalsten  Schnitten,  jedoch  nur  an  den  dorsalsten  Bün- 
deln an,  und  zwar  nicht  unmittelbar,  dann,  Fig.  i.  Taf.  XVIII, 
an  etwa  100  Schnitten  den  obersten  Bündeln  unmittelbar  an, 
ohne  sie  zu  zerstören. 


ÜBER  DIE  BEZIEHUNG  DER  SEHFASERN  ZU  DEN  CENTRALGANGLIEN 


143 


An  den  folgenden  etwa  70  Schnitten  ist  die  Kapsel  an 
5  — 10  m.m.  in  ihrem  ventralen  Teil  völlig  zerstört  (Fig.  2.  3. 
Taf.  XVIII).  Diese  Zerstörung  trifft  die  Kapsel  teils  in  ihrer  hal- 
ben Höhe,  (Fig.  2),  teils  weiter  nach  hinten  mehr  den  Übergang 
der  Kapsel  in  den  Pes  (Fig  3). 

Der  occipitale  Abschnitt  der  Kapsel  ist  Uberhaupt  unversehrt 
(Fig.  4)  und  nur  im  medialen  Rande  oben  von  der  im  Thalamus 
liegenden  Blutung  berührt. 

Der  Pes  zeigt  am  lateralen  Rande  eine  begrenzte  Atrophie; 
am  meisten  ist  das  TUrck'sche  Bündel  betroffen.  (Fig  5.  Taf. 
XVIII). 

Linsenkörper.  Caput  lentis.  An  den  frontalsten  Schnit- 
ten ist  das  Gewebe  des  Linsenkörpers  fast  gar  nicht  zerstört^ 
aber  wegen  der  Cyste  besteht  hier  eine  auffallende  Cirkulations- 
störung.  Die  Gefässe  sind  sehr  ausgedehnt  und  mit  Blut  sehr 
gefüllt,  die  Bündel  in  den  der  Cyste  angrenzenden  Partien  färben 
sich  nicht,  während  die  entfernteren  Bündel  sich  gut  färben. 
Eine  tiefere  Ernährungsstörung  des  Grundgewebes  und  der  Zellen 
scheint  nicht  zu  bestehen.  So  verhält  sich  die  Sache  an  den 
frontalsten  200 — 250  Schnitten. 

Corpus  lentis.  Weiter  nach  hinten,  in  der  Ebene  der  vor- 
deren Kommissur,  wo  die  Cyste  bedeutend  grösser  ist,  zeigt  es 
sich,  dass  die  Cyste  nicht  an  der  lateralen  Peripherie  des  Linsen- 
körpers, sondern  innerhalb  der  lateralen  Partie  des  Putamens 
liegt.  Das  Gewebe  ist  hier  von  der  Cyste  in  gewisser  Aus- 
dehnung (3 — 4  m.m.)  zerstört  und  durch"  den  Druck  bedeutend 
verändert,  indem  die  Faserbündel  ganz  entfärbt  sind,  und  Blut- 
pigment hie  und  da  gefunden  wiid. 

Weiter  nach  hinten  (Fig.  i.  Taf.  XVIII)  ist  das  Putamen 
bedeutend  schmäler  und  weiter  occipitalwärts  (Fig.  2)  vollständig 
destruirt  und  resorbirt  (Fig.  3.  4);  nur  die  occipitalsten  Ausläufer 
(Fig.  5)  sind  zum  Teil  erhalten  geblieben. 

Von  den  inneren  Gliedern,  Globus  pallidus,  existirt  zwar 
der  frontale  Abschnitt  des  mittleren  Gliedes  bis  zur  Ebene 
des  Nuclens  anterior  Thalami,  aber  die  Laminae  medulläres  sind 
entweder  gänzlich  verschwunden,  oder  ihre  Fasern  nehmen  kaum 
Farbe  an  oder  existiren  nur  stückeweise.  Das  Gewebe  scheint 
morsch,  Zerfall  begriffen.  Nur  auf  einer  kleineren  Strecke 
ist  der  Globus  pallidus  besser  erhalten  geblieben.  Mehr  nach 
hinten  (Fig.  2.  3)  ist  er  völlig  destruirt,  und  nur  Gewebsreste 
in  Form  fester  Bindegewebsstränge  sind  noch  übrig  geblieben. 

Die  Verbindungen  zwischen  dem  Linsenkörper  und  dem  Caput 
nuclei  caudati  treten  (Präp.  nach  Weigert)  als  gelbe  verfärbte 
Stränge  zwischen  den  gut  gefärbten  Fasern  der  Capsula  interna 
hervor. 

Die  Ansa  lenticularis  existirt  frontal  von  der  Commissura 
anterior  nur  als  sehr  schwache  und  entfärbte  Bündel  (Fig.  i ); 
weiter  nach  hinten  (Präp.  b.  106  etc.)  ist  sie  auffallend  kräftiger 
und  intensiver  gefärbt,  obschon  der  Globus  pallidus  hier  fast  total 
zerstört  ist,  und  ihre  Bündel  zeichnen  sich  beim  Durchgang  durch 
die  bleiche  innere  Kapsel  sehr  scharf  ab.  Diese  treten  makro- 
skopisch mit  der  Columna  Thalami  in  Verbindung.  Noch  weiter 
nach  hinten  ist  die  Ansa  in  der  Ausdehnung,  wo  der  Globus 
palHdus  zerstört  ist,  auch  fast  destruirt.  Es  bestehen  jedoch 
noch  Reste  gefärbter  Bündel. 


Die  Commissura  anterior  ist  zum  Teil  zerstört  und  etwas 
schwach  gefärbt  (Fig.  i). 

Thalamus  opticus.  Dieses  Ganglion  ist  überhaupt  wenig 
ergriffen  und  ///  de/i  frontalen  Abschnitten  gar  nicht.  Die  Figur 
I  zeigt,  dass  die  Cyste  vorn  das  Ganglion  gar  nicht  berührt; 
weiter  nach  hinten  dringt  die  Cyste  durch  die  innere  Kapsel  bis 
zur  Gitterschicht  in  grosser  Ausdehnung  hervor,  entfernt  sich 
dann  vom  Ganglion.  Dagegen  findet  sich  im  occipitalen  Ab- 
schnitte in  der  Ebene  des  Kniekörpers  in  der  Gitterschicht  eine 
kleine  unregelmässige  Blutung  (Fig.  4.  5),  welche  an  einer  Reihe 
von  etwa  100  Schnitten  kenntlich  ist  und  demnach  in  sagittaler 
Richtung  3  —  4  m.m.  misst.  Diese  Blutung  misst  im  Durchmesser 
höchstens  5  m.m.  Die  umgebenden  Fasern  sind  etwas  entfärbt 
oder  in  einer  Ausdehnung  von  i  —  2  m.m.  zum  Teil  degenerirt. 
Sie  liegt  entsprechend  dem  hinteren  Drittel  der  inneren  Kapsel. 

Da  der  frontale  Abschnitt  des  Thalamus  von  der  Zerstörung 
nicht  getroffen  ist,  so  dürfte  eine  eingehende  Beschreibung  über- 
flüssig sein.  Nur  so  viel  verdient  hier  erwähnt  zu  werden,  dass 
der  Nucleus  anterior  normal  ist  und  seine  Kapsel  kräftig. 

Der  Nucleus  externus  ist  auch  im  vorderen  Abschnitte 
normal  mit  zahlreichen  kräftigen  Balken,  nur  dass  hier  die  von 
der  Ansa  lenticularis  kommenden  Bündel  sehr  schwach  sind. 

Mittlerer  Abschnitt.  Hier  hat  die  Cyste  auf  einer  Strecke 
von  etwa  50  Schnitten  oder  mehr  die  Capsula  durchbrochen 
und  hat  auch  die  angrenzende  Gitterschicht  (Fig.  2)  in  ihrem 
mehr  ventralen  Teile  affizirt,  wie  die  Figuren  am  besten  zeigen. 

Der  dorsale  Teil  der  Gitterschicht  ist  sonst  erhalten,  wie 
auch  die  Hauptmasse  des  Thalamus. 

Geschützt  vor  der  Einwirkung  der  Cyste  (resp.  Blutung) 
durch  die  kräftige  innere  Kapsel,  scheint  der  Thalamus  hinsicht- 
lich seiner  Textur  gut  erhalten,  ausgenommen  da,  wo  die  innere 
Kapsel  durchbrochen  ist,  wo  eine  schmale  Zone  von  etwa  i 
m.m.  zerstört  ist. 

Der  Nucleus  internus  ist  überall  unversehrt. 

Im  occipitalen  Abschnitt  des  Thalamus  tritt  im  dorsalen 
Teil  der  Gitterschicht  die  schon  erwähnte  Blutung  auf,  welche 
das  Gewebe  durchweicht.  Sonst  ist  der  Thalamus  im  Ganzen 
erhalten  und  in  der  Ebene  des  Ganglion  habenulae  sind  sowohl 
Fasern  wie  das  Gewebe  völlig  normal. 

Pulvinar.  Der  occipitalste  Teil  des  Pulvinar  ist  vollständig 
in  Bindegewebe  umgewandelt.  Man  sieht  hier  weder  Zellen,  noch 
Fasern.  Mehr  nach  vorn  treten  die  von  der  Occipitalstrahlung 
und  inneren  Kapsel  in  das  Ganglion  eintretenden  Fasern  und 
Bündel  auf,  aber  der  dorso-mediale  Abschnitt  ist  noch  an  Wei- 
gert'schen  Präp.  völlig  bleich;  der  ventrale  Abschnitt  in  der 
Nähe  des  innneren  Kniehöckers  ist  noch  recht  reich  an  Fasern. 
Mehr  nach  vorn  wird  das  Aussehen  allmählich  mehr  normal. 

Nucleus  ruber  scheint  normal  zu  sein  wie  auch  die  LLauben- 
strahlung. 

Der  Luys'sche  Körper  liegt  unmittelbar  dorsal  von  der 
durch  Blutung  verursachten  Zerstörung  der  inneren  Kapsel  (resp. 
Pes),  und  es  hat  die  Zerstörung  auch  dieses  Ganglion  erreicht. 
Im  Folge  dessen  befindet  sich  der  Körper  zum  frössten  Teile 
in  körnigem  Zerfall,  obschon  man  noch  daselbst  Bruchstücke  von 
Fasern  sowie  auch  Zellen  findet.  Die  Kontur  (Kapsel  des  Gang- 
lions) zeichnet  sich  nicht  deutlich  ab.    Der  dorsale  Teil  ist  etwas 


144 


S.  E.  RENSCHEN.     PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


besser  erhalten  als  der  ventrale.  Vom  dorsomedialen  Rande 
ziehen  schwache  Bündel  nach  oben-innen  hin.  aber  jede  Ver- 
bindung in  ventraler  Richtung  scheint  aufgehoben. 

Die  Snbstantia  nigra  ist  auf  einer  kurzen  Strecke  teilweise 
zerstört. 

Das  optische  System. 

Dieses  System  ist  an  mehreren  Stellen  und  in  grösser  Aus- 
dehnung laedirt.  Ausserdem  finden  sich  sehr  auffallende  sekun- 
däre Degenerationen. 

Für  die  Figuren  sind  diejenigen  Stellen  mit  Vorliebe  aus- 
gewählt, wo  die  Läsionen  der  Sehbahn  charakteristisch  sind. 

Der  äussere  Kniehöcker  (Fig.  4.  5.  Taf  XVIII).  Nur  der 
frontalste  Abschnitt,  wo  der  Tractus  in  das  Ganglion  übergeht, 
und  wo  seine  Form  noch  erhalten  ist,  existirt  noch,  und  zwar 
in  einer  Strecke  von  100  Schnitten,  also  etwa  3  m.m.  An  den 
frontalsten  dieser  Schnitte  ist  nur  die  mediale  Spitze  (also  etwa 
V-t — Vß)  noch  übrig;  die  ventro-  und  dorso-mediale  Kapsel  ist 
hier  recht  kräftig,  die  Markleisten  und  die  Fasernetze  zeichnen 
sich  gut  ab,  und  die  Zellen  sind  noch  vorhanden,  wenn  auch  ver- 
ändert.  Ihre  Konturen  sind  abgerundet,  aber  scharf  (atrophisch?). 

Die  übrige  Hauptmasse  des  Ganglions  ist  verödet  oder 
atrophisch,  die  dorso-laterale  Kapsel  zum  grossen  Teil  verschwun- 
den, die  laterale  fast  vollständig  weg.  und  nur  am  ventralen 
Rande  besteht  noch  ein  Streifen  mit  erhaltenen  Fasern. 

Der  occipitale  Abschnitt  des  Ganglions  ist  total  in  Bindege- 
webe verwandelt,  und  es  ist  selbst  schwierig,  seine  Lage  zu  be- 
stimmen. Er  ist  mit  dem  Pulvinar  zusammengeschrumpft  (Fig.  6. 
Taf.  XVIII). 

Das  laterale  Jl'ernicke'sche  Feld  ist  völlig  bleich,  alle  Fasern 
sind  völlig  verödet,  mit  Ausnahme  vielleicht  einer  Anzahl  der  dor- 
salen. An  ihrer  Stelle  findet  sich  ein  blutinbibirtes,  kernreiches 
Bindegewebe.  Das  atrophische  Feld  erreicht  die  ventrale  Fläche 
des  Pulvinar  und  ist  etwa  4  m.m.  hoch.  Nach  vorn  erstreckt  es 
sich  längs  des  Tractus  bis  gegen  die  Cyste  (Fig.  4) ;  seine  Lage 
und  Grösse  im  Ganzen  erhaltend;  nach  hinten  dehnt  es  sich 
bis  in  den  dorsalen  Abschnitt  der  Sehstrahlung  hin  aus  (Fig.  5.  6). 

Alle  vom  ventrolateralen  Gebiete  des  Kniehöckers  kom- 
menden Sehfasern  sind  verödet,  eine  Anzahl  der  von  der  dor- 
salen Kapsel  stammenden  vielleicht  erhalten.  Auch  diese  sind 
wahrscheinlich  an  irgend  einem  Punkte  durchtrennt. 

Tractus  opticus. 

Der  occipitalstc  Abschnitt.  Unmittelbar  vor  dem  Kniehöc- 
ker hat  der  Tractus  seine  Form  erhalten;  der  dorsale  Abschnitt 
ist  am  meisten  atrophisch,  und  dorsal  vom  Tractus  liegt  ein  blei- 
ches atrophisches  Feld,  wie  auch  lateral  vom  Tractus,  wo  ein 
blutig  imbibirtes  Gebiet  existirt.  Innerhalb  des  Tractus  findet 
sich  a)  ein  kleines  atrophisches  Feld  ventro-lateral,  und  b)  längs 
dem  ventralen  Rand  Hegt,  nach  unten  von  einem  Streifen  nor- 
maler Fasern  begrenzt,  ein  gelber  atrophischer  Streifen,  welcher 
sich  bis  zur  medialen  Spitze  des  Tractus  hin  erstreckt. 

Diese  Atrophien,  welche  alle  sekundärer  Natur  sind,  behal- 
ten weiter  nach  vorn  ihre  Lage  bis  zu  dem  Punkte,  wo  die  pri- 
märe Läsion  den  Tractus  getroffen  hat. 

Etwa  30  Schnitte  weiter  nach  vorn,  i-,  höchstens  2 — 3  m.m. 
frontal  von  dem  äusseren  Kniehöcker,  liegt  die  primäre  Läsion 


des  Tractus.  Diese  hat  dann  in  einer  Strecke  von  etwa  75 
Schnitten,  also  3 — 4  m.m.,  ihre  deletäre  Einwirkung  auf  den 
Tractus  ausgeübt. 

Die  Fig.  3.  zeigt,  dass  die  Läsion  hier  auf  den  Tractus 
übergegriffen  hat.  und  zwar  von  dem  dorsolateralen  Umfange  aus. 
An  einigen  benachbarten  Schnitten  sieht  man  dieses  noch  besser. 
Hier,  wie  überall,  ist  überhaupt  (s.  Fig.  2.  3.)  die  mediale  Spitze 
unversehrt,  gut  gefärbt  und  enthält  normale  Fasern;  der  ventrale 
Umfang  ziemlich  gut  erhalten,  aber  gleich  dorsal  von  der  er- 
halten gebliebenen  Peripherie  liegt  längs  des  unteren  Randes  ein 
gelber  atrophischer  Streifen.  Sonst  sind  die  lateralen  et^ca  "^/s 
mit  umschriebenen,  unregelmässigen  atrophischen  Partien  durch- 
setzt; der  dorso-laterale  Abschnitt  ist  (Fig.  3.)  völlig  atrophisch 
in  der  Ausdehnung,  wie  sie  die  Figur  angiebt. 

Folgen  wir  dem  Tractus  nach  vorn,  so  verändert  sich  das 
Aussehen  wenig,  aber  die  atrophische  dorso-laterale  Partie  ver- 
schiebt sich  medialwärts  übrigens  ist  der  Durchschnitt  ziem- 
lich normal,  jedoch  mit  den  erwähnten  eingestreuten,  kleinen 
Atrophien.  Der  gelbe  atrophische  ventrale  Streifen  besteht  fast 
bis  zum  Chiasma.  aber  verschiebt  sich  lateralwärts. 

In  dem  frontalen  freien  Abschnitt  des  Tractus,  welchen  die 
Läsion  überhaupt  nicht  berührt  hat,  und  wo  also  nur  sekundäre 
Atrophien  bestehen,  finden  wir  (Fig.  6.  Taf.  XIX) 

a)  eine  Verminderung  des  ganzen  Querschnittes, 

b)  eine  diffuse  Atrophie,  indem  die  zurückgebliebenen  Fa- 
sern entfernter  von  einander  liegen,  und  mehr  Bindegewebe  vor- 
handen ist,  weshalb  auch  der  Durchschnitt  bleif'her  als  der  des 
rechten  Tractus  ist, 

c)  ein  grosses  völlig  atrophisches  Feld  im  dorso-medialen  Ab- 
schnitte: dieses  wird  oben  von  einem  schmalen  Streifen  mit  spär- 
lichen Fasern  begrenzt  und  unten  von  einem  breiteren  Felde 
mit  ziemlich  normalem  Aussehen.  Dieses  atrophische  Feld  be- 
hält auch  bis  zum  Chiasma  dieselbe  Lage  bei  (Fig.  5.  Taf.  XIX), 

d)  längs  des  ventralen  Randes,  unten  von  einer  Schicht 
normalen  Fasern  begrenzt,  ist  ein  gelber  atrophischer  Streifen, 
welcher  den  Tractus  fast  rings  umzieht. 

Chiasma. 

Die  Lage  der  Atrophie  im  Chiasma  tritt  an  den  Figuren 
4.  und  3.  Taf.  XIX  hervor.  An  occipitalen  Schnitten  nimmt  die 
Atrophie  eine  dorso-mediale  Lage  in  der  linken  Hälfte  des  Chi- 
asma ein;  sie  erreicht  den  dorsalen  Rand  mit  ihrer  am  meisten 
atrophischen  Partie  (Fig.  4). 

Weiter  nach  vorn  /;//  frontalsten  Abschnitt  des  Chiasma 
(Fig.  3.)  findet  man  2  getrennte  atrophische  Felder,  und  zwar 
a)  das  eine  im  dorso-medialen  Rande  der  rechten  Hälfte.  — 
Hier  hat  also  eine  Kreuzung  stattgefunden  —  und  b)  das  an- 
dere am  ventro-lateralen  Rande  der  linken  Hälfte. 

Die  beiden  atrophischen  Felder  enthalten  nunmehr  auch 
viele  erhalten  gebliebene  Fasern. 

Nervus  opticus. 
Hier  werden  die  atrophischen  Felder,  je  mehr  man  nach 
vorn  fortschreitet,  allmählich  verwischt.  Unmittelbar  vor  dem 
Chiasma  (Fig.  2.  Taf  XIX)  liegt  im  linken  Sehnerven  das  atro- 
phische Feld  im  vordersten  Teile  des  Chiasma  ventro-lateral,  und 
weiter  nach  vorn  (Fig.  i.)  hat  es  ungefähr  dieselbe  Lage,  viel- 
leicht etwas  höher. 


ÜBER  DIE  BEZIEHUNG  DER  SEHFASERN  ZU  DER  CENTRALGANGLIEN 


145 


Im  rechten  Sehnerven  liegt  die  Atrophie  unmittelbar  vor 
dem  Chiasma  dorso-medial.  Weiter  nach  vorn  ist  die  Atrophie 
weniger  deutlich  und  nimmt  auch  eine  dorso-mediale  Lage  ein, 
oder  ein  wenig  mehr  nach  unten. 

Ausserdem  besteht  in  den  beiden  Optici  eine  ausgedehnte 
diffuse  Atrophie,  die  Nerven  sind  im  Clanzen  etwas  geschrumpft, 
und  das  Bindegewebe  ist  bedeutend  vermehrt. 

In  Folge  dieser  diffusen  Atrophie  ist  es  schwierig,  zu  be- 
stimmen, wie  sich  die  atrophischen  Gebiete  weiter  nach  vorn 
verhalten;  ihre  Lage  tritt  hier  nicht  deutlich  genug  hervor. 

Die  Sehstrahlung  (von  vorn  nach  hinten  beschrieben). 

Wie  schon  erwähnt,  liegt  lateral  vom  Kniehöcker,  ent- 
sprechend dem  Wernicke'schen  Feld,  ein  ganz  verfärbtes,  blut- 
imbibirtes  und  in  Bindegewebe  umgewandeltes  Feld.  Dieses  ver- 
längert sich  nach  hinten  unten  bis  in  den  dorsalen  Abschnitt 
der  Sehstrahlung  (Fig.  6.  7.  Taf.  XVIII),  und  das  Gewebe  ist 
hier  bis  zur  Wand  des  unteren  Hornes  zerfetzt,  und  zwar  in 
einer  Ausdehnung  na<'h  vorn  bis  zur  Unterwand  der  grossen 
Cyste  (Fig.  2.  3.),  also  etwa  250  —  300  Schnitte  oder  c:a  i  cm. 

Nach  hinten  sieht  man  an  Fig.  7.  Taf.  XVIII  im  oberen 
Teile  der  Sehstrahlung  einen  Ausläufer,  wo  das  Tapetum  durch- 
brochen ist.  Durch  diese  Läsion  muss  die  Hauptmasse  der  vom 
Kniehöcker  kommenden  Sehfasern  zerstört  sein. 

Weiter  nach  hinten,  etwa  6  c.ni.  vor  der  Occipitalspitze 
(Fig.  7.  Taf.  XIX),  ist  die  Sehstrahhing  in  ihrer  ganzen  Aus- 
breitung (i  m.m.)  von  oben  nach  unten  atrophisch  und  an  Wei- 
gert'schen  Präp.  gelb,  wenn  auch  einige  gefärbte  Fasern  einge- 
streut sind. 

Das   Tapetum  ist  dick  und  gut  gefärbt. 

Etwa  5  cm.  vor  der  Occipitalspitze  (Fig.  8.  Taf.  XIX)  ist 
die  Atrophie  noch  vorhanden,  und  zwar  ausgeprägter  im  ven- 
tralen als  im  dorsalen  Teile.  Zahlreiche  gefärbte  Fasern  sind 
eingestreut'  oder  durchsetzen  die  Sehstrahlung.  Die  Atrophie 
setzt  sich  in  das  Mark  des  Gyrus  Hippocampi  bis  in  die  Höhe  des 
Spleniums  fort.  An  den  Marchi'schen  Präp.  markirt  sich  die 
Atrophie  durch  eine  Reihe  schwarzer  Körner. 

Etwa  j  c.7n.  vor  der  Spitze  (Fig.  9.  Taf.  XIX)  tritt  die 
Atrophie  der  Sehstrahlung  noch  scharf  hervor.  Sie  ist  am  mei- 
sten markirt,  entsprechend  dem  unteren  Winkel  und  der  unteren 
Lippe,  weniger  im  dorsalen  Abschnitt  der  Sehstrahlung,  welcher 
überhaupt  recht  intensiv  gefärbt  ist. 

Etwa  1,5  cm.  vor  der  Spitze  (Fig.  10.  Taf.  XIX)  ist  die 
Atrophie  noch  sehr  deudich.  wenn  auch  nicht  so  scharf.  Die 
ventrale  Partie  ist  atrophischer  als  die  dorsale,  wo  jedoch  eine 
ausgebreitete,  wenn  auch  nicht  intensive  Atrophie  besteht. 

Die  Rinde  der  Fissura  calcarina  macht  schon  makrosko- 
pisch oder  unter  der  Loupe  einen  schmäleren  Eindruck  als  die 
übrige  Rinde  des  Occipitallappens.  Dies  bestätigt  sich  auch  bei 
der  exakten  Messung.  Am  Durchschnitt  j  cm.  vor  der  Occi- 
pitalspitze misst  die  Rinde  der  Fissura  calcarina  kaum  2  m.m., 
die  übrige  Rinde  c:a  2,5  m.m.  An  einem  Sc;hnitte  1,5  cm.  vor 
der  Occipitalspitze  ist  die  Verschmälerung  zwar  geringer,  ist 
aber  noch  nachzuweisen. 

Fasern.  Der  Baillarger'sche  Streifen  ist  deutlich  und  scharf 
gezeichnet  und  enthält  ziemlich  reichlich  gut  gefärbte  Fasern. 

Die  tangentiale  Schicht  ist  vorhanden.    Die  radiären  Strah- 


len sind  auch  recht  reichlich  vertreten  und  haben  normale  Länge. 
Das  Grundgewehe  erscheint  etwas  atrophisch,  indem  die  pericellu- 
lären  Räume  etwas  geräumiger  sind. 

Die  Zellen.  Da  mir  nur  in  MüUer'scher  Flüssigkeit  ge- 
härtete Präparate  zur  Verfügung  standen,  möchte  es  schwierig 
sein,  ein  bestimmtes  Urteil  über  ihren  Zustand  abzugeben.  Zahl- 
reiche waren  stark  pigmentirt  und  die  Marchi'sche  Färbung  wies 
eine  recht  ausgebreitete  Fettdegeneration  nach.  Aber  auch  in 
der  übrigen  Rinde  waren  Fettkörner  recht  zahlreich.  Die  Kerne 
waren  vorhanden,  und  an  vielen  konnte  die  dreieckige  Basis 
deutlich  gesehen  werden. 

Ich  bin  also  geneigt,  anzunelimen,  dass  in  der  Rinde  der  Fissura 
calcarina  eine  diffuse  Atrophie  des  Grundgeicebes  bestand,  icelclie 
kaum  in  der  übrigen  Occipitalriiide  nachzuweisen  war. 

Der  innere  Kniehöcker 
ist  überhaupt  wenig  ergriffen.  An  den  Schnitten,  wo  das  ganze 
Pulvinar  und  der  äussere  Kniehöcker  geschrumpft  waren,  ist  der 
innere  Kniehöcker  zwar  in  den  Schrumpfungsprocess  zum  Teil 
einbezogen.  Zwar  sind  hier  auch  einzelne  Bündel  sowie  die 
ventrale  Kapsel  ziemlich  erhalten,  aber  sonst  ist  die  Textur  des 
Ganglions  wesentlich  umgewandelt  (Fig.  6.  Taf.  XVIII). 

Weiter  nach  vorn  nimmt  aber  das  Ganglion  seine  gewöhn- 
liche Form  und  Textur  an. 

Corpora  4-gemina. 

Colliculus  anterior  wenig  verändert. 
Stratum  zonale  im  Ganzen  erhalten,  aber  schwach. 
Die   Cappa  cinerea  scheint  körnig  zerfallen,  besonders  ent- 
sprechend dem  Brachium  anterius. 

Stratum  opticum  erhalten  mit  reichlichem  Fasernetz. 
Stratum  circulare  —  reichlich  wie  auch  die  radiären  Fasern. 
Colliculus  posterior  sinister. 
Die  Form  ist  erhalten. 
Stratum  zonale  erhalten. 

Nucleus  mit  deutlicher  Kapsel.  Das  Fasernetz  im  Inneren 
spärlich.  Die  nach  unten  verlaufende  Schleife  recht  dick,  und 
wie  die  Kommissurfasern  erhalten. 

Die  Centraiganglien  der  rechten  Hemisphäre. 
(Taf.  XIX.  Fig.  II.  12.) 
Da  an  den  makroskopischen  Durchschnitten  nur  einige  un- 
bedeutende Veränderungen  wahrgenommen  wurden,  welche  nicht 
im  Stande  waren,  die  im  Leben  beobachteten  Symptome  zu  er- 
klären, so  wurden  die  Centraiganglien  in  eine  zusammenhängende 
Serie  mikroskopischer  Schnitte  zerteilt.  Dabei  wurde  Folgendes 
beobachtet. 

In  den  Centraiganglien  finden  sich  mehrere  Destruktions- 
herde, von  denen  einige  durch  Malacie,  andere  durch  Blutung 
verursacht  sind. 

Pulvinar.  Im  occipitalen  Abschnitte  des  Pulvinars  in  der 
Ebene  der  hinteren  Kommissur  schneidet  vom  medialen  Rande 
des  Pulvinars  eine  schlitzförmige,  0.5  m.m.  hohe,  malacische  Cyste 
3  m.m.  in  das  Ganglion  ein.  Sie  liegt  unmittelbar  dorsal  vom 
inneren  Kniekörper  und  greift  auf  die  dorsale  wie  dorso-mediale 
Kapsel  dieses  Ganglion  über,  wodurch  zahlreiche  nach  der  Mit- 
tellinie verlaufende  Fasern  durchtrennt  werden. 


146 


S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Nach  vorn  (Präp.  3.34)  hin  erweitert  sich  diese  Cyste  und 
zerstört  die  ganze  dorsale  Kapsel  des  inneren  Kniehöckers  und 
dehnt  sich  10  m.m.  lateralwärts  bis  zum  lateralen  Rand  des 
inneren  Kniehöckers  aus. 

Weiter  nach  vorn  (Präp.  3.107)  (Taf.  XIX.  Fig.  12.  Cy.j  dehnt 
sich  die  Malacie  in  horizontaler  Richtung  bis  einige  m.m.  von 
der  Gitterschicht  aus. 

Tlialaiiiiis.  Die  grössere  Malacie  setzt  sich  dann  in  den 
nächsten  etwa  loo  Schnitten  fort  und  nimmt  das  Centrum  des 
Thalamus  ein.  ohne  die  Gitterschii  ht  zu  erreichen  oder  die  Hau- 
benstrahlung zu  zerstören.  Die  Malacie  nimmt  nun  an  Cirösse 
allmählich  ab  und  hört  in  der  Frontalebene  auf,  in  der  der 
Nucleus  anterior  erscheint. 

Durch  die  Malacie  ist  also  der  grössere  Teil  des  Piilvinars 
und  der  hinterste  Ahscluiitt  des   Tlialaiiius  zerstört. 

Das  mittlere  Thalamitsgebict  ist  in  Anbetracht  der  kleinen 
Ausdehnung  der  Malacie  im  mittleren  Abschnitt  des  Ganglions 
relativ  intakt. 

Dagegen  finden  sich  im  frontalen  Abschnitt  des  Thalamus 
durchgreifende  Veränderungen.  Hier  zeigt  die  dorsalste  Partie 
in  der  (iegend  des  Nucleus  anterior  eine  etwa  5  m.m.  grosse 
Atrophie,  welche  sekundär  ist  infolge  von  mehreren  kleinen  /'//  dem 
Nucleus  anterior,  in  seinem  ventralen  Umfange  oder  mehr  lateral 
liegenden  Malacie/i,  welche  auch  in  dem  umgebenden  Gewebe 
die  Nervenfasern  zum  Schwund  gebracht  haben.  Diese  setzen 
sich  unregelmässig  nach  unten  fort. 

Infolge  von  diesen  Veränderungen  sind: 

Der  Nucleus  anterior  im  ventralen  Umfange  sowie  seine 
ventrale  Kapsel  zum  grössten  Teil  und  die  obersten  3  m.m.  des 
Vicq  d'Azyr"schen  Schenkels  zerstört;  im  ventralen  Abschnitt 
dieses  Schenkels  besteht  eine  partielle  Atrophie. 

Der  Nucleus  internus  ist  bedeutend  atrophisch  und  faserarm. 
aber  seine  Konturen  sind  erhalten  gebHeben: 

Der  Nucleus  cxternus  ist  im  hintersten  Abschnitte  afficirt ; 
die  Gitterschicht  ist  überhaupt  imversehrt.  sowie  die  Hauben- 
strahlung, ausgenommen  in  einer  umschriebenen  Partie. 

Der  Meynert'sche  Thalamuschenkel  ist  nicht  ergriffen,  und 
man  kann,  infolge  von  der  ausgedehnten  Atrophie  der  Capsula 
interna,  seine  Fasern  lateralwärts  und  nach  unten  durch  die  in- 
nere Kapsel  l)is  in  die  dorsale  Kapsel  und  das  Fasernetz  des 
Globus  pallidus  sehr  genau  verfolgen. 

Der  Luys'sche  Körper  ist  unversehrt,  und  der  Verlauf  der 
Fasern  der  ventralen  Kapsel  durch  die  atrophische  Capsula  in- 
terna bis  in  den  Globus  pallidus  und  in  die  Ansa  denticularis 
tritt  besonders  schön  hervor. 

Nucleus  ruber  normal,  wie  der  Fasciculus  retrofle.xus. 

Capsula  interna  und  Fes  zeigen  beide  eine  recht  ausge- 
dehnte Atrophie,  welche  teils  die  medialen,  d.  h.  frontalen  Fa- 
sern, teils  auch  die  mittleren  getroffen  hat.  Die  Atrojjhie  ist 
besonders  ventral  vom  Luys'schen  Körper  ausgeprägt. 

Eine  primäre  Läsion  hat  die  Frontalstrahlung  getroffen, 
eine  andere  liegt  im  Pes  beim  Austritt  des  üculomotorius.  eine 
dritte  im  Pons. 

Nucleus  lentiformis.  Die  occipitale  und  die  mittleren  Par- 
tien der  I,insen  sind  normal.  Dagegen  ist  der  frontale  Abschnitt 
des  Putamens  zum  grossen  Teil  zerstört  worden  und  in  eine 
unregelmässige  Cyste  verwandelt.    Diese  erstreckt  sich  von  der 


Frontalebene  des  frontalen  Umfanges  des  Nucleus  anterior  nach 
vorn  etwa  1,5  c.m.  und  umfasst  also  hauptsächlich  den  Kopf 
des  Putamens.  Nach  aussen  ist  die  Cyste  von  der  äusseren 
Kapsel  begrenzt,  nach  innen  (medialwärts)  von  der  mittleren 
Lamina  meduUaris.  Weiter  nach  vorn  ist  der  ventrale  Abschnitt 
erhalten  geblieben  (Taf.  XVIL  Fig.  3.    Taf.  XIX.  Fig.  11). 

Das  äussere  Glied  des  Globus  pallidus  enthält  in  seinem 
frontalen  Abschnitte  auch  einen  malacischen  Herd,  welcher  den 
ventralen  Abschnitt  des  Ganglions  zerstört  hat,  und  die  obere 
Hälfte  ist  von  der  lateralen  Cyste  zum  Teil  destruirt  worden. 

Das  innere  Glied  ist  nur  wenig  ergriffen. 

Die  Ansa  lenticularis  ist  erhalten. 

Der  Tractus  opticus  ist  überall  unversehrt. 

Das  Corpus  geniculatum  externum  ist  im  Ganzen  unversehrt, 
wenn  auch  im  dorso-medialen  Umfange  eine  kleine  x  m.m. 
grosse  Blutung  vorkommt.  Auch  die  Kapsel  ist  überall  normal; 
nur  in  der  Faserstrahlung  nach  oben-aussen  in  die  Lamina  ex- 
terna Thalami  liegt  eine  kleine,  i  m.m.  breite  und  3  m.m. 
lange  Malacie.  welche  an  etwa  10  — 15  Präp.  auftritt. 

Corpus  geniculatum  internum.  Die  dorsale  Kapsel  ist  gröss- 
tenteils zerstört.    Ausserdem  im  Inneren  eine  kleine  Malacie. 

Die   Commissura  posterior  scheint  schmäler  als  gewöhnlich. 

Die  Commissura  anterior  ist  unversehrt,  eine  kleine  be- 
grenzte Atrophie  ausgenommen. 

Pons   und   M  e  d  u  1 1  a   o  1)  1  o  n  g  a  t  a. 

Nur  im  Pons  wurde  an  etwa  80  Präp.  in  der  rechten  Pyra- 
midenbahn ein  kleiner  rundlicher  2  m.m.  grosser  Erweichungs- 
herd angetroffen. 

Die  Pyramidenbalinen  waren  beiderseits  auffallend  atrophisch 
und  zwar  besonders  die  linke;  jedoch  war  auch  in  ihr  eine  nicht 
unbedeutende  Anzahl  Fasern  erhalten  geblieben. 

Die  Schleife  zeigte  keine  ausgesprochene  Atrophie,  wenn 
auch  die  linke  unten  in  der  Kreuzung  etwas  schmäler  erschien. 

Epikrise. 

Kurzer  Krankenbericht.  Aus  der  Krankenge- 
schichte ist  nur  hervorzuheben,  dass  der  48-jährige  Maler 
schon  im  Alter  von  38  Jahren  seinen  ersten  Schlaganfall 
hatte,  welcher  von  Bewusstseinsverlust  und  linksseitiger  Läh- 
mung begleitet  war,  und  da.ss  er  dann  ''  s  1889  von  einem 
zweiten  Schlaganfall  ohne  Störung  des  Bewusstseins,  aber 
mit  rechtsseitiger  Lähmung  betroffen  worden  war.  Von  die- 
sem erholte  er  sich  bald,  so  dass  er  schon  im  Frühjahr  wie- 
der arbeiten  konnte.  Schon  nach  einem  halben  Jahre  trat 
ein  3:ter  Anfall  ein,  und  zwar  ohne  Bewusstseinsstörung,  Er- 
brechen oder  Krämpfe,  aber  mit  linksseitiger  Lähmung.  End- 
lich trat  im  December  1893  ein  neuer  Insult  ein,  nach  wel- 
chem noch  epileptiforme  Anfälle  erschienen.  Tod  den  19. 
December  1893.  P^s  bestand  eine  rechtsseitige  Quadrant- 
Hemianopsie  nach  unten.    S.  übrigens  oben. 

Diagnose.  Art  der  Läsion.  Aus  der  Krankenge- 
schichte ist  es  schwierig  zu  bestimmen,  ob  eine  Hämorrhagie 
oder  eine  Thrombose  die  Schlaganfälle  verursacht  hatte.  Nur 
der  erste  Anfall  war  von  Störung  des  Bewusstseins  begleitet, 
was  wohl  auf  Blutung  deutet.  Da  in  der  rechten  Hemisphäre 
nur  kleinere  Malacien  vorliegen,  so  war  die  Störung  des  Be- 


ÜBER  DIE  BEZIEHUNG  DER  SEHFASERN  ZÜ  DEN  CENTRALGANGLIEN 


147 


wusstseins  also  gewiss  durch  die  Circulationsstörung  verursacht. 
Bei  dem  2:ten  von  rechtsseitiger  Lähmung  begleiteten  Anfalle 
trat  nach  Angabe  der  Krankengeschichte  keine  Störung  des 
Bewusstseins  auf,  obschon  die  Läsion  in  der  linken  Hemis- 
phäre sehr  gross  war  und  ganz  gewiss  von  einer  Kompression 
der  Hemisphäre  begleitet  war.  —  Die  Sektion  wies  eine 
Blutung  als  Ursache  nach. 

Was  den  den  Läsionen  zu  Grunde  liegenden  patho- 
logischen Prozess  anbelangt,  so  spricht  das  Alter  des  Fat.,  38 
Jahre,  und  die  Thatsache  dass  er  kein  Fotator  war,  für  Syphi- 
lis, da  sich  in  der  Krankengeschichte  keine  Andeutung  einer 
Nephritis  oder  einer  anderen  Krankheit  vorfindet.  Für  diese 
Diagnose  kann  auch  der  Umstand  sprechen,  dass  von  den  5 
Kindern  3  früh  starben.  Charakteristische  Befunde  eines  syphi- 
litischen Prozesses  fanden  sich  nicht  im  Gehirn,  ausgenommen 
dass  der  Prozess  an  vielen  Stellen  auftrat,  und  dass  die  Pia 
an  verschiedenen  Stellen  der  Rinde  angelöthet  war. 

Lokalisation.  In  der  Entwickehing  der  Krankheit  oder 
in  den  Symptomen  fehlen  überhaupt  sichere  Anhaltspunkte  für 
eine  genauere  Lokaldiagnose,  mit  Ausnahme  der  Quadrant- 
Hemianopsie,  was  jedenfalls  auf  eine  Lä.sion  der  Sehbahn 
hinweist.  Eine  Affektion  der  linken  Centralganglien  war  also 
wahrscheinlich. 

Analyse  der  Symptome. 

Es  ist  überhaupt  nicht  leicht,  im  vorliegenden  Falle 
den  Sektionsbefund  in  genügende  Übereinstimmung  mit  den 
in  der  Krankengeschichte  erwähnten  klinischen  Symptomen 
zu  bringen.  Wir  wollen  zuerst  den  letzten,  den  6.  December 
eingetretenen  Schlaganfall  analvsiren.  Dieser  nur  13  Tage 
vor  dem  Tode  eingetretene  Insult  war  wohl  durch  die  in  der 
Rinde  der  rechten  Hemisphäre  befindlichen  ganz  frischen 
Malacien  bedingt,  denn  diese  waren  die  einzigen  nachweis- 
baren ganz  frischen  Veränderungen  im  Gehirn,  und  das 
Aussehen  der  Rinde  stimmt  gut  damit  überein,  dass  die 
Malacien  etwa  i — 2  Wochen  vor  dem  Tode  entstanden  Avaren. 
Auch  die  auffallende  Veränderung  der  Intelligenz  und  der 
schnelle  Verfall  des  Fat.  spricht  dafür,  dass  die  Rinde  in 
grösserer  Ausdehnung  ergriffen  war.  Die  nachfolgenden  epi- 
leptiformen  Anfälle  gingen  wohl  von  diesen  kortikalen  Ver- 
änderungen aus  und  verursachten  vielleicht  neue  Läsionen 
der  Rinde,  da  solche  mehrfach  bei  der  Sektion  entdeckt  wur- 
den. Eine  solche  lag  in  der  hinteren  Centraiwindung,  eine 
andere  in  F"  rechts,  andere  noch  in  F^,  und  die  grössten  im 
Occipitallappen. 

Bezüglich  der  drei  ersten  Anfälle  ist  es  auffallend,  dass 
der  erste  nach  den  beim  Insulte  zu  Tage  getretenen  Symp- 
tomen der  schwerste  war,  denn  Bewusstseinsverlust  begleitete 
den  Insult  und  eine  dauernde  Schwäche  der  linken  Hand 
folgte. 

Die  Schwäche  der  linken  Seite  findet  in  den  multiplen 
Läsionen  der  motorischen  Bahn  eine  genügende  Erklärung; 
dagegen  scheinen  die  kleinen  zerstreuten  Malacien  in  den 
Centralganglien  und  im  Fons  den  Verlust  des  Bewusstseins 
beim  Insulte  nicht  in  genügender  Weise  zu  erklären. 

Die  bemerkenswertheste  Veränderung  i)i  der  linken  Hemi- 
sphäre war   eine  grosse   Cyste  hämorrhagischen  Ursprungs, 

S.  E.  Hellsehen.    Pathologie  des  Gehirns. 


welche  an  der  Aussenseite  des  Linsenkörpers  lag,  den  gröss- 
ten Teil  dieses  Ganglions  zerstört  hatte  und  sich  vom  Kopf 
bis  zur  hintersten  Spitze  des  Ganglions  erstreckte.  Diese 
Cyste  hatte  ausserdem  die  Capsula  interna  an  einer  Strecke 
durchbrochen,  und  zwar  frontal  von  der  Haubenstrahlung,  also 
etwa  im  mittleren  -^/.s  der  Kapsel;  auch  der  Fes  war  in  recht 
grosser  Ausdehnung  mit  in  die  Zerstörung  hineingezogen  (Fig. 
2.  3.  Taf.  XVIII).  —  Alles  dieses  stimmt  recht  schlecht  mit  dem 
klinischen  Bericht,  dass  die  rechtsseitige  Lähmung  erst  im 
Jahre  1889  eingetreten  sein  sollte;  damit  scheint  das  Aussehen 
der  wahrscheinlich  bedeutend  älteren  Cyste  im  Widerspruch 
zu  stehen ;  auch  dass  der  Insult  ohne  Störung  des  Bewusst- 
seins eintrat,  steht  in  grellem  Widerspruch  damit,  dass  ein 
solcher  Blutherd  eine  bedeutende  Kompression  hervorgerufen 
haben  muss.  Ich  habe  in  einigen  Fällen  solche  Blutungen 
von  derselben  Ausdehnung  und  Lage  gesehen,  wo  der  Tod 
durch  Kompression  eingetreten  war.  Fat.  lag  mehrere  Tage 
in  tiefem  Coma.  Das  Fehlen  des  Erbrechens  und  der  Krämpfe 
stimmt  auch  nicht  damit,  wie  auch  der  Umstand,  dass  Fat. 
schon  nach  8  Tagen  das  Bett  hatte  wieder  verlassen  können. 

Viel  besser  würde  es  mit  dem  10  Jahre  früher  einge- 
troffenen Schlaganfalle  stimmen,  wo  Fat.  kurze  Zeit  bewusstlos 
und  sprachlos  war,  und  nach  welchem  eine  dauernde  Lähmung 
folgte. 

Dem  mag  sein,  wie  ihm  wolle.  Wir  wollen  jetzt  in  der 
Kürze  die  Symptome  aus  dem  Sektionsbefunde  zu  erklären 
suchen. 

Psyche.  Erst  nach  dem  dritten  Anfalle  ^^/s  1890 
veränderte  sich  das  psychische  Verhalten  des  Fat.  Diese 
Veränderung  findet  kaum  in  dem  Sektionsbefund  genügende 
Erklärung,  wenn  man  nur  die  Zerstörungen  in  Betracht  zieht. 
Selbige  waren  nämlich  nicht  in  der  Rinde,  sondern  in  den 
centralen  Ganglien  lokalisirt,  und  hatten  auch  keine  auf- 
fallende Ausdehnung.  Die  linkrseitige  grosse  Cyste  hatte 
nach  dem  Krankenbericht  keine  psychische  Störung  zur  Folge. 
Aber  die  Erklärung  liegt  wohl  in  der  ausgedehnten  Sklerose 
der  Gehirngefässe,  wodurch  die  Rinde  und  das  ganze  Gehirn 
nicht  ihre  genügende  Ernährung  mehr  fand.  Die  später  im 
Dec.  i8go  auftretenden  Malacien  deuten  auch  auf  ungenügende 
Nutrition  der  Rinde.  Auch  nahm  clie  Intelligenz  des  Fat,  im 
Dec.  1890  schnell  ab. 

Sprache.  Die  Schwierigkeit  beim  Sprechen  im  Mai  1890 
nach  den  3.  Anfalle  kann  der  Ausdruck  einer  Facialis- 
Zungen-Lähmung  sein.  Die  später  bemerkte  motorische  Apha- 
sie findet  \m  Sektionsbefund  keifte  Erklärung. 

o 

Kranialnerven.    I.    Nichts  Besonderes. 

II.  Die  Gesichtsstörung  wird  unten  ausführlicher  ana- 

lysirt. 

III.  Nichts  Bemerkenswerthes. 

V.  Die  Schwierigkeit  beim  Kauen,  Status  -'',  5  1890, 
kann  durch  die  Parese  des  Facialis  bedingt  sein,  wie  auch 
der  Speichelfluss. 

VII.  Die  linksseitige  Facialisparese  hat  sowohl  die  obe- 
ren, wenn  auch  weniger,  als  die  unteren  Zweige  betroffen. 

\TII.  Das  feine  Gehör  (Status  ''/n  1893)  ist  auffallend, 
da  die  linksseitige  Gehörbahn  gewiss  durch  die  Schrumpfung 

20 


148  S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


des  linken  Pulvinars  litt.  Diese  Bindegewcbeumwandlung  hat 
auch  den  inneren  Kniehöcker  getroffen;  auch  rechts  war  dieses 
Ganglion  und  besonders  die  dorsale  Kapsel  geschädigt. 

IX.  Geschmack  ohne  Störung.  —  Auffallend  ist,  dass  das 
Schlucken  schon  vom  Anfalle  am  1890  an  so  bedeutend 

erschweit  war,  dass  Pat.  nur  flüssige  Nahrung  zu  sich  nehmen 
konnte.  Im  Juni  hatte  sich  dieses  gebessert,  aber  noch  im 
December  winde  er  mit  der  Schlundsonde  ernährt. 

Da  keine  Veränderungen  in  der  Medulla  oblongata  exi- 
stiren,  so  ist  dieses  Symptom  gewiss  als  Ausdruck  einer  Läsion 
im  Grosshirn  ungewöhnlich.  Es  dürfte  von  der  im  Status 
im  Mai  erwähnten  Schwäche  der  Gaumenbogen  bedingt  sein. 
Durch  die  bilaterale  Lähmung  war  wahrscheinlich  die  Gaiimen- 
imiskiilatiir  beiderseits  ergrijfcn  und  weniger  funktionsfähig 
geworden.  Vielleicht  bestand  auch  Larynxparese,  welche  zur 
Schwierigkeit  des  Schluckens  beitrug. 

XI.  Hals-  und  Nackenmuskulatur  ohne  Störung. 

XII.  Die  Zunge  wich  nach  links  ab. 

Sensibilität. 

Die  Sensibilität  für  Betasten  und  Schmerz  war  überall 
gut,  so  lange  darauf  geprüft  werden  konnte.  Bemerkenswerth 
i.st  dabei,  dass  die  Ansa  lenticularis  in  der  linken  Hemisphäre 
zum  Teil  geschädigt  war.   Die  Schleifen  waren  kaum  ergriffen. 

Motilität. 

Wie  schon  erwähnt  wurde,  hätte  man  nach  dem  Sektions- 
befunde eine  auffallende  rechtsseitige,  aber  eine  geringe  links- 
seitige Lähmung  erwartet.  Der  Gegensatz  ist  erwähnt.  Die  links- 
seitige war  dauernd,  aber  die  nach  dem  Insulte  am  ^/lo  1889 
eingetretene  rechtsseitige  scheint  nur  vorübergehend  gewesen 
zu  sein,  da  Pat.  nach  einiger  Zeit  wieder  arbeiten  konnte. 
Im  Status  im  Mai  1890  steht  auch,  dass  die  rechte  Arm- 
muskulatur überhaupt  kräftig  war,  die  linksseitige  schwach. 

Dagegen  findet  sich  im  Dec.  1890  die  Bemerkung,  dass 
eine  Parese  rechts  bestand,  und  zwar  stärker  als  links,  wo 
auch  eine  Schwäche  vorhanden  war.  Doch  konnte  Pat.  noch 
mit  der  rechten  Hand  schreiben. 

In  den  Beinen  war  der  Unterschied  nicht  auftallend. 
Die  Sektion  zeigte,  dass  beide  Pyramidenbahnen  atrophisch 
waren,  die  linke  mehr  als  die  rechte. 

Die  übrigen  Symptome  boten  nichts  Besonderes  dar. 

Gesichtsstörungen. 

Wenn  die  obigen  Symptome  überhaupt  nicht  besonderes 
Interesse  darboten  und  hier  hauptsächlich  der  Vollständigkeit 
halber  besonders  erwähnt  und  analysirt  wurden,  so  verdient 
dagegen  die  Gesichtsstörung  eine  um  so  grössere  Aufmerk- 
samkeit. 

Diese  wurde  zufällig  in  November  1893  entdeckt,  als 
Pat.  eine  Brille  zum  Lesen  haben  wollte.  Wie  lange  sie  bestand, 
war  nicht  nachzuweisen.  Die  Sehschärfe  war  gut  und  der 
Augenhintergrund  normal. 

Es  ist  also  die  rechtsseitige  Quadrant-IIciniaiiopsie  nach 
7i)itt  >i  zu  erklären. 

Wenn  man  die  begleitenden  Abbildungen  betrachtet 
(Taf  XVIII,  Flg.   2 — 7)  und  die  ausführliche  Beschreibung 


der  mikroskopischen  Veränderungen  durchliest,  so  fällt  bald 
die  Schwierigkeit  der  ICrklärung  einer  begrenzten  Quadrant- 
Hemianopsie  in  die  Augen.  Wie  im  Falle  Esche  (s.  unten), 
wo  auch  eine  Ouadrant-Hemianopsie  nach  unten  vorlag,  fragt 
es  sich  hier:  wo  hat  die  primäre  Läsion  eingewirkt  und  welche 
Veränderungen  in  der  Sehbahn  sind  sekundärer  Natur? 

Hier  ist  nun  Folgendes  zu  beachten.  Die  grosse  Hämorr- 
hagie  in  der  linken  Hemisphäre  hat  deutlich  im  Körper  des 
Linsenganglions  angefangen,  und  zwar  von  der  Arterie,  welche 
die  französischen  Verfasser  als  Artere  de  l'hemorrhagie  be- 
zeichnen. Die  Fig.  2.  u.  3.  Tafel  XVIII.  entsprechen  dieser 
Partie;  man  sieht,  wie  die  Wände  der  Cyste  zerfetzt  sind, 
und  kann  leicht  verstehen,  dass  diese  Reste  des  Hirnrewebes 
bei  dem  Zerwühlen  und  Auseinanderdrängen  der  Hirnteile 
entstanden  sind.  Man  bekommt  auch  den  Eindruck,  dass  die 
massenhafte  Blutung  nach  und  nach  mit  kleineren  Ausläufern 
oder  Herden  durch  die  innere  Kapsel  hervorgedrungen  ist. 
Nach  unten  hat  die  Blutung  den  Pes  und  den  Tractus  opti- 
cus erreicht.  Durch  Druck  und  direkte  Zerstörung  ist  der 
latcro-dorsale  Abschnitt  des  Tractus  zerfetzt  und  seine  Ele- 
mente zum  Untergang  gebracht.  Dagegen  sind  die  ventralen 
Fasern  und  der  freie  mediale  Rand  erhalten  geblieben,  wahr- 
scheinlich weil  sie  dem  Druck  nach  unten  nachgeben  konn- 
ten. Wären  diese  Teile  in  festes  Gewebe  eingebettet,  so 
wären  sie  auch  ohne  Zweifel  zerdrückt  worden.  Der  freie 
Platz  an  der  Gehirnbasis  hat  den  ventralen  Abschnitt  des 
Tractus  gerettet.  Indessen  findet  man  selbst  in  diesem  Ab- 
schnitte teils  eine  lateral  liegende  Läsion,  teils  eine  oberhalb 
des  ventralen  Randes  verlaufende  streifenförmige  Atrophie. 

Der  dorso-laterale  Rand  ist  völlig  atrophisch  und  zwar 
in  bedeutender  Ausdehnung.  Da  nun  eine  Quadrant-Hemio- 
nopsie  nach  unten  besteht,  so  haben  wir  ohne  Zweifel  hier 
den  Ursprung  dieser  Gesichtsstörung.  Dies  stimmt  völlig  mit 
dem,  was  ich  im  Teile  II,  S.  259,  nachgewiesen  habe,  dass 
die  dorsalen  Fasern  der  Retina  im  Tractus  dorsal  liegen,  was 
auch  von  A.  Pick*  für  das  Kaninchen  bestätigt  ist.  Die  im 
ventralen  Abschnitt  des  Tractus  befindlichen  kleineren  Atro- 
phien dürften  nur  begrenzte  Skotome  verursacht  haben. 

Die  im  frontalen  Ab.schnitt  des  Tractus,  im  Chiasma 
und  in  den  Sehnerven  vorhandenen  Atro23hien  sind  sekundä- 
rer Art  und  werden  später  berücksichtigt. 

So  weit  ist  nun  Alles  gut  und  leicht  zu  erklären.  Be- 
trachten wir  aber  die  Fig.  4 — 6,  so  finden  wir,  dass  die 
Hauptma.sse  des  äusseren  Kniehöckers  fast  vollständig  in  Binde- 
gewebe umgewandelt  ist.  Diese  Veränderung  umfasst  nicht 
die  mediale  Spitze  des  Frontalschnittes,  wohl  aber  die 
lateralen  etwa  ^,  « — g  des  Durchschnittes,  wo  sow  ohl  Zellen 
wie  Markleisten  verschwunden  sind  und  man  nur  mit  Mühe 
die  laterale  Kontur  des  Ganglions  erkennen  kann;  daneben 
ist  die  ganze  occipitale  Partie  des  Kniehöckers  total  in  Binde- 
gewebe aufgegangen.  Ausserdem  finden  wir,  dass  die  Fa- 
sern des  Wernicke'schen  Feldes  fast  vollständig  verödet  sind, 
und  dass  endlich  der  dorsale  Abschnitt  der  Sehstrahlung  nach 
unten  und  aussen  vom  Wernicke'schen  Feld  in  Bindegewebe 


*  Nova  Acta  der  I.eop.-Carol.  Deutsch.  Akad.  der  Naturforscher  Bd 
LXVI.  I.  1895. 


ÜBER  DIE  BEZIEHUNG  DER  SEHFASERN  ZU  DEN  CENTRALGANGLIEN 


149 


umgewandelt  ist,  und  ferner  dass  die  Sehstrahlung  überhaupt 
eine  diffuse  Atrophie,  besonders  im  ventralen  Teile  zeigt. 

Durch  alle  diese  Veränderungen  muss  der  Zusammenhang 
des  Tractus  mit  der  Sehrinde  total  aufgehoben  gewesen  sein. 
Zwar  findet  man  die  mediale  Spitze  des  frontalen  Abschnittes 
des 'Kniehöckers  zum  Teil  erhalten,  und  wie  die  Fig.  5.  zeigt, 
ist  vielleicht  eine  Anzahl  Fasern  von  der  dorsalen  Kapsel 
des  Ganglions  noch  übrig  geblieben,  aber  ein  Blick  auf  die 
Figuren  6.  u.  7.  dürfte  überzeugen,  dass  auch  diese  ausser 
Zusammenhang  mit  der  Sehrinde  gesetzt  waren.  Jedenfalls 
durften  diese  Fasern  der  dorsalen  Retihahälfte  gehören. 

Hieraus  schliesse  ich,  dass  beim  Tode  des  Fat.  ehw  voll- 
ständige Hemianopsie  bestand.  Die  Quadrant-Hemianopsie 
wurde  nun  am  7.  Nov.  1893  beobachtet  und  zwischen  diesem 
Tag  und  dem  Tod  liegt  eine  Zwischenzeit  von  48  Tagen.  In 
dieser  Zeit  sind  wahrscheinlich  die  erwähnten  Veränderungen 
aufgetreten. 

Es  ist  anzunehmen,  dass  diese  Veränderungen  insofern 
sekundär  sind,  als  die  Blutung  nach  und  nach  durch  ihre 
Nähe  und  durch  den  von  ihr  ausgeübten  Druck  diese 
Partie  zur  Atrophie  und  Bindegewebswucherung  gebracht 
hat.  Die  mikroskopische  Untersuchung  macht  es  auch  wahr- 
scheinlich, dass  Blut  in  das  veränderte  Gewebe  vom  Haupt- 
herd aus  oder  durch  Zerreissung  der  Gefässe  eingedrungen  war. 

Durch  die  fast  totale  Verödung  der  occipitalen  Strahl- 
ung dürfte  nachher  das  Pulvinar  sekundär  seine  Fasern  und 
Struktur  verloren  haben  und  in  Bindegewebe  umgewandelt  wor- 
den sein.   Wenigstens  giebt  es  keine  primäre  Läsion  daselbst. 

Die  eben  gegebene  Erklärung  der  Veränderung  ist  die 
annehmbarste  und  erscheint  nicht  befremdend.  Der  Schluss 
ist  also  berechtigt,  das  die  Fasern  der  dorsalen  Hälfte  der 
Retina  im  Tractus  dorsal  nnd  für  die  beiden  Augen  in  ?/;/- 
gefähr  derselben  Höhe  liegeji.  Wie  ich  im  Teil  II  angeführt 
habe,  sind  die  Beweise  für  diesen  Satz  hinsichtlich  des  Trac- 
tus sehr  spärlich  und  in  der  Litteratur  fand  ich  1892  nur  die 
bezüglichen  Befunde,  von  denen  der  eine  von  Marchand,  der 
andere  von  mir  (Teil  II,  Fall  38)  geliefert  war.  Beide  waren 
nicht  ganz  einwurfsfrei.  Dagegen  finden  sich  mehrere  That- 
sachen,  welche,  wenn  auch  nicht  beweisend,  jedenfalls  für 
eine  solche  Ansicht  sprechen,  wie  der  Befund  im  Uhthoff'schen 
Falle  (Teil  II,  S.  222,  Karte  D.  V.)  und  andere  (Fall  2,  Teil  I), 
wo  die  Lage  einzelner  Bündel  bis  in  das  Chiasma  verfolgt 
werden  konnte.  Ausserdem  bestätigen  die  Untersuchungen 
von  Fick  auch  hinsichtlich  des  Kaninchens  obigen  Schluss. 
Stellt  man  dann  damit  zusammen,  dass  der  Befund  im  Falle 
Esche  (in  diesem  Teil),  der  klinische  Befund  im  Falle  14  J.E, 
Andersson  (s.  unten)  u.  A.  ebenfalls  für  diesen  Satz  sprechen, 
so  kann  man  wohl  jetzt  mit  mehr  Sicherheit  annehmen,  dass 
die  Fasern  der  dorsaleft  Retinahälfte  im  Tractus  dorsal  liegen. 

Damit  ist  nicht  nur  eine  anatomische  Thatsache  erwor- 
ben, sondern  auch  eine  klinisch  diagnostische,  welche  selbst 
für  den  Chirurgen  von  Belang  sein  kann.  Basale  patholo- 
gische Prozesse,  welche  vom  Schädel  ausgehen,  dürften  zu- 
erst eine  Quadrant-Hemianopsie  nach  oben  hervorrufen,  spä- 
ter vollständige  Hemianopsie,  intracerebrale  Blutungen,  wie 
in  diesem  Falle  Quadrant-Hemianopsien  nach  unten.  Bei 
Geschwülsten  muss  man  den  Befund  nur  mit  Vorsichtigkeit 


aufnehmen.  Für  die  Physiologie  hat  dieser  Schluss  das  be- 
sondere Interesse,  dass  die  Fasern  der  Retinahälften  während 
ihres  Verlaufs  durch  das  Gehirn  in  vertikaler  Richtung  nicht 
verschoben  werden. 

Aus  der  mikroskophischen  Untersuchung  der  rechtsseiti- 
gen Centralganglien  geht  hervor,  dass  in  der  Gegend  des 
äusseren  Kniehöckers  der  Thalamus  und  das  Pulvinar  im  dor- 
salen Abschnitt  von  einigen  grösseren  Malacien  durchsetzt 
waren.  (Taf  XIX.  Fig.  11.  12).  Dem  ungeachtet  wurde  kein 
Defekt  in  den  linksseitigen  Hälften  der  Gesichtsfelder  im  No- 
vember 1893  bemerkt.  Dies  spricht  für  die  von  mir  schon 
früher  ausgesprochene  Ansicht,  dass  der  Thalamus  und  das 
Pulvinar  nicht  optische  Fasern  enthalten.  Da  indessen  diese 
Ganglien  zum  Teil  erhalten  sind,  so  ist  der  Fall  nicht  so  be- 
weisend wie  der  Fall  N:r  8  (Teil  III,  S.  88),  wo  ein  viel  aus- 
gedehnterer Defekt  vorlag. 

Pathologisch-anatomische  Bemerkungen. 

Nur  kurz  möchte  ich  einige  Bemerkungen  noch  hinzu- 
fügen. 

Die  Lage  der  Fasern  im  Tractus. 

Wie  schon  erwähnt,  lag  die  grössere  Atrophie  im  Trac- 
tus dorso-lateral.  F^olgt  man  dem  Tractus  von  der  Läsions- 
stelle  Schnitt  für  Schnitt,  so  findet  man,  was  auch  aus  den 
Figuren  erhellt,  dass  diese  Atrophie  nach  vorn  allmählich  nach 
der  Mittellijiie  verschoben  zvird,  und  an  dem  freien  Abschnitt 
des  Tractus  sieht  man,  wie  die  Atrophie  nach  und  nacn  von 
Fasern  etwas  überlagert  wird  und  endlich  eine  centro-medi- 
ale  Lage,  etwas  mehr  dorsal  als  ventral,  einnimmt.  Die  mi- 
kroskopische Untersuchung  lehrt,  dass  frontal  von  der  Lä- 
sionsstelle  (s.  Fig.)  die  lateralen  Fasern  sich  nach  und  nach 
ein  wenig  nach  oben  schieben. 

Es  scheint  mir  in  Anbetracht  des  Falles  Esche  (Taf  XXI. 
Fig.  4.)  und  dieses  Falles  (Taf  XIX.  Fig.  5.  6.)  etwas  unsicher, 
ob  die  von  mir  auf  der  Seite  258  und  Taf  38.  Fig.  16.  im  Teil 
II.  gegebene  Beschreibung  der  Lage  der  dorsalen  Bündel  im 
frontalen  Abschnitt  des  Tractus  ganz  zuverlässig  ist.  Schon 
bei  der  Konstruktion  dieses  Bildes  bemerkte  ich  (Teil  II. 
S.  258):  »wie  dorsale  und  ventrale  Fasern  sich  im  Felde  ver- 
teilen, lässt  sich  zwar  vermuthen,  aber  zur  Zeit  nicht  bewei- 
sen». Wenn  man  das  Bild  etwas  schief  stellt,  so  wird  es 
vielleicht  richtiger,  und  in  der  That  liegt  der  Tractus  im  Ge- 
hirn etwas  schief 

Ein  anderer  lehrreicher  Schlu?~s  lässt  sich  aus  der  mi- 
kroskopischen Untersuchung  der  kleinen  Atrophien  im  Trac- 
tus ziehen.  Am  lateral-ventralen  Rande  des  Iractus  liegt 
eine  kleine  umschriebene,  nicht  i.  m.m.  grosse  Atrophie;  diese 
Atrophie  kann  man  als  ein  Bindegewebsfeld  weithin  durch 
den  Tractus,  ja  bis  in  das  Chiasma  verfolgen.  Die  zusammen- 
gestellten Figuren  zeigen  dieses. 

Noch  weiter,  längs  des  ventralen  Randes  verläuft  ein 
atrophischer  Streifen  nach  unten  von  einer  dünnen  Schicht 
normaler  Fasern  begrenzt.  Diesen  feinen  Streifen  kann  man 
bis  in  das  Chiasma  verfolgen,  wenn  er  auch  sich  lateral  etwas 
verschiebt,  wie  die  Fig.  4.  5.  zeigen. 

Nach  hinten  lassen  sich  diese  Felder  auch  leicht  ver- 
folgen, und  zwar  bis  an  den  äu.sseren  Kniehöcker. 


150 


S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS. 


Endlich  ist  noch  zu  bemerken,  dass  die  an  der  Läsions- 
stelle  freie  Spitze  unversehrt  gebheben  ist,  ebenso  ist  auch 
der  entsprechende  mediale  Abschnitt  des  Kniekörpers  erhalten 
geblieben,  was  darauf  hindeutet,  dass  die  an  dem  medialen 
Rande  liegenden  Fasern  im  medialen  Abschnitt  des  Kniehöckers 
endigen. 

Alles  in  Allem,  die  Fasern  im  Tractus  verschieben  sich 
nur  wenig.  Die  verschiedenen  Fasern  bleiben  im  Verhtältniss 
zu  einander  wiihrend  des  Verlaufes  ziemlich  unveriuidcrt,  wenn 
auch  die  oben  erwähnte  Lageveränderung  stattfindet. 

Die  vollständige  Bindegewebsumwandlung  des  hinteren 
Teils  des  Piilvinar  ohne  Malacie  oder  Blutung  innerhalb  dieses 
Teiles,  aber  bei  Zerstörung  der  Sehstrahlung,  spricht  dafür, 
da.ss  die  Hauptmasse  seiner  Fasern  mit  der  Sehstrahlung  Zu- 
sammenhang hat,  denn  der  occipitale  Abschnitt  der  inneren 
Kapsel  ist  im  Ganzen  unversehrt. 

Ansa  lenticularis.    Man  wird  erstaunen,  dass  die  Ansa 


besteht,  dass  jedoch  der  Globus  pallidus  fast  vollständig 
zerstört  ist.  Dies  deutet  darauf  hin,  dass  ihre  Fasern  im 
Globus  pallidus  endigen  und  nicht  dort  von  Zellen  entspringen. 

Die  Verbindung  zwischen  dem  Piitanioi  und  dem  Corpus 
caudatiini  \\ar  degenerirt. 

Die  Meynerf  scJie  Konunissur  und  de  r  Luys' sc Jic  Körper. 
Die  erste  bestand  beiderseits,  ob.schon  der  letztere  zerfallen  war. 

In  diesem  Falle  war  eine  seltene  Gelegenheit,  vorhan- 
den zu  Studiren,  wie  die  Fa.sern  der  dorsalen  Kapsel  des 
Globus  pallidus  und  auch  diejenigen  des  intraganglionären 
Netzes  mit  der  Kapsel  des  Luys'schen  Körpers  und  mit  dem 
Thalamusschenkel  des  Mamillarkörpers  zusammenhängen.  Man 
kann  den  Durchtritt  dieser  Verbindungsfasern  durch  die  innere 
Kapsel  genau  verfolgen. 

Betreffs  der  ScJisiroJdung  verweise  ich  auf  die  mikro- 
skopische Untersuchung  und  die  Bilder  (Taf  XIX). 


Fall  13.  Esche. 

51  Jahre  alt.    Verheirathete  Frau. 
Taf.  XX,  XXI. 


Klinische  Diagnose:  Hemiplegia  et  Hemianaestesia  sin.  c.  Hemia- 
nopsia  sin.  ineompleta. 

Zusammenfassung:  Die  5 1 -jährige  Frau  wurde  plötz- 
lich von  einem  Schlaganfall  getroffen,  wonach  eine  linksseitige 
Lähmung  mit  schwerer  Anästhesie  bis  zum  Tode  bestand. 
Im  Juni  1889  fand  sich  eine  homonyme  linksseitige  Hemia- 
nopsie; später  im  August  dess.  J.  nur  eine  linksseitige  Quadrant- 
Hemianopsie  nach  unten.  Diese  dauerte  bis  zum  Tode  un- 
verändert fort. 

Die  Sektion  ergab  eine  grössere  hämorrhagische  Cyste, 
welche  hauptsächlich  den  occipitalen  Abschnitt  des  Linsen- 
körpers und  der  Capsula  interna,  einnahm  und  den  hintersten 
Abschnitt  des  Thalamus  sowie  das  Pulvinar  zur  Atrophie 
gebracht  hatte.  Der  Destruktionsherd  hatte  auf  den  dorsalen 
Abschnitt  des  äusseren  Kniekörpers  übergegriffen  luid  um- 
schloss  überhaupt  teils  den  Tractus  opticus,  teils  das  Wer- 
nicke'sche  Feld  und  die  occipitale  Sehstrahlung,  ohne  diese 
optischen  Leitungen  zu  zerstören. 

Schluss.  Die  Ouadrant-Hemianopsie  wird  durch  die 
Atrophie  des  dorsalen  Abschnittes  des  Kniehöckers  genügend 
erklärt.  Diese  Partie  innervirt  also  die  dorsalen  Hälften  der 
beiden  Retinae;  hier  vereinigen  sich  also  die  gekreuzten  und 
ungekreuzten  Bündel  für  die  homonymen  Retinahälften;  und 
der  ventrale  Abschnitt  des  Kniehöckers  kann  nicht  für  den 
oberen  vikariirend  eintreten.  Eine  Lokalisation  besteht  also  im 
äusseren  Kniehöcker. 

Der  Fall  ist  mir  vom  Herrn  Doktor  H.  Wilbrand  in  Ham- 
burg gefälligst  zur  Bearbeitung  überlassen  worden.  Sowohl  die 
klinischen  Daten  und  die  Perimeter-Karten,  wie  auch  der  allge- 
meine Sektionsbericht  .sind  mir  vom  Dr  W.  übergeben.  Die 
specielle   Beschreibung   des    Gehirns   und    die  mikroskopische 


Palhol. -anatom.  Diagnose:  Cysta  hg?mopphagiea  Lentis,  Thalami 
optici  et  Capsulas  intern». 

Untersuchung  sind  von  mir  gemacht.  Die  Zeichnungen  sind  in 
meinem  Laboratorium  verfertigt. 

Anamnese.  Pat.  war  verheiratet,  aber  kinderlos;  der 
viel  ältere  Mann  soll  Alkolwlist  gewesen  sein.  Lues  wird  ent- 
schieden in  Abrede  gestellt.  Pat.  soll  äusserst  solid  gelebt 
haben;  soll  stets  gesund  gewesen  sein,  aber  nach  grösseren 
Gemüthsaufregungen  von  Ohnmachtsanwandlugen  befallen  worden 
sein. 

Vor  12  AVochen  fühlte  Pat.  sich  plötzlich,  von  einem  Gang 
zurückgekehrt,  sclmiindclig  und  verlor  bald  das  Bewusstsein. 
Nach  8  Stunden  kehrte  das  Bewusstsein  alimählich  zurück.  Das 
Sprechen  wurde  ihr  anfänglich  schwer;  das  Gesicht  war  nach 
links  verzogen,  die  ganze  li/d^e  Körperhälfte  gänzlich  gelähmt 
und  gefiihUos.  Das  Schlucken  wurde  ihr  anfänglich  schwer. 
Pat.  vers(  hlu<  kte  sii  h. 

Allmählich  besserte  sich  der  Zustand  unter  geeigneter  Be- 
handlung. Das  Bein  konnte  wieder  bewegt  werden.  Das  Gefühl 
besserte  sich.  Die  Beschwerden  beim  Sprechen  und  Schlucken 
verschwanden. 

Status  praesens. 

Wohlgenährte,  kräftige  Frau  von  gesunder  Gesichtsfarbe. 
Psyche.    Völlig  intakt. 

Kranialnerven.  II.  ^/c  1889.  Hemianopsia  homonyma 
sinistra  mit  Einschränkung  der  erhalten  gebliebenden  rechtsseitigen 
Gesichtsfeldhälften.    (S.  Perimeterkarte.) 

VII.  Linker  Mundwinkel  nach  unten  gezogen.  Ganz  geringe 
Parese  der  unteren  Facialisäste.    Uvula  schwat-h  nach  rechts.- 


ÜBER  DIE  BEZIEHUNG  DER  SEHFASERN  ZU  DEN  CENTRALGANGLIEN 


151 


XII.  Zunge  weicht  beim  Herausstrecken,  stark  nach  Hnks  ab. 

Sensibilität.  Starke  Herabsetzung  der  Sensibih'tät  auf 
der  ganzen  linken  Körperhälfte.  Leichte  Berührungen  mit  der 
Fingerkuppe  werden  nicht  empfunden;  ebenso  oberflächliche 
Nadelstiche.    Keine  Parästhesien. 

Motilität.  Die  obere  Extremität  ist  völlig  gelähmt.  Finger 
in  leichter  Kontrakturstellung,  sonst  schlaffe  Lähmung.  Untere 
linke  Extremität  kann  aktiv  im  Hüft-  und  Kniegelenk  flektirt 
werden. 

Trophiselie  und  vasoiiiotorisehc  Stöniugen.  Unterarm  und 
Hand  ödematös  geschwollen.    Hautfarbe:  livid  marmorirt. 

Innere  Organe:  Die  Untersuchung  der  inneren  Organe  ergiebt 
durchaus  normale  Verhältnisse,  namentlich  Herzgrenzen  normal, 
Töne  durchaus  rein  und  regelmässig.  Keine  erkennbare  Arterio- 
sklerose. 

Urin  wird  spontan  entleert,  Stuhlgang  träger. 
Status  Juli  1889. 

Kranialnerven.  II.  -0/101889.  Scharf  begrenzte ////X'x- 
seitige  Quadrant-Hcniianopsie  nach  unten  (Perimeter-Karte  II) 
Farbensehen   normal.    Die  Farben  schneiden  mit  dem  ]:)efekt 


für  ^^'eiss  scharf  ab.     (Mehrere  Beobachtungen.) 

III.  Pupillar-Reaktion,  direkte  wie  indirekte,  beiderseits 
fast  gleich  null. 

VII.  Nasolabial-Falte  links  verstrichen.  Beide  unteren 
Facialisäste  paretisch. 

XII.    Leichte  Abweichung  der  Zunge  nach  links. 

Sensibilität. 

Tastsinn  links  stark  herabgesetzt  bis  aufgehoben,  rechts 
gut,  nur  in  der  Peronealgegend  scheinbar  herabgesetzt. 

Schmerzenempfiudung  links  erhalten,  aber  vermindert.  Unge- 
nügende Lokalisation  links  an  der  oberen  Extremität. 


Nachempfindung  an  der  unteren  Extremität. 
Tenifieratursinn.  Empfindungslähmung  für  Kälte  links,  rechts 
normal. 

Gefühl  für  Lage  und  Stellung  der  Glieder  rechts  gut,  links 
völlig  aufgehoben. 

Elektrische  Reizbarkeit.     Untersuchung  direkt. 

N.  ulnar.      rechts  104  links  40 


»  med. 

» 

100 

» 

55 

»  rad. 

» 

85 

» 

35 

»  peron. 

» 

91 

» 

80 

»    tib.  ant. 

» 

83 

90 

»  crur. 

» 

80 

» 

73 

Faradischc  Untersuchung  indirekt. 

M.  deltoid. 

rechts 

90 

links 

55 

»  biceps 

» 

82 

52 

»  supin. 

» 

92 

» 

35 

»  quadrig. 

» 

95 

» 

73 

»    tib.  ant. 

» 

85 

» 

85 

Motilität.  Stehen  und  Gehen  unmöglich,  weil  der  linke 
Fuss  die  Schwere  des  Körpers  nicht  zu  tragen  vermag. 

Motorische  Kraft  im  Biceps,  Triceps,  Pector.  maj.  rechts 
gut  erhalten.    Links  O. 

In  den  Flexoren  und  Adduktoren  der  Hand  rechts  gut, 
links  =-  O,  Adduktoren  des  Oberschenkels,  des  Quadriceps,  der 
IJorsal-  und  Plantarflektoren  des  Fusses  rechts  gut  erhalten,  links 
gleich  O. 

Reflexe.  Am  Oberarm  links  und  rechts  nicht  deutlich; 
Refl.  am  Unterarm  rechts  vorhanden,  links  erhöht.  Bauchmuskel- 
reflexe rechts  deutlich,  links  schwach. 


1890 


Pat.  ermüdet  leicht.    Deshalb  ist  das  Gesichts- 


feld nicht  mehr  genau  zu  bestimmen. 

S.  =  ^"/s-  Pat.  erkennt  central  auf  beiden  Augen  selbst 
die  kleinsten  Farbenobjekte. 

Es  besteht  eine  linksseitige  Quadrant-Heniianopsie  nach 
unten  (gei)rüft  für  weiss  und  roth).    S.  die  Perimeter-Karte.  III. 


Status  am  27.  Sept.  1890  und  im  Febr.  1891.  Status  idem 
wie  im  Juli  1889.  1891  'V^-  Pat.  ermüdet  dermassen  leicht 
bei  der  perimetrischen  Untersuchung,  dass  eine  solche  nicht 
mehr  ausführbar  ist.  Bei  der  leider  sehr  ungenauen  Unter- 
suchung wurde  am  Imken  Auge  eine  hochgradige  Beschränkung 
des  Gesichtsfeldes  mit  Hemianopsia  sinistra,  doch  vorzugsweise 
im  unteren  linken  Quadranten  beobachtet. 

Am  6.  Nov.  i8q2.  Im  linken  oberen  Quadranten  ergiebt 
sich  bei  dem  Versuch  der  Gesichtsfeldaufnahme  geringe  Störung. 
Für  »grün  und  gelb»  absoluter  Ausfall  im  äusseren  Quadranten. 


152 


S.  E.  HENSCHEN.     PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Hemianopsia  homonyma  sinistra  mit  koncentrischer  Ein- 
schränkung der  erhalten  gebliebenen  Gesirhtsfeldhälften  (als 
Ausdrurk  einer  funktionellen  nervösen  Störung).  Das  Gesichts- 
feld wurde  nur  für  weiss  geprüft. 

Sehschärfe  beiderseits  =  ^"/so  +  ^jio  Jaeger  N.  2  gelesen. 

Ophtlialmoskopischer  Befiind.  Grosse  physiologische  Exkava- 
tion; im  Allgemeinen  normaler  Befund. 

Pupillen:  rechts  Pupilla  major.  Pupillen  unregelmässig 
eckig;  reflektorische  Pupillenstarre. 

1893  ^\\.  Äussere  Augengebilde  ohne  Besonderes,  ebenso 
Cornea,  Conjunctiva  und  brechende  Medien;  keine  Bewegungs- 
störungen. Pupillen  gleich  (3  —  3,.')  m.m.),  vollkommen  reaktionslos. 
Beiderseits  temporale  Hälfte  der  Papille  entfärbt,  links  am  oberen 
Papillarumfang,  rechts  temporalwärts  breiter  Skleralstreifen.  S. 

beiderseits. 

Bei  Prüfung  des  Gesichtsfeldes  für  weiss  ermüdet  Pat.  leicht 
und  macht  deshalb  unsichere  Angaben. 

1893  Im   Allgemeinen   wenig   Klagen.    Pat.  täglich 

etwas  ausser  Bett,  ziemlich  guter  Appetit.  Objektiver  Befund 
unverändert. 

^/i.    Temp.  38.2°,  sonst  gutes  Befinden. 

Temp.  bisher  andauernd  38°,  heute  37.2".  Pat.  klagt 
über  grössere  Schwäche.  Öfters  Unvermögen  sich  auf  bestimmte 
Woche  zu  besinnen;  motorische  Aphasie. 

^'^j^.  Temp.  38.7".  Decubitus  am  Kreuzbein;  Pat.  lässt 
sehr  oft  Urin  und  Stuhlgang  unter  sich.    Schlechterer  Appetit. 

^'/4.  Temp.  39.3".  In  Folge  grosser  Unreinlichkeit  der 
Pat.  hat  sich  der  Decubitus  vergrössert;  grosse  Schwäche. 

^^/4.    Am  Nachmittag  Koma;  beschleunigte  Respiration. 

Exitus  letalis  ^/i  6  Uhr. 

Anhang.  Etwa  6  Wochen  vor  ihrem  Tode  wurde  das 
Gesichtsfeld  im  Ciroben  durch  Hin-  und  Herbewegen  weisser  und 
farbiger  Papiere  untersucht  und  gefunden,  dass  dasselbe  im  Allge- 
meinen normal  war,  jedoch  ein  absoluter  Ausfall  aller  Qualitäten 
des  Gesielitsinncs  im  linken  unteren  Quadranten  auf  jedem  Auge 
fortbestand. 

Farbige  Objekte  von  grosser  Dimension  schnitten  scharf 
mit  den  Defektgrenzen  für  weiss  ab.  Am  Perimeter  nicht  mehr 
zu  untersuchen  wegen  zu  leichter  Ermüdbarkeit. 

Sektion  ^»/i  1893. 

Fettpolster  reichlich.  Herz  ohne  Besonderheiten.  Lungen- 
Atelektase  des  rechten  Unterlappens.  Oberflächliche  Narbe  der 
^I///2kapsel. 

Trübung  der  Nieren;  bohnengrosse  Cyste  in  der  linken  Niere. 

Fraktur  des  linken  Oberschenkels,  frischer  Bluterguss.  Aus- 
gedehnter, aber  ziemlich  oberflächlicher  Decubitus  am  Kreuzbein. 

Gehirn.    Dura  sehr  derb,  aber  leicht  abziehbar. 

Pia  der  rechten  Konvexität  ganz  zart;  massig  stark  gefüllt, 
namentlich  am  Parietal-  und  Occipitallappen.  Die  Pia  der 
linken  Konvexität  bis  über  den  Scheitel  und  Hinterhauptslappen 
getrübt  und  ödematös,  die  Pia  an  der  Basis  zart  und  durch- 
scheinend. 

Die   Venen  stark  gefüllt.    Starkes  Atherom  der  Basisgefässe. 

Das  gehärtete  Gehirn  wurde  mir  vom  Herrn  Doktor  H. 
Wilbrand  gefällig.st  überlassen.  Es  war  damals  schon  durch  einige 
horizontale  Schnitte  nach  Flechsig  zerteilt,  und  zwar  die  linke 


Hälfte  durch  zwei,  die  rechte  durch  drei,  alle  in  der  Höhe  der 
Centraiganglien.  Die  Abbildungen  zeigen  die  Schnittflächen. 
(Taf  XX.) 

Die  Pia  Hess  sich  von  der  Oberfläche  überall  leicht  ablösen. 

Die  Gefässc  waren  sehr  dick  und  atheromatös,  besonders 
die  Carotiden  und  die  Arteria  basilaris. 

An  den  Horizontalschnitten  fällt  die  bedeutende  Vergrös- 
serung  der  Ventrikel  besonders  in  der  rechten  Hemisphäre  auf. 

Die  Rinde  ist  überall  normal  ohne  Anzeichen  einer  Malacie. 
Besonders  wurde  das  Sprachgebiet  links  untersucht. 

Die  linke  Hemisphäre. 
Horizo  u  ft  7  Iseh  nitte . 

An  einem  .Sehnitte  in  der  Höhe  der  dorsalen  Flache  des 
Thalamus  wurde  selbst  mit  der  Loupe  nichts  Pathologisches 
beobachtet. 

Schnitt  I  cm.  mehr  ventralwärts  (Taf.  XX,  Fig.  i).  Hier 
findet  man  in  der  Frontalstrahlung  eine  quergehende  und  ver- 
schiedene kleine  längsverlaufende  Malacien,  alle  2  —  3  m.m.  breit 
und  bis  i  m.m.  lang.  Diese  liegen  in  der  Höhe  der  oberen 
Grenze  der  Broca'schen  Windung,  etwa  2  c.m.  von  ihr  entfernt. 
Ihre  nähere  Lage  und  Form  s.  die  Fig. 

Thalamus.  Sowohl  der  Horizontaldurchschnitt  wie  die 
Oberfläche  sonst  normal.  Die  mediale  Wand  war  etwas  einge- 
buchtet und  der  3.  Ventrikel  vergrössert. 

Pulvinar  ganz  normal,  es  erstreckt  sich  weiter  nach  hin- 
ten als  das  rechte;  es  ist  auch  von  sehr  viel  festerer  Konsistenz. 

Nucleus  caudatus  von  den  Malacien  nicht  berührt.  Corpora 
4-gemina  anteriora  et  posteriora  ohne  makroskopische  Ver- 
änderung. 

Die  rechte  Hemisphäre. 

Sie  war  schon  in  3  Horizontalschnitte  zerschnitten. 

Der  dorsale  Schnitt  (Taf.  XX,  Fig  2)  etwas  dorsal  von  den 
Centraiganglien. 

Hier  findet  man  eine  kleine  Narbe  (die  Wand  einer  Cyste), 
entsprechend  dem  Sulcus  zwischen  dem  T'  und  dem  C,  welche 
den  hier  verlaufenden  dorsalsten  Abschnitt  der  Gratiolet'schen 
Strahlung  durchsetzt.  Die  Zerstörung  greift  nicht  auf  die  Rinde 
dieser  Gyri  über.  Sie  misst  an  Länge  15  c.m.  und  an  Breite 
etwa  4  m.m.    Sonst  ist  der  Schnitt  makroskopisch  normal. 

Das  Hinterhorn  ist  erweitert. 

Der  mittlere  Schnitt  (Taf.  XX,  Fig.  3)  in  der  Höhe  der 
Oberfläche  des  Thalamus.  Die  oben  erwähnte  Cyste  und  das 
sie  umgebende  narbige  Gewebe  haben  eine  grössere  Ausdehnung 
als  am  vorigen  Schnitte.  Die  dreieckige  Cyste  misst  i  c.m. 
und  liegt  im  hintersten  Abschnitte  der  Capsula  externa,  ist  von 
narbigem  Gewebe  an  allen  Seiten  umgeben  (s.  Fig.)  Ein  streifen- 
förmiger Schlitz  setzt  sich  in  das  subkortikale  Mark  der  ersten 
Temporalwindung  fort,  berührt  aber  nicht  die  Rinde. 

Der  ventrale  Schnitt  (Taf  XX.  Fig.  4)  durch  den  Thalamus 
opticus.  Die  oben  erwähnte  dreieckige  Cyste  misst  nur  4 — 6 
m.m.  und  hat  dieselbe  Lage  im  hinteren  Winkel  zwischen  der 
Insula  und  der  i:sten  Temporalwindung.  Das  umgebende  Narben- 
gewebe misst  etwa  1  —  2  m.m.  Eine  Verlängerung  der  Cyste 
erstreckt   sich    schlitzförmig   in  T'  hinein  und    liegt   hier  un- 


ÜBER  DIE  BEZIEHUNG  DER  SEHF^ASERN  ZU  DEN  CENTRALGANGLIEN 


153 


mittelbar  unter  der  Rinde.  Im  Uebrigen  s.  die  mikroskopische 
Untersuchung  der  Centralganglien. 

Die  Se/istrahii//!g  s.  unten:  Mikrosko]iisches. 

Das  Kleinhirn  ist  nicht  makroskopisch  verändert. 

Mikroskopisches. 

Die  mittlere  Scheibe  (Taf.  XX,  Fig.  3)  der  rechnte  Hemi- 
sphäre wurde  in  mikroskopische  horizontale  Schnitte  zerlegt,  um 
die  Ausdehnung  der  Veränderung  nach  vorn  zu  studiren,  die 
ventrale  dagegen  in  frontale  Schnitte,  um  das  Verhältniss  der 
Cyste  hauptsächlich  zum  äusseren  Kniehöcker  zu  untersuchen. 

A.    Die  mittlere  Scheibe. 

An  den  dorsalen  Schnitten  sieht  man,  dass  die  Zerstörung 
ungefähr  dieselbe  mikroskopische  Ausdehnung  nach  aussen  hat, 
wie  es  makroskopisch  ersichtlich  ist.  Nach  aussen  wird  das  nar- 
bige Gewebe  durch  einen  schmalen  0,5  m.m.  dicken  schwarzen 
Streifen  (  =  subkortikales  Mark,  Weigerfsches  Präp.)  von  der  Rinde 
getrennt.  Die  Nervenfasern  dieses  Streifens  sind  indessen  zum 
grössten  Teil  körnig  zerfallen.  Die  Rinde  ist  bei  schwächerer 
Vergrösserung  intakt.  Die  Rinde  der  Insula  ist  ausser  Verbin- 
dung mit  den  Centralganglien  gesetzt  worden,  und  zwar  in  einer 
Ausdehnung  nach  oben  bis  zur  Insertion  der  Cp  (d.  h.  bis  zum 
Winkel  zwischen  Operculum  superius  und  der  Insula-Rinde). 
Nach  vorn  erstreckt  sich  das  narbige  Gewebe  etwa  10  — 12 
m.m.  frontalwärts  von  der  vorderen  Begrenzung  der  Cyste,  nach 
hinten  bis  in  die  erste  Temporalwindung  (Vgl.  Fig.  3).  Auch 
hier  trennt  ein  i  m.m.  dicker  schwarzer  Streifen  das  veränderte 
Gewebe  von  der  Rinde. 

Medial  nimmt  die  Narbe  den  occipito-dorsalen  Abschnitt 
der  Corona  radiata  ein  (s.  Fig.  3),  also  hauptsächlich  die  zum 
Parietallappen  laufenden  Fasern. 

An  mehr  ventralen  Schnitten  dehnt  sich  die  Cyste  noch 
weiter  nach  vorn  aus  (etwa  15  m.m.  vor  der  Hauptcyste).  Je 
mehr  nach  unten,  um  so  mehr  dehnen  sich  die  Cyste  und  das 
sekundäre  Degenerationsgebiet  aus.  Die  Cyste  drängt  in  die 
erste  Temporalwindung  hinein,  hat  das  Mark  dieser  Windung 
zum  grössten  Teil  verödet  (Fig.  3).  Der  hintere  Abschnitt  des 
Thalamus  (Grenzgebiet  zwischen  dem  Thalamus  und  dem  Pul- 
vinar)  sowie  der  Corona  radiata  ist  völlig  verödet.  Das  Narben- 
gewebe ist  an  Weigerfschen  Präp.  ganz  gelb  ohne  Spur  von 
Nervenfasern.  Die  Cyste  wird  von  dem  Ventrikelraum  nur  durch 
das  Ependym  getrennt. 

In  dem  frontalen  Abschnitt  des  malacischen  Gewebes  sen- 
det die  Cyste  einen  schmalen  Ausläufer,  welcher  von  feinen 
spinnenähnlichen  Fäden  durchwebt  ist  (Vgl.  auch  die  Fig.  5 
Taf.  XXI). 

Die  Rinde  der  Insula  ist  zwar  makroskopisch  intakt,  aber 
sie  leidet  an  einer  durchgreifenden  Ernährungsstörung.  Alle 
Ganglienzellen  sind  sehr  pigmentirt  und  mehr  oder  weniger  de- 
generirt.    Die  Nervenfasern  sind  spärlich,  das  Gewebe  porös. 

Das  subkortikale  Mark  enthält  spärliche  schmale  Nerven- 
fasern. 

In  der  Umgebung  der  Cyste  finden  sich  zahlreiche  Blut- 
körperchen und  Blutpigmentkrystalle. 

Die  Cyste  ist  also  eine  hämorrhagische. 

Durch  die  Cyste  und  das  sie  umgebende  Narbengewebe 


sind  die  Rinde  der  Insula  und  die  frontale  Rinde  der  ersten 
Temporalwindung  ausser  Verbindung  mit  der  übrigen  Hirnrinde 
und  den  Centraiwindungen  gesetzt. 

B.  Der  ventrale  Abschnitt  der  Centralganglien  (Taf.  XX,  Fig. 
4)  wurde  dagegen  in  eine  Serie  von  etwa  700  frontalen  Schnit- 
ten zerschnitten,  um  zu  untersuchen,  wie  tief  nach  unten  die 
Zerstörung  sich  ausdehnte  (Vgl.  Taf.  XXI,  Fig.  5  —  12). 

Um  einen  Begriff  der  Ausdehnung  der  Zerstörung  in  den 
Centralganglien  und  ihrer  Bedeutung  zu  bekommen,  ist  es  noth- 
wendig  zu  erinnern,  was  auch  aus  der  obigen  Darstellung  her- 
vorgeht, dass  eine  grössere  Cyste  und  mehrere  kleine  Cysten 
von  oben  nach  unten  längs  des  lateralen  Umfangs  der  Capsula 
interna  zwischen  ihr  und  der  Rinde  der  Insula  gelegen  sind, 
und  dass  ein  Gebiet  von  sekundärer  Verödung  des  Nervenge- 
webes rings  um  dieselben  sich  ausbreitet,  welches  hie  und  da 
kleine  Höhlen  zeigt.  Dieses  Gebiet,  wo  man  Uberhaupt  nur 
pathologisches  Bindegewebe  findet,  sendet  nach  unten  (ventral- 
wärts)  zwei  Ausläufer,  von  denen  der  eine  mehr  medial  gegen 
den  dorsalen  Umfang  des  äusseren  und  inneren  Kniehöckers  vor- 
dringt, der  andere  mehr  lateral  von  der  Cauda  corporis  caudati 
und  der  Sehstrahlung  einerseits  und  der  Rinde  andererseits  sich 
hineinschiebt.  Diese  Ausläufer  treten  auch  an  den  Figuren  her- 
vor. In  wie  weit  sie  den  hier  liegenden  optischen  Kern  berührt 
haben,  geht  aus  der  folgenden  genaueren  Beschreibung  hervor. 

Aus  den  Figuren  5  —  12  sieht  man,  dass  zwischen  diesen 
beiden  Ausläufern  ein  verhältnissmässig  normales  Gebiet  erhalten 
geblieben  ist,  und  dieses  umfasst  hauptsächlich  den  äusseren  Knie- 
höcker, resp.  den  Tractus,  die  von  ihr  nach  hinten  ausstrahlen- 
den Fasern  das  Wernicke'sche  Feld  und  die  Cauda  corporis  cau- 
dati sowie  die  Sehstrahlung  (Taf.  XXI,  Fig.  9  —  12).  Die  Aus- 
dehnung der  Narbe  nach  unten  ist  indessen  unregelmässig,  und 
weiter  nach  vorn  erstreckt  sie  sich  selbst  noch  tiefer  und  um- 
lagert den  Tractus  (Fig.  5).  Es  wurde  deshalb  nothwendig  alle 
Präparate  besonders  daraufhin  zu  u  ntersuchen,  wo  und  loie  die 
Zerstörung  die  optischen   Wege  betroffen  haben  konnte. 

Tractus  opticus.  Frontaler  Abschnitt.  An  den  frontalsten 
Schnitten  (in  der  Frontalebene  der  Columna  fornicis)  und,  wo 
der  Tractus  frei  von  der  Unterfläche  hervorragt,  giebt  es  in  sei- 
ner Nähe  überhaupt  keine  pathologische  Veränderung.  Der  vor- 
dere Ausläufer  der  Zerstörung  liegt  hier  etwa  15  —  20  m.m. 
entfernt  (Präp.  652). 

Je  weiter  nach  hinten,  um  so  mehr  nähert  sich  der  laterale 
Rand  des  Tractus  dem  cystösen  Gewebe  und  liegt  am  Schnitt 
605  nur  etwa  10  m.m.  davon  entfernt,  a^^i  Präp.  518  nur  4  m.m., 
und  am  Präp.  459  nur  2  ni.  m.  davon  entfernt.  An  den  fol- 
genden Präp.  dringt  die  Zerstörung  fast  bis  zum  lateralen 
Rande  des  Tractus  vor,  und  gleichzeitig  sowohl  dorsal  von  ihm 
(nur  etwa  i  m.m.  entfernt)  und  lateral  nach  unten,  bis  zur  obe- 
ren Wand  des  Unterhorns  (Fig.  5).  Der  Tractus  liegt  hier  von 
dem  pathologischen  Gewebe  fast  vollständig  umhüllt.  Zwischen 
der  Zerstörung,  bezeichnet  durch  Häufchen  von  Blutpigment,  und 
dem  Tractus  liegt  nur  sekundär  verändertes  Nervengewebe,  denn 
hier  sind  verhältnissmässig  normale  Nervenfasern  anzutreffen. 
Dessen  ungeachtet  ist  der  Rand  des  Tractus  völlig  scharf,  seine 
Fasern  intensiv  gefärbt,  nicht  degenerirt  und  recht  dicht  an  ein- 
ander liegend ;  nur  findet  sich  ein  7c>enig  vermehrtes  Bindegewebe 
an  dem  latero-dorsalen  Rand. 


154 


S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Weiter  nach  hinten  (Schnitt  402-360)  entfernt  sich  die 
Cyste  vom  Tractus,  wenn  auch  das  ihn  uingeliende  Gewebe 
noch  verändert  ist.  Selbst  i  m.m.  dorsal  vom  Tractus  finden 
sich  hier  Häufchen  von  Blutpigment.  Der  unmittelbar  an  diesem 
Gewebe  liegende  Abschnitt  des  Tractus  ist  etwas  bleicher  und 
hat  vermehrtes  Bindegewebe,  enthält  jedoch  zahlreiche,  nicht 
degenerirte  Nervenfasern.  Die  dorsale  Kontur  des  Tractus  ist 
ziemlich  scharf  und  nirgends  finden  sich  Anzeichen  einer  pri- 
mären Destruktion  des  Tractus  ojjticus.  aber,  wo  sich  der  Tractus 
unter  das  erhalten  gebliebene  TUrck'sche  Bündel  hinunter  schiebt, 
da  sind  die  Fasern  des  Tractus  auch  zahlreicher,  und  das  Binde- 
gewebe ist  von  normaler  Menge. 

An  den  folgenden  Präparaten,  z.  B.  335,  berührt  die  Zer- 
störung sowohl  den  lateralen  wie  den  medialen  Rand  des  Tractus, 
lässt  aber  den  mittleren  Abschnitt  unberührt.  Hier  sind  auch 
jene  Randpartien  bleicher,  reicher  an  Bindegewebe  unrl  ärmer  an 
Nervenfasern,  das  Mittelstück  ist  aber  normal. 

Schlüsse.  Die  genaue  Untersuchung  des  rechten  Tractus 
zeigt  i)  dass  derselbe  an  keinem  Punkte  primär  ergriffen  und 
kein  Anzeichen  einer  Blutung  oder  einer  Erweichung  in  ihm 
selbst  vorhanden  ist.  Auch  besteht  keine  umschriebene  Atrophie 
der  Fasern.  Ihre  Kontur  ist  auch  überall  gegen  das  dorsal 
vom  Tractus  liegende  veränderte  Gewebe  scharf. 

2)  In  der  unmittelbaren  Nähe  des  Tractus  ist  das  (Jewei)e 
verändert,  und  zwar  in  verschiedener  Art.  Entfernung  und  Aus- 
dehnung. 

aj  Art.  Man  muss  hier  zwei  oder  vielleicht  drei  Arten  von 
Veränderung  unterscheiden,  die  primäre  (Blutung  resp.  Malacie, 
Cystenbildung),  die  sekundäre  durch  Druck  der  Blutheerde  in 
Folge  der  deletären  Wirkung  der  Zerfallsprodukte  und  endlich 
spät-sekundäre,  im  Folge  der  vorausgehenden  Bindegewebs- 
bildung. 

b)  die  Entfernung  der  krankhaften  (iewebes  vom  Tractus 
ist  verschieden;  an  einigen  Schnitten  liegt  es  demselben  unmit- 
telbar an,  an  anderen  dagegen  ist  es  wieder  mehr  von  ihm  ent- 
fernt. 

Die  primären  Blutungen  liegen  nie  im  Tractus  selbst,  son- 
dern mindestens  1-  2  m.m.  von  ihm  entfernt,  wenn  man  auch 
an  Präp.  367  einige  Blutkrystalle  unmittelbar  an  dem  dorsalen 
Rand  des  Tractus  findet. 

Dagegen  findet  sich  in  der  unmittelbaren  Nähe  zum  Binde- 
gewebe verändertes  Gehirngewebe.  Solches  findet  sich  sowohl 
dorsal  wie  latero-ventral  vom  'IVactus  (Fig.  5  Prä];.  447).  In 
diesem  Gewebe  sind  gewöhnlich  wenigstens  Sjjuren  von  Nerven- 
fasern vorhanden. 

Wo  nun  dieses  Bindegewebe  dem  Tractus  anliegt,  zeigen 
sich  im  letzteren  eine  deutliche  Vermehrung  desselben  und  ein 
Ausfall  der  Nervenfasern,  welcher  an  denjenigen  Schnitten  am 
deutlichsten  hervortritt,  an  welchen  die  ])rimäre  Veränderung 
am  Tractus  am  ausgeprägtesten  ist  (Fig.  7  Präp.  367).  Hier 
liegt  dorsal  vom  Tractus  ein  sehr  verändertes  Feld  unmittelbar 
ventral  von  der  Haubenstrahlung.  Hier  ist  die  Capsula  interna 
zerstört.  Die  dorsale  Kontur  des  Tractus  ist  jedoch  scharf, 
aber  wegen  des  Ausfalls  von  Nervenfasern  bleich;  doch  findet 
man  eine  grosse  Anzahl  von  wohl  erhaltenen  Tractusfasern. 
welche  am  ventralen  Rande  zahlreicher  werden.  Der  laterale 
Abschnitt  des  Tractus,  welcher  durch  ein  erhalten  gebliebenes 


Bündel  vor  der  Einwirkung  der  Zerstörung  geschützt  blieb,  ist 
ebenfalls  gut  erhalten  (schwarz  gefärbt). 

Hier  hat  sich  also  ein  Druck  oder  eine  chemische  Einwir- 
kung des  Blutherds  auf  den  Tractus  entwickelt,  ohne  aber  eine 
vollständige  Verödung  der  JVcrvenfascr/i  desselben  an  irgend  wel- 
clieni  Funkte  zuwegezubringen. 

Heiter  nach  vorn,  wo  die  Cyste  und  überhaupt  die  Zerstö- 
rung den  Tractus  nicht  erreicht,  findet  man  jedoch  den  rechten 
Tractus  verändert.  Hier  ist  die  Atrojjhie  als  eine  sekundäre 
Degeneration  zu  betrachten.  Die  Lage  und  Ausdehnung  dieser 
Degeneration  geht  am  besten  aus  den  Figuren  i — 4  Taf.  XXI 
hervor. 

a)  Etwas  nach  hinten  (occipital)  vom  Chiasma  (Fig.  4)  schiebt 
sich  ein  kleiner  wei.sser  Streifen  in  den  Tractus  von  der  Mittel- 
linie ungefähr  bis  zur  halben  Breite  des  Tractus.  Die  Begren- 
zung der  Atrophie  ist  keine  scharfe,  und  die  Nervenfasern  fehlen 
auch  nicht  ganz,  sie  sind  aber  sehr  spärlich. 

b)  Chiasma.  Fig.  3.  Im  Chiasma  trifft  man  nicht  mehr 
so  scharfe  Atrophien.  An  der  Fig.  3  (Präp.  72)  sieht  man  in 
der  linken  Hälfte  medial  oben  ein  bleicheres  Feld  (das  ge- 
kreuzte Fascikel)  und  dann  auch  in  der  rechten  Hälfte  eine 
undeutliche  Atro])hie  (das  ungekreutze  Feld,  unkr.).  Diese  Fel- 
der treten  an  mehr  frontalen  Präparaten  deutlicher  hervor  (Fig.  2). 
Hier  liegt  das  linke  oben  medial,  das  rechte  unten  lateral, 
oJine  jedoch  den  ventralen  Rand  zu  erreiclieti. 

Nervi  optici  Fig.  i.  Nur  in  occipitalen  Abschnitten  der 
Optici  kann  man  überhaupt  eine,  wenn  auch  nicht  sehr  scharf 
begrenzte,  Atrophie  entdecken.  Die  Lage  dieser  atrophischen 
Felder  s.  die  Figur  i.  Im  linken  Opticus  liegt  die  Atrophie 
dorsomedial,  im  rechten  dagegen  lateral,  nicht  aber  den  oberen 
oder  unteren  Rand  erreichend. 

Weiter  nach  vorn  sind  beide  ()pti<  i  atrophisch,  ohne  dass 
eine  begrenzte  Atrophie  nachzuweisen  ist. 

Corpus  geniculatum  exteruum  dextrum.     Taf.  XXI  Fig.  8 — 12. 

Von  diesem  Cianglion  wurde  eine  zusammenhängende  Schnitt- 
reihe verfertigt,  umfassend  die  Präp.  136—320  oder  etwa  185 
Schnitte. 

Da  die  Veränderung  innerhalb  des  Kniekörpers  nicht  eine 
gleichförmige  war,  mu.ss  eine  detaillirte  Beschreibung  der  ver- 
schiedenen Abschnitte  hier  gegeben  \\'erden.  IMe  Beschreibung 
nimmt  die  Richtung  von  vorn  nach  hinten  und  die  frontalsten 
Schnitte  sind  mit  den  höchsten  Ziffern  (320)  bezeichnet,  die 
occijiitalsten  mit  den  niedrigeren  (136). 

I.    Das  Grenzgebiet  zwischen  dem  Kniehocker  und  dem  Tractus. 

Am  Präp.  335  hat  der  Tractus  seine  charakteristische  Form, 
ungefähr  wie  an  der  Fig.  367,  nur  ist  der  laterale  Rand  etwas 
nach  aussen  ausgezogen  und  da,  wo  er  an  das  zerstörte  Gebiet 
grenzt,  etwas  bleicher  und  von  vermehrtem  Bindegewebe,  i  —  2 
m.m.  dorsal  vom  dorsalen  Rande  des  Tractus  findet  man  kleine 
Häufchen  von  Blutpigment. 

Am  Präp.  321  findet  man.  dass  die  dorsale  Kapsel  des 
Kniehöckers  überhau])t  sehr  schwach  ist  oder,  besonders  in  der 
medialen  Hälfte,  fehlt.  Jedoch  findet  sich  hier  eine  Anzahl  von 
normal   erhalten   gebliebenen   Nervenfasern,   welche  im  latero 


ÜBER  DIE  BEZIEHUNG  DER  SEHFASERN  ZU  DEN  CENTRALGANGLIEN 


155 


dorsalen  Abschnitte  an  Zahl  ziemlich  normal  sind.  Wie  die  Fig. 
zeigt,  ist  der  medio-ventrale  Rand  des  Kniekörpers  bleich  und 
ziemlich  arm  an  Fasern,  wogegen  die  Hauptmasse  derselben 
und  besonders  die  ventrale  Kapsel  faserreich  ist.  An  dem  jetzt 
mehr  intensiv  gefärbten  lateralen  Rand  des  Tractus  findet  man 
eine  Ausstrahlung  nach  aussen  in  das  Wernicke'sche  Feld.  V2  — 
I  m.m.  dorsal  von  dieser  Ausstrahlung  liegen  mikroskopische 
Häufchen  von  Blutpigment,  ohne  dass  die  occipitale  Strahlung 
des  Kniekörpers  davon  wesentlich  berührt  worden  ist. 

II.    Der  frontale  Abschnitt  des  Knickörpers.    Präp.  307  — c:a  250. 

Fig.  8 — IG. 

Als  ein  Typus  dieses  Abschnittes  können  die  Präp.  281 
und  269  (Fig.  9.  10)  gelten.  Wir  sehen  hier,  dass  die  dorso- 
mediale  Hälfte  zerstört  ist,  dagegen  die  ventro-laterale  erhalten 
blieb.  Diese  Zerstörung  ist  an  den  frontalsten  und  occipitalsten 
weniger  intensiv  und  ausgebreitet  als  an  den  mittleren  Schnitten 
der  Serie,  welche  etwa  die  Schnitte  300  -270  umfassen.  Eine 
detaillirte  Beschreibung  dieses  wichtigen  Abschnittes  scheint  dem- 
nach nothwendig  zu  sein. 

A)  die  Kapsel. 

a)  die  dorsale  Kapsel.  Die  dorso-laterale  Grenze  misst  im 
Ganzen  etwa  6  —  7  m.m.  Hier  fehlt  die  Kapsel  vollständig  in  der 
medialen  Hälfte,  findet  sich  aber,  wenn  auch  sehr  schwach,  in 
der  dorso-lateralen  Hälfte.  An  einigen  Präp.,  wie  das  Präp.  281 
(Fig.  9),  fehlt  sie  in  einer  Ausdehnung  von  etwa  4  m.m.;  sie  ist 
vorhanden  auf  einer  Strecke  von  etwa  3  m.m.,  an  anderen  (269) 
(Fig.  10)  fehlt  sie  an  3  m.m.,  aber  findet  sich  in  einer  Ausdehnung 
von  3  m.m. 

b)  die  laterale  Kapsel  ist  in  anscheinend  normaler  Stärke 
überall  erhalten  geblieben.    Ihre  Nervenfasern  sind  normal. 

c)  die  ventrale  Kapsel  ist  Uberall  in  dem  lateralen  Teile 
etwa  4  m.m.  normal  (kräftig,  dick  und  mit  zahlreichen  Fasern). 
In  den  medialen  Teilen  etwa  3  m.m.  findet  im  Allgemeinen  ein 
Faserausfall  statt;  und  zwar  ist  derselbe  in  den  vordersten  Präpa- 
raten (306),  nur  ein  leichter,  und  hat  eine  Ausdehnung  von  etwa 
I  m.m.,  an  einer  Anzahl  von  etwa  10 — 15  Präparaten  wird  der 
Ausfall  dann  deutlicher,  jedoch  muss  er  im  Ganzen  als  ein  ge- 
ringer bezeichnet  werden  und  beträgt  gewiss  nicht  ^/a  der  Fasern; 
an  den  Präp.  270  —  250  (Fig.  11)  ist  er  kaum  mehr  bemerkbar- 

Bj  Das  Ganglion  selbst. 

Entsprechend  dem  atrophischen  Gebiete  der  dorsalen  Kap- 
sel zeigt  das  Ganglion  eine  selbst  für  das  unbewaffnete  Auge 
deutliche  Veränderung,  Atrophie  und  Zerstörung.  Die  Ausdeh- 
nung dieses  Gebietes  geht  vielleicht  am  besten  aus  den  Figuren 
hervor. 

In  den  frontalsten  Abschnitten  (um  N:o  306)  ist  nur  ein 
dorso-mediales,  kaum  i  m.m.  breites  Gebiet  leicht  atrophisch.  An 
den  folgenden  Präp.  wächst  dieses  Gebiet  und  erreicht  an  den  Präp. 
286  —  280  seine  grösste  Ausdehnung,  wie  die  Fig.  9  zeigt,  näm- 
lich etwa  ^/'s  des  Frontaldurchsclinittes  des  Ganglions,  um  sich 
weiter  occipitalwärts  allmählich  zu  vermindern.  An  dem  Präp. 
260   nimmt  die  Atrophie  hauptsächlich  die  dorsale  Kapsel  ein. 

Die  Veränderung  des  atrophischen  Gebietes  wechselt  zwar 
an  Intensität,  ist  aber  an  den  Schnitten  286  —  280,  wo  die  Ver- 
änderung am  stärksten  ist,  folgende  (Fig.  9): 

a)  Die  Markleisten  sind  vollständig  verschwunden. 

S.  E.  Henschen.    Pathologie  des  Gehirns. 


b)  .  Das  Kasernnetz  fehlt  stellemveise  vollständig,  im  Ganzen 
finden  sich  jedoch  Fasern,  wenn  auch  nur  in  Bruchstücken  und 
in  geringer  Zahl;  viele  Fasern  sind  nur  bleich  gefärbt. 

c)  Zellen,  n.)  die  grossen  ventralen  Zellen  sind  auf  einer 
Strecke  von  i  m.m.  spärlich,  und  ein  deutlicher  Ausfall  ist  hier 
vorJianden.  Die  übriggebliebenen  sind  atrophisch,  rundlich  ge- 
sc/tru/npft. 

ß)  die  kleinen  Zellen  sind  auch  zum  grössten  Teil  verschwun- 
den. Die  übriggebliebenen  sind  sehr  atrophisch,  rundlich,  körnig 
oder  in  Zerfall  befindlich. 

d)  Die  Neuroglia  ist  in  körniger  Umwandlung  begriffen. 
Der  übrige  Teil  des  Ganglions  ist  anscheinend  normal. 

a)  Die  Markleisten  sind  dick  und  haben  kräftig  gefärbte 
Fasern. 

b)  Das  Fasernnetz  ist  reichlich. 

c)  Zellen,  sowohl  die  grossen  ventralen,  wie  die  kleinen  sind 
reichlich  vorhanden  und  haben  normale  Form  und  Textur. 

d)  Neuroglia  normal. 

Der  occipitale  Abschnitt  (Präp.  250  —  c:a  196.  S.  Fig.  11 
u.  12.)  umfasst  hauptsächlich  die  occipitale  S-förmige  Spitze. 

Auch  an  diesem  Abschnitt  zeigt  die  dorsale  Kapsel,  beson- 
ders in  ihren  medialen  ^/s,  eine  sehr  deutliche  Atrophie,  und  nur 
im  lateralen  finden  sich  zahlreiche  gut  gefärbte  Fasern.  Die 
ventrale  und  laterale  Kapsel  ist  normal. 

Das  Ganglion  selbst  ist  überhaupt  normal. 

i)  Die  Markleisten  kräftig.  2)  Das  Fasernnetz  reichlich. 
3)  Die  Zellen  von  normaler  Anzahl,  Form  und  Textur.  4)  Die 
Neuroglia  ohne  Veränderung. 

Nur  in  dem  unmittelbar  an  der  dorsalen  Kapsel  liegenden  Ge- 
biete scheinen  die  Zellen  und  das  Gewebe  einer  seh/-  leichten  Atro- 
phie unterworfen  zu  sein. 

Das  ll'ernicke'sche  Feld,  lateral  vom  äusseren  Kniekörper, 
ist  überhaupt  normal  und  an  den  Weigert'schen  Präp.  intensiv 
gefärbt.  Ob  einige  von  den  dorsalsten  Fasern,  welche  vom  Knie- 
körper entspringen,  hier  affizirt  sind,  lässt  sich  kaum  entscheiden 
(Vgl.  die  Fig.  8 — 12).  Jedenfalls  ist  die  Hauptmasse  der  vom 
Gangliou  ausgehenden  Käsern  erhalten  geblieben. 

Dorsal  von  diesem  Feld  dehnt  sich  die  oben  beschriebene 
grosse  Zerstörung  aus.  Dass  also  die  dorsal  vom  Wernicke'schen 
Felde  verlaufenden  bogenförmigen  Fasern,  welche  dem  hinteren 
Thalamusstiel  und  der  Temporalstrahlung  angehören,  durch  die 
der  Hämorrhagie  nachfolgende  sekundäre  Bindegewebsbildung 
verödet  sind,  ist  klar. 

Die  Verbindung  der  optischen  Bahn  und  besonders  des  äus- 
seren Kniehöckers  mit  der  dorsal  von  Kniekörper  liegenden  Cap- 
sula interna  ist  auch  aufgehoben,  wenn  auch  an  den  frontalsten 
Schnitten  (Fig.  8)  vereinzelte  Fasern  nach  unten  innen  vom  Knie- 
körper zu  dem  Pes  hin  verlaufen. 

Das  Corpus  geniculatum  internum  dextriim  (Fig.  12)  ist  in 
festes  Bindegewebe  umwandelt  und  zu  einem  rundlichen  Knötchen 
zu sa mmengeschrumpft,  in  dem  weder  Zellen,  noch  normale  Fasern 
sondern  nur  einige  kleine  Körnchenhäufchen  als  Reste  der  Zellen 
noch  zu  sehen  sind. 

Das  Bracht  um  aiiterius  ist  sehr  schwacJi,  mit  spärlichen 
Fasern. 

Commissura  posterior  kräftig. 

21 


156  S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Das  Corpus  4-goiiinitvi  aiitcrius  ist  recht  gut  erhalten  ge- 
blieben (Fig.  13). 

Das  Stratum  superficiale  ist  erhalten,  aber  schwach. 

Die  Cappa  cinerea  auch  erhalten,  mit  si)ärlichen  Fasern, 
misst  etwa  0.75  m.m. 

Das  Stratum  opticuui  enthält  ein  recht  dichtes  Netz,  sowohl 
in  oberflächlichen,  wie  in  tieferen  Schichten. 

Stratum  Letiniisci.  Sowohl  cirkuläre,  wie  radiäre  Fasern 
finden  sich  in  etwa  normaler  Anzahl. 

Corpus  4-gem.  poster.  dextrum  gut  entwickelt. 

Stratum  zonale  mit  reichlichen  Fasern. 

Nucleus  mit  reichlichem  Fasernnetz. 

Thalamus  opticus. 

Pulviuar.  Die  Hauptmasse  des  Pulvinar  ist  ///  festes  Binde- 
ge7ciebe  verwandelt,  die  Nervenfasern  sind  verschwunden  und  die 
Ganglien-Zellen  fehlen  gänzlich. 

Thalamus.  Schon  aus  den  makroskopischen  Abbildungen 
(Taf.  XX  Fig.  2  —  4)  geht  hervor,  dass  die  makroskopische  Zer- 
störung oder  Veränderung  von  der  Capsula  externa  medialwärts 
auf  den  Thalamus  übergreift.  Es  sind  jedoch  nur  die  kaudalen 
und  ventralen  Teile  des  Thalamus,  welche  beschädigt  sind,  die 
dorso-medialen  sind  dagegen  von  der  Zerstörung  nicht  berührt. 

Was  die  einzelnen  Fasersysteme  betrifft,  ist  Folgendes  zu 
bemerken. 

Die  HaubenstraJiluiig  ist  in  den  occipitalen  und  mittleren 
Abschnitten  des  Thalamus  oberhalb  des  Kniehöckers  mehr  oder 
weniger  vollständig  durchschnitten  (Fig.  7  —  9.  Taf.  XXI).  Ihre 
medialen  mit  dem  rothen  Kern  zusammenhängenden  Bündel 
finden  sich  noch  zahlreich  vorhanden  (s.  Fig.).  Diese  ziehen 
auch  nach  vorn  in  die  (iitterschicht  vor  der  Ebene  des  Nucleus 
ruber  hinein. 

Die  Gitterschicht  sowie  der  Nucleus  externus  ist  in  occipi- 
talen Teilen,  d.  h.  occipital  von  der  vorderen  Fläche  des  Nu- 
cleus ruber,  zerstört  (Fig.  9.  10);  dagegen  vorn  vor  dieser  Fläche 
erhalten  (Fig.  5). 

Der  Nucleus  externus  vor  der  erwähnten  Ebene  ist  unver- 
sehrt und  enthält  reichliche  Balken  und  Bündel. 

Nucleus  internus.  Der  ganze  frontale  Abschnitt  ist  intakt; 
in  wie  weit  der  dem  Pulvinar  angrenzende  Abschnitt  verändert 
ist,  ist  nicht  ganz  klar  in  Folge  der  von  dem  Obducenten  ge- 
machten für  die  mikroskopische  Untersuchung  ungünstigen  Schnitt- 
führung. Der  occipitalste  Abschnitt  dürfte  jedoch  sich  zum  Teil 
in  Bindegewebe  verwandelt  haben. 

Das  Trigonum  (Ganglion)  Habenulse  ist  nicht  verändert. 

Das  Corpus  mammillare  und  seine  Schenkel  sind  alle  an- 
scheinend unverändert,  und  zwar  sowohl  der  aufsteigende,  der 
Vicq  d'Azyr'sche,  sowie  auch  die  Columna  Thalami. 

Der  Luys'sche  Körper  ist  im  (ranzen  auch  von  der  Zer- 
störung unberührt  geblieben;  die  dorso-mediale  wie  ventro-late- 
rale  Kapsel  sind  kräftig.  In  Inneren  des  Ganglions  sind  die 
Fasern  reichlich  vertreten. 

Der  Nucleus  ruber  ist  intakt  und  sowohl  die  Kapsel,  wie 
das  Trabekelwerk  im  Inneren  sehr  schön  und  reichlich  vertreten. 

Nucleus  caudatus.  Das  Caput  ist,  wie  die  Fig.  3  u.  4,  Taf. 
XX,  zeigen,  unversehrt,  indem  es  frontal  und  medial  von  dem 
Zerstörungsgebiete  liegt. 


Das  Corpus  tiuclei  caudati  ist  auch  unbeschädigt,  wie  die 
Fig.  7  —  12  zeigen. 

Die  Capsula  externa  ist  in  ihrer  ganzen  Länge  zerstört;  das 
Zerstörungsgebiet  dehnt  sich  bis  zu  dem  vorderen  Winkel  zwischen 
der  Insula  und  dem  üperculum  anterius  aus. 

Corona  radiata  und  Capsula  interna.  Ein  Blick  auf  die 
Fig.  2  —  4,  Taf.  XX,  überzeugt  uns.  dass  der  occipitale  Abschnitt 
der  Corona  in  der  Höhe  des  Daches  des  Seitenventrikels  abge- 
brochen ist.  Alle  höher  gelegenen  Abschnitte  der  Corona  sind 
nicht  affizirt,  dagegen  wohl  die  mehr  ventralen,  indem  sich  die 
Zerstörung  bis  zur  ventralen  Fläche  der  Centralganglien  fortsetzt. 
Ihre  Form  und  Ausdehnung  in  diesen  ventralen  Teilen  geht  am 
besten  aus  den  mikroskopischen  Abbildungen  hervor.  Hier  sen- 
det der  Herd  nämlich  Ausläufer  i)  in  das  Mark  des  T',  2)  in 
die  Sehstrahlung,  3)  nach  innen  in  den  ventralen  Teil  des  Pul- 
vinars  und  bis  gegen  das  Brachium  anterius  Corp.  4-gemini  anter. 

Wie  weit  die  Corona  radiata  nach  vorn  abgebrochen  ist, 
ersieht  man  auch  an  den  Fig.  2  —  4,  Taf.  XX.  Daraus  erhellt 
also,  dass  die  Corona  radiata,  unbeschädigt  von  der  Zerstörung 
in  das  Frontalhirn,  den  dorsalen  ^/a  der  Centraiwindungen  und 
den  oberen  Parietallappen  einstrahlen  konnte.  Aber,  wie  au(h 
aus  den  Abbildungen  hervorgeht,  dringt  die  primäre  Zerstörung 
oder  die  durch  sie  hervorgerufene  sekundäre  Veränderung  — 
die  Bindegewebswucherung  —  nach  unten  innen  bis  zum  Pedun- 
culus  ecrcbri  im  ventralen  Abschnitt  des  Thalamus  vor  und  hat 
dadurch  hier  den  grössten  Teil  der  inneren  Kapsel  abgeschnitten. 

Die  Fig.  5.  Taf.  XXI  zeigt  jedoch,  dass  ein  beträchtlicher 
Teil,  der  Frontalteil,  der  Kapsel  unbeschädigt  ist,  indem  er  von 
der  Zerstörung  nicht  erreicht  wird.  Dies  ist  aber  in  den  mehr 
occipitalen  Abschnitten  der  Fall,  wie  die  Fig.  7  und  9  zeigen. 
Hier  sind  nur  einzelne  Bündel  der  Capsula  interna  noch  erhalten. 

Es  unterliegt  also  keinem  Zweifel,  dass  sowohl  die  mittleren, 
wie  die  occipitalen  Partien  der  Kapsel  mehr  oder  weniger  voll- 
ständig vernichtet  sind,  was  auch  mit  den  Ergebnissen  der  kli- 
nischen Beobachtung  stimmt. 

Die  BiindeL  welche  nach  der  ersten  und  zum  Teil  auch 
nach  der  zweiten  T-windung  zum  unteren  Parietallappen  und  zur 
Insula  verlaufen,  sind  ebenfalls  zerstört. 

Nucleus  lentiformis.  Die  Destruktion  hat  besonders  dieses 
Cianglion  getroffen,  wie  aus  den  Fig.  hervorgeht. 

Das  Putamen.  Nur  der  Kopf  ist  etwa  bis  vor  der  Ebene 
der  Commissura  anterior  erhalten  geblieben.  Von  dieser  Ebene 
al)  nach  hinten  wird  das  Putamen  zuerst  in  grosser  Ausdehnung 
durchlöchert,  dann  etwa  30 — 40  Schnitte  vor  der  frontalen  Ebene 
des  Corpus  mammillare  in  grösserer  Ausdehnung  zerstört  und  zum 
grössten   Teile  durch  eine  grosse  unregehnässige  Höhle  ersetzt. 

Bis  zu  jener  Ebene  ist  auch  das  mittlere  (2.)  Glied  des 
Linsenkörpers  vorhanden,  und  zwar  anscheinend  intakt.  Die  äus- 
sere Lamina  ist  schwach  und  die  Bündel  im  Inneren  des  Gliedes 
sind  auch  schwach  gefärbt,  aber  nicht  zerstört.  —  Von  der  vorderen 
Fläche  des  Mamillarkörpers  nach  hinten  hin  greift  die  Zerstörung 
auch  auf  dieses  Glied  über  und  durchsetzt  das  Glied  quer  bis  in 
die  innere  Kapsel. 

Das  mediale  Glied  ist  im  frontalen  Teil  Ganzen  intakt 
und  seine  Faserbündel  sind  recht  kräftig,  aber  von  der  Ebene  des 
Mammillarkörpers  ab  ist  es  wesentlich  von  dem  grossen  Zerstö- 
rungsherd ergriffen  und  seine  Textur  im  Ganzen  wesentlich  ver- 


ÜBER  DIE  BEZIEHUNG  DER  SEHFASERN  ZU  DEN  CENTRALGANGLIEN 


157 


ändert.  Die  Balken  und  die  Lamina  medullaris  sind  wesentlich 
zerstört. 

Occipital  vom  Mammillarkörper  ist  das  Innerglied  total  ver- 
ödet, indem  die  Zerstörung  hier  dorsal  vom  Tractus  auftritt. 

Die  A//sa  lenticularis  ist  im  vorderen  Abschnitte  vor  dem 
Mammillarkörper  wesentlich  erhalten,  wenn  auch  schwach. 

Die  Sehstrahlung,  von  hinten  nach  vorn  beschrieben 
(Taf.  XX.  Fig.  5-9). 

An  etwa  50  der  occipitalsten  Schnitte  meiner  Serie,  wo 
noch  keine  deutliche  Sehstrahlung  gebildet  ist,  sieht  man  auch 
keine  umschriebene  Atrophie.  Das  Mark  unter  der  Fissura  cal- 
carina  ist  kräftig  gefärbt. 

Weiter  nach  vorn  (etwa  i  cm.  vor  der  Occipitalspitze)  ist 
das  Mark,  entsprechend  dem  Boden  der  Fissura  calcarina,  ein 
wenig  heller  —  Spur  von  Atrophie,  ohne  dass  diese  deutlich  ist. 

Etwa  200  Schnitte  vor  der  Spitze  (Präp.  4.  322)  tritt  erst 
ein  dreieckiges  wenig  atrophisches  Feld,  entsprechend  dem  Boden 
der  Fissura  calcarina.  hervor  und  erstreckt  sich  von  da  dorsalwärts 
mit  einem  Ausläufer. 

Etwa  500  —  600  Schnittt  vor  der  Spitze  (Präp.  3.  231), 
(Fig.  5)  also  etwa  j  cm.  vor  der  Spitze,  findet  sich  in  der  Seh- 
strahlung, etwa  2  m.m.  unter  der  Rinde  und  in  der  halben  Höhe 
der  Sehstrahlung,  ein  rundlicher  i  m.m.  grosser  malacischer  Herd. 
In  seiner  Umgebung  sind  die  Markfasern  atrophisch,  aber  das 
subkortikale  Mark  ist  von  ihm  nicht  berührt,  sondern  tiefschwarz. 

Weiter  nach  vorn,  etwa  4  cm.  (Fig.  6),  verbreitet  sich  zwar 
die  AtropJiie  über  die  ganze  Höhe  der  Sehstrahlung  und  ist  in  dem 
dorsalen  Abschnitte  sehr  ausgesprochen;  im  unteren  Abschnitte  da- 
gegen ist  die  Hauptmasse  der  mittleren  Schicht  als  ein  breites 
Band  von  schwarz  gefärbten  Fasern  erhalten  geblieben.  Sowohl 
der  dorsale  wie  der  ventrale  Abschnitt  sendet  einen  atrophischen 
Ausläufer  medialwärts  vom  hinteren  Horn  hin.  Unter  den  Lip- 
pen der  Fissura  calcarina  finden  sich  keine  deutlichen  Atrophien. 

Entsprechend  der  Ausdehnung  des  Gyrus  Hippocampi,  ver- 
ändert sich  die  Atrophie  nach  und  nach.  Ihre  Lage  und  Inten- 
sität findet  den  besten  Ausdruck  auf  den  Tafeln.  Diese  mussten 
leider  ein  wenig  schematisch  gezeichnet  werden,  da  es  gewissen 
Schwierigkeiten  unterlag,  das  in  horizontale  Scheiben  schon  zer- 
schnittene Gehirn  so  zusammenzusetzen,  dass  die  entsprechenden 
Abschnitte  genau  an  einander  passten.  Indessen  war  die  Ver- 
schiebung der  Teile  eine  unwesentliche  und  beträgt  wohl  höch- 
stens 2  —  5  m.m. 

An  den  Frontalabschnitten,  etwa  5  cm.  vor  der  Occipital- 
spitze (Fig.  7),  zeigt  sich  die  Sehstrahlung  etwa  bis  zu  ihrer  halben 
Höhe,  von  oben  gerechnet,  fast  vollständig  atrophisch  (Fig.  7). 
Schon  4  m.m.  ventral  vom  Dache  des  Ventrikels  werden  zahl- 
reiche normale  Nervenfasern  eingewebt,  und  zwar  in  einer  Aus- 
dehnung von  etwa  4  m.m.  Die  untersten  4  m.m.  enthalten  nor- 
male Fasern  in  noch  grösserer  Anzahl  und  der  ventrale  AVinkel 
der  Sehstrahlung  kann  als  beinahe  normal  bezeichnet  werden. 

Weiter  nach  vorn  (etwa  6  cm.  vor  der  Occipital-Spitze) 
(Fig.  8)  umfasst  die  Atrophie  etwa  nur  die  dorsalsten  5  m.m.; 
mehr  ventralwärts  auf  einer  Strecke  von  4  m.m.  wird  die  Atro- 
phie sehr  viel  geringer;  die  untersten  8  m.m.  der  Sehstrahlung 
sind  zienilich  normal.  Die  Atrophie  kann  bis  in  das  Splenium 
verfolgt  werden. 


Etwa  7  cm.  vor  der  Occipitalspitze  (Fig.  9)  bestehen  die- 
selben Verhältnisse,  die  obersten  5  m.m.  der  Sehstrahlung  sind 
vollständig  atrophisch,  die  untersten  75  m.m.  7venig  verändert, 
ausgenommen,  dass  ein  schmaler  gelber  atrophischer  Streifen 
sich  nach  unten  zwischen  der  Sehstrahlung  und  dem  Tapetum 
einsenkt,  welcher  wahrscheinlich  dem  Tapetum  angehört.  Klei- 
nere gelbe  atrophische  Flecke  liegen  in  dem  unteren  Abschnitte 
der  Sehstrahlung  eingestreut. 

In  dem  dorsalsten  Abschnitte  der  Sehstrahlung  liegen  kleine 
hämorrhagische  Herde  mit  Blutpigment.  Diese  erstrecken  sich 
bis  in  die  Wand  des  Ventrikels  und  zerstören  auch  das  Tapetum. 

Weiter  vorn  ///  der  Frontalebene  des  äusseren  Kniehöckers 
verhält  sich  die  Sehstrahlung  folgendermassen. 

Wie  die  Figuren  8 — 12.  Taf.  XXI  zeigen,  setzen  sich  die 
vom  äusseren  Kniekörper  lateralwärts  verlaufenden  dicken  Bündel 
ununterbrochen  in  die  dicke  und  stark  gefärbte  Sehstrahlung  fort. 
Wie  schon  erwähnt,  grenzt  inzwischen  das  grosse  Zerstörungsfeld 
unmittelbar  an  die  dorsale  Fläche  dieser  Bündel,  lässt  aber  wenig- 
stens die  Hauptmasse  unversehrt.  Aber  an  einem  Punkte  dringt 
ein  hämorrhagisches  Feld  in  die  Sehstrahlung  ein,  und  zwar  von 
aussen  oben  und  in  einer  Ausdehnung  von  den  Präp.  230 —  200, 
oder  etwa  i,  höchstens  1.5  cm.,  in  .sagittaler  Richtung.  Dieser 
Herd  liegt  1.5  —  2  m.m.  latero-dorsal  von  der  Cauda  corporis 
caudati  in  der  Höhe  der  dorsalen  Ebene  des  äusseren  Kniehöc- 
kers und  in  der  Frontalebene  mit  seinem  occipitalsten  Abschnitte, 
des  inneren  Kniehöckers  und  der  Commissura  posterior  (s.  Fig. 
12).  Zwischen  dem  hämorrhagischen  durch  reichliches  Häma- 
toidin  charakterisirten  Herde  und  der  Cauda  nuclei  caudati  liegt 
ein  dickes  Bündel  von  gut  gefärbten  Fasern.  An  mehr  occipi- 
talen  Schnitten  liegt  in  derselben  Höhe  in  der  Sehstrahlung  ein 
rundliches  2  m.m.  grosses  atrophisches  Feld,  welches  fast  die  ganze 
Dicke  der  Sehstrahlung  einnimmt.  Dieses  Feld,  obschon  ver- 
mindert, kann  ich  bis  zu  meinen  am  meisten  occipitalen  Schnit- 
ten (Präp.  82)  verfolgen.  Es  misst  hier  i  m.m.  in  der  Höhe, 
2  m.m.  in  der  Breite. 

Auch  nach  vorn  kann  man  ein  entsprechendes  Feld  eine 
längere  Strecke  (c:a  2  m.m.)  verfolgen. 

Die  übrigen  Bestandteile  des  Gratiolet'schen  Bündels  ver- 
halten sich  in  folgender  Weise. 

Die  Fasciculi  longitudinalis  superior  et  inferior  sind  überall 
fast  vollständig  atrophisch.  Der  Primärherd  hat  vorn  in  der 
Nähe  der  Insula  sie  durchtrennt. 

Das  Tapetum  ist  vorn  in  seinen  dorsalsten  4 — 5  m.m.  auf 
einer  Stre*  ke  vollständig  zerstört,  und  sendet  von  da  nach  unten 
einen  schmalen  atrophischen  Streifen,  welcher  jedoch  der  Ven- 
trikelwand nicht  unmittelbar  anliegt.  —  Im  Gebiete  des  Occi- 
pitallappens  ist  das  Tapetum  weder  erkrankt,  noch  atrophisch. 

Die  Rinde  der  Fissura  calcarina  ist  makroskopisch  völlig 
normal.  Unter  der  Loupe  wird  kein  Unterschied  der  Dicke  oder 
der  Textur  der  oberen  und  unteren  Lippen  bemerkt,  und  auch 
nicht  mit  Sicherheit  bei  stärkerer  Vergrösserung. 

Eine  geringe  Atrophie  sc:heint,  in  Anbetracht  der  Grösse 
der  perivaskulären  Räume  zu  bestehen. 

Der  Baillarger'sche  Streifen  ist  in  beiden  Lippen  gut  aus- 
geprägt, die  Tangentialschicht  ist  auch  in  beiden  deutlich  vor- 
handen, wie  die  vertikalen  Markstrahlen. 


158 


S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Ob  dagegen  eine  Differenz  der  Zellen  vorhanden  ist,  muss 
ich  unentschieden  lassen. 

Pons  und  Medulla  oblongata. 

Für  die  Untersuchung  wurde  eine  fast  vollständige  Schnitt- 
reihe dieser  Teile  verfertigt  und  wurden  etwa  200  —  300  Schnitte 
gefärbt  und  untersucht. 

Die  Pyramidenbahii  war  rechts  vollständig  degenerirt  und 
geschrumpft.  Nur  einzelne  Fasern  waren  noch  übrig,  und 
diese  in  Bruchstücken. 

Die  ScJileife.  Schon  im  dorsalsten  Abschnitt  des  Pons  tritt 
eine,  wenn  auch  unbedeutende,  Atrophie  in  der  rechten  Schleife 
hervor.  Diese  trifft  hauptsächlich  den  medialen  Abschnitt,  wo 
die  Fasern  rechts  spärlicher  sind  als  links. 

Weiter  unten  in  der  Höhe  der  Oliven,  tritt  auch  hervori 
dass  die  linke  Schleife  besonders  im  ventralen  Abschnitte  rechts 
etwas  schmäler  ist  als  links. 

Die  Fibrcc  arcuatce  internce  sind  auch  links  entschieden  spär- 
licher als  rechts,  und  zwar  in  der  ganzen  Länge  der  Kreuzung. 

In  Übereinstimmung  damit  ist  das  Fasernetz  im  Nitcleus 
funiculi  gracilis,  und  besonders  im  N.  f.  cuneati  rechts  dichter 
und  reichlicher  als  links.  Ein  bestimmter  Unterschied  in  der 
Grösse  der  beiden  Kerne  links  und  rechts  ist  nicht  nachzuweisen. 

Bindearinc.  Beide  Bindearme  sind  kräftig.  Es  scheint 
jedoch,  als  ob  der  linke  etwas  schmäler  als  der  rechte  sei.  Je- 
denfalls ist  der  Unterschied  ein  geringer,  und  eine  Bindegewebs- 
wucherung  findet  sich  nicht  vor. 

Epikrise. 

Kurzer  Krankenbericht.  Im  März  Q)  i88g  wurde 
Pat.  von  einem  Schlaganfalle  getrofifen,  sie  wurde  linksseitig 
gelähmt  und  anästhetisch.  Im  Juni  dess.  J.  bestand  aus- 
ser linksseitiger  Parese  mit  Anästhesie  noch  linksseitige  ho- 
monyme Hemianopsie  mit  liinschränkung  der  rechtsseitigen 
Gesichtsfeldhälften  (s.  Perimeterkarte).  Im  Juli  war  die  früher 
vollständige  Hemianopsia  sinistra  zu  einer  linksseitigen  Qua- 
drant-Hernianopsie  mit  Ausfall  des  unteren  Qandranten  ver- 
ändert. Dieser  Zustand  wurde  von  nun  ab  stationär  und 
gleich  befunden,  und  zwar  bei  den  erneuerten  Prüfungen  ^/s 
1890,  ^'/9  1890,  Febr.  1891,  ^^/s  1791,  Nov.  1892  und  März 
1893.  Bei  den  letzten  Prüfungen  konnten  genaue  Perimeter- 
karten jedoch  nicht  mehr  aufgenommen  werden.  Pat.  starb 
am  1893. 

Bei  der  Sektion  fanden  sich  in  der  rechten  Hemisphäre 
einige  kleine  malacische  Herde  in  der  vorderen  Ausstrahlung 
der  inneren  Kapsel  im  Mark  der  dritten  Frontahvindung,  in 
der  linken  Hemisphäre  dagegen  eine  hämorrhagische  Cyste  im 
hinteren  Abschnitte  der  inneren  Kapsel,  gleich  am  Winkel 
zwischen  der  ersten  Temporalwindung  und  den  hintersten  In- 
sularwindungen. Das  umgebende  Gewebe  war  in  ansehn- 
licher Ausdehnung  verändert,  teils  malacirt,  teils  in  festes 
Bindegewebe  umgewandelt.  Diese  Veränderung  erstreckte 
sich  nach  vorn  längs  der  äusseren  Kapsel  bis  zum  vorderen 
Insularwinkel,  dann  in  das  Mark  der  ersten  Temporalwindung 
und  nach  innen  und  unten  bis  zum  äusseren  Kniehöcker  und 
über  den  grössten  Teil  des  Pulvinars,  endlich  nach  unten 
und  hinten  in  die  Sehstrahlung. 


Sekundäre  Veränderungen  finden  sich  in  dem  rechten 
Tractus  nervi  optici,  in  der  Sehstrahlung  und  in  der  Pyrami- 
denbahn. 

Diagnose.  Art  und  Lokali saiion  der  Läsion.  Der 
Symptomenkomplex  bei  dem  Schlaganfalle,  das  8-stündige 
Verschwinden  des  Bewusstseins  spricht  eher  für,  als  gegen 
eine  Hämorrhagie.  Hämorrhagien  von  nicht  zu  ausgedehn- 
tem Umfange  in  der  Nähe  des  hinteren  Abschnittes  der  Cap- 
sula interna  sind  gewöhnlich  nur  von  Schwindelanfall  und 
relativ  kurzdauernder  Bewusstlosigkeit  (1  —  einige  Stunden)  be- 
gleitet. Dagegen  treten  die  dauernden  Lähmungen  und  aus- 
geprägten Sensibilitätsstörungen  in  den  Vordergrund.  Auch 
ausgeprägte  Gehörstörungen  am  entgegengesetzten  Ohre  pfle- 
gen vorhanden  sein.  Endlich  bestätigt  der  Fall,  dass  noch 
eine  interessante  Störung  dadurch  hervorgerufen  werden  kann, 
nämlich  Hemianopsie,  und,  wie  dieser  Fall  in  prägnanter 
Weise  zeigt,  zuerst  in  vollständiger  Form,  mit  beschränktem 
Gesichtsfelde  auch  in  der  entgegengesetzten  Hälfte,  später 
in  Form  von  Quadrant- Liemianopsie  nach  unten. 

Ein  solcher  Symptomenkomplex  —  scheinbar  leichter 
Schlaganfall  mit  dauernder  motorischer  und  sensibler  Hemi- 
plegie, verbunden  mit  Störung  des  Gehörs  und  zuerst  voll- 
ständiger, dann  partieller  (Quadrant-)Hemianopsie  nach  unten  — 
dürfte  in  hohem  Grade  für  einen  Insult  in  dem  hinteren  Ab- 
schnitte der  Capsula  interna  charakteristisch  —  ja  pathogno- 
monisch  sein. 

Die  später  anzuführenden  Krankheitsfälle  bestätigen 
diese  Annahme. 

Die  Sektion  wies  nun  nach,  dass  eine  Hämorrhagie  der 
Cystenbildung  voranging.  Bemerkenswerth  ist,  dass  der 
Schlaganfall  nicht  von  Zuckungen  begleitet  war. 

Analyse  der  Symptome. 

Die  Psyche  bot  nichts  Bemerkenswerthes  dar. 

Aphasie.  Gleich  bei  dem  Anfalle  wurde  eine  vorüber- 
gehende Sprachstörung  bemerkt,  wahrscheinlich  motorischer 
Art  (»das  Sprechen  wurde  ihr  anfänglich  schwer»).  Aber 
auch  gegen  das  Ende  des  Lebens  am  1893  wurde  moto- 
rische Aphasie  bemerkt.  Bei  der  Sektion  fanden  sich  meh- 
rere kleine  Malacien  in  der  motorischen  Sprachbahn,  in 
der  vorderen  gegen  das  Mark  der  Broca'schen  Region  (Taf. 
XX.  Fig.  I  mal)  verlaufenden  Ausstrahlung  der  inneren  Kajo- 
sel.  Diese  waren  älteren  Datums  und  standen  wahrscheinlich 
in  Zusammenhang  mit  der  beobachteten  motorischen  Aphasie. 
Da  keine  kortikalen  Veränderungen  vorhanden  waren,  so  liegt 
also  ein  Fall  von  subkortikaler  motorischer  Aphasie  vor.  Die 
Sprachbahn  war  jedoch  keineswegs  vollständig  durchtrennt, 
sondern  nur  hie  und  da  durch  die  kleinen  Malacien  beein- 
trächtigt. Darin  liegt  vielleicht  die  Ursache,  warum  im  kli- 
nischen Protokolle  die  Sprachstörung  nur  im  Anfang  und  am 
Ende  der  Krankheit  bemerkt  wurde.  An  diesen  Zeitpunkten 
musste  die  Sprachstörung  am  deutlichsten  erscheinen. 

Kranialnerven. 

II.    Über   die   wichtigen   Gesichtsstörungen  in  diesem 
Falle  wird  unten  besonders  verhandelt  werden. 


ÜBER  DIE  BEZIEHUNG  DER  SEHFASERN  ZU  DEN  CENTRALGANGLIEN 


159 


III.  IV.  VI.  Die  im  Juli  1889  und  Vi  1893  bemerkte 
und  ungeachtet  der  recht  gut  erhaltenen  Sehschärfe  (""/so — 
^°/2o)  fast  vollständige  Pupillenstarre  findet  im  Sektionsbefund 
keine  genügende  Erklärung.  In  der  linken  Hemisphäre  fanden 
sich  überhaupt  keine  auf  die  Reaktion  der  Pupillen  einwirken- 
den Veränderungen;  in  der  rechten  war  durch  die  vorhan- 
dene Zerstörung  wahrscheinlich  die  Verbindung  /.wischen 
dem  Opticus  und  dem  Pupillenkern  aufgehoben.  Unter  sol- 
chen Umständen  bestand  vielleicht  eine  iiemiopische  Pupillen- 
reaktion, auf  die  leider  während  des  Lebens  nicht  gefahndet 
worden  war,  aber  eine  vollständige  Reaktionslosigkeit  hätte 
nicht  vorhanden  sein  sollen.  Auch  waren  die  Nervi  optici 
keineswegs  atrophisch. 

Der  ophthalmoskopische  Befund  ergab  etwas  verschiedene 
Resultate,  nämlich  im  Nov.  1892  einen  im  Allgemeinen  nor- 
malen Befund  und  grosse  physiologische  Exkavation,  später,. 
Anfang  (^/i)  1893,  waren  die  lateralen  Hälften  der  Pupillen 
entfärbt. 

VII.  Schon  bei  dem  Schlaganfalle  wurde  das  Gesicht 
nach  links  verzogen  (linksseitiger  Krampf?),  später,  Juni  1889, 
rcsultirte  eine  leichte  linksseitige  P'acialislähmung  mit  nach 
rechts  verzogener  Uvula;  diese  Lähmung  wurde  auch  im  Juli 
bemerkt.  Sie  findet  in  der  ausgedehnten  Zerstörung  der  Cap- 
sula interna  ihre  genügende  Erklärung. 

IX.  Die  bei  dem  Anfalle  beobachtete  Schwierigkeit 
beim  Schlucken  dürfte  in  einer  Lähmung  der  Zungen-Larynx- 
Muskulatur  ihre  Erklärung  finden. 

XII.  Die  linksseitige  Zungenlähmung  erklärt  sich  aus 
der  Zerstörung  der  Capsula  inteitia. 

Sensibilität. 

Schon  gleich  bei  dem  Schlaganfalle  wurde  die  ganze 
linke  Körperhälfte  völlig  gefühllos.  Wenn  auch  später  das 
Gefühl  als  gebessert  angeführt  wird,  so  bestand  doch  eine 
ausgeprägte  Herabsetzung  der  Sensibilität  fort.  Im  Juni  1889 
wurden  leichte  Berührungen  mit  der  Fingerkuppe  und  ober- 
flächliche Nadelstiche  nicht  empfunden.  Schon  im  Juli  wird 
jedoch  bemerkt,  dass  diese  Anästhesie  nicht  mehr  so  voll- 
ständig war  wie  früher.  Die  »Schmerzempfindung  war  links 
erhalten,  aber  vermindert»  und  die  Lokalisation  ungenügend. 
Dagegen  soll  die  Muskelempfindung  links  völlig  aufgehoben 
gewesen  sein. 

Im  Ganzen  kann  also  die  Sensibilität  als  im  höchsten 
Grade  vermindert  bis  crloschoi  bezeichnet  werden. 

Da  nun  bei  der  Sektion  die  HanbenstraJdiing  fast  völlig 
durchtrennt  erschien,  und  der  ganze  occipitale  Abschnitt  der 
inneren  Kapsel  verödet  war,  so  stehen  die  klinischen  und 
anatomischen  Befunde  in  genügendem  Einklang. 

Alle  Sensibilitätsqiialitäten  waren  also  ungefähr  in  glei- 
chem Grade  'ergriffen,  was  in  Übereinstimmung  mit  der  all- 
gemeinen Erfahrung  steht.  In  Anbetracht  der  grossen  Aus- 
dehnung der  Zerstörung  der  inneren  Kapsel  können  hinsicht- 
lich der  Lage  der  verschiedenen  Bahnen  der  verschiedenen 
Qualitäten  bestimmte  Schlüsse  nicht  gezogen  werden. 


Motilität. 

Besondere  und  werthvollere  Schlüsse  über  die  Wege  der 
Motilität  können  aus  dem  Falle  nicht  hergeleitet  werden.  Die 
vollständige  linksseitige  Parese  findet  in  der  ausgebreiteten 
Destruktion  der  rechten  Kapsel  ihre  Erklärung. 

Bemerkenswerth  ist  jedoch,  dass  das  linke  Bein  bald 
nach  dem  Schlaganfalle  bewegt  werden  konnte,  und  dieser 
Befund  wurde  bei  .späterer  Untersuchung  (im  Juni  und  Juli 
1889)  bestätigt;  später  wird  der  Befund  als  Status  idem  mit 
dem  im  Juli  1889  erklärt. 

Die  Untersuchung  der  motoriscJien  Bahn  in  der  Medulla 
oblongata  zeigte,  dass  die  ganze  Bahn  völlig  atrophisch  zvar. 
Dessen  ungeachtet  kann  Pat.  das  linke  Bein  etwas  bewegen. 
Diese  Thatsache  kann  nun  durch  die  Annahme  einer  Supple- 
1/ientärbahn,  wie  ich  im  Falle  Malm  näher  angegeben  habe, 
erklärt  werden.  Der  Impuls  zum  linken  Bein  kann  entweder 
von  der  intakten  linken  Centraiwindung  ausgehen  und  in  der 
linken  Hemisphäre  verlaufen,  oder  von  der  rechten  Centrai- 
windung durch  das  Corpus  callosum  in  die  linke  Capsula 
interna  fortgepflanzt  worden  sein. 

Die  Innervation  des  Arms  folgt  deutlich  nicht  derselben 
Regel ;  er  ist  nicht  in  demselben  Masse  bilateral  innervirt. 

Reflexe, 

Der  Patellarreflex  war  in  Übereinstimmung  mit  der  ab- 
steigenden Degeneration  links  erhöht. 

Gesichtsstörungen.    (Taf.  XXI.) 

Das  Interesse  des  gegenwärtigen  Falles  dreht  sich  um 
die  Gesichtsstörungen.  In  dieser  Hinsicht  zog  der  l^"aU  schon 
vom  Anfang  an  die  Aufmerksamkeit  des  Herrn  Doktor 
Wilbrand  auf  sich,  und  im  Interesse  der  allseitigen  auch  mi- 
kroskopischen Bearbeitung  des  Gehirns  hatte  mein  verehrter 
Freund  und  Kollege  die  Güte  den  Fall  mir  zu  überlassen. 
Leider  kann  ich  nicht  sagen,  dass  die  viele  Mühe  und  der 
Aufwand  von  Zeit  und  Arbeit,  welcher  dem  Falle  reichlich 
zu  Teil  geworden  ist,  ihn  in  erwünschtem  Masse  aufgeklärt 
und  die  Resultate  unumstösslich  gemacht  haben.  W^as  aber 
aus  dem  Falle  herauskommen  konnte,  ist  auch  herausgekom- 
men. Es  ist  die  Beschaftenheit  des  Falles  —  die  unregel- 
mässige Ausdehnung  der  Zerstörung  längs  der  Sehbahn  — 
welche  hier  die  Schwierigkeit  gemacht  hat. 

Wie  aus  der  weitläufigen  Beschreibung  der  Sehbahn  und 
der  Destruktion  hervorgeht,  grenzt  diese  an  verschiedenen 
Punkten  jener  an.  Die  Destruktion  dringt  an  verschiedenen 
Punkten  bis  an  die  Sehbahn  herab.  Der  Kertipunkt  ist:  wo 
ist  die  Sehbahn  primär  ergriffen,  wo  liegt  diejenige  Läsion, 
welche  die  Sehfasern  des  dorsalen  Retina-Quadranten  durch- 
trennt und  dadurch  die  ventrale  Quadrant-Hemianopsie  her- 
vorgerufen hat? 

Die  Destruktion  oder  die  von  ihr  sekundär  verursachte 
Bindegewebswucherung  berührt  an  drei  verschiedenen  Punk- 
ten die  Sehbahn,  nämlich  an  dem  Tractus  opticus,  auf  den 
Fig.  5 — 7'  '^ri  dem  äusseren  Kniehöcker  und  an  dem  fron- 
talen Abschnitte  der  Sehstrahlung  in  der  Ebene  der  Knie- 


160 


S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


höcker  oder  ein  wenig  mehr  occipital  (Fig.  8 — 12).  Die 
eventuelle  Einwirkung  der  Zerstörung  an  diesen  Punkten  muss 
genauer  auseinander  gesetzt  werden. 

Zuerst  hebe  ich  nun  hervor,  dass  an  allen  diesen  Piink- 
teti  der  Zerstörungsherd  dorsal  von  der  Seilbahn  liegt.  An 
keinem  Punkte  tritt  im  ventralen  Schnitte  der  Schbahn  eine 
Läsion  auf.  —  Noch  eine  Möglichkeit  liegt  indessen  vor. 

1.  Die  Sehbahn  ist  nämlich,  wie  ich  erst  jüngst  bei 
Durchmusterung  der  Serienschnitte  des  Occipito-Temporal- 
lappens  bemerkte,  auch  an  einem  Punkte,  etwa  3  cm.  vor 
der  Occipitalspitze,  von  einer  kleinen  etwa  i  m.m.  grossen 
Malacie  getroffen.  Diese  Malacie  erstreckt  sich  nur  durch 
eine  kleine  Anzahl  von  10  Schnitten,  hat  also  eine  unge- 
fähre Ausdehnung  in  der  Sagittalrichtung  von  etwa  0,3  m.m. 
Ihre  Wirkung  auf  die  Sehbahn  muss  schon  aus  diesem  Grunde 
als  mehr  lokal  betrachtet  werden,  obschon  sie  etwa  dem 
Grunde  der  Fissura  calcarina  entsprechend  liegt.  Kann  die 
Quadrant-Hemianopsie  durch  diesen  Herd  verursacht  sein.?  Ich 
glaube  darauf  bestimmt  mit  Nein  antworten  zu  dürfen.  Dieser 
Herd  scheint  nämlich  neueren  Datums  zu  sein.  Ein  älterer 
Herd  von  jener  kleinen  Ausdehnung  wäre  ohne  Zweifel  fast 
vollständig  zusammengeschrumpft  gewesen  und  hätte  nur 
einen  weissen  Bindegewebsfleck  hinterlassen.  Nun  aber 
findet  man  hier  einen  ganz  jungen,  nicht  organisirten,  mit 
Rundzellen  reichlich  gefüllten,  Herd.  Das  Vorhandensein 
solcher  kleiner  Herde  zeigt,  wie  ausserordentlich  wichtig  die 
Verfertigung  und  genaue  Durchmusterung  von  mikroskopi- 
schen Schnittserien  für  die  Beurteilung  der  Sektionsbefunde  ist. 

2.  Fragen  wir  dann,  ist  die  Quadrant-Hemianopsie 
durch  Einwirkung  auf  den  Tracius  opticus  hervorgerufen  (Vgl. 
F"ig.  5 — 7)-  Die  angeführten  Abbildungen  zeichnen  die  am 
meisten  bedrohten  Punkte  ab.  Wir  können  dann  Folgendes 
bestätigen:  i)  an  keinem  Punkte  ist  der  Tractus  direkt  er- 
griffen; nirgends  sieht  man  in  dem  Tractus  selbst  einen 
hämorrhagischen  Herd  oder  eine  Erweichung,  noch  eine 
Spur  von  Blutpigment;  2)  die  dorsale  Kontur  des  Tractus 
ist  überall  unberührt  und  unversehrt.  Die  dorsal  vom  Trac- 
tus liegende  Zerstörung  war  nicht  im  Stande,  durch  den 
Druck  an  irgend  einem  Punkte  eine  vollstä)idige  Rand- 
atrophie hervorzurufen;  3)  dass  anderereits  die  kleinen  Hä- 
morrhagien,  welche  etwa  1  —  2  m.m.  dorsal  vom  Tractus  lie- 
gend, auf  denselben  gewissermassen  lokal  ungünstig  einge- 
wirkt haben,  leidet  wohl  keinen  Zweifel.  PLin  Blick  auf  die 
Fig.  7  dürfte  davon  überzeugen.  Der  Abschnitt  des  Tractus, 
welcher  von  einem  gesunden  dicken  Bündel  überlagert  ist 
und  dadurch  vor  dem  Zerstörungsherd  geschützt  ist,  ist  auch 
normal,  während  die  mediale,  den  Hämorrhagien  unmittelbar 
anliegende  Spitze  des  Tractus,  auffallend  bleicher,  d.  h. 
atrophisch  ist.  An  einem  anderen  nicht  abgebildeten  Schnitte 
war  auch  die  latero-dorsale  Spitze  durch  die  unmittelbare  Nähe 
des  Zerstörungsherdes  in  gleicher  Weise  ergriffen. 

Sonst  liegt  es  ganz  nahe,  zu  denken,  dass  die  Atrophie 
hier  sekundär  nach  der  Destruktion  des  dorsalen  Abschnittes 
des  äusseren  Kniehöckers  sein  kann,  und  eine  solche  Auf- 
fassung findet  darin  eine  gewisse  Stütze,  dass  die  dorsale 
Kontur  des  Tractus  unversehrt  ist  und  die  Atrophie  etwas 


mehr  nach  innen  und  unten  liegt  und  ungefähr  der  Ausdeh- 
nung der  Destruktion  im  Kniehöcker  der  Lage  nach  entspricht. 

Nicht  unwahrscheinlich  ist,  dass  jene  beiden  Momente, 
die  Nähe  der  kleinen  Blutungen  und  die  sekundäre  Atrophie, 
zufälligerweise  auf  dasselbe  Gebiet  des  Tractus  eingewirkt 
haben.  Jedenfalls  ist  diese  Atrophie  nicht  gross  genug,  um 
eine  vollständige  Quadrant-Hemianopsie  nach  unten  hervor- 
zurufen. Und  dann  findet  sich  innerhalb  dieses  Gebietes 
überall  eine  nicht  7tnbeträchtlicJie  Anzahl  von  übriggebliebeneii 
optischen  Faserti.  Nun  zvar  aber  das  untere  Gesichtsfeld 
absolut  dunkel.  Die  vollständige  Blindheit  steht  in  grellem 
W^iderspruch  mit  dem  Vorhandensein  so  vieler  optischer 
Fasern,  und  zwar  in  einem  sehr  beschränkten  Gebiete  des 
Tractus. 

Hieraus  ergiebt  sich  die  Unwahrscheinlichkeit,  dass  die 
bestehende  Hemianopsie  durch  die  Veränderung  im  Tractus 
verursacht  war.  Vielmehr  sprechen  einige  Momente  dafür, 
dass  diese  Atrophie  wenigstens  zum  Teil  sekundär  der  De- 
struktion des  Kniehöckers  sei. 

3.  Wir  gehen  auf  die  Deutung  der  Veränderung  im 
äusseren  Kniehocker  über.  Hier  liegt  nun  im  dorsalen  und 
dorso  medialen  Abschnitte  eine  ausgedehnte  und  recht  inten- 
sive Veränderung  vor.  Die  Fig.  9.  10.  geben  davon  ein  Bild; 
besonders  ausgeprägt  ist  die  Veränderung  um  den  Schnitt  281 
(Fig.  9),  aber  sie  findet  sich  in  einer  Ausdehnung  von  etwa 
50 — 60  Schnitten.  Auch  hier  findet  sich  keine  primäre  Hiimor- 
rhagie  oder  Malacie,  dagegen  eine  weit  fortgeschrittene  Atrophie 
und  Zerstörung,  sowohl  der  Zellen  wie  der  Fasern,  und  die  dor- 
sale Kapsel  ist  in  der  angegebenen  Strecke  völlig  verschwunden. 
Die  Ursache  der  Veränderung  sind  ohne  Zweifel  die  unmittelbar 
dor-sal  vom  Kniekörper  liegenden  kleinen  Hämorrhagien  und 
die  dadurch  bedingte  mechanische  und  chemische  Einwirkung 
auf  den  Kniekörper.  Dass  eine  solche  fast  vollständige  Atro- 
phie und  Zerstörung  des  Kniekörpers  von  entsprechender 
Funktionsstörung  begleitet  werden  muss,  ist  von  selbst  ein- 
leuchtend; und  Alles  spricht  dafür,  dass  der  P'unktionsausfall 
den  dorsalen  Quadranten  der  Retina  treffen  "^nuss. 

Schon  im  2.  Teil  dieses  Werkes  habe  ich  die  Lage 
der  verschiedenen  Bündel  im  Nervus  und  im  Tractus  opticus 
in  der  Art  bestimmt,  dass  die  Bündel  der  dorsalen  Hälften 
der  Retina  dorsal  liegen  und  die  der  ventralen  verhältniss- 
mässig  ventral.  Zu  diesen  Schlüssen  wurde  ich  durch  die 
Aneinanderreihung  und  Zusammenstellung  verschiedener  kli- 
nischer und  anatomischer  Befunde  gedrängt.  Diese  Schlüsse 
sind  einerseits  durch  spätere  Untersuchungen  von  Prof.  A. 
Pick  in  Prag  für  das  Kaninchen  bestätigt  und  andererseits 
sind  einige  widerstreitende  neue  Befunde  meines  Wissens  nicht 
prästirt. 

W'eiter  habe  ich  auch  gezeigt,  dass  die  gekreuzten  und 
ungekreuzten  Bündel  im  Tractus  opticus  als  getrennte  Bündel 
bis  zum  äusseren  Kniehöcker  verlaufen  (Teil  I,  S.  16),  dass 
ihre  Fasern  sich  aber  innerhalb  des  Kniehöckers  mit  einander 
mischen.  Alles  spricht  also  dafür,  dass  wir  im'  dorsalen  Ab- 
schnitt des  Kniehöckers  die  Fasern  der  dorsalen  Retinahälfte 
antreffen  müssen  und  im  ventralen  die  der  ventralen  Retina- 
hälfte. 

Die  vorhergehenden  Untersuchungen  stimmen  nun  sehr 


ÜBER  DIE  BEZIEHUNG  DER  SEHFASERN  ZU  DEN  CENTRALGANGLIEN 


161 


schön  mit  dem  Schluss  in  diesem  Falle,  dass  die  Destruktion 
des  dorsalen  Gebietes  des  Corpus  geniculatum  eine  Quadrant- 
Hemianopsie  nach  unten  hervorgerufen  hat.  Die  intensive 
Veränderung  dürfte  auch  die  totale  Blindheit  in  diesem  Felde 
erklären  können.  Was  die  Ausdehnung  in  vertikaler  Richtung 
betrifift,  so  umfasst  die  Veränderung  kaum  die  Hälfte  des 
Ganglions,  aber  es  muss  als  ungewiss  betrachtet  werden,  in 
wie  weit  auch  die  nächsten  mehr  nach  unten  liegenden  Fasern 
und  Zellen  in  ihren  Funktionen  beeinträchtigt  werden  können. 

Die  Veränderung  nimmt  auch  nicht  die  ganze  Länge 
des  Ganglions  in  sagittaler  Richtung  ein.  Dabei  ist  zu  be- 
merken, dass  man  z.  Z.  keine  Kenntniss  hat,  wie  weit  eine 
Zerstörung  in  dieser  Richtung  sich  ausdehnen  muss,  um  eine 
komplete  Blindheit  hervorzurufen.  Wir  kennen  z.  Z.  zu 
wenig  von  der  anatomischen  Anordnung  der  eintretenden 
Tractusfasern.  Nur  ein  selten  günstiger  Zufall  könnie  unsere 
gegenwärtige  Kenntniss  in  dieser  Hinsicht  befördern.  Das  nicht 
seltene  Auftreten  von  auf  den  Kniekörper  begrenzten  Ver- 
änderungen verspricht  jedoch  gute  Resultate  von  mit  ge- 
wissenhafter Genauigkeit  ausgeführten  kombinirten  klinischen 
und  anatomischen  Untersuchungen. 

Endlich  bemerke  ich,  dass  die  Atrophie  auch  etwas  auf 
den  .medio-ventralen  Abschnitt  des  Kniekörpers  übergegriffen 
hat.  Dieses  Übergreifen  kann  späteren  Datums,  spät-sekundär 
sein,  und  man  kann  sich  vorstellen,  dass  dies  der  anscheinend 
späteren  Ausdehnung  des  Gesichtsdefektes  nach  oben  ent- 
spricht. 

Die  vorliegenden  klinischen  Daten  werden  also  meiner 
Meinung  nach  durch  die  Atrophie  des  dorsalen  ümfanges  des 
äusseren  Kniekörpers  in  genügender  Weise  erklärt  und  ohne 
den  Thatsachen  Zwang  anzuthun. 

4.  Endlich  ziehen  wir  in  Erwägung,  ob  die  occipitale 
Bahn  an  irgend  einem  Punkt  durch  den  Destruktionsherd 
getroffen  ist.  Zuerst  ist  dabei  zu  bemerken,  dass  der  Herd 
in  grösserer  Ausdehnung  an  die  Sehbahn  grenzt  oder  die- 
selbe umschliesst.  Die  Fig.  11  und  12  zeigen,  dass  der 
Herd  in  mehr  occipitalen  Schnitten  etwas  weiter  von  der 
Sehbahn  entfernt  liegt,  und  zwar  sowohl  vom  Kniehöcker 
selbst,  wie  vom  Wernicke'schen  Feld  und  der  eigentlichen 
Sehstrahlung,  dagegen  in  den  Schnitten  aus  dem  mittleren 
Gebiete  des  Kniehöckers  (Fig.  9  und  10),  wo  dieses  Ganglion 
auch  in  grösserer  Ausdehnung  affizirt  ist,  dieser  enger  sich 
anschliesst.  Wie  der  Destruktionsherd  die  Sehbahn  an  den 
einzelnen  Punkten  bedroht,  geht  am  besten  aus  den  Abbil- 
dungen hervor. 

Die  Frage  ist  nun:  ist  es  wahrscheinlich,  dass  die  Fasern 
der  Sehbahn  hier  an  irgend  einem  Punkte  dauernd  so  ge- 
schädigt sind,  dass  dadurch  eine  Quadrant-Hemianopsie  mit 
vollständiger  Blindheit  innerhalb  des  Defekts  hatte  entstehen 
können?  Diese  Frage  ist  ohne  Zweifel  nicht  ganz  leicht  zu 
beantworten.  Die  Fig.  9,  wo  die  Sehbahn  am  meisten  ge- 
schädigt ist,  zeigt  ein  recht  grosses  Feld  mit  kräftig  gefärbten 
Fasern  und  Bündeln.  Es  macht  den  Eindruck,  dass  hier 
wenigstens  die  Hauptmasse  der  aus  dem  Kniekörper  kommen- 
den Fasern  einen  genügenden  Platz  finden  könnte.  Dagegen 
lässt  sich  die  Möglichkeit,  dass  verschiedene  aus  der  dorsalen 
Kapsel  stammende  Fasern  bei  ihrem  Verlaufe  vom  Kniehöcker 


in  die  Sehstrahlung  beeinträchtigt  oder  durchtrennt  gewesen 
sein  könnten,  nicht  ohne  Weiteres  abweisen.  Dass  in  solchem 
Falle  nur  eine  verhältnissmässig  kleinere  Anzahl  von  Fasern 
getroffen  sein  kann,  scheint  mir  jedoch,  in  Anbetracht  der 
grossen  Anzahl  erhaltener  Fasern,  höchst  wahrscheinlich. 
Eine  vollständige  Quadrant-Hemianopsie  mit  kompleter  Blind- 
heit im  unteren  Quadranten  und  Beschränkung  des  oberen 
Quadranten  dürfte  kaum  hier  ihre  Ursache  finden. 

Gehen  wir  an  der  Hand  der  Abbildungen  noch  einen 
Schritt  weiter,  so  sehen  wir  nach  rechts  das  durch  die  hämor- 
rhagischen Herde  durchlöcherte  Gewebe,  welches  dorso-late- 
ral  von  der  Sehbahn  liegt.  Es  senkt  sich  mit  einem  spitzen 
Au.släufer  nach  unten  und  liegt  hier  zwischen  der  Sehstrahlung 
und  dem  subkortikalen  Mark  der  ersten  und  zweiten  Tempo- 
ralwindung. Von  der  Lage  und  Ausdehnung  der  Destruk- 
tion bekommt  man  am  besten  einen  Überblick  beim  Betrach- 
ten der  makroskopischen  Abbildungen  (Taf.  XX,  Fig.  2,3,4). 
Die  mikroskopischen  P'iguren  sind  nach  Frontalschnitten  des 
ventralen  Stückes  (also  der  Fig.  4)  gezeichnet,  und  die  Aus- 
breitung des  destruirten  Gebietes  tritt  klarer  an  den  mikro- 
skopischen Abbildungen  hervor.  Wir  sehen  nun,  dass  die 
Destruktion  an  dem  dorsalsten  Schnitte  (Fig.  2)  bis  zur  Wand 
des  Ventrikels  vordringt,  und  die  Wand  selbst  destruirt  hat, 
wenn  auch  nur  in  einer  beschränkten  Ausdehnung  und  zwar 
gegenüber  dem  Winkel  zwischen  und  C.  Die  Stelle  liegt 
aber  mehr  dorsal  als  das  Dorsum  Thalami.  Weiter  nach  unten 
(F'ig.  3)  dringt  die  Cyste  mehr  nach  vorn,  aber  das  Gewebe 
sowohl  nach  vorn  wie  nach  hinten  ist  geschädigt.  Am  ven- 
tralsten Stück  liegt  die  Cyste  ansehnlich  mehr  frontalwärts, 
das  Destruktionsgebiet  erstreckt  sich  aber  nach  allen  Richtungen 
hin.  Hier  geben  uns  die  mikroskopischen  Abbildungen  ge- 
nauere Auskunft  über  die  Lage  der  Destruktion.  Die  De- 
struktion dringt  nicht  mehr  bis  zur  Wand  des  Hinterhorns, 
sondern  lässt  die  SeJistrahhmg  fast  vollstätidig  frei  und  dringt 
lateral  von  ihr  in  die  Tiefe.  Es  sind  also  fast  nur  die  hier 
liegenden  Bündel  ergriffen  und  destruirt.  In  diesen  Bündeln 
verlaufen  meines  Wissens  keine  Sehfasern. 

Indessen  ist  die  Sehstrahlung  nicht  absolut  frei.  Es  fin- 
det sich  nämlich  ein  kleiner,  i  m.m.  grosser  Herd  mit  Blut- 
pigment an  einem  Punkte,  in  der  Fig.  12.  mit  häm.  bezeichnet. 
Dieser  Herd  liegt  in  gleicher  Ebene  mit  der  dorsalen  Fläche  des 
Kniehöckers.  Ihre  kleine  Ausdehnung,  das  reichliche  Vor- 
handensein normaler  kräftig  gefärbter  Fasern  in  ihrer  unmit- 
telbaren Nähe  macht  es  ganz  unwahrscheinlich,  dass  sie  einen 
solchen  grossen  Defekt  im  Gesichtbfelde  verursacht  haben 
könnte.  Die  mehr  dorsal  gelegenen  Destruktionen  können 
nicht  die  Quadrint-Hemianopsie  hervorgerufen  haben,  weil 
sie  weit  über  der  dorsalen  Ebene  des  Kniehöckers  liegen,  und 
die  Sehfasern  vom  Kniehöcker  ohne  Zweifel  schräg  ventral- 
wärts  verlaufen.  Nur  Herde,  welche  in  der  Ebene  des  Gang- 
lions oder  mehr  ventral  als  dasselbe  liegen,  können  die  Seh- 
fasern treffen. 

An  den  Frontalschnitien  durch  den  Teinporo-Occipital- 
lappen  zeigt  es  sich  auch,  dass  der  ventrale  Abschnitt  der 
Sehstrahlnng  im  Ganzen  ivenig  ergriffen  ist  (Fig.  5 — 9,  Taf. 
XX),  während  der  dorsale  dagegen  mehr  oder  weniger  de- 
generirt  ist.    An  den  frontalsten  Schnitten  (Taf.  XX.  F'ig.  8 


\{V2  S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


und  9)  kann  man  die  dorsale  Hälfte  als  degcncrirt  bezeichnen; 
die  ventrale  enthält  wenigstens  noch  so  viele  normale  Easern, 
dass  man  annehmen  darf,  dass  sie  fungiren  kann,  also  die 
Lichteindri^icke  genügend  leiten.  Je  weiter  nach  unten,  um 
so  zahlreicher  sind  die  normalen  Easern.  Dieser  normale 
Abschnitt  beginnt  etwa  in  der  Höhe  des  ersten  Temporal- 
sulcus.  In  dem  erhalten  gebliebenen  /Abschnitt  der  Seh- 
strahlung liegen  jedoch  nicht  wenige  kleine  atrophische  Flecke 
(an  den  Fig.  schwarz  gezeichnet). 

Weiter  nach  hinten  (Fig.  5  und  6),  etwa  4  und  3  cm. 
vor  der  Occipitalspitze,  senkt  sich  die  Atrophie  ventralwärts 
und  der  grösste  Teil  der  Sehstrahlung  zeigt  eine,  wenn  auch 
nicht  sehr  ausgeprägte  Atrophie,  aber  jedenfalls  ist  diese 
mehr  ausgesprochen  in  der  dorsalen  Hälfte. 

Wenn  auch  dieser  Befund  vieldeutig  ist  und  es  über- 
haupt schwierig  ist,  die  Grenze  und  die  genaue  Lage  des 
dorsalen  Bündels  und  des  ventralen  zu  bestimmen,  so  können 
wir  doch  behaupten,  dass  die  Lage  und  Ausdehnung  der 
Atrophie  nicht  mit  der  oben  als  wahrscheinlich  angenommenen 
Ansicht  in  Streit  steht,  sondern  vielmehr  geeignet  ist,  diese 
Ansicht  zu  stützen,  dass  hier  die  der  dorsalen  Retinahälfte 
entsprechenden  Fasern  am  meisten  ergriften  sind,  und  dass  diese 
in  der  occipitalen  Sehbahn  dorsal  liegen.  Je  mehr  nach  hin- 
ten um  so  mehr  senken  sich  diese  nach  unten.  Deshalb  senkt 
sich  auch  die  Atrophie  in  den  occipitalen  Schnitten  nach  un- 
ten und  wird  mehr  ventral  als  vorn. 

Die  Ausbreitung  der  Atrophie  spricht  auch  dafür,  dass 
die  dorsale  Lippe  der  Fissura  calcarina  der  dorsalen  Retina- 
hälfte, die  ventrale  der  ventralen  entspricht.  Beweisend  in 
dieser  Hinsicht  ist  der  Fall  jedoch  nicht! 

Die  Analyse  der  vorhande/ien  klinischen  ThatsacJien  hat 
also  den  äusseren  Kniehöcker  als  Piinctiiin  Icesionis  an  der  Seh- 
bahn nachgexviesen.  In  der  That  ist  dieses  Ganglion  die  ein- 
zige Stelle  im  Verlauf  der  Sehbahn,  wo  eine  ausgedehntere 
und  intensive  Läsion  vorhanden  ist.  Die  vollständige  De- 
struktion so"\ohl  der  dorsalen  Kapsel,  als  der  Markleisten  und 
der  Zellen  erklärt  auch  genügend  den  durch  die  klinische 
Untersuchung  mehrmals  während  der  verschiedenen  Zeitab- 
schnitte bestätigten  Defekt  im  Gesichtsfelde.  Zwar  nimmt 
hier  die  Läsion  nur  eine  beschränkte  Strecke  in  frontaler 
Richtung  ein;  aber  bei  der  Auffassung,  dass  die  Opticusfa- 
sern  hier  hauptsächtlich  in  horizontaler  sagittaler  Riclitung 
verlaufen,  genügt  ja  eine  selbst  kleine  Läsion,  um  einen  De- 
fekt im  Gesichtsfelde  hervorzurufen.  Am  hVontalschnitte 
nimmt  die  Läsion  ^/s  oder  kaum  ^ '2  des  Durchschnittes  des 
Kniehöckers  ein. 

Die  dorsale  oder  dorsoiiiediale  Hälfte  des  Kniehöckers 
dürfte  also  die  dorsale  Hälfte  der  Retina  vertreten.  Das  ist 
der  richtige  Schluss  aus  diesem  Falle. 

Zweitens  ist  man  berechtigt,  aus  dem  Falle  zu  schliessen, 
dass  dieses  Gebiet  des  Kniehöckers  die  beiden  Rctinahälftoi 
vertritt,  denn  die  Quadrant-Hemianopsie  war  bilateral  uiid 
überhaupt  in  beiden  Gesichtsfeldern  von  ungefähr  gleicher 
Grösse  und  F'orm.  Am  ""/g  18S9,  wo  eine  genaue  Perime- 
terkarte aufgenommen  werden  konnte,  stimmte  der  Defekt 
der  beiden  Augen  fast  vollständig. 

Dasselbe  Gebiet  des  Kniehöckers  enthält  also  Fasern  für 


homonyme  Gebiete  der  beiden  Retinae,  ein  um  so  interessanterer 
Befund  als  ich  schon  1890  durch  rein  anatomische  Untersu- 
chung in  einem  Pralle  mit  partieller  Atrophie  der  Opticus- 
bahn  zu  demselben  Resultate  gekommen  war  (Vgl.  Pathol. 
d.  Geh.,  Teil  I,  P'all  Forss).  Es  findet  sich  also  im  äusseren 
Kniehöcker  diejenige  Vermischung  der  Ea.sern  des  ungekreuz- 
ten und  gekreuzten  Bündel,  also  der  Bündel  der  beiden  Au- 
gen, welche  auch  die  Theorie  fordert.  Bis  dahin  verlaufen 
diese  Bündel,  wie  ich  schon  nachgewiesen  habe,  von  einan- 
der völlig  getrennt  (Pathol.  d.  Geh.,  Teil  I,  Taf.  IV,  Fig. 
10.  II). 

Nicht  weniger  wichtig  ist  ein  dritter  Schluss.  Wie  die 
Perimeterkarten  zeigen,  existirte  nicht  vom  Anfang  der  Krank- 
heit an  eine  Quadrant-Hemianopsie.  Die  Karte  N:r  I  vom 
^/g  1889  zeigt  dagegen  eine  homonyme  bilaterale  Hemianop- 
sie mit  koncentrischer  Einschränkung  des  übrigen  Gesichts- 
feldes. Lassen  wir  nun  diese  koncentrische  Beschränkung 
ausser  Rechnung,  so  finden  Avir,  dass  schon  nach  etwa 
2  Monaten  ("^"/s  1889)  nur  eine  Quadrant-Hemianopsie  zurück- 
geblieben ist.  In  Anbetracht  der  in  der  unmittelbaren  Nähe 
des  Kniekörpers  stattgefundenen  Blutung  ist  die  einzige  Er- 
klärung, dass  der  Blutherd  zuerst  die  Leitung  in  der  Sehbahn 
völlig  aufgehoben  hat,  und  zwar  wesentlich  durch  den  Druck. 
Da  dieser  sich  verringerte,  blieb  die  ventrale  Hälfte  des 
Kniekörpers  und  der  Sehbahn  funktionsfähig,  dagegen  blieb 
eine  Quadrant-Hemianopsie  bestehen. 

Gleichzeitig  ist  eine  dauernde  Veränderung  im  Kniekör- 
per eingetreten.  Die  Elemente  sind  atrophirt  und  die  Qua- 
drant-Hemianopsie wird  in  Folge  dessen  dauernd  und  im 
Ganzen  unveränderlich.  Wenigstens  verschwindet  sie  nicht 
und  wird  nicht  geringer. 

Bei  dem  Perimetriren  am  8.  März  und  27.  Sept.  1890 
und  im  F>br.  1891  findet  sich  der  gleiche  konstante  Defekt 
in  den  Gesichtsfeldern,  wenn  auch  Schwierigkeit,  in  Folge 
des  Allgemeinzustandes  der  Pat.  vorhanden  war,  genaue  Kar- 
ten aufzunehmen.  Ja  noch  im  Nov.  1892  und  6  Wochen 
vor  dem  Tode  im  März  1893  bestand  noch  hauptsächlich 
eine  Quadrant-Hemianopsie  nach  unten. 

Die  Karte  vom  0  1891  deutet  jedoch  auf  eine  ge- 
wisse Vergrösserung  des  Defektes  auch  nach  oben,  ob  als 
Ausdruck  der  mit  der  Schwäche  der  Pat.  zunehmenden 
Verminderung  der  Sehschiirfe  oder  aus  anderen  Gründen, 
muss  wohl  unentschieden  bleiben.  Vielleicht  wirkte  dazu  auch 
eine  allmähliche  schleichende  progressive  Bindegewebswu- 
cherung,  welche  von  dem  Destruktionsherd  aus  auf  das  um- 
gebende Gewebe  übergriff. 

Jedenfalls  besteht  als  eine  unumstössliche  "Thatsache, 
dass  die  Quadrant-Hemianopsie  7vährend  mehrerer  Jahre  — 
vom  ""/s  1889  bis  1893  —  Ganrjen  um>crä)idert  war. 
Eine  Verminderung  trat  nicht  ein,  eher  eine  kleine  Ausdeh- 
nung nach  oben. 

Diese  Thatsache  verdient  besondere  Aufmerksamkeit, 
und  der  Schluss,  dass  die  dorsalen  und  ventralen  Hälften  des 
Kniehöckers  eiiuinder  nicht  vertreten  könne?!,  ist  völlig  berech- 
tigt. Es  giebt  also  eine  konstante  Lokalisation  im  Kniehöc- 
ker, und  die  verschiedetien  Partien  dieses  Ganglio7is  kön?ien 


ÜBER  DIE  BEZIEHUNG  DEH  SEHFASERN  ZU  DEN  CENTRALGANGLIEN 


163 


beim  Ausfall  eines  Abschnittes  einander  nicht  vertreten  oder 
siippliren. 

Dieses  steht  mit  dem  klinischen  Befund,  dass  es  solche 
Quadrant-Hemianopsien  von  unveränderlicher  Ausdehnung 
während  längerer  Zeit  (Vgl.  unten,  Fall  14.  15.  p.  164.  168) 
giebt,  im  Einklang. 

Der  Fall  zeigt  auch,  dass  eine  Blutung  im  Linsenkörper 
und  in  der  inneren  Kapsel  eine  vollständige  Hemianopsie 
hervorrufen  kann.  Der  schnelle  Zurückgang  des  Defektes  im 
Gesichtsfeld  zeigt  deutlich,  dass  eine  solche  Hemianopsie 
indirekter  Natur  ist  und  nur  durch  Druck  veranlasst  wird. 
Daraus  folgt,  dass  die  Capsula  interna  keine  Sehfasern  im 
eige7itlichen  Sinne  enthält  ■ —  sonst  wäre  die  Hemianopsie 
dauernd  geblieben  —  eine  Ansicht,  die  ich  schon  früher 
mehrmals  ausgesprochen  habe. 

Im  vorliegenden  Falle  erscheint  das  ganze  Pulvinar  in 
Bindegewebe  umgewandelt,  und  wenn  man  einige  kleine 
Faserbündel  aus  der  ventralen  Fläche  ausnimmt,  scheint  jede 
Verbindung  zwischen  dem  Opticus  und  dem  Colliculus  ante- 
rior aufgehoben.  Da  dessen  ungeachtet  nur  eine  Ouadrant- 
Hemianopsie  bestand,  so  spricht  der  Fall  dafür,  dass  die  vom 
Opticus  rjum  Collicidus  anterior  verlaiif enden  Fasern  nicht 
optische,  sondern  Reflex-Fasern  sind. 

Wie  aus  den  Abbildungen  hervorgeht,  war  das  ganze 
Pidvinar  in  Bindegewebe  nmgezuandelt.  Der  Destrulctions- 
herd  dringt  bis  an  die  optische  Leitung  heran,  nämlich  un- 
mittelbar an  den  Nervus  opticus,  den  Kniehöcker,  das  Wer- 
nicke'sche  Feld  und  die  Sehstrahlung,  ohne  dass  Blindheit 
dadurch  entsteht.  Dies  bekräftigt  die  von  mir  schon  früher 
ausgesprochene  Ansicht,  dass  nur  der  Nervus  opticus,  der 
äussere  Kniehöcker  und  die  von  ihm  in  die  Sehstrahlung  ver- 
lajife^iden  Fasern  als  optische  Fasern  zu  betrachten  sind  in 
dem  Sinne,  dass  durch  ihre  Verletzung  Gesichtsfelddefekte 
entstehen. 

Alle  anderen  vom  Opticus  oder  Kniehöcker  in  verschie- 
denen Richtungen  verlaufenden  Fasern,  die  zum  Sehapparat 
gehören,  sind  als  Verbindungs-Fasern  oder  Reflex-Fasern  in 
weiterem  Sinne  zu  betrachten.  Diese  Resultate  stimmen  voll- 
ständig mit  den  Ergebnissen  in  einigen  früher  von  mir  mit- 
geteilten Fällen,  wie  besonders  Fall  8  (Taf  XIII,  Fathol.  III,  i) 
überein. 

Die  oben  gemachten  für  die  ganze  Auffassung  der  Seh- 
bahn und  besonders  der  Funktion  des  äusseren  Kniekörpers 
grundlegenden  Schlüsse  gehen  alle  von  der  Voraussetzung 
aus,  dass  die  Hauptläsion  in  dem  Kniekörper  stattgefunden 
hat,  und  dass  hier  die  optische  Leitung  durchtrennt  ist.  Wenn 
auch  die  obige  eingehende  Analyse  der  vorliegenden  Befunde 


meiner  Meinung  nach  zu  einer  solchen  Auffassung  führen 
muss,  dürfte  es  doch  angemessen  sein,  auch  die  Möglichkeit 
in's  Auge  zu  fassen,  dass  der  Destruktionsherd  auf  einen  an- 
deren Punkt  der  Sehbahn  beeinträchtigend  oder  die  Leitung 
aufhebend  eingewirkt  haben  möchte.  Dabei  kann  jedoch 
eine  eventuelle  Störung  der  Leitung  im  Tractus  opticus  .selbst 
als  höchst  unwahrscheinlich  betrachtet  und  diese  Möglichkeit 
ausser  Acht  gelassen  werden.  Dagegen  lässt  sich  wohl  den- 
ken, dass  die  dorsalen  Fasern  des  Wernicke'schen  Feldes, 
welche  vom  dorsalen  Abschnitt  des  Kniehöckers,  ja  selbst 
der  Sehstrahlung  ausgehen,  zerstört  oder  in  ihrer  Funktion 
wesentlich  gehemmt  waren. 

Wenn  dies  der  Fall  wäre,  welche  Schlüsse  dürfte  man 
dann  aus  dem  Falle  ziehen?  Meiner  Meinung  nach  folgende. 
Zuerst  ist  zu  erinnern,  dass  jedenfalls  nur  die  dorsalen  Fasern 
ausser  Funktion  gebracht  sind.  Also  ist  der  Schluss  berech- 
tigt, dass  die  Fasern  der  dorsalen  Retinahälfte  selbst  occi- 
pital  vom  Kniehöcker  in  der  Leitung  dorsal  liegen  —  eine 
Ansicht,  welche  ich  aus  anderen  klinischen  Gründen  schon 
früher  au,sgesprochen  habe  (Pathol.  d.  Geh.,  Teil  II,  S.  357). 

Zweitens  folgt,  dass  die  Anordnung  der  Zellen  und  der 
Dendriten  im  Kniehöcker  eine  solche  sein  muss,  dass  bei 
Zerstörung  oder  Funktionsunfähigkeit  der  dorsalen  in  der  oc- 
cipitalen  Bahn  liegenden  Sehfasern  die  Gesichtseindrücke, 
welche  dem  Kniekörper  aus  der  dorsalen  Retinahälfte  zuge- 
führt werden,  nicht  auf  ventral  liegende  und  die  ventrale  Re- 
tinahälfte vertretende  Fasern  der  occipitalen  Bahn  übergehen 
können.  Denn  in  solchem  Pralle  wäre  die  untere  Quaurant- 
Hemianopsie  keine  während  mehrerer  Jahre  dauernde  und 
konstante  Erscheinung,  sondern  der  Gesichtsfeldsdefekt  wäre 
verschwunden. 

Hieraus  geht  das  bemerkenswerthe  und  interessante  Re- 
sultat hervor,  dass  man  aus  dem  Falle  berechtigt  ist,  diesel- 
ben wichtigen  Schlüsse  hinsichtlich  des  Baues  und  der  Funk- 
tion des  äusseren  Kniehöckers  iu  ziehen,  die  Läsion  mag 
den  Kniehöcker  selbst  oder  die  von  ihm  nach  hinten  verlau- 
fenden Fasern  getroffen  haben. 

A  potiori  können  also  die  obigen  Schlüsse  als  berech- 
tigt und  wohl  begründet  betrachtet  werden. 

Es  besteht  also  eine  konstante  und  tinveränderliche  Lo- 
kalisation im  äusseren  Kniehöcker ;  der  dorsale  Abschnitt  des 
Ganglions  vertritt  die  dorsale  RetinaJiälfte ,  und  die  beiden 
Hälfte7i  des  Gaiiglions  können  einander  niclit  vertreten  oder 
suppliren. 

Auch  in  der  occipitalen  Sehstre  hlung  liegen  die  Fasern 
der  dorsalen.  Retinahälfte  dorsal  im  Verhältniss  zu  denjenigen 
der  ventralen  Ret inahälfte . 


S.  E,  Menschen.    Pathologie  des  Gehirns. 


22 


164 


S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Fall  14.   J.  E.  Andersson. 

58  Jahre.  Gärtner, 


Klinische  Diagnose:  Hemiplegia  sin.  cum  Hemianopsia  quadpant. 

Zusammenfassung.  Der  58-jähr.  Fat.  hatte  d.  "/i 
1896  einen  Schlaganfall  mit  Lähmung  in  der  linken  Seite  und 
Anästhesie,  sowie  linksseitiger  Hemianopsie,  welche  bald  durch 
eine  Quadrant-Hemianopsie  nach  unten  links  ersetzt  wurde. 
Diese  verminderte  sich  nach  und  nach.  Die  Läsion  muss 
hier  dorsal  vom  Kniehöcker  liegen,  und  wahrscheinlich  seine 
dorsale  Hälfte  drücken.  Der  Fall  zeigt,  dass  eine  Läsion  der 
dorsalen  Hälfte  des  Kniehöckers  eine  Quadrant-Hemianopgie 
nach  unten  verursacht,  d.  h.  dass  im  Kniehöcker  eine  Lokalisa- 
tion besteht,  der  dorsale  Teil  entspricht  der  dorsalem  Hälfte 
der  Retina. 

Krankengeschichte. 

Wurde  am  15.  Jan.  1896  in's  Krankenhaus  aufgenommen 
und  am  25.  April  gebessert  entlassen. 

Anamnese.  Die  Eltern  des  Pat.  sind  seit  längerer  Zeit 
todt.  Der  Vater  soll  Alkohol  gemissbraucht  haben.  Nervöse 
Belastung  soll  in  der  Familie  nicht  vorgekommen  sein,  auch 
nicht  Tuberkulose  oder  Lues.  Pat.  hat  6  Geschwister,  alle  gesund, 
ist  seit  26  Jahren  verheirathet  und  hat  6  Kinder,  alle  gesund; 
eins  starb  als  kleines  Kind  an  Masern. 

Pat.  war  selbst  immer  gesund  und  kräftig,  ausgenommen, 
dass  er  als  Kind  Masern  und  im  Alter  von  22  Jahren  Lungen- 
entzündung durchgemacht  hat.  Er  leugnet  Alkohol-  und  Tabak- 
Missbrauch  sowie  Lues.  Er  lebte  immer  unter  guten  hygiei- 
nischen  Verhältnissen,  aber  arbeitete  immer  streng,  und  zwar 
schon  vom  8.  Jahre  an.  Als  Gärtner  begann  er  seine  sehr  an- 
strengende Arbeit  5 — 6  Uhr  morgens  und  hielt  bis  Abend  an,  er 
lag  dann  oft  den  grössten  Teil  des  Tages  vornübergebeugt  oder 
trug  Wasser.  Als  er  älter  wurde  vertrug  er  diese  Arbeit  nicht 
gut  und  war  oft  müde  oder  litt  an  Schmerzen  im  Rücken. 

Seit  2  Jahren  war  ihm  die  Arbeit  zu  schwer,  besonders 
seitdem  »die  Gicht»  sich  eingefunden.  Besonders  war  das  linke 
Bein  davon  angefochten.  Allmählich  scJnvaiiden  seine  Kräfte, 
und  seit  dem  Herbst  1895  leidet  er  oft  an  schwerem  Kopfschtnerz. 
Das  Sehvermögen  war  immer  sehr  gut,  dagegen  das  Gehör  auf 
dem  linken  Ohr  seit  mehreren  Jahren  herabgesetzt.  Er  litt  nie 
an  Schwindel. 

Am  Morgen  des  11.  Januar  erwachte  Pat.  mit  schwerem 
in  der  Stirn  lokalisirtem  Kopfschmerz  und  fröstelte  etwas.  Während 
des  Ankleidens  wurde  es  ihm  dunkel  vor  den  Augen,  und  er  war 
nahe  daran,  in  Ohnmacht  zu  fallen.  Er  erbrach  einigemale. 
Dessen  ungeachtet  suchte  er  zu  seiner  Arbeit  zu  gehen,  konnte 
aber  nur  bis  zum  Mittag  aushalten  und  musste  nun  das  Bett 
einnehmen. 

Er  weiss  keine  Ursache  seiner  Krankheit  anzugeben;  an 
den  vorgehenden  Tagen  hatte  er  Schnee  geschaufelt. 


Er  hütete  das  Bett  an  den  folgenden  2  Tagen,  war  müde, 
hatte  kein  Fieber  aber  beständigen  Kopfschmerz  und  Rücken- 
schmerzen. 

Am  14.  Jan.  versuchte  er  aufzustehen,  bekam  aber  Übel- 
keit, fühlte  sich  matt  und  konnte  nur  mit  Schwierigkeit  auf  den 
Beinen  stehen.  Während  des  Ankleidens  bekam  er  plötzlich 
einen  Sehwindelanfall  und  wurde  ins  Bett  gebracht.  Nachdem 
er  so  eine  Weile  mit  geschlossenen  Augen  gelegen  hatte,  kamen 
die  Kräfte  zurück,  und  er  fing  an  mit  seiner  Frau  zu  sprechen. 
Die  Sprache  war  lispelnd  und  blieb  so  den  ganzen  Tag.  Es 
schmerzte  ihn  in  allen  Gelenken  und  der  Körper  war  wie  einge- 
schlafen, als  er  den  linken  Ar7n  ausstrecken  wollte,  bemerkte  er, 
dass  er  gelähmt  war.  Auch  das  linke  Bein  schien  ihm  geschwächt ; 
er  konnte  sich  darauf  nicht  stützen.  Übrigens  war  er  bei  dem 
Anfalle  nicht  bcwusstlos ;  er  konnte  klar  denken,  und  das  Gedächt- 
niss  war  gut.  Das  Gefühl  im  linken  Arm  und  Bein  war  unmittel- 
bar bei  dem  Anfalle  bedeutend  herabgesetzt,  später  nicht.  Er  hatte 
keine  Zuckungen  im  Arm  oder  Bein.  Keine  Wärme-  oder  Kälte- 
empfindung wurde  bemerkt.  Vom  Gesicht  oder  Gehör  bemerkte 
er  nichts  Abweichendes. 

Am  15.  Jan.  wurde  er  ins  Krankenhaus  aufgenommen. 

Status  praesens  (an  den  zunächst  folgenden  Tagen). 

Pat.  ist  bettlägrig,  liegt  auf  dem  Rücken,  ist  von  kräftiger 
Konstitution.  Das  Fettpolster  und  die  Muskulatur  gut.  Appetit 
und  Schlaf  sind  gut.  Darmentleerung  und  Harnen  normal.  Der 
Harn,  klar,  von  sauerer  Reaktion,  enthält  keine  pathologischen 
Bestandteile:  sp.  Gew.  1.018.  Der  Puls  ist  klein  und  weich; 
seine  Frequenz  72.  Die  Wandung  der  Radialarterie  ist  nicht 
sklerotisch.    T.  afebril. 

Subjektive  Symptome. 

Pat.  klagt  nicht  über  Schmerzen;  nur  dass  die  »Gicht» 
seinen  linken  Arm  und  sein  linkes  Bein  anfechte.  Der  Kopfschmerz 
und  die  Müdigkeit,  woran  er  früher  litt,  sind  verschwunden. 

Obj  ektive  Untersuchung. 

Psyche.  Das  Sensorium  ist  völlig  klar.  -  Pat.  scheint 
ein  wenig  abgespannt  und  gleichgültig  zu  sein.  Er  fasst  Alles 
richtig  und  leicht  auf.  Das  Urteilsvermögen  und  das  Gedächt- 
niss  sind  gut.  Das  Gemüth  etwas  herabgesetzt.  Keine  Seelen- 
taubheit oder  Seelenblindheit. 

Aphasie  ist  nicht  vorhanden,  weder  in  Form  von  Wort- 
blindheit noch  von  motorischer  Aphasie.  Worttaubheit  und  Agra- 
phie  auch  nicht.    Pat.  ist  rechtshändig. 

Kranialnerven. 

I.  Der  Geruch  ist  nicht  herabgesetzt.  Er  unterscheidet 
gut  Kampher,  Eau  de  Cologne  u.  a.  Stoffe. 


ÜBER  DIE  BEZIEHUNG  DER  SEHFASERN  ZU  DEN  CENTRALGANGLIEN 


165 


II.  Refraktion  R.  A.  0.5,  Myop,  S  =  o.6;  L.  A.  Emme- 
tiop  S.  =  0.7.    Kein  Astigmatismus. 


Gesichtsfeld  (s.  Perimeterkarte  I).  Beiderseits  ist  ^^/'i  eine 
fast  vollständige  linksseitige  Hemianopsie  vorhanden;  später  vom 
^^/i  ab  nur  eine  Qitadrant- Hemianopsie  nach  links  unten  vor- 
handen. Wenn  Pat.  ermüdet  ist  oder  die  Beleuchtung  unge- 
nügend, geht  der  Defekt  bis  zum  Mittelpunkt,  während  die  Gren- 
zen der  übrigen  Quadranten  unverändert  sind.  Bei  der  ophthal- 
moskopischen Untersuchung  des  Augenhintergrunds  konnte  beider- 
seits nichts  Krankhaftes  entdeckt  werden. 

III.  IV.  VI.  Die  Augenbewegungen  normal.  Kein  Strabis- 
mus. Die  Pupillen  waren  bei  der  Aufnahme  des  Pat.  ungleich, 
indem  die  linke  bedeutend  erweitert  war;  noch  besteht  ein  ge- 
linder Unterschied.  Die  rechte  ist  excentrisch  und  etwas  eckig. 
Sie  reagiren  deutlich  auf  Licht.  Keine  hemianopische  Pupillen- 
reaktion, wenn  das  Licht  auf  den  blinden  Quadranten  einge- 
worfen wird. 

V.  Die  Sensibilität  scheint  völlig  normal  zu  sein.  Beim 
Berühren  mit  einem  Papierstreifen  giebt  Pat.  gleich  und  deut- 
lich die  Stelle  an.  Der  Schinerzsinn  ist  nicht  herabgesetzt;  auch 
giebt  er  beiderseits   Temperaturdifferenzen  gleich  und  richtig  an. 

VII.  Sowohl  die  oberen  wie  die  unteren  Äste  des  Facialis 
sind  etwas  paretisch,  indem  die  Muskeln  sich  nicht  so  kräftig 
links  wie  rechts  zusammenziehen.  Das  Sprechen  ist  auch  jetzt 
mehr  anstrengend  als  früher. 

VIII.  Das  Gehör  ist  auf  dem  linken  Ohr  seit  vielen  Jahren 
bedeutend  herabgesetzt,  und  Pat.  hört  die  Taschenuhr  nur,  wenn 
sie  unmittelbar  an  das  Ohr  gehalten  wird.  Rechts  hört  er  sie 
im  Abstände  von  7^  Meter.    Keine  Hallucinationen. 

IX.  Der  Geschmack  ist  nicht  herabgesetzt.  Salziges, 
Zucker,  Essig  und  Chinin  unterscheidet  er  gut.  Keine  Hallu- 
cinationen.   Das  Schlucken  ist  auch  normal. 

X.  Das  Athmen  normal. 

XI.  Die  Stimme  wie  früher;  das  linke  Stimmband  ist  bei 
der  Abduktion  paretisch. 

Die  Musculi  cucuUares  und  sternocleidomastoidei  beiderseits 
gleich  kräftig. 

XII.  Die  Bewegungen  der  Zunge  gut,  sie  weicht  etwas 
nach  links  ab. 

Spinalnerven. 

Sensibilität. 

Die  Sensibilität  ist  rechts  völlig  normal,  links  etwas  herab- 
gesetzt. 

Der  Tast-  und  Drucksi?in  ist  litiks  herabgesetzt.  Bestim- 
mung mit  Scheiben  von  Hollundermark  (Gewicht  2 — 40  m.g.). 


Arm  und  Bein.  Drucksinn. 

Rechts.  Links. 
Arme:     Flexorenseite.  Extensorcnseite.  Borsum.  Vola. 
Oberarm  5  m.g.  5  m.g.        40  m.g.  35  m.g. 

Unterarm  3     »  3    *  4°    »  4°  » 

Handgelenk     —     »  3    »  —     »  30  » 

Hand  3    *  20    »  10    »  40  » 

Fingerspitze  10  m.g.  mehr  als  40  m.g. 

Beine : 

Oberschenkel     5  m.g.  5  m.g.        30  m.g.  40  m.g. 

Unterschenkel    5     »  5     »  20     »  40  » 

Fuss  IG     »  10     »  40     »  mehr  als  30  » 

Der  Schmerzsinn  ist  am  linken  Arm  und  Bein  etwas  herab- 
gesetzt. 

Der  Ortsinn  verhält  sich  ebenso. 

Temperatursinn.  Pat.  unterscheidet  eine  Temperaturdifferenz 
von  3  —  4"  C.  beiderseits,  aber  leichter  rechts  als  links. 

Der  Muskelsinn  dagegen  scheint  völlig  normal  zu  sein. 
Pat.  erkennt  gleich  die  Lage  seiner  Glieder. 

Rumpf.  Am  Brustkorbe  ist  keine  deutliche  Differenz  der 
Sensibilität  der  beiden  Seiten  nachzuweisen. 

Motilität. 

Rechts  ist  die  Motilität  normal. 

Linker  Arm.  Anfangs  war  der  linke  Arm  ganz  gelähmt, 
dann  konnte  Pat.  die  Finger  nur  unbedeutend  bewegen;  jetzt 
kann  er  mit  der  Hand  Gegenstände  fassen  und  den  Arm  etwas 
heben.  Flexion,  Extension,  Pronation  und  Supination  kann  er 
noch  nicht  ausführen. 

Linkes  Bein.  Anfangs  konnte  sich  Pat.  auf  das  linke  Bein 
gar  7iicht  stützen.  Jetzt  kann  er,  wenn  er  unterstützt  ist,  etwas 
gehen,  wenn  auch  mit  grosser  Schwierigkeit.  Beim  Gehen  schmerzt 
das  Bein. 

Der  Tonus  ist  an  den  linksseiLigen  Gliedern  vermindert. 
Kontrakturen  finden  sich  nicht. 

Reflexe. 

Der  Cornealreflex  ist  links  bedeutend  herabgesetzt,  auch  etwas 

rechts. 

Sehnen-  und  Muskelreflexe  sind  am  linken  Arme  verstärkt. 

Patellar reflex.  Links  ist  er  bedeutend  verstärkt;  am  linken 
Bein  findet  sich  auch  Dorsalclonus,  welcher  an  den  letzten  Tagen 
jedoch  bedeutend  abgenommen  hat. 

Keine  Cremasterreflexe  sind  vorhanden. 

Vasomotorische  Störungen.  Der  linke  Fuss  erscheint  etwas 
kälter  als  der  rechte. 

Trophische  Störungen  finden  sich  nicht. 

Lnnere  Organe. 

Die  Lungen  zeigen  nichts  Abnormes. 

ILerz.  Keine  Vorwölbung.  Der  Herzspitzenstoss  wird 
weder  gefühlt,  noch  gesehen.  Die  Herztöne  sind  rein,  aber 
schwach  und  entfernt.  Die  Grenzen  des  Herzens  sind  nach 
rechts  bedeutend  erweitert. 

Bauchorgane  und  der  Urogenitalapparat  zeigen  nichts  Ab- 
normes, 


16G 


S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Anders  sc 
I  O  Cni 


J-S.Änitrise 
_l  Dem 


Quadrant-Hemianopsie  (Karte  II), 
^/a.  Quadrant-Hemianopsie  (Karte  III). 
^^/2.  Der  Allgemeinzustand  in  den  letzten  Tagen  verschlim- 
mert. Pat.  ist  sehr  müde,  und  die  Glieder  der  linken  Seite 
schmerzen.  Das  linke  Bein  und  der  linke  Arm  sind  angeschwol- 
len. In  Folge  dessen  ist  die  Motilität  nicht  gebessert,  eher  ver- 
mindert. Die  Sensibilität  unverändert.  Die  Parese  des  linken 
Facialis  wie  früher.    Die  Reflexe  auch. 


rausche.  Diffuse  Bronchitis.  Fieber  38 — 39.5.  —  Quadrant- 
Hemianopsie  (Karte  IV). 

^/s.    Schmerzen   im   linken  Arm,   welcher  unbeweglicher 
und  angeschwollen  ist. 


12/ 


30/ 


Die  Schmerzen  seit  d.  ^/s  vermindert. 
Quadrant-Hemianopsie  (Karte  V). 
Besserung  der  Ödeme  in  den  Beinen. 
Noch  mehr  gebessert. 

Oedem  im  Gebiete  der  linken  Venae  glutese. 
Gesichtsfelder  s.  Perimeterkarte. 


den, 


^''/4.  Die  Quadrant-Hemianopsie  fast  vollständig  verschimn- 
und  tritt  nur  bei  trübem  Wetter  hervor. 


Gehör:  am  linken  Ohr  hört  Pat.  die  Taschenuhr  in  einem 
Abstand  von  6  bis  10  cm.,  am  rechten  auf  60  cm. 


21 

wie  den 


4.    Die  Perimeteruntersuchung   ergab  dasselbe  Resultat 


25 


4.    Gebessert,  entlassen. 


Temperatur.    Längere  Zeit  febril. 


^^/a.     Thrombose  des  linken  Beines. 

^^/2.  Thrombose  auch  des  rechten  Beines.  Allgemeinzu- 
stand  veschlechtert.     Herzthätigkeit   unregelmässig;    keine  Ge- 


Epikrise. 

Kurzer  Krankenbericht.  Der  58-jährige  Gärtner 
lebte  zwar  unter  im  Ganzen  guten  hygieinischen  Verhältnissen, 
hatte  nie  Alkohol  gemissbraucht,  noch  Lues  gehabt;  seine 
Arbeit  war  immer  anstrengend  und  während  der  letzten  Jahr 
im  Verhältniss  zu  seinem  Alter  überanstrengend;  seit  Herbst 
1895  oft  Kopfschmerz.  Am  ^^/i  1896  Unwohlbefinden,  Dun- 
kelwerden vor  den  Augen,  Erbrechen,  keine  Lähmung;  am 
Schivindclmifall,  die  Sprache  verändert,  Lähmung  \m\m.- 
ken  Arm,  Schwäche  im  linken  Bein  mit  Herabsetzung  des 
Gefühls.    Keine  Zuckungen  oder  Verlust  des  Bewusstseins. 

Status  praesens  nach  dem  1  1896.  Bettlägrig,  Sen- 
sorium  klar,  keine  Aphasie.  Kranialnerven:  I.  nichts;  II. 
zuerst  linksseitige  Hemianopsie,  dann  nur  Quadratit- Hemia- 
nopsie 7iach  unteJi  links;  III.  Pupillen  excentrisch  nach  innen; 
V.  normal;  VII.  links  Parese;  VIII.  Gehör  links  seit  längerer 
Zeit  vermindert;  IX.  normal;  XI,  XII.  Parese  der  linken  Seite. 
Sensibilität:  links  herabgesetzt,  Muskelsinn  normal.  Motilität: 
links:  Arm  }Daralytisch.  Bein  paretisch.  Reflexe:  Corneal- 
reflex  links  sehr,  rechts  wenig  herabgesetzt.  Patellarreflex 
rechts  verstärkt.  Herz:  dilatirt  nach  links;  ^^/2,  ^^/a  Throm- 
bose in  beiden  Beinen. 

^''/4.  Cornealreflexe  beiderseits  herabgesetzt;  die  Qua- 
drant-Hemianopsie nur  bei  Ermüdung  des  Pat.  bemerkbar. 


ÜBER  DIE  BEZIEHUNG  DER  SEHFASERN  ZU  DEN  CENTRALGANGLIEN 


167 


Diagnose.  Art  der  Läsion.  Ob  Thrombose  oder  Hä- 
morrhagie  hier  vorliegt,  ist  ungewiss.  Die  Herzdilatation,  das 
Alter  des  Fat.,  das  Erhaltensein  des  Bewusstseins  beim  In- 
sulte, das  Fehlen  aller  Zuckungen,  die  Thrombose  der  Beine 
sprechen  doch  für  Thrombose. 

Lokalisation:  Viel  spricht  für  eine  Lokalisation  in  den 
Centralganglien  der  linken  Seite;  ich  verweise  in  dieser  Hin- 
sicht auf  die  Epikrise  in  den  Fällen  Jönson  (unten  N:r  i8), 
Eriksdotter  (N:r  17)  u.  A.  wo  ein  ähnlicher  Symptomenkom- 
plex vorliegt.  Die  auftallende  und  ziemlich  schnelle  Besserung 
der  Sensibilität  spricht  gegen  eine  vollständige  Zerstörung  der 
inneren  Kapsel.  Da  anderseits  ein  Gesichtsfeldsdefekt  zuerst 
in  Form  vollständiger  Hemianopsie  vorhanden  war,  welcher 
nach  und  nach  verschwand,  so  muss  die  Zerstörung  die  Seh- 
bahn affizirt  haben.  Wahrscheinlich  liegt  also  eine  Läsion  im 
Thalamus  vor  mit  Läsion  der  Capsula  interna. 

Analyse  der  Symptome. 

Da  weder  die  Art  der  Läsion,  noch  die  genaue  Lokali- 
sation des  pathologischen  Prozesses,  da  Fat.  noch  am  Leben 
ist,  mit  völliger  Sicherheit  bekannt  sind,  werden  die  Symp- 
tome nur  kürz  analysirt. 

Psyche  nichts  Bemerkenswerthes. 

Die  Sprache  war  wahrscheinlich  in  Folge  der  Parese  der 
Zunge  etwas  lispelnd.    Keine  Aphasie. 

Kranialnerven:  I.  nichts. 

II.  Gesichtsst'örungen,  s.  unten. 

III.  Die  excentrischc  Lage  der  Pupillen  habe  ich  mehr- 
mals bei  der  Hemianopsie  beobachtet. 

V.  Das  Fehlen  einer  Anästhesie  deutet  darauf,  dass  die 
innere  Kapsel  nur  wenig  affizirt  ist. 

VII.  Wie  gewöhnlich  bei  der  Hemiplegie  sind  sowohl 
die  oberen  wie  die  unteren  Äste  paretisch. 

VIII.  Die  bedeutende  Verminderung  des  Gehörs  auf 
dem  linken  Ohre  würde  hier  mit  der  angenommenen  Lokali- 
sation der  Läsion  im  ventralen  Abschnitte  des  Thalamus  sehr 
gut  stimmen,  besteht  aber  hier  seit  Jahren  und  hängt  also 
nicht  von  dem  Insulte  ab. 

XI.  Interessant  ist  die  Parese  des  li?ikeji  Stimmbandes 
bei  der  Abduktion.  Solche  Paresen  habe  ich  schon  oft,  wie 
mehrmals  bemerkt  ist,  wahrgenommen. 

XII.  Die  linksseitige  Parese  der  Zunge  bedarf  keiner 
Explikation. 

Die  Sensibilität  war  wimittelbar  bei  dem  Insulte  bedeu- 
tend herabgesetzt  und  kehrte  ziemlich  bald  zurück.  Schon 
wenige  Tage  später  (Status  praesens)  konnte  der  Tastsinn  mit 
Hollundermarkstückchen  genau  gemessen  werden,  und  Anfang 
April  war  die  Sensibilität  selbst  der  Hand  sehr  gut ;  Fat.  be- 
merkte dann  selbst  eine  leise  Berührung.  Dies  alles  deutet 
mehr  auf  eine  indirekte  als  eine  direkte  Affektion  der  inneren 
Kapsel.  Eine  Blutung,  welche  bald  vermindert  wird,  erklärt 
die  Symptome  fast  leichter  als  eine  Thrombose. 

Motilität.  Fat.  zeigte  auch  eine  verhältnissmässig  ge- 
liride  Hemiplegie,    Diese  wäre  ohne  Zweifel,  wenn  nicht  der 


Allgemeinzustand  des  Pat.  sich  so  verschlechtert  hätte,  bald 
zurückgegangen.  Anfang  April  konnte  Pat.  die  Hand  recht 
gut  bewegen,  und  schon  früher  hatte  das  Bein  seine  Beweg- 
lichkeit wiedergewonnen. 

Die  übrigen  Symptome  bedürfen  keiner  besonderen  Y.x- 
klärung. 

Gesichtssförnngen. 

Der  vorliegende  P^all  hat  sein  eigentliches  Interesse  in 
dem  Erscheinen  der  Gesichtsstörungen,  in  dem  Verhalten 
dieser  Störungen  und  ihrem  gradweisen  Verschwinden.  Kurz- 
weg entstand  bei  dem  Insulte  eine  linksseitige  Hemianopsie. 
Diese  wurde  zwar  schon  am  16.  Januar  von  mir  wahrgenom- 
men, aber  in  Anbetracht  des  schwachen  Zustandes  des  Fat. 
wurde  eine  genaue  Perimeterkarte  erst  am  23.  Juni  aufgenom- 
men (die  Karte  I).  Schon  einige  Tage  später  bemerkte  ich, 
dass  Pat.  im  oberen  Quadranten  sehen  konnte,  und  am  ^^/i 
zeigt  die  Perimeterkarte  des  linken  Auges,  dass  sich  die  He- 
mianopsie sowohl  im  unteren  wie  besonders  im  oberen  Qua- 
dranten vermindert  hatte.  Von  nun  ab  wurde  fast  alle  2 — -4 
Tage  perimetrirt,  da  der  Pat.  es,  ohne  sich  ermüdet  zu  fühlen, 
vertrug,  und  er  dabei  sehr  bestimmte  Angaben  mitteilte. 
Bald  wurde  aber  bemerkt,  dass  die  Grenzen,  besonders  bei 
wechselnder  Beleuchtung,  verschieden  angegeben  wurden,  und 
es  ging  bald  aus  den  Untersuchungen  hervor,  dass  sich  oft 
Ermüdungsphänomene  einstellten.  Die  Karten  an  den  ver- 
schiedenen Tagen  zeigen  auch  gewisse  Variationen  in  der 
Ausdehnung  der  Grenzen ;  und  zwar  besonders  dem  hemiano- 
pischen  Quadrantdefekte  entsprechend.  In  diesem  Gebiete 
zeigte  Fat.,  wenn  er  ermüdet  wurde,  einen  Defekt,  welcher 
mit  der  Ermüdung  in  der  Richtung  gegen  den  Mittelpunkt 
zunahm ;  und  noch  Anfangs  April  (s.  Perimeterkarte  VI) 
zeigte  "at.  bei  Ermüdung  einen  deutlichen  Qtiadrantdefekt, 
während  er  sonst  fast  bis  zur  normalen  Peripherie  sah. 

In  Ganzen  zeigt  die  Reihe  der  hier  mitgeteilten  Peri- 
meterkarten, wie  der  Defekt  im  Gesichtsfelde  zurückging, 
wenn  auch  dazwischen  etwas  differente  Karten  vorliegen.  In 
einer  Zeit  von  2  Monaten  wurde  also  der  Defekt  allmählich 
bedeutend  vermindert. 

Die  Erklärung  dieser  Gesichtsstörungen  scheint  ebenso 
leicht  wie  interressant.  Für  die  Erklärung  passt  es  besser, 
eine  Blutung  im  Thalamus,  als  eine  Erweichung  anzuneh- 
men; bei  jener  denkt  man  sich  eine  Störung  der  Sehbahn  in 
Folge  eines  Druckes,  bei  dieser  in  Folge  einer  Cirkulations- 
störung.  Aber  auch  bei  der  Blutung  wirkt  wohl  der  Druck 
hauptsächlich  durch  Störung  der  Cirkulation  in  Folge  des 
Druckes  auf  die  Gefässe.  Die  Ursache  mag  nun  dieser  oder 
jener  Natur  sein,  so  fragt  sich,  von  welchem  Funkte  wirkt 
die  Läsion? 

Wenn  man  sich  dabei  die  anatomische  Lage  der  Seh- 
bahn vergegenwärtigt,  ist  es  klar,  dass  eine  JiLalacie  oder 
BlntiDig  überhaupt  nur  von  oben  auf  die  Sehbahn  in  der  Nähe 
des  äusseren  Kniehöckers  wirken  kann.  Die  Sehbahn  ragt, 
wie  der  Kniehöcker,  überhaupt  frei  an  der  Basis  des  Pulvi- 
nars  hervor.  Fast  nur  eine  Geschwulst  oder  ein  begrenzter 
Abscess  kann  sie  von  unten  affiziren;  eine  Thrombose  dage- 
gen kaum,  wenn  sie  nicht  innerhalb  des  Ganglions  liegt.  Eine 
Blutung  kann  von  unten  auf  die  Bahn  und  den  Kniehöcker 


168 


S.  E.  RENSCHEN. 


PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


nur  unter  der  Bedingung  drücken,  dass  eine  freie  Blutung  im 
Unterhorn  oder  an  der  Basis  cranii  existirt.  In  diesem  Falle 
kann  eine  solche  Blutung  nicht  vorliegen,  denn  sie  würde  ent- 
weder den  Tod  hervorrufen  oder  wenigstens  von  gefahrdro- 
henden Symptomen  und  tiefem  Koma  begleitet  worden  sein. 

Daraus  ergiebt  sich  also  der  erste  Schluss:  die  Läsion, 
sie  mag  eine  Thrombose  oder  Blutung  sein,  liegt  dorsal  von 
der  Sehbahn  oder  dem  Kniehöcker  und  muss  von  oben  die 
dorsalen  Bündel  der  Sehfasern  affiziren.  Die  allmähliche  Ver- 
minderung des  Defektes  im  Gesichtsfelde  scheint  mir  dafür 
zu  sprechen,  dass  der  mehr  voluminöse  Kniehöcker  eher  das 
Punctum  laesionis  sei  als  der  schmale  Tractus  opticus.  Es 
dürfte  deshalb  berechtigt  sein  zu  schliessen,  dass  eine  Läsion 
des  dorsalen  Abschnitts  des  äiisseren  Kniehöckers  eine  Qna- 
drant-Henna)iopsie  nach  unten  hervorrufe. 

Dieser  Schluss  steht  in  voller  Ubereinstimmung  mit  dem 
Befunde  im  Ealle  Esche,  wo  die  Sektion  die  anatomische  Lä- 
sion klarlegte. 


Die  Perimeterkarte  I  scheint  anzudeuten,  dass  zuerst 
nicht  der  ganze  Kniekörper  in  seiner  ganzen  Höhe  ausser 
Funktion  gesetzt  war,  vielmehr,  dass  der  ventralste  Abschnitt 
noch  etwas  leitungsfähig  war.  Allmählich  glich  sich  die  Cir- 
kulations-,  rcsp.  Ernährungsstörung  aus,  und  der  Gesichts- 
defekt verminderte  sich.  Das  mit  der  Ermüdung  des  Pat. 
wechselnde  Resultat  beim  Perimetriren  wird  leicht  erklärt  und 
kann  als  von  einer  wechselnden  Funktionsfähigkeit  der  Seh- 
fasern, resp.  Zellen  im  Kniehöcker  aufgefasst  werden. 

Wir  sehen  weiter,  dass  in  dem  Maasse,  der  Defekt 
sich  vermindert,  die  Spitze  des  Defektes  sich  vom  Fixations- 
punkt  entfernt  und  gleichzeitig  neue  Sektoren  »sehen». 

Die  Farbenfelder  scheinen  dem  Defekt  für  Weiss  über- 
haupt kongruent  zu  sein. 

Das  Resultat  aus  dem  Falle  ist  also:  eine  Nutritions- 
stdrung  des  dorsalen  Abschnittes  des  äxisseren  Kniehöckers 
ruft  eine  Quadrani-Heniiatiopsie  nach  unten  hervor. 


Fall  15.   Hilda  Berg. 

35  Jahre.  Unverheiratet. 


Kilnisehe  Diagnose;   Lues  eepebpi,   Hemiplegia  sinistpa  eum 
Hemianopsia  partiali. 

Zusammenfassung.  Wahrscheinlich  luetisch  inficirt. 
Nach  vorhergehendem  Kopfschmerz,  den  26.  April  1892 
apoplectischer  Insult  mit  linksseitiger  Lähmung,  Quadrant- 
Hemianopsie  nach  links  unten  und  Ptosis.  1895  bestand  noch 
die  Quadrant-Hemianopsie.  Nach  Schmierkur  verschwand 
der  Defekt  fast  vollständig,  gleichzeitig  mit  Besserung  der 
Lähmung  und  des  Allgemeinbefindens. 

Das  Gumma  lag  wahrscheinlich  dorsal  von  dein  äusseren 
Kniehöcker  und  hatte  den  dorsalen  Teil  des  Kniehöckers  er- 
griffen, und  gleichzeitig  die  Gehörbahn  sowie  die  innere  Kapsel. 
Wenn  dies  der  Fall  war,  so  beweist  der  Fall,  dass  die  dorsale 
Hälfte  des  äusseren  Kniehöckers  die  dorsale  Hälfte  der  Retina 
innervirt. 

Krankengeschichte. 

Hilda  Berg  wurde  zweimal  im  Krankenhause  geflegt,  i) 
vom  29.  April  1892  —  15.  Juni  desselben  J.;  2)  vom  17.  April 
1895  — 13.  Sept.  dess.  J.,  als  sie  gebessert  entlassen  wurde. 

Anamnese.  Keine  nervöse  Belastung.  Vater  Alkoholiker, 
Mutter  lebt  gesund,  2  Geschwister  leben  gesund,  i  im  Alter  von 
2^/2  Jahren  gestorben.  Pat.  selbst  war  immer  kräftig  und  gesund; 
Gesicht  und  Gehör  waren  immer  normal.  Verneint  Alkohol- 
missbrauch sowie  Lues.  Hatte  vor  2  Jahren  ein  Kind,  das  bald 
nach  der  Geburt  starb.  Nach  Influenza  zu  Weihnachten  1891 
wurde  das  Gehör  auf  dem  linken  Ohr  herabgesetzt. 

Sie  war  bis  20.  April  i8g2  völlig  gesund,  wo  sie  sich 
müde  fühlte  und  Kopfschmerz  bekam.  Am  26.  April  war  Pat. 
aus  und  spazierte  mit  einer  Kamerädin,  als  diese  plötzlich  be- 
merkte, dass  Pat.  beim  Gehen  zu  schwanken  anfing,  der  Mund 


wurde  verzogen,  und  in  demselben  Augenblick  fiel  Pat.  in  die 
Arme  der  Kamerädin.  Sie  wollte  sprechen,  aber  die  Sprache 
war  so  undeutlich,  dass  sie  nicht  verstanden  wurde.  Pat.  verlor 
nicht  das  Beunisstsein,  sondern  erinnert  sich  deutlich,  wie  sie 
von  einigen  Vorbeigehenden  in  ein  Kafeehaus  und  dann  nach 
Hause  geführt  wurde.  Doch  erinnert  sie  sich  nicht,  dass  die 
Kamerädin  anfangs  ins  Lachen  gerieth.  Abnorme  Bewegungen 
der  Augen  sollen  nicht  vorgekommen  sein,  sowie  auch  keine 
Zuckungen,  auch  kein  Verdunkeln  vor  den  Augen  oder  sonstige 
unangenehme  Symptome;  sie  wurde  nur  müde  und  kraftlos. 

In  der  Heimat  verhielt  sich  nach  ihrer  Angabe  die  Krank- 
keit ganz  wie  später;  sie  hatte  nur  Kopfschmerz.  Wurde  am 
29.  April  1892  aufgenommen. 

Bei  der  Aufnahme  wurde  Folgendes  bemerkt. 

Subjektiv.  Starke  Schmerzen  in  der  rechten  Hälfte 
der  Stirn  und  im  Nacken. 

Psyche.  Gesichtsausdruck  abwesend,  Pat.  liegt  mit  ge- 
schlossenen Augen  und  für  die  Umgebung  gleichgültig.  Hat 
volles  Bewusstsein. 

Sprache.  Die  Sprache  langsam  und  nur  mit  Schwierigkeit. 
Keine  Aphasie. 

K  r  a  n  i  al  n  e  r  v  e  n.  II.  Fartielle  linksseitige  Hemianopsie. 
(Karte  I).  Die  Sehschärfe  herabgesetzt.  Stauungspapille  am  rechten 
Auge. 

III.  IV.  VI.  Die  Augen  nach  rechts  abgelenkt;  sie  konver- 
giren,  wenn  auch  unbedeutend.  Das  linke  Augenlid  herabgefallen, 
kann  nur  wenig  gehoben  werden.  Keine  hemianopische  Pupillen- 
reaktion. 


ÜBER  DIE  BEZIEHUNG  DER  SEHFASERN  ZU  DEN  CENTRALGANGLIEN 


169 


V.  Die  Sensibilität  links  herabgesetzt.  Pat.  empfindet  erst 
ein  hartes  Andrücken  mit  einem  Papierstreifen. 

VII.  Paretisch. 

VIII.  Gehör  links  bedeutend  herabgesetzt. 

XII.    Die  Zunge  weicht  beim  Hervorstrecken  nach  links  ab. 

Sensibilität.  Tast-  und  Sclimerzsinn  sind  am  linken 
Arm  und  Bein  herabgesetzt.  Selbst  am  Rücken,  Bauch  und  an 
der  Brust  wird  nur  ein  starker  Druck  empfunden. 

Motilität.  Bedeutende  Parese  des  linken  Arms;  Pat. 
kann  ihn  nur  unbedeutend  bewegen.  Das  linke.  Bein  völlig  be- 
weglich, obschon  schwächer  als  das  rechte. 

Status  praesens  Anfang  Maj  iSq2  (im  Auszug). 

Bettlägrig,  liegt  auf  der  linken  Seite.  Kein  Ödem,  Keine 
Anzeichen  von  Lues.    Harn  normal.    Puls  gleichmässig. 

Subjective  Symptome. 

Intensive  Schmerzen  an  ei.iem  wohlbegrenzten  Gebiete, 
welches  von  einer  vor  der  Ohrmuschel  gelegten  vertikalen  Linie, 
von  der  Linea  temporalis  und  dem  Arcus  superciliaris  begrenzt 
wird. 

Auch  über  dem  Anheftepunkt  des  M.  cucullaris  hat  Pat. 
Schmerzen.    Das  Sprechen  schmerzt  sie. 

Objective  Untersuchung. 

Psyche.  Ihre  Gleichgültigkeit  ausgenommen  zeigt  Pat. 
weder  psychische,  noch  Sprachstörungen.  Keine  Alexie,  Seelen- 
blindheit oder  Seelentaubheit.  Keine  Hallucinationen.  Das 
Gemüt  ruhig.  Das  Gedächtniss  geschwächt,  sie  verlegt  oft 
Gegenstände. 

Kranialnerven.  I.  Geruch  normal  (geprüft  mit  Terpen- 
tin, Kampher,  Alkohol,  Essig). 

II.  Pat.  ist  Emmetrop  auf  beiden  Augen.  S.  L.  =  0.4. 
S.  R.  =  0.5.  Gesichtsfeld  etwas  77iehr  vermindert  links  als  die 
Perimeterkarte  I  vom  ^/s. 

Farbensinn  normal.  Ophthalmoskopie:  linkes  Auge:  Hinter- 
grund normal.  Rechtes  Auge:  eine,  jedoch  nicht  sehr  ausge- 
prägte Stauungspapille. 

III.  IV.  VI.  Pupillen  gleich  gross.  Keine  hetnianopischc 
Pnpillenreaktion;  reagiren  normal  bei  Licht  und  Accommodation. 
Die  Augeii  konvergiren,  wenn  auch  nicht  hochgradig.  Die  Be- 
wegungen nach  links  können  vollständig,  aber  mit  Schwierigkeit 
ausgeführt  werden. 


Das  linke  Augenlid  hängt  herab. 

V.  Herabgesetzte  Sensibilität.  Empfindet  nur  starkes  Drüc- 
ken mit  einem  Papierstreifen.  Ortsinn:  rechts  feiner  als  links. 
An  der  Stirn  kann  Pat.  Kaltes  und  Warmes  unterscheiden.  An 
den  Wangen  schwache  Kälte-  und  Wärmeempfindung. 

VII.  Parese  sowohl  der  oberen  wie  der  unteren  Äste. 
Uvula  weicht  nicht  ab. 

VIII.  Gehör  links  herabgesetzt;  hört  die  Uhr  in  einem 
Abstand  von  40  cm.,  rechts  von  1^/2  Meter. 

IX.  Normal. 

XI.  Linkes  Stimmband  paretisch.  Die  Stimme  heiser  —  jetzt 
besser  als  bei  der  Aufnahme. 

XII.  Zungenabweichung  nach  links. 

Sensibilität. 

Tastsinn.  Am  linken  Arm  und  Bein  empfindet  sie  bei 
stärkerem  Druck  den  Unterschied  zwischen  dem  Knopf  und  der 
Spitze  einer  Stecknadel. 

An  der  Brust,  am  Bauche  und  am  Rücken  ist  der  Tastsinn 

feiner. 

Ortsinn.  Am  linken  Arm  und  Bein  kein  Resultat  mit  dem 
Aesthesiometer,  empfindet  nur  eine  Spitze. 

Schmerzsinn.  Pat.  ist  empfindlicher  links  als  rechts,  und 
Pat.  empfindet  hier  das  Drücken  sehr  unangenehm. 

Temperatursinn  am  linken  Arm  und  Bein:  kann  nicht 
Kaltes  oder  Warmes  unterscheiden,  empfindet  beide  als  Schmerz, 
selbst  eine  T.  von  -f  20°  C.,  die  sie  rechts  als  angenehme  Kühle 
empfindet.  Erst  Wasser  von  60"  C.  schmerzt.  Ebenso  an  dem 
Rumpf. 

Muskelsinn  links  und  rechts  recht  gut. 

Elektrische  Reaktionen  (ausgeschlossen);  beiderseits  ziemlich 
gleiche  Reizbarkeit. 

Motilität. 

Unvollständige  Parese  des  linlen  Armes.  Die  Bewegungen 
mit  jedem  Tage  gebessert. 

Im  linken  Bein  eine  gewisse  Schwäche,  aber  keine  aus- 
gesprochene Parese.    Keine  Zuckungen. 

Reflexe.  Patellarreflexe  links  verstärkt;  kein  Dorsalklonus. 
Cubitalreflexe  schwach.    Plantarreflexe  leicht  hervorzurufen. 

Blase  und  Rectum  —  normal. 

Vasomotorische  und  trophische  Störungen:  die  Muskeln  des 
linken  Armes  schlaff. 

Innere  Organe. 

Von  Seiten  des  Herzen,  der  Leber,  der  Lungen  nichts  Ab- 
normes. 

Pehandlung :  Schmierkur. 

Tagesnotizen:  ^jü.  Allgemeinzustand  besser,  ^/j.  Spricht 
ohne  Schmerzen. 

■*/:-).    Arm  mehr  beweglich.    Augenbe7t'egungen-  normal. 

'^/s.  Kopfschmerz  heute  gelinder.  Die  Stärke  des  Armes 
erhöht.     Quadrant-Hemianopsie  (Karte  II). 

*/5.    Das  Sprechen  schmerzt.  Das  rechte  Augenlid  oedematös. 

Die  Sensibilität  ati  der  linken  Gesichtshälfte  fast  wie  rechts, 
am  linken  Arm  gebessert.  Empfindlichkeit  für  Massage  vermindert. 
Die  Anästhesie  auf  der  linken  Seite  besteht  noch,  ist  aber  schwach. 


170 


S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


'^/.').  Kein  Kopfschmerz.  Der  linke  Arm  kann  fast  alle 
Bewegungen  ausführen. 

^•'/.'..  Geht  nur  schwierig;  fühlt  nicht,  wie  sie  das  Bein 
setzt,    ^"'jä.    Geht  etwas. 

"'/•T-  Frei  von  Kopfschmerz,  ^^/s.  Gesichtsfeld  s.  Perimeter- 
karte III. 


^^/s.  Besserung. 

^"je.  Wesentlich  gebessert,  entlassen.  Pat.  ist  30-mal  ge- 
schmiert.   Ausserdem  Jodkalimn. 

Seit  dieser  Zeit  ist  ihr  Zustand  aUinäJilicJi  gebessert.  Sie 
fühlte  sich  gesund  und  arbeitsfähig,  die  Augenlider  hoben  sich, 
und  die  Schiefheit  des  Gesichts  verschwand ;  nur  waren  das  Gefühl 
und  die  Motilität  in  der  linken  Seite  etwas  herabgesetzt.  Aber 
auch  diese  Symptome  scheinen  sich  bedeutend  gebessert  zu  haben. 

Inzwischen  war  das  Gedächtniss  etwas  schlaff,  und  in  der 
Zwischenzeit  erschienen  kleine  Anfälle  von  Zuckungen  und  Kälte- 
geJuJil  in  der  linken  Körperhälfte.  Diese  Anfälle  kamen  des 
Tages  ohne  bekannte  Ursache;  Pat.  fiel  dabei  nie  um. 

Sie  wurde  am  17.  April  1895  von  Neuem  in's  Kranken- 
haus aufgenommen. 

Tagesnotizen,  ^^ji.  Subjektiv,  Zuckungen  im  linken  Arm 
und  Bein;  objektiv  nicht  warzunehmen. 

^°/4.    Kältegefühl  in  der  linken  Seite. 

^^ji.  Ohne  äussere  Ursache  traten  kleine  Zuckungen  im 
linken  Arm  und  Bein  ein,  und  zwar  gleichzeitig.  "Während  der 
Untersuchung  der  Sensibilität  wiederholte  und  stärkere  Zuckungen 
ohne  sonstiges  Unwohlsein. 

-'/t.    Schmerzen  in  der  linken  Seite  beim  Athmen. 

Status  praesens  23.-27.  April  1895  (im  Auszug). 
Kräftiger  Körperbau;  geht  umher.    Allgemeinzustand  gut. 

Subjective  Symptome. 

Subjektives  Befinden  gut,  ausgenommen  dass  sie  fühlt,  dass 
es  in  ihr  »arbeitet».  Im  linken  Arm  und  Bein  Kältegefühl  und 
Vertaubungsgefuhl.    Keine  Hallucinationen. 


Objective  Untersuchung. 

Psyche:  im  Ganzen  gut.  Gedächtniss  etwas  schwach; 
etwas  abwesender  Ausdruck.    Keine  Aphasie. 

K  r  a  n  i  a  1  ne  r  V  en.    I.    Geruch  beiderseits  gut. 

II.  S  —  0.9  beiderseits.  Gesichtsfelder  s.  die  Karte  IV 
vom  ^^/4.  In  dem  Quadrant-Defekt  scheint  nicht  die  Lichtperception 
vollständig  aufgehoben  zu  sein.  Augenhintergrund:  links  normal, 
rechts  etwas  abweichende  Papille. 


III.  IV.  VI.  Pupillen  normal,  reagiren.  Keine  hemi- 
anopische  Pupillenreaktion.    Bewegungen  der  Augen  normal. 

V.  Links  ein  wenig  herabgesetzte  Sensibilität  für  Be- 
rührung. 

Schmerzsinn:  links  ein  wenig  Hyperalgesie. 

VII.  Normal. 

VIII.  Gehör  links  nur  ein  wenig  geschwächt. 

IX.  Normal. 

XI.  Kontraktur  im  linken  Stimmband!  Die  Stimme  etwas 
heiser.    Sternocleidomastoidei  und  CucuUares  normal. 

XII.  Zunge  weicht  etwas  nach  links  ab. 

Spin  al nerven. 

Sensibilität. 

Tastsinn  und  Ortsinii  sind  links  vermindert  an  den  Gliedern; 
am  Rücken  kaum. 

ScJunerzsinn :  links  Hyperalgesie. 
Muskelsinn :  normal. 

Elektrische  Reizbarkeit:  gesteigerte  R.  links. 
Motilität. 

Ann:  linker  Arm  geringere  Parese. 

Bein:  schleppend  aber  recht  kräftig.  Keine  Ataxie.  — 
Geringe  Kontraktur. 

Reflexe.    Patellarreflexe  beiderseits  verstärkt.    Kein  Clonus. 

Abdominalreflexe:  nicht  wahrgenommen. 

Vasomotorische  Störungen :  Die  linken  Gliedmaassen  kälter 
als  die  rechten. 

TropJiische  Störungen:  die  linke  Hand  auffallend  kleiner  als 
die  rechte. 

Innere  Organe:  Herz,  Lungen,  Bauch  ohne  Befund. 
Ordination:   Schmierkur  5  g.m.  und  Jodkalium  bis  8  gm. 
täglich. 

Im  Mai  trat  Besserung  der  Symptome  ein. 

Im  Sommer  wurde  der  Allgemeinzustand  der  Pat.  allmählich 
gebessert,  und  im  Sept.  wurde  bei  der  Untersuchung  folgendes 
bemerkt. 


ÜBER  DIE  BEZIEHUNG  DER  SEHFASERN  ZU  DEN  CENTRALGANGLIEN 


171 


Status  praesens  "/o  1895  (im  Auszug). 
Der   Allgemeinzustand   Uberhaupt  gut  wie  auch  innere  Or- 
gane. 

Subjektiv  fühlt  sich  Pat.  bedeutend  besser  als  im  Frühling. 
Kein  Schwindel,  Erbrechen  oder  Kopfschmerz. 

Objektiv.  Psyche:  Aussehen  lebhafter,  Auffassung  nach 
eigner  Angabe  schärfer  und  Gedächtniss  besser.  Die  im  Frühling 
vorhandene  psychische  Schlaffheit  verschwand  nach  Angabe  der 
Pat.  schon  im  Juni.  Früher  fühlte  sie  immer  einen  unange- 
nehmen Druck  im  Kopf.  Sie  wurde  dabei  gezwungen,  den  Kopf 
unbeweglich  zu  halten;  sonst  bewegten  sich  die  Gegenstände 
vor  ihren  Augen.  Nach  dem  Verschwinden  der  Schlaffheit  hatte 
sie  starken  Kopfschmerz. 

Sie  empfindet  nicht  mehr,  dass  es  im  Körper  »arbeitet»; 
hat  auch  keine  Zuckungen  mehr. 

Sprache    normal,   geschieht   nunmehr   ohne  Schwierigkeit. 

Kranialnerven.  I.  Geruch  beiderseits  gleich  und  scharf; 
kann  jedoch  die  verschiedenen  riechenden  Stoffe  nicht  benennen. 

II.    S.  L.  =  0.8.   S.  R.  0.8.    Gesichtsfeld  s.  die  Karte  V. 


LA.    Si'-—.  I  Ocm.  ■' 


Augengrund:  rechts:  die  Gefässe  der  rechten  Papille  mit  etwas 
weniger  scharfen  Grenzen.    Links:  normal. 

III.  IV.  VI.  Pupillen  gleich,  reagiren  auf  Licht  und  bei 
der  Accommodation.  Sie  sind  nicht  so  gross  wie  früher.  Augen- 
stellung und  Bewegungen  normal. 

V.    Gesicht  etwas  schief. 

Sensibilität.  Pat.  empfindet  die  linke  Seite  in  anderer 
Weise  als  die  rechte,  wie  —  kann  sie  nicht  sagen.  Das  linke  Bein 
wird  beim  Hängen  des  Beins  taub.    Keine  Parästhesien. 

Motilität.  Der  Jinke  Arm  gewöhnlich  in  leichter  Kon- 
traktur-Stellung.  Pat.  kann  ihn  jedoch  ausstrecken.  Die  linke 
Hand  macht  stets  kleine  Bewegungen,  besonders  wenn  Pat.  sich 
bemerkt  glaubt. 

Der  Gang  ist  etwas  eigenthümlich  und  das  linke  Bein 
schleppt  und  wird  unbeholfen  bewegt.  Pat.  fühlt  den  Unter- 
schenkel und  das  Fussgelenk  steif. 

Vasomotorische  Störungen.  Die  linke  Hand  und  der  linke 
Fuss  kalt,  feucht. 

Trophische  Störungen.    Der  linke  Arm  etwas  atrophisch. 

^^/o.    Pat.  ist  wesentlich  gebessert,  wird  entlassen. 
1896.    Pat.  befindet  sich  gut.    Ist  hemiparetisch. 

Epikrise. 

Kurzer  Krankenbericht.  Die  32-jähr.  Pat.  hatte 
vor  2  Jahren  geboren.   Das  Kind  starb  bald  nach  der  Geburt. 

5.  E.  Hen  sehen.    Pathologie  des  Gehirns. 


Verneint  Lues.  Weihnachten  1891  wurde  das  Gehör  links 
herabgesetzt.  Am  20.  April  1892  rechtsseitiger  Kopfschmerz, 
d.  26.  dess.  M.  plötzlich  Insult  mit  Lähmung  der  linken  Seite, 
ohne  Verlust  des  Bewusstseins.  St.  praes.  Anfang  Mai.  Etwas 
schlaft",  schwerer  Kopfschmerz.  Kranialnerven.  II.  Linkssei- 
tige Quadrant-Hemianopsie  nach  unten.  Stauungspapille  rechts. 
III,  IV,  VI.  Augen  nach  rechts  abgelenkt,  konvergiren,  spä- 
ter keine  Deviation.  Augenlid  finks  herabhängend.  VII.  Links 
Parese.  VIII.  Gehör  links  vermindert.  XI.  Linkes  Stimm- 
band paretisch.  XII.  Links  Parese.  I.  u.  IX.  Normal.  Sen- 
sibilität: links  vermindert.  Motilität:  linksseitige  Hemiparese. 
^/s.  Rechtes  Augenlid  herabhängend.  —  Unter  Schmierkur 
Besserung.  ^^  'U.  Gebessert  entlassen.  Seitdem  allmähliche 
Besserung,  aber  gelinde  Anfälle  von  Zuckungen  traten  auf; 
die  Parese  verschwand  nie,  und  Pat.  wurde  in  s  Krankenhaus 
am  ^''/4  1895  aufgenommen. 

St.  praes.  Ende  April.  Allgemeinzustand  gut,  aber  ab 
und  zu  Zuckungen  im  linken  Arm  und  Bein.  Psyche:  etwas 
abwe-send,  aber  besser  als  im  J.  1892.  Kranialnerven.  II. 
Ouadrant-Hemianop.sie  nach  links  unten.  III,  IV,  VI.  Keine 
Deviation.  V.  wenig  verminderte  Sensibilität  links.  VII.  Nor- 
mal. VIII.  Gehör  links  kaum  vermindert.  XI,  XII.  Links 
Parese.  Sensibilität  sonst  links  etwas  herabgesetzt.  Motilität 
links :  etwas  Parese  mit  Kontraktur.  —  Schmierkur.  Besserung. 

Im  Sept.  war  die  Quadrant-Hemianopsie  wesentlich  ver- 
schwunden und  sowohl  die  Psyche  wie  auch  die  übrigen 
Symptome  gebessert,    ^''/g  1895.  Entlassen. 

Diagnose.  Art  der  Läsion.  Das  Alter  und  einige 
hinsichtlich  der  Pat.  bekannte  Umstände  machten  es  schon 
li'aJirscJieijilicJt.  dass  Lucs  vorlag;  dazu  kam,  dass  ihr  Kind 
ohne  bekannte  LTrsache  bald  nach  der  Geburt  gestorben  war. 
Da  ferner  Herzfehler  nicht  vorhanden  war,  eine  Blutung  un- 
wahrscheinlich schien,  und  Thrombose  auch  in  Anbetracht 
des  Alters  und  der  kräftigen  Konstitution  ausgeschlossen 
wurde,  so  war  nur  an  Lues  zu  denken.  Die  Entwickelung 
des  Insultes,  der  vorhergehende  intensive,  wohl  lokalisirte 
Kopfschmerz  und  das  Fehlen  der  Bewusstlosigkeit  machten 
dieses  auch  wahrscheinlich.  Endlich  bestätigte  die  Lhiter- 
suchung  diese  Ansicht.  Das  Ergriftensein  des  Oculomotorius 
(die  Ptosis,  der  Strabismus),  die  Gehörstörung  und  endlich 
die  psychische  Depression  und  die  Stauungspapille  im  rech- 
ten Auge  machten  die  Diagnose  ganz- sicher.  Die  auftallende 
Besserung  unter  specifischer  Behandlung  bestätigte  weiter  die 
Richtigkeit  der  Diagnose. 

Lokalisation  der  Krankheit.  Bei  der  Analj'se  der 
Symptome  wurde  es  bald  klar,  dass  alle  diese  Symptome  bei 
der  Annahme  nur  eines  kranken  Herdes  nicht  genügend  er- 
klärt werden.  Die  Symptome  bilden  zwei  Gruppen.  Zuerst 
deuten  einige  Symptome  auf  eine  Lokalisatioii  in  der  NäJie 
der  Basis  cranii  oder  des  Ursprimgs  des  Oculomotorius. 
Diese  Symptome  sind  die  während  längerer  Zeit  bestehende 
Gesichtsstörung  in  Form  von  quadrantischem  Defekt,  weiter  die 
Ptosis  und  die  Ablenkung  der  Augen.  Also  waren  sowohl 
die  Sehbahn,  wie  verschiedene  Aste  des  Oculomotorius  inter- 
essirt.    Die  Frage  ergiebt  sich  dann:   können  auch  dadurch 

23 


172  S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


die  deutlichen  psychischen  Symptome,  der  begrenzte  schwere 
Kopfschmerz  und  die  linksseitige  Hemiparese  erklärt  werden? 
Dass  es  sich  so  verhalten  kann,  ist  nicht  zu  leugnen.  Die 
psychische  Depression  könnte  ja  durch  den  Kopfschmerz  und 
durch  den  von  der  gummösen  Gesch\\  ulst  ausgeübten  Druck, 
welcher  sich  u.  A.  durch  die  Stauungspapille  kund  giebt,  her- 
vorgerufen werden.  Andererseits  könnte  die  Hemiplegie  und 
Hemianästhäsie  dadurch  erklärt  werden,  dass  das  gummöse 
Exsudat  den  rechten  Pes  cerebri  umgab  und  dort  eindrang. 
Aber  dabei  muss  daran  erinnert  werden,  dass  der  Kopfschmerz 
an  ein  ganz  bestimmt  lokalisirtes  Gebiet  an  der  rechten  Kopf- 
hälfte verlegt  wurde,  und  dass  die  psychische  Verstimmung 
die  Gedanken  auf  eine  kortikale  Lokalisation  führt.  Die  wich- 
tig.ste  Stütze  für  diese  kortikale  Lokalisation  trat  indessen 
später  hervor,  als  die  '/Aickiingen  in  Ann  und  Bein  erschie- 
nen. Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  diese  unfreiwilligen 
Zuckungen  auf  einen  Reiz  der  Rinde  beruhten  ■ —  und  als 
eine  Form  von  Jackson'scher  E^pilepsie  aufgefasst  werden 
können. 

Wir  müssen  also  eine  multiple  Läsion  annehmen,  teils 
an  der  Basis  oder  in  den  rechten  Centralganglien,  teils  in  der 
Rinde.  Dieses  multiple  PLrscheinen  stimmt  auch  gut,  wie 
bekannt,  mit  der  Natur  der  cerebralen  luetischen  Prozesse. 

Analyse  der  Symptome. 

Psyche.  Die  psj^chischen  Symptome  waren  nicht  von 
Hallucinationen  oder  Parästhesien  begleitet,  ausgenommen  dass 
Pat.  beobachtete,  dass  es  in  ihr  »arbeitete».  Dieses  »Ar- 
beiten» dürfte  wohl  durch  innere  nicht  näher  lokalisirbare 
Parästhesien  bedingt  .sein. 

Sprache:  ging  anfangs  nur  .schwierig  vom  Statten,  spä- 
ter nach  der  Behandlung  leichter. 

Kranialnerven.  I.  Bemerkenswerth  war,  da.ss  ^«<?.yw?V, 
ungeachtet  der  basalen  Lokalisation,  nicht  beobachtet  wurde. 

II — IV.  Die  Gesichtsstörungen  werden  unten  abgehan- 
delt im  Zusammenhang  mit  den  Störungen  vom  Oculomoto- 
rius  und  Acusticus. 

VII.  Die  linksseitige  Facialisparesc  braucht  keine  be- 
sondere Analyse. 

XL  Ungewöhnlicher  ist  die  Parese  des  linken  Stimni- 
bands,  besonders  wenn  man  eine  kortikale  Lokalisation  an- 
nimmt. Später  wurde  eine  Art  von  Kontraktur  beobachtet. 
Indessen  habe  ich  mehrmals  in  diesem  Werke  die  Aufmerk- 
samkeit darauf  gerichtet,  dass  die  Seltenheit  der  Beobachtun- 
gen hinsichtlich  der  centralen  Stimmbandparcsen  eigentlich 
nur  von  mangelnder  Genauigkeit  bei  der  klinischen  Untersu- 
chung abhängt.  Die  Stimmbandparesen  sind  bei  Hemiplegien 
sehr  häufig  —  ja  fast  die  Regel.  Die  Parese  wird  haupt- 
sächlich bei  der  Abduktion  bemerkt,  und  zwar  mehr  als  eine 
Schwäche  als  eigentliche  Paralyse.  Eine  spätere  Kontraktur 
wird  sehr  selten  beobachtet. 

XII.  Die  Abweichung  der  Zunge  erklärt  sich  in  gewöhn- 
licher Weise. 

Sensibilität  und  Motilität  boten  nichts  Abweichendes 
dar,  ausgenommen  dass  Anfälle  von  Zuckungen  eintraten, 
welche  auf  eine  kortikale  Lokalisation  deuteten. 


GesicJitsstörungen . 

Die  Form  der  Sehstörung,  resp.  des  Gesichtsfeldsdefek- 
tes, war  eine  ungewöhnliche,  nämlich  die  einer  Quadrant- 
Heniianopsie  nach  unten.  Die  5  in  den  Text  eingedruckten 
Karten  illustriren  die  Entwickelung  und  den  Zurückgang  die- 
ses Defektes.  Aus  diesen  ergiebt  sich,  da.ss  der  Gesichts- 
feldsdefekt  zuerst  (am  •''/n,  Karte  I,  also  etwa  7  Tage  nach 
dem  Insult)  teils  fast  den  ganzen  unteren  Quadranten,  teils 
einen  nicht  unbedeutenden  Abschnitt,  nämlich  den  peripheri- 
schen, auch  des  oberen  Quadranten  umfasste,  und  zwar  ziemlich 
gleich  auf  beiden  Augen.  Bei  der  nächsten  Prüfung  i^jh, 
Karte  II)  war  der  Defekt  etwas  kleiner,  was  aber  darauf  be- 
ruhen kann,  dass  die  Karte  I  bei  trübem  Wetter  aufgenom- 
men wurde,  während  die  Luft  bei  der  Aufnahme  von  Karte 
II  klar  war.  Ende  Mai  1892  war  der  Defekt  fast  unverän- 
dert (Karte  III).  Als  Pat.  am  17.  April  1895  nach  dem  Kran- 
kenhause zurückkam,  war  der  Defekt  (^■*/4,  Karte  IV)  wenig 
verändert  auf  dem  rechten  Auge,  doch  nicht  so  ausgesprochen, 
und  auf  dem  linken  umfasste  er  hauptsächlich  den  unteren 
Quadranten.  Nach  der  Inunctionskur  dehnte  sich  das  Gesichts- 
feld so  aus,  dass  es  im  September  (^"/g,  Karte  V)  fast  nor- 
mal war;  nur  eine  unbedeutende  konccntrische  Einschränkung 
bestand  noch. 

Hauptsächlich  bestand  also  vom  Anfang  an  eine  Qua- 
drant-Hemianopsie  nach  unten.  Solche  Defekte  sind  über- 
haupt recht  selten.'  Solche  Fälle  sind  von  mir  (Teil  II  und 
oben),  von  Morris,  LLuti,  MarcJiand  (Teil  II,  S.  269,  339,  245) 
u.  A.  mitgeteilt.  Die  Analyse  im  Teil  II  zeigt,  dass  sie  also 
an  jedem  Punkt  der  Sehbahn  entstehen  können  und  über- 
haupt nicht  für  einen  gewissen  Abschnitt  pathognomonisch 
sind.  In  diesem  Falle  zeigen  die  begleitende  Ptosis  und  die 
Hemiplegie,  dass  die  Lä.sion  in  den  vorderen  oder  mittleren 
Abschnitt  der  Sehbahn  verlegt  werden  muss.  Hier  dürfte 
also  irgendwo  ein  gummöses  Exsudat  oder  eine  Geschwulst 
vorhanden  sein.  Schoeler  hat  auch  einen  ähnlichen  P'all  von 
Lues  mit  quadrantischem  Defekt  mitgeteilt.  Wo  aber  liegt 
hier  die  Läsion?  Das  bilaterale  F>scheinen  des  Defekts  und 
das  Fehlen  einer  bitemporalen  LIemianopsie  sprechen  kräftig 
für  die  Lage  der  Läsion  occipital  vom  Chiasma.  Die  genau- 
ere Lage  kann  mit  i'ollständiger  Sicherheit  7iicht  bestimmt 
luerden,  aber  das  Fehlen  einer  hemianopischen  Pupillenreak- 
tion spricht  für  das  Verlegen  in  einen  mehr  occipitalen  Punkt 
als  den  Tractus  opticus.  Auch  das  Erscheinen  eines  nur 
partiellen  Defektes  macht  es  in  gewissem  Grade  wahrschein- 
lich, dass  der  schmale  Tractus  nicht  der  Sitz  der  Läsion  sei. 
Hier  scheint  es  nämlich,  als  ob  das  Exsudat  den  schmalen 
Streifen  am  liebsten  ganz  umfas,sen  und  ausser  Inmktion  set- 
zen sollte;  und  wenn  eine  Geschwulst  von  dem  Basalbeine  auf 
den  Tractus  übergreift,  so  werden  wahrscheinlich  zuerst  die  ven- 
tralen Tractusfasern  betroffen  und  es  wird  also  eine  Quadrant- 
Hemianopsie  nach  oben  eintreten.  Es  ist  mir  nun  aufgefallen, 
dass  Pat.  eine  Zeit  früher,  zu  Weihnachten,  auf  dem  linken 
Ohr  taub  wurde;  zwar  sagt  Pat.,  dass  dies  nach  Influenza 
eintrat,  aber  es  passt  so  ausserordentlich  gut,  anzunehmen, 
dass  diese  Taubheit  in  der  That  das  erste  Zeichen  der  wach- 
senden Gummageschwulst  war,   dass  ich   zu  einer  solchen 


ÜBER  DIE  BEZIEHUNG  DER  SEHFASERN  ZU  DEN  CENTRALGANGLIEN 


173 


Deutung  geneigt  bin,  ohne  etwas  in  dieser  Hinsicht  für  sicher 
zu  halten. 

Wenn  diese  Deutung  richtig  ist,  dann  müsste  ein  Gum- 
ma in  den  Centraiganglien  angefangen  haben,  und  zwar  in 
der  Gehörbahn,  also  in  der  Gegend  etwas  dorsal  von  dem 
inneren  Kniehöcker  und  von  dort  die  Sehbahn  und  auch  den 
Oculomotorius  angegriffen  haben.  Die  Ablenkung  der  Augen 
und  der  Strabismus  scheint  eher  die  unmittelbare  F"olge  des 
Insultes  als  nothwendigerweise  ein  Zeichen  einer  Infiltration 
des  Oculomotorius  zu  sein,  denn  sie  waren  vorübergehend. 
Dagegen  muss  die  länger  dauernde  Ptosis  erst  des  linken, 
einige  Tage  später,  ^/s,  des  rechten  Augenlids  wohl  von  einer 
Läsion  des  Oculomotorius  (central  oder  peripherisch  ?)  abhängen. 

Es  scheint  mir  also  am  wahrscheinlichsten,  dass  der 
Prozess  in  den  Centraiganglien  dorsal  von  den  Kniehöckern 
angefangen,  und  sich  dann  nach  unten  ausgedehnt  habe.  Da- 


durch lä,sst  sich  die  vorhandene  Quadrant-Hemianopsie  nach 
unten  leicht  in  vollständigen  PZinklang  mit  den  übrigen  hier 
von  mir  mitgeteilten  Fällen  bringen.  Dafür  spricht  auch, 
dass  bei  der  Besserung  der  Fat.  nach  der  ersten  Inunctions- 
kur  doch  noch  diese  ventrale  Hemianopsie  (^^/i  95,  Karte  IV) 
bestand.  Dies  deutet  auf  einen  Anfangspunkt  dorsal  von 
der  Sehbahn. 

Der  Angriffspunkt  auf  die  Sehbahn  dürfte  also  Jiaupt- 
sächlich  der  äussere  Kniehöcker  sein  und  zwar  dürfte  beson- 
ders der  dorsale  Teil  des  Ganglion  ergriffen  sein,  ganz  wie 
in  den  Fällen  Esche  und  J.  E.  Anderson.  Wenn  diese  Lo- 
kalisation vorhanden  war,  so  spricht  der  Fall  für  die  im  Falle 
13  Esche  bewiesene  Ansicht,  dass  der  dorsale  Abschnitt  des 
Kniehöckers  die  dorsale  Hälfte  der  'Retina  innervirt.  Jeden- 
falls muss  diese  Analyse  nur  als  hypothetisch  berechtigt  auf- 
gefasst  werden,  da  die  Sektion  nicht  vorliegt. 


Fall  16.  Hinrichsen. 

57  Jahre.  Arbeiterin. 
Tafel  XVII.  Fig.  5—7.    Tafel  XIX.  Fig.  13. 


Klinische  D.iagnose:  Hemlplegla,  Hemlanaesthesia  et  Hemianopsia 
dextpa,    Pneumonia  dextpa. 

Maria  Hinrichsen  aus  Hamburg. 

Zusammenfassung.  Die  57-jährige  Arbeiterin  wurde 
am  ^''/ö  1892  von  einem  Schlaganfalle  mit  rechtsseitiger 
Lähmung  und  Anästhesie  betroffen,  "''/s  wurde  eine  Hemi- 
anopsia homonyma  dextra  bilateralis  mit  koncentrischer  Ein- 
schränkung der  erhalten  gebliebenen  Gesichtsfeldhälften  be- 
merkt.   28/5.  Tod. 

Die  Sektion  wies  im  dorsolateralen  Abschnitt  des  Pulvi- 
nars  und  des  Thalamus  im  hinteren  Teile  der  Capsula  interna 
eine  Hämorrhagie  nach,  welche  einen  Druck  auf  den  äusseren 
Kniehöcker  ausgeübt  hatte. 

Die  Hemiplegie  und  Hemianästhesie  werden  durch  die 
Zerstörung  der  Capsula  interna  erklärt,  die  Hemianopsie  da- 
gegen durch  den  Druck  auf  den  äusseren  Kniehöcker. 

Die  Krankengeschichte  und  das  Gehirn  sind  mir  vom 
Herrn  Doktor  H.  Wilbrand  in  Hamburg  gefälligst  überlassen 
worden. 

Anamnese.  Will  früher  stets  gesund  gewesen  sein;  vor 
4  Tagen  (^^/s  1892)  apoplektischer  Insult,  angeblich  keine  Sprach- 
störungen, Lähmung  der  rechten  Körperhälfte. 

Status  praesens  den  21.  Mai  1892. 

Robuste,  sehr  herabgekommen  aussehende  Person,  in  massi- 
gem Ernährungs-Zustand;  von  Ungeziefer  herrührendes  Eczem 
auf  Brust  und  Rücken, 

Zunge  stark  belegt;  kein  Appetit.  Abdomen  nicht  schmerz- 
haft. 

Herz  ohne  Befund:  leise,  aber  reine  Töne, 


Pathol.  anatom.  Diagnose:  HaBmoprhagla  thalaml  sinlstpl. 

Lungengrenzen  erweitert;  keine  Dämpfung;  diffuse  feuchte 
Rasselgeräusche;  kein  Husten  oder  Auswurf.  Kein  Fieber.  Puls 
leidlich  voll,  nicht  beschleunigt,  nicht  übermässig  rigid.  Respira- 
tion oberflächlich,  beschleunigt.  Temporalarterie  stark  geschängelt. 
Urin  fr°i  von  Albumin. 

Psyche:  Sensorium  frei,  geringe  Kopfschmerzen. 
Sprache  deutlich. 

Kranialnerven.  III.  Pupillen  gleich  weit,  reagiren. 
Augenlidränder  geröthet,  die  Conjunctiva  stärker  injicirt. 

VII.  Stirnrunzeln  möglich,  die  Augenlider  können  fest 
geschlossen  werden.    Rechte  Nasolabialfalte  verstrichen. 

XII.    Zunge  weicht  beim  Herausstrecken  nach  rechts  ab, 

Sensibilität.  Völlige  Anästhesie  sämmtl.  gelähmter  Teile, 
Beim  Durchstechen  ganzer  Hautfalten  zuckt  Pat.  mit  dem  Mund, 
behauptet  jedoch  nichts  zu  fühlen. 

Motilität.  Rechter  Arm  völlig  schlaff,  kann  durchaus 
nicht  bewegt  weiden,  fällt  nach  dem  Emporheben  sofort  wieder 
hin.    Keine  Kontraktur. 

Rechtes  Bein  ebenso. 

Reflexe.  Patellarreflexe  fehlen  beiderseits.  Plantarreflex 
rechts  sehr  lebhaft.    Tricepsreflexe  beiderseits  schwach. 

Keine  Blasen-  oder  Mastdarmstörungen. 
■  ^'^/.-i.    Seit  gestern  Abend  lässt  Pat.  Alles  unter  sich.  Sen- 
sorium frei.    Sehr  geringe  Nahrungsaufnahme. 

Abends  Temp.  38°.  Pat.  klagt  über  Schmerzen  in  der 
linken  Schulter. 


174  S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Linke  Lunge:  hinten  oben  bis  zur  Spina  scapulre  und  auch 
noch  unter  derselben  SchallverkUrzung  gegen  rechts. 

Hier,  namentlich  nach  Hustenstössen,  dichte  feuchte  Rassel- 
geräusche; sehr  scharfes  (vesikuläres)  Atemgeräusch.  Klagt  Uber 
heftige  Kopfschmerzen. 

^^/u.    L    Geruch:  rechts  o.,  links  gut. 

II.    Hcniianopsia  dcxtra  lioiiionyma  Inlateralis  (s.  Perimeter- 


karte. Pat  war  sehr  angegriffen;  das  rechte  Auge  wurde  zuerst 
untersucht)  rechtsseitig  komplete  Hemianopsie  mit  koncentrischer 
Einschränkung  der  erhalten  gebliebenen  Gesichtsfeldhälften;  Far- 
ben erkannt.    Ophthalmoskopischer  Befund  normal. 

III.  IV.  VI.  Linke  Pupille  etwas  weiter  als  die  rechte; 
Reaktion  prompt.  Corncalreflexe  rechts  sehr  herabgesetzt  gegen 
links. 

VII.  Facialis  rechts  schwächer  als  links. 

VIII.  Gehör  links:  Taschenuhr  auf  5  Fuss.  Rechts  wird 
Taschenuhr  nicht  gehört.  Kopf  knochenleitung  links  (?)  desgleichen. 

IX.  Geschmack  auf  der  rechten  Zungenseite  herabgesetzt. 

Sensibilität:  Totale  Hemianästhesie,  inklusive  Schleimhäute. 
Verlust  des  Lagegefühls. 

Motilität:  Schlaffe  rechtsseitige  Lähmung. 

"Vä.  Temp.  39.2°.  Keine  ausgesprochene  Schallverkürzung. 
Einzelne  Rhonchi  in  diffuser  Ausbreitung.  Pat.  ist  völlig  bei  Be- 
wusstsein;  Sprachvermögen  wie  zu  Anfang;  Puls  beschleunigt, 
klein. 

^''/s.    Leichtes  Coma.    ^^/s.    Exitus  letalis. 

Sektion. 

Schlaffe  Infiltration   im   unteren  Teil  des  linken  Lungen- 
Oberlappens.    Allgemeine  Arteriosklerose. 
D  as  Gehirn. 

Die  Pia  lässt  sich  überall  von  der  Rinde  leicht  ablösen, 
vmd  zeigt  keine  bemerkenswerthen  Veränderungen. 

Die  Oberfläche  zeigt  kurzweg  keine  Veränderungen.  Die 
Rinde  ist  überall  fest,  nicht  verfärbt. 

Die  linke  Hemisphäre 
wurde  in  Frontalscheiben  geschnitten.    Die  Schnittflächen  zeigten 
nur  in  den  Centralganglien  Veränderungen. 

Centraiganglien. 
Ln  linken  Thalamus  und  Piilvinar  findet  sich  ein  grosser 
hämorrhagischer  Herd,  welcher  den  dorsolateralen  Abschnitt  des 
Ganglions  einnimmt. 


Ptilvinar.  An  den  hintersten  Schnitten,  etwa  8  cm.  vor 
der  Occlpitalspitze  (Taf.  XVII,  Fig.  7)  liegt  der  Herd  im  dorso- 
lateralen Umfange,  dringt  nach  oben  bis  zum  Ependym,  welches 
etwas  abgehoben  ist,  nach  aussen  bis  zur  Kapsel  des  Pulvinars. 
Die  Grösse,  Form  und  Lage  ersieht  man  an  der  Abbildung. 
Der  vertikale  Durchmesser  ist  15  — 19  m.m.,  der  frontale  12  — 14. 
Lateral  vom  Herd  ist  das  Mark  mit  zahlreichen  kleineren  Hämor- 
rhagien  durchsprenkelt,  nach  innen  ist  die  Grenze  ziemlich  scharf 
Der  Herd  ist  etwa  3 — 4  m.m.  von  der  ventralen  Fläche  des 
Pulvinars  entfernt. 

g  cm.  vor  der  Occlpitalspitze  (Taf  XVII,  Fig.  6)  ist  der 
Herd  grösser,  etwa  2  —  2.5  <'-™-  vertikaler  Richtung  und  fast 
3  cm.  breit;  er  hat  den  Thalamus,  die  Capsula  interna  und  das 
Putamen  vollständig  zerstört,  so  dass  man  die  verschiedenen 
Teile  nicht  mehr  von  einander  unterscheiden  kann.  Die  untere 
Grenze  fällt  beinahe  mit  der  des  Putamens  zusammen. 

Nucleus  ruber  nicht  direkt  berührt. 

Auch  die  Ansa  lenticularis  ist  nicht  zerstört,  und  vom 
Tractus  ist  die  untere  Grenze  des  Herds  7  —  8  m.m.  entfernt. 
Der  Tractus  ist  vielleicht  etwas  abgeplattet. 

Die  innere  Kapsel  ist  durch  den  Herd  zerstört. 

Die  mediale  Wand  des  Thalamus  buchtet  kaum  in  den  3. 
Ventrikel  ein. 

10  cm.  vor  der  Spitze  (Taf.  XVII,  Fig.  5)  ist  der  Herd 
kleiner  18+18  m.m.  —  2  cm.  und  nimmt  die  innere  Kapsel  und 
den  dorsalsten  Abschnitt  des  Linsenkörpers  ein.  Die  eingestreuten 
hämorrhagischen  Herde  erstrecken  sich  bis  in  die  äussere  Kapsel 
hinein. 

11  ctn.  Hier  beobachtet  man  nur  an  der  Grenze  zwischen 
Nucleus  caudatus  und  Thalamus  einige  m.m. -grosse  Hämor- 
rhagien,  welche  5  m.m.  in  das  Thalamusgewebe  eindringen.  Sonst 
ist  die  Oberfläche  der  Centralganglien  vollständig  normal. 

Das  hi/itcre  Horn  hat  sicher  etwas,  obschon  wenig  Blut 
enthalten,  man  ersieht  das  aus  der  losen  Beschaffenheit  der 
Wandung. 

Das  Verhältnlss  des  Blutherdes  zum  äusseren  Kniehöcker 
wird  an  den  mikroskopischen  Schnitten  am  besten  studirt  (s. 
unten). 

Der  äussere  und  innere  Kniehöcker  waren  an  der  Ober- 
fläche normal. 

Die  Corpora  4-gemina  waren  normal. 

Die  rechte  Hemisphäre. 
Ist  sowohl  an  der  Oberfläche  wie  im  Inneren  normal. 
Pons  und  Medulla  waren,  soweit  zugänglich,  normal. 
Das  Kleinhirn  nicht  mitgeschickt. 

Mikroskopisches. 

Um  das  Verhältnlss  des  hämorrhagischen  Herdes  in  den 
Centralganglien  und  seine  Lage  im  Verhältnlss  zur  Sehbahn  zu  un- 
tersuchen, wurde  eine  zusammenhängende  Schnittserie  des  basalen 
Gebietes  der  linksseitigen  Centralganglien  in  einer  Anzahl  von  c:a 
550  Schnitten  verfertigt  und  davon  etwa  80  Schnitte  herausgenom- 
men und  gefärbt,  und  zwar  besonders  von  dem  occipitalen  Ab- 
schnitte, wo  der  hämorrhagische  Herd  in  nächster  Nähe  vom 
Tractus  und  vom  äusseren  Kniehöcker  lag. 

Die  nun   zu "  beginnende  Beschreibung  folgt  der  Richtung 


ÜBER  DIE  BEZIEHUNG  DER  SEHFASERN  ZU  DEN  CENTRALGANGLIEN 


175 


von  hinten  nach  vorn,  zunächst  werden  die  occipitalsten  Schnitte 
beschrieben. 

A.  Schnitte  occipital  vom  äusseren  Kniehöcker,  aber  in  der 
Frontalcbcne  des  inneren  Kniehöckers.  Der  Blutherd  Hegt  hier 
mit  seinem  ventromedialen  Rand  4  m.m.  von  der  ventralen 
Oberfläche  des  Pulvinars  und  10  m.m.  vom  inneren  Kniehöcker 
entfernt. 

Der  BlutJierd  selbst  bildet  eine  kompakte  Masse,  in  welcher 
die  Blutkörperchen  dicht  an  einander  liegen,  ohne  dass  Gewebs- 
reste darin  eingebettet  sind.  Der  ventrale  Rand  ist,  wie  es  bei 
der  Fig.  7,  Taf.  XVII  hervortritt,  scharf  begrenzt  und  abgerundet. 

Dass  er  auf  das  ventral  von  ihm  liegende  Hirngewebe  einge- 
wirkt hat,  geht  daraus  hervor,  dass  das  Gewebe  bei  der  Wei- 
gert'schen  Färbung  sich  hier  nicht  gut  gefärbt  hat.  Besonders 
gilt  dies  für  die  von  der  Gegend  der  Kniehöcker  occipitaltväfts 
in  die  temporale  imd  occipitale  (resp.  Gehör-  und  Gesichts-) Strahl- 
ung hineinlaufenden  Bündel.  Zwar  sind  hier  verschiedene  Bündel 
recht  gut  gefärbt,  aber  eine  Masse  von  Bündeln  und  besonders 
die  dem  Blutherd  zunächst  gelegenen  sind  sehr  bleich,  und  ihre 
Fasern,  (besonders  diejenigen,  welche  dem  Blutherd  am  nächsten 
anliegen)  sind  in  beginnender  Degeneration  begriffen,  während 
die  mehr  ventralen  und  von  dem  Blutherd  entfernteren  Bündel 
alle  stärker  gefärbt  und  von  normaler  Textur  sind.  Bei  einer 
grösseren  Reihe  von  Präp.  (135  —  200)  sind  selbst  die  ventralen 
zwischen  dem  Blutherd  und  der  Cauda  Nuclei  caudati  liegenden 
Bündel  mehr  oder  weniger  verfärbt;  aber  sonst  erhalten  und 
nicht  deutlich  degenerirt.  Ein  solches  verfärbtes  Band  latero- 
occipital  vom  Kniehöcker  misst  in  frontaler  Richtung  3 — 4  m.m. 

B.  Schnitte  entsprechend  der  Ebene  des  occipitalen  Ab- 
schnittes des  äusseren  tmd  des  inneren  Kniehöckers. 

Hier  bestehen  im  Ganzen  dieselben  Verhältnisse  (Vgl.  Fig. 
13,  Taf.  XIX),  aber  der  Hauptblutherd  entfernt  sich  vom  ven- 
tralen Rand  des  Pulvinars  etwas  (6  m.m.),  sendet  aber  mehr 
medial  einen  Ausläufer  nach  unten  gegen  den  dorsalen  Rand 
des  inneren  Kniehöckers  und  den  dorso-medialen  Rand  des 
äusseren  Kniehöckers.  Dieser  Herd  liegt  u ntnittelb ar  dem  inneren 
Kniehöcker  an  und  nähert  sich  dem  äusseren  auf  i  m.m.  Hier- 
durch wird  das  mächtige  Feld  von  Fasern,  welches  dorsal  von 
diesen  Ganglien  liegt  >nehr  oder  weniger  vollständig  entfärbt  oder 
verfärbt  (Präp.  186). 

Das  Pulvinar  ventral  vom  Blutherd  enthält  zwar  noch  eine 
Anzahl  schwach  gefärbter  Fasern,  aber  die  Zellen  sind  sehr  pig- 
mentreich und  abgerundet  und  ihre  pericellulären  Räume  gross, 
was  auf  Atrophie  deutet. 

Der  innere  Kniehöcker  a/i  mehr  occipitalen  Schnitten  (116). 
Die  ventrale  Kapsel  recht  mächtig,  die  dorsale  dagegen  schwach, 
die  inneren  Bündel  kräftig  und  das  Fasernetz  deutlich,  die 
Zellen  anscheinend  normal. 

An  mehr  frontalen  Schnitten  ist  das  Ganglion  sehr  bleich 
und  die  Zellen  sind  mehr  rundlich.  Das  Ganglion  scheint  also 
hier  einer  Nutritions Störung  unterworfen. 

Der  äussere  Kniehöcker  (Vgl.  Fig.  13,  Taf.  XIX).  Die 
Kapsel:  die  laterale,  ventrale  und  ventro-mediale  Kapsel  enthält 
reichhche  gut  gefärbte  Fasern  und  sie  sind  von  normaler  Stärke ; 
dagegen  ist  die  dorsale  und  dorso-mediale  sehr  schwach  oder 
beinahe  fehlend  am  dorso-medialen  Winkel  des  Ganglions  (a), 
welcher  der   Spitze   des  hier   auslaufenden  Blutherds  (hsemor.) 


entspricht.  Die  zurückgebliebenen  Fasern  sind  jedoch  gut  ge- 
färbt und  nicht  degenerirt,  während  die  Hauptmasse  der  Bündel 
sich  äusserst  schwach  oder  gar  nicht  gefärbt  hat. 

Die  Markleisten  im  Inneren  des  Ganglions  sind  noch  vor- 
handen und  ebenso  die  Fasernetze,  ihre  Fasern  sind  Uberhaupt 
sehr  blass  gefärbt,  aber  nicht  in  Degeneration  begriffen. 

Die  Ganglienzellen  —  die  grossen  wie  die  kleineren  — 
sind  in  normaler  Anzahl  vorhanden,  aber  anscheinend  sehr  pig- 
mentreich, und  zeichnen  sich  deshalb  mehr  als  gewöhnlich  gegen 
das  blasse  Fasernetz  ab.  Die  Zellen  zeigen  sonst  eine  recht 
scharfe  Kontur  und  deutliche  Kerne. 

Tiefere  Veränderungen  sind  demnach  nicht  vorhanden,  da- 
gegen deutet  die  vorhandene  Verfärbung  oder  das  Nicht-Gefärbt- 
sein der  Fasern  und  die  Schwäche  der  dorsalen  Kapsel  darauf 
hin,  dass  das  Ganglion,  besonders  im  dorsalen  Abschnitte,  durch 
den  Druck  des  Blutherdes  wesentlich  in  seiner  Funktion  gestört  ist. 

Das  Wernicke'' sehe  Feld.  Das  dorsal  vom  äusseren  Knie- 
körper, zwischen  ihm  und  dem  Blutherd,  liegende  mächtige  Faser- 
feld, ist  in  grosser  Ausdehnung  bleich  und  verfärbt.  Jedoch  sind 
manche  recht  gut  gefärbte  Faserbündel  noch  erhalten,  wie  man 
dies  mikroskopisch  erkennen  kann. 

Das  laterale  Feld  dagegen  ist  intensiv  gefärbt. 

C.  Schnitte,  entsprechend  dem  mittleren  Abschnitte  (in  sagit- 
taler  Richtung)  des  äusseren  Kniehöckers  (Präp.  230  —  290). 

Es  bestehen  dieselben  Verhältnise  wie  an  der  Schnittreihe 
B.  Der  äussere  Kniehöcker  ist,  mit  Ausnahme  der  dorsalen 
Kapsel,  wenig  verändert;  zwischen  dem  Blutherd  und  dem  Gang- 
lion liegt  ein  i — 2  ni.m.  hohes  entfärbtes  Feld;  und  das  Bild 
(Taf.  XIX,  Fig.  13)  kann  auch  als  Typus  dieses  Abschnittes 
dienen:  nur  zieht  sich  die  mediale  Spitze  des  Blutherdes  zurück. 

D.  Schnitte  aus  dem  frontalsten  Abschnitte  des  äusseren 
Kniehöckers  (Präp.  290 — 370). 

Der  Blutherd  entfernt  sich  etwa  4  m.m.  vom  oberen  Rand 
des  Kniehöckers,  aber  unmittelbar  lorsal  vom  Kniekörper  Hegt 
ein  grösseres  Gefäss,  in  dessen  Scheide  eine  wohl  begrenzte 
Blutung  liegt.  Rings  um  diese  kleine  Blutung,  welche  nur  etwa 
I  —  2  m.m.  misst,  ist  das  Gewebe  in  einer  Ausdehnung  von  i  —  2 
m.m.  entfärbt.  Sonst  ist  das  dorsale  nicht  gefärbte  Feld,  ventral 
vom-  Blutherd,  nunmehr  sehr  vermindert.  Die  dorsale  Kapsel 
des  Kniehöckers  hat  wenig  vom  Druck  gelitten,  die  laterale 
Kapsel  ist  dick  und  kräftig  gefärbt.  Das  Innere  des  Ganglions 
ist  anscheinend  normal. 

Auch  die  lateralsten  Bündel  des  Pes  cerebri  —  also  das 
Türck'sche  Bündel  —  sind  fast  voHständig  ungefärbt  und  stechen 
durch  ihre  bleiche  Farbe  von  den  übrigen  Bündeln  ab. 

E.  Schnitte  mehr  frontalwärts,  aus  dem  occipitalsten  Ab- 
schnitt des  Tractus  opticus. 

Hier  liegt  der  Blutherd  in  einer  längeren  Ausdehnung  vom 
Tractus  4  —  5  m.m.  entfernt.  Das  zwischenliegende  Gewebe  ist 
im  Ganzen  anscheinend  normal  und  hat  gut  gefärbte,  kräftige 
FaserbUndel,  welche  kaum  etwas  durch  den  Druck  gelitten  haben. 
Der    Tractus  opticus  ist  nonnal.    Der  Pes  ist  nunmehr  normal. 

F.  Die  mehr  frontalwärts  liegenden  Abschnitte  liegen  vom 
Blutherd  bedeutend  weiter  entfernt,  weshalb  eine  mikroskopische 
Untersuchung  dieser  Teile  nicht  nothwendig  erschien. 

Als  Resultat  der  Untersuchung  ergiebt  sich  also.  Der 
grosse,  das  Pulvinar  und  den  occipitalen  Abschnitt  des  Thalamus 


176  S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


durchsetzende,  Blutherd  ist  fast  in  der  ganzen  Ausdehnung  des 
äusseren  Kniehöckers,  beinahe  bis  zu  seiner  dorsalen  Kapsel 
vorgedrungen  und  hat  hier  auf  diese  sowie  auch  auf  die  von 
(resp.  zu)  dem  Ganglion  ausgehenden  Sehfasern  einen  ansehn- 
lichen, durch  die  Verfärbung  der  Fasern  deutlich  erkennbaren 
Druck  ausgeübt.  Im  Ganglion  selbst  sind  tiefere  Nutritions- 
störungen  nicht  nachweisbar,  dagegen  sind  an  einer  grösseren 
Reihe  von  Präparaten  aus  dem  mittleren  Abschnitt  (s.  oben  B. 
und  C.)  Anzeichen  einer  leichten  Nutritions-Störung  der  Fasern 
vorhanden. 

Im  Tractus  selbst  sind  Nutritionsstorungen  nicht  nachzu- 
weisen. 

Eprikrise. 

Kurzer  Krankenbericht.  In  Bezug  darauf  weise 
ich  auf  die  Seite  173  hin.  Pat.  lebte  nach  dem  Schlaganfalle 
nur  1 1  Tage. 

Art  und  Lokaltsation  der  Läsion.  Ob  eine  Thrombose 
oder  eine  Hämorrhagie  vorlag,  war  aus  den  mitgeteilten  An- 
gaben nicht  zu  entscheiden.  Bemerkensuerth  ist,  dass  das 
Sensorium  wenig  gestört  war.  Am  vierten  Tage  war  es  völ- 
lig frei  und  nur  geringe  Kopfschmerzen  waren  vorhanden,  und 
zwar  ungeachtet  der  nicht  unbedeutenden  Hämorrhagie.  In 
der  Hinsicht,  dass  eine  Blutung  in  den  Centraiganglien  das 
Sensorium  nicht  längere  Zeit,  viele  Tage,  stört,  stimmt  der 
Fall  mit  anderen  von  mir  oben  mitgeteilten  überein. 

Die  vollständige,  sowohl  motorische  wie  sensible,  rechts- 
seitige Lähmung,  welche  mit  Gehörs.störung"  auf  dem  rechten 
Ohre  und  rechtsseitiger  homonymer  Hemianopsie  verbunden 
war,  stimmt  wie  es  mir  scheint,  sehr  gut  mit  der  Lokalisation 
des  Blutherdes  im  hinteren  Abschnitt  der  inneren  Kapsel. 

Kaum  dürfte  eine  kleine  Hämorrhagie  von  irgend  einem 
anderen  Punkte  aus  diesen  Symptomenkomple.x  hervorzurufen 
im  Stande  sein. 

Die  Blutung  hat  nämlich  hier  die  betreffenden  Bahnen 
für  die  Motilität,  die  Sensibilität,  für  das  Gehör  und  Gesicht 
aftlzirt. 

Analyse  der  Symptome. 

PsycItiscJic  Syiiiptonic  oder  Sprachstörungen  werden  in 
diesem  Falle  vermisst.  Das  Fehlen  psychischer  Sjmiptome 
bedarf  keiner  weiteren  Darlegung;  wohl  aber  hätte  man 
erwarten  dürfen,  hier  Sprachstörungen  zu  finden,  weil  die 
Blutung  zwischen  der  ersten  Temporal-  und  dritten  Frontal- 
windung, also  in  der  Nähe  des  Fasciculus  uncinatus,  liegt. 
Die  Erklärung  dürfte  jedoch  durch  die  vcrhältnissmässig 
hohe  Lage  des  Herds  begründet  sein.  Die  Kontur  der  In- 
sula-Rinde  deutet  auf  einen  nach  aussen  oder  unten  nur  wenig 
gesteigerten  Druck  (Vgl.  Fig.  5—7.  Taf.  XVII). 

Kranialnerven.  I.  Rechtsseitige  Gcruchstöriing  bei 
Läsion  dieser  Gegend  ist,  meiner  Erfahrung  nach,  eine  grosse 
Seltenheit  und  muss  vielleicht  aus  der  Anästhesie  der  Na- 
senschleimhaut erklärt  werden,  weil  die  Blutung  nicht  die  Ge- 
ruchsbahn oder  ihr  Centrum  berührt  hat.  Ausserdem  müsste 
(lie  Geruchstörung  links   und  nicht  rechts  auftreten,  wenn 


sie  von  einer  Läsion  der  linken  Geruchsbahn  abhängig  wäre. 
Wäre  aber  die  Anästhesie  die  Ursache  der  Geruchstörung, 
dann  müsste  sie,  wie  bemerkt,  rechts  auftreten. 

II.  Die  vorhandene  Hemianopsia  dextra  bildet  die  »picce 
de  resistance»  in  diesem  Falle.  Sie  war  mit  koncentrischer 
Einschränkung  des  Gesichtsfeldes  verbunden.  Plinsichtlich 
dieser  bemerken  wir  hier  nur,  dass  teils  eine  vollständige 
Anaesthesia  de.xtra  bestand,  und  besonders  das?  der  Corneal- 
reflex  am  rechten  Auge  bedeutend  herabgesetzt  war,  was  für 
die  Erklärung  dieses  viel  umgestrittenen  Symptomes  nicht 
ausser  Acht  gelassen  werden  darf. 

Die  Hemianopsie  ist  hier  durch  eine  Blutung  in  der 
Capsula  interna  hervorgerufen.  Es  scheint  der  Fall  also  die 
von  der  französichen  Schule  ausgesprochene  Ansicht,  dass 
die  Zerstörung  der  Capsula  interna  Hemianopsie  verursache, 
zu  stützen,  und  dass  folglich  die  innere  Kapsel  Schfasern 
enthalte.  Diese  Lehre  habe  ich  schon  früher  bekämpft  und 
die  von  mir  bei  verschiedenen  Gelegenheiten  vorgetragenen 
Thatsachen,  wie  z.  B.  in  dem  Falle  8,  Teil  III,  sowie 
jüngst  in  den  Fällen  Esche  und  Heyden,  beweisen  zur  Ge- 
nüge, dass  die  ganze  Capsula  interna  zerstört  sein  kann,  ohne 
dass  dadurch  eine  Hemianopsie  bewirkt  werde.  Nur  wenn 
die  vom  Tractus  opticus,  dem  äusseren  Kniehöcker  und  der 
occipitalen  Sehstrahlung  gebildete  Sehbahn  affizirt  ist,  ent- 
steht ein  Gesichtsfelds-Defekt.  Ist  die  Läsion  dieser  Teile 
dauernd,  dann  wird  auch  der  Defekt  konstant,  wenn  aber 
transitorisch,  nur  vorübergehend. 

In  diesem  Italic  wurde  die  Perimeterkarte  am  6.  Tage 
nach  dem  Insulte  aufgenommen;  die  Pat.  .starb  am  11. 
Tage  nach  demselben.  Die  Sektion  wies  eine  grös,sere  Blu- 
tung nach.  Die  mikroskopische  Untersuchung  hat  bewiesen, 
dass  diese  Blutung  eine  bestimmte  ICrnährungsstörung  in  der 
Sehbahn  verursarcht  hat.  Die  Fig.  13,  Taf.  XIX  und  die  Un- 
tersuchung zeigen,  dass  zwischen  dem  Herd  und  dem  Knie- 
körper der  ganzen  Länge  des  Letzteren  entlang  ein  nicht  ge- 
färbtes P^eld  von  l — 2,  höchstens  4  m.m.  Höhe  liegt,  wo 
die  meisten  Fasern  verfärbt  sind.  Diese  Fasern,  welche  zum 
Teil  der  dorsalen  Kapsel  des  Kniekörpers  angehören,  und 
ein-  oder  austretende  Fasern  darstellen,  sind  gewiss  Seh- 
fasern im  strengsten  Sinne  des  Wortes.  Obschon  also  der 
Blutherd  die  Sehbahn  nicht  direkt  zerstört  hat,  ist  doch  ein 
grosser  Teil  derselben  einem  solchen  Drucke  ausgesetzt  ge- 
wesen, dass  ungeachtet  Pat.  schon  1 1  Tage  nach  dem  In- 
sult starb,  schon  deutliche  Ernährungsstörungen  nachgewiesen 
werden  konnten  —  eine  besonders  interessante  Thatsache, 
welche  auf  die  Bedeutung  der  mikro.skopischen  Untersuchung 
in  jedem  solchen  Falle  hinweist.  Die  Hemianopsie  wird  also 
hier  in  genügender  Weise  als  eine  indirekte  dnrch  Druck  her- 
vorgerufene Störung  atifgefasst  iverden  müssen.  Hiermit  ist 
also  eine  genügende  Erklärung  der  von  anderen  Forschern 
beobachteten  Hemianopsie  infolge  Läsion  im  hinteren  Ab- 
.schnitte  der  inneren  Kapsel  gegeben. 

Wäre  die  Pat.  am  Leben  geblieben,  so  wäre  wahrschein- 
lich dieser  Druck  oder  diese  Einwirkung  zum  Teil  weggefallen, 
und  dann  hätten  wir  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  nur  einen 
kleineren  Gesichtsfelds-Defekt  beobachtet.  Da  hier  ungefähr 
dieselbe  Störung  wie  im  Falle  Esche  vorhanden  zu  sein  scheirit, 


ÜBER  DIE  BEZIEHUNG  DER  SEHFASERN  ZU  DEN  CENTRALGANGLIEN 


177 


nämlich  ein  Defekt  der  dorsalen  Kapsel,  aber  keine  nachweis- 
liche Störung  des  ventralen  Abschnittes  des  Kniehöckers,  so 
wäre  dann  wohl  ein  quadrantischer  Defekt  nach  unten  wie  im 
Falle  Esche  entstanden. 

Dafür  dass  der  Gesichtsfelds-Defekt  nicht  durch  Druck 
auf  den  Tractus  verursacht  wurde,  spricht,  dass  der  Tractus 
kaum  abgeplattet,  dass  keine  nachweisbare  Atrophie  oder 
Entfärbung  seiner  Fasern  vorhanden  war,  dass  die  Blutung 
mehr  entfernt  von  ihm  lag,  und  dass  das  zwischenliegende 
Gewebe  starke  Bündel  mit  normalen  Fasern  enthielt. 

Dass  nun  die  Ausdehnung  des  linken  Gesichtsfeldes. 
ganz  gegen  Erwarten,  kleiner  als  die  des  rechten  ausgefallen 
war,  findet  eine  genügende  Erklärung  in  der  vom  Herrn  Dok- 
tor Wilbrand  unter  der  Perimeterkarte  angefügten  Bemerkung, 
dass  »Pat.  sehr  angegriffen  war»  und  das  rechte  Auge  zuerst 
perimetrirt  wurde.  Wir  haben  also  hier  ein  Ernüidnngsphä- 
nomen  vor  uns. 

III.  Die  linksseitige  Pupillenvergrösserung  ist  bemerkens- 
werth,  aber  kaum  von  bestimmter  diagnostischer  Bedeutung. 

VII.  Die  rechtsseitige  Facialisparese  findet  in  der  Zer- 
störung der  inneren  Kapsel  ihre  Erklärung. 

VIII.  Interessanter  ist,  dass  das  Gehör  links  auf  5  Fuss  Ent- 
fernung gemessen  werden  konnte,  rechts  aber  verloren  schien. 
Gehörstörungen  bei  Läsionen  in  diesem  Gebiete  sind  meiner 
Erfahrung  nach  recht  allgemein  vorhanden,  wenn  auch  nicht 
so  oft  beobachtet.  Sie  sind  ebenso  leicht  zu  erklären,  da 
Läsionen  im  hinteren  Abschnitte  der  inneren  Kapsel  oft  die 
Gehörbahn  berühren.  Aber  gewöhnlich  verschwinden  sie 
völlig  oder  zum  grössten  Teil  nach  einiger  Zeit,  indem  ent- 
weder die  Bahn  funktionsfähig  wird,  oder  die  bilaterale  In- 
nervation sich  geltend  macht.  Hier  zeigte  das  Mikroskop, 
dass  die  Blutung  bis  zur  Oberfläche  des  inneren  Kniehöckers 
vorgedrungen  war,  welcher  ja  ein  Gehörganglion  ist,  und 
ausserdem  schien  nachweislich  die  dorsal  vom  äusseren  Knie- 
höcker zwischen  dem  Blutungsherd  und  diesem  Ganglion 
verlaufende  Gehörbahn  wesentlich  in  ihrer  Ernährung  gestört 
oder  vernichtet.  Die  hier  verlaufenden  Fasern  und  Bündel 
waren  entfärbt  oder  zerrissen. 

Hierin  findet  die  Gehörstörung  eine  ganz  genügende  und 
interessante  Erklärung. 

IX.  Die  beobachtete  Gesclanacksföning  auf  der  rechten 
Zungenhälfte  ist  eine  solche  ausserordentliche  Seltenheit,  dass 
man  wohl  sich  fragen  darf,  ob  wirklich  eine  Geschmackstö- 
rung vorgefunden  ist,  oder  eine  Ana;sthcsia  lingua;  vorhan- 
den war.  Ich  enthalte  mich  deshalb  jeder  Erklärung,  da  ich 
bei  Hunderten  von  Beobachtungen  kaum  eine  Geschmackstö- 
rung unter  gleichen  Bedingungen  gefunden  habe. 

XII.  Die  Zungenabweichung  nach  rechts  ist  leicht  er- 
klärlich. 

Sensibilität.  Die  totale  Anästhesie  mit  Verlust  des 
Lagegefühls  steht  in  vollem  Einklang  mit  der  Zerstörung  des 
hinteren  Abschnittes  der  Capsula  interna.  Der  Fall  kann, 
da  eine  indirekte  Einwirkung  auf  entfernte  Teile  nicht  aus- 
geschlossen werden  kann  und  der  Herd  gross  war,  keinen 
genaueren  Nachweis  für  die  Lage  der  sensiblen  Bahn  ab- 
geben. 


Motilität.  Die  rechtsseitige  schlaffe  Lähmung  erklärt 
sich  in  gewöhnlicher  Weise  durch  das  Ergriffensein  der  mo- 
torischen Bahn  in  der  inneren  Kapsel. 

Anhang. 

Fall  Jan  Andersson  (Fall  15  in  Pathologie  des  Gehirns, 
Teil  I,  S.  103  u.  ff:  Taf.  XXII.  3.  4.  Teil  III.  Taf.  XIX.  Fig.  14). 

In  Anschluss  an  den  vorigen  Fall  dürfte  es  angemessen 
sein,  hier  eine  mikroskopische  Untersiicluing  über  die  linken 
Centralgafiglieii  in  diesem  Falle  mitzuteilen,  und  zwar  um 
so  mehr,  als  dieser  Fall  mit  dem  eben  beschriebenen  in  man- 
cher Hinsicht  übereinstimmt  und  ihn  vervollständigt. 

Hier  braucht  nur  daran  erinnert  zu  werden,  dass  Jan 
Andersson  am  16.  März  1887  von  einem  Schlaganfalle,  wel- 
cher von  Hemiplegie  und  Hemianästhesie  der  rechten  Seite 
sowie  auch  rechtsseitiger  Hemianopsie  im  linken  Auge  (auf  dem 
rechten  war  Pat.  schon  früher  blind)  begleitet  war,  betroffen 
wurde,  und  dass  Pat.  am  25.  März  verschied. 

Bei  der  Sektion  wurde  im  linken  Thalamus  und  Pulvinar 
eine  grössere  frische  Hämorrhagie  angetroften,  welche  nach 
hinten  bis  zum  occipitalen  Rand  des  Pulvinars  und  nach  un- 
ten aussen  bis  5  m.m.  vom  äusseren  Kniehöcker  vordrang, 
ohne  dieses  Ganglion  direkt  zu  berühren. 

Wegen  der  ausführlicheren  Beschreibung  des  klinischen 
Verlaufes  und  des  Sektionsbefundes  weise  ich  auf  den  I.  Teil 
dieses  Werkes  und  auf  die  Tafel  XXII,  Fig.  3  u.  4  hin. 

Mikroskopisches 

über  die  linksseitigen  Centralganglien. 
Der  Zweck  der  Untersuchung  war  hauptsächlich,  nachzu- 
forschen, in  wie  weit  die  Hämorrhagie  die  Sehbahn  affizirte,  und 
ob  hierdurch  eine  Erklärung  der  beobachteten  Hemianopsie  ge- 
geben werden  könnte.  Deshalb  wurde  der  ventrale  Abschnitt 
der  Centralganglien  in  eine  zusammenhängende  Schnittserie  zer- 
gliedert. Die  Beschreibung  geht  von  hinten  nach  vorn  von 
statten. 

a)  An  den  hintersten  Schnitten  des  Pulvinars  ist  von  dem 
Blutungsherd  nichts  zu  sehen.  Dieser  ist  also  nicht  bis  zum  ventro- 
occipitalen  Umfang  des  Pulvinars  hervorgedrungen.  Das  Stra- 
tum zonale  pulvinaris  sowie  die  Bündel  im  Inneren  des  Pulvi- 
nars haben  sehr  varicöse  Fasern.  Die  Zellen  sind  pigmentreich, 
aber  sonst  erhalten.  Die  Fasern  scheinen  also  in  ihrer  Ernäh- 
rung gestört,  wenn  auch  nicht  vollständig  degenerirt. 

b)  An  den  zunächst  nach  vorn  hegenden  Schnitten  dringt 
die  Blutung  in  Form  eines  unregelmässig  rundlichen  Herds  nach 
innen  unten  fast  bis  zum  Stratum  zonale  der  ventralen  Fläche 
des  Pulvinars  hervor,  das  Gewebe  destruirend.  Die  Bündel  in 
weiterer  Ausdehnung  in  der  Umgebung  der  Blutung  enthalten 
degcnerirtc  Fasern;  die  Zellen  sind  rundlich  und  pigmentreich, 
aber  scharf  konturirt. 

c)  Noch  mehr  nach  vorn  wächst  der  Blutherd  und  nimmt 
an  den  occipitalsten  Schnitten,  welche  den  inneren  Kniehöcker 
durchschneiden,  die  ganze  mediale  Hälfte  des  Pulvinars  ein  und 
erstreckt  sich  zur  medialen  Kapsel  des  inneren  Kriehöckers  und 
bis  auf  2  m.m.  von  der  dorsalen  Kapsel  dieses  Ganglions.  Auch 
ist  dieses  Ganglion  deutlich  von  dem  Blutherd  zusammengedrückt. 


178  S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLO  GIE  DES  GE  HIRNS 


d)  Wo  die  occipitalste  Spitze  des  äusseren  Kniehöckers  auf- 
tritt, da  liegt  der  Blutherd  in  einer  Entfernung  von  ihr  von  4 
m.m.  und  1  —  2  m.m.  dorsal  vom  inneren  Kniehöcker. 

e)  Entsprechend  dem  mittleren  Abschnitt  (in  sagittaler  Rich- 
tung) des  äusseren  Kniehückers  (Vgl.  Taf  XIX.  Fig.  14),  liegt 
der  Blutherd  in  einem  Abstände  von  etwa  5  —  7  m.m.  vom  äus- 
seren und  I  —  2  m.m.  vom  inneren  Kniehöcker. 

f)  Weiter  nach  vorn,  entsprechend  dem  vordersten  Ab- 
schnitte des  äusseren  Kniehöckers,  rückt  der  Blutherd  weiter  von 
dem  Ganglion  ab  und  liegt  hier  etwa  9  m.m.  entfernt. 

g)  Und  entsprechend  dem  occipitalen  Abschnitte  des  Trac- 
tus,  liegt  der  Blutherd  15  m.m.  von  ihm  entfernt,  um  noch  weiter 
nach  vorn  noch  entfernter  zu  liegen. 

Was  nun  die  Einwirkung  des  Blutherde  auf  die  Kniehöcker 
anbelangt,  so  kann  Folgendes  mikroskopisch  nachgewiesen  werden. 

Der  innere  Kniehöcker  ist  deutlich  seiner  ganzen 
Länge  nach  durch  den  Druck  von  oben  zusammendrückt  und 
seine  rundliche  Form  ist  in  eine  längliche  umgewandelt. 

Die  ventrale  Kapsel:  die  äussere  SchieJit  ist  erhalten  und 
ihre  Fasern  sind,  wenn  auch  varicös,  doch  sonst  nicht  wesentlich 
verändert.  Die  innere  Schicht  ist  dagegen  spärlich,  anscheinend 
atropliiscli. 

Die  dorsale  und  laterale  Kapsel  enthält  auch  varicöse,  aber 
gut  gefärbte  Fasern,  wie  auch  die  Bündel  im  Inneren  des  Gan- 
glions. Die  Zellen  haben  zwar  durch  den  Druck  eine  längliche 
Form  angenommen;  sind  aber  sonst  wenig  verändert. 

Also:  das  Ganglion  hat  durch  den  Druck  gelitten. 

Der  äuserste  Kniehöcker  hat  nur  dc?t  occipitalen  und 
mittleren  Abschnitten  durch  den  Druck  vom  Blutherd  aus  gelitten. 
Dies  zeigt  sich  dadurch,  dass  die  dorsal-mediale  Kapsel,  also  in 
der  Richtung  gegen  den  Blutherd,  wie  es  auch  an  der  Fig.  her- 
vortritt, sehr  bleich  ist,  und  zwar  dadurch,  dass  die  Fasern  nach 
dem  Blutherd  hin  sich  nicht  gut  gefärbt  haben.  Es  liegt  also 
nach  dieser  Seite  ein  bleiches  Feld  (a)  dorso-medial  vom  Gang- 
lion, ganz  wie  im  Falle  Hinrichsen  (Taf.  XIX.  Fig.  13  a). 

Die  laterale  Kapsel  ist  dagegen  reich  an  gut  gefärbten  Fa- 
sern, und  die  ventrale  Kapsel  ist  normal. 

Die  Markleisten  sind  anscheinend  normal,  vielleicht  etwas 
schwach,  d.  h.  die  Fasern  schwach  färbbar;  die  Fasernetze  sind 
deutlich. 

Die  Zellen  sind  anscheinend  normal. 

Im  frontalen  Abschnitte  dagegen  ist  die  Kapsel  an  allen 
Seiten  sehr  schön  und  stark,  die  Markleisten  kräftig  wie  die  Fa- 
sernetze und  die  Zellen  anscheinend  nicht  verändert;  alle  diese 
Schnitte  färben  sich  überhaupt  viel  besser. 

Der  Tractus  opticus  ist  in  allen  Hinsichten  7!ormal.  Keine 
Spur  von  Abplattung  oder  Atrophie  ist  nachweisbar,  und  seine 
Fasern  färben  sich  in  normaler  Weise. 

Pulvinar.  Schon  oben  ist  die  Hauptsache  bemerkt,  dass 
das  Pulvinar  zum  grössten  Teil,  ausgenommen  seine  ventro-occi- 
pitalsten  und  lateralsten  Abschnitte,  vom  Blutherd  zerstört  ist. 
Der  übrig  gebliebene  Teil  zeigt  deutliche  Zeichen  einer  Kom- 
pression, und  die  Fasern  sind  hier  zum  Teil  degenerirt;  in  der 
unmittelbaren  Nähe  des  Blutherdes  und  sonst  sind  sie  ungewöhn- 
lich varicös. 


Der  Thalamus  ist  auch  vom  Blutherd  durchsetzt  in  der 
Ausdehnung,  die  Fig.  3  und  4,  Taf.  XXII,  Teil  I,  und  die  Be- 
schreibung des  Sektionsbefundes  näher  angeben. 

Die  Capsula  interna  ist  im  occipitalsten  Abschnitt  nicht 
vom  Blutherd  berührt,  wohl  aber  im  Uebrigen  wie  die  Beschrei- 
bung näher  angiebt.  Mikroskopisch  kann  eine  Degeneration  der 
Fasern  nicht  nachgewiesen  werden.  Die  Fasern  färben  sich  gut 
und  sind  kräftig. 

Der  Linsenkörper  ist  überhaupt  nicht  vom  Blutherd  berührt. 

Der  Luys'sche  Körper  und  der  rothe  Körper  sind  intakt,  aber 
der  Blutherd  liegt  so  nahe  dorsal  von  ihnen,  dass  wahrscheinlich 
ein  Druck  auf  sie  ausgeübt  worden  ist,  und  die  HaubenstraJilung 
scheint  zum  Teil  vom  Blutherd  abgeschnitten. 

Epikritische  Bemerkungen. 

Der  vorliegende  Fall  bildet  ein  Supplement  und  ein  Pen- 
dant zum  Falle  16.  In  beiden  liegen  Blutungen  im  Pul- 
vinar und  Thalamus,  beide  Patienten  starben  innerhalb  i  — 
1V2  Woche  nach  dem  Insulte,  ehe  noch  eine  Resorption 
des  Blutes  eingetreten  war,  und  .  in  beiden  trat  eine  Hemia- 
nopsie auf,  ohne  dass  die  Sehbahn  an  irgend  einem  Punkte 
abgeschnitten  oder  zerstört  worden  war.  Im  F'alle  Hinrichsen 
liegt  der  Herd  nur  etwa  2  m.m.  dorso-medial  vom  Kniehöc- 
ker entfernt,  hier  etwas  mehr,  nämlich  4 — 7  m.m.  Bei  Hin- 
richsen machte  sich  ein  Druck  auf  die  dorsale  Kapsel  des 
äusseren  Kniehöckers  dadurch  bemerkbar,  dass  die  Fasern 
dieses  Abschnitts  der  Kapsel  keine  Farbe  (Fig.  14  a)  an- 
nahmen, während  die  laterale  Kapsel  kräftig  gefärbt  und  stark 
war.  Hier  liegt  dasselbe  Verhältnis  vor.  Unter  solchen  Um- 
ständen wird  die  Erklärung  der  Hemianopsie  naturgemäss  die- 
selbe, wenn  auch  die  Einwirkung  des  Blutherds  auf  den  äus- 
seren Kniehöcker  bei  Hinrichsen  deutlich  kräftiger  war  und 
die  Entfärbung  der  Fasern  der  dorsalen  Kapsel  mikroskopisch 
mehr  auffallend  war.  Auch  liegt  bei  Andersson  der  Blutherd 
entfernter.  Dass  aber  ein  ansehnlicher,  auf  die  dorsale  Ge- 
gend des  äusseren  Kniehöckers  ausgeübter  Druck  stattgefun- 
den hat,  das  geht  auch  aus  der  Anordnung  der  dorsal  von 
den  beiden  Kniehöckern  im  Pulvinar  verlaufenden  Fasern  her- 
vor, welche  hier  überall  mehr  an  einander  gedrückt  parallel 
verlaufen  und  den  gewöhnlichen  schönen  bogenförmigen  Ver- 
lauf eingebüsst  haben.  Ja  selbst  die  hier  liegenden  Zellen 
und  pericellulären  Räume  haben  vom  Druck  gelitten  und  sind 
von  oben  nach  unten  platt  gedrückt. 

Die  Formveränderung  giebt  sich  besonders  auch  an  dem 
näher  am  Blutherd  liegenden  inneren  Kniekörper  kund  (Vergl. 
Taf.  XIX.  Fig.  14.  C.  g.  i). 

Das  Vorhanden.sein  einer  Hemianopsie  wird  deshalb  durch 
den  Sektionsbefund  genügend  erklärt.  Doch  scheint  mir  der 
vorliegende  P^all  aus  dem  Grunde  nicht  so  werthvoll  und  be- 
weiskräftig, wie  der  Fall  Hinrichsen,  weil  hier  in  Folge  des  Zu- 
standes  des  Patienten  eine  Perimeterkarte  nicht  aufgenommen 
werden  konnte  und  ausserdem  Pat.  auf  dem  rechten  Auge  blind 
war.  Wie  die  Hemianopsie  sich  in  Hinsicht  ihrer  Ausdeh- 
nung verhielt,  ob  sie  partiell  oder  total  war,  Hess  sich  nicht 
bestimmen.  Wäre  Pat.  am  Leben  geblieben,  hätte  sich  wahr- 
scheinlich der  Gesichtsdefekt  ausgeghchen. 


ÜBER  DIE  BEZIEHUNG  DER  SEHFASPZRN  ZU  DEN  CENTRALGANGLIEN 


179 


In  Hinsicht  auf  die  Gekörstörung,  welche  auf  dem  rech- 
ten Ohr  hervortrat,  ist  die  Erklärung  die  analoge.  Dass  die 
durch  den  inneren  Kniekörper  vermittelte  Gehörleitung-  durch 
den  Druck  gelitten,  ist  ganz  gewiss.  Die  mikroskopische  Un- 
tersuchung zeigte  es  zur  Genüge.  Die  auf  Seite  107,  Teil  I, 
schon  ohne  mikrcskopische  Untersuchung  gegebene  Erklärung 
ist  also  durch  diese  Untersuchung  völlig  bestätigt. 

Die  Störungen  des  Geschmacks  und  Geruchs  sind  aber 


auch  nach  der  mikroskopischen  Untersuchung  unaufgeklärt 
(Vgl.  T.  I,  S.  107). 

Hinsichtlich  der  Soisibilitätsstörung  bemerke  ich  nur, 
dass  gewiss  die  Bahn  in  der  Haubenstrahlung  einem  Druck, 
vielleicht  selbst  einer  Zerstörung,  ausgesetzt  worden  ist.  Der 
Druck  kann  vielleicht  den  beim  Insulte  hervortretenden  spon- 
taiicn  Sclnncrz  erklären.  Übrigens  weise  ich  auf  T.  I,  S.  107.  hin. 


Fall  17.   Brita  Eriksdotter. 

83  Jahre.  Wittvve, 
Taf.  XXV.    Fig.  7 — 10. 


Klin.  Diagnose:   Hemiplegia  sinlstpa  (Thpombosis),  Degenepatio 
eopdls  e.  dilatatlone,  Pneumonia  acuta  +  Deeubitus. 

Zusammenfassung.  Die  83-jährige  VVittwe  wurde 
nach  einer  Genuitsbewegung  von  einem  Schlaganfalle  getroffen, 
mit  Hemiplegie  der  linken  Seite,  aber  ohne  Hemianopsie.  Der 
rechte  Thalamus  und  das  rechte  Pulvinar  war  zum  grossen 
Teil  destruirt,  aber  die  Sehbahn  nicht  berührt.  Der  Fall  be- 
weist, dass  in  dem  zerstörten  Abschnitte  der  Centralganglien 
Sehfasern  nicht  vorhanden  sind.  —  Die  Gehör-,  Gefühl-  und 
Motilitäts-Bahnen  waren  berührt. 

Krankengeschichte 

(in  verkürzter  Form).  Fat.  wurde  am  '"'','1  1890  in's  Akademische 
Krankenhau.s  aufgenommen;  starb  daselbst  "'/^  dess.  J. 

Anamnese. 

Der  Vater  war  Alkoholiker  und  starb  wahrscheinlich  an 
Schlagfluss.  Auch  die  Mutter  starb  im  Alter  von  40  —  50  Jahren 
plötzlich  durch  einen  Schlagaiifall,  wie  auch  ein  Bruder  und 
eine  Schwester  des  Vaters.  Übrigens  keine  nervöse  Belastung. 
Verheirathet  mit  22  Jahren,  hat  5  Kinder  gehabt,  von  denen 
2  gestorben  sind.  Hygieinische  Verhältnisse  recht  gut,  die  Arbeit 
war  im  höheren  Alter  nicht  Uberanstrengend.  Ihr  Gemüth  war 
stets  heftig.  Luetische  Infektion  verneint  Pat..  hat  Alkohol  nicht 
gemissbraucht. 

Pat.  hatte  immer  eine  gute  Gesundheit,  hat  als  Kind  Masern 
und  Wechselfieber  durchgemacht.  Sie  litt  oft  an  Kopfschmerz, 
dagegen  nie  an  Herzklopfen,  Athemnoth,  Gleichgewichtsstörun- 
gen oder  Erbrechen. 

In  den  lezten  Jahren  hatte  sie  einige  Sclmindelanfälle,  ohne 
dass  je  eine  Schwäche  nachfolgte.  In  der  Zeit  vor  dem  Insulte 
war  Pat.  ganz  frisch  und  gesund,  ausgenommen  dass  sie  an 
Obstruktion  litt. 

Kurz  vor  dem  Insulte  am  2.  Januar  i8go  hatte  sie  eine 
heftige  Gemütsbewegung  und  wurde  sehr  entrüstet.  Als  sie 
eine  Weile  darnach  ein  Kochgeschirr  heben  wollte,  fiel  dies  ihr 
sehr  schwer  und  als  sie  gleich  darnach  essen  wollte,  geriethen 
die  Hände  in  so  starkes  Zittern,  dass  sie  kaum  die  Speisen  zum 
Mund  führen  konnte.  Wenn  sie  umherging,  fühlte  sie  sich  im 
Kopf  eingenommen.  Die  Beine  fingen  an  zu  zittern,  sie  empfand 
Sausen  in  den  Ohren  und  war  nicht  weit  gegangen,  als  sie  nach 

5.  E.  Menschen.    Pathologie  des  Gehirns. 


Anatom.  Diagnose;  Malaeia  Thalami  dextPl  +  Pulvinaris. 

der  linken  Seite  hin  umfiel.  Sonst  weder  Schwindel,  noch  Kopf- 
schmerz. Sie  lag  nun  2  Stunden  lang,  ehe  es  ihr  gelang,  durch 
Schreien  die  Aufmerksamkeit  der  Nachbarn  auf  sich  zu  ziehen. 
Pat.  war  nie  heunisstlos. 

Übrigens  wurde  Folgendes  festgestellt. 

Sprache:  Keine  Sprachstörung. 

Kranialncrvcn.    II.    Pat.  sah  Alles  klar  auf  beiden  Seiten. 

III.  IV.  VI.  Keine  linksseitige  Störung.  V.  Schwierigkeit 
zu  kauen  links.  VII.  Linksseitige  Parese.  VIII.  Hörte  Alles  gut, 
aber  schlechter  auf  dem  linken  Ohre.  IX.  Keine  Geschmack- 
störung.  XI.  XII.  Die  Stimme  rauh  und  klanglos.  Schwierigkeit 
zu  artikuliren. 

Sensibilität.  Sie  soll  im  linken  Arm  bedeutend,  im  linken 
Bein  weniger  vermindert  gewesen  sein.  Schmerzen  im  linken  Arm 
und  Bein  und  Empfindlichkeit  im  ganzen  Körper.  Keine  Parä- 
sthesien. 

Motilität.  Der  linke  Arm  war  vollständig  und  schlaff  ge- 
lähmt, ebenso  das  linke  Bein,  wenn  auch  in  geringerem  Grade. 
Keine  Zuckungen. 

Vasomotorische  Störungen.  Die  ganze  linke  Seite  bedeutend 
kälter  als  die  rechte. 

Incontinentia  urinae  in  der  nächsten  Zeit  nach  dem  Insulte. 

Am  Tage  nach  dem  Insult  war  Pat.  müde  und  schlaff,  lag 
im  tiefem  Schlummer  und  konnte  nu;  mit  Schwierigkeit  erweckt 
werden.    Litt  dann  an  schwerem  Kopfschmerz. 

In  der  nächsten  Zeit  trat  Besserung  ein:  nach  Kurzem 
konnte  sie  das  Bein  etwas  bewegen,  und  die  Sensibilität  kehrte 
zurück.  Am  5.  oder  6.  Tage  wurde  die  Sprache  deutlicher  und 
die  Stimme  gebessert,  am  9.  konnte  sie  die  Finger  bewegen,  und 
bald  schwand  die  Anästhesie.    Keine  trophischen  Störungen. 

Wurde  am  25.  Jan.  in's  Krankenhaus  aufgenommen. 

Status  praesens  Ende  Januar  1890. 
Kräftig  gebaut,  bettlägrig,  kann  nicht  im  Bette  ihre  Lage 
ändern.    Die  Haut  runzelig,  schlaff,  pergamentenartig.  Tremor 

24 


180 


S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


in  der  rec/ifc/i  Hand.  Ödematös  an  der  Brust.  Appetit  gut. 
T.  afebril.  Puls  64.  etwas  unregelmässig,  etwas  tardus.  Die 
Radiales  gleich  gefüllt. 

Oft  Harndrang  mit  Schwierigkeit  zu  uriniren.  Harn  1.027 
sp.  Gew.;  eiweissfrei. 

Subjektive  Symptome. 

Pat.    fühlt   sich    müde   und  kraftlos.  Pjisweilen  ScJidici-zcii 

und  Empfindlichkeit  ///  der  linken  Seite.  A\'eder  Parästhesien. 
noch  Schwindel  oder  Hallucinationen. 

Objektive  Untersuchung. 

Psyche.  Schlaffes  Aussehen.  Die  Intelligenz  frei,  die 
Auffassung  und  das  Urtheil  gut;  das  Gemüth  etwas  gedrückt, 
aber  jähzornig. 

Das  Gedächtniss  noch  recht  gut.  Geruch-,  Cieschmack-, 
Gesicht-  und  Gehörgedächtniss  gut.  Keine  Seelen-Blindheit  oder 
—  Taubheit. 

Sprache.  Keine  Form  von  Sprachstörung,  weder  motorischer, 
noch  sensorischer  Art.    Kann  nur  wenig  schreiben. 

Kranialnerven. 

I.  Geruch  etwas  herabgesetzt.  Kann  Kaffee  und  Tabak 
unterscheiden,  verwechselt  bisweilen  Kamiiher.  Kreosot  u.  s.  w. 
Keine  Hallucinationen. 

II.  R.  A.  seit  mehr  als  i  Jahre  nur  <|uantitative  Licht- 
perception.  Die  Linse  ist  grau  verfärbt;  auch  am  L.  A.  Trüb- 
ungen.   S.  L.  =  ^\\-2.    Keine  Hemianopsie  (s.  Karte).    Keine  (ie- 


sichtshallucinationen.  Farbensinn  normal.  Ophtalmoskopisch : 
Gefässe  schmal,  die  Papille  scharf  begränzt,  bleich. 

III.  IV.  VI.  Die  rechte  Pupille  etwas  kleiner  als  die  linke. 
Die  rechte  etwas  excentrisch,  nicht  völlig  rund,  die  linke  rund, 
auch  excentrisch  nach  innen.  Beide  reagiren  auf  Licht,  die 
linke  weniger.  Die  Reaktion  für  Accommodation  ist  links  ver- 
mindert. 

Augenbewegungen  normal.    Kein  Strabismus. 
V.    Normal ! 

VII.  Oberer  Facialis  links  etwas  schwach  beim  Schliessen 
und  Öffnen. 

Unterer  Facialis  links  etwas  paretisch. 
Der  linke  Gaumenbogen  schwächer. 

VIII.  Gehör  beiderseits  vermindert.  R.  =  wird  die  Uhr 
auf  I — 2  c.m.  Entfernung  gehört.  L.  =  erst  beim  Anlegen  an 
das  Ohr.    Weder  Sausen  noch  Hallucinationen. 

IX.  Geschmack  nicht  gestört,  beiderseits  gleich. 

X.  Herzschlag  unregelmässig,  64. 


XI.  Stimme  schwach,  klanglos.  Hämorrhagien  an  der 
Ejjiglottis.  Das  linke  Stinunhand  etwas  sclnoach  bei  der  Ab-  und 
Adduktion. 

Die  linke  Achsel  paretisch. 

XII.  Zunge  weicht  nach  links  ab.    Sprache  dick. 


Spinale  Nerven. 


Sensibilität. 


Die  Störungen  sind  überhaupt  unbedeutend. 

Tastsinn.  Pat.  empfindet  Berührung  eben  so  gut  links  als 
rechts:  sie  kann  Knopf  und  Spitze  einer  Nadel  unterscheiden. 
An  den  Dorsalseite  der  linken  Hand  und  am  Unterarm  scheint 
der  Tastsinn  etwas  vermindert  zu  sein. 

Ortsinn:  Pat.  giebt  die  Stelle  der  Berührung  genau  an. 
Für  den  Aesthesiometer  sind  die  Werte  links  etwas  grösser  als 
rechts. 

Rechts.    Links.  Rechts.  Links. 

Stirn  21  m.m.  24  m.m.  Hand,  dorsale  Seite  32  m.m.  50  m.m. 


\\'angen 


Oberschenkel 
Unterschenkel 


75 
79 


85 
90 


'  37 

Kinn  28  35 

Oberarm    60  80 

Unterarm  69  85 

Sclunerzsinn  links  ein  wenig  vermindert.  Keine  Hyper- 
ästhesie. 

Temperatursinn :  Pat.  unterscheidet  Kaltes  und  Warmes. 
Ist  für  Kälte  sehr  empfindlich,  und  empfindet  Wasser  von  +  30°  C. 
schon  als  kalt.  Ein  kalter  Gegenstand  wird  rechts  als  kälter 
empfunden  als  links.  Auch  Warmes  wird  deutlicher  rechts  auf- 
gefasst. 

Bei  einer  Temp.  von  30  —  35°  C.  der  zur  Prüfung  ange- 
wendeten  Gegenstände   empfindet  Pat.   einen   Unterschied  am 

Arm  rechts  von  2",  links  3";  am 

Bein      »        »    3",     »  4". 
Muskelsinn  nicht  gestört. 

Motihtät. 

Arm.  Der  rechte  Arm  hat  normale  Motilität;  der  linke 
liegt  schlaff,  etwas  kontrahirt  an  der  Seite.  Der  Oberarm  kann 
etwa  bis  30"  nach  vorn  bewegt  werden,  der  Unterarm  kann 
etwas  flektirt,  aber  nicht  extendirt  werden.  Die  Pronation  geht 
gut  von  statten,  die  Supination  ist  etwas  eingeschränkt.  Aktive 
Bewegungen  im  Handgelenk  sind  unbedeutend.  Der  Daumen 
kann  den  anderen  Fingern  nicht  entgegengeführt  werden. 

Bein.  Das  rechte  Bein  zeigt  normale  Motilität,  das  linke 
kann  Pat.  ruckweise  anziehen,  aber  nicht  über  das  rechte  legen. 
Die  Abduktion  unbedeutend,  die  Flexion  und  Extension  im  Knie- 
gelenk unbehindert. 

Runpf.  Pat.  kann  nicht  ohne  Hülfe  sich  im  Bette  aufrichten, 
oder  sich  im  Bette  umwenden.  Die  linke  Schulter  hängt  schlaff. 
Bauch-  und  Brust-Muskeln  links  etwas  schwach. 

Kontraktur :  Eine  geringe  Kontraktur  ist  im  Biceps  brachii 
vorhanden. 

Zuckungen :  fibrilläre  Zuckungen  im  linken  Schenkel. 

Reizbarkeit  der  Muskeln:  Die  Muskeln  der  linken  Seite 
reagiren  weniger  auf  den  faradischen  und  den  galvanischen 
Strom. 


ÜBER  DIE  BEZIEHUNG  DER  SEHFASERN  ZU  DEN  CENTRALGANGLIEN 


181 


Reflexe.  Hmitreflexe  an  der  Planta  pedis  fehlen. 
Sehnenreflexe:  die  Patellarreflexe  fehlen  beiderseits. 
Vasomotorische  Störungen  unbedeutend. 

Trophische  Störungen:  die  Glieder  der  linken  Seite  etwas 
atrophisch. 

Die  Defäkation:  träge.  Harnentleerung :  oft  Harndrang; 
der  Harn  geht  nur  schwierig  ab. 

Innere  Organe. 

Herz.  Unregelmässige  Thätigkeit.  Bedeutende  Dilatation 
des  linken  Ventrikels.  An  der  Spitze  deutliches  Geräusch  beim 
I.  Tone  sowie  auch  an  der  Aorta.  2.  Pulmonalis-Ton  nicht 
accentuirt,  wohl  aber  der  2.  Aorta-Ton.  Die  Radialarterien 
sklerotisch. 

Lungen.    Bronchitis  diffusa. 

Tagesnotizen. 
Zuckungen  im  linken  Arm  und  in  der  Zunge. 
^/2.     Geruchhallucinatiouen,  schreit  oft  nach  den  Verwandten: 
glaubt,  zu  Hause  zu  sein. 

''/2.    Faeces  gehen  in's  Bett. 
'"/2.  Besser. 

Sensibilitätsstörungen  sind  jetzt  nicht  nieltr  nachzu- 
weisen. Die  Motilität  des  linken  Arms  und  Beins  gebessert.  Die 
Zunge  weicht  nicht  mehr  deutlich  ab. 

^"/a.  Zustand  unverändert.  Die  Schmerzen  in  der  linken 
Seite  sind  durch  Massage  und  Elektricität  gebessert.  .T.  38.4. 
Phlegmone  der  Parotisgegend. 

—  ^'/*  sehr  schwach,  Fieber,   Erysipelas  des  Gesichts. 
^*/4.    Decubitus,  Delirien.    ^^/4.    Gesichtshallucination :  Sah 
einen  Greis  aus  der  Thiire  reitend. 

•''/ö.  Gehörhallucinationen:  hört  Jemanden  »ein  Flaus 
bauen». 

■'/.5  —  '"^'/o.    Erhöhtes  Fieber,  Delirien,  Sopor. 
^ '/•''•    Tod.  —    Wenige    Tage   vor  dem    Tode  wurde  auf 
Hemianopsie  mit  negativem  Resultate  geprüft. 

Sektion. 

Weder  an  der  Oberfläche,  noch  im  Inneren  der  Hemisphären 
wurden  Veränderungen  beobachtet,  ausgenommen  in  den  Ceutral- 
ganglien  der  rechten  Hemisphäre. 

Thalamus.  Der  rechte  Thalamus  ist  mässig  geschrumpft, 
besonders  in  seinem  occipitalen  Abschnitt.  Wie  aus  der  Fig.  7. 
Taf.  XXV  hervorgeht,  macht  sich  diese  Schrumpfung  sowohl  in 
sagittaler  wie  in  frontaler  und  vertikaler  Richtung  geltend.  Der 
vordere  Abschnitt  ist  kaum  afficirt. 

Der  Nucleus  anterior  hat  die  gewöhnliche  Form  und  Grösse. 
Er  ist  von  der  Cyste  nicht  berührt. 

Die  Oberfläche  des  occipitalen  Teils  ist  etwas  eingesunken,  und 
zwar  sowohl  die  dorsale  wie  die  mediale  Fläche  (Fig.  7.  Taf  XXV). 

Auch  das  Pulvinar  ist  im  Volumen  vermindert  und  etwas 
eingeschrumpft.  Die  Oberfläche  ist  jedoch  nicht  narbig  gefurcht 
und  überhaupt  makroskopisch  wenig  verändert.  Diese  .Schrumpfung 
ist  durch  eine  im  Inneren  des  Thalamus  liegende  malacische 
Cyste  verursacht.  Die  Cyste  öffnet  sich  nach  oben  aussen  (Fig. 
7.  Cy)  durch  eine  in  der  Grenzlinie  zwischen  dem  Thalamus 
und   Corpus   caudatum  liegende  schlitzförmige  üff'nung,  welche 


etwa  2  m.m.  breit  und  etwa  8  m.m.  lang  ist.  Die  Öffnung  setzt 
sich  in  eine  narbenähnliche  Schrumpfung  (s.  Fig.  7.  Cy)  fort, 
so  dass  die  ganze  Öffnung  etwa  2  cm.  zu  messen  scheint.  Die 
Ausbreitung  der  Cyste  in  die  Tiefe  wird  übrigens  am  besten  an 
Horizontalschnitten  studirt.  Deshalb  wurden  die  Centralganglien 
in  drei  horizontale  Schnitte  zerteilt.  Der  obere  Schnitt  wurde 
in  der  Ebene  des  Ganglion  habenulje  gelegt,  der  untere  teilte 
den  Colliculus  superior  in  zwei  gleich  grosse  Teile. 

An  dem  oberen  Schnitte  (Fig.  10)  liegt  nun  die  Cyste  7 
m.m.  vor  dem  occipitalen  Rande  des  Thalamus  (resp.  Pulvinars) 
5  m.m.  lateral  vom  medialen  Rande  des  Ganglion  habenulfe, 
hat  eine  trianguläre  Form  und  misst  in  frontaler  Richtung  9 
m.m.,  in  sagittaler  4  m.m.  Ein  unregelmässiger  kleinerer  Herd 
liegt  zwischen  der  Capsula  interna  und  dem  vorderen  lateralen 
Rande  der  Cyste.  Der  Herd  ist  gelblichroth.  Der  grössere 
Herd  berührt  die  Capsula  interna  nicht,  der  kleinere  liegt  un- 
mittelbar an  ihr.  ohne  auf  sie  überzugreiffen  (s.  weiter  die  mikro- 
skopische Untersuchung). 

Am  nächsten  Schnitt  4  m.m..  mehr  ventral  ist  die  Schnitt- 
fläche völlig  normal. 

Ganglion  habenute  und  Stria  terminalis  sind  intakt. 

Nucleus  caudatus.  Das  Ganglion  ist  in  seinem  mittleren 
Abschnitt  durch  die  Cyste  quer  durchschnitten.  Sonst  ist  es 
makroskopisch  völlig  normal.    Die  Zerstörung  misst  etwa  6  m.m. 

Die  Corpora  geniculata  internum  und  externum  sind  makro- 
skopisch normal,  wie  auch  der  rechte  Tractus. 

Colliculus  anterior  und  inferior  ohne  Anmerkimg. 

Mikroskopische  Untersuchung. 

Taf  XXV.  Fig.  8  —  10. 
Für  die  mikroskopische  Untersuchung  der  Centralganglien 
der  rechten  Seite  wurden  sie  in  horizontale  Schnitte  zerlegt,  um 
die  Ausdehnung  der  Läsion  in  der  Capsula  klar  zu  legen.  Von 
den  etwa  500  Präp.  wurden  etwa  80  gefärbt  und  mikroskopisch 
untersucht. 

An  der  makroskopischen  Fiq;ur  7.  Tafel  XXV.,  sieht  man 
am  lateralen  Rande  des  Thalamus  im  Sulcus  optico-striatus  in 
der  Form  eines  einige  m.m.  breiten  Streifens  die  dorsale  Aus- 
breitung der  Läsion.  Wenn  man  in  dieser  Ebene  einen  Hori- 
zontalschnitt macht,  so  bemerkt  man,  dass  die  Läsion  sich  auch 
nach  aussen  ausdehnt  und  hier  auf  die  Capsula  interna,  resp. 
Corona  radiata,  übergreift.  Die  Läsion  misst  hier  in  sagittaler 
Richtimg  25  m.m.  und  in  frontaler  etwa  5  m.m..  beginnt  5  m.m. 
occipital  von  dem  Caput  nuclei  caudati  und  hat  den  hier  liegen- 
den mittleren  Abschnitt  der  Corona  radiata  abgeschnitten.  Die 
frontale  Strahlung  ist  unversehrt  geblieben.  Lateral  von  der 
Läsion,  in  einer  Ausdehnung  von  5  — 10  m.m.  oder  fast  bis  zur 
Rinde  der  Insula,  zeigt  die  Corona  radiata  eine  durchlöcherte 
Beschaff'enheit.  Die  Fasern  sind  zwar  hier  gefärbt,  aber  zum 
Teil  degenerirt. 

Schon  etwa  10  Schnitte  mehr  ventralwärts  (Taf.  XXV, 
Fig.  8.)  zieht  sich  die  Läsion  (Präp.  10  —  27)  in  der  Länge 
zusammen,  aber  dehnt  sich  in  der  Quere  aus  und  bildet  eine 
dreieckige  Cyste  von  i  -f  2  cm.  Grösse,  welche  etwa  5  m.m. 
occipital  vom  Nucleus  anterior  liegt,  und  hat,  ausgenommen  die 
vorderste  Spitze  des-  Thalamus  (in  einer  Ausdehnung  von  i  cm.) 
auch  den  ganzen  mittleren  Abschnitt  des  Thalanuis  zerstört,  und 


18-2  S.  E.  MENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


auf  den  hintersten  (=  den  dorsalen  Teil  des  Pulvinars)  so  einge- 
wirkt, dass  hier  sowohl  alle  Fasern  wie  die  Zellen  völlig  degenerirt 
und  körnig  zerfallen  sind. 

Auch  im  frontalen  Abschnitt  des  Putamens  liegt  eine  kleine 
Malarie.  sowie  im  medialen  Rande  des  Caput  Nuclei  caiidati. 

An  den  folgenden  mehr  ventralen  Schnitten  (Präp.  30  —  70) 
liegt  die  Cyste  scheinbar  mehr  lateral,  aber  noch  im  medialen 
Rande  der  Capsula  interna.  Nur  der  fronto-mediale  Abschnitt 
des  Thalamus  ist  anscheinend  erhalten  (Fig.  9.  Taf.  XXV.).  Die 
Cyste  misst  8  +  8  m.m.,  hat  aber  auf  die  Umgebung  nach  allen 
Richtungen  degenerirend  eingewirkt,  so  dass  der  medial  von  der 
Cyste  liegende  Abschnitt  des  Thalamus  statt  Zellen  fast  nur 
Pigmenthäufchen  enthält,  und  das  Grundgewebe  im  höchsten 
Grade  in  der  Ernährung  gestört  ist.  Die  Fasern  sind  zum  Teil 
besser  erhalten. 

An  den  folgenden  Schnitten  (Taf.  XXV.  Fig.  lo.)  zic//t 
sii/i  die  Cyste  iiaeli  und  iiaeJi  iiielir  zusammen,  und  in  der  Höhe 
des  Ganglion  habenulse  misst  sie  nur  etwa  5  m.m.  im  Durch- 
schnitt. Ein  grosser  Teil  des  Thalamus,  sowohl  nach  vorn  wie 
nach  innen,  bleibt  von  ihr  unberührt,  und  in  den  vorderen 
Abschnitt  ziehen  zahlreiche  Bündel  von  dem  frontalen  Abschnitt 
der  inneren  Kapsel.  Auch  im  occipitalen  Abschnitte  finden 
sich  mit  der  occipitalen  Strahlung  zusammenhängende  Bündel. 
Die  Cyste  berührt  nunmehr  die  Kapsel  nur  in  ihrem  mittelsten 
Teil,  und  bald  bildet  sie  an  der  Grenze  zwischen  dem  Thalamus 
und  dem  Pulvinar  nur  einen  1  —  2  m.m.  breiten,  gleich  lateral 
von  dem  Ganglion  habenul?e  in  schräg  frontaler  Richtung  gehen- 
den, Schlitz,  dessen  Umgebung  nur  in  einer  Ausdehnung  von 
einigen  m.m.  verändert  ist,  und  welcher  nunmehr  die  innere 
Kapsel  gar  nicht  berührt. 

Das  Pulvinar  ist  nunmehr  zwar  der  Form  nach  erhalten, 
aber  sein  Gewebe  ist  doch  wesentlicli  verändert;  das  Grundgewebe 
wie  fein  porös,  die  Zellen  in  Pigmentumwandelung,  die  Fasernetze 
zum  Teil  \erschwunden,  aber  die  grösseren  Bündel  erhalten, 
wenn  auch  entfärbt. 

In  der  Höhe  der  Conunissura  posterior  hat  das  Pulvinar 
normale  Form,  die  Bündel  von  dem  occipitalen  Abschnitt  der 
inneren  Kapsel  sind  gut  gefärbt,  aber  das  Gewebe  hat  noch 
äusserst  ])igmentreiche  Zellen,  sehr  grosse  pericelluläre  Räume, 
und  es  scheint  noeh  eine  Ernährungsstörung  vorzit!iege/i. 

Der  ventrale  Abschnitt  des  Pulvinars  scheint  dagegen  in 
der    Höhe  des  inneren   Kniehöckers  normale  Textur  zu  haben. 

Aus  dieser  detaillirten  Beschreibung  geht  also  Folgendes 
hervor: 

Thalamus:  im  dorsalen  Teil  ist  nur  der  Nucleus  anterior 
erhalten;  weiter  nach  unten  dehnt  sich  das  unversehrte  Gebiet 
des  (ranglions  aus,  und  das  vordere  Drittel  kann  als  erhalten 
bezeichnet  werden  und  schliesslich  fast  der  ganze  vor  dem 
Ganglion  habenulce  liegende  Abschnitt. 

Pulvinar:  der  dorsale  Abschnitt  ist  völlig  zerstört,  der  mittlere 
der  Form  nach  erhalten,  aber  gewiss  nicht  funktionsfähig,  der 
ventralste  an  der  Höhe  des  inneren  Kniehöckers  ist  erhalten. 

Capsula  interna:  im  dorsalen  .\bschnitt  ist  die  Corona 
radiata,  ausgenommen  die  frontale  Strahlung,  ///  grosser  Aus- 
dehnung abgeschnitten,  mehr  ventral  ist  nur  der  mittlere  Abschnitt 
zerstört;  und  noch  mehr  ventral  berührt  die  Cyste  gar  nicht  die 
Kapsel. 


Der  Nucleus  lentiformis  ist  Uberhaupt  nicht  berührt,  aus- 
genommen dass  im  dorsalsten  und  frontalsten  Abschnitt  eine 
kleine  i  m.m.  grosse  Malacie  liegt. 

Der  N'ucleus  caudatus  ist  in  der  Höhe  des  Sulcus  optico- 
striatus  von  der  Läsion  berührt,  und  auch  das  Caput  ist  im 
medialen  Rand  etwas  zerstört;  sonst  ist  das  Ganglion  intakt. 

Nucleus  ruber.  Corpus  Luysii  sind  unversehrt. 

Corpus  geniculatum  internum,  Corpus  geniculatum  externum, 
Tractus  opticus  und  Colliculus  anterior  berührt  die  Malacie  gar 
nicht,  und  alle  diese   Teile  sind  normal. 

Epikrise. 

Kurzer  Krankenbericht.  Der  Vater  war  Alko- 
holiker, starb  an  Schlagfluss,  wie  auch  ein  Bruder  und  eine 
Vaterschwester,  l'at.  hat  weder  Alkohol  gemissbraucht,  noch 
Lues  gehabt.  Ausgenommen,  dass  sie  oft  an  Kopfschmerz 
litt,  war  sie  bis  in's  hohe  Alter  gesund  und  kräftig.  Litt  in 
den  letzten  Jahren  an  Schwindelanfällen. 

Kurz  vor  dem  Schlaganfalle  am  ^/i  1890  hatte  sie  eine 
heftige  Gemütsbewegung;  der  linke  Arm  wurde  schwach  und 
zitterte,  es  wurde  ihr  eigenthümlich  im  Kopf;  die  Beine  fingen 
an  zu  zittern,  sie  fiel  um  auf  die  linke  Seite,  ohne  das  Be- 
wusstsein  zu  verlieren.  Sonst  scheint  keine  Hemianopsie  vor- 
handen gewesen ;  sie  war  paretisch  links  im  Gesicht  und  in 
der  Zunge,  und  das  Gehör  war  links  vermindert.  Der  linke 
Arm  war  vollständig  gelähmt,  das  Bein  auch  gelähmt,  wenn 
auch  in  gerigerem  Grade.  Die  Sensibilität  bedeutend  ver- 
mindert im  linken  Arm,  weniger  im  linken  Bein.  Incontinentia 
urina,'. 

Der  Zustand  verbesserte  sich  bald;  das  Bein  wurde  be- 
weglicher, und  die  Anästhesie  verminderte  sich  bald. 

■  Status  Ende  Januar  1890.    Bettlägrig,  afebril,  kraftlos. 

Psyche:  freies  Sensorium  und  recht  gute  Intelligenz;  keine 
Aphasie.  I.  Geruch  etwas  herabgesetzt.  II.  Keine  Hemian- 
opsie; Augenhintergrund  normal,  rechtes  Auge  fast  blind. 
III.  IV.  VI.  Pupillen  ungleich,  excentrisch,  sonst  normal. 
V.  Normal.  VII.  Links  etwas  paretisch  sowohl  im  oberen 
wie  unteren  Facialis.  VIII.  Gehör  links  etwas  herabgesetzt. 
IX.  Normal.  XI.  Stimme  rauh,  klanglos.  XII.  Links  paretisch. 

Sensibilität:  links  herabgesetzt;  Miiskelsinn  normal. 

Motilität;  Arm  paralytisch,  Bein  paretisch,  wie  auch  in 
geringerem  Maasse  der  Rumpf. 

Vasomotorisches:  linke  Hand  angeschwollen;  links  etwas 
atrophische  Glieder. 

Herz:  dilatirt  mit  systolischem  Geräusch;  Arter  radiales 
sklerotisch,  Gesichtshallucinationen,  wie  auch  später  so- 

wohl Gesichts-  wie  Gehörhallucinationen.  ^"/2.  Keine  Anäs- 
thesie nachweisbar;  Motilität  gebessert.  Vom  ^°/a  an  Fieber, 
Verschlechterung,  dann  Somnolenz  und  Delirien,  diffiise  Bron- 
chitis,   ^^/s.  Tod. 

Hemianopsie  zvurde  in  der  letzten  Zeit  nie  beobachtet. 

Diagnose.  Art  der  Läsion.  Schon  im  Leben  wurde 
die  Diagnose  auf  Thrombose  gestellt,  und  zwar  aus  folgenden 
Gründen.  Der  Insult  scheint  sich  langsam  entwickelt  zu  ha- 
ben. Nach  der  Gemütsbewegung  wurde  der  linke  Arm 
leicht  paretisch,  dann  trat  Tremor  ein,  etwas  später  wurde 
auch  das  Bein  paretisch,  und  zuletzt  paralytisch.    Der  Insult 


ÜBER  DIE  BEZIEHUNG  DER  SEHFASERN  ZU  DEN  CENTRALGANGLIEN 


183 


war  weiter  nicht  von  Bewusstlosigkeit  gefolgt  —  im  Gegen- 
theil  schrie  die  hülflos  am  Boden  liegende  Pat.  nach  Hülfe, 
bis  die  Nachbarn  kamen.  Auch  die  Dilatation  des  Herzens 
und  die  Sklerose  der  Gefässe  sprach  dafür.  Die  Diagnose 
bestätigte  sich  bei  der  Sektion.  Kein  Blutpigment  deutet 
darauf,  dass  die  Cyste  hämorrhagischen  Ursprungs  war. 

Lokalisation  der  Läsion.  Die  Hemiplegie  gab  im  Gan- 
zen wenige  Haltpunkte  für  eine  Lokaldiagnose.  Die  zuerst 
nur  im  Arm  auftretende  Parese,  welche  nachher  auch  das  Bein 
traf,  konnte  für  eine  Rindenläsion  sprechen,  andererseits  kam 
die  Beinparese  unmittelbar  nach  der  des  Arms. 

Gegen  eine  vollständige  Zerstörung  der  Capsula  interna 
sprach  die  bald  eintretende  Besserung  und  das  vollständige 
Verschwinden  der  Anästhesie.  Für  eine  solche  Lokalisation 
aber  sprach  das  ungestörte  Allgemeinbefinden,  ungeachtet  der 
vollständigen  Hemiplegie. 

Analyse  der  Symptome. 

Das  Unversehrtsein  der  Psyche  und  der  Sprache  steht 
in  gutem   Einklang  mit  dem  Fehlen  jeder  Läsion  der  Rinde. 

Kranialnerven.  I.  Die  allgemeine  Herabsetzung  des 
Geruches  war  wohl  eine  Störung  der  Nasenschleimhaut. 

II.  Am  interessantesten  in  diesem  Falle  7uar  das  Aus- 
bleiben einer  Hemianopsie,  ungeachtet  der  recht  durchgreifen- 
den Läsion  des  rechten  Thalamus.  Diese  Läsion  ähnelt  im 
Ganzen  der  im  Falle  n:o  8  (Teil  III.  S.  88.),  nur  war  die 
Läsion  dort  noch  umfassender  und  zählte  bei  der  LIntersuchung 
schon  viele  Jahre.  Hier  wurden  nie  Zeichen  einer  Hemian- 
opsie wahrgenommen.  Pat.  selbst  konnte  dies  hinsichtlich 
der  Zeit  unmittelbar  nach  dem  Insulte  selbst  angeben,  und 
in  demselben  Monate  wurde  im  Krankenhaus  darauf  geprüft 
und  nachher  kurz  vor  dem  Tode  bestätigt.  Bei  der  Sektion 
finden  wir  eine  hauptsächlich  die  mittlere  Partie  des  Thalamus 
zerstörende  Läsion.  Im  dorsalen  Teile  ist  nur  der  Nucleus 
anterior  unversehrt,  weiter  unten  wohl  ^/s — ^'a  des  Thalamus 
(Vgl.  die  Fig.  8  —  lO.  Taf  XXV).  Vom  Pulvinar  ist  nur  der 
ventralste  Abschnitt  erhalten  und  funktionsfähig,  imd  zwar  in 
ungefähr  demselben  Umfange  wie  im  Falle  8,  ja  ich  könnte 
selbst  auf  diese  Figuren  hinweisen.  Der  klinische  Befund  ist 
auch  derselbe  —  keine  Hemianopsie.  Elin  Unterschied  bestand 
jedoch.  Im  Falle  8  waren  die  Cyste  und  die  Läsion  der 
Umgebung  durch  eine  Hämorrhagie  bedingt,  hier  durch  eine 
Thrombose,  resp.  Malacie.  In  diesem  Falle  blieb  die  Gesichts- 
störung vom  Anfang  an  aus,  in  jenem  kann  sie  wohl  anfangs 
vorgefunden  worden  sein,  war  aber  zur  Zeit  der  klinischen 
Beobachtung  verschwunden.  Die  beiden  Fälle  beweisen  also 
Folgendes : 

Die  ganze  mittlere  Partie  des  Thalamus  opticus  soiuie 
die  ganze  dorsale  und  mittlere  Partie  des  Pidvinars  enthalten 
keine  solchen  optischen  Fasern,  dass  durch  ihre  Zerstörung 
ein  Gesichtsfeldsdefekt  entsteht  —  das  ist  der  wichtige  Schluss, 
den  wir  aus  diesem  Falle  ziehen  können.    Und  dieses  Resultat 


steht  mit  allen  übrigen  von  mir  beobachteten  Thatsachen 
in  gutem  Einklang. 

Den  später  erwähnten  Gesichtshalluci)iationen  lagen  keine 
makroskopisch  merkbaren  Veränderungen  zu  Grunde. 

III.  IV.  VI.  Die  unbedeutende  Pupillenveränderung  imd 
die  excentrische  Lage  lässt  sich  wohl  nicht  aus  dem  Sektions- 
befunde mit  Sicherheit  erklären,  wenn  auch  die  optisch-pupil- 
laren  Fasern'  an  der  rechten  Seite  etwas  in  ihrer  Funktion 
eventuell  gestört  waren. 

V.  VII.  Die  anfangs  wahrgenommene  Schwierigkeit  zu 
kauen  auf  der  linken  Seite  kann  möglicherweise  eine  Folge 
von  Störung  des  Quintus  sein,  ist  aber  wahrscheinlich  ein 
Symptom  vom  Facialis. 

Der  Facialis  war,  wie  ich  schon  in  analogen  Fällen 
mehrmals  bemerkt  habe,  sowohl  in  den  oberen  wie  unteren 
Asten  gestört. 

VIII.  Die  Gehörstörung  ist,  wie  ich  auch  schon  mehr- 
mals bemerkt  habe,  (P'älle  i6  und  Jan  Anderson)  eine  recht 
allgemeine.  Hier  ist  die  Störung  in  Folge  der  Herabsetzung 
des  Gehörs  auch  auf  dem  rechten  Ohre  wenig  ausgeprägt. 
Die  Läsion  scheint  auch  kaum  die  Gehörleitung  direkt  abge- 
schnitten, sondern  nur  in  der  Nähe  der  Bahn  gelegen  zu  ha- 
ben, und  der  innere  Kniehöcker  war  intakt. 

Die  Gehörhallucinationen  waren  nicht  durch  makrosko- 
pische Veränderungen  bedingt. 

IX.  Der  Geschmack  war  normal;  das  Schlingen  bisweilen 
gestört,  vielleicht  durch  die  Störung  des  Larynx. 

XI.  Die  Rauheit  und  Klanglosigkeit  der  Stimme  deutet 
auf  eine  Parese  der  Stimmbänder,  und  eine  solche  is;.,  wie 
ich  nachgewiesen  habe,  sehr  gewöhnlich  bei  allerlei  Hemi- 
plegien.   Leider  wurde  die  Laryngoskopie  nicht  vorgenommen. 

XII.  Die  Zunge  wich  wie  gewöhnlich  ab. 

Sensibilität. 

Die  Anästhesie  findet  die  gewöhnliche  P'rklärung;  das 
Verschwinden  dieses  Symptoms  erklärt  sich  wohl  aus  der 
Beschränkung  der  Zerstörung  der  inneren  Kapsel  und  beson- 
ders des  hintersten  Abschnittes,  welcher  überhauiat  kaum 
ergriffen  w'Hy. 

Dass  alle  Gefühlsqualitäten  gestört  waren,  ist,  wie  schon 
mehrmals  bemerkt,  die  Regel.  Wenn  der  Muskelsinn  verschont 
war,  so  steht  dies  mit  der  überhaupt  nicht  tiefen  Anästhesie 
in  Übereinstimmung.  Fast  nur  in  denjenigen  Fällen,  wo  die 
Anästhesie  sehr  intensiv  und  dauernd  ist,  ist  auch  der  Muskel- 
sinn gestört. 

Motilität. 

Die  Störung  verhält  sich  ganz  regelmässig,  ist  am  aus- 
gesprochensten im  Arm,  weniger  im  Bein  und  nur  unbedeut- 
end am  Rumpf  Die  baldige  Besserung  steht  mit  der  unvoll- 
ständigen Zerstörung  der  inneren  Kapsel  im  Einklang. 

Reflexe  und  vasomotorische  Störungen  boten  nichts  Be- 
sonderes dar. 


184 


S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Fall  18.   Kristina  Jönsson. 

71  Jahre.  Köchin. 
Tafel  XXII.  XXV.  5.  6. 

Klin.  Diagnose:  Hemiplegia  sin.  c,  hemianopsia  Irans,  e  thpomb-        Anatom.  Diagnose:  Hsemopphagia  cepebpl. 
bosl  (?)  eepebpi, 


Zusammenfassung.  Das  71-jährige  Frauenzimmer 
wurde  ^*^/2  94  von  Apoplexie  betroffen  und  wurde  an  der 
linken  Seite  paralytisch.  Gleichzeitig  Hemianopsie  nach  links. 
Nach  einem  Monate  war  diese  verschwunden.  Kurz  vor  dem 
Tode  ein  Anfall  mit  Einschränkung  der  rechtseitigen  Gesichts- 
feldhälften. Litt  mehrmals  an  rechtsseitigen  Gesichtshallucina- 
tionen,  welche  durch  ältere  und  jüngere  Blutungen  im  linken 
Occipitallappen  erklärt  werden.  Die  Hemianopsie  wird  durch 
den  Druck  eines  hämorrhagischen  Herds  in  der  Capsula  ex- 
terna erklärt.  Der  Fall  beweist,  dass  Zerstörung  der  inneren 
Kapsel,  des  Linsenkörpers,  des  grössten  Teils  des  Pulvinars 
und  gewisser  Teile  des  Thalamus  nicht  Hemianopsie  her- 
vorruft. 

Anamnese.  Heredität.  Hereditäre  Belastung  für  Nerven- 
krankheiten kann  nicht  nachgewiesen  werden.  Der  Vater  war 
nicht  Alkoholiker  und  starb  im  Alter  von  85  Jahren:  die  Mutter 
war  bei  ihrem  Tode  49  Jahre  alt.  Die  (Geschwister  sind  gesund. 
Die  hygiciuisclicii  Verhältnisse  waren  immer  gut. 

Lcbcusvcrlitiltuisse.  Fat.  hat  immer  ein  regelmässiges  und 
ruhiges  Leben  geführt.  Ihr  Gemüt  war  früher  immer  heiter, 
ausgenommen  in  den  letzten  Jahren,  wo  sie  ohne  Ursache  sich 
oft  gedrückt  fühlte.  Ihre  Intelligenz  war  immer  auffallend  gut. 
Sie  war  dem  Trunk  nie  ergeben  und  trank  auch  Kaffee  nur 
massig.    Luetische  Infektion  wird  geläugnet. 

Die  Regeln  fingen  im  19.  Jahre  an  und  hörten  ohne  Störung 
mit  dem  50   auf    Nicht  verheiratet. 

Frühere  Krankheiten.  Ausgenommen  Masern  und  kaltes 
Fieber,  welche  sie  als  Kind,  und  zwar  ohne  Complikationen, 
durchmachte,  war  sie  sonst  immer  gesund  und  bis  in  die  letzten 
Jahre  kräftig. 

Im  Alter  von  60  Jahren  wurde  ihr  bei  einem  Falle  das 
rechte  Bein  im  Knie  luxirt.  Seit  dieser  Zeit  war  sie  nicht  so 
beweglich  wie  früher;  und  von  dieser  Zeit  an  begann  sie  nieder- 
gedrückt zu  werden. 

Im  Mai  letzten  Jahres  wurde  eine  Bauchgeschwulst  bei  ihr 
bemerkt.  Diese  nahm  nachher  in  beunruhigender  Weise  zu, 
obschon  sie  sonst  nicht  besonders  davon  litt. 

Gegenwärtige  Krankheit.  Prodrome.  Vor  einigen  Jahren 
fingen  Hirnsyniptovie  an,  sich  zu  zeigen;  sie  waren  anfangs  nicht 
beunruhigend,  nahmen  aber  allmählich  zu.  Sie  litt  längere 
Zeit  an  Kopfweh,  ab  und  zu  traten  Schwindelanfälle  auf,  und 
zwar  gelinde,  so  dass  sie  das  Bewusstsein  nicht  verlor;  aber  sie 
zwangen  sie,  das  Bett  zu  hüten.  Sie  hatte  Ekel,  es  wurde  ihr 
dunkel  vor  den  Augen  und  sie  fühlte  sich  schwindelig  im  Kopf 
Vor  vier  Jahren  —  im  Alter  von  68  Jahren  —  fühlte  sie 
sich  eines  Abends  nach  stärkerer  Anstrengung  eingenommen  und 


scliwindclig  im  Koj)f  Nach  einer  Weile  versank  sie  in  »Betäu- 
bung» und  sah  eine  Reihe  von  schwarzen  Gestalten  mit  deutlichen 
Gesichtern,  welche  von  der  rechten  Seite  kamen  und  an  der  Decke 
herumgingen.  Sie  stand  dann  auf  und  legte  kalte  Tücher  auf 
die  Stirn,  wonach  die  Gestalten  verschwanden.  Die  »Betäubung» 
ging  vorüber  und  es  stellte  sich  Schlaf  ein.  Nachher  hat  sie 
solche  Erscheinungen  nicht  mehr  gesehen. 

Die  Sehschärfe  hat  während  der  letzten  Jahre  bedeutend 
abgenommen  und  wurde  durch  Gläser  nicht  genügend  verbessert. 

Am  10.  Februar  1894  um  6  Uhr,  als  Fat.  im  Hofe  ging, 
wurde  sie  plötzlich  von  einem  Schwindelanfalle  ergriffen,  der 
schwerer  als  je  war.  Sie  fiel  auf  die  linke  Seite  um,  fühlte  sich 
unwohl  und  schwindelig  im  Kopf  Sie  verlor  nicht  das  Be^vusst- 
scin,  war  jedoch  ausser  Stande  sich  zu  bewegen.  Wurde  von 
Anderen  in"s  Bett  gebracht.  Nach  dem  Anfalle  war  ihr  Zustand 
folgendermassen. 

Cerebrale  Störuti^gen. 

1.  Das  Kopfweh  wurde  nach  dem  Anfalle  vermehrt,  aber 
es  war  jetzt  nur  auf  der  rechten  Seite  vorhanden. 

2.  Benommenheit  und   Schwindel  waren  nicht  vorhanden. 

3.  Gleichgewichtsstörungen.  Fat.  konnte  nicht  ohne  Stütze 
im  Bette  aufrecht  sitzen;  auch  unterstützt  hatte  sie  Neigung,  nach 
links  zu  fallen. 

4.  Erbrechen :  nicht  vorhanden. 

5.  Psychische  Störungen.  Kein  Stumpfsinn  ist  dem  Anfalle 
nachgefolgt.  Ihr  Gemüt  wurde  auch  nicht  verändert.  Ihr  Ge- 
dächtniss  war  fortdauernd  gut.  Keine  Seelenblindheit  oder  Wort- 
taubheit war  vorhanden.  Ob  Wortblindheit  oder  Agraphie  vor- 
handen waren,  ist  ungewiss.  Weder  amnestische  Aphasie,  noch 
Faraphasie  wurde  bemerkt. 

6.  Kranialnerven.  I.  Keine  Störung  bemerkt.  Sie 
nahm  den  (ieruch  von  Aseptin  gleich  nach  dem  Anfalle  wahr. 

II.  Die  Sehschärfe  wurde  nach  Angabe  nicht  vermindert. 
Hemianopsie  wurde  nicht  bemerkt.  Hallucinationen:  Am  Tage 
nach  dem  Anfalle  will  Fat.  an  der  Decke  eine  Kindergestalt  an 
einem  Sterne  gesehen  haben.  Sie  verlegt  das  Bild  bei  Anfrage 
immer  nach  rechts.    Die  Erscheinung  verschwand  bald. 

Beim  Darreichen  eines  Glases  Wasser  griff  sie  oft  fehl 
(Hemianopsie?) 

III.  IV.  VI.  Keine  Ablenkung  der  Augen  wurde  bemerkt. 
V.    Keine  Veränderung  der  Sensibilität  im  Gesicht  wurde 

bemerkt.    Das  Kauen  gut. 

VII.  Der  Mund  war  verzogen. 

VIII.  IX.    Nichts  Besonderes. 


ÜBER  DIE  BEZIEHUNG  DER  SEHFASERN  ZU  DEN  CENTRALGANGLIEN 


185 


XI.  XII.  Die  Stimme  der  Pat.  wurde  nach  dem  Schlag- 
anfalle verändert,  und  zwar  scliwächer  und  raii/ier.  Die  Sprache 
wurde  undeutlich. 

7.    PcripJwriscJie  Nerven. 

Sensibilität.  Pat.  bekam  am  folgenden  Tage  nachdem 
Anfalle  leichte  Sehmerzeii  in  der  linken  Seite.  Sie  bemerkte  auch, 
dass  die  Empfindung  abgestumpft  wurde;  fühlte  jedoch,  dass 
das  wollene  Tuch,  womit  ihr  Arm  umbunden  wurde,  warm  war 
(es  war  vor  dem  Feuer  gewärmtj. 

Motilität.  Unmittelbar  nach  dem  Anfalle  konnte  Pat. 
weder  den  linken  Arm,  noch  das  linke  Bein  bewegen.  Sie  fühlte 
sich  steif  in  der  ganzen  linken  Seite  und  konnte  sich  nicht  im 
Bette  wenden. 

Keine  Zuckungen  oder  Kontrakturen  wurden  bemerkt. 

Vasomotorische  Störungen.    Sie  empfand  die  linke  Seite  als 

kälter 

Trophische  Störungen:  nicht  vorhanden. 

Die  Defäkation,  früher  träge,  hörte  nach  dem  Anfalle  voll- 
ständig auf,  wenn  nicht  nachgeholfen  wurde. 
Die  Harnentleerung  normal. 

Pat.   wurde  am  12.  Febr.  im  Krankenhaus  aufgenommen. 
Status  praesens  den  15.  — 26.  Febr.  1894. 

Pat.  bettlägrig,  nimmt  gewöhnlich  Rückenlage  ein,  und  zwar 
mit  dem  Kopfe  nach  links  gewendet.  Der  Schlaf  ist  unruhig, 
der  Appetit  schlecht,  die  Temperatur  afebril.  Sie  erbric/it  dann 
und  wann,  ohne  Zusammenhang  mit  dem  Essen. 

Subjektive  Symptome. 

1.  Kopfschmerz.  Pat.  klagt  über  schweren  Kopfschmerz, 
welcher  in  der  rechten  Seite  des  Kopfes  lokalisirt  ist.  Oft 
streicht  sie  unter  Wehklagen  mit  der  Hand  über  diese  Hälfte. 
An  den  letzten  Tagen  befand  sie  sich  besser. 

2.  Benommenheil  nicht  mehr  vorhanden. 

Objektive  Untersuchung. 

Psyche.  Intelligenz:  Pat.  ist  nicht  schlaff  oder  abgesjjannt. 
interessirt  sich  viel  für  ihre  Umgebung.  Sie  hat  übrigens  eine 
auffallend  gute  Intelligenz. 

Gemüt.  Ihr  Gemüt  ist  von  Tag  zu  Tag  mehr  deprimirt  ge- 
worden und  sie  spricht  oft  von  ihrem  bald  bevorstehenden  Tode. 

Gedächtniss  überhaupt  gut,  wie  au(  h  ihre  Urteilskraft  und 
ihr  Denkvermögen. 

Aphasie:  Wortblindheit.  Worttaubheit,  motorische  oder 
amnestische  Aphasie,  Paraphasie  sind  nicht  vorhanden.  Zahlen 
kann  sie  sowohl  lesen  wie  schreiben,  kann  auch  addiren,  subtra- 
hiren,  multipliciren  und  dividiren.  Keine  Form  von  Agraphie 
ist  vorhanden. 

Seelenblindheit  oder  Seelentaubheit  besteht  nicht.  Ihr  Ge- 
dächtniss für  Farben,  Geräusche,  Geruch  und  Geschmack-Stoffe 
ist  gut. 

Kranialnerven. 

I.  Der  Geruch  für  verschiedene  Stoffe  wie  Terpentin, 
Pfefferminzöl,  Essigsäure.  Aether,  Eau  de  Cologne  ist  wesentlich 


gut.  Vielleicht  eine  leichte  Verminderung  an  dem  linken  Nasen- 
ioc he. 

II.  Sehschärfe  beiderseits  in  gleichem  Grade  vermindert, 
S  =  0.1.    Nahpunkt  und  Fernpunkt  resp.  0.75  und  1.25  m. 

Gesichtsfeld.  Linksseitige  Hetnianopsie  mit  beiderseits  kon- 
cen Irischer  Gcsichtsfeldeinschränkung  (s.  Perimeterkarte  \). 


Farbensinn  überhaupt  gut,  für  Grün  etwas  schwach. 

Hallucinationen.  Einen  Tag,  als  ich  mich  mit  der  Pat. 
unterhielt,  stiess  sie  plötzlich  einen  Ruf  aus  und  fragte,  was  das 
für  eine  schwarzgekleidete  lange  Dame  sei,  die  in  der  Thüre 
stehe  (aber  Niemand  stand  da).  Die  Augen  waren  starr  und 
abwesend,  nach  rechts  abgelenkt  (nach  welcher  Seite  die  Thür 
lag).    Nach  etwa  2  Minuten  war  die  Erscheinung  verschwunden. 

Ophthalmoskopisches:  Keine  Stauungspapille. 

III.  IV.  VI.  Die  Pupillen  rund,  etwas  kontrahirt;  die  linke 
grösser,  beide  reagiren  auf  Licht  und  bei  Accomodation.  Keine 
hemiopische  Pupillenreaktion. 

Die  Augen  sind  gewöhnlich  nacli  rechts  abgelenkt,  kein 
Strabismus,  Nystagmus,  keine  Diplopie.  Pat.  kann  nicht  lange 
einen  Gegenstand  fixiren. 

V.  Die  Sensibilität  an  der  linken  Gesichtshälfte  vermindert. 
Pat.  empfindet  nicht  dem  LTnterschied  zwischen  der  Spitze  und 
dem  Knopf  einer  Stecknadel.  Lokalisirt  auch  schlecht  eine  nicht 
zu  leichte  Berührung  mit  der  Nadel. 

Ameisenkrieehen  in  der  linken  Gesichtshälfte;  Pat.  kratzt 
oft  hier,  nicht  aber  rechts. 

VIL  Der  Augenfacialis  nicht  betroffen.  Das  Schliessen 
der  Augen,  das  Runzeln  der  Augenlider  und  der  Stirn  ist  beider- 
seits gleich. 

Der  untere  Facialis.  Die  linke  Nasolabialfalte  ist  undeut- 
licher als  die  rechte.  Der  rechte  Mundwinkel  nach  oben  auf- 
gezogen, was  am  bestem  beim  Öffnen  des  Mundes  hervortritt. 
Kann  nicht  pfeifen.  Das  rechte  Nasenloch  erweitert,  das  linke 
verengert. 

Gaumen:  der  linke  Gaumenbogen  steht  niedriger  und  ist 
breiter  als  der  rechte.    Die  Uvula  weicht  nach  rechts  ab. 

Speichelsekretion :  Pat.  fühlt  sich  trocken  im  Munde,  beson- 
ders links,  und  ist  immer  durstig. 

VIII.  Gehör:  nach  dem  Anfalle  nach  Angabe  nicht  ver- 
schlechtert. Hört  eine  Taschenuhr  in  einer  Entfernung  von  i 
Meter. 

^^/i.    Mit  dem  rechten   Ohr   hört   sie  eine  Taschenuhr  in 
einem  Abstand  von  4  cm.,  mit  dem  linken  erst  von  i.s  cm. 
Keine  Hallucinationen;  kein  Sausen. 

V.  IX.  Den  Geschmack  von  Salzigem,  Saurem,  Süssem 
und  Bitterem  giebt  sie  richtig  an.  wenn  die  Stoffe  an  der  Spitze 


186 


S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


oder  an  der  Wurzel  der  Zunge  applizirt  werden.  Der  Geschmack 
ist  rechts  deutlich  besser  als  links,  denn  sie  brau(  ht  im  letzteren 
Falle  immer  längere  Zeit,  um  zu  entscheiden. 

Die  Sensibilität  der  Zunge:  links  herabgesetzt,  sie  emj)findet 
hier  nicht  den  Unterschied  zwischen  Spitze  und  Kopf  der 
Stecknadel. 

Das  Schlucken  ist  nicht  gestört. 

X.  Das  Herz  schlägt  etwas  unregelmässig,  84;  später 
regelmässig. 

XL    Die  Stimme  ist  schwach  und  grob,  ohne  Klang. 
XII.    Die  Zunge  7veicht  nach  links  ab  und  kann  nicht  so 
weit  herausgestreckt  werden  wie  gewöhnlich. 

Die  Sprache  dick,  keine  fibrillären  Zuckungen. 

Spinale  Nerven. 

Sensibilität. 

Hechts  nicht  herabgesetzt. 

Links  ist  die  Sensibilität  in  allen  ihren  Qualitäten  am  Arm 
und  Bein  völlig  versclmnmden. 

Am  Rumpfe  ist  die  Sensibilität  laterahiHirts  aufgehoben;  je 
mehr  nach  der  Mittellinie,  um  so  deutlicher  empfindet  Pat.  eine 
nicht  zu  leichte  Berührung. 

Muskelsinn :  Man  kann  ihren  linken  Arm  und  ihr  linkes 
Bein  legen  wie  man  will,  ohne  dass  sie  weiss,  wie  sie  liegen. 

Motilität. 

Die  Motilität  ist  an  der  rechten  Seite  nicht  eingeschränkt, 
ausgenommen  im  Beine  in  Folge  der  Luxation  im  Knie. 

Linke  Seite:  Linker  Arm:  Pat.  kann  nur  ausführen  mini- 
male Flexionen  in  den  Interphalangealgelenken.  minimale  Flexionen 
und  Extensionen  im  Cubitalgelenke.  Passiv  kann  der  Arm  in 
jede  l-age  gebracht  werden. 

Linkes  Bein:  Eine  unbedeutende  Flexion  im  Kniegelenke 
ist  die  einzige  mögliche-  Bewegung.  Das  Oedem  verhindert  jetzt 
die  Bewegung  noch  mehr  als  früher. 

Der  Rumpf:  Die  Motilität  ist  in  der  linken  Seite  in  hohem 
Grade  herabgesetzt.  Pat.  kann  sich  nicht  aufrichten,  nicht  ohne 
Stütze  sitzen,  sich  nicht  wenden,  wenn  man  sie  aufrichtet.  Kann 
nicht  den  Kopf  aufrecht  halten.  Er  fällt  nach  vorn  oder  nach  links. 

Zuckungen  oder  Kontrakturen  waren  nicht  vorhanden. 

Reflexe :  Die  Patellar-  und  Kubitalreflexe  sind  links  gesteigert, 
rechts  ziemlich  normal.    Kein  Dorsalklonus. 

Die  Defäkation  sehr  träge,  nur  künstlich.  Das  Harnen 
etwas  schwierig. 

Vasomotorische  Störungen. 

Der  reclite  Radialispuls  ist  kleiner  als  der  linke. 

Oedem.    Das  ganze  linke  Bein  ist  kolossal  angeschwollen. 

Lrophische  Verhältnisse.  Die  Muskeln  sind  schlaff.  Die 
Haut  beiderseits  gleichartig. 

Arteriosklerose :  Die  Arter iic  radiales,  wie  auch  die  A.  tem- 
porales, sind  liart  anzufühlen,  pcrlenschnuiförmig  geschwollen, 
wenn  auch  nicht  stark. 

Aorta:  Über  dem  oberen  Ende  des  Brustbeins  treten  Pulsa- 
tionen hervor,  und  am  rechten  Sternoclavicular-Gelenke  findet 
sich  eine  kleinere  wallnussgrosse  pulsirende  Geschwulst  von  der 
Grösse  von  2  cm. 


Innere  Organe. 
Lungen.    Rechts:  Bronchitis. 

Herz:  nach  oben  verschoben.    Seine  Grenzen  undeutlich. 
Pulsationen  im  2.  -3. -  4.  Zwischenripjjenraum.  Töne  ohne 
Besonderes. 

Bauch:   Kolossal   aufgetrieben.    Ascites;   Grosse  Ovarial- 
geschwulst.    Leber:  nach  oben  verschoben. 
Rechtes  Bein:  deformirt. 

Lfarn:  sauer,  sp.  Gew.  1.030;  weder  Ei  weiss,  noch  Zucker. 
Status  in  März: 

Allgemeinzustand  verhältnissraässig  gut.  wie  in  Febr. 
Subjektive  Symptome:  wie  in  Febr. 

Objektive    Untersuchung :  Psyche  und  Sprachvermögen  wie 
in  Febr. 

Kranialnerven:   I.   Kein  Unterschied  links  und  rechts; 
sonst  wie  in  Febr. 

II.    ^'*/2  Keine  linksseitige  Hemianopsie  mehr  (s.  Perimeter- 


karte II).  Farbensinn  gut.  in  Bezug  auf  (irün  wie  früher  schwach. 
Keine  Hallucinationen  in  der  Zwischenzeit.  Die  linke  Cornea 
weniger  empfindlich  als  die  rechte. 

III.  IV.  VI.  Die  linke  Pupille  fortdauernd  etwas  grösser. 
Sonst  wie  früher. 

V.  Sensibilität  links  herabgesetzt,  Pat.  kann  jetzt  richtig 
lokalisiren. 

VII.  Wie  früher. 

VIII.  Rechts  hört  Pat.  die  Uhr  auf  3  cm.,  links  auf 
0.5  cm. 

IX.  Geschmack  ungefähr  wie  in  Febr. 

X.  Puls  regelmässig.  72. 

XL  XII.    Wie  früher.    Die  linke  Schulter  etwas  niedriger. 

Sensibilität.  Rechts  gut;  Links  bedeutend  herabgesetzt, 
fast  verschwunden ;  am  Arm  und  Bein  in  höherem  Grade  als  am 
Rumi)f.   wo  sie,  je  näher  nach  der  Mittellinie  um  so  besser  ist. 

Motilität.  Rechts  gut.  Links:  Arjn.  Pat.  kann  in  den 
Hand-  und  Fingergelenken  kleine  Bewegungen  ausführen,  und 
im  Ellenbogengelenk  eine  fast  vollständige  Flexion  und  Extension. 
Keine  Kontraktur. 

Bein:  Pat.  kann  das  linke  Bein  recJit gut  \t\  z\\t\\  Gelenken 
bewegen. 

Rumpf.  Auch  hier  ist  die  Motilität  gebessert.  Pat.  kann 
sich  bisweilen  im  Bette  selbst  aufrichten.   Kann  ohne  Stütze  sitzen. 


ÜBER  DIE  BEZIEHUNG  DER  SEHFASERN  ZU  DEN  CENTRALGANGLIEN 


187 


Vasomotorische  Stöntngeu.    Der  Puls  ist  jetzt  rechts  bedeu- 
tend grösser  als  links.    ])as  linke  Bein  ist  kolossal  angeschwollen. 

Trophische  Störungen. 

Die  Körperfülle  und  Muskulatur  bedeutend  reducirt.  Die 
Muskeln  schlaff. 

Defäkation  wie  früher;  das  Harnen  etwas  erschwert.  Der 
Harn  sauer.    Spec.  Gew.  1.025,  eiweiss-  und  zuckerfrei. 

Innere  Organe  wie  in  Februar. 

Zustand  in  April  und  Mai  unverändert. 

^*/5.    Linkes  Auge:  M  +  4  D;  Sehschärfe  0.4. 

Rechtes  Auge:  M  +  3  D;  Sehschärfe  0.3. 

Ophthalmoskopisches:  Pigmentansammlungen  und  Chorioi- 
dealatrophie  rings  um  beide  Papillen.  Beiderseits:  beginnende 
Katarakte.  Gesichtsfeld:  beiderseits  fast  normal.  S.  Perimeter- 
karte III.  2,G. 

Die  Sensibilität:  an  der  rechten  Cornea  mehr  ausgeprägt 
als  an  der  linken. 

Juni — September.  Der  Zustand  war  im  Ganzen  derselbe, 
ausgenommen  dass  Pat.  zweimal  »gefärbte  Flecke»  ungefähr  wie 
am  IG.  Nov.,  gesehen  haben  soll. 


Status  10. — 20.  September  18^4. 

Allgemeinzustand:  wie  früher.  Nur  selten  leidet  sie  an 
Koi)fschmerz,  aber  nun  wird  er  nach  dem  hinteren  Teil  des  Kopfes 
und  nach  rechts  verlegt.  Pat.  klagt  immer  über  Schmerzen  im 
linken  Fussgelenke,  die  ohne   bekannte  Veranlassung  auftraten. 

Psyclie.    Intelligenz  und  Ciedächtniss  erhalten. 

Kranialnerven.    I.    Geruch  normal. 
II.    Sehschärfe  links  0.4,  re(~hts  0.3.    Farbensinn  normal. 
Gesichtsfelder  s.  Perimeterkarte  IV  vom  *',n. 


III.  IV.  VI.  Keine  hemiopische  Reaktion;  sonst  nichts 
Abnormes. 

V.    Nur  geringe  Herabsetzung  der  Sensibilität  links.  Sie 
unterscheidet  deutlich   die   Spitze   und  den   Knopf  der  Nadel. 
S.  E.  Hellsehen.    Pathologie  des  Gehirns. 


Schmerz-,  Ort-,  Tast-  und  Temperatursinn  äusserst  wenig  herab- 
gesetzt links.    Das  Kauen  ohne  Störung. 

VII.  Oberer  Facialis  normal. 

Unterer  Facialis :  deutliche  Parese  links.  Gaumensegel 
beiderseits  gleich. 

VIII.  Pat.  hört  das  Ticken  der  Uhr  rechts  auf  7  cm., 
links  erst  auf  4  cm. 

IX.  Normaler  Geschmack  beiderseits. 

XI.  Puls:  80,  regelmässig. 

XII.  Die  Zunge  weicht  nicht  mehr  ab.  Die  Sprache  voll- 
ständig deutlich. 

Spinalnerven. 

Sensibilität:  Rechts  gut.  Links:  last-  und  Ortsinn:  herab- 
gesetzt. 

Schmerzsinn :  Kneifen  und  Stechen  irgendwo  an  den  Gliedern 
(oder  am  Bauche)  empfindet  Pat.  als  Stechen  in  dem  ganzen 
entsprechenden  Cxliede.  Kitzeln  unter  dem  linken  Fusse  emp- 
findet sie  auch  als  Stechen. 

Temperatursinn:  Links  empfindet  Pat.  weder  Kälte,  noch 
Wärme  (Proberöhren  mit  Eiswasser  und  heissem  ^^'asser). 

Muskelsinu :  Links  bedeutend  vermindert.  Pat.  kann  nicht 
angeben,  ob  die  Finger  gestreckt  oder  gebeugt  sind. 

Patellarrcflex :  Jetzt  links  schwächer.  Plantarreflex  rechts 
normal,  fehlt  links. 

Vasomotrisches :  l^er  Puls  links  viel  schwächer  als  rechts. 
Die  Arme  gleich  wann,  aber  das  linke  Bein  viel  kälter  als  das 
rechte. 

Trophische  Störungen :  \Vie  früher.  Harnen  und  Delakation 
wie  früher. 

Lnnere  Organe:  wie  früher. 

IG.  November.  Der  Allgemeinzustand  schlechter  als  früher. 
Pat.  hat  oft  Kopfschmerz  rechts.  Kann  nicht  mehr  aufrecht 
sitzen.  Schmerzen  in  den  Schultern  und  im  Hals,  aber  besonders 
im  linken  Fussgelenke;  Besserung  durch  Massage. 

Röthe  am  linken  Tuber  ischii. 


Vorgestern  sah  Pat.  während  einer  kurzen  Zeit  eine  Masse 
von  -»gefärbten,  7'iereckigcn  Flecken»,  (xleichzeitig  hatte  sie  Kopf- 
schmcrze/i  in  der  Stirn.  Keine  Benommenheit,  kein  Schwindel- 
gefühl. Bei  der  heute  vorgenommenen  Untersuchung  mit  deni 
Perimeter  (weiss)  ist  das  Gesichtsfeld  des  linken  Auges  ungefähr 
wie  früher,  das  des  rechte//  Auges  in  seiner  lateralen  LLälfte  da- 
gegen bedeutend  eingeschränkt.    Keine  hemiopische  Reaktion. 

21.  Nov.  Neues  Perimetriren  (Karte  V.  x.)  Für  »Weiss» 
sind  die  Gesichtsfelder  links  kleiner  wie  am  '"/ii,  rechts  auch 
etwas  kleiner.    Für  Roth  und  Blau  sind  sie  kiemer  als  am  6.  Sept. 

25 


188 


S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


29.  Nov.  Heute  Nebel  vor  den  Augen.  Fühlt  sich  un- 
ruhig.   Puls  Abends  120.  T.  38.1"  C. 

30.  Nov.  Pat.  sah  lieute  Nachmittag  »einige  kleine.  -lUeiss 
gekleidete  Kinder ^>  an  der  rechten  Seite  des  Bettes.    Afebril,  P.  100. 

1.  Dec.  Heute  besser.  Mit  der  Brille  liest  sie  gut.  Liebt 
nicht  mehr  so  viel  /u  lesen  wie  früher,  weil  sie  durch  Sitzen 
müde  wird. 

2.  Dec.  Die  (iesichtsfelder  wie  am  21.  Nov.  (für  Weiss). 
17.  Dec.    In    der   letzten   Zeit   überhaupt   besser.  Keine 

Hallucinationen  mehr.    Afebril.  T.  normal. 

Pat.  wurde  heute  Morgens  unruhig:  klagte  über  Schmerzen 
im  Bauche.  Morphin.  Sie  sprach  wie  gewöhnlich  und  war  ganz 
klar  bis  sie  um  8  Uhr  15  Min.  Vorm.  ])lützlich  verschied. 

Behandlung :  Symjitomatisch. 

Sektion  am  18.  Dec  1894. 

Auszug  aus  deui  Protokolle. 
Oedeni  im  linken  Beine. 

Herz:  von  gewöhnlicher  Grösse  und  Konsistenz.  Die  grossen 
Gefässe  ungewöhnlich  weit.  Klappen  normal;  die  Ventrikel  normal. 
Lungen:  nichts  Besonderes. 

Leber  und  Milz  normal.    Nieren  etwas  atrophisch. 
Bauch:  ein  grosses  Ovarialkystom. 
Aorta:  stark  sklerosirt  mit  Kalkschollen. 
Sonst  nichts  Besonderes. 

Kopf:  Das  Schädeldach  symmetrisch,  auch  sonst  normal. 

Die  Dura  inater  etwas  dünn,  wenig  mehr  gespannt  als 
gewöhnlich.    Die  ArachnoidealflUssigkeit  klar,  vermehrt. 

Die  Pia  lässt  sich  überall  leicht  ablösen:  auch  sonst  normal. 

Die  Gefässe  bedeutend  atheroniatös  und  ausgedehnt,  flecken- 
weise verengert. 

Die   linke  Hemisphäre. 

Die  laterale  Fläche.  Gyri  gut  entwickelt,  die  Sulci  tief  und 
von  gewöhnlicher  Konfiguration.  Die  Oberfläche  ganz  normal, 
ohne  Erweichungen. 

Die  mediale  und  die  untere  Fläche  auch  ganz  normal. 

Die  Hemisphäre  wurde  in  i  cm.  dicke  Scheiben  zer- 
schnitten. 

Der  Occipitallappen. 

Die  Spitze  völlig  normal,  ebenso  der  Schnitt  /  c.ni.  vor 
der  Spitze. 

Schnitt  2  cm.  vor  der  Spitze.  Völlig  normal,  ausgenommen, 
dass  eine  unter  der  Loupe  merkbare  Lfyperäniie  im  subkortikalen 
Marke  unter  dem  Boden  der  Fissui  a  calcarina  sich  vorfindet, 
ohne  die  Rinde  zu  berühren. 

Schnitt  2.;  c.ni.  ganz  normal. 

Schnitt  j  cm.  (Taf.  XXII.  Fig.  6).  Hier  tritt  entsi)rechend 
dem  dorsalen  Abschnitt  des  Bodens  der  Fissura  calcarina  im 
subkortikalen  Mark  unmittelbar  am  Hinterhorne  eine  nach  oben 
breitere  (4  m.m.  breite)  nach  unten  spitz  auslaufende  (13  m.m. 
lange)  Verfärbung  auf  sowie  in  ihrer  Mitte  eine  kleine  frische 
Blutung  (von  3  —  4  m.m.)  Diese  Veränderung  liegt  unmittelbar 
unter  (d.  h.  lateral)  der  Rinde  des  Bodens  (Vgl.  die  F'ig.). 
Die  Rinde  völlig  normal. 

Die  Sehstrahlung  ist  in  ihrer  Hauptmasse  von  der  Blutung 
gar  nicht  berührt  und  übrigens  makroskopisch  normal.   Der  ven- 


trale Ausläufer  der  Sehstrahlung  zur  Rinde  der  Fissura  calcarina 
ist  auch  nicht  davon  berührt:  ob  dagegen  der  obere  von  ihr 
gestört  ist.  kann  nicht  makroskopisch  entschieden  werden. 

Die  Rinde  der  lateralen  und  ventralen  Oberflächen  ist 
völlig  normal,  .sowie  auch  übrigens  das  Mark. 

Schnitt  4  cm.  vor  der  Spitze  (Taf.  XXII.  Fig.  yj.  Der 
Schnitt  ist  völlig  normal  mit  der  Ausnahme,  dass  eine  ganz 
frische  sic  helförmige,  nach  oben  dickere  (5  m.m.  breite),  nach 
unten  spitze  Blutung,  welche  1 1  m.m.  an  Höhe  misst,  sit  h  un- 
mittelbar unter  dem  Boden  der  Fissura  calcarina  im  subkortikalen 
Mark  befindet.  Diese  Blutung  scheint  in  einem  älteren  Erweich- 
ungs-.  rcsp.  Blutungsherde  entstanden  zu  sein.  Die  Rinde  der 
Fissura  calcarina  ist  übrigens  normal. 

Die  .Sehstrahlung  ist  völlig  normal,  sowie  auch  der  untere 
und  der  obere  zur  Rinde  der  F.  calcarina  gehende  Ausläufer. 
In  wie  weit  der  obere  von  dem  Blutungsherde  berührt  wird, 
kann  nur  mikroskopisch  entschieden  werden. 

.Schnitt  4.J  cm.  (Taf.  XXII.  Fig.  8.)  Schnitt  völlig  normal, 
ausgenommen  ein  i — 2  m.m.  dicker  sichelförmiger,  missfarbiger, 
gelber  von  oben  nach  unten  6  m.m.  messender  .Streifen,  welcher 
u nmittelhar  unter  der  Calcarina-Rinde  entsprechend  dem  oberen 
Abschnitt  des  Bodens  der  Fissura  liegt. 

Übrigens  ist  die  Hemisphäre  überall  normal.' 

Die  rechte  Hemisphäre. 

Der  ()ccl]jitallai)pen  ist  vielleicht  im  Oanzen  ein  wenig 
atrophisch  und  schärfer  als  sonst  vom  übrigen  Oehirn  abgesetzt. 

Sonst  finden  sich  an  der  Oberfläche  oder  im  Mark  keine 
makroskoi)is(  hen  Veränderungen. 

Sie  wurde  auch  in  i-c.m.  dicke  frontale  Scheiben  ge- 
schnitten. 

Schnitte  i — 7  cni.  vor  der  Occipitalspitze  sind  völlig  nor- 
mal, sowohl  an  der  Oberfläche,  wie  im  Mark. 

Die  Sehsfrahlu/ig  erscheint  ein  wenig  schmal,  ohne  dass 
ein  bestimmter  Abschnitt  derselben  vorzugsweise  getroffen  ist. 
So  z.  B.  misst  sie  im  unteren  Abschnitte,  dem  Boden  der  Fissura 
calcarina  gegenüber,  kaum  2  m.m.  und  die  mittlere  Schicht  kaum 
I  m.m. 

Am  .Schnitt  S.;  cm.  (Taf.  XXII.  Fig.  5.)  in  der  bVontal- 
ebene  des  Puhinars  tritt  erst  eine  Veränderung  in  Form  einer 
I  m.m.  breiten  und  9  m.m.  hohen  gelbrothcn  Narbe  hervor: 
diese  liegt  fast  unmittelbar  unter  dem  Ependym  des  lateralen 
Ventrikels  und  mit  dem  unteren  Ende  entsi)rechend  der  nach 
hinten  verlängerten  Fissura  Sylvii. 

.Schnitt  p  cm.  (Taf.  XXII.  Fig  4.)  Die  Narbe  ist  hier  in 
vertikaler  Richtung  bedeutend  verlängert,  misst  an  Breite  i  —  2 
m.m..  an  Höhe  17  m.m.  und  bildet  einen  sichelförmigen  Streifen 
im  subkortikalen  Marke  der  Rinde  des  hintersten  Abschnittes 
der  Fissura  Sylvii. 

Die  Rinde  ist  makroskopisch  nicht  berührt;  das  die  Narbe 
umgebende  Mark  ist  kaum  verfärl)t.  ausgenommen  in  der  un- 
mittelbaren Nähe  der  Narbe. 

Die  .Sehstrahlung.  Die  Narbe  liegt  am  oberen  äusseren 
Umfange  der  Sehstrahlung  und  erstreckt  sich  nicht  unter  das 
Pulvinar  bis  in  sie  hinein. 

Die  Narbe  tangirt  die  Aussenseite  der  Capsula  interna. 

Schnitt  10  cm.  (Taf  XXII.  Fig.  3.)  durch  die  Centralganglien. 


ÜBER  DIE  BEZIEHUNG  DER  SEHFASERN  ZU  DEN  CENTRALGANGLIEN 


189 


Die  gelbrothe  Narbe  ist  bedeutend  höher,  liegt  im  subkortikalen 
Mark  der  Insula  unmittelbar  subkortikal  und  umfasst  bogenförmig 
die  Rinde  der  Insula,  sowohl  dorsal  wie  medial.  Breite  i  -  2 
m.m.,  Höhe  r:a  30  m.m.  Die  Narbe  liegt  etwa  5  m.m.  lateral 
vom  Tractus  opticus. 

In  der  Gittcrscliiclif  des  Thalamus  liegt  auch  ein  gelblicher 
malacischcr  Herd  und  sendet  2  kleine  2—4  m.m.  lange  Aus- 
läufer   in   den  Thalamus  hinein.     Grösse  und  Form  s.  die  Fig. 

Sonst  sind  die  Rinde,  das  Mark  und  die  Centraiganglien 
makroskopisch  normal. 

Sehiütt  II  e.in.  (Taf.  XXII.  Fig.  2.)  durch  das  Corp.  ma- 
millare.  Die  sich  nach  unten  in  der  Höhe  des  Tractus  opticus 
ausdehnende  Narbe  liegt  fortwährend  im  subkortikalen  Mark 
der  Insula,  der  Capsula  externa  entlang,  miss*  an  Höhe  etwa 
30  m.m.,  an  Breite  i  m.m.,  dem  Tractus  gegenüber  3  m.m. 
Der  Abstand  vom  Tractus  6  m.m. 

Sehnitt  12  cm.  (Taf.  XXII.  .  Fig.  i.)  Die  Narbe  hat  sich 
bedeutend  vermindert,  liegt  im  subkortikalen  Mark  am  oberen 
Winkel  zwischen  der  Insula  und  dem  Operculum  superius.  Höhe 
12  — 14  m.m..  Breite  1-2  m.m. 

Die  Capsula  interna  ist  nicht  berührt. 

An  mehr  frontalen  Schnitten  findet  man  keine  Veränderung. 
Fons  und  Mediilla  obloiigata  ohne  Befund. 

Mikroskopisches. 

Behufs  genauerer  Erforschung  der  Einwirkung  der  Hjemor- 
hagie  auf  das  umgebende  Gewebe  wurden  die  Centralgauglien 
der  rec  hten  Hemisphäre  in  eine  zusammenhängende  Reihe  mikro- 
skopischer Schnitte  zerteilt. 

Die  hämorrhagische  Cyste  natte  auch  mikroskopisch  dieselbe 
Ausdehnung,  wie  makroskopisch,  und  diese  erhellt  aus  den 
Fig.  I — 5.  Taf  XXII.  Dagegen  hatte  die  Blutung  durch  den 
Druck  nicht  nur  auf  das  zunächst  liegende,  sondern  auch  auf 
entfernteres  (iewebe  so  nachteilig  eingewirkt,  dass  dieses  Ge- 
webe seine  Textur  verloren  hatte. 

An  den  occipitalsten  Schnitten  (a.  i.)  trennt  nur  eine 
dünne,  anscheinend  nekrotische  Wand  die  Cyste  von  dem  Unter- 
horn (Fig.  5.  hsem).  Das  umgebende  Gewebe  ist  in  einer  Aus- 
dehnung von  nur  i  —  2  m.m.  degenerirt.  Weiter  nach  vorn  (a. 
145 — c:a  300),  wo  das  Pulvinar  mit  dem  lateralen  Gewebe  zu- 
sammenfiiesst,  hatte  die  Blutung  viel  weiter  auf  das  Gewebe 
eingewirkt,  nämlich  auf  die  ganze  dorsale  Hälfte  des  Pulvinars 
und  die  von  dem  lateralen  Umfange  einstrahlenden  Fasern.  Noch 
weiter  vorn  (a.  300 — c:a  450)  war  die  innere  Kapsel  entsprechend 
der  Mitte  der  Blutung  zerstört. 

An  den  zunächst  folgenden  etwa  200  Schnitten  war  die 
innere  Ka]jsel  erhalten  geblieben  und  bildet  nach  innen  eine 
Barriere  gegen  die  Zerstörung.  An  den  mehr  frontalen  Schnitten 
liegt  die  Cyste  an  der  Aussenseite  des  Linsenkörpers  und  hat 
das  Putamen  in  weiter  Ausdehnung  degenerirt.  Dagegen  war 
der  vorderste  Abschnitt  des  Putamens  vor  der  vorderen  Com- 
missur  erhalten  geblieben.    (Fig.  i.  Taf.  XXII.) 

In  Folge  der  Einwirkung  der  Hämorrhagie  verhalten  sich 
die  hauptsächlichen  Ganglien  folgendermaassen. 

Nueleus  eaudatus:  übschon  dieses  Ganglion  von  der  Hse- 


morrhagie  weder  direkt,  noch  indirekt  etwas  gelitten  hat,  so  ist 
es  do<  h  im  vorderen  Abschnitt,  etwa  dem  Nueleus  anterior  thalami 
entsprechend,  imd  noch  etwas  weiter  nach  vorn  durch  mehrere 
kleine  1-2  m.m.  grosse  Malaeien  durchsetzt.  In  mehr  occi- 
pitalen  Abschnitten  scheint  der  Körper  des  Nueleus  eaudatus 
unversehrt  zu  sein. 

Thalanuis  optiens.  Der  frontale  Abschnitt  des  Thalamus 
ist  von  der  Blutung  überhaupt  unberührt. 

a)  Der  Ntieleiis  anterior  sowie  seine  Kapsel  und  die  Columna 
sind  normal. 

b)  Der  Nueleus  internus  ist  auch  nicht  verändert,  weder 
in  mehr  frontalen,  noch  occipitalen  Abschnitten. 

c)  Der  Nueleus  extcrnus  ist  vorn,  im  Gebiete  des  Nueleus 
anterior,  normal  und  zeigt  zahlreiche  in  das  Ganglion  ein- 
strahlende Bündel  und  Fasern.  Dagegen  treten  in  mittleren 
Teilen  entsprechend  den  hintersten  Abschnitten  des  Tractus, 
in  einer  Ausdehnung  von  etwa  200  Schnitten,  also  5  —  6  m.m., 
im  ventro-lateralen  Umfange  Zeichen  einer  Veränderung  auf, 
welche  nach  hinten  in  Folge  der  I)ru<kwirkung  der  Hasmor- 
rhagie  deutlicher  hervortritt.  Vorn  in  dieser  Partie  ist  nur  ein 
Ausfall  einer  grösseren  Anzahl  von  Fasern  in  einer  Zone,  ent- 
sprechend der  Gitterseltie/it,  vorhanden,  wodurch  das  Gewebe 
unter  der  Loupe  etwas  porös  erseheint.  Die  Porosität  ist  am 
meisten  ausgesprochen,  wo  die  Haubenstrahlung  die  innere  Kapsel 
erreicht.  Nach  hinten  entspricht  diese  veränderte  Stelle  dem 
Punkt  an  der  inneren  Kapsel,  wo  diese  zerstört  oder  durchbrochen 
ist.  Dieser  Partie  entsprechend  treten  /;//  lateralen  Umfange  des 
Thalamus,  siehe  Fig.  3.  Taf.  XXII..  zwei  kleine  i  nregel- 
mässige  2  —  3+1  m.m.  grosse  Malaeien  auf  Diese  hängen 
weiter  occipitalwärts  fast  mit  der  erwähnten  grossen  hämor- 
rhagischen Cyste  durch  Ausläufer  zusammen. 

Im  ganzen  occipitalen  Abschnitte  des  Thalamus  ist  des- 
halb die  Gittersehicht  auf  einer  langen  Strecke  fast  vollständig 
zerstört,  sowie  die  in  den  Thalamus  vom  lateralen  Umfange 
einstrahlenden  Bündel.  Das  Ge^vebe  ist  einer  durchgreifenden 
Nutritionsstörung  unterworfen  und  kann  nicht  als  funktionsfähig 
betrachtet  werden. 

Die  Hauhensfralilung  ist  in  ihrem  lateralen  .\bschnitte 
medial  von  der  inneren  Kapsel  auf  einer  weiten  Strecke  dureh- 
trennt  und  ihre  Verbindung  mit  den  mehr  centralen  Teilen  also 
aufgehoben. 

Der  Nueleus  ruher  ist  nicht  direkt  berührt,  wohl  aber, 
wie  es  scheint,  eine  ventral  von  der  Haulienstrahlung  liegende, 
Partie. 

Der  Luys'sehe  Körper  ist  frei,  sowie  der  Meynert'sche 
Schenkel. 

Pulvinar.  Schon  an  den  occipitalsten  Schnitten  ersieht 
man.  dass  das  Pulvinar,  und  besonders  seine  dorsale  Hälfte, 
einer  wichtigen  Ernährungsstörung  unterliegt,  indem  die  Fasern 
daselbst  fast  verschwunden  und  die  Zellen  meistens  in  Pigment- 
körner verwandelt  sind.  Das  Stratum  zonale  ist  jedoch  übrig- 
geblieben. Weiter  nach  vorn  trifft  diese  Veränderung  haupt- 
sächlich die  obere  Hälfte  bis  die  obern  2  Drittel,  während  im 
unteren  lateralen  Umfange  zahlreiche  Bündel  einstrahlen.  Nur 
das  dem  äusseren  und  inneren  Kniehöcker  am  nächsten  liegende 
Gewebe  hat  seine  Textur  bewahrt.    (^Taf.  XXV.  Fig.  6.) 


100  S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Das  optische  System. 

Der  Trditiis  opticus  ist  deutlich  iiulii  vun  der  IJUilung 
l>cnihit.  Der  Durchschnitt  färbt  sich  intensiv  und  zeigt  keinen 
Ausfall,  ausgenommen  auf  einem  ganz  kleinen  (Jebiete  am  untern 
medialen  Umfange  und  an  der  medialen  S])itze.  Das  erste  (lebiet 
umfasst    i  +       m.m.,   das   Andere  c:a  Hier  scheinen 

einige  Fasern  geschwunden  zu  sein,  aber  zahlreiche  finden  si(  h 
auch  hier  erhalten.  An  andern  Durchschnitten  kann  man  von 
einen  solchen  Schwund  kaum  etwas  sehen.  Dagegen  ist  der 
l'ractus  in  einer  Strecke  in  der  \Veise  gedrückt,  dass  der  untere 
Rand  nicht  gerade,  sondern  eingelnichtet  ist. 

Das  Gc-d'chc  dorsal  vom  Iractiis  zeigt  dagegen  einen  deut- 
lichen Faserschwund. 

Der  äussere  Kiiieliöcker  hat  überhau])t  seine  Form  vollständig 
bewahrt.  Seine  Kapsel  ist  dick,  die  Markleisten  deutlich  und  die 
Zellen,  sowohl  die  grossen  wie  die  kleinen.  :.ahlreieh.  Das 
Ganglion  dürfte  desshalb  als  ziemlieh  iioriiial  zu  betrachten  sein. 

Das   ll'cniieke'sc/ic  Feld  enthält  zahlreiche  Bündel. 

Die  Se/istra/iliiuf^.  Eine  auffallende  Atrophie  in  der  äus- 
sersten  Schicht  —  der  Fasciculus  longitudinalis  •  liesteht 
hier  an  den  Präparaten,  welche  den  Figuren  5.  u.  6.  Taf.  XXV 
entsprechen.  Zahlreiche  Fasern  sind  jedoch  übrig  geblieben. 
Besonders  in  der  mittleren  S(  hi<  ht  der  Sehstrahlung  und  in  der 
Höhe  des  Kniehöckers  liegen  zahlreiche  dicke,  gut  gefärbte  Bündel. 

Der  innere  Kniehöeker  scheint  im  (Janzen  normal  sowohl 
hinsichtlich  der  Form  wie  der  Kajjsel  und  tieferer  Bündel. 

Corpora  qnadrigemi/ia  anteriora.  Reichliche  Faserbündel- 
netze in  allen  verschiedenen  Schichten.  Die  radiären  Fasern 
zahlreich.  Das  Brachium  anterius  zeigt  einen  geringfügigen 
Faserschwund. 

Corpora  qnadrigemina  posteriora  ohne  Besonderes. 

Linsenkörper:  Dieses  Ganglion  ist  durch  die  Hämorrhagie 
am  nächsten  lietroffen  und  am  meisten  zerstört.  In  Folge  des- 
sen ist 

das  Putamen  in  seiner  ganzen  Länge  von  hinten,  bis  zur 
frontalen  Ebene  des  Nucleus  anterior,  zerstört.  Dann  folgt  nach 
\orn  eine  Strecke,  in  der  das  (ianglion  zwar  \'orhanden  ist, 
aber  gewiss  in  seiner  Structur  verändert.  Weiter  nach  vorn  ist 
das  Putamen  anscheinend  ziemlii  h  normal  und  Bündel  treten  in 
ihm  auf. 

Der  Globus  pallidus  ist  auch  ///  oecipitalen  Ahsehnitten  i'ollig 
destruirf.  Seine  Textur  tritt  erst  an  mehr  frontalen  Schnitten 
hervor,  etwa  entsprechend  der  Ebene  des  Mamillarkörijers.  Hier 
i.st  jedoch  das  äussere  Glied  wesentlich  verändert  und  nur  im 
inneren  Gliede  treten  die  dicken  Bündel  und  die  Kapsel  deutlich 
hervor. 

Etwas  weiter  nach  vorn  hin  ist  das  äussere  (Jlied  besser 
erhalten  und  ist  die  Ansa  lentieularis  sehr  deutlieh. 

Capsula  interna.  l_)er  frontale  Abschnitt  ist  normal.  Im 
Ganzen  ist  dies  auch  der  Fall  im  mittleren  Bereiche,  wenn  auch 
hier  an  der  Aussenseite  die  Hämorrhagie  eine  Anzahl  Fasern 
zum  Schwund  gebracht  hat.  Der  hintere  Abschnitt  ist  dagegen 
auf  einer  Strecke  von  wenigstens  150  Präparaten,  also  etwa  5 
m.m.  (•ollständig  zerstört,  in  einer  vertikalen  Ausdehnung  von 
etwa  5—8  m.m.  entweder  mehr  nach  oben  oder  in  der  Höhe 
der  Hallbenstrahlung. 


Epikrise. 

Kurzer  Krankenbericht.  Keine  Heredität.  Weder 
Alkohol-Missbrauch,  noch  luetische  Infektion.  Seit  etwa  zehn 
Jahren  gedrückte  Stimmung  in  Folge  von  Beinbruch.  Seit  Mai 
1893  hat  sich  eine  grosse  Ovarialgeschwulst  entwickelt.  Seit 
einigen  Jahren  Kopfschmerz  und  Schwindelanfälle,  vor  vier  Jah- 
ren Schwindelanfall  mit  rechtsseitigen  Gesichtshallucinationcn. 
Die  gegenwärtige  Krankheit  fing  am  10.  Februar  1894  an.  Fat. 
hatte  einen  Schwindelanfall,  fiel  um,  verlor  das  Bewusstsein 
nicht,  wurde  gelähmt  in  der  linken  Seite  und  wahrscheinlich  he- 
mianopisch.  Der  Mund  war  verzogen,  die  Stimme  geschwächt, 
die  Plmpfindung  abgestumpft,  Schmerzen  entstanden  in  der 
linken  Seite;  linker  Arm  und  linkes  Bein  wurden  gelähmt. 
Sie  hatte  am  folgenden  Tage  eine  rechtsseitige  Gesichtshallu- 
cination.  —  Stat.  pncs.  Mitte  P'ebruar.  Gute  Intelligenz,  keine 
Aphasie,  Kopfweh.  Geruch  links  vermindert,  linksseitige  He- 
mianopsie mit  koncentrischer  Gesichtsfeldcseinengung.  Ge- 
sichtshallucination  nach  rechts.  Keine  hemianopische  Pupil- 
lenreaktion. Augenablcnkung  nach  rechts.  Sensibilität  im  Ge- 
sichte links  vermindert.  Unterer  Facialis  geschwächt.  Gehör 
links  vermindert,  Geschmack  ebenso.  Zunge  weicht  nach 
links  ab.  Sensibilität  links  in  allen  Qualitäten  verschwunden. 
Linker  Arm  paretisch  wie  das  linke  Bein.  Nachher  allmäh- 
lich Besserung.  Die  Hemianopsie  verschwand.  Die  Sensi- 
bilität fortdauernd  bedeutend  herabgesetzt.  Die  Motilität  et- 
was gebessert.  Im  September  Status  idem.  Im  November 
Verschlechterung,  Hallucinationen  nach  rechts  und  partielle 
Hemianopsie  nach  rechts.  Im  November  Gesichtshallucina- 
tioncn auch  nach  rechts.  17.  December  1894  plötzlicher  Tod. 

Diagnose.  Art  der  iJrsion.  Die  Arteriosklerose,  die 
Schwäche  des  Herzens  in  P'olge  von  Kompression,  die  wie- 
derholten Schwindelanfälle,  das  Fehlen  von  Bewusstlosigkeit 
bei  dem  Insulte  und  von  Konvulsionen  sprachen  für  Throm- 
bose und  gegen  Hämorrhagie.  Der  Umstand,  dass  die  He- 
mianopsie später  verschwand,  sprach  dagegen  mehr  für  Hä- 
morrhagie. Bei  der  Sektion  wurde  eine  hämorrhagische  Cyste 
angetroffen,  und  zwar  eine  grössere  in  der  Capsula  externa 
der  rechten  Hemisphäre  und  eine  kleine  Blutung  im  Marke 
der  Fissura  calcarina,  (Taf.  XXII.  Fig.  6 — 8.)  aber  ausserdem 
einige  kleinere  Malacien  im  rechten  Thalamus,  (P"ig.  3.  Taf.  XXII). 

Die  mikroskopische  Untersuchung,  (Fig.6.  Taf.  XXV)  zeigte, 
dass  durch  die  Hämorrhagie  ein  bedeutender  Druck  ausgeübt 
worden  war,  weshalb  auch  die  zunächstliegenden  Teile,  das 
Putamen  und  die  innere  Kapsel,  zum  Zerfall  gebracht  waren. 
Dessen  ungeachtet  fehlten  bei  dem  Insulte  alle  Konvulsionen, 
wie  es  nicht  selten  bei  Hämorrhagie  in  den  Centraiganglien 
der  Fall  ist,  und  zwar  wahrscheinlich  deshalb,  weil  die  dünne  von 
der  Insularinde  gebildete  Wand  dem  Drucke  nachgiebt. 

Sitz  der  Läsion.  Bei  dem  P'ehlen  aller  Reizsymptome 
und  in  Anbetracht  der  ausgeprägten  Anästhesie  wurde  eine 
kleine  Blutung  in  der  Nähe  der  innere  Kapsel  angenommen, 
und  zwar  so  gelegen,  dass  sie  die  Sehbahn  irgendwo  interes- 
siren  konnte.  Diese  Lokalisation  wurde  später  bestätigt,  da 
die  Hemianopsie  verschwand.  Die  kurz  vor  dem  Tode  und 
auch  früher  eingetretenen  Gesichtshallucinationcn  wurden  in 
dem  hnken  Occipitallappen  lokalisirt. 


ÜBER  DIE  BEZIEHUNG  DER  SEHFASERN  ZU  DEN  CENTRALGANGLIEN 


191 


Die  Lokaldiagnose  wurde  bei  der  Sektion  in  befriedi- 
gender Weise  bestätigt.  An  beiden  Stellen  wurden  Hänior- 
rhagien  nachgewiesen. 

Analyse  der  Symptome. 

Psyche.  Mit  Ausnahme  der  Gesichtshallucinationen, 
welche  Pat  selbst  bei  voller  Intelligenz  beobachtete,  waren 
keine  psychischen  Störungen  vorhanden.  Im  Gegenteil  war 
die  klare  Intelligenz  und  das  gute  Gedächtniss  auftallend. 

Apliasie  war  nicht  vorhanden. 

Kranialnerven.  I.  Die  leichte  Verminderung  des  Ge- 
ruches  links  findet  in  dem  Sektionsbefund  keine  Erklärung. 

II.  Besonderes  Interesse  beansprucht  die  linksseitige 
HeuiiiDiopsie.  Die  beigefügten  fünf  Perimeter-Kai  ten  zeigen 
am  besten  den  Wechsel  in  der  Grösse  der  Gcbichtsfelder. 
Den  ^','2,  also  eine  Woche  nach  dem  Insulte,  bestand  eine 
linksseitige  Hemianopsie  mit  ausgedehnter  koncentrischer  Ein- 
schränkung beider  Gesichtsfelder,  aber  besonders  des  linken 
(Karte  I).  Den  ^^'/s  war  die  Hemianopsie  verschwunden,  aber 
die  koncentrische  Einengung  bestand  fort,  grösser  links  als 
rechts.  Im  rechten  Auge  war  das  Gesichtsfeld  nach  unten 
links  besonders  eingeschränkt  ohne  dass  jedoch  der  Defekt 
als  quadrantischer  bezeichnet  werden  kann  (Karte  II).  Den  ^/ü 
sind  beide  Gesichtsfelder  bedeutend  grös.ser  ohne  die  normale 
Ausdehnung  erreicht  zu  haben  (Karte  III).  Etwas  kleiner 
erschienen  sie  den  "^/g  (Karte  IV)  und  endlich  nach  der  er- 
neuerten Gesichtshallucination  nach  rechts  trat  eine  deutliche 
Einengung  der  rechtsseitigen  Gesichtsfelder  ein  und  gleich- 
zeitig vermehrte  sich  die  koncentrische  Einengung  (Karte  V). 

Dass  die  bei  dem  Insulte  eingetretene  linksseitige  Hemia- 
nopsie durch  den  Druck  verursacht  wurde,  ist  ja  klar.  Die 
Figur  2  u.  3  zeigen  wie  nahe  an  dem  hintersten  Abschnitt 
des  Tractus  der  Blutherd  liegt ;  und  dadurch  erklärt  sich  die 
Hemianopsie  genügend  als  ein  Drucksymptom.  An  welchen 
Punkt  dieses  Drucksymptom  sich  am  meisten  geltend  machte, 
ist  schwierig  zu  sagen.  Das  Fehlen  der  hemianopischen  Pu- 
pillenreaktion verlegt  diesen  Punkt  mehr  occipital  als  der  Trac- 
.tus,  also  etwa  in  die  Gegend  des  Kniehöckers.  Jedenfalls  be- 
weist der  Fall,  dass  eine  Zersförinig  der  inneren  Kapsel  dor- 
sal vom  Knieliöcker,  also  entsprechend  dem  Gebiete,  wo  die 
sensible  Bahn  heraufsteigt,  niclii  an  und  für  sich  Hemianopsie 
verursacht.  Die  Hemianopsie  war  nämlich  vorübergehend, 
aber  die  Zerstörung  der  inneren  Kapsel  dauernd. 

Aus  der  mikroskopischen  Untersuchung  geht  auch  her- 
vor, dass  die  ganze  dorsale  Hälfte  des  Pulvinars  der  einstrah- 
lenden schönen  Bündel  entbehrte.  Diese  waren  nämlich  an 
dem  Einstrahlungspunkt  am  lateralen  Rande  des  Ganglions 
abgeschnitten  oder  zum  Schwund  gebracht.  Die  erwähnte 
Hälfte  des  Ptdvinars  war  auch  in  der  Textur  so  ivesenüicli 
verändert,  dass  sie  gewiss  nicht  funktionieren  konnte.  Diese 
Texturveränderung  dehnte  sich  auch,  wie  die  P'ig.  6.  Taf  XXV 
zeigt,  nach  unten  bedeutend  aus,  so  dass  nur  ein  kleines  ven- 
trales Gebiet  des  Pulvinars  als  normal  zu  betrachten  war. 

Der  Fall  bestätigt  also  die  schon  früher  von  mir  ausge- 
prochene  Ansicht,  dass  die  Hatiptmasse  des  Pulvinars,  wie 


die  innere  Kapsel,  keine  solchen  Se/ifaserfi  enthält,  durch  deren 
Zerstörung  ein  Defekt  im  Gesichtsfelde  entsteht. 

Die  kurz  vor  dem  Tode  entstandene  Einschränkung  des 
Gesichtsfeldes  nach  rechts  wurde  gewiss  durch  die  Blutung 
im  linken  Occipitallappen  verursacht.  Vielleicht  hätte  man 
eine  vollständige  Hemianopsie  erwartet,  aber  die  Blutung 
scheint  eher  einen  Druck  auf  die  Rinde  ausgeübt,  als  die  zur 
P^issura  calcarina  verlaufenden  P'asern  durchtrennt  zu  haben. 

Aus  der  Perimeter-Karte  kann  man  nicht  ersehen,  dass 
die  Blutung  mehr  dorsal  als  ventral  gelegen  ist;  d.  h.  keine 
Quadrant  Hemianopsie  nach  unten  bestand. 

Koncentrische  Gesichtsfeldseinschränkiuig.  Diese  war  be- 
sonders kurz  nach  dem  Insulte  (Karte  I)  ausgeprägt,  um  sich 
später  wesentlich  zu  vermindern,  ja  beinahe  zu  verschwinden. 
Nach  dem  Insulte  den  ^'^/n  nahm  sie  zu.  Vor  dem 
war  sie  gewöhnlich  grösser  im  linken  Gesichtsfelde,  ausge- 
nommen am  "/c.  Das  gewöhnliche  Verhältniss  bei  einer  Am- 
blyopie croissee  war  also  vorhanden;  und  die  Erklärung  wird 
die  oben  mehrmals  erwähnte.  Die  linke  Cornea  hatte  auch 
eine  herabgesetzte  Empfi}idlic]ikeit. 

Gesichtshallucinationeti.  Schon  vier  Jahre  vor  dem  er- 
sten Insulte  hatte  Pat.  einen  von  rechtsseitigen  Gesichtshallu- 
cinationen begleiteten  Schwindelanfall.  Am  Tage  nach  dem 
Insulte  sah  sie  von  Neuem  dergleichen  Erscheinungen.  Beide 
traten  an  der  Decke  hervor.  Einmal  in  P^ebr.  sah  sie  eine 
Dame  nach  rechts,  ländlich  am  ist  eine  solche  Halluci- 
nation  auch  bemerkt  worden  und  ebenso  am  '^"^/n,  als  sie 
kleine  Kinder  an  der  rechten  Seite  des  Bettes  sah.  Es  ist 
dann  der  Befund  im  linken  Occipitallappen  von  grossem  In- 
teresse. Hier  fand  sich  wie  schon  erwähnt  unter  der  Fissura 
calcarina  ein  kleiner  Blutherd  frischen  Datums,  welcher  in 
einem  älteren  kleinen  Herd  eingebettet  war.  Da  keine  anderen 
V eränderungen  im  linken  Occipitallappen  angetroffen  wurden, 
so  unterliegt  es  keinen  Zweifel,  dass  die  erwähnten  Gesichts- 
hallucinationen in  Verbindung  mit  diesen  Blutherden  zu  setzen 
sind.  Dabei  ist  ein  aufiallender  Unterschied  zwischen  der  Lage 
der  in  diesem  P'alle  vorhandenen  Läsion  und  derjenigen  vor- 
handen, welche  in  früheren  Fällen  zum  Beispiel  Fall  Sunde- 
lin,  S.  127  und"  Eklund  S.  137  erwähnt  sind.  In  diesen  Fäl- 
len war  der  Reiz  in  der  lateralen  Fläche  des  Occipitallappens 
lokalisirt,  hier  aber  in  der  Gegend  der  P'issura  calcarina.  In 
den  vorigen  P'ällen  lag  die  Läsion  ausserhalb  des  eigentlichen 
Sinnescentrums,  in  diesem  innerhalb.  Ich  verweise  in  Bezug 
darauf  auf  P'all  Sundelin,  S.  127  —  Auch  hier  waren  die  Au- 
gen in  Zusammenhange  mit  der  Hallucination  nach  rechts  ab- 
gelenkt.   (Stat.  15. — 26.  Februar). 

III,  IV,  VI.  Diese  Nerven  boten  sonst  nichts  Bemer- 
kenswerthes  dar. 

V.  Die  Sensibilität  des  Gesichts  zeigte  sowohl  ein  Reiz- 
symptom, Ameisenkriechen,  wie  Anästhesie,  und  zwar  in  P'olge 
von  Zerstörung  des  hinteren  Abschnittes  der  inneren  Kapsel. 

VII.  Die  Parese  hat  nur  den  unteren  Ast  und  den  Gau- 
men getroffen. 

VIII.  Die  Gehörstörung  im  linken  Ohre  erklärt  sich 
leicht.  Die  P^iguren  3  u.  4  zeigen,  dass  die  Läsion  der  Ge- 
hörbahn anliegt. 

IX-    Die   Geschmackstörung  links  ist,  wie  bekannt,  bej 


192 


S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Hemiplegien  ungewöhnlich  und  findet  auch  im  Sektionsbefund 
keine  genügende  Erklärung.  In  September  war  .sie  nicht  mehr 
nachzuweisen. 

.XI,  XII.   Die  gewöhnlichen  Störungen  waren  vorhanden. 

Sensibilität.  Dieser  Eall  unterschiedet  sich  von  der 
Mehrzahl  darin,  dass  die  Anästhesie  so  ausgeprägt  \\ar,  ob- 
schon  die  motorische  Paralyse  selbst  im  linken  Arme  nicht 
absolut  war.  Diese  Anästhesie  dauerte  auch  bis  zum  Tode 
fort.  Sie  w  ar  nach  dem  Insulte  auch  am  Rumpfe  vollständig 
und  selbst  der  Muskelsiun  ti'ar  erloschen.  Eine  geringe  Besse- 
rung war  zwar  im  März  zu  beobachten,  aber  später  im  Sep- 
tember empfand  Pat.  weder  Kälte,  noch  Wärme  und  der  Mu- 
skelsinn war  bedeutend  herabgesetzt.  Tast-,  Ort-  und  Schmerz- 
sinn waren  dagegen  etwas  gebessert. 

Alle  diese  Störungen  finden  ihre  luklarung  in  der  voll- 
ständigen Durchtrennung  der  inneren  Kapsel.  Die  Läsion 
hatte  die  Kapsel  gegenüber  der  Ilaubcnstrahlung  oder  höher 
hinauf  getroffen,  und  entsprach  also  der  hintern  Hälfte  der 
Kapsel,  in  sagittaler  Richtung  gerechnet.  Pat.  litt  viel  an 
Schmerzen  in  der  linken  Seite,  in  der  Schulter,  im  Hals  und 
im  Fus.sgelenk.  Ob  diese  central  oder  peripherisch  waren, 
ist  ungewiss. 

Motilität.  Die  Paralyse  war  zwar  sehr  ausgesprochen, 
aber  nicht  so  vollständig  wie  die  Anästhesie.  Sowohl  im  Arm 
wie  im  Heine  konnten  einzelne  kleine  Bewegungen  ausgeführt 
werden.  Im  März  war  eine  Besserung  im  Bein  und  selbst 
im  Arm  eingetreten. 

Diese  Verhältnisse  stimmen  damit,  dass  der  motorische 
Abschnitt  der  inneren  Kapsel  relativ  verschont  war. 

Die  vasomotorischen  Störungen  im  linken  Bein  waren 
recht  ausgesprochen. 

In  pathologisch-anatomischer  Hinsicht  ist  es  interessant, 
dass  in  der  Gratiolet'schen  Strahlung  fast  nur  die  äusserstc 
Schicht  —  der  Fasciculus  longitudinalis  —  von  iXtrophie  betrof- 
fen ist.  Die  mittlere  Schicht  ist  fast  normal.  (Taf  XXV.  P^ig.  5,) 


Zusammenfassung  der  Resultate. 

Im  zweiten  Teil  dieses  Werkes  sind  alle  diejenigen  im 
Jahre  1892  bekannten  Fälle  von  Hemianopsie  zusammenge- 
stellt, aus  welchen  Schlüsse  über  den  Verlauf  der  Sehfa.sern 
zu  ziehen  waren.  Diese  positiven  Fälle  von  1  lemianopsie 
waren  indessen  nicht  geeignet,  die  Bedeutung  der  sogenannten 
subkortikalen  Ganglien,  des  äusseren  Kniehöckers,  des  Pul- 
vinars  und  des  Colliculus  anterior  nachzuwei.sen ;  und  zwar 
aus  dem  Grunde,  dass  in  allen  bis  daiiin  mitgeteilten  Fällen 
zw^ei  oder  alle  drei  dieser  Ganglien  gleichzeitig  von  den  Lä- 
sionen entweder  direkt  betroffen  waren,  oder,  wo  eine  isolirte 
Läsion,  wie  in  den  Fällen  10  und  11  (S.  271),  nur  des  Pul- 
vinars  vorhanden  war,  lag  eine  Blutung  vor,  welche  indirekt 
auch  auf  den  Kniehöcker  einwirken  konnte,  oder  die  Beschrei- 
bung war,  wie  im  p-alle  26  (S.  276),  so  unvollständig,  dass 
eine  Läsion  des  Kniekörpers  nicht  ausgeschlossen  war. 

In  Folge  des.sen  sprach  ich  die  Ansicht  aus:  :  Die  Lösung 
der  bedeutungsvollen  Frage  wird  also  nicht  durch  die  posi- 
tiven Hemianopsiefälle  entschieden;  sie  muss  auf  anderem  Wege 
gesucht   werden;   und  wenn  überhaupt  eine  Lösung  dieser 


Frage  auf  dem  klinischen  Wege  erreicht  werden  soll,  so  kann 
dieses  nur  durch  eine  Zusammenstellung  der  negativen  Fälle 
geschehen.» 

In  der  Zwischenzeit  habe  ich  in  dem  verhältnissmässig 
kleinen  mir  zur  Gebote  stehenden  klinischen  Materiale  solche 
Fälle  gesucht.  Was  ich  gefunden,  ist  hier  oben  mitgeteilt. 
Ausserdem  hat  mein  verehrter  Preund,  der  bekannte  Specia- 
list Dr  H.  Wilbrand  in  Hamburg,  mir  einige  überaus  werth- 
volle Fälle  zur  Bearbeitung  gefälligst  überlassen,  welche  diese 
Frage  in  interessanter  W'eise  beleuchten  und  unsere  Kentnisse 
über  die  Organisation  der  subkortikalcn  Ganglien  wesentlich 
erweitern. 

Was  beweisen  nun  diese  Fälle? 

Zuerst  ist  dann  daran  zu  erinnern,  dass  durch  Charcot 
und  seine  Schüler  (Vgl.  F"erc,  Troubl.  funct.  de  la  vision,  Paris 
1882,  u.  A.)  der  Satz  aufgestellt  wurde,  dass  eine  Läsion  des 
hinteren  Drittels  der  Capsula  interna  Hemianopsie  hervorrufe 
und  dass  die  Sehfasern  folglich  die  innere  Kapsel  durchpa.ssi- 
ren.  Diese  Lehre,  welche  mit  der  Lehre  vom  »Carrefour 
sensitif»  in  naher  Beziehung  stand,  wurde  dann  als  ein  Axiom 
von  der  gelehrten  Welt  acceptirt  und  spielt  noch  im  Zusam- 
menhang mit  der  Lehre  von  dem  bilateralen  höheren  Gesichts- 
felde in  der  Rinde  der  Angularwindung  eine  gewisse  Rolle. 
Als  Stütze  für  die  Ansicht  von  dem  Durchgang  der  Sehfa- 
sern durch  die  Capsula  interna,  wurden  einige  P'älle  von  Lä- 
sion der  Kapsel  mit  Hemianopsie  angeführt.  Aber  keiner  der 
mitgeteilten  Fälle,  in  denen  übrigens  jede  mikroskopische  Un- 
tersuchung fehlt,  ist  beweisend,  wie  aus  der  kritischen  Prüfung 
aller  diesbezüglichen  Fälle  (s.  Teil  II)  hervorgeht. 

Dagegen  liegen  mehrere  Fälle  vor,  wo  eine  Läsion  bezw. 
eine  Blutung  in  der  inneren  Kapsel  indirekt  durch  Druck  eine 
Hemianopsie  hervorgerufen  hat.  In  dieser  Beziehung  sind 
mehrere  der  obigen  I'älle  lehrreich. 

Im  Falle  16  Hinrichsen  fand  sich  eine  frische  Blutung 
sowie  Hemianopsie;  die  Lage  des  Blutherds  erhellt  aus  den 
Piguren  5 — 7.  Tafel  XVII.  Die  mikroskopische  Untersuchung 
zeigte  aber,  dass  der  auf  die  innere  Kapsel,  auf  Thalamus  und 
Pulvinar  begrenzte  Herd  auf  den  Kniehöcker  drückte  und  selbst 
eine  bei  der  Weigert'schen  P'ärbung  nachweisbare  chemische 
Veränderung  der  Sehfasern  verursacht  hatte,  welche  die  He- 
mianopsie genügend  erklärt.    (Taf.  XIX.  Plg.  13.) 

In  derselben  Weise  verhält  sich  die  Sache  im  Falle  Jan 
Andersson  (Teil  J.  Fall  15,  und  Teil  III.  S.  177),  vvo  sich  die 
Blutung  auf  dieselben  Teile  beschränkte.    (Taf.  XIX.  Plg.  14.) 

Beide  diese  Fälle  erklären  in  ungezwungener  Weise, 
wie  eine  Läsion  der  erwähnten  Teile  Hemianopsie  hervorrufen 
kann,  ohne  anzunehmen,  dass  diese  Teile  Sehfasern  enthalten. 
Dass  in  der  That  eine  ausgedehnte  Läsion  in  diesen  Teilen 
auch  ohne  Hemianopsie  stattfinden  kann,  beweisen  die  P^älle 
17  und  18.  In  jenen  war  ein  nicht  unbeträchtlicher  Abschnitt 
des  Thalamus  und  des  Pulvinars  zerstört,  ohne  dass  je  eine 
hemianopische  Gesichtsfeldseinschränkung  beobachtet  worden 
war.  Hier  lag  nicht  eine  Blutung,  sondern  eine  Malacie  vor, 
welche,  wie  bekannt,  nur  geringe  Fernwirkung  ausübt.  Dass 
in  der  That  das  Pulvinar,  der  Thalamus  und  die  innere  Kap- 
sel nicht  Sehfasern  enthalten,  das  beweist  übrigens  der  P'all  8 
(Teil  III.  S.  88.),  wo  eine  noch  grössere  ältere  Läsion  vorhanden 


ÜBER  DIE  BEZIEHUNG  DER  SEHFASERN  ZU  DEN  CENTRALGANGLIEN 


193 


war,  und  wo  fast  das  ganze  Pulvinar  und  das  hintere  Drittel 
der  Kapsel  zerstört  waren  (Taf.  XIII),  und  auch  die  Fälle  12 
und  13  sind  in  dieser  Hinsicht  belehrend.  Im  Falle  12  fand 
sich  eine  grössere  Cyste  im  rechten  Pulvinar,  ohne  dass  hier 
eine  linksseitige  Flemianopsie  erschien,  und  im  Falle  13  war 
das  ganze  Pulvinar  geschrumpft,  aber  nur  eine  Quadrant-He- 
mianopsie  nach  unten  vorhanden,  welche  durch  die  Läsion  des 
dorsalen  Abschnittes  des  Kniekörpers  ohne  Zwang  erklärt  wird. 

Noch  einen  wichtigen  Beweis  liefert  der  Fall  18.  Hier 
entstand  die  Hämorrhagie  in  dem  Putanien  und  der  äusseren 
Kapsel  und  übte  von  hier  aus  einen  ansehnlichen  Druck  auf 
die  innere  Kapsel  und  auf  das  Pulvinar  aus,  welches  auch  zum 
grossen  Teil  degenerirt  war.  Anfangs  trat  eine  vollstän- 
dige Hemianopsie  auf,  gewiss  in  Folge  von  dem  Druck  auf 
die  Sehbahn  und  besonders  auf  den  naheliegenden  äusseren 
Kniehöcker;  bald  nachher,  als  der  Druck  durch  die  Resorption 
des  Blutes  erleichtert  wurde,  verschwand  die  Hemianopsie  voll- 
ständig ungeachtet  der  permanenten  Veränderung  der  inneren 
Kapsel  und  des  Pulvinars.  Stellt  man  alle  diese  exakten  Be- 
obachtungen zusammen,  in  welchen  sowohl  im  Leben  Peri- 
meterkarten aufgenommen  wurden,  als  auch  post  mortem 
genaue  mikroskopische  Untersuchungen  vorgenommen  sind,  so 
ist  der  Schluss  völlig  berechtigt,  dass  im  Pulvinar  und  in  der 
inneren  Kapsel  keine  solchen  Sehfasern  enthalten  sind,  durch 
deren  Zerstörung  Skotome  im  Gesichtsfelde  entstehen. 

Dieser  Schluss  wird  ausserdem  durch  den  von  Zacher 
mitgeteilten  Fall  (Teil  II.  S.  278)  bestätigt,  wo  »das  ganze 
Pulvinar  mit  Ausnahme  der  peripheren  Schicht  degenerirt» 
war.  »Es  fehlen  hier  fast  alle  Nervenfasern,  desgleichen  fin- 
det sich  kaum  noch  eine  normal  aussehende  Ganglienzelle 
mehr  vor;  das  ganze  Gewebe  schien  in  Zerfall  begriffen.  In 
den  mehr  caudalen  Partien  begegnet  man  noch  normal  aus- 
sehenden Ganglienzellen».  Der  äussere  Kniehöcker  war  »voll- 
ständig intakt»  und  das  Sehfeld  nicht  beschränkt. 

Was  dann  die  Bedeutung  des  Colliculus  anterior  Corp. 
4-gemini  für  der  Sehakt  betrifft  und  besonders  die  Frage,  ob  er 
Sehfasern  in  der  oben  erwähnten  Meinung  enthält,  so  liefern  die 
obigen  Fälle  zur  Lösung  dieses  Problems  nur  einen  Beitrag. 
Im  Fall  13  war  das  ganze  Pulvinar  geschrumpft  und  gewiss 
alle  Verbindung  zwischen  dem  Tractus  und  dem  Colliculus 
anterior  aufgehoben  (S.  163).  Dessen  ungeachtet  war  nur 
eine  Ouadrant-Hemianopsie  vorhanden,  welche  durch  die  De- 
struktion des  dorsalen  Abschnittes  des  äusseren  Knickörpers 
genügend  erklärt  wird. 

Übrigens  weise  ich  betreffs  des  Colliculus  anterior  auf 
den  Teil  II.  S.  278  hin. 

Hieraus  folgt,  dass  den  vielen  in  das  Pulvinar  und 
gegen  den  Colliculus  anterior  verlaufenden  Tractusfasern  an- 
dere Funktionen  zuerkannt  werden  müssen;  und  es  leidet  wohl 
keinen  Zweifel,  dass  diese  als  reflexvermittelnde  Fasern  be- 
trachtet werden  müssen.  Hinsichtlich  der  Fasern  zum  Colli- 
culus anterior  weise  ich  auf  die  S.  109  u.  ff.  gegebene  Dar- 
stellung hin. 

Das  hauptsächliche  subkortikale  Sehganglion,  welches 
also  alle  Sehfasern  aufnimmt,  ist  also  der  äussere  Kniehöcker. 
Dieses  Ganglion  enthält  nicht  nur  die  Makularfasern  (Vgl. 
Flechsig,  Gehirn  und   Seele,  S.  71),  sondern  auch  die  peri- 


pherischen. Auch  scheint  v.  Leonowa  nachgewiesen  zu  ha- 
ben, dass  sowohl  grobe  wie  feine  Tractusfasern  sich  in  dem 
Ganglion  verzweigen.  Und  da  dieses  zwei  Arten  von  Zellen, 
grosse  und  kleine  Zellen  enthält,  so  liegt  es  nahe  zur  Hand, 
anzunehmen,  dass  diese  beiden  Arten  in  gewissem  Zusammen- 
hang mit  dem  makularen  und  peripherischen  Sehen  stehen, 
wenn  auch  zur  Zeit  kein  Beweis  für  diese  Hypothese  vorliegt. 
Ausserdem  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  das  Ganglion  durch 
zahlreiche  in  verschiedener  Richtung  verlaufende  Fasern  in 
Verbindung  mit  nahe-  und  fernliegenden  Teilen  steht.  In  den 
obigen  P'ällen  und  in  anderen,  wo  gewisse  mit  dem  Kniehöcker 
in  Zusammenhang  stehende  Bündel  ausgefallen  waren,  hatte 
ich  Gelegenheit  zu  beobachten,  dass  dicke  Bündel  den  Knie- 
höcker in  Verbindung  mit  der  inneren  Kapsel  setzen.  Diese 
Bündel  verlaufen  nach  oben  aussen.  Andere  verliefen  nach 
aussen  in  den  Temporallappen  (?). 

Noch  andere  Bündel  verlaufen  anscheinend  nach  unten 
und  legen  sich  dem  Pes  an.  Eine  Verbindung  mit  dem  Pul- 
vinar scheint  auch  wahrscheinlich.  Der  Kniehöcker  ist  also 
sicher  ein  wichtiger  Knotenpunkt,  welcher  Reflexe  vermittelt. 

Hinsichtlich  der  Organisation  des  Knie/iöckers  erlauben 
die  obigen  Beobachtungen  auch  einige  wichtige  Schlüsse. 
Schon  im  Teile  II.  S.  256,  355  u.  ff.,  habe  ich  nachgewiesen, 
dass  alle  vorhandenen  Thatsachen  dafür  sprechen,  dass  in 
der  ganzen  Sehbahn  vom  Auge  an  bis  zur  Rinde  des  Occi- 
pitallappens  die  Bündel  der  Retinalwlften  so  zu  einander 
gelagert  sind,  dass  die  Fasern  der  dorsalen  Retinahälften  in 
den  Nervi  optici,  im  Chiasnia  und  in  den  Tractus,  wie  auch 
in  der  occipitalen  Sehstrahlung  dorsal  im  Verhältniss  zu  de- 
nen der  ventralen  Retinahälften  liegen.  Die  Beweise  für 
diesen  Satz  sind  betreffs  der  Nervi  optici  und  des  Chiasma 
entscheidend,  betreffs  der  Tractus  noch  nur  vereinzelt  und 
sind  vielleicht  anfechtbar;  so  ist  es  auch  der  Fall  hinsichtlich 
der  occipitalen  Sehstrahlung;  dagegen  scheint  der  Hun'sche 
Fall  (Teil  II.  S.  339)  betreffs  der  Lage  der  Quadranten  in 
der  Rinde  der  P'issura  calcarina  überzeugend  zu  sein,  und  ein 
neuer  Fall  von  Lavista  (Verhandl.  d.  Kongress.  in  Rom  1894) 
bestätigt  diese  Ansicht.  Aber  wenn  jede  der  erwähnten  l'hat- 
sachen  an  und  für  sich  auch  etwas  schwach  ist,  so  liegt  doch 
in  der  vollkommenen  Übereinstimmung  aller  bekannten  That- 
sachen, sowie  im  Fehlen  jeder  wiedersprechenden  Beobachtung 
ein  überzeugender  Beweis  für  die  Richtigkeit  der  eben  aus- 
gesprochenen Ansicht.  Diese  Ansicht  wird  nun  durch  die 
obigen  Fälle  kräftig  bestätigt.  Der  F'all  12  Heyden  zeigt, 
dass  die  Fasern  der  dorsalen  Retinahälften  im  Tractus  dorsal 
liegen,  und  das  System  wird  durch  die  Ergebnisse  des  Falles 
13  Esche  vervollständigt,  indem  er  beweist,  dass  der  dorsale 
Abschnitt  des  äusseren  Kniqjiöckers  die  dorsale  Hälfte  der 
beiden  Retinns  innervirt.  Die  bis  dahin  im  Tractus  getrenn- 
ten Bündel  für  die  beiden  Augen  mischen  hier  ihre  Fasern 
mit  einander,  wie  ich  schon  früher  durch  anatomische  Unter- 
suchung nachzuweisen  suchte.  Die  Fälle  14  und  15  bestäti- 
gen die.se  Auffassung. 

Weiterhin  zeigt  dieser  Fall  die  wichtige  Thatsache,  dass 
im  Kniehöcker  eine  konstante  Lokalisation  stattfindet  und 
dass  der  dorsale  und  der  ventrale  Abschnitt  einander  nicht 
vertreten  können. 


Zur  Exstirpatio] 

Übersicht  der  Fälle: 

A)  Gelungene  Extirpation. 
Fa/I  ig.     U'cf.    Taf.   XXIII.  XXIV.  XXV.    Piasarkom   in  den 

Centrahvindungen.    Reridiv.    Tod  nach  3  Jahren. 
Fall  20.     Gustaf  Jansson.    Tat".  XXVI.  XXVII.    Cystogliom  in 

den  Centraiwindungen.     Recidiv.     Tod  nach   8  Monaten. 


V. 

der  Hirntumoren. 

B)  Die  Geschwulst  nicht  gefunden. 
Fall  21.    Fr/ka  J^ekrsoii.    Gummata  in  der  ersten  Frontalwin- 
dung und  am  Chiasma;    Tod  2  Tage  nach  der  Operation. 
Fall  22.     Vllvcn.     Tumor  im  ICleinhirnC:')    Palliative  Operation. 
Tod  5  Monate  nach  der  Operation. 


Fall  19.    Christina  Wef. 

46  Jalirc.  Dienstmagd. 
Tnfel  XXMI.  XXIV.  XXV.    Fig.  1-  4. 


Klinische  Diagnose:  Tumop  cepebpi,  in  heinisphsp.  dextp.  (Gypo 
eenlp.  post.). 

Zusammenfassung.  Nach  2  Schwindelanfällen  mit 
Kewusstseinsvcrlust,  im  Alter  von  13  und  25  Jahren,  trat 
im  38.  Jahre  ein  Schwindelanfall  mit  Jackson 'scher  Elpilep- 
sie  in  dem  linken  Bein  auf.  Spater  wiederholte  Anfälle,  von 
Parästhesien  im  linken  Rein  oder  seltener  im  Arm  eingeleitet, 
zuletzt  in  der  rechten  Seite.  Rechtseitige  Gesichtshallucina- 
tionen,  sowie  Geruch-  und  Gchörhallucinationen,  scharf  lokali- 
sirte  Schmerzen  und  andere  Formen  von  Parästhesien  waren 
auch  Prodrome  der  Anfälle.  Später  Lähmung  und  Anästhesie 
der  linken  Seite.    Exstirpation  1893.    Nach  der  Opera- 

tion   Besserung;   dann    Recidiv.     Tod  d.  1896  durch 

Knickung  der  Medulla  oblongata. 

Eine  grosse  feste  Geschwulstmasse  hat  die  rechten  Cen- 
traiwindungen an  der  Mittellinie  und  den  Parictallappen  zer- 
stört und  das  hintere  Ende  der  linken  hinteren  Centraiwindung 
komprimirt.  —  Au.sserdem  eine  alte  kleine  Cyste  im  linken 
Occipitallappen  und  eine  Narbe  in  der  Pia.  Pat.  lebte  fast  3 
Jahre  nach  der  relativ  gi.in.stigen  Operation. 

Krankengeschichte. 

Fat.  wurde  dreimal  im  Krankenhause  ge])flegt,  nämlich  1891 
1892  ''!2-"'l,.  1893  '/:-'— 1896  '«/i.    Tod  '«/i  1896. 

Anamnese.  Die  Eltern  sind  todt.  der  Vater  starb 
an   Lungenschwindsucht  im   6.   Jahre   der  Pat..  die  Mutter  im 


Anatom.  Diagnose:   Dieselbe  (SpindeleellsapkonO  von  dep  Pia 
iiiatep  aus. 

Wochenbett.  Keine  nervöse  Belastung,  so  viel  bekannt,  in  der 
Familie,  ausgenommen  dass  eine  Tante  nervös  und  ängstlich 
war.  Nachdem  Pat.  im  Alter  von  9  Jahren  Masern  und  Wechsel- 
fieber  durchgemacht  hatte,  wurde  sie  von  ihrer  Tante  aufge- 
nommen, aber  von  ihr  sehr  schlecht  behandelt.  Oft  war  das 
Essen  unzulänglich  und  auch  die  Behandlung  sonst  eine  harte. 
Entkräftet  durch  Hunger,  hatte  sie  im  ij.  Jahre  einen  ScJmnii- 
delaiifall  mit  J 'er Ii/ st  des  Beici/ssiseins,  aber  ohne  Krampf.  Keine 
Schwäche  in  den  Gliedern  folgte  darnach.  —  Sie  wurde  dann 
\'on  wohlwollenden  Leuten  aufgenommen  und  war  gesund  und 
kräftig  l)is  zum  24.  Jahre.  —  Die  Regel  wäre  normal. 

Schon  frühzeitig  kam  sie  in  Dienst  bei  Bauern  imd  wurde 
durch  gröbere  Arbeiten  überanstrengt.  Sie  fühlte  sich  vom  24. 
Jahre  an  ?iii/de  und  litt  oft  an  Kopfschmerz.  Im  nächsten  Jahre 
hatte  sie  einen  neuen  Sehwiiidelanf all,  auch  ;;///  J^erli/st  des  Be- 
-lOiisstseius,  aber  ohne  Krämpfe.  Nach  einigen  Tagen  war  sie 
wieder  arbeitsfähig.  Naw  dieser  Zeit  bis  zum  38.  Jahre  war  sie 
ziemlich  kräftig  imd  gesund.  Nur  litt  sie  hisioeileii  an  Kopf- 
schmerz und  Obstruktion. 

1888.  Mit  dem  Jahre  iSSS  begann  sie  sich  von  Neuem  »latt 
und  schlecht  zu  befinden.  Die  Stimmung  wurde  auch  unruhig.  Bei 
einer  traurigen  Begebenheit  —  eine  Person  erkrankte  plötzlich 
und  erhob  Jammergeschrei  —  wurde  sie  i)lötzlich  von  Se/noi/idel 
befallen.  Sie  sank  kraftlos  auf  einen  Stuhl  nieder,  ohne  das 
Bewusstsein  zu  verlieren,  aber  krampfhafte  Zuckungen  traten  im 


ZUR  EXSTIRPATION  DER  HIRNTUMOREN 


195 


linken  Bein  auf,  und  das  rechte  wurde  schwach.  Sie  konnte  nicht 
gehen,  sondern  musste  7X\  dem  Bett  kriechen.  Jetzt  musste  sie 
8  Tage  das  Bett  hüten  und  war  nachher  immer  schwach,  beson- 
ders       linken  Bein. 

Einige  Monate  später  begann  sie  doppelt  zu  sehen  sowohl 
in  kürzerem  wie  in  längerem  Abstände.  Ihr  Allgemeinzustand 
verschlechterte  sich  nach  dieser  Zeit  allmählich.  Um  Johanni 
1891  stellte  sich  Kopfschmerz  nach  und  nach  öfters  ein.  war  doppel- 
seitig, am  stärksten  /;/  der  rechten  Scheitelgegend  und  im  Nacken^ 
und  zwar  besonders  beim  Heben  von  Lasten  fühlte  sie  Stechen 
und  Reissen  in  der  rechten  Kopfhälfte.  Sie  hörte  auch  Sausen 
und  Pfeifen  im  linken  Ohr.  Auch  hatte  sie  .Schmerzen  im  Ge- 
sicht, besonders  ///  der  rechten  Gesichtshälfte  unter  dem  Auge, 
und  hier  soll  auch  Schwellung  bestanden  haben.  Sie  hatte  gleich- 
zeitig im  linken  Bein  und  auch  etwas  in  dem  rechten  das  Gefühl 
des  Geschwollenseins. 

1891.  Im  Jahre  1891  hat  sie  folgende  Veränderungen  be- 
merkt. 

Psyche.  Mit  zunehmendem  Kranksein  wurde  ihre  Stim- 
mung unruhiger,  sie  hatte  oft  .Schwi/idel  und  wagte  nicht  ohne 
Begleitung  ausgehen. 

Die  Sprache  war  nicht  gestört. 

Kranialnerven.  I.  Der  Geruch  wurde  im  Sommer 
schlechter  und  war  zeitweilig  verschwunden. 

II.  Die  Augen  wurden  hervorstehend.  Sie  erinnert  sich 
jedoch,  dass  es  schon  vor  längerer  Zeit  bemerkt  wurde,  dass 
das  eine  etwas  hervortrat,  welches,  erinnert  sie  sich  nicht. 

Die  früher  auftretenden  Doppelbilder  hat  sie  in  den  letzten 
Jahren  weniger  gesehen. 

Lichterscheinunge/i  in  Form  von  Zickzacklinien  oder  Blitzen 
und  Flammen.  Diese  erschienen  nach  rechts  und  zwar  sowohl 
bei  offenen,  wie  geschlossenen  Augen. 

III.  IV.  VI.    S.  oben 

V.  Keine  Anästhesie  in  dem  Gesicht;  keine  Schwierig- 
keit beim  Kauen. 

VIII.  Gehör  unvermindert. 

IX.  Der  Geschmack  war  etwas  herabgesetzt,  aber  nie  ver- 
schwunden. 

Spinalnerven. 

Sensibilität. 

In  dem  linken  Bein  hat  sie  wie  zersprengende  Schmerzen 
empfunden,  und  diese  waren  von  kranpf artigen  Zuckungen  be- 
gleitet. Sie  fingen  beide  dem  Fuss  an  und  gingen  nach  oben. 
Solche  Anfälle  sind  zeitweise  2-  bis  3-mal  an  einem  Tage  ge- 
kommen, aber  in  der  Zwischenzeit  war  sie  davon  frei. 

Im  linken  Arm  fühlte  sie  nur  selten  Schmerzen. 

Motilität. 

In  den  Beinen,  besonders  //;  dem  linken,  war  sie  immer 
schwach.    Auch  im  linken  Arm  war  sie  schwächer  als  im  rechten. 

Im  Magen  hatte  sie  oft  Übelkeit  empfunden,  nie  aber 
Erbrechen,  und  im  Epigastrium  hatte  sie  oft  nach  dem  Rücken 
ausstrahlende  Schmerzen. 

Lues  wird  verneint  und  Alkohol  hat  sie  nicht  gebraucht. 

Aerzte  haben  Bromkalium  vorgeschrieben. 

Wurde  am  ^^/f)  1891  ins  Krankenhaus  aufgenommen. 

5.  E.  Heu  sc  heu.     Pathologie  des  Gehirns. 


Status  praesens  vom  Anfang  Okt.  bis  18.  desselben 
Monats  1891. 

Der  Allgemeinzustand  ist  recht  gut.  Guter  Körperbau,  mit- 
telgross. Der  Appetit  ist  ziemlich  gut.  Temp.  afebril.  Puls  s. 
unten.  Respiration  ohne  Besonderes.  Harn  1.016,  sauer,  ohne 
Eiweiss  oder  Zucker. 

Die  Arterien  sind  nicht  sklerotisirt. 

Subjektive  Symptome. 

Fat.  klagt  über  oft  wiederholtes  Kopfivch.  welches  nicht 
immer  den  in  der  Anamnese  angegebenen  Charakter  hat,  son- 
dern sich  oft  in  den  Schläfen  und  in  der  Stirn  lokalisirt.  Kon- 
stant empfindet  sie  Sausen  in  dem  linken  Ohr.  Die  früheren 
Magenschmerzen  sind  verschwunden.  Uber  die  Schmerzen  und 
Parästhesien  im  Körper  s.  unten  (Sensibilität). 

Objektive  Untersuchung. 

Kopf.  Beim  Betrachten  des  Kopfes  von  oben,  erscheint  es,  als 
ob  das  linke  Tuber  parietale  mehr  hervorragend  wäre,  was  sich 
auch  bei  der  Hutprobe  bestätigte. 

Bei  der  Palpation  hat  sie  gewöhnlich  keine  Empfindlich- 
keit gezeigt.  Ausnahmsweise  hatte  sie  grössere  Empfindlichkeit 
über  dem  rechten   Tuber  parietale. 

Augen.  Beide  Augen  sind  hervorstehend,  die  Augenlider 
können  jedoch  geschlossen  werden,  und  die  oberen  folgen  den 
Bewegungen  der  Augen. 

Die  Glandula  thyreoidea  ist  etwas  vergrössert,  c  hne  zu 
pulsiren. 

Der  Puls  ist  beschleunigt  und  klein,  mehr  links  als  rechts. 
Die  Frequenz  wechselt  von  etwa  70  —  85  —  90.  beim  Gehen  über 
100.    Respiration  15. 

Psyche.  Der  Gesichtsausdruck  ist  leidend,  der  Blick  un- 
ruhig.   Die  Intelligenz  gut.    Das  Gedächtniss  ebenso. 

Sprache.    Keine  Form  von  Aphasie  ist  vorhanden. 

Kranialnerven.  I.  Kann  Kampheröl  und  Alkohol  un- 
terscheiden, und  zwar  in  beiden  Nasenlöchern. 

II.  S.  R.  —  0.9;  S.  L.  0.8.  Emmetropie  auf  beiden  Augen. 
Farbensinn,  geprüft  nach  der  Holmgren'schen  Metode,  ist  beide- 
seits  normal.  Die  Gesichtsfelder  für  Weiss  und  für  Farben  sind 
beiderseits  ziemlich  gleichförmig  koncentrisch  eingeschränkt. 

Ophthalmoskopisches :  L.  A.  Die  Grenzen  der  Papille  sind 
diffus,  die  Papille  geschwollen:  ausgebildete  Stauungspapille. 
R.  A.  Die  Venen  sind  gross,  etwas  angeschwollen,  die  Grenzen 
noch  nicht  verwischt. 

III.  IV.  VI.  Pat.  sieht  oft  Doppelbilder.  Pupillarreflexe 
träge;  die  linke  Pupille  etwas  grösser. 

V.  Keine  Form  von  Anästhesie  (Tast-.  Schmerz-,  Tempe- 
ratur-, Ortsinn).  Der  Quintus  ist  beim  Druck  auf  die  Austritts- 
stellen, besonders  auf  die  des  Infraorbitalis.  empfindlich.  Der 
motorische  Ast  normal. 

VII.  Geringe  Störung.  Leichte  Parese  des  linken  unteren 
Facialis.    Uvula  etwas  nach  rechts  hinüber  gezogen. 

VIII.  Gehör  gleich  auf  beiden  Ohren.  Das  Trommelfell 
rechts  normal,  links  etwas  injicirt. 

26 


196  S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


IX.  Gesmack  beiderseits  gleich,  sowohl  an  der  Spitze  wie 
an  der  Basis  der  Zunge.    Prüfung  mit  Kochsalz  und  China. 

X.  Herzfrequenz  und  Respiration  s.  oben. 

XI.  Larynx  normal. 

XII.  Zunge,  weicht  nicht  ab. 

Sensibilität. 

Aiüisilicsic:  Tasisii/ii  und  Drucksiini :  normal,  ausgenommen 
an  de)ii  linken  Beine,  wo  Pat.,  besonders  am  Unterschenkel,  erst 
grössere  Druckdifferenzen  (von  etwa  200  gr.)  als  an  anderen 
Stellen  unterscheidet. 

ScJunerzsinn :  fehlt  nirgends. 

Ortsiiin:  normal,  ausgenommen  an  den  Unterseite nkeln.  be- 
sonders links. 


Dorsum  pedis 

links  4 

cm. 

rechts 

3 

Planta  » 

^'  3 

» 

» 

3 

Unterschenkel 

7 

» 

» 

6 

Oberschenkel 

5 

» 

» 

4 

Finger 

I 

» 

» 

I 

Unterarm 

3 

» 

» 

3 

Oberarm 

3-5 

» 

» 

3-5 

Temperatu}-sinn :  unterscheidet  leicht  überall  eine  Differenz 
von  einigen  Graden. 

Muskelsinn  normal. 

Elektrisehe  Reizbarkeit :  Keine  Entartungsreaktion. 
Motilität. 

Pat.  ist  etwas  schwächer  auf  der  linken  Seite  als  auf  der 
rechten,  besonders  gilt  dies  von  den  Beinen,  doch  nach  Angabe 
der  Pat.  nicht  mehr  als  früher. 

Der  linke  Arm  nur  wenig  sclnväclier  als  der  rechte. 

Das  linke  Bein  ist  bedeutend  schwiicJier  als  das  rechte. 

Beim  Gelten  will  das  linke  Bein  den  Körper  nicht  gut  tragen. 

R  e  i  z  s  y  m  p  t  o  m  e. 
Tremor  nicht  deutlich  nachzuweisen. 

Pat.  ist  bald  bettlägerig,  bald  sitzt  sie  auf.  Im  Bette  liegt 
sie  immer  auf  der  rechten  Seite,  indem  sie  bemerkt  haben  will, 
dass  die  Schmerzen  und  Krampfanfälle  im  linken  Bein  dann 
ausbleiben  oder  gelinder  werden. 

Reflexe.  Hautreflexe :  Der  linke  Plantarreflex  schwächer 
als  der  rechte.    J\itellarreflexe  stark. 

Harn  und  Faeees  gehen  nie  unwillkürlich  ab. 
Vasoniotorisehe  Störungen.    Das   linke  Bein   wird   von  der 
Pat.  immer  als  kälter  als  das  rechte  aufgefasst.  Kein  objektiver 
Unterschied  der  Temperatur  bei  Messung  (35.8). 

Am  linken  Bein  ein  deutliches  Oedeni. 

Tropliisclie  Störungen  nicht  vorhanden. 

Innere  Organe. 

Lungen:  normal. 

Herz:  Die  Herzspitze  liegt  etwas  tief,  an  der  6.  Rippe, 
sonst  nicht  vergrössert.    Töne  normal. 
Magen:  Keine  Salzsäure. 
Lel>er  und  Milz:  nichts  Besonderes. 
Behandlung:  Jodkalium.  Arsenik.  Elektricität  etc. 


Tagesnotizen:  ^^/lo.  Pat.  hatte  einen  sogenannten  Krampf- 
anfall im  linken  Beine.  Der  Arzt  konnte  inzwischen  nichts 
Abnormes  nachweisen,  weder  Tremor  oder  Zuckungen,  noch 
Herzklopfen. 

^■''/lo.     2    Anfälle   an   derselben   Stelle.    Der  Arzt  konnte 
nichts  l)emerken.     Die  Empfindung  ging  von  unten  nach  ol)en. 
^''/lo.    Die  Art.  radiales  beiderseits  gleich, 
^"/lo.    Der  linke  Puls  grosser  als  der  rechte, 
'/n.     Krampfanfall.     Dabei   war   Folgendes  zu  l)emerken. 
Das  linke  Bein  kann  Pat.  nieltt  bewegen.     Die  Sensibilität  noch 
vorhanden.  Keine  Krämpfe  oder  Tremor  nachzuweisen.  Puls  104. 

Pat.  selbst  giebt  Folgendes  an:  Zuerst  wurde  sie  warm  und 
unruhig,  dann  fühlte  sie  Kraftlosigkeit  und  ScJiwirren  im  linken 
Bein  von  den  Zehen  bis  in  den  Bauch  hinauf  und  wie  Stechen 
in  der  linken  Hälfte  des  Bauches,  sowie  auch  (Jefühl  von  Zuckun- 
gen in  der  Bauchhaut.  Nach  dem  Anfalle  fror  Pat.  eine  Weile, 
so  dass  sie  zitterte,  was  immer  nach  den  Anfällen  eintreten  soll, 
"/u.  2  Anfälle  und  Kopfschmerz  in  den  Schläfen, 
^/ii.  Seit  einigen  Tagen  Gefühl  von  S<:hwäche  im  linken 
Arm  sowie  Sehwitzen  in  der  linken  Vola  manus. 

^"/u.  Anfall  im  linken  Bein  mit  denselben  subjektiven 
Symjjtomen  wie  früher.  Kontraktion  der  A/iiskulatur  des  linken 
Beines  wurde  objektiv  beobachtet.  Diese  begann  peripherisch  und 
ging  nach  oben;  dann  folgte  eine  tonische  Kontraktion,  welche 
sich  in  derselben  Folge,  wie  sie  auftrat,  löste.  Nach  dem  Anfall 
schien  die  Temperatur  auffallend  erhöht  zu  sein.  Puls  88. 
Herzimpuls  kräftiger  als   gewöhnlich.    Pat.  war  darnach  müde. 

^'/ii.  Krampfanfall  links.  Pat.  beobachtete  selbst  Kontrak- 
tion ini  Kusse. 

-'Vusgeschrieben   gegen   den  Rath  des  Arztes.  All- 
gemeinzustand wie  früher. 

Während  des  Aufenthalts  im  Krankenhause  hat  sich  am 
rechten  Auge  eine  vollständige  Stauungspapille  mit  diffusen  (Fren- 
zen ausgebildet.  Am  linken  Auge:  die  Stauungspapille  wie  frü- 
her, die  (Frenzen  vielleicht  noch  etwas  diffuser.  An  beiden 
Papillen  sind  die  Arterien  schmal,  die  Venen  gross  und  ange- 
schwollen, hie  und  da  wie  abgebrochen.  S.  R.  =  0.5.  S.  L.  0.4. 
Die  Gesichtsfelder  eher  grösser  als  früher. 

Kopfschmerz  in  der  letzten  Zeit  täglich,  nicht  so  viel  im 
Scheitel  als  vielmehr  in  der  Stirn  und  in  den  Schläfen.  Puls 
80  —  90. 

1892.    Zustand  vom  11.  Dec.  i8gi  bis  2ß.  Febr.  i8q2. 

Nachdem  Pat.  das  Krankenhaus  verlassen,  war  ihr  Zustand 
ungefähr  derselbe  wie  im  Krankenhause.  Die  Anfalle  haben 
die  Kräfte  herabgesetzt..  Sie  sind  von  Zeit  zu  Zeit  eingetreten, 
und  zwar  an  folgenden  Tagen: 

im  December  am  14,,  15.,  16,,  20.,  23.  (2  Anfälle),  25.,  27.: 
im  Januar  am  i.,  4..  11.,  16.,  22.,  27.,  28.,  29.  (2  Anfälle),  30.: 
im  Februar  am  3..  4.,  7.,  8.,  11,.  15.,  20. 

Die  Anfälle  sind  gewöhnlich  in  den  Nächten  eingetreten, 
und  gewöhnlich  ist  nur  ein  Anfall  vorgekommen.  Diese  Anfälle 
waren  zweierlei  Art:  teils  Lähmungen  ohne  sonstige  subjektive 
Empfindungen,  teils  Krämpfe,  bei  denen  Pat,  neben  der  Lähmung 
eine  heraufsteigende  kriechende  Empfindttng  hatte.  Sie  waren 
an  Intensität  wechselnd  und  in  der  Nacht  gewöhnlich  stärker. 
Vor  dem  Anfalle  kommt  ein  (iefühl  von  Unruhe  und  Nieder- 
geschlagenheit.   Dann  fängt  ein  kriechendes  und  stechendes  Ge- 


ZUR  EXSTIRPATION  DER  HIRNTUMOREN 


107 


fühl  in  den  Zehen  des  linken  Fusses  an,  welches  allmählich 
nach  oben  wie  in  Wellen  durch  den  Unterschenkel  und  dann 
im  Oberschenkel  an  der  Innenseite  aufsteigt.  Dabei  ist  Pat. 
unvermögend  das  Bein  zu  bewegen. 

Die  Sensibilität  des  Beines  ist  dabei  //erabgesetzt,  aber  nicht 
verschwunden. 

Zuckungen  fanden  sich  nur  einmal  ein,  und  zwar  am  17. 
Februar  in  den  beiden  Oberschenkeln. 

Lichtphänomene  in  Form  einer  Zickzacklinie  nach  rechts 
sah  sie  am  i.  Jan.  in  der  Nacht.  Auch  in  einer  anderen  Nacht 
hatte  sie  eine  Lichterscheinung  ohne  sonstigen  Anfall. 

Beim  Tage  sind  die  Anfälle  gewöhnlich  auf  das  Bein  be- 
schränkt, in  der  Nacht  steigen  das  Schwirren  und  Ameisenkrie- 
chen höher,  bis  in  den  Bauch  und  in  die  Brust  hinauf. 

Den  27.  Januar  empfand  Pat.  dieselben  Parästhesien  in  dem 
linken  Arm,  wie  sonst  im  Beine,  und  diese  umfassten  den  ganzen 
Arm,  die  linke  Hälfte  des  Halses  und  die  linke  Gesichtshälfte, 
und  waren  mit  Kältegefühl  verbunden.    Sonst  keine  Zuckungen. 

Einige  Tage  später  hatte  sie  einen  auf  den  Arm  beschränk- 
ten Anfall. 

In  den  Menstruationsperioden  sind  die  Anfälle  schwerer, 
sonst  treten  sie  beim  Liegen  auf  dem  Rücken  oder  bei  gestreck- 
ten Beinen  leichter  ein.  Sie  liegt  deshalb  am  liebsten  auf  der 
rechten  Seite  und  mit  gebeugten  Beinen. 

Der  Kopfschmerz  war  in  der  Heimath  immer  vorhanden, 
wenn  auch  nicht  so  schwer  wie  im  Sommer  1891.  Wegen  Schwir- 
ren im  Kopf  konnte  sie  erst  um  9 — 10  Uhr  Morgens  aufstehen. 

Geräusche  wie  Sausen  und  Läuten  nach  rechts  hat  sie  oft 
des  Morgens  empfunden.  Sie  waren  oft  so  deutlich,  dass  sie 
sich  nach  der  genannten  Richtung  hinwendete. 

Der  Allgemeinzustand  ist  nicht  verändert,  und  Pat.  konnte 
am  24.  Februar  längere  Strecken  promeniren  und  ging  selbst 
nach  dem  Krankenhause. 

Pat.  wurde  den  25.  Febr.  1892  zum  zweiten  Mal  aufgenommen. 

^/a.    Zwei  Anfälle;  ^/s.  Anfall  mit  Herzklopfen. 

Status  praesens  den  5.  März  1892  (Vergl.  S.  195). 

Allgcmeinzustand.  Kann  sich  unbehindert  im  Krankensaale 
bewegen;  ist  gewöhnlich  mit  Handarbeit  beschäftigt. 

Subjektive  Symptome. 

Der  Kopfschmerz  ist  jetzt  mehr  beständig,  aber  nicht  stark; 
kann  nicht  lokalisirt  werden.  Beim  Beugen  nac  h  vorn  wird  er 
schwerer  und  wird  reissend.  Dabei  entsteht  Schwierigkeit  beim 
Kauen.  Bei  den  Anfällen  empfindet  Pat.  Schwirren  im  Kopf 
etwa  wie  im  Beine.  Bisweilen  hat  sie  Stechen  rings  um  den 
Leib  vom  Rücken  nach  vorn  hin,  als  ob  ein  Giirtel  rings  um 
sie  gespannt  würde. 

Objektive  Untersuchung. 

Psyche  nicht  wesentlich  verändert.  Sie  ist  geduldig  und 
giebt  bei  den  wiederholten  Untersuchungen  immer  korrekte  und 
präcise  Antworten. 

Sprache:  etwas  träge,  sonst  normal. 

Kranialnerven:  I.  Der  (Geruch  ist  beiderseits  herabge- 
setzt. Pat.  unterscheidet  Kampher  und  Alkohol,  kann  aber  die 
Riechstoffe  nicht  benennen. 


II.  S.  R.  =  0.6.  S.  L.  0.4.  Gesichtsfelder  wenig  einge- 
schränkt, wie  auch  die  F'arlienfelder.  —  Exophthalmus. 

Die  Papillen  mit  diffusen  Grenzen  und  angeschwollenen 
Venen. 

III.  IV.  VI.  Strabismus  wie  früher.  Beide  Pupillen  rea- 
giren  auf  Licht  und  bei  Accomodatiun.  Die  linke  etwas  mehr 
als  die  rechte. 

V.    Wie  ^^'/lo  1891. 

VII.  Wie  'Vio  1891. 

VIII.  Normal. 

IX.  Normal  für  Süsses,  Saures,  Bitteres  und  Salziges. 

X.  Das  Athmen  verlangsamt,  15.    Puls  72. 
XII.    Die  Zunge  weicht  nicht  ab. 

Sensibilität. 

Tastsinn:  an  beiden  Unterschenkeln  und  Füssen,  besonders 
links,  herabgesetzt.    Empfindet  links  erst  das  wiederholte  Berüh- 
ren oder  Streichen  mit  einem  Papierstreifen.     An  der  Fusssohle 
fühlt  sie  überhaupt  nicht.     An  anderen  Stellen  normal. 
Drucksinn:  etwa  wie  ^*/io  1891. 
Ortsinn:  Dorsum  pedis  rechts  3  cm.,  links  7  <  .m. 

L^nterschenkel      »      6     »        »12  » 
Der   Schmerzsinn  ist   am    linken  Fuss  und  Bein  ein  wenig 
vermindert. 

Temperatursinn :  am  linken  Bein  und  Fuss  vermindert. 
Schnee  fühlt  sie  nur  wenig  kalt.  Erst  Differenzen  von  6"  C. 
fühlt  sie  links,  rechts  schon  2°,  an  den  Armen  i'^,  im  Gesicht  0.5''. 

Muskelsinn :  gut. 

Motilität. 

Gang  etwas  wackelnd.  Der  linke  Fuss  schleppt  etwas. 
Beim  Treppensteigen  setzt  sie  zuerst  den  rechten  Fuss  auf  die 
Stufe.  Beim  Emporstrecken  der  Arme  steht  der  linke  etwas 
niedriger  und  fällt  zuerst  herab. 

Hinsichtlich  des  Rumpfes  kein  Unterschied. 

Tremor .  Bei  anstrengenden  Bewegungen  beginnen  die 
Hände  zu  zittern.  Auch  fühlt  sie  bisweilen  Zittern  in  den  Brust- 
und  Bauch-Bedeckungen. 

Reflexe.  Hautreflexe.  Der  Plantarreflex  ist  links  auf- 
gehoben. 

Die  Patellarreflexe  sind  verstärkt.    Dorsalklonus  fehlt. 
Blase  und  Rectum  ohne  Störung. 

Vasomotorische  und  trophische  Störungen.  Die  untersten  '^/a 
der  Unterschenkel  und  Füsse  sind  sehr  kalt,  besonders  links. 
Kein  Oedem. 

Innere  Organe:  wie  1891. 

Tagesnotizen. 

^*/3.  Reissende  Schmerzen  im  Kopfe,  linken  Arm  und  Bein. 
Das  Bein  ist  ihr  schwer. 

'^/s.  Die  letzten  zwei  Tage  hat  Pat.  Schmerzen  im  linken 
Arm  und  Bein  gehabt.  Auch  ein  kriechendes  und  stechendes 
Gefühl  im  rechten  Fuss  und  Unterschenkel;  der  Fuss  will  ein- 
schlafen, weshalb  Pat.  oft  die  Stellung  wechselt. 

/s.    Anfall  mit  Schwirren  vom  linken  Fuss  aus. 
"/i.  Anfälle.    Linkes  Bein  schwerer. 


198 


S.  E.  MENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


"/•i-  Krampf  in  Verein  mit  Zuckungen  im  Nacken  und 
in  den  Bauchbedeckungen. 

'•'/i.  ''"'/i-    Anfälle  mit  Kopfschmerz. 

'^^/4.  Anfall  im  linken  Arm,  fängt  in  der  Hand  an  und 
erstreckt  sich  bis  in  die  linke  Hälfte  des  Kopfes,  welche  steif 
und  kalt  empfunden  wurde. 

^  .5.  Anfall  im  linken  Bein  und  von  da  aus  bis  in  den 
Rumpf  und  längs  des  linken  Armes  hinauf.  Der  linke  Arm 
schüttelte  stark.        Sc/nuici-igkcit  Harn  zu  /assc/i. 

'"''/.').     Anfall.     '■'/•'>•    Anfall.     Bein  und  Arm  schwerer. 

'^^'Ib.    Seit  Mitte  Mai  kein  Anfall. 

Sensibilitäts-  und  Motilitätsstörungen  unverändert. 

Papillen  nunmehr  atrophisch  und  angeschwollen. 

(Gesichtsfelder  ohne  ausgeprägtere  Einschränkung. 

Sehschärfe  R.  —  0.6;  S.  L.  =  0.5. 

1892.  ^^5-    Heute  entlassen.  Allgemeinbefinden  gebessert. 

Im  Sommer  1892  hatte  sie  folgende  Anfälle,  jedesmal,  wo 
nicht  Anderes  bemerkt  ist,  nur  i  Anfall. 
Im  Juni  am  10.,  11.  (2  Anfälle).  17..  27..  29.,  30.: 
im  Juli  am  i..  3.,  6..  7..  8..  14..  16.,  19..  21.: 
im  August  am   2.,   10.,   11..  16.,  18.  (3),  19.  (8j,  20.,  22.,  25., 

27-  31-; 

im  September  am  8..  9..  10..  12.,  14.,  15.,  17.; 

im  Oktober  am  6.,  7..  28..  29..  30..  31.; 

im  November  am  4..  11.,  16.,  20..  24.,  27.; 

im  December  am  2..  3.,  13..  25.,  29.,  30. 

1893.    Im  Januar  am  3..  5.,  7.,  8.,  9.,  17..  21..  25.; 

im  Februar  am  i..  2.,  3. 

Die  Symptome  der  Krankheit  waren  in  der  Zwischenzeit 
dieselben  wie  früher.  Der  Verlauf  der  Anfälle  auch  wie  früher. 
Sie  fangen  in  den  Zehen  des  linken  Fusses  an,  steigen  bisweilen 
bis  zur  Herzgegend  hinauf,  und  hier  bleiben  mehrere  Tage  Sehnier- 
zeii  zurück.  Während  des  Anfalles  kann  Pat.  das  Bein  nicht 
aufheben,  sie  hat  KältegefiiliL  welches  sich  bis  in  die  linke 
Hälfte  des  Gesichtes  erstreckt. 

Zuckungen   in   der   letzten   Zeit  nur  in  der  Magengegend. 

Der  Kopfschmerz  ist  schwerer  als  früher  und  von  Reissen 
im  Kopf  begleitet,  wie  auch  Geschrei  und  Sausen  im  linken  Ohr, 
sowie  beständiges  Läuten. 

Bei  den  schwereren  Anfällen  wird  es  ihr  duukel  vor  den 
Augen,  und  sie  wird  halb  hcwusstlos  und  hat  Schwierigkeit, 
Worte  zu  finden  und  zu  sprechen.  Auch  Se/nuäe/ie  im  rechten  Arm. 

Die  Doppelbilder  hat  sie  fortwährend,  und  sie  sieht  bis- 
weilen schwarze  und  gelbe,  bewegliche,  funkelnde  Sterne,  und 
beim  Lesen  sieht  sie  rothe  Streifen  im  Buche,  immer  nuch  rechts. 

Übelkeit  und  selbst  Erbrechen  treten  bisweilen  auf 

Pat.  wurde  d.  ^,'2  1893  zum  3.  Mal  im  Krankenhaus  auf- 
genommen. 

Status  praesens  um  den  ^"/a  1893. 

Allgoneinzustand :  im  Ganzen  wie  früher,  nicht  abgemagert; 
die  Kräfte  herabgesetzt.    Sonst  nichts  verändert. 

Subjektive  Symptome. 

Bei  Perkussion  grössere  Empfindlichkeit  auf  dem  rechten 
Tuber  parietale.    Sonst  wie  früher. 


Objektive  Untersuchung. 

Psyche:  Aussehen  etwas  schlaff  und  gleichgültig;  sonst  wie 
früher.    Keine  Aphasie. 

Kranialnerven:  I.  wie  früher. 

II.  S.  R.  —  0.7.  S.  L.  -  0.6.  Keine  Hemianopsie.  Ge- 
sichtsfelder wie  früher.  Die  Papille  blei(  h.  Stauungspapille,  wie 
früher  beschrieben. 

III.  IV.  VI.  Crekreuzte  Doppelbilder  in  einer  Entfernung 
von  0—25  c.m.,  dann  von  25-  etwa  85  c.m.  einfaihe  Bilder, 
dann  in  grösserer  Entfernung  ungekreuzte  Bilder. 

Die  Pupillen  wie  früher,  die  linke  grösser. 
V.    Sensibilität   beiderseits   gleich,  und  zwar  betreffs  aller 
Qualitäten. 

VII.  ()l)erer  Ast:  kein  Unterschied.  Untere  Aste:  links- 
seitige leichte  Parese.     Gaumen:  links  Parese. 

VIII.  (jehör  ohne  Störung. 

IX.  Geschmack  ohne  Störung. 

XI.  Das  linke  Stimmband  weniger  beweglich. 

XII.  Keine  Störung. 

Sensibilität. 

Tastsinn  wie  früher. 

Schmerzsinn :  links  ein  wenig  herabgesetzt. 

Temperatursiuu  überall  normal,  ausgenommen  an  der  Innen- 
seite des  linken  Fusses,  wo  Pat.  bisweilen  nicht  unterscheiden 
kann,  ob  das  AVasser  im  Probirrörchen  kalt  oder  warm  ist. 
Dies  gilt  auch  in  geringerem  Grade  von  dem  Peroneusgubiete. 
Sonst  normal. 

Ortsinn  am  linken  Fusse  und  Bein  ein  wenig  herabgesetzt. 
Muskelsinn  ohne  Störung. 

Motilität. 

Die  Kraft  ist  bedeutend  herabgesetzt  im  linken  Arm  und 
Bein.  Das  Bein  kann  sie  ohne  Hülfe  mit  den  Händen  kaum 
bewegen.  Die  Bewegungen  im  Fussgelenk  kann  sie  zwar  noch 
ausführen,  aber  sowohl  Rotation,  wie  Beugung  und  Streckung 
geschehen  sehr  langsam.  Ebenso  sind  die  Beugung  im  Knie- 
gelenk, wie  auch  die  Bewegungen  des  linken  Armes  im  Hand- 
und  Ellenbogen-Gelenk  sehr  schwach. 

Rumpf.  Die  Bewegungen  der  linken  Seite  sind  auch  ge- 
schwächt. 

Der  Gang  ist  langsam  und  unsicher  und  hemiplegisch. 
\\'eicht  gern  nach  links  ab. 

Kcjntraktur:  geringe  Kontraktur  im  linken  Bein. 
Reflexe  wie  früher. 

Vasomotorische  Störungen  auch  wie  früher. 

Innere  Organe  wie  früher. 

^'/i2.  Starke  Kopfschmerzen,  Erbrechen. 

'2/2.  2  Anfälle.    T.  38.6**  C. 

^^/a.  ^^/2.  Schwere  Schmerzen  im  Rücken  und  Kopf. 
Übelkeit. 

^**/2.  Anfall  mit  Sausen  und  Reissen;  hatte  eine  Empfin- 
dung von  Schaukeln. 

'•'/a.  Anfall.  Keine  Zuckungen  oder  Gesichtshallucinationen. 


ZUR  EXSTIRPATION  DER  HIRNTUMOREN 


199 


Der  Teinperatursiiiii  an  den  Beinen  wurde  geprüft. 

Am  rechten  Fuss  unterscheidet  Pat.  immer  2  —  3°  C.  Am 
linken  Fuss  fühlt  sie  keinen  Unterschied  zwischen  Wasser  von 
37  und  25"  C.  wohl  aber  zwischen  25  und  13°.  Zwischen  den 
Graden  21  und  26  C.  unterscheidet  sie  eine  Differenz  von  5*^. 
Auch  am  Unterschenkel  ist  der  Temperatursinn  herabgesetzt. 

Die  Temperaturen  im  Meatas  auditorius  externus  waren: 
am  17.  März  links  37.1*^  C.  rechts  37"  C. 
»    18.     »        »     36.2"  C.      »      36.6"  C. 

^^/s.    Kopfschmerzen.     »Rothe  Blumen»  vor  dem  rechten 

Auge. 

Operationsber  i  ch  t. 

^^/3  1893  wurde  die  Trepanation  vom  Verfasser  im  Verein 
mit  Prof.  Dr.  K.  G.  Lennander  ausgeführt.  Die  Pat.  wurde  in 
der  nächsten  Zeit  in  der  chirurgischen  Klinik  des  Prof.  Lennan- 
ders  gepflegt. 

12  U.  Morphininjektion;  12  h.  28'  Nachm.  Naikose.  P.  90. 
12  h.  38'  Puls   116.     12  h.  45'  Operation.    P.  114  — 130. 
12  h.  55'  P.  116. 

Ein  mehr  als  halbzirkelförmiger  Lappen  wird  über  der 
rechten  Fissura  Rolandi  so  angelegt,  dass  er  mit  dem  konvexen 
Rande  etwa  3  cm.  über  die  Mittellinie  hinaus  reicht.  Der  Durch- 
messer des  Lappens  misst  von  der  Basis  bis  zur  Spitze  c:a  8.5 
cm.,  an  Breite  5  cm.  Starke  Blutung  aus  der  Kopfschwarte 
und  aus  dem  blossgelegten  Schädel.  Pat.  wurde  sehr  bleich 
und  der  Puls  schwach  und  ungleichmässig.  Der  Kopf  wurde 
niedriger  gelegt.    Die  Narkose  abgebrochen. 

Die  Trepankrone  maass  30  m.m.  im  Durchmesser.  Ihr  me- 
dialer Rand  lag  1.5 — 2  cm.  nach  rechts  von  der  Mittellinie. 
Der  Knochen  war  sehr  dick.  Die  Dura  sehr  gespännt  und  'aus- 
gebuchtet. Beim  Durchschnitt  ragte  die  Gehirnoberfläche  in  die 
Öffnung  stark  hervor.  Das  Gehirn  hatte  normales  Aussehen. 
Aus  der  Form  der  Windungen  konnten  wir  nicht  sehen,  welche 
Windung,  wir  vor  uns»  hatten.  Mit  einem  stumpfen  Instrumente 
wurde  die  Gehirnsubstanz  geteilt  und  2  m.m.  unter  der  Ober- 
fläche erschien  in  der  medialen  Hälfte  der  Trepanöffnung  eine 
graurothe  deutlich  krankhafte  Masse.  Das  Mikroskop  erwies, 
dass  pathologisches  Gewebe  vorlag.  Die  Tumormasse  konnte 
mit  dem  Skalpellheft  von  der  Gehirnsubstanz  getrennt  werden. 
Sie  schien  von  einer  dünnen  Membran  umgeben.  Da  ihre  Masse 
deutlich  sehr  ausgedehnt  war,  wurde  i  Uhr  40  M.  eine  neue 
Trepankrone  nach  hinten  und  etwas  nach  innen  gesetzt,  wonach 
die  dazwischenliegenden  Knochenspitzen  weggenommen  wurden 
(2  Uhr  Nachm.).    Puls  96. 

Mit  einem  scharfen  Löffel  wurden  ansehnliche  Massen  einer 
grauröthlichen,  etwas  grobkörnigen  Geschwulst  ausgeräumt.  In 
der  Zwischenzeit  ab  und  zu  reichliche  Blutung.  Tamponiren 
mit  Jodoformgaze.  Dabei  erwachte  Pat.  und  verlangte  Wasser 
(2  Uhr  8  M.    P.  88). 

Der  Löffel  drang  etwa  5  cm.  nach  vorn  und  nach  hinten. 
Von  der  Höhle  aus  fühlte  der  Finger  die  Falx  cerebri.  Nach 
aussen  fühlte  man  gesundes  Gewebe.  Am  Boden  wurde  auch 
Hirngewebe  ausgelöffelt;  dagegen  konnte  man  nach  hinten  und 
medial  die  Grenzen  der  Geschwulst  nicht  erreichen.  Starke 
Blutung  nöthigte,  die  Operation  zu  beenden  2  U.  15  M.  Die 
Höhle  wurde  mit  Jodoformgaze  gefüllt  und  Suturen  wurden  an- 
gelegt. 


Während  der  Operation  wurden  keine  Zuckungen  beobach- 
tet. Nach  der  Operation:  vermehrte  Sehiefheit  im  Gesicht,  in 
welchem  jedoch  die  Bewegungen  nicht  aufgehoben  waren.  Die 
Augenbewegungen  frei.  Die  Geschwulst  maass  deutlich  mehr 
als  6  cm.  in  sagittaler  Richtung  und  etwa  5  cm.  in  vertikaler, 
die  Breite  3 — 4  cm. 

^'/s.  Abends:  Pat.  ist  vollständigt  klar,  interessirt  sich  für 
das,  was  geschehen  ist,  und  stellt  wiederholte  Fragen.  Die  Kopf- 
schmerzen sind  äussert  gering,  aber  ein  Abortivanfall  ist  einge- 
treten, hat  sich  jedoch  auf  Zittern  in  den  Zehen  des  linken 
Fusses  beschränkt.  Weder  Übelkeit,  noch  Erbrechen.  Der  linke 
Arm  wurde  als  auffallend  schwer  empfunden.  Keine  Gesichts- 
hallucinationen. 

Der  Puls  war  am  Ende  der  Operation  98,  schwach  und 
unregelmässig.    T.  37.7"  C. 

^^/s  Vorm.  kräftiger.  Sie  hat  schwarze  Flecke  und  Säulen 
im  Dache  gesehen.    P.  128.    T.  37.6"  C. 

7  U.  Abends.  Um  3  U.  eine  Kochsalzinfusion  von  600 
ccm.    T.  afebril.    Gelinder  Kopfschmerz. 

^^li.  AVechseln  des  Verbandes.  Geringe  Blutung.  Schwere 
Kopfschmerzen  den  ganzen  Tag. 

^"/s.    Oedem  um  das  linke  Auge.    Sonst  Alles  gut. 

Verbandwechsel.  Geringe  Blutung.  Pat.  befindet 
sich  nach  eigner  Aussage  besser  als  vor  der  Operation.  Kein 
Kopfschmerz. 

Der  linke  Arm  erscheint  sehiverer  als  vor  der  Operation, 
und  Pat.  kann  ihn  kaum  von  der  Seite  auf  die  Brust  heben. 

Das  linke  Beim  erscheint  dagegen  aoeniger  affizirt  und  ver- 
hält sich  etwa  wie  vor  der  Operation.  Das  Oedem  am  das 
linke  Auge  verschwunden. 

'"/a.  Der  Verband  ist  heute  durchgefeuchtet.  Durch  die 
Trepanöffnung  dringt  Hirn-  und  Geschwulstmasse  hervor. 

^V-i-    Exstirpation  der  herniösen  Masse.    Alles  gut. 

Status  praesens  d.  25.  April  1893. 
Allgemeinzustand  wie  vor  der  Operation. 

Subjektive  Symptome. 

Bisweilen  leichter  Kopfschmerz  in  der  rechten  Seite  des 
Kopfes.    Sonst  klagt  sie  nicht. 

Objektive  Untersuchung. 

Fsvehe:  Intelligenz  unvermindert.  Stimmung  und  Gedächt- 
niss  gut. 

Kranialnerven.  Keine  Veränderung  in  Vergleich  mit 
dem  Status  vor  der  Operation. 

Motilität.  Pat.  kann  den  linken  Arm  nicht  aufheben  oder 
die  Hand  des  LTntersuchers  drücken.  Pronations-  und  Supina- 
tionsbewegungen  können  nicht  ausgeführt  werden;  auch  nicht 
Beugung  im  Kubitalgelenk. 

Das  linke  Bein:  Die  Bewegungen  sind  beschränkt. 

Der  Rumpf  scheint  links  schwächer  als  rechts  zu  sein.  Kann 
nicht  aufrecht  stehen. 

Reflexe.  Plantarreflexe  stärker  links.  Patellarreflexe  ver- 
stärkt.   Kein  Dorsalklonus. 


200 


S.  E.  RENSCHEN.     PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Vasomotorische  Stöningeu:  Die  Hände  oft  kalt  schwitzend, 
besonders  links. 

Trophische  Störungen  nicht  vorhanden. 

Sonst  nichts  Bemerkenswerthes  in  den  inneren  Organen. 

^^li.  Verbandwechsel.  Am  vorderen  Rande  des  Lappens 
dringt  Geschwulstmasse  hervor.  Fat.,  die  seit  einigen  Tagen 
mit  Elektricität  behandelt  worden  ist.  kann  heute  die  Finger  der 
linken  Hand  recht  gut  bewegen. 

*/.').  Verbandwechsel.  Verband  trocken.  Motilität  der 
Finger  und  des  Arms  vermehrt. 

'^/ä.    Motilität  vermehrt.    Allgemeinzustand  gut. 

Status  praesens  d.  28.  Mai  1893. 

Fat.   ist   ausser  Bett,   sitzt  oft.    Fettpolster  etwas  reduzirt. 
Kräfte  nicht  gross.    Sonst  ist  der  Allgenicinziisiand  gut. 
Die  Augen  hervorstehend  wie  früher. 

Subjektives  Befinden:  im  Cianzen  gut.  Nur  gelinder  Kopf- 
schmerz, die  früheren  Kopfschmerzen  verschwunden. 

Objektive  Untersuchung. 

Psyche:  Das  Wesen  der  Fat.  fröhlicher  und  heiterer  als  vor 
der  Operation.    Übrigens  Alles  gut. 

Kranialnerven.  I.  Geruch  rechts  fast  normal,  links 
bedeutend  herabgesetzt  (Frohen  mit  .Luther,  Chloroform.  Kreosot). 

III.  IV.  VI.  Sieht  Doppelbilder  wie  früher.  Die  linke 
Fupille  etwas  weiter.    Die  Fupillen  reagiren. 

V.  'Fast-,  Temperatur-  und  Schmerzsinn  normal.  Keine 
Druckempfindlichkeit  oder  Schmerzen  beim  Kauen. 

VII.  Sc-hwache  Parese  links  im  unteren  Facialis  und  im 
Gaumenaste,  nicht  im  oberen  Facialis. 

VIII.  Normal. 

Sensibilität.  Tastsinn:  Herabsetzung  im  linken  Arm 
und  Bein.  Berühren  mit  einem  Fajjiersstreifen  wird  em])funden 
bei  stärkerem  Drücken. 

Schmerz-,  Ort-  und  Temperatursinn :  herabgesetzt  links  am 
Arm  und  Beiü. 

Musliclsinn  normal. 

Motilität.  Linker  Arm  und  linkes  Bein  noch  sehr  kraft- 
los, aber  die  Motilität  bedeutend  vermehrt  und  ungefähr  wie  am 
8.  Februar.  Kann  stehen  und  gehen,  obschon  mit  einer  gewissen 
Schwierigkeit. 

Reflexe  und  vasonudorische  Störungen  wie  ^^/i. 

^'/s.  Hernia  2  c.m.  hoch.  Vorn  mit  Granulationsgewebe. 
*|ü.  8  Vorm.  Anfall  während  des  Essens  mit  Verlust 
des  Bewusstseins.  Der  Anfall  begauQ  mit  Drehung  des  ganzen 
Körpers  nach  links.  Dann  Zuckungen  sowohl  im  Rumpf  wie 
in  den  Gliedmaassen.  Der  rechte  Arm  steif.  Das  (Besicht  war 
bleich,  die  Augen  stierend.  Keine  Schiefheit  des  Gesichtes. 
Nach  5  Minuten  horten  die  Zuckungen  auf,  nach  noch  3  —  5 
Min.  kam  das  Bewusstsein  zurück. 

4  Uhr  Nachm.  Eigenthümliche  Empfindung  ///  der  linken 
Hand,  (bleich  darauf  fingen  Zuckungen  in  den  Fingern  an  und 
dann  im  Handgelenk,  weiter  im  linken  Fuss  und  im  Knie,  und 
endlich  stieg  die  ängstliche  Empfindung  bis  zur  Herzgegend  auf, 
gleich  wie  vor  der  Operation. 


^"/e.  Ab  und  zu  Schmerzen  im  linken  Unterarm  und  in 
den  Handgelenken,  sowie  im  linken  Unterschenkel  und  im  Fuss- 
gelenk.   In  der  Nacht  auch  Schmerzen  unter  der  linken  Mamma. 

Sensibilität.  Herabgesetzt  links  am  Halse,  im  Arm  und 
Bein.  Betasten  ruft  eine  kitzelnde  oder  reizende  Emjjfindung 
über  ein  grösseres  Gebiet  ausgebreitet  hervor.  Kann  die  Be- 
rührung ni<:ht  genau  lokalisiren. 

Schmerzsinn :  herabgesetzt. 

^'/(i.  Anfall  während  '/^  St.  Begann  mit  Vertaubung  wom 
linken  Fusse  bis  zum  Knie  herauf  Keine  Zuckungen  im  Beine, 
aber  klonische  Zuckungen  der  Finger. 

Fat.  giebt  an,  dass  sie  bei  Bewegungen  des  linken  Arms 
Schmerzen  im  Kopf  auf  der  rechten  Seite  bekommen  hat.  So 
auch  beim  Gehen. 

^^'/e.    Der  Prolaps  fluktuirend. 

^/t.  Stauungspapille  im  rechten  Auge;  die  Cxrenzen  diffus 
am  meisten  nach  oben  und  innen. 

Im  Juli  und  August  1893  hatte  Fat.  nur  einzelne  Anfälle; 
bisweilen  nur  die  prodromalen  Farästhesien  ohne  Zuckungen. 
I  mal  um  i  Uhr  Zuckungen  in  den  Fingern  links :  um  3  Uhr 
Zuckungen  im  linken  Fuss  und  Bein.    Sonst  allgemeine  Besserung. 

^/i).    Fat.  kann  mit  der  linken  Hand  Handarbeit  ausführen. 

Im  Oktober  und  November;  nur  i  leichter  Anfall. 

^/ii.  Hörte  Stimmen  (Gehörshallucinationen).  Anfall  mit 
Verlust  des  Bewusstseins.  Fiel  um.  Krampfhafte  Zuckungen  in 
der  rechten  Seite  (CJesicht.  Arm  and  Bein),  Augenablenkung  nach 
rechts,  dann  Kram[)f  links  im  (lesicht.  Lachte;  war  steif  im 
Körper.  Nach  dem  Anfalle  schwere  Kopfschmerzen,  Frieren. 
Erbrechen. 

■  ^/ii.    Keine  hemiopische  Pupillenreaktion. 

.■*/!].    Schmerzen  im  Rücken  und  im  rechten  Arm. 

^/ii.  Schwere  Schmerzen  im  rechten  Arm  und  u/iter  den 
Ohren,  wie  auch  im  linken  Arm;  diese  Schmerzen  sind  nach 
Angabe  anderer  Natur  als  die  im  rechten  Arm. 

^'/ii  —  ''/i^'  Schmerzen  in  dem  Rücken,  beiden  Armen 
und  in  den  Beinen  besonders  rechts,  abwechselnd  mit  schmerzfreien 
Intervallen. 

'^/u.  Parästhesie  im  linken  Fuss  aufwärts  mit  Zuckung  in 
der  linken  Hand. 

^"/n.  II.  Stauungspapille  besteht  noch.  III.  Keine  Doppel- 
bilder.   Kann  längere  Zeit  lesen  als  früher. 

V.  Sensibilität.  Im  Ciesicht  ein  wenig  besser  rechts  als 
links.    Rechte  Wange  wärmer  als  die  linke. 

VIII.  Gehör  links.  Hört  die  Taschenuhr  links  auf  i  m., 
rechts  auf  1.20  m. 

XII.    Leichte  Abweichung  nach  links. 

Sensibilität  links  (Tast-  und  Temperatursinn)  etwas  herab- 
gesetzt.   Muskelsinn  normal. 

Motilität.    Fat.   drückt  mit  der  linken  Hand  recht  kräftig. 

(iang  recht  sicher,  aber  etwas  hemiplegisch. 

'^'^In.  Morgens.  Hörte  Läuten  vor  den  Ohren  ;  gleichzeitig 
Anfall  von  Schweiss. 

^'"^/n.  Beim  Erwachen  unruhig  und  übel.  Nach  2  Stunden 
trat  ein  gelinder  Anfall  ein:  es  wurde  ihr  still  vor  den  Ohren, 
Neigung,  sich  nach  den  Seiten  hin  zu  drehen,  die  Augen  drehten 
sich;  Schwindelgefühl,  starkes  Schwizten  und  Hitzegefühl  am 
Kopf;  keine  Zuckungen. 


ZUR  EXSTIRPATION  DER  HIRNTUMOREN 


201 


Eine  Stunde  später  auch  unangenehme  Empfindungen. 
Später  Stechen  im  linken  Fuss  und  Bein. 

^/i2.  Schmerzen  im  linken  Fuss  und  Bein  sowie  Kopf- 
schmerzen. 

^^/i2.  Morgens.  Parästhesien.  Später  Anfall.  Die  Beine 
wollten  sie  nicht  tragen,  sie  fiel  auf  ein  Bett  hinüber.  Es  wurde 
ihr  dunkel  vor  den  Augen  und  still  vor  den  Ohren.  Dann 
Schuttelgefühl  im  Bauche,  in  der  Brust,  im  Rücken,  Hals  und 
Nacken;  nicht  in  den  Gliedern. 

^^/i2.  Im  Ganzen  fühlte  sich  Fat.  sonst,  in  der  letzten 
Zeit  gut  und  besser  als  vor  der  Operation  und  ihre  Besserung 
ist  seitdem  stetig  fortgeschritten. 

1894.  "/i.    Seit  dem  '^/i2  ist  das  Befinden  gut. 

^'/i.  Kopfschmerz,  Anfall  von  Schwäche  im  linken  Arm. 
Fat.  wollte  nach  links  fallen;  dann  Anfall  von  Herzklopfen 
während  einiger  Stunden. 

^^/i.  Vorboten  vom  Anfall:  Dunkelwerden  und  Stille,  aber 
der  Anfall  blieb  aus. 

^^/i.    Augenhintergrund  atrophisch.  Die  Venen  verschmälert. 

^'/i.  S.  R.  =  0.5.  S.  L.  -  0.6.  Koncentrische  Einschrän- 
kung der  Gesichtsfelder  an  beiden  Augen. 

^"/i.  Der  Gang  ist  besser  als  vor  i  Jahre.  Vertaubung 
in  der  linken  Hand. 

*/2.  Zuckungen  in  der  linken  Seite  nach  Anstrengung: 
sie  begannen  im  linken  Fuss  und  schritten  bis  in  die  Finger 
fort,  keine  Zuckungen  im  Gesicht.  Bei  vollem  Bewusstsein. 
Keine  Störung  der  Sensibilität.  Fat.  konnte  nach  dem  Anfalle 
das  Bein  nicht  aufheben;  es  schleppte  beim  Gehen  nach.  Den 
Zuckungen  folgte  schweres  Herzklopfen  nach.  Kopfschmerz. 

Abend  um  7  Uhr  neuer  Anfall  gleicher  Art. 

^^/2.    Linke  Pupille  reagirt  nicht  so  kräftig  wie  die  rechte. 

^^/2.    Kopfschmerzen  über  den  Augen. 

^''/2.    I.    Geruch  links  herabgesetzt. 

III.    Kein  Strabismus.  Doppelbilder. 

V.    Sensibilität  herabgesetzt  links  im  Gesicht. 

Die  Sensibilität  vermindert  im  Arm  und  Bein, 
^/s.    Anfall  von  Unruhe  mit  Parästhesien  im  linken  Bein. 
Kopfschmerzen. 

'*/3.  —  ^'^/i.    Bisweilen  Kopfschmerzen.    Kein  Anfall. 

^^ji.    Das  linke  Bein  unsicher,  schwächer  als  früher, 
^/ö.    Ophthalmoskopisch:  beiderseits  Atrophie  mit  Stauung. 

^'/s.    Parästhesien  in  der  linken  Seite. 

^^/d.    Allgemeinzustand  im  Ganzen  gebessert. 

Die  Sensibilität  der  linken  Cornea  herabgesetzt  (wie  im 
Gesicht).    S.  R.  0.6.  S.  L.  0.4  —  0.5. 

Sommer  18Q4. 

'^/c.  Epileptischer  Anfall  mit  Schrei,  Zuckungen  und  Be- 
wusstseinsverlust. 

'''^/g.  Abortiv-Anfall.  ^/s.  Gelinder  Anfall  mit  linksseitigen 
Zuckungen,  gelbe  Ringe  vor  dem  linken  Auge. 

Sonst  der  Zustand  im  Sommer  gut,  Fat.  war  auf  und 
hielt  sich  im  Freien,  auf. 

'^/g.  Morgens.  Anfall  mit  Schwäche  im  linken  Bein  und 
gefärbten  Ringen  vor  den  Augen.  Nachm.  Linksseitige  Zuckungen. 

^■^/o.  ^/lo.  ^^/lo.  ^^/ii.  Gelinde  Anfälle  verschiedener  Art 
ohne  Verlust  des  Bewusstseins. 


Ausgebildeter   epileptischer   Anfall   mit  Zuckungen 
im  ganzen  Körper. 

Status  in  der  letzten  Hälfte  des  November  iSp4. 
Fat.  hat  viele  Träume. 

Aligemeinzustand  und  die  subjektiven  Sym]jtome  wie  früher. 
Kranialnerven.    I.    Wie  früher. 

II.  Wie  früher.  Fat.  sieht  oft  gefärbte  Ringe  gewöhnlich 
von  violetter  Farbe;  sie  erscheinen  von  der  rechten  Seite. 

III.  IV.  V.  VI.    Wie  früher. 

VII.  Augenfacialis  links  kaum  paretisch,  wie  die  übrigen 

Äste. 

VIII.  Links  etwas  vermindertes  Gehör. 
IX— XI.    Ohne  Störung. 

XII.    Zunge  weicht  nach  ree/its  ab. 

Sensibilität  und  Motilität  wie  früher.    Fat.  ist  auf. 

Im  November  und  December  nichts  Besonderes,  ausgenom- 
men einige  Anfälle  zu  Weihnachten. 

1895.  Januar.  Liegt  oft  auf  dem  Bette.  ^''\\.  ^-'ji.  ^''ju 
^"li.    Gelinde  Anfälle. 

Februar.  Oft  Kopfschmerzen.  Bei  einer  gründlichen  L^nter- 
suchung  am  ^^/2.  wurde  nichts  Neues  wahrgenommen,  mit  Aus- 
nahme davon,  dass  die  Motilität  vermindert  war;  Fat.  geht  nur 
mit  Schwierigkeit. 

März.  Oft  Kopfschmerzen,  ■^"/a.  3  heftige  Anfälle  mit 
Zuckungen  in  der  linken  Seite,  ohne  Verlust  des  Bewusstseins. 

'^'/a.  Schwere  Kopfschmerzen,  ^^/s.  2  Anfälle:  auch  Zue- 
kungen  im  rechten  Bein. 

April.  Anfall,     ^'/■i-     Anfall    in   der   rechten  Seite, 

von  Lichterscheinungen  begleitet,  ^^/i.  Schwindelanfall.  Sonst 
oft  Kopfschmerzen  und  selbst  Erbrechen. 

Mai.  Nach  Aufenthalt  im  Bette  während  3  Monaten 

stellt  Fat.  heute  auf. 

Status.    Anfang  Mai  iS^ß. 

Fat.  ist  auf  und  hält  sich  meistens  im  Freien  auf. 

Intelligenz  gut.    I.    Geruch  beiderseits  herabgesetzt. 

IL  Sehschärfe  L.  =  0.8.  R.  =  0.7.  Koncentrische  Ein- 
schränkung der  (lesichtsfelder. 

Augenhintergrund:  Papillen  atrophisch,  nicht  geschwollen. 
Weisse  Flecke  in  der  Umgebung  der  Papillen. 

III.  IV.  VI.    Nichts  Besonderes. 

V.    Keine  deutliche  Anästhesie  links. 

VII.  Keine  deutliche  Parese. 

VIII.  Oft  Sausen  vor  dem  linken  Ohre.  Gehör  links  etwas 
herabgesetzt. 

IX— XII.    Nicht  Besonderes. 

Sensibilität:  links  verminderte  Sensibilität  im  Arm  und  Bein. 
Muskelsinn  normal. 

Motilität:  ausgeprägte  Parese  im  linken  Arm  und  Bein. 

Vasomotorische  Veränderungen:  starkes  Schwitzen  an  der 
linken  Seite. 

Der  linke  Radialpuls  schwächer  als  der  rechte. 
"/ö.    Gelinde  Anfälle. 

Die  während  des  Frühlings  eingetretene  Besserung  hielt  bis 
zur  Johanniszeit  an.  Dann  musste  Fat.  von  Neuem  das  Bett 
hüten,  da  sie  sich  matt  fühlte. 

Der   Kopfschmerz  fehlte  nie  ganz,  aber  gewöhnlich  war  er 


202 


S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


einige  Tage  gelinde,  um  dann  einige  Tage  sehr  belästigend  zu 
werden.  Er  fängt  gewöhnlich  im  Nacken  an  und  ist  von  Uebel- 
keit  und  Erbrechen  begleitet:  hat  jedoch  den  Schlaf  nicht  gestört. 

Anfälle  von  Zuckitiigcu  sind  mit  einer  /.wischenzeit  von 
1  —  2  Wochen  eingetroffen.  Sie  fangen  mit  Parästlicsicn  im 
linken  Fuss  an.  wonach  kleine  Zuckungen  beginnen,  welche  sie  h 
nach  oben  in  das  Bein,  in  die  linke  Rumjjfhälfte  und  bisweilen 
in  den  linken  Arm  ausbreiten.  Immer  waren  diese  Zuckungen 
von  ]'c)-taiibinig  und  Schlaffheit  im  linken  Arm  begleitet.  Drei- 
mal sind  auch  Zi/ckti/igc/i  im  rcciücii  Bein  vorgekommen.  Die 
hier  auftretenden  Parästhesien,  welche  den  Zuckungen  vorher- 
gegangen sind,  waren  stärker  und  dauerten  länger  als  in  der 
linken  Seite.  Sie  fingen  immer  in  den  Zchcii  an  und  Pat.  hatte 
die  Emi)findung.  als  ob  man  sie  gcdriickt  und  gezerrt  hätte, 
(ileich  nachher  hatte  sie  ein  (ieftihl  von  Kälte,  welches  sich 
nach  oben  ausbreitete,  jedoch  wenig  in  die  Arme.  Die  Zuckungen 
waren  rechts  auf  Fuss  und  Unterschenkel  begrenzt.  Die  Anfälle 
waren  von  kurzer  Dauer,  einige  Minuten,  und  hörten  in  demsel- 
l)en  Augenblick  auf.  in  dem  sie  ihr  Maximum  von  Stärke  er- 
rei(  ht  hatten.  Bi.sweilen  wiederholten  sich  die  Anfälle.  Sie 
traten  auch  an  den  Tagen,  an  denen  kein  Kopfschmerz  vor- 
handen war.  auf.  aber  Kopfschmerz  folgte  ihnen  nach. 

Pat.  war  bei  den  Anfällen  immer,  einmal  im  August  aus- 
genommen, bei  vollem  Bewusstsein.  Abnorme  LicIiterseJu'iniiugcii 
erschienen  einige  Male  in  den  Anfällen.  Diese  wurden  durch 
Gemiithsaffekte  in  Folge  von  Freude  oder  A'erdruss  hervorgerufen. 

Ueber  die  Anfälle  ist  Folgendes  aufgezeichnet. 
*/c.    Abends   2   starke  Anfälle,     ^"/c.    Abends  2  Anfälle. 
Vorm.    Anfall.    Nachts  Anfall  in  der  rechten  Seite, 
wie    ol)en  beschrieben,  Photosphciie.  Pulskurven  ähnlich,  erst  als 
gelbe  gerade,  dann  gekreuzte  Linien;  (dauerten  eine  Weile). 

20/6.  Abortivanfall  links.  Anfälle  ^''/c.  ^7.  ^/t.  (mehrere) 
^V'-  rechts  mit  rechtsständigen  Lichterscheiniingcn.  Nachher  Ver- 
taubung  des  rechten  Beines. 

^V'-  Anfall  links;  am  meisten  im  y\rme.  auch  im  Augenlid 
während  2  Stunden. 

^"/s.    Anfall.    25/8.    Anfall  links  und  rechts,    ^^'/s.  Anfall. 

^^/s.  Kopfschmerz  und  Erbrechen,  ^'/o.  Anfall  links,  '^'/o. 
Pat.  war  auf,  Schwindel  mit  Erbrechen. 

Status  praesens  20.  — 25.  Sept.  1895. 

Die  Körperfülle  wie  im  Frühling.  Die  Kräfte  herabgesetzt; 
wird  leicht  müde  und  schwindelig.  Sonst  Allgemeinzustand 
recht  gut. 

Die  GescJrd'ulst  am  Kopfe  hat  nicht  wesentlich  zugenommen: 
misst  in  ihrer  halben  Flöhe  etwa  9  cm.  in  der  Sagittalrichtung, 
6,5  cm.  in  der  Breite:  1.5  —  2  cm.  in  der  Höhe.  Die  Konsistenz 
ist  weich  und  fluktuirend,  ziemlich  gleichförmig,  etwas  fester 
nach  hinten  als  vorn. 

Psyche  wie  früher  ganz  klar;  Ausdruck  intelligent,  aber 
etwas  gedrückt.    Keine  Form  von  Apliasie. 

Kranialnerven.  I.  Genuh  wie  früher  herabgesetzt. 
Empfindet  nicht  Terpentin  oder  Nelkenöl,  dagegen,  obschon 
schwach,  Eau  de  Cologne  und  Kami^hersiuritus;  kann  diese  nicht 
unterscheiden. 

II.    S.   ist  vermindert,  links  0.6.  rechts  0.4  (in  Mai  0.8  — 


0.7).  Gesichtsfeld :  ungefähr  wie  im  Frühling.  Die  Farbenfelder: 
vermindert. 

Aiigenhintcrgnnid :  Die  Papillen  von  blauweisser,  glänzender 
Farbe,  nicht  angeschwollen:  ihre  Grenzen,  besonders  nasalwärts, 
diffus.  Die  Arterien  schmal,  die  Venen  erweitert,  geschlängelt 
und  wie  herabgesenkt.  In  der  Nähe  der  Papillen  kleine  weisse 
glänzende  Herde. 

Gesielitshallucinationeu  erscheinen  bisweilen,  und  zwar  nach 
rechts.  Pat;  sieht  bisweilen  nur  »halbe  Mensehen» ,  und,  wie  sie 
glaubt,  sieht  sie  die  rechten  Hälften  der  Menschen,  ist  jedoch 
nicht  sicher,  da  die  Erscheinungen  etwas  dunkel  sind. 

III.  IV.  VI.  Augen-  und  Pupillenbewegungen  normal. 
Keine  hemiopische  Pupillenreaktion.  Die  Pupillen  reagiren  auf 
Licht  imd  bei  der  Accommodation. 

V.  VII.  Normal. 

VIII.  Vermehrte  Gehörschärfe.  Hört  eine  Taschenuhr 
links  auf  140  cm.  und  rechts  auf  iio  cm.  Hört  Sausen  und 
Pfeifen. 

IX.  (ieschmack.  Empfindet  deutlich  Süsses,  Saures,  Salziges 
und  Bitteres.  Kein  Unterschied  an  den  Ijeiden  Hälften,  weder 
an  der  Basis  noch  an  der  Spitze. 

IX.  X.  XI.  Das  Schlucken,  das  Athmen  und  die  Stimme 
normal, 

XII.    Die  Zunge  weicht  etwas  nach  rechts  ab. 
Spinalnerven. 

Sensibilität. 

Rechts  normal. 

Links  bedeutend  herabgesetzt. 

Drueksinn :  empfindet  links  die  Berührung  mit  einem  Papier- 
streifen, aber  die  Empfindung  ist  diffus  und  unbestimmt.  Kann 
die  Cregenstände  nicht  erkennen. 

Ortsinn:  kann  einen  Eindruck  weder  am  Arm.  noch  am 
Bein  lokalisiren. 

Aluskelsinn :  kann  die  Lage  der  Glieder  nur  unsicher  be- 
stimmen. 


ZUR  EXSTIR-PATION  DER  HIRNTUMOREN  203 


Motilität. 

Rechts  normal. 

Links  bedeutend  vermindert.  Die  Bewegungen  des  linken 
Arms  und  Beins  sind  sehr  unsicher  und  langsam.  Fat.  kann 
den  linken  Arm  ausstrecken,  aber  schwach.  Kann  nicht  einen 
Gegenstand  fassen  und  greift  fehl.  Die  gröberen  Bewegungen 
finden  sich  noch  vor. 

Bein:  Die  Bewegungen  etwa  wie  die  des  Armes  beschränkt, 
und  zwar  besonders  die  des  Fusses.  Beim  Versuch,  die  Zehen 
zu  bewegen,  entstehen  Mitbewegungen  in  den  linken  Fingern, 
ohne  dass  Fat.  es  verhindern  kann. 

T  a  g  e  s  n  o  t  i  z  e  n. 

^"/g.  Nach  vorhergegangenen  Parästhesien  ein  Anfall  von 
Zuckungen  im  rechten  Fuss,  welche  sich  bald  bis  zum  Hals 
verbreiteten.  Gefühl  von  Ersticken  und,  als  ob  sie  aus  dem  Bette 
fallen  wollte.  Da  die  Zuckungen  an  Stärke  zunahmen  und  sehr 
schmerzhaft  waren,  wurden  Chloroforminhalationen  angewendet, 
doch  nicht  bis  zum  Verlust  des  Bewusstseins,  wodurch  die 
Schmerzen  vermindert  wurden.  Die  linke  Fupille  wurde  etwas 
grösser  als  die  rechte.  Keine  hemiopische  Reaktion.  Die  Ge- 
sichtsfelder waren  nicht  mehr  eingeschränkt  als  sonst.  Die  Sensi- 
bilität de)'  rechten  Seite  äusserst  herabgesetzt,  am  meisten  am  Fuss, 
wo  Fat.  nicht  empfand,  wenn  man  sie  mit  der  Hand  fasste  oder 
Bewegungen  ausführte.  Das  Bewusstsein  die  ganze  Zeit  völlig 
klar.    Am  Mittag  erneuerter  Anfall. 

Vio  und  ^/lo.  Rechtsseitige  Anfälle.  Harninkontinenz  und 
Decubitus.  Aus  der  Hernie  werden  45  c.c.m.  klarer  seröser  Flüssig- 
keit ausgeleert. 

Vio.    Fat.  hat  sich  erholt. 

Sensibilitätspriifiingen.  Gesicht:  Fat.  empfindet  beiderseits 
die  Berührung  einer  Scheibe  Hollundermark  von  i  m.g.  an 
der  Stirn  und  am  Halse  von  6  m.g. 

Rechts.  Arm:  Oberarm  6  m.g.,  Unterarm  und  Hand-Dorsal- 
seite I  m.g.,  Volarseite  6  m.g. 

Rumpf  6  —  8  m.g. 

Bein  am  Schenkel  6  m.g.;  Fuss  10  m.g. 

Links:  Erst  70—100  m.g.  werden  empfunden  (am  besten 
am  Arm,  am  schlechtesten  am  Fusse). 

Die  faradocutane  Sensibilität  verhält  sich  ebenfalls:  rechts 
normal,  links  vermindert. 

Prüfung  mit  Dynamometer:  rechte  Hand  8.5  k.g.,  linke  9 
k.g.    Die  rechte  war  vor  dem  ^°/ü  bedeutend  stärker. 

Die  rechtsseitigen  Glieder  sind  1—3  cm.  dicker  als  die 
linksseitigen. 

"/lo.  Allgemeinzustand  wesentlich  verbessert  und  wie  vor 
dem  30/9. 

''/lo.  Nach  der  Funktion  der  Hernie  ist  der  Kopfschmerz 
gebessert.    An  demselben  Tage  linksseitiger  Anfall. 

-/ii.  Anfall  von  Schwindel.  Fühlte  sich  ganz  taub.  Ge- 
fühl von  Fallen  durch  das  Bett,  und  nachher  das  Gefühl,  als  ob 
sie  »aufrecht,  zwischen  Bretter  eingschlossen,  stände». 

"/n.  Kopfschmerz.  '^',\\.  Kopfschmerz  mit  rechtsseitigem 
Anfalle  vom  Fusse  aus.    '"/n.    Rechts  Anfall. 

'^/ii.  Gewaltsame  Zuckungen  im  rechten  Beine.  Gefühl 
von  Fall,  schrie  nach  Hilfe.    Erneuerter  Anfall  rechts.  Chloro- 

S.  E.  Henschen.    Pathologie  des  Gehirus. 


forminhalationen.  Dann  Punktion  der  Geschwulst.  7  c.c.m.  aus- 
geleert.   Besserung  und  der  Kopfschmerz  gelinder. 

^^/ii.  Fühlte  sich  schwindelig  und  plötzlich  taul>  mit  Kopf- 
schmerz.   Der  rechte  Ann  hat  geschmerzt  und  tvar  unruhig. 

Starker  Anfall  während  Stunde  mit  Verlust  des 
Bewusstseins.  Die  Zuckungen  waren  am  stärksten  rechts,  aber 
auch  links  vorhanden. 

^o/u.    Kurzer  Anfall  im  rechten  Bein;  gleich  darauf  schwerer 
Kopfschmerz  mit  dem  Gefühl  von  Druck  unter  dem  rechten  Fusse. 
^/i2.    Schwerer  Kopfschmerz  mit  Uebelkeit. 

^/i2.  Schmerzen  im  rechten  Fussgelenk.  Sie  erzählt,  dass 
sie  beim  Erwachen  vor  einigen  Tagen  von  Geruchshallucinationen 
belästigt  war:  »gleichzeitig  von  2  ekeligen,  sehr  peinlichen  Ge- 
rüchen». In  Folge  dessen  wurde  der  Geruch  geprüft,  und  es 
wurde  gefunden,  dass  Fat.  Terpentinöl,  Nelkenöl,  Kampherspiritus, 
Eau  de  Cologne  und  Ammoniak  nicht  unterscheiden  konnte, 
dass  aber  die  2  letzten  »ihr  in  die  Nase  stachen». 

Die  Sensibilität  wurde  genau  geprüft  und.  wie  früher,  be- 
deutend herabgesetzt  gefunden. 

Motilität:  gelinde  Parese  der  linken  Gesichtshälfte. 

^/lä  —  ''/12.  Kann  die  linksseitigen  Finger  nicht  bewegen. 
Linke  Pupille  etwas  grösser  als  die  rechte.  Abends  ''/12  wurde 
Fat.  von  intensiven,  in  der  dorsalen  Fläche  der  rechten  grossen 
Zehe  lokalisirten  Schmerzen  geplagt. 

'/12.  Hatte  im  Bade  einen  Schwindelanfall  und  die  Emp- 
findung als  ob  sie  »nach  unten  fallen»  und  »aus  der  Wanne 
kippen»  sollte.  Der  Anfall  wurde  von  gleichen  Geruchshallu- 
cinationen, wie  in  der  vorigen  Woche,  eingeleitet.  Das  Bewusst- 
sein war  nicht  ganz  klar.  Keine  Zuckungen,  aber  L.iruhe  im 
rechten  Bein.  Kopfschmerz  und  Uebelkeit.  Puls  84.  Linke 
Fupille  vergrössert. 

^/i2.  Fat.  hatte  eine  sehr  deutliche  Gesichtsliallucination 
im  rechten  Gesichtsfelde ;  Fat.  sah  einen  grossen  weissen  Hund 
nacn  rechts  vom  Bette  hervorhüpfen.  Einige  Stunden  später 
schwache  Zuckungen  im  rechten  Beine,  welchen  Schmerzen  im 
rechten  Fusse  vorhergingen.  Die  Pupillen  gleich  gross,  reagiren 
normal. 

^/i2.  I  Anfall  von  Schwindel,  i  von  Zuckungen.  Bei 
dem  ersten  hatte  sie  eine  gleiche  Geruchshallucination  wie  früher, 
Kopfschmerz  und  Übelkeit,  schrie  nach  Hülfe  und  verlor  das 
Bewusstsein.  Keine  Zuckungen.  Einige  Stunden  später:  Anfall 
von  Zuckungen.  Fat.  verlor  gleich  das  Bewusstsein,  schrie,  hatte 
Zuckungen  im  ganzen  Körper,  am  meisten  im  rechten  Arm  und 
rechten  Bein.  Starke  Kaubewegungen,  die  Augen  nach  oben 
gerichtet.  Den  ganzen  Tag  war  Fat.  müde  und  hatte  Geruchs- 
hallucinationen.   Pupillen  normal. 


27 


204  S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


.  *"/i2.  Gesichtsfeld:  die  linken  Hälften  eingeengt  (s.  Karte 
1)  und  schwierig  zu  bestimmen. 

^■^12.  Am  Morgen  leichte  Zuckungen  im  linken  Beine,  von 
GenichshaUiiciuationcii  eingeleitet.  Später  Schwitzen  imd  Frieren. 
Ein  zweiter  Abortivanfall.  Den  ganzen  Tag  Gentclisliallucina- 
tioncn.  Das  linke  Bein  unruhig.  Am  Nachmittag:  ein  lang- 
wieriger Anfall  in  der  rechten  Seite  von  Gefühl  von  Druck 
unter  den  Zeiten  des  reeJifeu  Fusses,  wonach  die  Zuckungen  sich 
liach  oben  bis  zu  den  Halsmuskeln  verbreiteten,  (lesicht  ver- 
schont, aber  die  linke  Seite  nahm  daran  auch  Teil.  Fat.  fühlte 
während  des  Anfalles  schwere  Se/inierzc/i  nach  innen  ///  die  Brust 
und  den  Baucli  emstrahlend,  sowie  auch  Schmerzen  im  K()i)f 
(rechte  Hälfte).  Der  Anfall  dauerte  i  Stunde,  aber  Fat.  blieb 
bei  Bewusstsein. 

Der  Unke  Ann   ist  in  den  letzten  Wochen  verschlimmert. 

Motilität  jetzt  fast  vollständig  weg;  nur  die  Beugung  ist 
noch  vorhanden,  imd  diese  »verursacht  Schmerzen  in  der  (Ge- 
schwulst». 

Die  Sensibilität  auch  verloren  gegangen.  10er  Muskelsinn 
auch  vollständig  verloren.  Jedoch  ist  die  Empfindlichkeit  für 
den  elektrischen  Strom  erhöht,  und  Fat.  kann  ihn  links  nicht 
so  gut  wie  rechts  ertragen.  Die  Muskeln  reagiren  auch  auf  den 
Strom.    Der  linke  Radialispuls  schwächer  als  der  rechte. 

^''/i2.  Unruhe  und  Schmerzen,  besonders  in  der  rechten 
grossen  Zehe  (an.  der  Dorsalseite). 

''/i2.  Die  Sensibilität  im  rechten  Arm  und  rechten  Bein 
gut,  links  schwach,  im  Arm  verschwunden. 

"'*/i2.  ScJimerzen  im  rechten  Quintusgeluete .  wie  im  Auge 
und  in  der  Augengegend,  im  Gehörgange. 

Linkes  Facialisgebiet  paretisch. 

^Vi-'.  2  leichte  Anfälle  rechts;  der  er.ste  begann  mit 
Druckgefi/hl  unter  den  Zehen,  und  ihnen  folgten  Vertaubung  und 
Kälte  im  rechten  Beine.  Das  rechte  Bein  und  der  rechte  Fuss 
sind  auch  kalt. 

Der  2.  Anfall  bestand  in  Augenablenkung,  Zuckungen  in 
den  Nacken-,  Gesichts-  und  Kaumuskeln. 

Am  Morgen  2  neue  Anfälle  mit  Kopfschmerz,  GcrucJisliallu- 
cinationen,  Augenablenkung  nach  oben,  Erröthen  und  Erbleichen 
des  Gesichts.    Der  Puls  ungleichntässig.  Scliwitzen. 

^Vi2.  Besserung. 

Sensibilität.  Am  linken  Beine:  Tast-,  Ort-  und  Tempera- 
tursinn verloren,  Schmerzsinn  erhalten. 

Die  Motilität  auch  fast  verloren.  Beim  Versuche,  den  Fuss 
zu  bewegen,  wurde  das  rechte  Fussgelenk' bewegt. 

Fatellarreflex  sehr  verstärkt,  auch  Dorsalklonus. 

^**/i2.  Kurzer,  von  Druckem-jjfindung  unter  den  Zehen  ein- 
geleiteter Anfall. 

1896  ^/i.  Schwerer  Kopfschmerz  und  Gcruchsh  aliud  na  tionen 
wie  früher.  Schlaff. 

'■/i.  Kurzer,  von  Druckempfindung  unter  den  Zehen  und 
nach  oben  zu  eingeleiteter  Anfall  von  Zuckungen  im  rechten 
Beine:  auch  das  linke  Bein  an  den  Anfall  mit  geteiligt. 

Die  Farese  der  linken  Gesichtshälfte  Ende  December 
verschwunden. 

Der  Mund  heute  schief. 


Kr a7iial nerven.    L    Geruch  ist  weg. 

II.  Linksseitige  Hemianopsie  S.  L.  wie        1895.   S.  R.  0.2. 

III.  IV.  VI.  Normal. 

V.  Sensibilität  (Tast-  und  Ortsinn)  bedeutend  herabgesetzt 
links.    Temperatur-  und  Schmerzsinn  unversehrt. 

VII.  Links  Farese.  auch  im  (iaumen. 

VIII.  Gehör  gut. 

IX.  Cieschmack  vielleicht  schlechter  als  ^°|':).  Saures,  Sal- 
ziges werden  nicht  unterschieden,  vielleicht  jedoch  besser  links 
als  rechts. 

XII.    Deviation  nach  links.     Linke  Zungenhälfte  schlaffer, 
■'/i.     Ortsinn  im  (Besicht  beiderseits  normal  und  gleich. 


'"/i.  Die  Perimeterkarten  (II),  welche  7  Stunden  vor  und 
7  Stunden  nach  dem  Anfalle  aufgenommen  wurden,  hatten  dieselbe 
Form  und  Ausdehnung.  Druckempfindungen  unter  den  Zehen  des 
rechten  Busses,  später  Zuckungen  vom  Fusse  bis  zum  Hals  aus- 
gebreitet. Auch  nach  innen  ///  die  Brust  einstrahlende  Schmerzen, 
welche  Athemnoth  hervorriefen.  Die  Arme  zuckten  fast  nicht. 
Volles  Bewusstsein. 

Abends.  Kurzer  Anfall  von  Zuckungen  im  rechten  Fuss 
und  Bein  nach  vorhergegangenem  Gefühl  von  Druck.  Die 
Zuckungen  waren  Flexions-  und  Extensionsbewegungen,  wobei 
die  Flexionen  üljerwogen;  dann  erst  begannen  Flexionsbewe- 
gungen. 

'^/i.    L.  Pupille  erweitert.  Resp.  16.  Puls  120.  ■"'/i. 

Müde.    Patellarreflexe  verschwunden. 

Matt,   spricht  deutlich  und  klar.    Resp.  13.    F.  70. 
Fat.  starb  diese  Nacht  so  stille,  dass  Niemand  es  bemerkte. 

Sektion  '-'/i  iSgö,  von  Dr.  A.  IVestberg. 
Die  Beschreibung  des  Ciehirns  vom  Verf. 
Kojfi. 

In  der  rechten  Scheitelgegend  gleich  an  der  Mittelinie  ragt 
eine  Geschwulst,  von  der  Grösse  einer  halben  Orange  aus  dem 
Gehirn  durch  den  Schädel  hervor.  Nach  dem  Ablösen  der  die 
Geschwulst  bedeckenden  VVeichteile  vom  Rande  der  Schädel- 
öffnung kann  die  Tumormasse  durch  diese  passiren.  Die  Kalotte 
wird  übrigens  von  der  Dura  ohne  Schwierigkeit  gelöst. 

Die  Trcpanöffnung  liegt  im  rechten  Scheitelbeine,  hat  ovale 
Form  von  vorn  nach  hinten,  misst  6  +  3  c.m.  Ihr  vorderer 
Rand  liegt  3  c.m.  hinter  der  Sutura  coronalis,  der  hintere  4.5 
über  und  nach  vorn  von  dem  Hinterhauptsbein.  Die  Ränder 
sind  ziemlich  glatt  und  abgerundet.  Die  Kalotte  ist  übrigens 
von  normaler  Form  und  an  der  Innenseite  etwas  rauh.  Medial 
und  etwas  (2.5  c.m.)  nach  hinten  von  der  Tre})anöffnung  findet 
sich  in  der  Mittellinie  ß«  der  Linenseite  des  Schädels  eine  Ge- 


ZUR  EXSTIRPATION  DER  HIRNTUMOREN 


205 


schzviihtmasse,  welche  mit  breiter  Basis  an  dem  Sulcus  longi- 
-tudinalis  verwachsen  ist  und  eine  Höhe  von  2.5  cm.  hat.  Die 
Konsistenz  ist  ziemUch  fest  und  die  Farbe  grauweiss;  die  Ober- 
fläche fetzig,  gewölbt,  und  deutlich  durch  Bersten  von  der  Hirn- 
geschwulst abgerissen.  Die  Tabula  interna  in  der  Umgebung 
der  Geschwulst  ist  bis  zur  Trepanationsöffnung  kleinhöckerig. 

Die  Dura  mater  ist  über  die  Geschwulst  ausgespannt  und 
hier  narbig;  sonst  dünner  als  gewöhnlich.  Die  Innenseite  dilnn 
und  trocken.  Der  Sinus  longitudinalis  ist  in  seinem  vorderen 
Abschnitt  leer,  der  hintere  mündet  in  eine  von  der  Geschwulst- 
masse zum  Teil  ausgefüllte  Kavität. 

Die  Dura  ist  an  der  Basis  in  der  Fossa  media  und  am 
Orbitaldache  mit  zahlreichen  kleinen  festen  Knötchen  (Ge- 
schwülsten) besetzt,  welche  auch  auf  der  ventralen  Fläche  des 
Gehirns  (Temporallappen  und  Frontallappen)  mehrere  Impres- 
sionen hervorgerufen  haben  und  die  Dura  mit  dem  Gehirn  zusam- 
mengelöthet  haben. 

Auch  an  den  Ganglien  Gasseri  finden  sich  viele  solche 
Knötchen,  welche  mit  der  verdickten  Dura  die  Ganglien  umgeben. 

In  Folge  des  Drucks  des  vergrösserten  Gehirns  finden 
sich  an  der  Basis  des  Kraniums  folgenden  Veränderungen.  Die 
Sclla  turcica  ist  vergrössert  und  zur  Grösse  einer  Wallnuss  aus- 
gedehnt. Processus  clinoidei  ant.  et.  post.  verwischt.  Die  Lamina 
interna  orbitae  ist  papierdünn  und  leicht  einzudrücken.  An  den 
Seiten  der  Hypophysisgrube  liegen  die  Artt.  carotides  blossgelegt; 
6  m.m.  nach  hinten  von  dem  Dorsum  sellae  turcicae  schiesst 
eine  Knochenkante  einige  m.m.  hoch  empor. 

In  der  Fovea  media  cranii  finden  sich  tiefe  Impressiones 
digitatae  und  erbsengrosse  oder  kleinere  Gruben,  welche  kleinen 
runden  Geschwülsten  an  der  Aussenseite  der  Dura  mater  ent- 
sprechen und  die  Keilbeinflügel  zum  Teil  perforiren. 

Das  Foramen  ovale  ist  rechts  trichterfönnig  vergrössert.  in 
Folge  der  Vergrösserung  des  Ganglion  Gasseri.  Der  Inhalt  der 
Orbita  quillt  bei  der  Eröffnung  des  Orbitaldaches  stark  hervor. 

An  der  basalen  Fläche  sind  die  Bulbi  olfactorii  etwas  ab- 
geplattet und  dünn. 

Die  Hypophysis  ist  schalenförmig,  von  oben  exkavirt  und 
abgeplattet;    misst  in  Durchmesser  2      1.5  cm.    (Fig.  S.  205.) 

Die  Pia  ist  bleich  und  wird  im  Allgemeinen  leicht  abge- 
löst, ausgenommen  teils  über  der  Geschwulst,  teils  an  der  Aussen- 
seite des  linken  Occipitalla]jpens  etwa  1.5  cm.  vor  der  Spitze 
an  einer  umschriebenen  Stelle  (s.  unten).    Sonst  ohne  Besonderes. 

Die  Gefässe  ohne  Veränderungen. 

Die  Konvexität  der  beiden  Hemisphären  wird  von  einer 
grossen  Geschwulst  eingenommen.  Diese  misst  in  sagittaler 
Richtung  7.5  cm.,  in  frontaler  höchstens  8  cm.,  hat  eine  ovale 
Form  und  nimmt  hauptsächlich  die  rechte  Hirnhälfte  ein  (6 
cm.  in  der  Breite)  und  dehnt  sich  auf  die  linke,  höchstens  2 
cm.  aus  (Taf.  XXIII.  Fig.  i). 

Ihre  Oberfläche  ist  sehr  uneben,  grobgelappt  und  fetzig; 
sie  ist  von  fester,  etwas  fribröser  Konsistenz,  und  das  Gewebe 
kann  zwischen  den  Fingern  nicht  zerdrückt  werden.  Die  Schnitt- 
fläche ist  faserig,  etwas  porös. 

Die  Geschwulst  scheint  zwar  die  Hirnsubstanz  zu  infiltriren, 
aber  eine  genauere  Untersuchung  zeigt,  dass  sie  von  der  Mittel- 
linie aus  zwischen  den  Gyri  in  die  Sulci  eindringt  und  die 
Windungen   auseinancler  drängt.    Dies  tritt   besonders  deutlich 


an  den  occipitalen  Schnitten  hervor  (Taf.  XXIII.  Fig.  2).  Hier 
wie  überhaupt  ist  die  Rinde  zusammengedrückt  und  sehr  schmal. 
An  mehr  frontalen  Schnitten  (Taf  XXIV.  Fig.  3)  ist  die  Grenze 
gegen  das  Hirngewebe  undeutlicher.  Nur  stellenweise  ist  eine 
Kapsel  vorhanden. 

An  die  Rinde  der  linken  Hemis])häre  ist  die  Masse  nur 
fest  angelöthet,  ohne  das  Gehirn  zu  infiltriren. 

Ausdehnung  der  Geschwulst. 

In  der  rechten  Hemisphäre  hat  die  Geschwulst  folgende  Teile 
teils  zerstört  (vgl.  den  Operationsbericht),  teils  verdrängt,  i)  das 
hintere  Ende  der  vorderen  Centraiwindung  bis  2  —  3  cm.  von 
der  Mittellinie  ab,  und  in  sagittaler  Richtung  bis  zu  ihrer  halben 
Breite ; 

2)  das  ganze  hintere  {mediale)  Ende  der  liinteren  Ccntral- 
windung  in  einer  Ausdehnung  nach  unten  vorn  von  etwa  6—  7 
cm.;  also  auch  den  ganzen  Paracentrallappen : 

3)  den  oberen  Parietallappen  bis  etwa  6  cm.  von  der 
Mittellinie  ab;  die  Rinde  und  das  Mark  dieses  Lappens  liegt 
unter  der  Geschwulst  teils  zusammengedrückt,  teils  zerstört; 

4)  den  ganzen  Prcecuneiis  fast  bis  zur  Fissura  occipito- 
parietalis  interna; 

5)  den  dorsalen  Rand  des  Gyrus  corporis  callosi. 
Dagegen  sind  erhalten  geblieben:  der  untere  Parietallappen 

und  der  Gyrus  angularis.  Der  Sulcus  intraparietalis  bildet  unge- 
fähr die  laterale  Grenz  der  Geschwulstmasse. 

In  der  linken  Hemisphäre  sind  folgende  Windungen  nicht 
zerstört,  aber  zusammengedriickt  und  ausser  Lage  gebracht;  i)  die 
hinterste  Spitze  der  vorderen  Centraiwindung  in  nur  geringer 
Ausdehnung;  überhaupt  ist  nur  die  Rinde  hier  afficii  t  (s.  Taf 
XXV.  Fig.  l); 

2)  die  mediale  Spitze  der  Jiinteren  Centraiwindung;  der 
Paracentrallappen  ist  zur  Seite  gedrängt  und  gedrückt  und  nimmt 
die  Geschwulst  wie  in  einer  Schale  auf; 


206  S.  E.  HENSCHEiN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


3)  die  vorderen  ^/a  des  Prcecuneus. 

Dagegen  ist  die  konvexe  Fläche  des  Parietallappens  nur 
in  kleiner  Ausdehnung  direkt  von  der  Geschwulst  bedeckt;  ihre 
Windungen  sind  zur  Seite  gedrückt. 

Beiderseits  sind  sowohl  die  Frontallaijjten  wie  die  Tempo- 
ral- und  Occipitallappen  frei  von  Geschwulstmasse. 

Die  basale  Fläche. 

Hier  fällt  gleich  in  die  Augen  (Die  Fig.  an  der  S.  205),  dass 
eine  Anzahl  von  kleineren  Grübchen  und  Zapfen  von  kaum  i 
m.m.  Durchmesser  vorhanden  sind,  und  zwar  besonders  an  der 
Unterfläche  des  rechten  Temporallappeus,  aber  auch  zerstreut  an 
den  Orbitalflächen  und  am  linken  Tempcallappen.  An  den 
entsprechenden  Stellen  der  Dura  liegen  linsengrosse  Geschwülste, 
welche  die  Unterfläche  des  Gehirns  mit  der  Dura  zusammen- 
löthen,  weshalb  das  herausgenommene  Gehirn  an  der  Ober- 
fläche etwas  zerrissen  ist.  Dies  ist  besonders  an  der  Spitze  des 
Temporallappens  (an  T',  T^  und  T^)  der  Fall. 

Die  Centraiganglien  sind,  besonders  rechts,  etwas  platt- 
gedrückt. Die  Oberfläche  des  Thalamus  ist  also  nicht  konvex 
(s.  Fig.  3.  Taf.  XXIV.),  sondern  platt;  so  auch  das  Pitlvinar 
und  besonders  der  rechte  Colliculus  anterior  sind  ganz  platt- 
gedrückt, dagegen  der  Colliculus  posterior  nur  etwas  herab- 
gedrückt. 

Auch  der  Niicleus  caiidatiis  ist  plattgedrückt  wie  der  Balken. 

Übrigens  scheinen  die  centralen  Teile  wenig  vom  Druck 
gelitten  zu  haben. 

Zeichen  von  leichter  Stauung  finden  sich  jedoch  hier, 
obschon  nicht  sehr  starke.  Sonst  zeigen  die  Centralganglien  an 
den  Schnittflächen  nichts  Abnormes. 

Die  Nervi  optici  sind  vielleicht  etwas  schmal,  der  rechte 
schmäler  als  der  linke.  Die  Tractus  optici  beide,  besonders 
der  rechte ^  sehr  plattgedrückt.  Dagegen  waren  die  Kniehöcker 
kaum  einem  stärkeren  Druck  ausgesetzt. 

Das  Gehirn  wurde  in  i  cm.  dicke  Scheiben  zerteilt. 

I,inke  Hemisjjhäre. 
Occipitallappen. 

In  den  ersten  Occipitahvindung  (Taf.  XXV.  Fig.  3.),  etwa 
I  cm.  frontal  vor  der  Spitze  und  5  m.m.  lateral  von  der  Margo 
findet  sich  eine  unregelmässige  narbige  Schrtimpfnng  in  der  Rinde 
(a);  an  dieser  Partie  ist  die  Pia  stärker  angelöthet  als  sonst.  Die 
Schrumpfung  setzt  sich  über  der  Margo  falcata  bis  auf  die 
mediale  Fläche  einige  m.m.  fort.  Sonst  ist  an  der  Oberfläche 
nichts  Besonderes  zu  sehen. 

Durchschnitte. 

Schnitt  I  cm.  vor  dem  Occipitalpole.  Entsprechend  der 
oben  erwähnten  Narbe  erstreckt  sich  von  der  medialen  Fläche 
nach  aussen  in  das  Mark  ein  streifenförmiger  Schlitz  i  cm. 
hinein.  Das  Gewebe  ist  hier  verändert.  Die  Sehstrahlung  oder 
die  Rinde  der  Fissura  calcarina  ist  nicht  berührt. 

Schnitt  I.;  cm.  (Taf.  XXV.  Fig.  4).  Im  dorsalen  Ab- 
schnitte findet  sich  eine  unregelmässige  Cyste,  welche  weder  die 
Sehstrahlung  (s.  s.),  noch,  die  Rinde  der  Fissura  calcarina  zerstört 
hat,  aber  etwa  i  m.m.  lateral  von  der  dorsalen  Spitze  der  Seh- 
strahlung liegt.    Ihre   Form  und  Lage  illustrirt  die  Figur.  Die 


entsprechende  Rinde  der  Gegend  der  Margo  falcata  scheint 
etwas  schmal  7\\  sein. 

Schnitt  2  cm.  Hier  findet  sich  ein  kleiner  Defekt  von 
etwa  I  +  2  m.m.  Grösse,  und  die  vordere  Spitze  der  Cyste  liegt 
unmittelbar  nach  aussen  von  der  dorsalen  Spitze  der  Sehstrahlung. 

Die  Schnitte  zeigen  sonst  kein  Anzeichen  einer  stärkeren 
Kompression,  ausgenommen  dass  die  Gyri  abgeplattet  sind. 

Schnitt  j  cm.  vor  der  Spitze  (Taf.  XXIII.  Fig.  2).  Oben 
an  der  Margo  falcata  im  Prsecuneus  in  einer  Ausdehnung  von 
1.5  cm.  liegt  Geschwulstmasse  an  der  Rinde  locker  angelöthet. 
Die  entsprechende  Rinde  ist  etwas  schmal,  zusammengedrückt. 
Der  Schnitt  ist  im  Ganzen  auch  von  oben  nach  unten  zusammen- 
gedrückt. 

Schnitt  4  cm.  (Taf.  XXIV.  Fig.  i).  Geschwulstmasse  von 
kaum  2  cm.  liegt  an  der  Margo  falcata  dicht  an,  ohne  auf  das 
Mark  überzugreifen.  Die  Rinde  hier  atrophisch.  Sonst  ist  der 
St  hnilt  normal. 

Schnitt  5  cm.  Wie  Schnitt  4  cm.,  nur  ist  die  Geschwulst- 
masse etwas  grösser.  Die  Rinde  der  Margo  falcata  nicht  ver- 
schwunden, aber  zusammengedrückt.  Zeichen  einer  Stauung  im 
Mark. 

Schnitt  6  cm.  (Taf.   XXIV.  Fig.  2).    Wie  Schnitt  5  cm. 

Schnitt  7  und  S  cm.  (Taf.  XXIV.  Fig.  3).  An  der  Margo 
falcata  findet  sich  dicht  an  die  Rinde  angelöthet  eine  wallnuss- 
grosse  Geschwulstmasse,  welche  die  Rinde  zusammengedrückt 
hat,  ohne  auf  sie  überzugreifen. 

Schnitt  g  cm.  (Taf.  XXV.  Fig.  i).  Keine  Geschwulst. 
Die  Rinde  zeigt  Grübchen  in  Folge  des  Drucks  der  gegen- 
überliegenden Geschwulstmasse. 

Rechte  Hemisphäre. 

Schnitt  I — 2  cm.  vor  dem  Occipitalpole  zeigen  nichts  Ab- 
normes, ausgenommen  dass  sie  deutlich  eine  veränderte  Form 
haben,  indem  sie  von  oben  nach  unten  zusammengedrückt  sind. 
Die  laterale  Fläche  ist  mehr  horizontal  und  ebenso  die  untere, 
wodurch  der  Schnitt  etwas  quadratisch  ist,  wie  aus  der  Figur 
(Taf.  XXIII.  Fig.  2.)  näher  erhellt. 

Die  Cxeschwulstmasse  dringt  bis  etwa  4  cm.  vor  der  Occi- 
pitalspitze  nach  hinten,  aber  greift  nicht  auf  den  Cuneus  über, 
sondern  ist  nach  hinten  durch  die  Fissura  occipito-parietalis 
begrenzt. 

Schnitt  j  cm.  (Taf  XXIII.  Fig.  2).  Hier  dringen  die 
occipitalsten  Ausläufer  der  Geschwulstmasse  in  und  zwischen  die 
Windungen  des  Prtecuneus  ein.  Ihre  Form  und  Lage  s.  die 
Abbildungen.  Durch  die  Kompression  der  Gehirnmasse  sind 
die  Konturen  wesentlich  verändert.  Die  Rinde  ist  auch  überall 
im  oberen  Umfange  plattgedrückt.  Die  Sehstrahlung  ist  sehr 
breit,  aber  in  vertikaler  Richtung  kurz. 

Schnitt  4  cm.  (Taf.  XXIV.  Fig.  i).  Hier  dringt  die  Ge- 
schwulstmasse zwischen  den  zusammengedrückten  Windungen 
keilförmig  ein  und  drückt  diese  so  zusammen,  dass  sie  sich  an- 
scheinend weit  in  die  Gehirnmasse  auszudehnen  scheint.  Zugleich 
drückt  von  oben  das  Neoplasma,  wie  die  Figur  zeigt.  Dadurch 
ist  der  Schnitt  wesentlich  deformirt. 

Schnitt  5  cm.  Die  Cie.schwulstmasse  hat  noch  grössere 
Ausdehnung  und  hat  das  zunächst  liegende  Hirngewebe  in  einer 
Ausdehnung   von  etwa  1—3  m.m.  degenerirt.    Nach  oben  geht 


ZUR  EXSTIRPATION  DER  HIRNTUMOREN 


207 


das  Gehirn  ohne  Grenzen  in  das  Neoplasma  über.  Das  Gehirn 
ist  überall  von  fester  Textur. 

Sdinitt  6  cm.  (Taf.  XXIV.  Fig.  2).  Wie  die  Geschwulst 
auf  das  Gehirn  übergreift,  geht  am  besten  aus  der  Figur  hervor. 
Nach  aussen  ist  die  Grenze  zwischen  Geschwulst  und  Gehirn 
makroskojjisch  nicht  zu  bestimmen. 

Schnitt  7  und  8  cjn.  (Taf.  XXIV.  Fig.  3).  Dieser  Schnitt 
entspricht  dem  Ausgangspunkt  der  Geschwulst  und  dem  hinteren 
Ende  der  Cp.  Die  Geschwulst  hat  hier  ihre  grösste  Ausdehnung. 
Sie  erstreckt  sich  von  der  Mittellinie  nach  unten  fast  bis  zum 
Balken  und  zum  Seitenventrikel,  nach  aussen  4.5  cm.  und  misst 
von  oben  nach  unten  etwa  4  cm.,  die  über  der  Fläche  des 
Gehirns  liegende  Masse  nicht  gerechnet. 

Der  Balken  ist  nach  unten  verschoben  und  zusammengedrückt 
wie  der  Gyrus  corporis  callosi. 

Schnitt  p  cm.  (Taf.  XXV.  Fig.  i).  Die  Geschwulst  hat 
sich  hier  wesentlich  verschmälert  und  schiebt  sich  in  den  Para- 
centrallapi^en  ein,  besonders  entsprechend  dem  oberen  Ende  der 
vorderen  Centraiwindung.  Aber  auch  das  Mark  hat  gelitten  und 
hat  eine  weissgelbe  Farbe  (Degeneration). 

Schnitt  10  cm.  ist  normal. 

Kleinhirn  und  Medulla  oblongata  (Taf.  XXV.  Fig.  2). 

Das  Kleinhirn  zeigt  weder  an  der  Oberfläche,  noch  im 
Inneren  etwas  Pathologisches.  Seine  Form  ist  normal,  aber  es 
ist  von  oben  nach  unten  bedeutend  zusammengedrückt. 

Die  Brücke  ist  überhaupt  normal,  ausgenommen  dass  auf 
dem  Durschschnitte  verschiedene  blutgefüllte  Venen  mehr  als  ge- 
wöhnlich hervortreten  und  eine  venöse  Stauung  andeuten. 

Das  verlängerte  Mark  ist  gegen  die  Brücke  eingeknickt, 
(s.  Fig.  2)  und  bildet  nicht  die  gerade  Fortsetzung  der  Brücke. 
In  Folge  dessen  ist  der  Boden  des  4.  Ventrikels  konvex  und  das 
Mark  zeigt  auf  dem  Durchschnitte  Zeichen  einer  Stauung  in  den 
kleineren  Gefässen. 

Körper  sonst  etwas  abgemagert  mit  Atrophie  des  linken 
Armes. 

Lungen:  etwas  Schleim  in  den  Bronchien  und  Oedem  in 
den  hinteren  Teilen. 

Herz:  die  rechte  Hälfte  enthält  100  c.c.m.  Blut.  Die 
Muskulatur  etwas  fettig  degenerirt.    Sonst  Alles  fast  normal. 

Milz,  Nieren,  Leber  sind  normal.    Magen  und  Darm  ebenso. 

In  der  rechten  Hälfte  des  kleinen  Beckens  ist  eine  mehr 
als  hühneiergrosse,  harte  und  gelappte  Geschwulst  vorhanden, 
welche  an  der  Hinterseite  des  Ligamentum  latum,  dem  Peri- 
toneum und  dem  Rectum  adhaerirt  und  durch  einen  Stiel  mit 
dem  Uterus  zusammenhängt.  An  der  Schnittfläche  ist  sie  ge- 
streift und  zeigt  verkalkte  Partien. 

In  den  Ovarien  finden  sich  Cysten. 

Übrigens  nichts  Bemerkenswerthes. 

Mikroskopische  Untersuchung  der  Hirn  -  G  e  sch  w  11 1  st. 

Die  Geschwulst  besteht  aus  Häufchen  kleiner  teils  ab- 
gerundeter aber  meist  spindel-  oder  sternförmiger  Zellen,  welche 
dicht  an  einander  liegen  oder  durch  zartes  Bindegewebe  oder 
gröbere  Bindegewebsbalken  von  einander  getrennt  sind.  Also 
liegt  ein  Spindelzellen-Sarkom  vor.  Der  Ausgangspunkt  ist  gewiss 
die  Pia, 


Epikrise. 

Kurzer  Krankenbericht.  Die  46-jähr.  Pat.  hatte  im 
Alter  von  13  und  25  Jahren  .Schwindelanfälle  mit  Bewusst- 
seinsverlust.  Im  Jahre  1881  verschlechterte  sich  ihr  Allgc- 
nieinzustantl  und  ein  von  krampfhaften  Zuckungen  im  linken 
Beine  und  Schwäche  des  rechten  begleiteter  Anfall  trat  ein. 
Nachher  Schwäche  im  linken  Bein.  Später  Doppeltsehen, 
Kopfschmerz,  am  stärksten  in  der  rechten  Scheitelgegend, 
Sausen  im  linken  Ohr,  Schmerzen  in  der  rechten  Gesichts- 
hälfte. 

St.  pra2s.  1891.  Augen  hervorstehend.  Glandula  thyre- 
oidea  angeschwollen.  Psyche  normal.  I.  Geruch  schlecht, 
II.  Lichterscheinungen  nach  rechts,  Doppelbilder.  Linke  Pa- 
pille: Stauung.  VII.  Geringe  Parese  nach  links.  V,  VTII,  IX, 
X,  XI,  XII  im  Ganzen  normal.  Geringe  Anästhesie  im  lin- 
ken Bein,  Parese  des  linken  Beins  und  weniger  des  linken 
Arms. 

Nachher  traten  Anfälle  von  Zuckungen  im  linken  Bein 
ein,  welche  anfangs  nur  •  subjektiv,  später  auch  objektiv  be- 
merkt werden  konnten.  —  Mit  der  Zeit  trat  Stauung  auch  in 
der  rechten  Papille  ein.  Die  Anfälle  wurden  zahlreicher,  oft 
von  Lichterscheinungen,  Gehörphänomenen  begleitet  und  ge- 
wöhnlich von  Parästhesien  in  der  linken  Seite  eingeleitet.  Der 
Kopfschmerz  nahm  zu  und  Anfangs  1893  wurde  Pat.  hemi- 
plegisch.  Sie  wurde  dann  1893  operirt.  Die  Geschwulst 
wurde  zum  grössten  Teil  au.sgelöffelt.  Nachher  allmählich 
Besserung  des  lästigen  Kopfschmerzes,  die  Motilität  wurde 
gebessert.  Aber  bald  stellten  sich  Anfälle  ein,  und  zwar  an- 
fangs links,  später  auch  rechts.  Nach  und  nach  i.ahm  die 
Lähmung  links  zu,  und  rechtsseitige  Anfälle  fanden  sich  ein, 
mit  rechtsseitigen  Gesichtshallucinationen  und  zuletzt  Geruchs- 
hallucinationen.  Zufällig  nach  einem  Anfalle  linksseitige  Lle- 
mianopsie.   Tod  1896  durch  Knickung  der  Medulla  oblon- 

gata in  Folge  des  von  der  ansehnlichen  Geschwulstmasse  aus- 
geübten Druckes. 

Diagnose.  Art  der  Läsion.  Als  Pat.  zum  ersten  Mal 
ins  Krankenhaus  aufgenommen  wurde,  war  Anfangs  die  Art 
der  Krankheit  nicht  ganz  klar.  Iis  war  aufiallend,  dass  Pat. 
schon  im  Alter  von  13  Jahren  einen  eigenthümlichen  Schwin- 
delanfall  gehabt  hatte  und  dann  in  ihrem  24.  Jahre  einen  neuen. 
Der  dritte  trat  im  Alter  von  38  Jahren  auf;  und  von  dieser 
Zeit  datirt  sich  eigentlich  die  Krankheit.  Es  fragt  sich  dann, 
ob  diese  Schwindelanfälle,  welche  alle  in  Zusammenhang  mit 
Gemüthsbewegungen  zu  stehen  schienen,  einerlei  Art  waren 
oder  nicht.  Der  letzte  Anfall  war  auch  nach  Angabe  von 
Zuckungen  im  linken  Bein  mit  nachfolgender  Schwäche  be- 
gleitet. Da  Pat.  nun  Anfangs  im  Krankenhause  über  Anfälle 
von  Zuckungen  klagte,  ohne  dass  wir  uns  davon  objektiv 
überzeugen  konnten,  schien  anfangs  eine  funktionelle  Störung 
vorzuliegen. 

Ausserdem  fanden  sich  ein  deutlicher  E.x'ophthalmus  an 
beiden  Augen,  Struma  und  Anfälle  von  Herzklopfen,  weshalb 
der  Verdacht  auf  einen  Morbus  Basedowii  vorlag. 

Inzwischen  wurde  die  Art  der  Krankheit  bald  festge- 
stellt. Die  Zuckimgcn  des  linken  Beins  wurden  d.  20.  No- 
vember zum  ersten  Mal  objektiv  bestätigt,  wenn  sie  auch  An- 


208  S.  E.  MENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


fangs  nur  gelinde  waren,  und  eine  Stauungspapille  wurde  ge- 
sehen. Wenn  auch  erst  die  Frage  aufgeworfen  wurde,  ob 
diese  in  Zusammenhang  mit  dem  Morbus  Basedowii  gestellt 
werden  könne,  so  wurde  doch  bald  klar,  dass  eine  Hirngc- 
scJnuulst  vorlag.  Die  typischen  Symptome  —  Kopfschmerzen, 
Jackson'sche  Epilepsie  mit  allen  Attributen  —  traten  mit  jedem 
Tage  deutlicher  hervor  und  stellten  die  Diagnose  ausser  allem 
Zweifel. 

Lokalisatiou  der  Geschzvulst.  Nachdem  die  Art  der  Lä- 
sion klargelegt  worden  war,  unterlag  es  keiner  Schwierigkeit, 
die  Lokalisation  zu  bestimmen.  Charakteristisch  für  den  Fall 
waren  die  auf  das  linke  Bein  beschränkten  Symptome.  Schon 
beim  ersten  Anfalle  traten  Zuckungen  im  linken  Bein  auf, 
und  später  wurde  dieses  Bein  vorzugsweise  schivach.  Die 
später  unaufhörlich  fast  bis  zum  Tode  wiederholten  Anfälle 
waren  gewöhnlich  von  eigenthümlichen  Parästhesien  eingeleitet. 
Diese  bestanden  bald  in  eigenthümlichen  Empfindungen  von 
Wellen,  von  Ameisenkriechen,  von  Schütteln  oder  Reizen,  von 
Zittern  u.  s.  w.,  welche  beständig  von  dem  linken  Bein  aus- 
gingen. Ja  am  öftesten  gingen  sie'  speciell  von  den  Zehen 
des  linken  Fusses  aus.  Es  unterlag  also  keinem  Zweifel,  dass 
der  primäre  Herd  in  dem  Centrum  des  linken  Fusses  lag  oder 
in  seiner  unmittelbaren  Nähe.  Die  nachfolgende  Schwäche 
fing  auch  im  linken  Bein  an  und  war  gegen  die  Gewohnheit  bei 
Hemiplegien  in  Folge  von  Geschwülsten  im  Bein  viel  ausge- 
prägter als  im  Arm.   Erst  später  trat  die  Schwäche  im  Arm  auf. 

Es  A\urde  also  die  Lokalisatiou  in  der  hintersten  ober- 
sten Spitze  der  rechtsseitigen  Centrahvindungen  und  besonders 
in  der  hinteren  Centrakvindung  in  der  Nähe  der  Margo  fal- 
cata  bestimmt. 

Mit  einer  solchen  Lage  stimmten  auch  einige  wichtige 
Symptome,  nämlich  auf  die  rechte  Hälfte  begrenzte  Kopf- 
schmerzen, welche  oft  besonders  an  den  Scheitel  verlegt  wur- 
den, und  eine  bisweilen  ausgesprochene  Empfindlichkeit  in 
dieser  Gegend  beim  Klopfen. 

Operation.    Praktische  Bemerkungen. 

Gesichtspunkte.  Sobald  die  Lokalisation  festgestellt  war, 
schlug  ich  der  Pat.  eine  Operation  vor.  Bestimmend  für  mich 
waren  dabei  folgende  Gesichtspunkte. 

Art  der  Geschzvulst.  Ob  die  schon  in  früheren  Jahren 
aufgetretenen  Schwindclanfälle  in  Zusammenhang  mit  der  spä- 
teren Krankheit  standen,  musste  ich  als  unentschieden  hin- 
stellen. Jedenfalls  war  der  Anfall  im  Jahre  1888  als  ein  Aus- 
druck der  Krankheit  anzusehen.  Der  sich  allmählich  und 
sehr  langsam  unter  gelinden  Symptomen  entwickelnde  Verlauf 
sprach  unzweideutig  gegen  eine  maligne  Natur  der  Geschwulst, 
und  also  für  eine  circumscripte,  vielleicht  eingekapselte  Ge- 
schwuLstmasse. 

Die  Frage  nach  dem  Ausgangspunkt  der  Geschwulst 
wurde  in  diesem  Zusammenhang  diskutirt.  Die  gelinden  An- 
fälle sprachen  eher  gegen  als  für  eine  ursprünglich  kortikale 
Geschwulst.  Es  war  also  wahrscheinlich,  dass  die  Geschwulst 
entweder  subkortikal  war  oder  von  der  Dura,  resp.  Pia  aus- 
ging. In  jenem  Falle  sprachen  die  Jackson'schen  Anfälle  da- 
für, dass  die  Rinde  mitbeteiligt  war. 

Für  Duralgeschwulst  sprach  die  Empfindlichkeit  beim 


Klopfen.  Diese  können  oft  verlaufen,  ohne  die  Rinde  be- 
trächtlich zu  reizen.  Dafür  sprechen  sowohl  die  von  Ande- 
ren gemachten  Beobachtungen,  wie  eigne  Erfahrung. 

Es  wurde  eine  Duralgeschwulst  als  wahrscheinlich  ange- 
nommen. 

In  Anbetracht  der  wahrscheinlich  gutartigen  Natur  der 
Geschwulst  und  ihrer  für  eine  Operation  günstigen  Lage, 
wurde  deshalb  schon  in  November  1891  eine  Operation  der 
Pat.  angerathen  und  die  Gefahr,  damit  zu  zögern,  ihr  vorge- 
halten. Da  inzwischen  zu  dieser  Zeit  die  Symptome  der  Pat. 
so  unbedeutend  und  wenig  lästig  erschienen,  so  zog  Pat.  vor, 
das  Krankenhaus  zu  verlassen. 

Im  Februar  1892,  als  Pat.  zurückkam,  war  der  Fort- 
schritt der  Geschwulst  auffallend,  aber  Pat.  verweigerte  auch 
jetzt,  sich  einer  Operation  zu  unterwerfen,  um  so  mehr  als 
sich  die  Symptome  durch  den  Aufenthalt  im  Krankenhause 
besserten. 

Als  Pat.  zum  dritten  Mal  im  Februar  1893  in's  Kran- 
kenhaus aufgenommen  wurde,  war  sie  hemiplegisch,  und  die 
Kopfschmerzen  waren  sehr  schwer,  weshalb  sie  um  eine  Ope- 
ration bat.  Zu  dieser  Zeit  war  ich  für  den  Eingriff  wenig 
geneigt,  und  zwar  in  Anbetracht  der  vermutheten  Grösse  der 
Geschwulst,  welche  sich  durch  die  schweren  Kopfschmerzen, 
die  ausgeprägte  Hemiplegie  und  Schwere  der  Anfälle  kundgab. 

Der  Operationserfolg.  Betreffs  der  Operation  bemerke 
ich  nur,  dass  sie  recht  gründlich  war.  Wie  der  Operations- 
bericht näher  mitteilt,  wurde  das  Gewebe  in  einer  Ausdeh- 
nung von  etwa  5  cm.  ausgelöffelt,  an  einer  Seite  war  nur 
gesundes  Gewebe  anzutreffen;  aber  die  Blutung  und  der  dro- 
hende Kollaps  hinderten  die  vollständige  Ausräumung.  Das 
Recidiv  blieb  auch  nicht  aus,  aber  die  Geschwulst  nahm  nur 
langsam  zu.  Die  ausserhalb  des  Schädels  befindliche  Hernie 
enthielt  nur  GcscJiwulstniasse,  gleich  wie  im  folgenden  Falle, 
Jansson. 

Da  Pat.  fast  3  Jahre  nach  der  Operation  am  Leben  blieb, 
so  unterliegt  es  kaum  einem  Zweifel,  dass  die  Operation  das 
Leben  verlängerte.  Es  scheint  mir  auch  wahrscheinlich,  dass 
sie  das  Leben  erträglicher  machte.  Der  Patientin  wurde  das 
Sehvermögen  gerettet.  Ohne  Operation  hätte  sie  ohne  Zwei- 
fel eine  längere  Zeit  blind  zugebracht.  Nun  konnte  sie  sich 
bis  zur  letzten  Zeit  mit  Lesen  unterhalten,  und  überhaupt  in 
relativem  Wohlbefinden  ihre  Tage  zubringen,  wenn  auch 
der  allmählich  gesteigerte  Kopfschmerz  sie  belästigte. 

Der  Tod  kam  plötzlich  in  der  Nacht  und  war  schmerzlos. 

Die  Operation  %var  also  zvohltätig. 

Analyse  der  Symptome. 

Die  Enizvickelung  der  Krankheit.  In  dieser  Hinsicht  ist 
CS  von  besonderem  Interesse,  dass  Pat.  schon  vor  dem  mani- 
festen Anfang  der  Krankheit  zwei  Schwindelanfälle  gehabt 
hatte,  den  einen  im  Alter  von  13,  den  anderen  im  Alter 
von  25  Jahren.  Wenn  auch  die  Möglichkeit  eines  Zusam- 
menhangs mit  der  vielleicht  schon  zu  dieser  Zeit  vorhande- 
nen Geschwulst  nicht  ausgeschlossen  werden  kann,  so  schien 
dies  doch  nicht  wahrscheinlich.  Ich  war  deshalb  beim  Durch- 
schneiden des  linken  Occipitallappens  erstaunt,  zu  finden,  dass 
sich  hier  im  dorsalen  Abschnitt  eine  sehr  alte  kleine  Cyste 


ZUR  EXSTIRPATION  DER  HIRNTUMOREN  209 


vorfand.  Die  ebenen  Wände  deuten  ein  grosses  Alter  der 
Cyste  an.  Durch  Vorhandensein  dieser  Cyste  wird  der  eine 
der  früheren  Anfälle  genügend  erklärt.  Da  man  von  dem 
Verlaufe  des  Anfalles  nichts  Genaueres  weiss,  so  ist  aus  der 
sonst  interessanten  Lage  innerhalb  der  Sehsphäre  nichts  Lehr- 
reiches abzuleiten. 

Remerkenswerth  ist,  dass  alle  3  Schwindelanfalle  durch 
Gemüthsattektionen  hervorgerufen  wurden  —  was  die  Bedeu- 
tung von  Kongestionen  bei  organischen  Krankheiten  klarlegt. 

Psyche.  Bis  zum  letzten  Abend  ihres  Lebens  behielt 
Fat.  die  volle  Iniclligenrj,  und  zwar  ungeachtet  der  wieder- 
holten Anfälle.  Da  die  Geschwulst  eine  bedeutende  Kom- 
pression des  ganzen  Gehirns  hervorgerufen  hatte  und  ausser- 
dem noch  einen  grösseren  Teil  der  rechten  Hälfte  ausser  Funk- 
tion gesetzt  hatte,  so  finde  ich  hierin  einen  Beweis  für  die 
geringe  Bedeutung  der  rechten  Hemisphäre  für  die  Intelligenz. 
Der  Fall  Malm  (S.  14.)  spricht  auch  für  diese  Auffassung. 

Sprache.  Die  Sprache  war  nicht  gestört,  und  unmittel- 
bar nach  den  Anfällen  konnte  Fat.  sowohl  Worte  auffassen 
wie  spontan  sprechen. 

Kranialnerven.  I.  Geruch:  Schon  im  Sommer  1891 
wurde  der  Geruch  nach  Angabe  der  Fat.  schlechter  und  war 
zeitweilig  verschwunden.  Eine  grössere  Herabzetzung  des 
Geruches  war  jedoch  im  Oktober  dess.  J.  nicht  bei  der  Frobe 
nachzuweisen,  wohl  aber  im  März  1892  und  im  Februar  1893. 
Nach  der  Operation  wurde  wahrgenommen,  dass  der  Geruch 
rechts  fast  normal  war,  links  bedeutend  Jierabgesctzt.  So 
war  es  auch  später  im  Febr.  und  Nov.  1894.  Dagegen  wurde 
im  Mai  und  Sept.  1895  eine  doppelseitige  Herabsetzung  nach- 
gewiesen, und  d.  8.  Januar  1896,  10  Tage  vor  dem  Tode, 
war  der  Geruch  versclnvunden. 

Ausserdem  litt  sie  während  des  letzten  Jahres  wieder- 
holt —  Vi2,  ^^2,  Vi'2,  ^*/i2,  1895,  ^'l  1896  -  an  Ge- 
rucJishallucinaiionen.  Den  */i2  1895  erzählte  Fat.,  dass  sie 
beim  Erwachen  vor  einigen  Tagen  »gleichzeitig  von  zwei  ekel- 
haften sehr  peinlichen  Gerüchen»  befallen  wurde,  und  bei  der 
Probe  wurde  es  nachgewiesen,  dass  sie  mehrere  Riechstoffe 
nicht  erkannte,  obgleich  sie  in  die  Nase  stachen. 

Bei  Zu.sammenstellung  dieser  klinischen  Thatsachen  muss 
die  Geruchstörung  als  central  und  von  progressiver  Art  be- 
trachtet werden.  Die  Sektion  wies  die  Ursache  nach.  (Fig. 
S.  205.) 

Auf  der  basalen  Fläche  der  Temporallappen,  besonders 
gleich  an  der  Spitze,  sowie  an  der  Orbitalfläche  in  der  Nähe 
der  Bulbi  olfactorii,  fanden  sich  kleine  feste  Knötchen,  welche 
die  Dura  und  die  Hirnoberfläche  mit  einander  zusammenlö- 
theten.  Beim  Trennen  des  Gehirns  von  der  Dura  entstanden 
kleine  Zerreissungen  der  Hirnrinde  (s.  Fig.).  Es  leidet  wohl 
keinen  Zweifel,  dass  diese  kleinen  Knötchen,  welche  sarko- 
matöse Bildungen  waren,  die  Geruchshallucinationen  hervor- 
riefen. Und  da  weder  die  Bulbi  olfactorii,  noch  die  Strich  un- 
mittelbar (?)  durch  die  Sarkome  gereizt  wurden,  und  das  Ge- 
ruchscentrum (Uncus  und  Gyrus  Hippocampi)  auch  keine  sol- 
chen Neoplasmen  enthielt,  so  ist  die  Frage  berechtigt,  ob 
wir  hier  in  der  Nähe  des  Geruchscentrum  auf  der  ventralen 
Fläche  des  Temporallappens  oder  auf  der  Orbitalfläche  ein 


besonderes  Gebiet  für  Geruchshallucinationen  haben  oder  ob 
sich  das  Geruchscentrum  selbst  bis  auf  die  erwähnten  Flä- 
chen ausdehnt.    Die  Hallucinationen  waren  unangenehmer  Art. 

II.  Gesicht.  Die  Störungen  von  Seiten  der  Augen  wa- 
ren mannigfach  und  traten  frühzeitig  auf. 

ExophtJialmus .  Fat.  hatte  schon  1891  seit  einigen  Jah- 
ren bemerkt,  dass  das  eine  Auge  hervorragte,  und  im  Som- 
mer 1891  mit  der  Entwickelung  der  Geschwulst  trat  diese 
Veränderung  an  beiden  Augen  ein  und  bestand  seitdem  bis 
zum  Tode.  Die  Operation  führte  keine  deutliche  Besserung 
herbei.  Die  Ursache  dieses  Exophthalmus  ist  nicht  klar.  Bei 
der  Sektion  wurde  zwar  eine  Knickung  der  Medulla  oblon- 
gata  nachgewiesen;  dass  aber  diese  schon  bei  der  Entstehung 
des  Exophthalmus  bestand,  ist  ebenso  unwahrscheinlich,  als 
es  als  unsicher  betrachtet  werden  kann,  dass  in  der  That 
durch  dieselbe  der  Exophthalmus  erklärt  werden  kann.  Der 
gesteigerte  intrakraniale  Druck  dürfte  kaum  als  Ursache  ge- 
nügen, indem  Exophthalmus  bei  Hirngeschwülsten  nicht  ein 
gewöhnliches  Symptom  ist.  Dagegen  wird  der  Exophthal- 
mus vielleicht  durch  den  auf  die  Hypophysis  ausgeübten  Druck 
erklärt  werden.  Diese  Drüse  zvar  in  hohem  Grade  gedrückt 
und  dadurch  exkavirt.  Auch  muss  nicht  ausser  Acht  gelas- 
sen werden,  dass  die  Geschwulst  schon  frühzeitig  auf  die 
Cirkulation  im  Sinus  longitudinalis  eingewirkt  haben  kann, 
und  vielleicht  stand  damit  in  Zusammenhang,  dass  die  rechte 
Gesichtshälfte  unter  dem  Auge  mitunter  angeschwollen  war. 

Gesichtsfelder.  Während  des  mehrjährigen  Aufenthalts 
der  Kranken  im  Hospitale  wurden  von  Zeit  zu  Zeit  neue  Feri- 
meterkarten,  im  Ganzen  24  verschiedene  Doppelkarten,  auf- 
genommen. Bei  der  Durchsicht  aller  dieser  fallen  zwei  Ab- 
weichungen in  die  Augen. 

Hemianopsie.  Ungeachtet  der  sehr  verschiedenen  Um- 
stände, unter  welchen  jene  Karten  aufgenommen  wurden, 
konnte  eine  Andeutung  von  hemianopischen  Defekten  nie  in 
den  Jahren  1891 — December  1895  bemerkt  werden,  aber  den 
12.  December  dess.  J.  zeigte  die  nach  vorhergehenden  epilep- 
tischen Anfällen  aufgenommene  Karte  I  (S.  203)  eine  deut- 
liche Einschränkung  nach  links,  welche  deutlich  als  ein  he- 
mianopischer  Defekt  in  dem  peripherischen  Sehen  bezeichnet 
werden  muss,  während  die  rechtsseitigen  Gesichtsfelder  zwar 
eine  nicht  unbedeutende  Einschränkung  zeigten,  welche  je- 
doch nicht  als  hemianopisch  aufzufassen  sein  dürften,  sondern 
als  Ausdruck  einer  koncentrischcn  Einschränkung.  Die  später, 
am  10.  Januar  1896,  zehn  Tage  vor  dem  Tode,  gemachten 
Messungen  (Karte  II,  S.  204)  bestätigten  die  Berechtigung  die- 
ser Auflassung.  Hier  sehen  wir  oine  fast  vollständige  links- 
seitige Hemianopsie.  Auch  diese  Karten  müssen  als  Folge 
eines  Kongestionszustandes,  welcher  von  epileptischen  An- 
fällen begleitet  war,  betrachtet  werden;  und  die  7  Stunden 
vor  und  7  Stunden  nach  einem  Anfalle  aufgenommenen  Kar- 
ten zeigten  dieselbe  Form  und  Ausdehnung. 

Bei  Betrachtung  der  Durchschnitte  der  Hemisphären 
finden  wir  eine  bedeutende  Kompression  der  beiden  He- 
misphären, aber  besonders  der  rechten.  Diese  macht  sich 
zwar  auch  an  den  Tractus  geltend,  welche  deutlich  plattge- 
drückt sind,  aber  sonst  besonders  an  dem  rechten  Occipital- 
lappen.    Seine   quadratische   von   oben   nach  unten  plattge- 


210  S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


drückte  Form  deutet  auf  einen  bedeutenden  Druck  von 
oben,  und  wenn  man  betraclitet,  wie  die  Lippen  der  Fissura 
calcarina  an  einander  gedrückt  sind,  wird  man  erstaunen,  dass 
nicht  eine  konstante  Hemianopsie  durch  den  Drucl-:  auf  die 
occipitale  Sehbahn  oder  das  Seliccntrum  hervorgerufen  war. 
Dass  hier  die  Hemianopsie  durch  den  Druclc  auf  die  occipi- 
tale Sehbahn  oder  das  Sehcentrum  hervorgerufen  war,  dar- 
darauf  deutet  das  Felden  der  IicmiopiscJieti  Pn/idleiirenktioii. 
Wir  l<önnen  also  daraus  lernen,  dass  eine  schon  grosse  Ge- 
schwulst in  den  Centraiwindungen  kaum  LIemianopsie  hervor- 
ruft, wenn  sie  nicht  auf  die  Sehstrahlung  übergreift  oder  in 
Zusammenhang  mit  Kongestionszuständcn  steht.  Die  Fälle 
II,  Sundelin,  und  12,  Eklund,  stehen  damit  in  Ubereinstim- 
mung. 

Besondere  Beachtung  verdient  die  Thatsache,  dass  die 
Geschwulst  sich  weiter  nach  hinten  in  der  rechten  Hemi- 
sphäre als  in  def  linken  erstreckte,  und  zwar  in  der  rechten 
bis  zur  Fissura  occipito-parietalis  interna.  Da  nun  die  Ge- 
schwulstmasse sehr  langsam  wuchs,  so  dürfte  danach  der 
Pracimciis,  welcher  hier  infiltrirt  war,  lücJit  zur  SchspJiäre 
gekoren.  —  eine  Ansicht,  welche  ich  schon  früher  ausgespro- 
chen habe  (Teil  II). 

Sonst  i.st  auch  für  das  Studium  der  Begrenzung  der  Seh- 
sphiire  von  Interesse,  dass  keine  Andeutung  einer  quadran- 
tischen Beschränkung  der  Gesichtsfelder  nach  unten  rechts 
vorhanden  war.  Wie  die  Sektion  zeigt,  fand  sich  bei  dem 
Durchschnitt  des  linken  Occipitallappens  eine  kleine  Cyste  an 
der  dorsalen  Spitze  der  Sehstrahlung,  welche  wohl  eine  be- 
trächtliche Anzahl  der  zu  den  occipitalsten  etwa  10  m.m.  der 
Margo  falcata  verlaufenden  I^^asern  durchtrenntc.  Die  genau- 
ere Untersuchung  der  Beziehung  dieser  Cyste  zeigt,  dass  sie 
nicht  auf  die  Sehsiraldung  oder  auf  die  zur  dorsalen  Lippe 
der  Fissura  calcarina  verlaufenden  Fasern  übergriff.  Der  Be- 
fuilri  bestätigt  also  den  von  mir  früher  au.sgesprochenen  Satz, 
dass  die  Margo  falcata  nicht  zum  Sehcentrum  oder  zur  kor- 
tikalen Retina  gehöre. 

Koncentrisclic  Einscliränkung.  Alle  Karten  geben  eine 
solche  an,  aber  ihre  Ausdehnung  war  zu  verschiedenen  Zeit- 
punkten recht  verschieden.  1891  war  sie  nicht  unbedeutend, 
1893  recht  unansehnlich,  nur  ein  schmaler  dunkler  Ring  um- 
giebt  das  sehende  Feld.  Später  im  I'^ebruar  1893,  kurz  vor 
der  Operation,  \\ar  die  Einschränkung  etwas  grösser  und  un- 
gefähr wie  Anfang  1894.  Im  I*"rühling  1894  vermehrte  sich 
der  Kopfschmerz  bedeutend,  und  jetzt  wurden  die  Gesichts- 
felder bisweilen  bedeutend  vermindert,  bisweilen  wie  früher. 

Ende  1894  hatten  sie  dieselbe  Grösse  wie  die  grösseren 
im  Frühling  dess.  J.  Noch  im  September  1895  waren  die 
Gesichtsfelder  nicht  bedeutend  vermindert,  und  erst  am  lüidc 
des  Jahres  traten  die  erwähnten  hemianopischen  Einschränkun- 
gen ein.  Dabei  war  die  lünschränkung  des  linken  Gesichts- 
feldes oft  grösser  als  die  des  rechten.  Dies  war  besonders 
an  den  1891  aufgenommenen  Karten  auffallend,  aber  an  spä- 
teren war  oft  kein  Unterschied  bemerkbar,  oder  bisweilen  selbst 
das  rechte  h'eld  gr()sser.  Im  Ganzen  war  jedoch  das  li)dxC 
Feld  eiivns  kleiner. 

Wie  in  anderen  Fällen  stimmt  damit,  dass  der  Herd  in 
der  rechten  Hemisphäre  sass  und  die  linke  Seite  gelähmt  war. 


Auch  war  die  litike  Cornea  etzvas  zveniger  empfindlich  als  die 
rechte.  Dass  diese  Anästhesie  wohl  in  Zusammenhang  mit 
der  Einschränkung  des  linken  Gesichtsfeldes  stand,  habe  ich 
oben  mehrmals  hervorgehoben.  Hier  bemerke  ich  nur,  dass 
hier  nicht  eine  ausgesprochene  Hemiplegie  vorhanden  war. 

Auch  die  Stauungspapille  muss  für  die  Erklärung  der  kon- 
centrischen  Einschränkung  in  Rechnung  genommen  werden. 

Gcsichtshalhicinationen.  Lichterscheinungen  in  Form  von 
Zick-Zack-Linien,  Blitzen  u.  s.  w.,  und  zwar  nach  rechts,  tra- 
ten schon  im  Sommer  1891  auf  In  den  Jahren  1892  — 1893 
erschienen  sie  im  Ganzen  nicht  oft,  aber  im  Jahre  1894  und 
besonders  1895  traten  sie  sehr  oft  auf  und  gewöhnlich  in  Zu- 
sammenhang mit  den  Anfällen.  Fast  immer  waren  sie  nacJi 
rechts  projicirt.  Sie  hatten  auch  jetzt  die  Form  von  leuch- 
tenden Zick-Zack-Linien,  Blitzen,  Flammen,  und  besonders  von 
Ringen.  Ausnahmsweise  nahmen  die  Erscheinungen  die  Form 
von  Menschen  u.  s.  w.  an.  Diese  erschienen  (d.  '''"/g  1895) 
nach  rechts,  und  Fat.  erzählte  einmal,  dass  sie  nur  halbe 
MenscJien  sah.  aber  diese  waren  sehr  dunkel.  Sie  glaubt, 
dass  sie  nur  die  rechten  Hälften  der  Menschen  sah.  Nur 
einmal  sah  sie  die  Erscheinungen  nach  links. 

Was  waren  diese  Erscheinungen Retinalphotopsien  oder 
Hallucinationen?    Und  wo  wurden  sie  gebildet.? 

Es  war  nicht  leicht  zu  bestimmen,  ob  sie  nur  mit  dem 
rechten  Auge  oder  mit  beiden  gesehen  wurden.  Der  Um- 
stand, dass  am  meisten  nur  formlose  Bilder  auftraten,  sprach 
für  die  Annahme  von  Phoiopsieti,  welche  in  der  Retina  durch 
die  Kongestion  gebildet  wurden.  Vielleicht  litt  besonders  das 
rechte  Auge  durch  die  Kongestion  der  rechten  Hirnhälfte. 
Dagegen  spricht  aber  der  bekannte  Umstand,  dass  das  Pa- 
pillaroedem  am  meisten  in  dem,  dem  Herd  gegenüberliegen- 
den Auge  auftritt. 

Anderseits  ist  zu  beachten,  dass  bisweilen  sichere  Ge- 
sichtshallucinationen  in  Form  von  Menschen  u.  s.  w.  (St.  prjes. 
^'','9  1895),  Hunden  ^/i2  nacli  rechts  erschienen,  und  dass  in 
der  letzten  Zeit  diese  in  Begleitung  mit  epileptischen  Anfällen 
in  der  rechten  Seite  auftraten.  So  viel  ist  also  sicher,  dass 
die  während  der  letzteren  Zeit  auftretenden  Lichterscheinun- 
gen wirkliche  PJalluciuationen  waren.  Auffallend  ist  ihr  Er- 
scheinen nach  rechts,  obschon  der  rechte  Occipitallappen  bei 
den  Kongestionsanfällen  am  meisten  dem  Druck  ausgesetzt 
war.  Auch  die  Geschwulst  drang  am  weitesten  nach  hinten 
in  der  rechten  Hemisphäre.  Hierin  finden  wir  keine  P2rklä- 
rung  der  Thatsache,  dass  die  Hallucinationen  nach  rechts  er- 
schienen, und  zwar  auch  bei  den  früheren  Anfällen  \^on  Zuc- 
kungen, welche  immer  in  der  linken  Seite  auftraten. 

Es  muss  dann  nicht  ausser  Acht  gelassen  werden,  dass 
wir  im  linken  Occipitallappen  teils  eine  Cyste  im  Mark,  teils 
in  der  Rinde  eine  Narbe  fanden,  wo  die  Pia  allerdings  auf 
einem  beschränkten  Gebiete  an  die  Rinde  angelcithet  i.st. 
Zwar  wage  ich  nicht  bestimmt  zu  behaupten,  dass  durch 
diese  die  linke  Occipitalrindc  gereizt  worden  ist.  Aber  ich 
finde  keine  andere  plausible  k2rkl;irung  für  diese  wiederholten 
Hallucinationen  nach  rechts.  Und  der  Umstand,  dass  die 
Lichterscheinungen  schon  im  Jahre  1891  auftraten,  also  zu 
einer  Zeit,  als  die  Geschwulst  gewiss  keine  grossen  Dimen- 
sionen hatte  und  überhaupt  nicht  in  der  nächsten  Umgebung 


ZUR  EXSTIRPATION   DER  HIRNTUMOREN  211 


des  Occipitallappens  vegetirte,  spricht  für  die  Richtigkeit  die- 
ser Meinung. 

Die  Erklärung  ist  also:  die  kleine  Narbe  konnte  nicht 
an  und  für  sich  Anfälle  von  Kongestionen  hervorrufen,  aber 
als  durch  die  Geschwulst  das  Gehirn  anfallsweisc  kongestio- 
nirt  wurde,  dann  wurden  durch  die  Narbe  Hallucinationen 
ausgelöst. 

Die  anerkannte' Thatsache,  dass  vollständige  epileptische 
Anfälle,  und  zwar  mit  eigenthümlicher  Aura  durch  Pialnarben 
hervorgerufen  werden,  steht  damit  nicht  im  Wiederspruch, 
bestätigt  vielmehr  eine  solche  Auffassung. 

Der  Fall  bestätigt  und  kotnpletirt  also  die  in  den  Fällen 
10  und  II  gemachten  interessatiten  Beobachtungen  über  ein- 
sitige  Gesichtshallucinationen  ohne  gleichzeitige  Hemianopsie. 

Stauungspapille.  Gleich  nach  der  Aufnahme  im  Okto- 
ber 1891  war  eine  ausgebildete  Stauungspapille  nur  im  linken 
Auge  vorhanden.  Im  rechten  Auge  dagegen  w^ar  die  Stauung 
nicht  ausgeprägt;  die  Venen  waren  gross,  etwas  angeschwollen, 
aber  die  Grenzen  der  Papille  nicht  verwischt.  Aber  bald  bil- 
dete sich  auch  im  rechten  Auge  eine  ausgeprägte  Stauungs- 
papille aus,  und  im  März  1892  war  die  Papille  angeschwollen. 
Mit  der  Zeit  trat  eine  sekundäre  Atrophie  ein,  und  im  Fe- 
bruar .1893  waren  die  Papillen  bleich.  Später  traten  in  der 
Umgebung  der  Papille  kleine  weisse  Flecke  auf  Ungeachtet 
der  grossen  Geschwulstmassen  wurde  diese  Atrophie  nie  so 
vollständig,  dass  Blindheit  eintrat.  Im  Gegentheil  konnte 
Pat.  bis  zur  letzten  Zeit  selbst  feineren  Druck,  wie  Zeitungen, 
etwas  lesen,  wenn  ihr  Kopfschmerz  sie  nicht  hinderte. 

Die  ersten  Cirkulationsstörungen  traten  in  dem  der  Ge- 
schwulst entgegensetzten  Auge  auf.  Solche  Beobachtungen 
sind  schon  früher  von  mehreren  Forschern  gemacht,  aber  die 
Ursache  ist  kaum  genügend  erklärt  worden. 

Meiner  Meinung  nach  ist  dieser  Befund  einer  leichteren 
Erklärung  zugänglich.  Es  tragen  zur  Ausbildung  verschie- 
dene Momente  bei  —  entweder  Stasis  in  Folge  von  Druck 
oder  eine  Irritation  durch  phlogogene  Stofte  oder  beides  zu- 
zammen.  Auf  diese  Streitfrage  will  ich  hier  nicht  ein- 
gehen. Die  Stauung,  scheint  es,  sollte  eher  auf  die  Venen 
des  gleichseitigen  Auges  als  auf  die  des  entgegensetzten  ein- 
wirken, aber  doch  entsteht  die  Stauungspapille  auf  dem  der 
Hirngeschwulst  gegenüberliegenden  Auge.  Es  muss  also  noch 
ein  Faktor  im  Frage  kommen.  Dieser  ist  (jie  vasomotorische 
Störung.  Jede  Lähmung  cerebraler  Natur  ist  mit  einer  vaso- 
motorischen Störung  vergesellschaftet.  Dieses  ist  ein  Gesetz 
in  der  cerebralen  Pathologie.  Die  oben  angeführten  Kran- 
kengeschichten zeigen  es  auch.  Diese  Störung  kann  auch 
mit  dem  Sphygmographen  und  mit  dem  Sphygmomanometer 
nach  V.  Bäsch  nachgewiesen  werden.  Der  Druck  ist  erniedrigt, 
der  Ausschlag  der  Arterie  kleiner  und  der  Puls  hat  ver- 
änderte Form,  ist  mehr  abgerundet.  In  Folge  der  Vermin- 
derung des  Blutdrucks  entstehen  auch,  wie  bekannt,  leichter 
Oedeme  und  ebenso  Ernährungsstörungen  in  dem  gelähmten 
Glied.  Dies  gilt  ganz  gewiss  auch  von  dem  Augengrund, 
selbst  wenn  der  Trigeminus  und  die  Augenmuskeln  bei  der 
Hemiplegie  nur  wenig  afficirt  sind.  Deshalb  entsteht  auch 
im  Augengrund  der  gelähmten  Seite  eher  Stauung  und  Papilli- 
tis  als  in  dem  gleichseitigen. 

5.  E.  Hen sehen.     Pathologie  des  Gehirns. 


Hierin  haben  wir  auch  gewiss  die  ErJdärung  der  kon- 
centrischen  Einschränkung  der  Gesichtsfelder,  und  davon,  dass 
diese  in  dem  dem  Herde  gegenüberliegenden  Auge  am  aus- 
geprägsten  ist.  In  nahem  Zusammenhang  damit  steht  die  An- 
ästhesie der  Cornea,  welche  auch  nach  der  Regel  auf  diesem 
Auge  am  stärksten  vorhanden  ist.  Wahrscheinlich  besteht 
dabei  auch  eine  Anaesthesia  retinae,  wie  eine  Anaesthesia  Cornea: 
sicher  nachgewiesen  ist,  wie  in  diesem  Falle. 

Ich  behalte  mir  vor,  in  einem  späteren  Teil  reichlicheres 
Material  hierüber  vorzulegen.  Die  oben  gegebene  Erklärung 
ist  .schon  früher  von  mir  gegeben  und  in  der  Klinik  seit  vie- 
len Jahren  angewendet  worden.  Dass  auch  andere  Momente, 
wie  Papillitis,  Stauungspapille,  Herabsetzung  der  Sehschärfe, 
psychische  Reizung  u.  s.  w.  beitragen  können,  ist  einleuchtend. 

Sehschärfe.  Diese  war  im  Oktober  1891  rechts  =  0.9, 
links  0.8,  im  März  1892  R.  =  0.6,  L.  =  0.4,  im  Februar  1893 
R.  —  0.7,  L.  =  0.6  (also  etwas  gebessert),  im  Mai  1895  R.  = 
0.7,  L.  =  0.8,  aber  sank  dann  und  war  im  Sept.  dess  J.  R.  = 
0.6,  L.  =  0.4  und  im  Januar  1896  L.  =  0.4,  R.  =  0.2. 

Im  Allgemeinen  war  also  die  Sehschärfe  rechts  besser 
als  links,  und  dies  steht  w'ohl  mit  der  oben  erwähnten  vaso- 
motorischen Störung  in  Zusammenhang.  Gegen  das  Ende 
veränderte  sich  das  Verhältniss  vielleicht  in  Folge  der  in  der 
letzten  Zeit  oft  auftretenden  epileptischen  Anfälle  in  der  rech- 
ten Seite,  welche  wohl  von  Cirkulationsstörungen  rechts  be- 
gleitet waren. 

Herabsetzung  der  Sehschärfe  und  die  Einschränkung  der 
Gesichtsfelder  standen  zwar  oft  in  Einklang,  aber  nicht  im- 
mer. Im  Okt.  1892  waren  die  Gesichtsfelder  recht  gross, 
aber  die  Sehschärfe  grösser  als  sjDäter  1893,  als  die  Gesichts- 
felder kleiner  waren. 

III.  IV.  VI.  Augenbezvcgungoi .  Schon  frühzeitig  traten 
Doppelbilder  auf,  und  wenn  diese  auch  zeitweilig  die  Pat.  nur 
wenig  störten,  so  bestanden  sie  doch  auch  nach  der  Oj^era- 
tion.  Eine  ausgesprochene  Parese  eines  bestimmten  Muskels 
war  nicht  vorhanden  und  die  Störung  kann  als  funktionell 
bezeichnet  werden.  Für  die  Lokalisationslehre  ist  die  Störung 
nicht  zu  verwerthen. 

Pupillen.  Die  linke  Pupille  war  im  Allgemeinen,  beson- 
ders vor  den  Anfällen,  bis  zum  Tode  ein  wenig  grösser.  Die 
Ursache  ist  unbekannt.    Die  Pupillenreaktion  war  normal. 

HemiopiscJie  Pupillerireaktion  tvar  nicht  vorhandeti,  un- 
geachtet des  bedeuteiiden  Druckes,  welcher  durch  die  Geschwulst- 
masse auf  den  recJiten  Colliculus  anterior  ausgeübt  wurde. 
Die  Figur  zeigt,  wie  sich  der  Druck  rechts  bedeutend  mehr 
als  links  geltend  macht,  und  dieser  Colliculus  ist  besonders 
in  seinem  hinteren  Teil  auffallend  abgeplattet,  was  gewiss  ge- 
gen die  Ansicht  spricht,  dass  im  hinteren  Abschnitt  dieses 
Ganglions  die  Vermittelung  der  Pupillenreflexe  vor  sich  geht. 
Dagegen  sind  der  vordere  Abschnitt  des  Colliculus  und  die 
weiter  nach  vorn  liegenden  Teile  niclit  merkbar  gedrückt. 

V.  Verschiedene  Störungen  fanden  sich  von  Seiten  des 
Trigeminus. 

Schmerzöl  im  Gesicht,  besonders  in  der  rechten  Hälfte, 
und  Empfindlichkeit  des  austretenden  Nervus  infraorbitalis 
traten  schon  im  Jahre  1891  auf  Auch  trat  in  dieser  Hälfte 
Oedem  auf    Diese  Symptome  waren  inzwischen  inkonstant, 

28 

r 


212  S.  E.  MENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


und  Fat.  klagte  im  Verlauf  der  Krankheit  überhaupt  wenig 
darüber.  Gegen  das  ICnde  klagte  Fat.  bisweilen  über  schwere 
Schmerzen  im  Gesichte.  Bei  der  Sektion  wurde  nachgewiesen, 
dass  rings  um  die  Ganglia  Gasseri,  besonders  das  rechte,  sich 
zahlreiche  kleine  Knötchen  von  Neoplasma  fanden.  Die 
Ganglien  waren  wie  eingebettet  in  die  verdickte  Dura,  auf 
welcher  diese  kleinen  Geschwülste  sassen.  Dass  indessen 
ein  sehr  starker  Druck  auf  die  Basis  überhaupt  ausgeübt 
wurde,  davon  trug  der  in  hohem  Grade  verdünnte  und  usu- 
rirte  Knochen  zu  deutliche  Spuren.  Die  natürlichen  Gruben 
wie  Sella  turcica  u.  s.  w.,  aber  besonders  die  Exkavationen  für 
die  Ganglia  Gasseri,  waren  bedeutend  vergrössert  und  tiefer 
als  normal. 

Dass  unter  solchen  Umständen  die  Fat.  nicht  an  uner- 
träglichen Gesichtschmerzen  gelitten  hat,  findet  nur  darin  eine 
Erklärung,  dass  die  kleinen  die  Ganglia  umgebenden  Ge- 
schwülste nur  wenig  reizend,  d.  h.  verhältnissmässig  gutartig 
waren,  was  in  Ubereinstimmung  mit  ihrer  histologischen 
Struktur  steht. 

Anästhesie  war  Anfangs  (1891)  nicht  vorhanden  und 
fehlte  überhaupt  auch  später.  Erst  im  December  1895,  etwa 
I  Monat  vor  dem  Tode,  war  die  Sensibilität  deutlich  herab- 
gesetzt. 

VII.  Facialis.  Geringe  Parese  war  schon  anfangs  (189 1) 
vorhanden.  Eine  deutliche  Paralyse  entwickelte  sich  nie,  und 
in  der  letzten  Zeit  war  auch  die  erwähnte  Parese  nur  zeit- 
weilig bemerkbar.  Der  Augenfacialis  war  nur  bisweilen  auch 
von  Schwäche  befallen,  der  Gaumenfacialis  aber  nicht  .selten. 

VIII.  Reizsympionie.  Sausen  und  Pfeifen  im  linken 
Ohr  traten  schon  frühzeitig  (1888)  auf,  also  zu  einer  Zeit,  als 
der  Druck  sich  auf  den  linken  Acusticus  gar  nicht  geltend 
machen  konnte.  Später  (1891)  wurde  das  Sausen  links  kon- 
stant; dabei  ist  aber  bemerkt  worden,  dass  das  linke  Trommel- 
fell injicirt  war,  ob  in  Zusammenhange  mit  dem  wachsenden 
intrakranialen  Druck  oder  nicht,  ist  unsicher. 

Aber  auch  deutliche  Gehör/ialliicinationen  kamen  aus- 
nahmsweise vor. 

Die  Gehörsckärfe  war  überhaupt  normal,  zeitweilig  links 
herabgesetzt,  P'ebr.,  Nov.  1894,  Mai  1895,  vielleicht  als 
P'olge  der  Injektion  des  Trommelfells;  später  »  1895  ist 
eine  Verschärfung  des  Gehörs  bemerkt  worden  —  vielleicht 
als  Ausdruck  einer  Reizung  des  Gehörcentrums. 

IX.  Von  Seiten  des  Geschmackssinnes  wurde  aus- 
riiihmsweise  eine  Störung  wahrgenommen,  was  um  so  mehr 
auffallend  ist,  da  die  untere  P'läche  des  Temporallappens  vorn, 
wie  die  Fig.  an  der  S.  205  zeigt,  von  dicht  an  einander  liegenden 
kleinen  Duraltumören  durchsetzt  ist.  Diese  sind  besonders  an 
der  Spitze  zahlreich.  Bei  der  Pulsation  des  Gehirns,  scheint 
es,  müssten  dadurch  eine  Reizung  der  Rinde  und  folglich 
Hallucinationen  in  der  Nähe  des  vermutlichhen  Geschmack- 
centrums entstanden  sein. 

Diese  Veränderungen  waren  bilateral,  aber  die  Grübchen 
ausgeprägter  fechts  als  links. 

Das  Schlucken  war  normal. 

V.  Die  Respiration  war  schon  frühzeitig  gestört.  Schon 
1891  war  die  Respiration  bis  auf  15  verlangsamt.  Gegen  das 
Ende   des   Lebens   sank   die  Respiration  bis   auf  13  in  der 


Minute  und  war  ungleichmässig.  Das  bei  Geschwülsten  oft 
beobachtete  Cheyne-Stokes'sche  Phänomen  wurde  nie  beob- 
achtet. Bei  der  Sektion  Avurde  eine  Knickinis:  der  Mediilla 
oblongata  entdeckt  und  sowohl  dorsal  wie  ventral  von  der 
Knickungsstelle  deutliche  Stauung  in  den  Gefässen.  Die  Störung 
der  Respiration  und  der  plötzliche  Tod  finden  in  der  Knick- 
ung ihre  natürliche  Erklärung. 

Puls  und  Herzthätigkeit.  Fat.  litt  bisweilen  bei  den 
Krampfanfällen  an  cigenthümlichen  Anfällen  von  Schmerzen 
in  der  Herzgegend.  Die  Anfälle  stiegen  bis  zum  Herz  hinauf, 
und  hier  empfand  Fat.  bisweilen  mehrere  Tage  Schmerzen 
(s.  1893,  S.  198).  Stellt  man  diese  wiederholten  Beobacht- 
ungen damit  in  Zusammenhang,  dass  krampfhafte  Zuckungen 
in  den  Brustmuskeln  u.  s.  w.  auftraten,  so  erleidet  es  kaum 
einen  Zweifel,  dass  diese  Schmerzen  rvirklich  centraler  Natur 
waren  und  dass  der  Vagus  sie  vermittelte.  Von  welchem 
Centraipunkt  sie  ausgelöst  wurden,  ist  wohl  unsicher,  aber 
der  Verdacht  auf  eine  in  Zusammenhang  mit  der  Kongestion 
des  Gehirns  vermehrte  Knickung  der  MeduUa  oblongata  liegt 
nahe. 

Erbrecheji  hat  seltener  als  gewöhnlich  bei  Hirngeschwül- 
sten die  Anfalle  begleitet,  oft  dagegen  war  Uebelkeit  vor- 
handen. 

XI.  Störung  im  Larynx  wurde  bei  der  laryngosko- 
pischen Untersuchung  den  ^"/a  1893  bemerkt:  eine  Parese  des 
linken  Stimnibands  war  vorhanden.  Sonst  war  die  Stimme 
nicht  heiser. 

XII.  Zungenparese  wurde  von  1891  — 1894  nicht  be- 
merkt. P^rst  später,  im  Sept.  1895,  trat  eine  leichte  Ab- 
weichung nach  rechts  ein.  Später,  im  Jan.  1896,  wurde  Ab- 
weichung nach  links  bemerkt.  Sie  war  also  durch  Ferndruck 
verursacht. 

Sensibilität. 

Reizsyniptovic.  Die  Reizsymptome  von  den  sensiblen 
Nerv'en  waren  eben  so  wechselnd  in  ihrer  Art  wie  oft  wieder- 
holt. 

Betreffs  der  Zeit  ihres  Erscheinens  ist  zu  bemerken,  dass 
sie  gewöhnlich  die  Anfiille  einleiteten.  Oft  unmittelbar  nach 
dem  lirschcinen  dieser  Parästhesien  traten  die  Anfiille  ein. 
Aber  bisweilen  klagte  Fat.,  da.ss  die  Anfälle  Schmerzen,  welche 
in  den  Kopf  verlegt  wurden,  hervorriefen.  Wenn  dies  der 
Fall  war,  so  dürfte  ein  intimer  Rapport  zwischen  der  Peri- 
pherie und  dem  Centrum  bestehen,  und  zwar  nicht  nur  so,  dass 
centrale  Itmpfindungen  nach  der  Peripherie  ausstrahlen  können, 
was  schon  von  früher  her  bekannt  ist,  sondern  auch  in  dem 
Sinne,  dass  eine  peripherische  Reizung  centrale  Schmerzen  her- 
vorrufen kann.  So  wird  z.  B.  berichtet  von  der  Fat.  —  und 
sie  war  eine  sehr  glaubwürdige  Person  —  dass  »Bewegungen 
des  linken  Arms  Schmerzen  im  Kopf  an  der  rechten  Seite 
hervorriefen,  so  auch  beim  Gehen  (^''/e  1893,  S.  200),  und 
da.ss  Bewegung  des  linken  Arms  Schmerzen  in  der  Geschwulst 
verursacht»  1895,   S.  204).    Nach  Allem  zu  urteilen 

meinte  die  Fat.  nicht  Zerrung  der  Kopfschwarte,  sondern 
centrale  Schmerzen.  —  In  der  That  liegt  hierin  nichts  Be- 
fremdendes, denn  eine  peripherische  Reizung  wird  ja  eigent- 
lich central  empfunden.  , 


ZUR  EXSTIRPATION  DER  HIRNTUMOREN 


213 


Die  erwähnten  Parästlwsien  traten  schon  1891  ein  und 
wiederholten  sich  nachher  sehr  oft  bis  zum  Tode. 

Was  ihre  Art  betrift't,  so  wechselten  sie  in  hohem  Grade. 
Oft  waren  sie  von  einer  ungewissen,  schwer  zu  beschreibenden 
Art.  Pat.  empfand  etwas,  wie  Wellen,  welche  vom  Fuss  hinauf 
stiegen,  oder  AineisenkriecJien,  oder  noch  stärker  als  Schivirren. 
Die  beiden  letzten"  Arten  waren  vielleicht  ein  Ausdruck  für 
wirkliche  Kontraktionen,  Zittern  u.  s.  w.,  welche  sich  jedoch 
nicht  objektiv  bemerkbar  machten.  Dagegen  berichtete  Pat. 
nie  von  Gefühl  von  Berühren  oder  Betasten,  wohl  aber  Ver- 
taubung.  Dagegen  fühlte  sie  oft  Stechen,  und  dieses  Stechen, 
steigerte  sich  oft  zu  Schmerzen.  Es  sind  diese  Sciunerzcii 
unziveifclkaft  echt  centraler  Natur.  Es  erleidet  also  keinen 
Zweifel,  dass  es  centrale  Schmerzen  giebt,  und  ich  weise  in 
dieser  Hinsicht  auf  S.  17  hin,  wo  diese  Sachen  abgehandelt 
sind. 

Hand  in  Hand  mit  diesen  Sensationen  ging  oft  ein 
Temperatnrgefülil  —  gewöhnlich  Kältegefühl,  ausnahmsweise 
von  Wärme.  Ob  dieses  Gefühl,  auch  central  entstanden  war, 
erscheint  mir  ungewiss.  Die  Anfälle  wurden  nämlich  in  der 
Regel  von  vasomotorischen  Störungen  begleitet.  In  Folge 
dessen  konnte  oft  beobachtet  werden,  dass  die  entsprechen- 
den Teile  kalt  wurden,  nicht  selten  aber  schwitzten  oder 
warm  wurden.  Es  kann  also  dieses  Kaltwerden,  resp.  Schwit- 
zen oder  Warmwerden  der  Peripherie  sein,  was  die  Pat.  emp- 
funden hat.  Also  lässt  es  sich  denken  —  und  das  ist  selbst 
ganz  plausibel  —  dass  eine  vasomotorische  Störung  den  An- 
fall einleitete. 

Auch  das  eben  erwähnte  Gefühl  von  Kriechen  oder 
Vertanbung  kann  eine  Folge  dieser  vasomotorischen  Störung 
und  also  ein  peripherisches  Gefühl  gewesen  sein,  welches  dann 
im  Centrum  aufgefa.sst  wuide. 

Dagegen  ist  es  schwierig,  sich  zu  denken,  dass  die  vaso- 
motorische Störung  heftige  peripherische  Schmerzen  hervor- 
rufen kann.    Diese  Schmerzen  dürften  also  centraler  Natur  sein. 

Auch  die  Lokalisation  dieser  Empfindungen  ist  interessant. 
Im  Anfang  der  Krankheit  fingen  sie  immer  in  der  linken  Seite 
an,  und  gleichzeitig  traten  die  motorischen  Reizsymptome  — 
die  Zuckungen  —  immer  nur  in  der  linken  Seite  auf  Den 
13.  März  wurde  zum  ersten  Male  ein  Kriechen  im  rechten 
Bein  empfunden.  Aber  erst  später,  1893  und  im  Jahre 
1894,  wurden  von  Neuem  die  Empfindungen  in  der  rechten 
Seite  lokalisirt,  aber  auch  jetzt  nur  als  Ausnahme. 

Anästhesien.  Wie  schon  erwähnt,  konnte  schon  bei  den 
Anfällen  eine  Vertaubung  entstehen.  Davon  ist  zu  unter- 
scheiden die  nach  und  nach  eintretende  Anästhesie  der  ange- 
griftenen  Glieder. 

Schon  Anfangs  (1891)  war  im  linken  Beine  eine  Herab- 
setzung des  Drucksinns  und  Ortsinns  vorhanden.  Aber  hin- 
sichtlich der  Temperatur-,  Schmerz-  und  Muskelsinne  konnte 
eine  Störung  nicht  wahrgenommen  werden.  1892  (•'',  3  S.  197) 
wurde  auch  eine  Herabsetzung  des  Schmerzsinns  beobachtet, 
wie  auch  des  Temperatursinns.  Diese  Störungen  nahmen 
dann  allmählich  zu,  aber  der  Muskelsinn  war  unverändert  er- 
halten. Mit  dem  Eintritt  einer  vollständigen  Lähmung  des 
hnken  Beines  verschwand  auch  der  Muskelsinn  in  diesem 
Gliede  (^Vi2  1895  S.  204.). 


Der  linke  Arm  war  immer  von  der  Störung  weniger 
ergriften  und  kam  in  zweiter  Linie,  er  war  überhaupt  nur 
ivenig  mitbeteiligt. 

Im  Gesicht  trat  nur  ausnahmsweise  eine  geringe  Anä- 
sthesie auf 

Die  rechte  Seite  zeigte  nur  ausnahmsweise  bei  einem 
Anfalle  Vertaubung.  Von  den  verschiedenen  Sensibilitäts- 
qualitäten war  also  der  Tastsinn  am  meisten,  der  Muskelsinn 
am  wenigsten  betroffen. 

Alle  diese  jetzt  erwähnten  Störungen  stehen  in  voll- 
ständiger Übereinstimmung  mit  dem  Befund  post  mortem. 
Zuerst  reizt  die  Geschwulst  die  rechte  Centraiwindung  im 
Beincentrum,  •  und  Parästhesien  in  der  rechten  Seite  entstehen, 
dann  wird  dieses  zerstört,  und  Anästhesie  entsteht;  dann 
greift  die  Neubildung  auf  die  linke  Hälfte  über,  und  Pa- 
rästhesien in  den  rechten  Zehen  treten  ein.  Nun  muss  es 
befremden,  dass  die  Anästhesie  des  linken  Beins  nicht  stärker 
war,  und  dass  die  Sensibilität  noch  vorhanden  war,  ungeachtet 
der  vollständigen  Zerstörung  des  Beincentrums  rechts  und 
der  starken  Kompression  der  Rinde  im  oberen  Ende  der 
linken  Centraiwindung.  Dies  deutet  auf  ein  grosses  Kompensa- 
tionsvermögen der  anderen  Teile. 

Sobald  aber  die  Zuckungen  von  der  rechten  Seite  aus- 
gingen, fingen  auch  die  Parästhesien  an  dieser  Seite  an.  Es 
waren  also  die  Parästhesien  und  die  Zuckutigen  bezüglich  der 
Lokalisation  innig  mit  einander  verk)nipft. 

Die  Lokalisation  dieser  Parästhesien  war  im  vorliegenden 
Falle  ganz  ungewöhnlich  scharf  lokalisirt,  wenn  auch  nicht 
immer.  Ausser  den  mehr  allgemeinen  Empfind  ingen  von 
» Wellen-a  u.  s.  w.  hatte  Pat.  Schmerzen,  zuerst  im  linken 
Fuss,  welche  selbst  ganz  bestimmt  nach  Aussage  der  Pat.  in 
den  Zehen  anfingen,  und  später  konnte  Pat.  selbst  angeben, 
dass  sie  auf  der  Dorsalseite  der  grossen  Zehe  anfingen.  Diese 
Angabe  wurde  ebenso  bestimmt  wie  wiederholt  gemacht  und 
gab  die  Veranlassung  zum  Lokalisiren  der  Geschwulst. 

Die  Parästhesien  stiegen  dann  hinauf  in  den  Arm,  oder 
ziemlich  oft  in  den  Bauch  und  in  die  Brust,  und  man  findet, 
dass  besonders  die  Schmerzen  sich  in  der  Mammar-  oder 
Herzgegend  lokalisirten  und  dort  selbst  Tage  zurückblieben. 
Interessant  ist  dann,  dass  unter  Umständen  Herzklopfen  (Herz- 
spitzenstoss  kräftiger)  oder  Angstgefühl  entstand. 

Man  dürfte  nicht  irren,  wenn  man  annimmt,  dass  hier 
der  Vagus  gereizt,  resp.  gelähmt  war.  Bisweilen  waren 
Gürtelschmersen  vorhanden  oder  j\Lagenschmcrzen. 

Nur  ausnahmsweise  stiegen  die  Parästhesien  bis  in  das 
Gesicht  hinauf 

Motilität. 

Hand  in  Hand  mit  den  Sensibilitätsstörungen  gingen  die 
Störungen  der  Motilität,  welche  teils  als  Reizsymptome,  teils 
als  Lähmungssymptome  sich  manifestirten. 

ReizsymptoDie.  Die  verschiedenen  Formen  von  Schwirren, 
Zittern  oder  von  Zuckungen  waren  anfangs  mehr  subjektiv 
als  objektiv  bemerkbar,  später  traten  sie  oft  in  stärkster  Form 
hervor.  Im  Allgemeinen  waren  sie  nicht  von  Verlust  des 
Bewusstseins  begleitet. 

Ihr  Auftreten   hat  so  viele  Vergleichspunkte  mit  den 


214 


S.  E.  RENSCHEN.     PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Sensibilitätsstörungen,  dass  eine  ausführlichere  Auseinander- 
setzung unnöthig  erscheint.  Sie  traten  zuerst  in  der  linken 
Seite,  erst  nach  der  Operation  in  der  rechten  Seite  auf,  wo 
sie  zuerst  ^/g  1893,  2  Monate  nach  der  Operation,  erschienen. 
Während  der  letzten  Zeit,  als  das  rechte  Beincentrum  zerstört 
war  und  das  linke  durch  Druck  gereizt,  traten  die  Zuckungen 
fast  nur  in  der  rechten  Seite  auf. 

Die  Zuckungen  gingen  gewöhnlich  von  dem  Fuss,  resp. 
den  Zehen,  aus  und  stiegen  aufwärts;  bisweilen  war  der  Arm 
der  Ausgangspunkt. 

LäJiiniDig.  Die  motorischen  Lähmungssymptome  waren 
analog  mit  den  sensiblen.  Schon  1891  trat  Schwäche  in  den 
Beinen,  besonders  im  linken,  auf  Erst  sehr  .spät,  gegen  Ende 
des  Lebens,  im  Jahre  1895,  wurde  die  Lähmung  vollständig. 
Der  Arm  war  immer  kräftiger  als  das  Bein,  und  die  linke 
Gesichtshälfte  war  nur  wenig  paretisch  (s.  oben  VII).  Beim 
Versuch  das  linke  Bein  zu  bewegen  entstanden  ^^/g  1895 
Mitbewegungen  in  den  Fingern,  welche  Fat.  nicht  verhindern 
konnte. 

Die  rechte  Seite  war  im  Ganzen  normal  und  recht 
kräftig. 

Die  Motilitätsstörungen  standen  im  Ganzen  in  Einklang 
mit  dem  anatomischen  Befund.  Es  weckt  jedoch  Erstaunen, 
dass  zu  einer  Zeit,  zu  der  das  rechte  Beincentrum  schon  ge- 


wiss zerstört  war,  doch  die  Bewegung  recht  beträchtlich  war. 
Durch  die  Operation  wurden  die  medialen  Abschnitte  der  Cen- 
tralwindungen  und  ihre  Verbindungen  mit  dem  Rückenmark  in 
grosser  Ausdehnung  »ausgelöffelt»,  und  dennoch  konnte  Fat. 
lange  Zeit  nachher  gut  umhergehen. 

Die  Figuren  zeigen  auch,  dass  das  linke  Beincentrum 
von  der  Geschwulstmasse  bedeutend  gedrückt  war.  Eine 
Kompensation  der  rechten  Centraiwindung  durch  die  kompri- 
mirte  Rinde  lässt  sich  kaum  denken.  Es  fragt  sich  deshalb, 
ob  die  vcrhältnissmässig  unversehrte  linke  vordere  Centrai- 
windung die  zerstörten  Abschnitte  der  rechtseitigen  Central- 
windungen  kompensircn  kann. 

Die  Reflexe  boten  wenig  Lehrreiches  dar.  Dorsalklonus 
war  ausnahmsweise  vorhanden. 

Vasomotorische  Störungen. 

Im  Jahre  1891  war  schon  das  linke  Bein  angeschwollen. 
Die  Schwellung  ging  dann  zurück,  um  später  von  Neuem 
aufzutreten.  Auch  wurden  bei  den  Anfällen  die  betr.  Glieder 
kalt  oder  warm,  oder  Schwitzen  trat  plötzlich  ein.  Die  links- 
seitigen Glieder  schwitzten  oft  mehr  als  die  rechten. 

Diese  Zustände  sind  Ausdrücke  eines  vasomotorischen 
Reizes  und  einer  Lähmung,  resp.  Kontraktion  und  Erschlaff- 
ung der  Gefässe. 


Fall  20.   Gustaf  Jansson. 

45  Jahre.  Arbeiter. 
Tafel  XXVI.  XXVII. 


Klin.  Diagnose:  Tumop  eepebpi  (Glioma?).    Gypi  eentpal.  sin. 

Zusammenfassung:  Der  45-jährige,  früher  immer 
gesunde  und  kräftige  Arbeiter  bemerkte  Anfang  August  eine 
Schwäche  und  Ameisenkriechen  im  rechten  Bein,  empfand 
Schmerzen  in  der  rechten  Hüfte,  und  zwar  ohne  bekannte 
Ursache;  war  nicht  Alkoholiker,  hatte  nicht  Syphilis  gehabt 
aber  als  Kind  eine  Koj^fverletzung  erlitten,  ^"/s  traten  Schwir- 
ren und  Zuckungen  in  der  rechten  Körperhälfte  auf  in  Form 
von  Jackson'scher  Epilepsie  mit  Bewusstseinsverlust.  Danach 
fast  täglich  wiederholte  Anfälle  von  gleicher  Art.  Ein  Gliom 
im  obersten  Drittel  der  Centraiwindungen  wurde  exstirpirt, 
aber  nur  partiell.  Vorübergehende  Besserung.  Bald  neue  An- 
fälle, Fortschreiten  des  Leidens,  wiederholte  Punktionen  der 
herniösen  Geschwulst.  Tod  acht  Monate  nach  der  Operation 
an  Pneumonie. 

Gesichtspunkte    bei    der   Operation.    —  Elektrische 
Reizversuche  der  Hirnrinde. 

Krankengeschichte. 

Pat.  wurde  den  24.  Aug.  1894  in  die  medicinische  Klinik 
des  Krankenhauses  aufgenommen  und  dann  in  den  medicinischen 
und  chirurgischen  Kliniken  bis  zum  Tod  am  ^''/r,  1895  behandelt. 

Anamnese:  Der  Vater  hatte  Rheumatismus  und  starb  im 
Alter  von  39  Jahren  an  unbekannter  Krankheit;  die  Mutter  er- 


Anatom. Diagnose:  Cysloglioma,  ibidem. 

reichte  das  Alter  von  72  Jahren  und  starb  an  Gesichtsrose. 
Keine  nervöse  Belastung  in  der  Familie.  Pat.  hat  6  Kinder, 
alle  kräftig  und  gesund. 

Selbst  hatte  Pat.  bis  Anfang  seiner  jetztigen  Krankheit  im- 
mer eine  gute  Gesundheit  genossen.  Nur  die  Masern  und  ^Vind- 
pocken  hat  er  durchgemacht. 

Er  hat  nie  Alkohol  gemissbraucht,  nie  Syphilis  gehabt 
aber  hatte  als  Kind  ein  Trauma  im  Gesicht  erlitten  (S.  216). 
Er  hat  sich  mit  Arbeit  als  Ackersmann  beschäftigt  und  hatte 
sich  dabei  nicht  überanstrengt. 

In  der  letzten  Zeit  vor  dem  Ausbruch  der  Krankheit 
war  Pat.  ganz  gesund;  er  litt  nicht  an  Kopfschmerz,  Schwindel, 
Ohrensausen  oder  Erbrechen. 

Den  Anfang  der  Krankheit  verlegt  Pat.  in  die  Zeit  um 
den  g.  August  18Q4.  Er  begann  damals  zu  fühlen,  dass  er  das 
rechte  Beiti  niclit  bcJierrschen  konnte.  Es  schmerzte  nicht,  aber 
bei  gewissen  Bewegungen  bekam  er  geringfügige  Sehnierzen  in 
der  Hüfte.  Auch  war  das  Bein  etwas  taub,  und  Ameisenkriechen 
trat  im  Fuss  auf.  Zuckungen  oder  Zittern  bei  Bewegungen 
traten  nicht  auf.  Die  Motilität  der  übrigen  Gliedmaassen  war 
völlig  normal. 

Dieses  Unvermögen  das  Bein  zu  beherrschen  nahm  all- 
mählich zu,  aber  keine  anderen  krankhaften  Symptome  belästig- 
ten den  Pat.  und  er  hatte  weder  Kopfschmerz,  noch  Schwindel. 


ZUR  EXSTIRPATION  DER  HIRNTUMOREN 


215 


Am  i6.  August,  ohne  dass  er  sich  angestrengt  hatte,  oder 
sonst  etwas  Ungewöhnliches  eingetreten  war,  trat  plötzlich  im 
rechten  Knie  eine  schwirrende,  klopfende  Empfindung  auf,  welche 
dann  durch  die  rechte  Seite  bis  in  den  Kopf  \\\'n■^i\\{^i,i\<ig.  Zuckun- 
gen entstanden  in  der  ganzen  rechten  Körperhälfte,  und  Fat. 
verlor  das  Bewusstscin. 

Ein  beim  Beginnen  des  Anfalls  erhobenes  Geschrei  rief  die 
Umgebung  hinzu  und  diese  hinderte  ihn  zu  fallen.  Nach  ihrer 
Angabe  traten  die  Zuckungen  nur  in  der  rechten  Körperhälfte 
auf,  aber  sowohl  im  Gesicht  wie  in  den  übrigen  Teilen.  Fat. 
weiss  ganz  bestimmt,  dass  ein  Stadium  von  Kontraktion  die  Zuckun- 
gen nicht  einleitete,  deren  Beginnen  er  beobachten  konnte,  ehe 
das  Bewusstsein  verschwand.  Die  Daumen  wurden  nicht  in  die 
Hand  eingezogen;  auch  biss  er  sich  nicht  in  die  Zunge.  —  Die 
Zuckungen  und  die  Bewusstlosigkeit  dauerten  nur  einige  Minuten, 
aber  nach  dem  Anfalle  blieb  eine  bedeutende  Mattigkeit  zurück. 
Schon  an  demselben  Tage  hatte  er  2  neue  Anfälle  und  in  der 
Nacht  noch  2.  Bei  diesen  4  Anfällen  war  sowohl  der  rechte 
Arm  wie  die  rechte  Kopfhälfte  mitbeteiligt,  aber  Fat.  verlor 
nicht  das  Bewusstsein. 

Schon  an  demselben  Tage  wurde  er  zu  einem  Arzt  geschickt, 
welcher  eine  Salbe  auf  das  Bein  ordinirte. 

In  der  nächstfolgenden  Zeit  lag  Fat.  bisweilen  zu  Bett, 
bisweilen  war  er  auf;  wurde  durch  die  täglich  mehrmals  wieder- 
holten Anfälle  beunruhigt;  er  war  aber  dabei  tticht  bewusstlos. 

Im  Allgemeinen  waren  die  Anfälle  in  der  ersten  Woche 
schwerer  als  später;  aber  nur,  wenn  die  schwirrende  Empfindung 
und  die  Zuckungen  sich  bis  zum  Kopf  ausdehnten,  entstand 
Schwindelgefühl,  und  dies  war  ziemlich  oft  der  Fall  in  der 
Woche  vom  ^^"^'^/s;  aber  nach  der  Aufnahme  in  das  Kranken- 
haus, den  ^■'/s,  ist  dies  nur  einmal,  den  ^"/s,  eingetreten;  Fat.  wäre 
dann  vom  Stuhle  gefallen,  wenn  man  ihn  nicht  gehalten  hätte. 

In  der  letzten  Woche  des  August  und  den  ersten  Tagen 
des  September  waren  die  A? fälle  recht  zahlreich,  bis  4  —  5  jeden 
Tag,  aber  sie  wurden  allmählich  gelinder,  verliefen  oft  ohne  Be- 
nommenheit und  zogen  oft  weder  Arm  noch  Kopf  in  Mitleiden- 
schaft. 

Den  ^/g  hatte  Fat.  im  Bade  einen  Anfall  folgender  Art. 
Die  Baderin  sah  »Das  Fleisch  an  der  rechten  Hüfte-f  (aber  sonst 
an  keinem  Funkte  des  Körpers)  »deutlich  zucken».  Bewegungen 
des  Beines  wurden  nicht  beobachtet.  Fat.  hatte  diesmal  Em- 
pfindungen von  Zuckungen  sowohl  in  der  Hüfte,  wie  auch  in  der 
rechten  Seite  des  Kumpfes,  aber  nicht  im  rechten  Beine,  im  Arm 
oder  Gesicht. 

Von  dem  2. — 5.  Sept.  hatte  Fat.  sonst  keinen  Anfall,  aber 
den  ''/'u  des  Morgens  hatte  er  einen  sehr  gelinden. 

Betreffs  der  Anfälle  ist  weiter  zu  bemerken,  dass  Fat.  bis- 
weilen die  Entwickelung  der  Anfälle  hindern  kann,  wenn  er 
gleich  beim  Beginnen  des  Schwirrens  im  Knie  den  Oberschenkel 
kräftig  umgreift.  Andere  Vorboten  als  die  schwirrende  Empfin- 
dung empfindet  Fat.  nicht,  weder  von  Seiten  des  Gesichts,  Ge- 
hörs, Geruchs,  noch  des  Geschmacks.  Nur  bei  dem  ersten  Anfalle 
hatte  er  ein  Geschrei  erhoben.  Die  Anfälle  kommen  gewöhn- 
lich am  Tage,  nur  selten  in  der  Nacht.  Nach  dem  Anfalle  ist 
Fat.  müde,  und  das  Bein  ist  tauber  und  schwächer  als  sonst. 

Die  Unfähigkeit  die  Bewegungen  des  Beines  zu  beherrschen 
hat  allmählich  zugenommen,   aber   Zittern   bei   der  Bewegung 


ist  nicht  beobachtet  worden.  Auch  hat  Fat.  keine  Schmer- 
zen in  dem  Beine,  aber  es  ist  immer  taub,  und  unter  dem  Fusse 
hat  Fat.  ein  -»stechendes  Gefühl-»,  und  das  Bein  ist  etwas  kälter 
als  das  linke.  An  den  übrigen  Gliedmaassen  ist  nichts  Krank- 
haftes wahrgenommen  worden,  weder  hinsichtlich  der  Bewegungen, 
noch  des  Gefühls.  Aber  bisweilen,  wenn  Fat.  in  der  Nacht  er- 
wacht, ivird  der  ganze  Körper  krampfhaft  gestreckt,  und  die 
Streckung  wird  besonders  im  rechten  Beine  bemerkt,  welches 
alsdann  als  »bretthart  gespannt»  anzufühlen  ist.  Bisweilen  ist 
Fat.  von  gelindem  Kopfschmerz  belästigt,  besonders  im  Hinter- 
kopf.   Sonst  ist  sein  Zustand  normal. 

JVeder  Schwindel,  noch  Erbrechen  oder  Störungen  von  Seiten 
der  Sinnesorgane  beschweren  den  Fat.  Sein  Kräftezustand  ist 
nicht  verschlechtert,  und  sein  Interesse  für  die  Umgebung  nicht 
vermindert. 

Die  Temperatur  war  im  Krankenhause  normal.  Frost- 
oder Hitzegefühl  hat  Fat.  nicht  gehabt.  —  Er  wurde  in  der 
Heimath  nur  mit  einer  Salbe  an  den  Beinen  behandelt  und  im 
Krankenhause  mit  FClektricität,  Massage  und  Jodkalium. 

Tagesaufzeichnungen. 

Vs  Vorm.  ein  gelinder  Anfall,  wobei  die  Zuckungen  im 
rechten  Bein  und  in  der  rechten  Seite  des  Rumpfes  erschienen. 

In  der  Nacht  hatte  Fat.  einen  Anfall.  Das  schwir- 
rende Gefühl  begann  in  der  rechten  Hüfte;  Zuckungen,  welche 
selbst  das  Athmen  hinderten,  traten  in  der  rechten  Seite  des 
Rumpfes  auf,  aber  sonst  nicht.  Am  Morgen  Gefühl  von  Schwir- 
ren, aber  keine  Zuckungen. 

"/o.  2  gelinde  Anfälle  des  Vormittags;  Fat.  ist  niederge- 
drückt und  fühlt  »Unruhe»  im  Beine. 

^°/y.  Schwirren  und  »Unruhe»  im  Beine,  besonders  wenn 
er  nicht  gerade  sitzt  und  dann  aufsteht. 

''/f-  Ein  schwirrendes  Gefühl  beginnt  in  der  rechten  Hüfte 
mit  Zuckungen  in  der  rechten  Hälfte  des  Rumpfes,  des  Halses 
und  im  rechten  Arme.  Gefühl  von  Schwindel,  aber  das  Bewusst- 
sein verlor  er  nicht. 

'^/'j.  Anfall  um  6.30  Vorm.  Die  Farästhesien  fangen  im 
rechten  Knie  an;  die  ganze  rechte  Körperhälfte,  den  Arm  aus- 
genommen, schwirrte.  Bei  dem  Umgange  wurde  ein  Anfall  beo- 
bachtet. Die  Farästhesien  fingen  in  der  rechten  Hüfte  an  und 
verbreiteten  sich  sowohl  nach  oben,  wie  nach  unten.  Obwohl 
keine  Zuckungen  gesehen  wurden,  konnte  man  sich  mit  der  auf- 
gelegten Hand  vom  ihrem  Vorhandensein  überzeugen.  Die  rechts- 
seitigen Bauchmuskeln,  besonders  die  breiten,  waren  dabei  ge- 
spannt, und  bald  traten  Zuckungen  in  ihnen  auf.  Das  rechte 
Bein  war  anfangs  gespannt  und  still;  nur  einige  fibrilläre  Zuckun- 
gen traten  auf;  die  Zehen  waren  dorsal  flektirt.  Alsdann  began- 
nen Zuckungen  im  ganzen  rechten  Beine.  Die  Fupillen  waren 
während  des  Anfalles  erweitert,  aber  zogen  sich  gleich  nachher 
zusammen.  Kopf  und  Augen  wurden  etwas  nach  rechts  gedreht. 
Die  linke  Seite  var  nicht  betroffen.  Fat.  konnte  während  des 
Anfalles  sprechen,  wenn  auch  nur  mit  Schwierigkeit.  Keine 
Aphasie. 

Die  Untersuchung  unmittelbar  nach  dem  Anfalle  zeigte, 
dass  die  rechte  Hand  zwar  etwas  taub  war,  aber  dass  die  Sen- 
sibilität, Motihtät  und  die  Reflexe  sonst  normal  waren. 

'^/;).    Kein  Anfall.    Fat.   giebt  an,   dass  auch  der  rechte 


216  S.  E.  MENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Arm  beginnt,  etwas  schwächer  und  ungeschickt  zu  werden.  Schon 
vor  einer  Woche  bemerkte  er  einige  Schwierigkeit  zu  schreiben, 
und  präciserc  Bewegungen,  wie  die  Nase  zu  berühren  u.  s.  w., 
geschehen  mit  der  rechten  Hand  unsicher  und  wackelnd,  gut  da- 
gegen mit  der  Unken  Hand. 

Er  kann  nicht  mehr  das  rechte  Bein  im  Bett  bewegen. 

'■'/y,     Ko])fschmerz.    T.  abends  38.1.    P.  84,  gleichmässig. 

Status  praesens  den  13.— 19.  Sept.  1894. 

Fat.  ist  bettlägrig,  ohne  Zwangslage.  Er  ist  in  der  letzten 
Zeit  nicht  auffallend  al>ge//iagcrt.  Die  Gesichtsfarbe  gesund.  Die 
Haut  auch  sonst  normal.  An  der  linken  Wange  eine  Narbe 
nach  einem  Trauma;  ein  Schlag  von  einem  Pferde  hatte  im 
Alter  von  4  Jahren  den  Pat.  getroffen;  er  fiel  um  und  war  eine 
Weile  bewusstlos.  Die  genaueren  Einzelheiten  sind  nicht  bekannt. 
Appetit  gut,  Stuhlgang  etwas  träge.  Der  Schlaf  war  in  der  letz- 
ten Zeit  nicht  völlig  befriedigend,  indem  Pat.  jede  Nacht  mehr- 
mals erwacht.    Er  ist  nicht  nervös. 

Am  15.  und  18.  Sept.  war  die  Tcmp.  resj).  38.5  u.  38.2 
sonst  war  die  T.  normal;  Puls  c:a  72. 

Subjektive  Symptome. 

Pat.  empfindet  überhaupt  keine  Sciuncrzen,  ausgenommen 
in  der  rechten  Achsel,  welche  bisweilen  ohne  Zusammenhang 
mit  den  Anfallen  schmerzt.  Die  Paräsllicsieti  vor  den  Anfällen 
s.  oben  unter  den  Tagesaufzeichnungen.  Zwischen  den  Anfällen 
empfindet  Pat.  auch  weniger  Schwirren  im  rechten  Bein  als  frü- 
her, und  »es  ist,  als  ob  das  Bein  nicht  mehr  da  wäre».  Kein 
Stechen  mehr  unter  dem  Fusse.  Die  rechte  Hälfte  des  Kopfes 
ist  nunmehr  stets  wie  taub,  aber  ohne  Schmerzen.  Auch  der 
linke  Arm  und  das  linke  Bein  werden  taub,  wenn  Fat.  auf  ihnen 
liegt. 

Kein  Erbrechen,  keine  Halhicinationen,  kein  Schwindel. 
Kopfschmerz  tritt  sehr  selten  auf,  und  dann  im  unteren  Teil  des 
Hinterkopfes,  und  zwar  nicht  auf  einer  bestimmten  Seile,  oder 
tief  im  Inneren;  überhaupt  ist  er  nicht  bedeutend. 

Keine  Linpfindliclikeit  bei  Perkussion  am  Kopfe. 

Objektive  Untersuchung. 

Psyche.  Das  Aussehen  ist  intelHgent,  lebhaft.  Auffassung, 
Urteilsvermögen  und  Gedächtniss  sind  sehr  gut.  \A'ille  und  Stim- 
mung verhältnissmässig  auch  gut. 

Aphasie.  Motorische  Aphasie  ist  nicht  vorhanden.  Er 
spricht  geläufig  Alles  und  kann  selbst  die  schwierigsten  Worte 
nachsprechen.  Er  erinnert  sich  aller  Namen  der  vorgezeigten 
Gegenstände.  Nur  von  Personen  hat  er  Schwierigkeit  sich  der 
Namen  zu  erinnern,  er  hat  die  Namen  mehrerer  von  seinen  Be- 
kannten vergessen  und  giebt  nur  träge  und  nach  einer  Weile 
die  Namen  seiner  6  Kinder  an.  Also  besteht  eine  Form  von 
amnestischer  Aphasie. 

Keine  Agraphie,  insofern  die  Parese  ihm  nicht  hinderlich  ist. 

Kranialnerven. 

I.  Geruch.  Sowohl  auf  dem  rechten  wie  dem  linken 
Nasenloch  erkennt  er  den  Geruch  verschiedener  Stoffe,  wie  Eau 
de  Cologne,  Essigsäure,  Kampher.    Keine  Halhicinationen. 

II.  Beide  Augen  emmetropisch.   S.  R.  =  '/s,  S.  L.  =  ^7^- 


Die  Gesichtsfelder  sind  normal,  das  rechte  ein  wenig  ein- 
geschränkt.    Keine  Scotome.     Keine  Halhicinationen. 

Ophthalmoskopische  U/itersuchung.  Rechtes  Auge.-  Der  obere 
Papillarrand  ist  nicht  scharf  und  die  Retina  in  einer  Ausdehnung 
von  ^2  Papillardiameter  nach  oben  von  grauweisser,  trüber  Farbe. 
Die  Papillargrenzen  sind  sonst  scharf.  Die  Arterien  und  Venen 
sind  stark  gefüllt,  aber  die  Venen  nicht  grosser  als  normal. 

Zinkes  Auge.-  Nach  oben  innen,  wie  nach  unten  innen  finden 
sich  grössere  Flecke  von  weisser  Farbe,  welche  die  Gefässe  decken 
=  doppeltkonturirte  Nervenfasern.  Die  Papillargrenzen  sonst 
scharf.  Die  Gefässe  auch  hier  stark  gefüllt.  Ein  Pigmentfleck 
gleich  innerhalb  der  temporalen  Papillargrenze. 

III.  IV.  VI.  Die  Stellung  der  Augen  und  ihre  Bewegungen 
nach  allen  Seiten  hin  und  bei  Konvergenz  ohne  Störung.  Kein 
Nystagmus.  Die  Pupillen  gleich  gross,  von  normaler  Grosse 
reagiren  auf  Licht  (auch  konsensuell),  die  linke  vielleicht  etwas 
träger  als  die  rechte,  wie  auch  bei  Accomodation. 

V.  Sensibitität  im  Gesicht.  Der  Tastsinn  ist  beiderseits 
normal  und  gleich. 

Minim.  perceplibile.     Minim.  distingibile. 

Stirn,  rechts         2  mg.  2  <  40  mg. 

links  2     »  2  <C  40  » 

Wange,  rechts       i     »  i  <  20  » 

links        1     »  2  ■<  20  » 

Augenlid,  rechts    5     »  5  <^  3°  » 

links     5     »  5  <;  40  » 

Es  bestand  also  kei/i  deutlicher  Unterschied  zwischen  den 
beiden  Seiten. 

Der  Schnierzsinn  scheint  rechts  ein  wenig  herabgesetzt  zu 
sein,  links  normal. 

Ortsinn.    Stirn,      rechts  3,  links  2. 

Wränge,      t,      8,     »  3. 
Also  eine  geringe   Verniinderung  rechts. 

Kähe-  und  Wärme-Sinn:  rechts  nicht  deutlich  herabgesetzt. 
Das  Kauen  geht  beiderseits  gleich  gut  vor  sich. 

VII.  Der  obere  Facialis-Ast  ist  beiderseits  gleich  kräftig, 
sowohl,  was  die  Stirn,  als  die  Augenlider  betrifft. 

Der  untere  P\icialis  funktionirt  auch  beiderseits  mit  gleicher 
Kraft,  und  zwar  in  allen  Zweigen. 

Gaumen.    Bei  Bewegungen  keine  Differenz. 

VIII.  Das  Gehör  ist  normal  und  beiderseits  gleich  scharf. 
Pat.  hört  die  Taschenuhr  links  auf  90,  rechts  auf  82  cm.  Keine 
Halhicinationen. 

IX.  Geschmack.  Er  erkennt  auf  den  beiden  Seiten  der 
Zunge  sowohl  an  der  Spitze  Süsses,  Salziges,  Saures,  wie  an  der 
Wurzel  Bitteres.    Keine  Schwierigkeit  beim  Schlucken. 

X.  Athmen  normal,  20.    Puls  72,  gleichmässig. 

XI.  Die  Stimme  ohne  Störung.  M.  sternocleido-mastoi- 
deus  bei  Kontraktion  etwas  sclnvächer  rechts  als  links.  Die 
rechte  Achsel  steht  etwas  niedriger  als  die  linke. 

XII.  Zunge:  schwache  Abweichung  nach  links;  die  Moti- 
lität gut;  keine  trophischen  Veränderungen. 

Spinalnerven. 

Sensibilität. 

Tastsinn.  Pat.  enpfindet  überall  auch  objektiv  auf  den  bei- 
den Seiten  gleich  stark  selbst  die  leichteste  Berührung  und  kann 
überall  die  Spitze  von  dem  Kopf  einer  Stecknadel  unterscheiden. 


ZUR  EXSTIRPATION  DER  HIRNTUMOREN 


217 


Am  rechten  Beine  ist  die  Empfindung  subjektiv  %ueniger 
scharf  als  am  linken.  Gelinde  Nadelstiche  werden  hier  emp- 
funden, als  ob  es  an  vielen  Stellen  steche.  Ein  Betasten  der 
Haut  des  rechten  Beines  wird  bisweilen  als  Stechen  empfunden, 
was  an  den  übrigen  Körperteilen  nicht  der  Fall  ist. 

Bei  direkter  Messung  zeigte  sich  das  rechte  Bein,  wie  auch 
die  rechte  Bauchhälfte  zveniger  empfindlich  als  die  linksseitigen 
Teile. 

l^er  Schmerzsinn  scheint  beiderseits  gleich  zu  sein. 

Kälte-  nnd   Wärmesinn :  rechts  etwas  herabgesetzt. 

Ortsinn:  sowohl  an  dem  rechten  Beine,  wie  an  dem  rechten 
Arm  und  an  der  rechten  Bauchhälfte  weniger  empfindlich  als  an 
den  entsprechenden  Teilen  links,  und  zwar  besonders  ist  der  Ort- 
sinn an  dem  rechten  Beine  herabgesetzt.  Pat.  kann  jedoch  einen 
Tasteindruck  gut  lokalisiren. 

Der  Muskelsinn  Ait  normal. 

Motilität. 

Aktive  Motilität.  Hals:  S.  oben  unter  N.  accessorius.  Beu- 
gu  ng  nacJi  rechts  scliwäclicr  als  nach  links. 

Rumpf:  Pat.  ist  /;/  der  rechten  Seite  etwas  schwächer  als 
in  der  linken.  Er  sitzt  auch  etwas  nach  rechts  übergebeugt. 
Die  breiten  Bauchmuskeln  rechts  etwas  schwächer.  Die  Musculi 
recti  abdominis  und  Extensores  dorsi  sind  beiderseits  gleich 
kräftig. 

Arme:  der  linke  Ann  hat  normale  Beweglichkeit,  aber  die 
Kraft  ist  deutlich  herabgesetzt. 

Der  rechte  Arm.  Schultergelenk.  Der  Arm  kann  nach 
oben  nur  etwa  45"  von  der  Horizontalebene  erhoben  werden.  Die 
Rotation  im  Schultergelenk  geschieht  nicht  so  vollständig  wie 
links.  Ellenbogengelenk:  die  Flexion  und  Extension  geben  nor- 
malen Ausschlag;  die  Pronation  und  Supination  einen  kleineren 
als  links. 

Alle  Bewegungen  der  rechten  Arms  sind  schwächer  als  die 
des  linken,  so  verhalten  sich  auch  die  Hände.  Der  Hand-druck 
ist  rechts  bedeutend  schwächer  als  links.  Der  rechte  Arm  liegt 
schlaff  an  der  Seite. 

Bein.  Das  linke  Bein  hat  normale  Beweglichkeit,  aber  seine 
Kraft  ist  deutlich  vermindert ;  so  z.  B.  kann  Pat.  auf  diesem 
Beine  gar  nicht  hüpfen;  und  Pat.  fühlt  selbst,  dass  es  schwächer 
als  früher  ist. 

Das  rechte  Bein:  aktive  Motilität  fehlt  vollständig  in  allen 
Gelenken  (inklusive  denen  der  Zehen).  Nur  den  Oberschenkel 
kann  Pat.  etwas  beugen,  jedoch  nicht  bis  zu  45°.  Diese  voll- 
ständige Lähmung  besteht  erst  seit  der  letzten  Woche.  Früher 
konnte  Pat.  das  Bein  in  allen  Gelenken  bewegen. 

Gang.  Pat.  kann  nicht  ohne  Stütze  gehen,  kann  jedoch 
das  rechte  Bein  dabei  brauchen  und  sich  darauf  stützen.  Dabei 
ist  der  M.  gastrocnemius  etwas  gespannt,  aber  der  M.  quadri- 
ceps  cruris  nicht.  Vor  14  Tagen  fanden  sich  im  rechten  Bein 
spastische  Phänomene  vor. 

Keine  Ataxie  beim  Schliessen  der  Augen. 

Die  elektrische  Beizbarkeit  der  Muskeln  ist  beiderseits  gleich. 
(Prüfung  der  Mm.  deltoidei,  Supinator  longus,  extensor.  quadric. 
cruris  und  peronei.) 

Zuckungen  und   Kontraktur.    Ausgenommen  bei  den  An- 


fällen finden  sich  keine  Zuckungen  oder  Krämpfe;  kein  Tremor. 
Dagegen  beim  Versuch  das  rechte  Bein  zu  bewegen,  treten  im 
rechten  Arm  Mitbewegungen  auf 

Reflexe.  Hantreflexe.  Bauch-  und  Cremasterreflexe  deut- 
lich, lebhafter  auf  der  linken  Seite.  Plantarreflexe  stärker  rechts, 
lebhaft. 

Sehnenreflexe.  Kieferreflexe  beiderseits  undeutlich.  Die 
Tricepsreflexe  beiderseits  verstärkt. 

Patcllarrcflcxc  beiderseits  verstärkt,  etwas  lebhafter  links, 
früher  lebhafter  rechts.    Dorsalklonus  fehlt. 

Blase  und  Rectum  fungiren  normal. 

Vasomotorische    und    trophische    Störungen   fehlen,  nur  das 
rechte  Bein  ist  etwas  kälter  als  das  linke.    Kein  Oedem. 
Umfang  der  Extremitäten. 

Oberarm,  rechts  27    cm.,  links  27.5  cm. 

Unterarm,  »      25       »       »25  » 

Oberschenkel,       »      46.3     »       »     47.7  » 
Unterschenkel,      »      30       »       »     30.5  » 
Der    Umfang  ist  also  links  etwas  grösser,  was  vielleicht 
durch   die   Schlaffheit  der  rechtsseitigen  Glieder  erklärt  werden 
kann.     Auch   soll   das   rechte   Bein   schon  früher  etwas  dünner 
gewesen  sein. 

Innere  Organe.    Herz  und  Lungen  ohne  Befund. 
Harn   klar,   sauer,   sp.    (}ew.    1.026,  frei  von  Albumin  und 
Zucker. 

Tagesaufzeichnungen, 
'■'/n.  10.30  Vorm.  Anfall.  Aus  der  starken  Vertaubung 
im  rechten  Bein  und  in  den  Weichen,  welche  sich  nachher  in 
der  rechten  Seite  nach  oben  verbreitete,  konnte  Pat.  ersehen, 
dass  der  Anfall  sehr  stark  werden  würde.  Zuckungen  fingen  in 
der  rechten  Hälfte  des  Bauches  und  im  rechten  Bein  ungefähr 
gleichzeitig  an.  Die  klonischen  Zuckungen  traten  sowohl  im 
rechten  Bein  und  Arm,  wie  in  der  rechten  Hälfte  des  Bauchs 
und  des  Gesichts  auf  und  waren  am  stärksten  in  den  Bauch- 
muskeln. Kopf  und  Augen  waren  nach  rechts  gedreht,  die  Pu- 
pillen etwas  dilatirt.  Während  des  Anfalles  nahmen  die  Zuckun- 
gen im  Arm  und  in  den  Halsmuskeln  zu.  Am  Schlüsse  des 
Anfalles  traten  klonische  Zuckungen  in  der  Aussenseite  des  linken 
Oberschenkels  auf  Der  AnfiU  dauerte  einige  Minuten  und  das 
Bewusstsein  war  erhalten,  so  dass  man  mit  dem  Pat.  sprechen 
konnte. 

Er  gab  an,  dass  er  eine  Berührung  am  linken  Arm  deut- 
lich fühlte,  war  dagegen  ungewiss,  ob  er  am  rechten  etwas 
fühlte.  Pat.  hatte  geringen  Schmerz  während  des  Anfalles  in 
Folge  der  Zuckungen.  —  Eine  halbe  Stunde  nachher  klagte  Pat., 
dass  der  Anfall  die  Kraft  des  rechten  Arms  mitgenommen  habe. 
Objektiv  konnte  er  jedoch  den  Arm  gut  bewegen  und  hatte  un- 
gefähr dieselbe  Kraft  wie  früher. 

^'/o.  Der  Pat.  wurde  klinisch  untersucht,  und  die  Diagnose 
auf  Sarkom  oder  Gliom  gestellt,  welclies  in  der  linken  vorderen 
Centraiwindung  lokalisirt  wurde,  und  zwar  etwa  dem  Pes  der 
ersten  Frontalwindung  entsprechend. 

'^*/o.  Die  Operation  wurde  von  Verf  und  Prof  K.  G. 
Lennander  ausgeführt. 

Die  Operation  begann  9  U.  Vorm.  Chloroform-^Ether-Nar- 


218 


S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


kose.  Vor  dem  Anlegen  des  Hautschnittes  wurde  ein  Gummi- 
schlauch um  das  Kopf  angelegt.  Der  über  den  Centralwindun- 
gen  angelegte  Lappen  überschritt  die  Mittellinie.  Das  Trepan 
wurde  nach  Berechnung  über  dem  Pes  der  ersten  Frontalwin- 
dung und  über  dem  obersten  Drittel  der  vorderen  Centralwin- 
dung  aufgesetzt,  wobei  der  hintere  Rand  des  Sulcus  Rolandi 
uberschritten  wurde.  Die  Trepanation  nahm  Stunde  in  An- 
spruch. Die  Trepanscheibe  wurde  ohne  Verletzung  der  Dura 
herausgenommen. 


Vor  dem  Eröffnen  der  Dura  wurden  zur  Orientirung  einige 
elektrische  Reizversuche  auf  der  Aussenseite  der  Dura  gemacht, 
und  zwar  mit  folgenden  Resultaten. 
Loch  A.    An  i  Zuckungen  in  der  Achsel  (und  Fuss?). 

»   2         »  »   M.  quadriceps  cruris. 

»   3  »  »    der  Achsel  (M.  cucullaris). 

»   4         »  »   M.  rectus  abdominis. 

»   5  Keine  Zuckungen. 

»   6  Plantarflexion  der  Zehen. 

»   7  M.  rectus  abdominis  und  M.  cucullaris  zuckten. 

»  8  Respirationsbewegung  und  Beugung  des  Kopfes 
nach  hinten  (wiederholte  Versuche). 

»93  cm.  vor  der  Fissura  Rolandi  und  i  —  2  cm. 

lateral  von  der  Margo  falcata.  Respirations- 
bewegung. 

Die  Dura  buchtete  sich  nicht  bedeutend  hervor. 
Darnach  wurde  die  Dura  durchgeschnitten,  und  die  bloss- 
gelegte  Hirnoberfläche  von  Neuem  durch  den  faradischen  Strom 
gereizt.    Die  Resultate  waren: 
Loch  A.  10.  Zuckungen  im  M.  cucullaris. 

II.         »         im  M.  rectus  abdominis  und  M.  pec- 
toralis. 

5.  Keine  Zuckungen,  selbst  bei  starkem  Strom. 
Der  Dura-Spatel  wurde  eingeführt,  ohne  in  irgend  einer 
Richtung  Widerstand  zu  begegnen,  ausgenommen  gegen  den 
Sinus  Inngitudinalis,  welcher  i  cm  entfernt  war.  Ein  neues  Tre- 
panloch  (B)  wurde  nach  hinten  medial  angelegt,  um  den  hinter- 
sten Abschnitt  der  hinteren  Centraiwindung  blosszulegen.  Die 
Trepanation  nahm  etwa  20  Min.  in  Anspruch.  Anfangs  konnte 
an  der  Oberfläche  des  Gehirns  nichts  Pathologisches  wahrgenom- 
men werden,  weshalb  Versuche  mit  dem  faradischen  Strom  aus- 


geführt wurden,  um  das  vermuthete  Centrum  für  Knie  und  Hüfte 
zu  finden.    Das  Resultat  war: 

Loch  B.     I.  Zuckungen   in   M.   rectus   et   obliquus  abdominis 

und  M.  cremaster. 

2.  »  im  M.  cremaster. 

3.  Keine  Zuckungen. 

5.  Keine  Zuckungen,  trotz  des  starken  Stroms. 

Ungeachtet  der  anscheinend  unveränderten  Textur  der 
Hirnrinde,  wurde  infolge  des  negativen  Resultats  der  elektrischen 
Reizung  das  Vorhandensein  einer  Geschwulst  in  5  vermuthet, 
da  von  allen  rings  um  diese  Stelle  gelegenen  Punkten  Bewegun- 
gen ausgelöst  werden  konnten,  während  von  dem  Punkt  5  keine 
Zuckungen  auszulösen  waren. 

Nach  einigen  Minuten  nahm  diese  Stelle  in  der  Ausdehnung 
von  etwa  i  cm.  einen  violetten  Farbenton  an,  wurde  etwas  in- 
jicirt  und  erhob  sich  ein  wenig  Uber  die  Ebene  der  umgebenden 
Rinde.  Diese  Stelle  liegt  im  Gyrus  centralis  posterior  1.5  cm. 
lateral  vom  Sinus  longitudinalis.  Ein  Stück  wurde  ausgeschnitten 
und  gleich  mikroskopisch  untersucht,  und  zeigte  eine  Sammlung 
von  kleinen  abgerundeten  Zellen;  also  lag  ein  kleinzelliges  Sarkom 
oder  Gliom  vor. 

Die   Geschwulstmasse  wurde  umschnitten  und  weggenom 
men   in   einer   Ausdehnung  von  etwa  3  cm.;   dabei  drang  das 
Messer  in  eine  subkortikale  Cyste  ein,  und  eine  ansehnliche  Menge 
Flüssigkeit  wurde  entleert. 

Die  ausgeschnittene  Geschwulstmasse  hatte  die  Grösse  einer 
Wallnuss.  —  Da  es  bei  der  Operation  unsicher  war,  ob  die 
Flüssigkeit  von  einer  Cyste  herkam  oder  Ventrikelflüssigkeit  war, 
so  wurde  die  Operation  abgeschlossen.  Die  Dura  wurde  zu- 
genäht und  Hautsuturen  wurden  angelegt.  Die  TrepanÖfi"nung 
wurde  nicht  geschlossen. 

Die  Operation  war  um  12  Uhr  15  Min.  abgeschlossen. 
An  dems.  T.  2  Uhr  15  Min.  Nachm.  Vollständige  Parese  im 
rechten  Arm  und  Bein.  Pat.  kann  kaum  eine  Berührung  des 
rechten  Arms  und  Beins  angeben,  wohl  aber  die  an  den  rechts- 
seitigen Gliedmaassen.  7  U.  15  Min.  Abends  Sensoriiun  klar, 
Pat.  ist  schwach,  befindet  sich  schlecht.  Puls  schnell.  3  Wein- 
lavements  (Wassereinlauf  mit  50  ccm.  Cognac).  Subkutane  Infu- 
sion von  700  ccm.  Kochsalzlösung. 

^■'/'J-    In  der  Nacht  4  Weinlavements. 

Status:  Sensorium  klar,  keine  Aphasie.  Gelinder  Kopf- 
schmerz im  Hinterkopf  Puls  100,  schwach,  aber  gleichmässig. 
II.  Keine  Hemianopsie.  IH.  IV.  VI.  Augenstellung  und  Be- 
wegungen normal.     Die  Pupillen  gleich,  reagiren  auf  Licht. 

V.o.  VII.o.  VIII.o.  X.o.  XII.  Zunge  weicht  vielleicht 
nach  rechts  ab. 

Sensibilität:  auf  der  Brust  beiderseits  gleich. 
Am  rechten  Arm  und  Bein  fühlt  Pat.  nur  stärkeres  Kneifen 
und  stärkeren  Druck. 

l\it.  empfindet  einen  Tropfen  kaltes  Wasser  als  kalt- 

Motililät.  Mit  der  rechten  Hand  kann  Pat.  einen  schwä- 
cheren Druck  ausüben. 

Das  rechte  Bein  kann  gegen  den  Bauch  aufgezogen  werden. 

^'V9.  In  den  Ellenbogen  und  Kniegelenken  wollen  Kon- 
trakturen auftreten. 

^Vs-     Das  Einschlafen  wird  dadurch  verhindert,  dass  es  Pat. 


ZUR  EXSTIRPATION  DER  HIRNTUMOREN 


219 


scheint,  als  ob  das  Athmen  aufhörte.  Das  Uriniren  ist  normal. 
—  Pat  bewegt  Zehen  und  Finger  rechts.    Kein  Kopfschmerz. 

^*/o.  Pat.  kann  heute  nicht  die  Zehen  bewegen.  Schwerer 
Kopfschmerz  im  Scheitel. 

*/io.  Ein  sehr  gelinder  Anfall  ohne  schwirrende  Empfin- 
dung, nur  gelinde  Vertaubung  und  einige  schwache  Zuckungen 
in  den  rechtsseitigen  Bauchmuskeln. 

^/lo.  Die  Empfindung  für  Berührung  ist  nunmehr  gut  an 
Arm  und  Bein  rechts.  Mit  der  Hand  kann  Pat.  einen  nicht  unbe- 
deutenden Druck  ausüben.  Das  Bein  wird  im  Hüftgelenk  ziem- 
lich gut  gebeugt.    Bisweilen  Kopfschmerz  im  Hinterkopf. 

*/io.  Beginnende  Hernie  im  Trepanationsloch.  Die  Sii- 
turen  wurden  weggenommen.    Die  Wunde  ohne  jede  Reaktion. 

^/lo.  Motilität.  Rechter  Arm:  rechte  Schulter  steht  etwas 
niedriger  als  die  linke  und  kann  nicht  gehoben  werden,  der  Un- 
terarm dagegen  völlig;  Pronation  und  Supination  genügend,  wie 
auch  Bewegungen  der  Handgelenke  und  Finger. 

Rumpf.  Pat.  kann  sich  im  Bette  nicht  ohne  Hülfe  auf- 
richten und  ist  deutlich  in  der  rechten  Seite  schwach.  Die  rechts- 
seitigen Bauchmuskeln  sind  weniger  gespannt  als  die  linksseitigen. 

R.  Bein.  Im  Hüftgelenk  gehen  die  Flexion,  Adduktion  und 
Abduktion  bis  45".  Im  Kniegelenk  unbedeutende  Beweglichkeit. 
Fussgelenk  kaum  spontan  beweglich.  Die  Zehen  können  nur 
unbedeutend  bewegt  werden.  Der  Gang  ist  ganz  wie  im  Status 
d.        ^^/g  beschrieben  ist. 

^"/lo.  Um  9  Uhr  Nachm.  wurde  das  rechte  Bein  kalt  emp- 
funden; fast  gleichzeitig  entstand  in  der  rechten  Hüfte  eine 
schwirrende  Empfindung,  fast  gleich  stark  wie  vor  der  Operation. 
Von  der  Hüfte  aus  verbreitete  sie  sich  nach  unten  im  Beine 
und  Fuss,  und  Pat.  glaubte,  im  Beine  Zuckungen  zu  empfinden. 
Nachdem  das  Bein  still  geworden,  traten  schwirrende  Gefühle 
im  rechten  Arm  auf  und  verbreiteten  sich  nach  oben  in  die 
rechte  Hälfte  des  Halses  und  des  Gesichts.  Die  Zuckungen  zeig- 
ten sich  71  ur  im  Arm  und  besonders  in  der  Hand.  Der  Anfall 
endete  nach  15  Min.  mit  gelinden  Zuckungen  in  dem  Arm. 

Nach  dem  Anfall  gelinde  Benommenheit.  Die  Nacht  war  gut. 

^Vio.    Heute  stärkeres  Klopfen  in  der  Wunde. 

3  Uhr  Nachm.  Gelindes  Schwirren  in  der  rechten  Hüfte 
und  nach  unten  im  Oberschenkel. 

7  Uhr  30  Abends.  Gelinde  Zuckungen  im  rechten  AI.  cre- 
7naster  und  M.  sartorius.    Keine  Parästhesien. 

'^/lo.  Kein  Anfall,  nur  einmal  eine  kurze,  gelinde  Vertau- 
bung in  der  rechten  Hüfte  und  in  den  Weichen  rechts. 

In  der  rechten   Achsel  lebhafte  Schmerzen  beim  Versuch 


f  □  em. 


S.  E,  Henschen.    Pathologie  des  Gehirns. 


der  Bewegung,  wie  auch  dazwischen  bisweilen  Schmerzen.  Emp- 
findlichkeit über  dem  Ursprung  des  M.  deltoideus. 

Status:  Psyche  gut,  kein  Kopfschmerz,  keine  Hallucinationen 
oder  andere  Parästhesien,  wie  oben  bemerkt  worden  ist.  Keine 
Aphasie  mehr  (vgl.  die  Anamnese),  die  Gesichtsfelder  ein  wenig 
eingeschränkt. 

III.  IV.  VI.    Sowohl  die  Bewegungen  der  Augen  wie  die 
der  Pupillen  sind  völlig  normal. 
V.    Das  Kauen  normal. 

VII.  Oberer  Facialis  beiderseits  normal.  Unterer  Facialis 
an  der  rechten  Seite  etwas  schwächer.  Bewegungen  der  Gau- 
menbogen gleich. 

IX.    Das  Schlucken  normal. 

XI.  M.  cucullaris  rechts  etwas  schwächer. 

XII.  Zunge  weicht  etwas  nach  links  ab. 

Sensibilität. 

Tastsinn.  Die  leichteste  Berührung  wird  beiderseits  sowohl 
objektiv  wie  subjektiv  empfunden,  selbst  an  den  Beinen.  Strei- 
cJien  mit  einem  weichen  Gegenstand  an  dem  rechten  Beine  fasst 
Pat.  bisweilen  als  Stechen  auf. 

Beim  Versuch  mit  Hollundermarkscheiben  fühlt  Pat.  fol- 
gende Gewichte: 

A\'ange,  rechts  i  m.g.,    links  i  m.g. 

Augenlid,  »  5    *  »  * 

Hand,  »  10    »  »  10  » 

Vola  antibrachii  »  4     »  »  6  » 

Brust,  »  nicht  50    »  »  nicht  50  » 

Bauch,  »  30    »  »  20  » 

Fuss,  »     »     50    »  »  kaum  50  » 

Oberschenkel,      »     »     50    »  »  50  » 

Die  rechte  Hälfte  des  Bauches  und  das  rechte  Bein  sind  also 
etwas  weniger  empfindlich  als  die  linken. 

Ortsinn.  Pat.  kann  genauer  einen  Tasteindruck  lokalisiren, 
ausgenommen  auf  der  rechten  Hälfte  der  Brust  und  auf  dem 
rechten  Oberschenkel.  Sonst  giebt  das  Ästhesiometer  folgende 
Werthe  (in  der  Quere); 

Wange,  rechts  3  cm.,    links  1.5  cm. 

Stirn,  »      3     »  i-5  » 

Vola  antibracliii,  »     OO  »     4  » 

Brust,  »     13.5  »  »      5.5  » 

Bauch,  »      7    »  »5 

Fussrücken,  »      OO  »     4  » 

Oberschenkel        »     12     »  »4  » 

Also:   deutliche   Verminderung  rechts  überall. 
Der   Schmerzsinn  ist  in  der  rechten    Hälfte  des  Körpers 
weniger  lebhaft  als  in  der  linken.    Der  Unterschied  ist  betreffs 
der  Arme  gering. 

Kälte-  und   Wärmesinn  beiderseits  ziemlich  gleich. 
Muskelsinn  normal. 

Motilität.  Aktive. 

Arm:  links  normal;  rechts:  Schultergelenk:  Bewegungen  bis 
45".  Rotation:  fast  keine.  Ellenbogengelenk:  Beugung  kaum 
bis  zum  rechien  Winkel.  Extension  fast  vollständig.  Pronation 
und  Supination:  nur  zur  Hälfte  des  sonst  Normalen.  Die  Finger 
beweglich  wie  normal. 

29 


220 


S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Stärke  für  Dynamometer:  links  J2,  rechts  22. 

Rumpf:  Fat.  kann  sich  nicht  selbst  aufrichten. 

Bein:  Rechts  Hüftgelenk :  Flexion  bis  90"  gegen  den  Körper. 

Kniegelenk:  Extension  vollständig;  Flexion  kaum  90". 

Fussgelenk:  wenig  beweglich  mit  kleinen  Excursionen. 

Zehen:  hcii'ei:^Ii(]i,  aber  bedeutend  weniger  als  links. 

Gehen:  Fat.  geht  besser  als  vor  der  Operation,  aber  nur 
mit  Hülfe  von  Gegenständen.    Sonst  keine  Ataxie. 

Reflexe:  Tricepsreflexe  verstärkt.  Fatellarreflexe  verstärkt, 
besonders  rechts. 

Bauch-  und  Cremasterreflexe:  links  stärker  als  rechts. 

Blase  und  Rectum  normal. 

Kein  Decubitus. 

'''/lo.  Schmerzen  in  der  rechten  Achsel.  Dynamometer: 
rechts  28,  links  38. 

^*/io.   Alle  Tage  Anfälle  von  Vertaubung  in  der  rechten  Hüfte. 

^*'/io.  Kurze  Vertaubung  in  der  rechten  Hüfte  und  kurz- 
dauernde Zuckungen  in  den  rechtsseitigen  Bauchmuskeln.  Er- 
wachen in  den  Nächten  infolge  von  Streckungen  im  Körper, 
besonders  im  rechten  Bein. 

^^'to.  Ausser  Bett.  Vertaubung  stark  in  der  rechten  Hüfte. 
Kopfschmerz. 

"■'/lo.  Beim  Versuch  aufzustehen  ein  kurzer  Anfall.  Zuck- 
ungen rechts  im  Hals,  im  Arm,  in  der  Hüfte  und  im  Ober- 
schenkel.   Oft  Kopfschmerz. 

^'/lo.    Anfall  von  Vertaubung  wie  den  ""/'Oi  '"'t  Schwindel. 

'/ii-   Ist  oft  auf.    ^/u.   Schwere  in  der  rechten  Seite. 

^/ii.  Gelinder  Anfall  in  der  rechten  Hälfte  des  Bauchs 
und  des  Halses. 

Vn.    Dynamometer,  rechts  30,  links  48. 

^/ii.  Vertaubung  rechts  und  schwache  Zuckungen,  "/n. 
Ebenso. 

'^•i-  Anfall  mit  Vertaubung  vom  Kopf  nach  unten  und 
'^/ii.«  mit  Zuckungen  im  Hals.  Empfindlichkeit  über  den  rechts- 
seitigen Mm.  rhomboidei. 

"^/'ii.  Der  Kopfschmerz  nimmt  mit  jedem  Tage  zu,  am  mei- 
sten am  Scheitel  und  von  da  nach  unten  in  der  rechten  Hälfte 
des  Halses.  Gang  schwieriger;  der  Fuss  haftet  mehr  an  dem  Boden. 

""/u.  In  der  letzten  Zeit  hat  Fat.  Vertaubungoi  we/iiger  emp- 
funden, keine  Zuckungen  mehr.  Dagegen  oft  augenblickliche, 
starke,  reissende  Schmerzen  in  der  linken  Gesichtshälfte  vom  Tre- 
panloch  aus. 

^^/ii.   Gelinder  Anfall  rechts  mit  nachfolgender  Müdigkeit. 

^Vn-  Ohne  Vorboten  begann  in  der  letzten  Nacht  eine 
starke  Vertaubung  in  der  rechten  Seite  des  Rumpfes  und  im 
rechten  Arme.  Fast  gleichzeitig  traten  Zuckungen  im  rechten 
Arm  auf,  welche  so  stark  waren,  dass  Fat.  wegen  der  Schmerzen 
mit  dem  linken  sie  zu  verhindern  suchte.  Nach  dem  Anfall  be- 
stand noch  Vertaubung. 

Heute  Vorm.  Anfall  rechts.  Nach  dem  Anfalle  bestanden 
athetotische  Bewegungen  in  den  Fingern  der  rechten  Hand.  Kopf- 
schmerz schwer.  Der  rechte  Arm  ist  heute  sehr  schwach.  Übel- 
keit.   F.  76.  —  Eis  auf  den  Kopf. 

^■"'/ii.  Rechter  Arm  stärker.  Die  Ausbuchtung  am  Kopfe 
grösser  als  früher.  Schwerer  Kopfschmerz.  Beim  Aufsitzen  im 
Bette  Vertaubung  in  der  rechten  Kopfhälfte  und  auch  in  der 
linken  Gesichtshälfte.   Bei  tiefem  Athmen  empfindet  Fat.  Schmer- 


zen in  der  rechten  Seite,  und  die  rechten  Interkostalnerven  sind 
empfindlich. 

',12.  Ophthalmoskopische  Untersuchung.  Linkes  Auge:  die 
Fapille  bleicher  als  gewöhnlich,  ihr  Rand  scharf.  Venen  dicker 
als  normal.    Arterien  normal.    Rechtes  Auge:  ebenso. 

Vi2-  Fat.  klagt,  dass  die  Parese  schnell  zunimmt,  besonders 
///  der  rechten  Hand;  ihre  Finger  befinden  sich  nunmehr  in  fast 
beständigem,  tonischem  Adduktionskrampf  und  sind  unter  einander 
in  Extensionsstellung  eingebeugt.   Dynamometer  rechts  7,  links  32. 

^=*/'i2.    Status  praesens. 

Allgemeinzustand:  Nicht  abgemagert.  Schlaf  ziemlich  gut. 
Subjektives  Befinden. 

Kopfschmerz  geht  von  der  Trepanationsöffnung  aus.  Hier 
nimmt  die  Geschwulst  jede  Woche  zu.  Eine  recht  bedeutende 
Empfindlichkeit  der  Finger  der  rechten  Hand,  aber  nichts  Be- 
sonderes in  Bezug  auf  ihre  Nerven.    Keine  Hallucinationen. 

Objektive  Untersuchung. 

Psyche:  nicht  so  frei  wie  früher.  Bei  den  Anfällen  von 
Kopfschmerz  werden  die  Gedanken  umnebelt,  und  Fat.  kann 
nicht  klar  denken. 

Aphasie.  Fat.  kann  gut  lesen,  und  Aphasie  ist  gar  nicht 
vorhanden;  doch  besteht  jetzt  wie  vor  der  Operation  eine  ge- 
wisse Schwierigkeit  sich  der  Namen  seiner  Bekannten  zu  erinnern. 

Kranialnerven.    II.  Keine  Hemianopsie. 
III.  IV.  VI.    Ohne  Störung. 
VII.    Rechts  Farese.    XII.  O. 

Sensibilität,  Tast-,  Schmerz-,  Ort-  und  Temperatursinn :  rechts 
geringe  Venninderung.    Muskelsinn :  rechts  etwas  herabgesetzt. 

Motilität. 

Passive.  R.  Ann:  gut.  R.  Bein:  beim  Erheben  des  Beins  folgt  der 
Unterschenkel  extendirt  mit.  Geringe  Beweglichkeit  im  Fussgelenk. 

Aktive.  R.  Arm :  Fat.  kann  nur  mit  Schwierigkeit  geringe 
und  schwache  Bewegungen  ausführen,  kann  das  Handgelenk 
nicht  bewegen.    Kann  auch  nicht  mit  Hülfe  gehen. 

R.  Bein:  Kann  in  den  Knie-,  Fuss-  und  Zehgelenken  keine 
Bewegungen  ausführen. 

Also:  Paralyse  vollständig  rechts  im  Bein,  fast  vollständig 
im  Arm. 


Dorsalklonus :  rechts  vorhanden. 
^"/i2.    Sekundär- Operation. 

Der  Lappen  wurde   i  cm.  nach  unten  und  vorn  von  der 


ZUR  EXSTIRPATION  DER  HIRNTUMOREN 


221 


vorigen  Wunde  gelegt.  Eine  pflaumengrosse  Geschwulstmasse 
wurde  angetroffen.  Daneben  drang  der  Finger  in  eine  Cyste 
nach  unten  und  vorn  ein,  welche  etwa  7  cm.  gross  war.  C:a 
25  gm.  Geschwulstmasse  wurden  fiusgelöffelt.  Tamponirung 
mit  Jodoformgaze.    T.  Abends  38°.    P.  124,  später  afebril. 

^^/i2.    Suturen  wurden  angelegt. 

1895  Wunde  z.  T.  geheilt. 

'/i.  Pat.  konnte  nach  der  Operation  den  rechten  Arm  und 
das  rechte  Bein  etwas  bewegen,  aber  dies  ging  bald  wieder  zurück. 

Status:  Psyche  lebhafter  als  ^^/i2  1894.  Sausen  und 
lyäuten  vor  beiden  Ohren.  Ein  grauer  Schleier  vor  den  Augen 
erschwert  das  Lesen.  Kann  jedoch  gut  lesen.  Rechter  Arm 
völlig  gelähmt;  nur  eine  geringe  Beweglichkeit  besteht  im  Daumen 
und  Zeigefinger. 

Rechtes  Bein  ist  spastisch  gelähmt;  nur  im  Knie-  und 
Hüftgelenke  eine  geringe  spontane  Beweglichkeit.  Fussgelenk 
völlig  gelähmt. 

^^/i.  Augeni/ntersiichung.  Rechtes  Auge:  Papille  grau, 
strahlig  mit  diffuser  Grenze.  Linkes  Auge:  ebenso,  aber  in 
geringerem  Grade. 

^'/i.  Die  aktive  Motilität  hat  durch  Massage  und  Elektrici- 
tät  bedeutend  zugenommen: 

Rechter  Arm,  Schultergelenk:  Motilität  bis  45°. 

Ellenbogengelenk:   Flexion  und  Extension  fast  vollständig. 

Handgelenk:  ebenso. 

Finger:  Pat.  kann  alle  Bewegungen,  wenn  auch  schwach 
und  unsicher,  ausführen. 

Rechtes  Bein:  Hüftgelenk :  Pat.  kann  das  Bein  bis  45  °  erheben. 

Kniegelenk:  wird  bis  zum  rechten  Winkel  gebeugt. 

Fussgelenk:  geringe  Flexion  und  Extension.  Die  Zehen 
können  etwas  bewegt  werden. 

Das  rechte  Bein  ist  spastisch  wie  früher.  Dorsalklonus. 

Pat.  schrieb  mit  der  linken  Hand  einen  Brief;  mit 
der  rechten  kann  er  nur  sehr  mangelhafte  Buchstaben  schreiben. 

^^/i.  Kann  mit  kräftiger  Hülfe  umhergehen,  aber  sich  nicht 
auf  das  rechte  Bein  stützen. 

^"/2.  Augenuntersuchung :  die  linke  Papille  scheint  etwas 
angeschwollen,  aber  nicht  ausgeprägt  roth.  Die  Venen  vergrössert, 
die  Arterien  schmäler  als  normal.  Rechtes  Auge:  Papille  ebenso. 
Die  Motilität  verschlechtert. 
"^{■i.  Die  Motilität  ist  jetzt  zurückgegangen  und  ungefähr 
wie  '/i  1895.  Die  Geschwulst  am  Kopfe  misst  7  —  8  cm.  in 
der  Länge,  5  —  6  in  der  Breite  und  2  —  3  in  der  Höhe;  giebt 
Fluktuationsgefühl.  Oft  in  den  Nächten  empfindet  Pat.  im  rechten 
Kniegelenk  eine  krampfhafte  gewaltsame  Flexion,  welche  dann 
plötzlich  in  Extension  übergeht.  Beide  sind  schmerzhaft.  Gleich- 
artige, wenn  auch  nicht  gewaltsame,  Bewegungen  treten  im  Arm 
auf,  besonders  als  Mitbewegung  beim  Gähnen.  Kleine  Zuckungen 
treten  dann  im  Cubitalgelenk  auf,  beim  Aufhören  des  Gähnens  wie 
fällt  der  Arm  gelähmt  herab.  Der  Arm  wie  das  Bein  sind  spastisch. 

^^/s.    Die  erwähnten  Bewegungen  haben  zugenommen. 

''/s.  Incision  von  2  m.m.  in  die  Geschwulstmasse.  Unge- 
fähr 100  c.c.m.  einer  zähen,  rothgelben  Flüssigkeit  mit  etwa  6  *'/o 
Albumin  ausgeleert.    Keine  Zellelemente.   Dabei  Schwindelgefühl. 

Abends.  Pat.  befindet  sich  besser,  ist  aber  schwindelig.  Die 
Motilität  im  Arm  und  Bein  unverändert. 

^^/2.    Die   Motilität  gebessert.     Der   Arm   ist   zwar  noch 


steif,  kann  aber  im  Cubitalgelenk  gebeugt  und  gestreckt  werden, 
und  die  Finger  können  sich  beugen. 

Das  Bein  weniger  steif  als  vor  der  Abzapfung,  kann  auch 
flektirt  und  extendirt  werden. 

'■72.  Die  Besserung  der  Motilität  war  kurzdauernd ;  heute 
sehr  schlecht.  Pat.  hat  Kopfschmerz,  fühlt  sich  verworren;  spricht 
jedoch  korrekt.  Übelkeit.  Rechter  Arm  und  rechtes  Bein  ohne 
jede  spontane  Motilität. 

^*'/2.  IOC  c.c.m.  wurden  aus  der  Geschwulst  entleert.  Sub- 
jektive Erleichterung. 

^^/2.  Verschlechterung.  Gewaltsamer  Kopfschmerz,  Ver- 
worrenheit, Puls  nicht  verlangsamt;  Übelkeit.  In  der  Nacht  ge- 
waltsame Spasmen  im  rechten  Arm  und  Bein.  50  c.c.m.  Flüssig- 
keit entleert.  Schwindel,  subjektive  Besserung,  aber  die  Motilität 
wie  vor  der  Entleerung. 

^/s.  Puls  104.  Intensiver  Kopfschmerz,  Sausen  vor  den 
Ohren,  Dunkelwerden  vor  den  Augen,  Erbrechen.  Abzapfung 
der  Geschwulst.  Nachher  Besserung.  Die  Motilität  nicht  ge- 
bessert.   Nach  einigen  Tagen  schlechter. 

Eine  Nacht  Gesichtshallucinationen  bis  zum  Morgen.  Pat.  sah 
Leute  hin  und  her  im  Zimmer  gehen,  wie  rings  um  das  Bett 
herum.  Alle  trugen  angezündete  Lampen.  'Gleichzeitig  schwerer 
Kopfschmerz. 

Va.  Es  ist  ihm  dunkel  vor  den  Augen.  Er  liest  eine 
Weile  gut.  dann  fliessen  die  Buchstaben  zusammen.  Es  »funkelt» 
vor  den  Augen.  Krampf  im  rechten  Arm  und  Bein.  Abzapfung 
von  100  c.c.m.  Schwindel,  Sausen,  Kopfschmerz  verschwanden 
danach.    Sehen  klarer,  Motilität  unverändert. 

^^/o.    Abzapfung   100  c.c.m.    Vorübergehende  Besserung. 
Die   linke    Gesichtshälfte   etwas   starr;    hat  geringe 

Abzapfung. 

^^/s.    Parese-  der  linken  Gesichtshälfte  deutlicher, 

^"/s.    Pat.   bemerkt,   dass   auch   die  rechte  Gesichtshälfte 

weniger  beweglich  ist.    Kann  das  rechte  Auge  nicht  schliessen. 

Die   Lippen    werden    nicht   von   einander  getrennt;  deswegen 

Schwierigkeit  beim  Sprechen.    Dabei  Ausfluss  von  Flüssigkeit  aus 

dem  Munde. 

Abends:  Die  Parese  des  Gesichts  rechts  nur  gering.  Augen- 
bewegungen normal.  Kauen  leicht.  Zunge  normal.  Sensibilität: 
rechts  im  Gesicht,  wie  am  Thorax  vermindert. 

'^^\-A.  Etwas  unklar;  konnte  nur  wenige  Worte  hervor- 
bringen. Verstand  eine  Frage.  Übelkeit.  Das  linke  Auge 
offen,  das  rechte  geschlossen. 

Parese  rechts  im  Gesicht.  Die  Zähne  an  einander  ge- 
drückt. 

2  Uhr  Nachm.  Heftiges  Erbrechen.  Abzapfung  von  120 
c.c.m.  Augenblicklich  besser  und  klar.  P.  96  (vor  und  nach 
der  Abzapfung).  Pupillen  gleich  gross.  Keine  Hemianopsie. 
Sensibilität:  rechts  im  Gesicht  etwas  vermindert.  Parese  daselbst. 
Zunge  weicht  vielleicht  etwas  nach  rechts  ab.  Bauch :  rechts 
etwas  paretisch  und  anästhetisch;  jedoch  empfindet  Pat.  leichtes 
Berühren  mit  einem  Papierstreifen. 

Arm:  Sensibilität  vermindert,  bemerkt  am  Unterarm  und 
an  der  Hand  Berühren  mit  Papier;  am  Oberarm  nicht. 

Bein.  Oberschenkel:  bemerkt  nicht  leichtes  Berühren  mit 
Papier, 


Motilität. 


222 


S.  E.  RENSCHEN.     PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


^^/s.  Abzapfung. 

'"^'/a.  Koncentrische  Einschränkung  der  Gesichtsfelder,  ^^/s. 
Abzapfung. 

^^j^.  Schwierigkeit  zu  sprechen,  kann  sich  auf  Worte  nicht 
gleich  besinnen.  Liest  unbehindert.  Abzapfung  wiederholt.  Keine 
aphatischen  Symptome. 

-A-  ^/4.  ^li.  '"/i.  ''/-t.  'Vi-  '^'/i-  '"/i-     Abzapfung,  ge- 

wöhnlich von  etwa  loo  c.c.m. 

^^/i — wurde  2  mal  abgezapft.  Allgemeinzustand  ziem- 
lich gut.  Geringer  Kopfschmerz,  kein  Erbrechen.  Klares  Be- 
wusstsein. 

^/.5.  Schlecht.  Kann  nur  mit  Schwierigkeit  einige  Worte 
sprechen.    Abzapfung  von  75  c.c.m.  Besserung. 

■■'/.■>.  Litmbalpuuktion:  keine  Flüssigkeit  wurde  angetroffen. 
Abzapfung  von  der  Geschwulst.  Besserung. 

'^\h.  '/ä.  '7.=:.  Abzapfung. 

Status  praesens  1895. 

Abgemagert,  bettlägerig,  Kräfte  herabgesetzt.  Harn:  spec. 
gew.  i.oii,  ohne  Eiweiss  oder  Zucker. 

Subjektive  Symptome.  Hat  stetig  Kopfschmerz,  bisweilen 
Übelkeit  und  Erbrechen.    Keine  Parästhesien. 

Psyche.  Gesichtsausdruck  leidend,  nicht  schlaff.  Ge- 
dächtniss  gut,  wie  Urteilsvermögen  und  Auffassung. 

Ap/iasie.  Keine  Wortblindheit,  kann  lesen  und  schreiben, 
insoweit  die  Lähmung  nicht  hindert.  Spontanes  Sprechen  korrekt. 
Bisweilen  ist  amnestische  Aphasie  vorhanden,  und  Pat.  besinnt 
sich  nicht  auf  Namen  der  Gegenstände,  besonders  wenn  der 
intrakraniale  Druck  vor  dem  Abzapfen  gesteigert  ist. 

Kranialnerven.    L    Beiderseits  normal. 

IL  Sehschärfe  normal.  Gesichtsfelder  beiderseits  etwas 
koncentrisch  verengt.    Keine  Hemianopsie. 

Ophthalmoskopische  Untersuchung  von  Prof.  Gullstrand. 
Rechtes  Auge:  die  Papille  bedeutend  angeschwollen;  die  Venen 
dilatirt,  geschlängelt;  die  Grenzen  undeutlich  mit  radiärer  Zeich- 
nung; Farbe  grauroth.    Keine  H^emorrhagien. 

Linkes  Auge:  ebenso.  Also  auf  beiden  Augen  ausgeprägte 
Stauungspapille. 

III.  IV.  VI.  Kein  Strabismus.  Pupillen  gleich,  reagiren 
normal. 

V.  Rechts:  vcrmi/iJerte  Sensibilität..  Pat.  empfindet  hier 
nicht  starkes  Berühren.    Ortsinn  hier  auch  herabgesetzt. 

VII.  Oberer  Ast:  geringe  Parese.  Unterer  Ast:  in  hö- 
herem Grade. 

VIII.  IX.  X.  Normal. 
XII.    Ohne  Störung. 

Sensibilität.     Tastsinn:  rechts  nur  wenig  herabgesetzt,  und 
Pat.  empfindet  eine  leichte  Berührung. 
Schmerzsinn:  ziemlich  normal. 
Ortsinn:  rechts  etwas  herabgesetzt. 

Motilität.    Rechts:  Arm  vollständig  gelähmt.    Bein:  kann 
das  Bein  ein  wenig  beugen.    Kann  nicht  gehen. 
Rumpf:  keine  Paralyse. 

Reizungssymptome.  Hat  oft  in  den  Nächten  krampfhafte 
Zusammenziehungen  im  Arm  und  Bein. 

Kontraktur :  gelinde  im  rechten  Ellenbogengelenk. 


Reflexe:  Patellarreflex  rechts  verstärkt. 
Innere  Organe:  Normal. 

Abzapfung  einer  geringen  Menge  Flüssigkeit. 
'•'7'>.  Punktion. 

^"/.T.    Schlecht.     Kopfdruck.     Parese   des   rechten  Facialis 
mehr  ausgeprägt.    Punktion.  Besserung, 
''/ö.    Erbrechen.  Punktion, 
'»/e.    Bewusstlos.    T.  38.1-38.2. 

^^/.->.  T.  40.2  —  Bewusstlos.  Verschied  4  Uhr  15  Min. 
Nachm. 

Sektion. 

Schädel. 

Dura  mater.  Sie  zeigt  überhaupt  keine  anderen  Verände- 
rungen als  diejenigen,  welche  in  der  Umgebung  der  Geschwulst- 
masse vorkommen.  Sonst  ist  die  Dura  von  gewöhnlicher  Dicke, 
glatt  und  ohne  Auflagerungen. 

Pia  mater.  Sie  ist  von  gewöhnlicher  Dicke  und  lässt  sich 
überall  leicht  ablösen;  die  Oberfläche  ist  glatt  ohne  Auflagerungen 
oder  Zeichen  einer  Entzündung. 

Die  Gefässc  zeigen  nichts  Besonderes.  Die  Oberfläche  ist 
überhaupt  blass. 

Hemisphären.  Beide  Hemisphären  zeigen  eine  mehr  als 
gewöhnlich  ebene  Oberfläche,  indem  die  Windungen  abgeplattet 
und  die  Sulci  mehr  verwischt  sind  als  normal. 

Die  rechte  Hemisphäre 

zeigt  überhaupt  nichts  Besonderes,  ausgenommen  die  in  Zusam- 
menhang mit  der  Kompression  stehenden  Veränderungen,  welche 
jedoch  an  dieser  Hälfte  nicht  sehr  ausgesprochen  sind. 

Bei  dem  Durchschneiden  der  Hemisphäre  in  i  cm.  grosse 
Scheiben  wurde  überhaupt  nichts  Pathologisches  nachgewiesen. 

Die  linke  Hemisphäre  (Taf.  XXVI.  XXVII). 

Die  Windungen  sind  mehr  als  normal  zusammengedrängt 
und  abgeplattet  und  sind  gegen  die  Sulci  scharf  abgesetzt.  Im 
Ganzen  schwillt  die  Hemisphäre  nach  dem  Herausnehmen  aus 
dem  Schädel  an  und  misst  dann  19  cm.  von  vorn  nach  hinten. 
Aus  den  Centraiwindungen  und  der  dem  oberen  Parietallappen 
entsprechender  Partie  erhebt  sich  eine  ansehnliche  von  der  Dura 
überzogene  rundliche  Geschwulstmasse,  welche  im  Ganzen  eine 
Halbkugel  bildet  und  an  der  Basis  7  cm.  misst,  in  der  Höhe 
5.5  cm.  Die  Dura  ist  über  der  Geschwulst  mit  der  Kopf- 
schwarte dicht  zusammengewachsen  (s.  Fig.  i).  Auch  ist  die 
Dura  mit  der  Geschwulstmasse  innig  verlöthet,  so  dass  diese  sich 
nicht  ohne  Zerreissen  von  der  Geschwulst  trennen  lässt.  Wie 
aus  den  Durchschnitten  auch  erhellt,  ist  die  Geschwulstmasse  ent- 
sprechend dem  Trepanloch  im  Schädel  rings  herum  zusammen- 
gepresst  und  schwillt  an  der  Aussenseite  des  Schädels  einige 
Centimeter  an. 

Die  Geschwulstmasse  ist  von  ziemlich  fester  Konsistenz  und 
hat  auf  dem  Durchschnitt  eine  grauröthliche,  blutig-gesprenkelte 
Farbe,  ist  aber  im  Inneren  weicher.  Sie  ist  überhaupt  sehr  ge- 
fässreich.    Ihre  mikroskopische  Textur  wird   unten  besprochen. 

Die  entsprechende  Gehirnoberfläche  ist  nicht  herabgedrückt 
und  zeigt  in  der  Umgebung  der  Geschwulst  keine  reaktive  Ver- 


ZUR  EXSTIRPATION  DER  HIRNTUMOREN 


223 


änderung;  sondern  bis  zur  Basis  der  Geschwulst  lässt  sich  die 
unveränderte  Pia  leicht  ablösen  (vgl.  Fig.  i). 

Durchschnitte.  Die  linke  Hemisphäre  wurde  auch  in  i- 
c.m.  dicke  frontale  Scheiben  zerlegt. 

Schnitte  1—3  c.in.  vor  dem  Occipitalpole  zeigen  auf  der 
Schnittfläche  nichts  Pathologisches,  ausgenommen  dass  die  Form 
in  Folge  der  Kompression  etwas  verändert  ist,  und  zwar  mehr 
quadrangulär  als  normal.  Die  Rinde  überall  normal.  Die  Seh- 
strahlung ist  breiter  als  gewöhnlich  in  Folge  der  Kompression 
von  oben. 

Schnitt  4  cm.  auch  normal,  ausgenommen  dass  an  der 
Rinde  des  oberen  Parietallappens  die  oben  erwähnte  von  der 
Dura  eingekapselte  Geschwulstmasse  locker  angelöthet  ist.  Diese 
ist  hier  kugelförmig  und  hat  einen  Diameter  von  5.5  cm.  Weiter 
ist  das  Mark  des  Parietallappens  hier  von  der  Geschwulstmasse 
diffus  in  einer  Ausdehnung  von  1.5 — 2  cm.  infiltrirt;  diese  Masse 
berührt  und  infiltrirt  auch  die  dorsale  Rinde,  aber  nicht  die 
mediale  Rinde  des  Prtecuneus.  Sie  dringt  auch  in  die  nächste 
nach  hinten  liegende  Scheibe  (Schnitt  3  cm.)  etwas  ein,  aber 
berührt  nicht  die  Sehstrahlung. 

Schnitt  5  cm.  (Taf  XXVII.  Fig.  4).  Der  ventrale  Ab- 
schnitt zeigt  nur  eine  veränderte  Form  in  Folge  der  Kom- 
pression. —  Im  dorsalen  Abschnitt  ist  das  Mark  des  oberen 
Parietallappens  in  grosser  Ausdehnung  von  der  Geschwulstmasse 
infiltrirt,  und  zwar  bis  zu  einer  Tiefe  von  4 — 5  cm.  Die  untere 
Grenze  ist  makroskopisch  nicht  scharf  zu  bestimmen.  Mark  und 
Geschwulstmasse  fliessen  in  einander  unmerklich  über.  Auch 
die  Rinde  des  oberen  Parietallappens  ist  in  grosser  Ausdehnung 
zerstört,  die  des  Prsecuneus  nur  an  der  Margo  falcata. 

Die  dorsale  Spitze  der  Sehstrahlung  bis  zur  Höhe  der 
Fissura  occipito-parietalis  ist  von  der  Geschwulst  infiltrirt  oder 
erweicht.  Dagegen  ist  der  ventrale  der  Fissura  calcarina  ent- 
sprechende Abschnitt  nicht  verändert.  —  Dadurch  wird  auch 
das  der  Angularwindung  angehörige  Mark  zum  Teil  geschädigt 
(s.  Fig.  4). 

Schnitt  6  cm.  (Taf  XXVII.  Fig.  3).  Die  Geschwulst- 
masse infiltrirt: 

a)  das  Mark  des  hintersten  Abschnittes  der  hinteren  Centrai- 
windung, des  Parietallappens,  und  zum  Teil  des  unteren  Parietal- 
lappens; 

b)  die  Rinde  der  hintersten  Spitze  der  hinteren  Centrai- 
windung und  zum  Teil  des  Paracentrallappens  (s.«Fig.  3). 

Die  oberste  Spitze  der  Sehstrahlung  ist  infiltrirt.  Der  Ab- 
schnitt ventral  vom  Balken  ist  nicht  verändert. 

Schnitt  7  cm.    (Taf  XXVII.  Fig.  2).    Hier  sind  infiltrirt: 

a)  das  Mark  der  hinteren  und  vorderen  Centraiwindung, 
sowie  auch  der  ersten  Frontalwindung;  dagegen  ist  das  Mark 
der  unteren  Parietalwindung  überhaupt  verschont; 

b)  die  Rinde  derselben  Windungen  und  des  Gyrus  forni- 
catus;  dagegen  ist  die  Rinde  der  unteren  Parietalwindung  voll- 
ständig unversehrt.  Die  Geschwulst  dringt  bis  zur  Höhe  des 
Balkens  und  zum  Dach  des  Unterhorns  hervor. 

Schnitt  8  cm.  (Taf  XXVII.  Fig.  i).  Die  Geschwulst 
ragt  nur  wenig  über  die  Oberfläche  des  Gehirns  hervor  und 
infiltrirt : 

a)  das  Mark  der  vorderen  Centraiwindung,  der  ersten 
Frontalwindung   und  der  Balkenwindung,   lässt  aber  das  Mark 


der  hinteren  Centraiwindung  zum  grossen  Teil  frei,  sie  infiltrirt 

auch  zum  Teil  den  lateralen  Teil  der  Balkenstrahlung; 

b)  die  Rinde  der  vorderen  Centraiwindung  und  der  ersten 
Frontalwindung,  lässt  aber  die  der  hinteren  Centraiwindung  und 
der  Balkenwindung  unversehrt. 

Nucleus  caudatus  bleibt  frei. 

Der  Thalamus  hat  in  Folge  vom  Druck  veränderte  Form 
(s.  Fig.  I.),  ist  sonst  normal. 

Schnitt  g  cm.  (Taf  XXVI.  Fig.  3).  Die  Geschwulstmasse 
ist  bedeutend  weniger  ausgedehnt  und  nimmt  ein: 

a)  das  Mark  der  vorderen  Centraiwindung,  welche  bedeutend 
vergrössert  ist,  der  ersten  Frontalwindung  und  der  Balkenwindung 
und  erstreckt  sich  bis  zur  Balkenstrahlung.  Die  hintere  Centrai- 
windung ist  nicht  berührt; 

b)  die  Rinde  der  C^,  ohne  jedoch  die  äusseren  Konturen 
zu  zerstören. 

Die  dorsale  Fläche  des  Thalamus  ist  abgeplattet,  der 
Nucleus  caudatus  zusammengedrückt. 

Schnitt  10  cm.  (Taf  XXVI.  Fig.  2).  Die  Geschwulst- 
masse misst  nur  4+2  cm.,  infiltrirt  das  Mark  der  C,  F^  und 
der  Balkenwindung  sowie  die  Balkenstrahlung. 

Die  Centraiganglien  (Thalamus,  Lens,  Nucleus  caudatus) 
sind  von  oben  zusammengedrückt. 

Schnitt  II  cm.  ist  normal. 

Die  Centraiganglien  der  beiden  Hemisphären  zeigen  sonst 
keine  pathologischen  Veränderungen,  ausgenommen  was  oben 
beschrieben  worden  ist,  nämlich  dass  sie  links  etwas  von  oben 
gedrückt  sind. 

Medulla  oblongata,  Rons  und  Kleinhirn. 

Weder  an  der  Oberfläche,  noch  im  Inneren  kann  etwas 
Pathologisches  wahrgenommen  werden,  ausgenommen  dass  eine 
deutliche  venöse  Hyperätnie  sowohl  im  Nucleus  dentatus  wie  in 
dem  Haubenabschnitt  der  Medulla  vorhanden  ist. 

Lungen:  doppelseitige  Pneumonie. 

Epikrise. 

Kurzer  Krankenbericht.  Der  45jährige  Arbeiter 
genoss  bis  zum  Ausbruch  seiner  Krankheit  immer  einer  sehr 
guten  Gesundheit.  Er  hatte  nie  Alkohol  gemissbraucht  und 
nie  Syphilis  gehabt;  im  Alter  von  4  Jahren  wurde  er  von 
einem  Trauma  betroffen.  Ohne  bekannte  Ursache  brach  An- 
fang August  die  Krankheit  aus.  Um  den  9.  August  1894 
bemerkte  er,  dass  er  das  rechte  Bein  nicht  beherrschen  konnte 
und  dass  Bewegungen  geringe  Schmerzen  in  der  Hüfte  ver- 
ursachten. Auch  wurde  das  Bein  taub  und  Ameisenkriechen 
trat  im  Fuss  ein.  Den  16.  August  trat  im  rechten  Knie  ein 
schwirrendes  Gefühl  auf,  welches  von  da  aus  in  der  rechten 
Seite  bis  in  den  Kopf  hinaufstieg.  Zuckungen  in  der  ganzen 
rechten  Seite  stellten  sich  ein  und  er  verlor  das  Bewusstsein. 
Schon  an  demselben  Tag  hatte  er  4  solche  Anfälle,  von 
dieser  Zeit  an  \\iederholte  derartige  Anfalle,  in  der  nächsten 
Zeit  mehrmals  täglich,  aber  ohne  Verlust  des  Bewusstseins. 
Später  wurden  sie  gelinder  und  traten  oft  nur  im  rechten 
Bein  auf.  9  entstanden  Zuckungen  in  der  rechten  Hüfte 
und  das  Bein  blieb  frei,  dagegen  war  die  rechte  Seite  des 


224  S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Rumpfes  ergriffen.  Nach  den  Anfällen  war  Pat.  müde  und 
das  rechte  Bein  schwach  und  taub.  Bisweilen  hatte  er 
daselbst  ein  stechendes  Gefühl.  Das  rechte  l^ein  war  kälter 
als  das  linke.  Mitunter  beschränkte  sich  der  Anfall  auf  eine 
tonische  Kontraction  des  ganzen  Köri^ers,  wobei  besonders 
das  rechte  Bein  steif  und  gespannt  \\urde,  oder  Pat.  hatte 
ein  Gefühl  wie  Schwirren  oder  Unruhe  im  Beine. 

Sonst  befand  sich  Pat.  überhaupt  gut  und  war  nicht 
von  Schwindel  oder  Erbrechen  belästigt.  Nur  hatte  er  ge- 
linden Kopfschmerz.  —  Mitte  September  entwickelte  sich 
Schwäche  der  rechten  Hand  und  die  des  Beines  nahm  zu. 

Sta/iis  pnes.  ^^/g  1894.  Etwas  abgemagert,  vielfache 
subjektive  Empfindungen,  wie  Schmerzen,  Stechen,  Ameisen- 
kriechen u.  s.  w.,  leiteten  die  Anfälle  ein.  Psyche  klar.  Spur 
von  amnestischer  Aphasie.  Geruch,  Gesicht,  Gehör,  Geschmack 
normal.  Keine  Stauungspapille,  Augenbewegungen  und  Pu- 
pillen normal.  Geringe  Herabsetzung  der  Sensibilität  im 
rechten  Quintusgebiete.  Facialis  nicht  paretisch,  Zunge  weicht 
nach  links  ab.  Geringe  Herabsetzung  des  Tastsinns  und  des 
Ortsinns,  rechts  im  Beine  und  am  Bauche.  Gelinde  Parese 
in  der  ganzen  rechten  Seite,  besonders  im  Beine,  auch  im 
Arme.  Aber  selbst  das  linke  Bein  und  der  linke  Arm  sind 
geschwächt.  Patellarreflexe  verstärkt.  Das  rechte  Bein  etwas 
magerer  als  das  linke. 

'^  ','9.  Die  Trepanation  wurde  au.sgeführt  (Seite  217)  und  ein 
kleines  Gliom  im  obersten  Drittel  der  linken  hintern  Centrai- 
windung angetroffen,  sowie  eine  subkortikale  Cyste  unter  den 
Central  Windungen. 

Die  PIxstirpation  war  leider  nur  partiell,  indem  die  Wand 
der  subkortikalen  Cyste  nur  partiell  exstirpirt  werden  konnte. 
Der  Verlauf  nach  der  Operation  war  im  Ganzen  günstig  und 
die  Motilität  wurde  gebessert  wie  auch  die  Sensibilität.  10. 
Hernie  im  Trepanationsloch.  Schon  \''io  ein  Abortivanfall, 
d.  -^"/lo  mit  Zuckungen  im  rechten  Arm.  In  der  folgenden 
Zeit  wiederholte  Anfälle  von  Jackson'scher  Epilepsie.  Paralyse 
bildete  sich  vollständig  im  rechten  Beine  aus  und  war  fast 
vollständig  ini  rechten  Arm.  ^°/i2.  Sekundäre  Operation  auch 
mit  relativ  günstigem  Erfolg.  Die  Paralyse  bestand  fort.  Nach 
vorübergehender  Besserung  trat  im  P^ebruar  Verschlechterung 
ein  mit  gewaltsamem  Kopfschmerz,  weshalb  wiederholte  Punk- 
tionen vorgenommen  wurden;  auch  Lumbalpunktion  wurde 
im  Mai  versucht,  ohne  Erfolg.  '^'^ U-  Pat.  erlag  einer  doppel- 
seitigen akuten  Pneumonie. 

Diagnose.  Art  der  Läsioti.  Pat.  wurde  ins  Kranken- 
haus unter  der  Diagnose  Ischias  gebracht,  wozu  die  Anfang 
August  1894  im  rechten  Bein  auftretenden  Schmerzen  mit 
nachfolgender  Schwäche  ohne  Zweifel  Veranlassung  gegeben 
hatten.  Sobald  aber  die  genaue  Anamnese  aufgenommen  war 
und  der  erste  epileptische  Anfall  mit  auf  die  rechte  Seite 
beschränkten  Zuckungen  auftrat,  wurde  eine  Jackson'sche 
Epilepsie  diagnosticirt  und  der  Gedanke  auf  Hirngeschwulst 
gelenkt.  Zwar  konnte  dagegen  angeführt  werden,  dass  keine 
Stauungspapille  vorhanden  -war,  aber  die  Erfahrung,  dass 
selbst  grössere  Geschwülste  in  den  Centraiganglien  ohne 
Stauungspapille  verlaufen  können,  wurde  als  genügender  Er- 
klärungsgrund angenommen. 

Was  die  Art  der  Geschwulst  betrifft,  lag  kein  Verdacht 


auf  Syphilis  vor,  auch  kein  Grund  eine  Pachymeningitis  haemor- 
rhagica  anzunehmen.  Die  Anamne.se  gab  auch  keinen  An- 
haltspunkt für  die  Annahme  von  Tuberkulose.  Die  schnelle 
Entwickelung  der  Krankheitsymptome,  sowie  die  schnell  auf 
einander  folgenden  Anfälle  .sprachen  ohne  Zweifel  für  eine 
schnell  sich  entwickelnde  Geschwulst  und  also  für  Sarkom 
oder  Gliom. 

Lokalisatioii  der  Läsion.  Vür  die  Lokaldiagnose  haben, 
wie  bekannt,  die  Proiospasmcii  und  die  Proioparästlwsien  die 
allergrösste  Bedeutung  und  besonders  i.st  es  wichtig,  die  Form 
des  ersten  Anfalles  zu  erforschen,  welche  gewöhnlich  den 
Ausgangspunkt  der  zu  dieser  Zeit  noch  kleinen  Geschwulst 
angiebt.  In  diesem  Falle  konnte  Pat.  schon  über  den  ersten 
Anfall  einen  zuverlässigen  Bericht  abgeben  und  im  Kranken- 
haus war  noch  bei  der  Aufnahme  keine  vollständige  Hemi- 
plegie vorhanden;  die  Zuckungen  traten  gewöhnlich  nur  in 
umschriebenen  Gebieten  auf  Beim  Beginne  der  Krankheit 
um  den  9.  August  1894  hatte  Pat.  nur  geringfügige  Schmer- 
zen in  der  rechten  Hüfte  bei  gewissen  Bewegungen.  P> 
konnte  das  rechte  Bein  nicht  beherrschen  und  das  Bein  war 
taub.  Bei  dem  ersten  vollständigen  Anfall  den  16.  August 
trat  plötzlich  im  rechten  Knie  eine  schwirrende  Empfindung 
auf,  welche  dann  durch  die  rechte  Seite  bis  in  den  Kopf 
hinaufstieg.  Bei  den  folgenden  Anfällen  waren  die  Proto- 
spasmen  und  Protoparästhesien  bald  im  rechten  Knie,  bald 
in  der  rechten  Hüfte  oder  in  ihrer  Nähe  lokalisirt.  Nur  aus- 
nahmsweise und  besonders  später  fingen  die  Zuckungen  im 
rechten  Arm  an.  P3s  war  also  klar,  dass  der  Ausgangspunkt 
dem  Oberschenkel  oder  dem  untern  Gebiete  des  Rumpfes 
entsprach.  Zwar  kennt  man  das  Centrum  für  den  Rumpf 
beim  Menschen  nicht  so  genau,  dagegen  ist  es  ja  festgestellt, 
dass  das  Centrum  des  Oberschenkels  im  obern  Drittel  der 
Centraiwindungen  gelegen  ist.  Und  da  nun  das  Centrum  des 
Rumpfes  wahrscheinlich  ein  wenig  mehr  nach  unten  und  vorn 
liegt,  so  wurde  hauptsächlich  die  vordere  Centraiwindung, 
etwa  entsprechend  dem  P'uss  der  ersten  Stirnwindung,  als 
Ausgangspunkt  der  Geschwulst  angenommen  und  daselbst 
wurde  auch  trepanirt. 

Einige  Gesichtspunkte  in  Bezug  auf  die  Operation. 

Eine  Operation  schien  aus  dem  Gesichtspunkte  günstige 
Aussichten  zu  bieten,  da  die  Krankheitssymptome  bei  der 
Aufnahme  in  das  Krankenhaus  kaum  drei  Wochen  alt  waren. 
Auch  der  Umstand,  dass  die.  Zuckungen  so  begrentzt  waren, 
dass  eine  genaue  Lokalisation  als  wahrscheinlich  erschien, 
sprach  in  hohem  Grade  dafür,  dass  die  Geschwulst  noch 
keine  grösseren  Dimensionen  angenommen  hatte. 

Was  die  Frage  betrifft,  ob  die  Geschwulst  von  den 
Meningen,  von  der  Rinde  oder  vom  Mark  ausging,  so  machte 
das  schnelle  Wachsen  es  überhaupt  unwahrscheinlich,  dass 
die  Dura  der  Ausgangspunkt  wäre.  Die  ersten  Symptome 
waren  Symptome  von  Paralyse  in  Verein  mit  Schmerzen. 
Später  traten  die  Reizsymptome  in  den  Vordergrund.  Eine 
Lokalisation  in  der  obersten  Schicht  des  Markes  oder  in  der 
Rinde  war  also  die  annehmbarste,  wenn  auch  der  Schädel  beim 
Beklopfen  nicht  empfindlich  w  ar.  Die  Reizsymptome  schlössen 
eine  tiefere  Lage  der  Geschwulst  aus.    Alle  diesq  vor  der 


ZUR  EXSTIRPATION  DER  HIRNTUMOREN  225 


Operation  ausgesprochenen  Vermutungen  wurden  durch  die 
Operation  in  befriedigender  Weise  bestätigt. 

Einige  praktische  Beiuerkn)igc7i  über  die  Operation  und 
ihren  Erfolg. 

Zuerst  will  ich  in  dieser  Hinsicht  hervorheben,  welche 
grosse  Bedeutung  die  elektrische  Reizung  für  die  Orientirung 
und  die  Feststellung  der  getroffenen  Stelle  hat.  Manchmal  ist 
es  sehr  schwierig,  zu  sagen,  welche  Partie  der  Rinde  im 
Trepanloch  erscheint.  Wenn  diese  eine  motorische  ist,  so 
lokalisirt  man  leicht  mit  Hülfe  der  elektrischen  Reizung,  und 
wenn  man  im  motorischen  Gebiete  den  gewünschten  Punkt 
nicht  angetroffen  hat,  so  kann  man  durch  Einführen  einer 
dem  Horsley'schen  Duraspatel  entsprechend  konstruirten  Elek- 
trode den  gewünschten  Punkt  ausfindig  machen. 

Eine  noch  grössere  Bedeutung  für  die  Physiologie  er- 
reichen diese  Reizversuche,  wenn  man  systematisch  dabei 
vorgeht.  Die  Lage  der  motorischen  Centren  ist  ja  von  der 
grö.ssten  Bedeutung  für  die  Hirnchirurgie,  aber  sie  ist  leider 
bis  jetzt  beim  Menschen  nur  wenig  erforscht.  Nur  bei  den 
Gehirnoperationen  lässt  sich  ihre  genauere  Lage  eruiren  und 
es  sollte  desshalb  allen  Chirurgen  angelegen  sein,  darauf  be- 
zügliche Beobachtungen  zu  machen  und  mitzuteilen. 

Wenn  die  Narkose  nicht  zu  tief  ist,  so  löst  schon  ein 
minimaler  elektrischer  Reiz  der  Hirnrinde  eine  für  die  Be- 
obachtung genügende  Zuckung  aus.  Im  vorliegenden  Falle 
wie  auch  in  einigen  nachfolgenden  wurden  solche  elektrische 
Versuche  angestellt.  Das  Resultat  erhellt  aus  der  S.  218 
beigefügten  Figur.  Respirationsbewegungen,  Zuckungen  in 
den  Muse,  quadriceps  cruris,  cucuUaris,  rectus  abdominis  und 
pectoralis  sowie  im  M.  cremaster  und  in  den  Muskeln  der 
Zehen  wurden  von  den  an  der  Figur  mit  Ziffern  angegebenen 
Punkten  ausgelöst.  Dabei  war  es  auffallend,  dass  in  gewissen 
Muskeln  wie  M.  rectus  abdominis  und  cucuUaris  Zuckungen 
von  etwas  verschiedenen  Punkten  aus  ausgelöst  wurden.  Be- 
sonders beim  Vergleichen  mit  anderen  Versuchen  bei  Opera- 
tionen wegen  Epilepsie  war  ich  erstaunt,  dass  die  Gebiete 
für  diejenigen  Muskeln,  in  welchen  die  Protospasmen  erschienen 
waren,  mehr  ausgedehnt  erschienen  als  man  erwartet  hätte. 
Wenn  diese  Beobachtung  auch  in  anderen  Fällen  sich  be- 
stätigen lässt,  so  dürfte  daraus  der  Schluss  berechtigt  sein, 
dass  die  ausserhalb  des  eigentlichen  Centrums  jener  Muskeln 
befindlichen  gewiss  sehr  spärlicli  zerstreuten  Elemente  in 
einem  Zustande  erhöhter  Reizbarkeit  bei  der  Operation  .sich 
befanden  und  dass  in  Folge  dessen  auch  eine  elektrische 
Reizung  ausserhalb  des  eigentlichen  Centrums  dergleichen 
Zuckungen  hervorrufen  zu  können  scheint. 

Der  vorliegende  Fall  hat,  wie  es  scheint  zum  ersten 
Male,  zur  Lol«:alisation  einiger  Centren  geführt,  welche  früher 
beim  Menschen  nicht  bekannt  waren.  Diese  sind  die  Centren 
für  die  Bauch-Muskeln,  M.  rectus  et  obliquus,  so  wie  für  den 
M.  cremaster  und  für  die  Respirationsbewegungen.  Diese 
Centren  dürften  nur  durch  solche  elektrische  Untersuchungen 
erforscht  werden  können,  da  bei  einer  unilateralen  Destruktion 
kompensirende  Centren  teils  an  entsprechenden  Stellen  der 
andern  Hirnhälfte,  teils  in  derselben  Hemisphäre  eintreten 
dürften. 

Besondere  praktische  Bedeutung  hat  die  auch  in  diesem 


Falle  bestätigte  Erfahrung,  dass  Zuckungen  auch  von  der 
Oberfläche  der  Dura  aus  mit  genügender  Sicherheit  ausgelöst 
werden,  wie  das  Protokoll  über  die  elektrischen  Reizversuche 
in  diesem  Falle  zeigt.  Noch  sicherer  dürfte  sich  das  Resultat 
herausstellen,  wenn  man  mit  spitzen  Elektroden  die  Dura 
durchsticht. 

In  diesem  Falle  war  es  weiter  von  Interesse  dass  von 
Punkt  5  im  Loch  A  aus  keine  Zuckung  ausgelöst  wurde,  ob- 
schon  von  den  zunächst  liegenden  Punkten  dies  der  Fall  war. 
Dies  erweckte  den  Verdacht,  dass,  obschon  die  Rinde  hier 
unversehrt  war,  pathologisches  Gewebe  in  der  Nähe  läge,  und 
diese  Vermuthung  veranlasste  die  Anlage  des  zweiten  Tre- 
panlochs  B.  In  seinem  Centrum  5  war  auch  eine  nicht  reiz- 
bare Rinde  vorhanden.  Einige  Minuten  nach  dem  Durch- 
schneiden der  Dura  erröthete  hier  eine  ein  cm.  grosse  Fläche, 
welche  eine  violette  Farbe  annahm.  Ein  Stück  wurde  hier 
herausgeschnitten  und  sofort  unter  das  Mikroskop  gelegt,  wo- 
durch sich  das  Vorhandensein  eines  Neoplasmas  herausstellte. 

Verschiedene  Trepanationen  haben  mich  von  der  ausser- 
ordentlichen Schwierigkeit  überzeugt,  selbst  bei  blossgelegter 
Hirnoberfläche  zu  diagnosticiren,  ob  die  Rinde  von  einer 
fremdartigen  Geschwulstmasse  infiltrirt  sei  oder  nicht.  Dies 
ist  besonders  der  Fall  bei  grossen  Geschwülsten,  indem  da- 
bei die  ganze  Hirnmasse  durch  die  chronische  Injektion  und 
manchmal  vorhandenes  Oedeni  in  Bezug  auf  Farbe  und  Konsi- 
stenz so  wesentlich  verändert  ist,  dass  erst  die  inikroskopiscJie 
Untersuchung  entscheiden  kann,  ob  pathologisches  Gewebe 
vorliegt  oder  nicht.  Ich  möchte  deshalb  dazu  rathen,  dass 
in  allen  Fällen  von  Hirnoperation  geübte  pathologische  Assi- 
stenten zur  Hand  seien.  Die  mikroskopische  Untersuchung 
bietet  selbst  dem  geübten  Pathologen  nicht  unbedeutende 
Schwierigkeiten  dar.  Aber  sowohl  in  diesem  Falle,  wie  im 
vorigen  F"alle  (Wef)  wurde  die  Bestimmung  mit  dem  Mikro- 
skope als  richtig  bestätigt. 

Erfolg  der  Operation.  Leider  wurde  die  Exstirpa- 
tion  nur  partiell  gemacht,  und  zwar  aus  dem  Grunde, 
die  Wand  der  subkortikalen  Cyste  nur  partiell  excidirt  A\urde. 
Überhaupt  hatte  man  auf  das  Vorhandensein  einer  Cyste  kei- 
nen Verdacht.  Erst  bei  einem  tieferen  Einstich  in  die.  Hirn- 
masse, in  der  Absicht  die  Geschwulst  zu  exstirpiren,  wurde 
die  Cyste  durch  das  Herausfliessen  einer  grösseren  Menge 
klarer  Flüssigkeit  entdeckt.  Aber  da  ich  fürchtete,  dass  die 
eventuell  erweiterten  Hirnventrikel  angestochen  wären,  ausser- 
dem der  pathologische  Process  eine  nicht  vermuthete  Aus- 
dehnung hatte  und  endlich  die  Geschwulst  als  eine  maligne 
betrachtet  werden  musste,  so  zog  ich  es  vor,  die  Operation 
lieber  abzuschliessen  als  etwas  zu  riskiren. 

Diese  Schwierigkeit,  gleich  zu  beurteilen,  wie  tief  man 
in  der  Gehirnmasse  arbeitet  und  ob  man  dadurch  in  der  Tiefe 
gefährliche  Läsionen  hervorruft,  veranlasste  mich,  besondere 
Messer  zu  konstruiren,  an  denen  die  Klinge  einen  Halb- 
cirkel  bildet.'''  Man  kann  also  unmittelbar  berechnen,  wie  tief 
man  arbeitet.  Diese  Messer  haben  übrigens  vor  dem  gewöhn- 
lichen Löffel  den  Vorzug,  dass  die  Schneide  sehr  scharf  ist, 

'  S.  Dahlgreiis  Chirurg.-teclin.  Beitrag  z.  Beb:  ndl.  d.  Erkrank,  d.  Ge- 
hirns von  S.  E.  Henschen  (in  Penzoldt-Stintzings  Handb.  d.  Therapie  Bd.  VI). 


226  S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


wodurch  die  Schnittfläche  in  der  Tiefe  so  glatt  wird,  dass 
man  leichter  entscheiden  kann,  ob  hier  im  Boden  der  Wunde 
noch  Neoplasma  vorliegt  oder  nur  normales  Hirngewebe.  Die 
Gefahr,  dabei  grössere  Blutungen  zu  verursachen  als  beim 
Arbeiten  mit  stumpfen  Löffeln  scheint  nur  von  untergeord- 
neter Bedeutung  zu  sein.  Beim  vorsichtigen  Vorgehen  dürf- 
ten die  Hämorrhagien  bei  überhaupt  exstirpabeln  Tumoren 
eine  nicht  zu  grosse  Rolle  .sj^ielen,  indem  sie  durch  Tam- 
ponirung  mit  Jodoformgaze  meistens  verhütet  werden  können. 

Endlich  möchte  ich  hervorheben,  dass  die  von  von  Berg- 
mann geäusserte  und  nach  ihn  in  der  Literatur  als  allgemein- 
gültig angenommene  Gefahr  des  Oedems  durch  Exstirpation 
grösserer  Tumoren  überhaupt  sehr  übertrieben  ist.  Eine  ge- 
naue Durchsicht  der  Literatur  hat  mich  überzeugt,  dass  die 
Gefahr,  ein  Oedem  zu  verursachen,  fast  gleich  Null  ist,  wenn 
man  nicht  wie  von  Bergmann  den  Sinus  unterbindet,  oder 
Infection  entsteht. 

Der  günstige  Erfolg  der  Operation  dauerte  niclit  lauge. 
Der  Patient  fühlte  sich  nach  der  Operation  allerdings  bedeu- 
tend besser  und  seine  Stimmung  wurde  heiterer;  sowohl  Mo- 
tilität wie  Sensibilität  besserten  sich.  Den  3.  October,  also 
neun  Tage  nach  der  Operation,  \\'ar  die  Empfindung  für  Be- 
rührung an  dem  rechten  Arm  und  Bein  gut.  Mit  der  Hand 
konnte  er  einen  nicht  unbedeutenden  Druck  ausüben,  das  Bein 
wurde  im  Hüftgelenk  ziemlich  gut  gebeugt,  aber  schon  den 
10.  October  trat  ein  neuer  Anfall  auf  von  Zuckungen  im  rech- 
ten Arm  und  besonders  in  der  Hand.  Schon  früher,  am  i. 
October,  war  indessen  ein  gelinder  Anfall  eingetreten  mit  Zuck- 
ungen in  den  Bauchmuskeln.  Später  erschienen  Anfälle  am 
^'  lü.  im  rechten  Cremaster  und  noch  später  wiederholte  An- 
fälle, welche  bald  von  der  rechten  Hüfte,  bald  vom  Bein, 
bald  vom  Arm  ausgingen.  Dies  ist  nun  so  auffallender,  da 
ich  mich  besonders  darum  bemüht  hatte,  nicht  nur  die  Ge- 
schwulstmasse selbst  auszuschneiden,  sondern  auch  ein  ge- 
wisses Gebiet  der  anscheinend  gesunden  Rinde.  Nachher 
schritt  die  Krankheit  schnell  fort.  Eine  sekundäre  Operation 
konnte  nur  eine  vorübergehende  Besserung  hervorrufen.  Die 
Paralyse  der  rechten  Seite  wurde  vollständig,  Symptome  von 
gesteigertem  intrakranialen  Druck  wurden  dem  Patienten  sehr 
lästig  und  konnten  nur  durch  fast  täglich  wiederholte  Punk- 
tionen gelindert  werden.  Bei  diesen  Punktionen,  welche  alle 
reizlos  verliefen,  wurden  gewöhnlich  75  bis  100  c.c.m.,  ge- 
wöhnlich klarer  oder  blutiger  Flüssigkeit  entleert  und  endlich 
machte  eine  doppelseitige  acute  Pneumonie  dem  Elend  ein 
Ende. 

Alle  solche  eingreifenden  Hirnoperationen  dürften  dazu 
auffordern,  zu  erwägen,  ob  in  ihnen  wirklich  die  Operation 
das  Leben  verlängert  und  den  Zustand  erleichtert  hat.  Die 
Antwort  auf  diese  beiden  Fragen  zu  geben,  scheint  mir  im 
vorliegenden  Fall  schwierig  zu  sein. 

Der  Patient  überlebte  die  Operation  etwa  acht  Monate 
und  die  Operation  wurde  etwa  sechs  Wochen  nach  dem  Her- 
vortreten manifester  Hirnsymptome  vorgenommen.  Da  in- 
dessen bei  der  Operation  eine  recht  grosse  Cyste  im  sub- 
kortikalen Mark  angetroffen  wurde,  so  hatte  ohne  Zweifel  die 
Neubildung  eine  unbestimmte  Zeit  cxistirt,  ehe  die  Symptome 
manifest  wurden.    Dies  erklärt  sich  wohl  durch  die  subkorti- 


kale Lage  der  Cyste  und  den  geringen  Hirndruck,  der  selbst 
bei  der  Operation  die  Windungen  nicht  zur  Abplattung  ge- 
bracht hatte.  Wie  lange  nun  eine  solche  Geschwulst  beste- 
hen kann,  bis  sie  den  Tod  verursacht,  ist  wohl  zur  Zeit  nicht 
festgestellt.  Jedenfalls  dürfte  wohl  die  Operation  das  Leben 
nicht  verkürzt  haben.  Eher  bin  ich  geneigt,  beim  Vergleich 
mit  andern  Fällen,  wie  zum  Bei-spiel  die  Fälle  Sundelin  S.  I20 
und  Eklund  S.  130,  anzunehmen,  dass  das  Leben  dem  Pati- 
enten verlängert  wurde. 

Die  Frage  ob  diese  Lebensfrist  durch  die  Operation  er- 
leichtert wurde,  ist  ebenso  schwer  richtig  zu  beantworten. 
Überhaupt  war  der  Zustand  des  Patienten  in  den  letzten  Mo- 
naten, als  er  wiederholten,  fast  täglichen  Punktionen  unter- 
\\orfen  wurde,  elend  und  unerträglich. 

Bei  der  Analj'se  der  in  der  Literatur  zugänglichen  Pralle 
finde  ich  die  Bezeichnung:  günstiger  P>folg  oder  Gelingen  der 
Operation  viel  zu  euphämistisch.  PIs  ist  wahr,  dass  die  Ope- 
rationen dem  Artzte  gelangen;  aber  manchmal  nützten  sie 
dem  Patienten  nicht.  Wenn  überhaupt  eine  Statistik  der  Ope- 
rationen der  Hirngeschwülste  sich  als  richtig"  herausstellen 
soll,  so  müssen  die  obigen  beiden  Fragen,  ob  das  Leben 
durch  die  Operation  \erlängert  und  ob  das  Leiden  dadurch 
erleichtert  wurde,  gewissenhaft  von  jedem  Artzte  beantwortet 
werden.  lune  solche  Antwort  fehlt  überhaupt  in  den  meisten 
Operationsberichten. 

In  einer  Hinsicht  verlief  der  vorliegende  P'all  wie  der 
vorhergehende  ausserordentlich  günstig.  Trotz  der  eingrei- 
fenden Operation  und  den  zahlreichen  Punktionen  in  beiden 
P^ällen  war  die  Heilung  des  operativen  Eingriffs  fast  vollstän 
dig  reizlos.  Bei  den  Operationen  wurde  zwar  die  Kopfschwarte 
gründlich  desinficirt  nach  den  besten  Methoden  (:  Seifewasch- 
ung, Sublimat,  Alkohol,  Carbol  und  zuletzt  mit  physiologischer 
steriler  Kochsalzlösung),  aber  nach  dem  Beginnen  der  Ope- 
ration wurden  alle  Antiseptica  weggelassen  und  nur  physio- 
logische Kochsalzlösung  in  reichlicher  Menge  angewendet. 
Damit  wurde  auch  die  Hirnoberfläche  abgespült.  Die  Wunde 
wurde  mit  Jodoformgaze  tamponirt  und  nachher  eine  reich- 
liche Menge  von  aseptischer  Baumwolle  und  Gazebinden  ge- 
braucht. Beide  Patienten  wurden  in  den  kritischen  Zeiten 
nach  den  Operationen  in  der  chirurgischen  Abteilung  des 
Professors  Lennander  gepflegt  und  legen  ein  unwiderlegliches 
Zeugniss  für  die  in  dieser  Abteilung  von  Prof  Lennander 
geübten  vorzüglichen  antiseptischen  Anordnungen  ab.  Und 
ich  statte  ihm  für  jene  Pflege  meinen  besten  Dank  ab. 

Der  P^all  bietet  weiter,  wie  der  Fall  Wef,  ein  Zeugniss 
für  die  kräftige  Wirkung  der  Massage  selbst  bei  centralem 
Ursprung  einer  Krankheit. 

Analyse  der  S  y  m  p  t  o  m  e. 

Der  P'all  Janssen  ähnelt  in  so  vielen  Hinsichten  dem 
vorigen  P'all,  Wef  dass  die  Analyse  der  Symptome  kürzer 
gcfasst  wird.  Beide  sind  I<"älle  von  Geschwülsten,  welche 
von  dem  obersten  Abschnitt  der  Centrahvindungen  ausgingen. 
In  beiden  P^ällen  waren  Reizsymptome  mit  paralytischen  ge- 
mischt, und,  wenn  auch  diese  Symptome  in  Folge  der  ver- 
schiedenen Ausdehnung  der  Neoplasmen  etwas  verschieden 


ZUR  EXSTIRPATION  DER  HIRNTUMOREN  227 


waren,  so  war  doch  im  Ganzen  der  Verlauf  der  beiden  Fälle 
derselbe.  Um  so  mehr  verdient  der  Umstand,  dass  die  Sym- 
ptome einander  ähnelten,  ein  gewisses  Interesse,  da  deshalb 
die  den  beiden  Fällen  gemeinsamen  Symptome  als  gesetz- 
mässig  mit  der  Lage  der  Geschwülste  verbunden  betrachtet 
werden  müssen.  Aber  im  Fall  Wef  drang  die  Geschwulst 
auch  in  die  gegenüberliegende  Hirnhälfte  ein  und  dehnte  sich 
ausserdem  nach  hinten  weit  aus,  nämlich  bis  zu  dem  Occi- 
pitallappen,  während  die  Geschwulst  im  Falle  Jansson  auf  die 
ursprüngliche  Hälfte  beschränkt  blieb. 

Psyche.  Wie  die  Fat.  Wef  war  auch  Jansson  über- 
haupt während  seiner  Krankheit  bei  voller  Intelligenz.  Aber 
bei  der  Zunahme  des  intrakranialen  Drucks  wurde  er  biswei- 
len etwas  unklar  und  benommen,  was  jedoch  gewöhnlich  nach 
den  Punktionen  verschwand  oder  wenigstens  gebessert  wurde. 
Dieses  Verhältniss  stimmt  auch  damit,  dass  die  Krankheit 
eine  sehr  lokale  war  und  dass  die  Pia  überhaupt  keine  Spur 
von  Entzündung  zeigte. 

Aphasie  war  überhaupt  nicht  vorhanden,  ausgenommen, 
dass  Pat.  schon  frühzeitig  eine  gewisse  Schwierigkeit  hatte,  sich 
auf  die  Namen  seiner  Bekannten  zu  besinnen.  Es  trat  also 
mit  der  Krankheit  eine  leichte  Form  von  amnestischer  Aphasie 
ein.  Nach  der  Operation  verschwand  auch  die  erwähnte  ge- 
ringfügige Amnesie  für  Personennamen  (siehe  d.  •'^/lo),  um 
jedoch  später,  ^^/i2,  zurückzukehren.  Bei  den  Anfällen  von 
gesteigertem  Kopfdruck  wie  z.  B.  d.  ^^/s  war  es  ihm  schwie- 
rig, selbst  zu  sprechen  oder  der  Namen  von  Gegenständen 
sich  zu  erinnern. 

Ein  Blick  auf  die  Figuren  kann  davon  überzeugen,  dass 
die  Geschwulst  das  motorische  oder  sensorische  Sprachge- 
biet unversehrt  lässt.  Die  amnestische  Aphasie  war  also  ein 
Fernsymptom  in  Folge  voi.  Druck. 

Besonders  zu  beachten  ist,  dass  Pat.  nie  eine  Schwierig- 
keit beim  Lesen  hatte.  Die  Fig.  4.  Taf  XXVIII  zeigt,  dass  die 
Geschwulstmasse  bis  in  das  tiefere  Mark  des  oberen  Parie- 
tallappens  und  bis  zur  Grenze  der  Angularwindung  eindrang. 
Der  Fall  begrenzt  also  das  Lesecentrum  nach  oben. 

AgrapJiie  war  nicht  vorhanden,  obschon  die  rechte  Hand 
paretisch  war. 

I.  Geruch.  Der  Geruchsinn  war  bis  zum  Ende  des  Le- 
bens vollständig  normal  und  das  Geruchgebiet  ist  auch  von 
der  Krankheit  nicht  berührt. 

II.  Sehschärfe.  Die  Sehschärfe  war  bis  zum  Ende  des 
Lebens  auch  .sehr  gut.  Und  die  Störungen  von  Seiten  des 
Gesichtssinnes  waren  überhaupt  geringfügig. 

Die  Gesichtsfelder  waren  überhaupt  normal  und  keine 
Hemianopsie  wurde  jemals  nachgewiesen;  dagegen  war  eine 
koncentrische  Verengung  der  Gesichtsfelder  vorhanden.  Im 
Status  Mitte  September  1894  betraf  diese  Beschränkung  fast 
nur  das  rechte  Gesichtsfeld.  Später  d.  ^^/lo  waren  beide  ein 
wenig  eingeengt  und  die  Perimeterkarten  geben  die  Ausdeh- 
nung der  Gesichtsfelder  den  ^/s  1895,  also  kurz  vor  seinem 
Tode  an. 

Hier  liegt  also  ein  F'all  von  koncentrischer  Verengung 
der  beiden  Gesichtsfelder  vor.  Die  Verengung  ist  ausge- 
sprochener in  dem  dem  Herd  gegenüberliegenden  Auge.  Die- 
ser Herd  berührt  überhaupt  gar  nicht  diejenige  Rinde,  welche 

S.  E.  Menschen.    Pathologie  des  Gehirns. 


zur  Sehsphäre  gerechnet  werden  kann,  und  der  Fall  spricht 
deswegen,  wie  so  viele  andere,  gegen  die  Theorie,  dass  die 
koncentrische  Einengung  der  Gesichtsfelder  durch  die  Läsion 
eines  bilateralen  oder  psychischen  Sehcentrums  hervorgerufen 
werde. 

Stauungspapille.  Bei  der  Mitte  September  vorgenomme- 
nen ophthalmoskopischen  Untersuchung  waren  keine  ausge- 
sprochenen Zeichen  einer  intrakranialen  Stauung  vorhanden. 
Zwar  war  der  obere  Papillarrand  etwas  undeutlich  und  die 
Arterien  wie  die  Venen  stark  gefüllt,  aber  die  Papillen  waren 
nicht  angeschwollen  und  bei  der  Trepanation  buchtete  sich 
die  Dura  im  Trepanloch  nicht  bedeutend  hervor.  Der  intra- 
kraniale Druck  war  also  nur  unbedeutend  gesteigert.  Den 
^/i2  waren  die  Venen  dicker  als  normal  und  die  Papillen 
bleicher.  Erst  den  ^"/i  1895  hatten  die  Papillen  eine  graue 
strahliche  Farbe  und  diffuse  Grenzen  angenommen,  und  zwar 
mehr  im  rechten  Auge  als  im  linken.  Den  ^"/s  war  die  Stau- 
ungspapille au.sgesprochen,  wenn  auch  nicht  hochgradig. 

Das  Fehlen  einer  Stauungspapille  ist  oben  unter  »Dia- 
gnose» genügend  erklärt. 

Gesichtshallucinationen  \varen  nur  einmal  und  vorüber- 
gehend vorhanden.  Den  ^/a  ist  bemerkt  dass  Pat.  in  einer 
Nacht  Leute,  welche  Lampen  trugen,  hin  und  her  im  Zimmer 
gehen  sah.  Er  hatte  gleichzeitig  schweren  Kopfschmerz. 
Bisweilen  funkelte  es  ihm  auch  vor  den  Augen.  Bemerkens- 
werth ist,  dass  diese  Hallucinationen  nicht  nach  einer  gewis- 
sen Richtung  hin  projicirt  waren.  Der  vorhandene  Kopfdruck 
erklärt  die  Hallucinationen. 

III.  IV.  VI.  Weder  von  den  Pupillen,  noch  von  den 
Augenbewegungen  traten  bemerkenswerthe  Störungen  auf. 

V.  Bei  der  ersten  Prüfung  der  Sensibilität  des  Gesich- 
tes Mitte  September  1894  war  nur  eine  kaum  merkbare  Her- 
absetzung der  Sensibilität  vorhanden  und  diese  betraf  nur 
den  Schmerzinn  und  Ortsinn. 

Diese  geringfügige  Störung  wurde  auch  den' ^^  '10  bei 
der  genaueren  Untersuchung  lachgewiesen.  Später  vermehrte 
sie  sich  und  im  Mai  1895  kurz  vor  dem  Tode  empfand  Pat. 
an  der  rechten  Gesichtshälfte  starke  Berührung  nicht.  Auch 
der  Ortsinn  war  herabgesetzt.  Die  Anästhesie  steht  mit  dem 
Sektionsbefund  in  gutem  Einklang,  indem  die  Geschwulst  wie 
die  Figuren  2  u.  3  Taf.  XXVII  zeigen,  zuletzt  bis  zur  Nähe  der 
Leitung  zum  Gesichtscentrum  sich  ausdehnte. 

VII.  Anfangs  (Mitte  September  1894)  war  im  oberen 
und  unteren  Facialis-Gebiete  rechts  keine  Störung  nachzuwei- 
sen. Nach  der  Operation  den  ^^/lo  war  dagegen  der  untere 
Facialis  etwas  paretisch  und  später  bildete  sich  eine  Parese 
auch  im  obern  Ast  aus  und  die  im  untern  Facialis-Gebiete 
wurde  ausgesprochener.  Ein  Blick  auf  die  Figuren  2.  3.  Taf 
XXVII  giebt  eine  genügende  Erklärung  dieser  Störung. 

VIII.  IX.  Vom  Gehör  und  Geschmack  wurden  keine 
Störungen  nachgewiesen,  ausgenommen  Sausen  und  Läuten 
vor  den  Ohren. 

X.  Normal. 

XI.  Die  Stimme  ohne  Störung.  Dagegen  war  eine 
deutliche  Parese  in  den  rechten  Mm.  sterno-cleidomastoi'deus 
und  cucullaris  vorhanden. 

XII.  Ohne  konstante  Störung.    Die  Zunge  wich  bis- 

30 


228  S.  E.  MENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


weilen  nach  rechts,  bisweilen  nach  links,  aber  gewöhnlich  gar 
nicht  von  der  Mittellinie  ab. 

Sensibilitätsstörungen.  Diese  traten  bald  in  Form 
von  RcizsyniptoDien.  bald  als  Anästhesie  auf.  Und  zwar  waren 
dabei  sowohl  Tast-  als  Temperatursinn  betroffen.  Als  Parä- 
sthesien  vom  Tastsinn  also  empfand  Pat.  Ameisenkriechen. 
Vielleicht  sind  auch  hierher  die  Empfindungen  von  Zuckungen 
und  das  stechende  Gefühl  zu  rechnen.  Daneben  empfand 
Pat.  oft  Schmerzen  in  denjenigen  Teilen,  von  welchen  die 
Anfälle  ausgingen.  Diese  waren  ausserdem  oft  der  Sitz  einer 
schwirrenden  Empfindung,  von  Taubsein  und  Kältegefühl.  Wie 
schon  im  Fall  Wef  auseinandergesetzt  ist,  werden  wohl  alle 
diese  Empfindungen  als  central  entstanden  aufgefasst.  Aus 
den  daselbst  erwähnten  Gründen  scheint  mir  eine  solche  An- 
sicht betreffs  des  Kältegefühls  und  des  Taubseins  noch  nicht 
genügend  festgestellt.  Es  lässt  sich  nämlich  denken,  dass 
die  schon  beim  Peginne  eines  Anfalls  in  dem  peripherischen 
Gliede  entstandene  vasomotorische  Störung,  welche  die  un- 
mittelbare Folge  der  Reizung  der  centralen  Rindenelemente  ist, 
sowohl  die  Vertaubung  und  das  Ameisenkriechen,  wie  das 
Kältegefühl  hervorrufen  könne.  Dagegen  ist  es  schwierig 
zu  fassen,  wie  ein  intensiver  ScJivierz  nur  durch  vasomotorische 
Störung  entstehen  soll,  da,  wie  bekannt,  solche  vasomotorische 
Störungen  in  den  peripherischen  Teilen  sehr  gewöhnlich  ohne 
Schmerzen  verlaufen.  Die  die  Anfälle  einleitenden  Schmerzen 
dürften  deshalb  centrale  Rindenschmerzen  sein. 

Was  die  Lokalisation  dieser  Parästhesien  betrifft,  so 
gingen  sie  gewöhnlich  vom  rechte?i  Oberschenkel.  Knie  oder 
von  der  rechten  Hüfte  aus.  Und  schon  bei  den  ersten  An- 
fällen anfangs  August  waren  sie  in  derselben  Weise  lokalisirt. 
In  den  letzten  Monaten,  als  grössere  Gebiete  der  Rinde  und 
des  subkortikalen  Marks  zerstört  waren,  nahmen  diese  Parä- 
sthesien ab  und  schwanden  endlich  anscheinend  vollständig. 

Nach  der  Operation  begannen  sie  öfters  im  Arm,  resp. 
in  der  Hand. 

Die  Lokalisation  zuerst  im  Schenkel  und  in  der  Hüfte 
und  erst  später  im  Arm  steht  in  vollem  Einklang  mit  der 
Lokalisation  der  Geschwulst;  nachdem  das  Beincentrum  zer- 
stört war  und  die  Geschwulst  sich  ausgedehnt  hatte  wurde 
das  Armcentrum,  ja  selbst  das  Gesichtscentrum  gereizt. 

Die  Anästhesie  war  viel  weniger  ausgeprägt.  Mitte 
September,  bei  der  ersten  Untersuchung  war  der  Tastsinn  nur 
wenig  am  rechten  Beine  herabgesetzt.  Daselbst  war  auch 
betreffs  des  Ortsinns  und  Temperatursinns  nur  eine  gering- 
fügige Störung  nachzuweisen. 

Nach  der  Operation,  durch  die  gewiss  das  linke  Sensi- 
bilitätscentrum zerstört  war,  war  die  Anästhesie  ausgeprägter, 
die  Sensibilität  jedoch  nicht  ganz  verschwunden.  Pat.  emp- 
fand den  "''/g  stärkeres  Kneifen  und  stärkeren  Druck  und 
einen  Tropfen  kalten  Wassers  als  kalt,  aber  später  bei  der 
Prüfung  den  -^^/lo  war  die  Sensibilitätsstörung  des  Tastsinns 
kaum  mehr  nachweisbar  und  der  Unterschied  zwischen  rechts 
und  links  betreffs  des  Ortsinns  und  des  Schmerzsinns  nur 
ein  geringer.  So  verhielt  es  sich  auch  bei  der  Prüfung  den 
^■''/i».  Und  kurz  vor  seinem  Tode,  den  ^/ 5,  empfand  Pat. 
rechts  schon  eine  leichte  Berührung.    Der  Schmerzsinn  war 


ziemlich  normal.  Nur  hinsichtlich  des  Ortsinns  wurde  eine 
geringe  Herabsetzung  festgestellt.  Da  nun,  wie  die  Figuren 
gleich  zur  Hand  geben,  die  obere  Hälfte  der  Centraiwindungen 
entweder  an  der  Oberfläche  oder  im  Mark  zerstört  war  und 
doch  nur  eine  geringfügige  Herabsetzung  der  Sensibilität 
selbst  kurz  vor  dem  Tode  vorhanden  \\ar,  so  müssen  andere 
Teile  kompensirend  eingetreten  sein,  und  zwar  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  die  homologen  Teile  der  rechten  Hemi- 
sphäre. Andererseits  beweisen  die  beim  Beginnen  der  Anfälle 
die  Zuckungen  einleitenden  Parästhesien,  dass  die  Sensibilitäts- 
und Motilitätselemente  zu  einander  in  innigster  Beziehung 
stehen.  Da  eine  kleine,  nur  einige  Millimeter  oder  Centimeter 
messende  Geschwulst  in  der  Rinde  in  demselben  Punkt  lo- 
kalisirte  Parästhesien  und  Zuckungen  hervorruft,  so  vüissen 
die  Sensibilitäts-  und  Motilitätscentren  einander  mehr  oder 
weniger  vollständig  decken. 

Perverse  Sensibilität  wurde  wiederholt  beobachtet,  indem 
eine  Berührung  mitunter,  wie  am  ^''10  die  Empfindung  von 
Stechen  hervorrief 

Der  Muskelsinn  blieb  lange  normal  und  wurde  erst  spät 
betroffen,  ungeachtet  des  frühzeitigen  Ergriffenseins  des  Parie- 
tallappens. 

Motilitätsstörungen.  Die  vorhandenen  Motilitäts- 
störungen sind  denen  der  Sensibilität  überhaupt  sehr  analog. 
Die  Reiz-  und  Lähmungs-Symptome  miscliten  sich  unter  einan- 
der. Sie  waren  fast  immer  auf  die  rechte  Seite  beschränkt. 
Nur  einmal  ist  es  bemerkt,  dass  es  an  der  Aussenseite  des 
linken  Schenkels  zuckte. 

Reizsymptome.  Die  Reizsymptome  begannen  gewöhnlich, 
wie  die  Parästhesien,  in  der  rechten  Hüfte  oder  im  rechten 
Oberschenkel  oder  Knie,  erstreckten  sich  dann  durch  die  rechte 
Seite  nach  oben  hin,  um  im  Arm  oder  im  Gesicht  aufzuhören. 
Bisweilen  entstanden  keine  ausgeprägten  Zuckungen,  sondern 
nur  eine  tonische  Kontraktion;  gewöhnlich  aber  äusserte  sich 
der  Reizzustand  durch  starke  Zuckungen.  In  der  späteren 
Zeit  gingen  die  Zuckungen  oft  vom  Arm  aus,  aber  noch  in 
der  letzten  Zeit,  den  ''/f,,  also  zehn  Tage  vor  dem  Tode,  traten 
noch  kramphafte  Zusammenziehungen  im  rechten  Bein  auf 
Ein  Blick  auf  die  Figuren  genügt,  um  zu  überzeugen,  dass 
diese  Zusammenziehungen  nicht  von  dem  zerstörten  linken 
Rindencentrum  ausgehen  konnten,  sondern  wahrscheinlich 
von  dem  centralen  Ende  der  noch  erhalten  gebliebenen 
motorischen  Fasern. 

Die  paretischen  Symptome  waren  schon  anfang  August 
1894  bei  den  ersten  Anfällen  ausgesprochen.  Mitte  September 
war  die  Paralyse  des  rechten  Beins  vollständig.  Im  rechten 
Arm  bestand  nur  eine  Parese.  Nach  der  Operation,  bei  der 
das  Beincentrum  wahrscheinlich  weggeschnitten  wurde,  konnte 
Pat.  jedoch  die  verschiedenen  Gelenke  des  rechten  Beines  be- 
wegen und  später  trat  selbst  den  10  eine  Besserung  ein, 
aber  zulezt  war  besonders  der  rechte  Arm  vollständig  ge- 
lähmt, während  Pat.  das  Bein  ein  wenig  beugen  konnte.  Im 
Rumpf  bestand  dann  keine  deutliche  Paralyse.  In  Anbetracht 
der  Zerstörung  der  Centren  für  Bein  und  Arm,  sowie  auch 
anscheinend  des  Rumpfes,  können  diese  Phänomene  nur  durch 
die  bilaterale  Innervation  erklärt  werden.    Damit  steht  in 


ZUR  EXSTIRPATION  DER  HIRNTUMOREN 


229 


vollem  Einklang,  dass  Fat.  schon  frühzeitig  bemerkt  hatte 
dass  mich  die  linkseitigen  Gliedmaassen  auffallend  geschzväcJit 
waren.  In  Anbetracht  der  unbedeutenden  Kompression  der 
rechten  Hemisphäre  muss  diese  Schwäche  von  dem  Ausfall 
der  tonischen  Innervation  der  linkseitigen  Glieder  von  den 
Rindenelementen  der  linken  Hirnhemisphäre  aus  erklärt 
werden. 


Fall  21.  Eri 

6i  Jahre. 

Klinische  Diagnose:  Tumop  eepebri  luetieus  cum  epilepsia. 

Zusammenfassung:  Die  6 1 -jährige  Wittwe  zeigte  vor 
mehr  als  vier  Jahren  syphilitische  Geschwüre  an  der  Zunge 
und  hatte  ein  syphilitisches  Halsleiden.  Sie  litt  dann  viel  an 
Kopfschmerz  und  Schlaflosigkeit.  Wurde  von  einem  Trauma 
an  dem  Kopf  betroffen.  Seit  etwa  drei  Wochen  verminderte 
sich  das  Sehvermögen,  besonders  auf  dem  linken  Auge,  und 
das  Gehör  wurde  links  schlechter.  Den  "^/H  1893  brachen 
während  des  Schlafes  epileptiforme  Konvulsionen  aus.  Die 
Trepanation  wurde  in  extremis  ausgeführt,  als  der  Tod  schon 
drohte.  Die  in  den  Centraiwindungen  gesuchte  Geschwulst 
wurde  nicht  getroffen,  die  Konvulsionen  wurden  zwar  milder, 
aber  die  Fat.  starb  am  folgenden  Tage  an  Erschöpfung  unter 
hoher  Temperatursteigerung. 

Der  Fall  zeigt,  dass  begrenzte  Zuckungen  bei  Zusammen- 
löthung  der  Fia  und  Dura  durch  eine  Geschwulst  nicht  noth- 
wendig  eine  Lokalisation  in  den  Centraiwindungen  beweisen. 

Anamnese.  Fat.  wurde  in  bewusstlosem  Zustand  unter 
wiederholten  epileptiformen  Konvulsionen  ins  Krankenhaus  ge- 
bracht, weshalb  eine  genaue  Untersuchung,  besonders  hinsicht- 
lich aller  subjektiven  Symptome  nicht  vorgenommen  werden 
konnte.  Die  anamnestischen  Daten  wurden  zum  Teil  erst  später 
nachgeholt.  In  Folge  dessen  und,  da  der  Fall  ein  hauptsächlich 
negatives  Interesse  darbietet,  wird  die  Krankengeschichte  nur 
in  verkurtzer  Form  hier  angeführt. 

Der  Vater  war  Alkoholiker  und  unordentlich  in  der  Lebens- 
weise. Eine  neuropathische  Belastung  in  der  Familie  kann  sonst 
nicht  nachgewiesen  werden.  Sowohl  in  der  Jugend,  wie  nach 
ihrer  Verheiratung  führte  Fat.  ein  nicht  immer  untadelhaftes 
Leben  und  war  auch  etwas  dem  Trünke  ergeben.  Wann  sie 
Lues  erworben  hatte,  ist  nicht  bekannt.  Vor  zwanzig  Jahren 
machte  sie  ein  schweres  rheumatisches  Fieber  durch  und  von 
dieser  Zeit  datirt  sich  eine  allmählich  sich  entwickelnde  Atrophie 
des  linken  Armes  und  der  linken  Hand.  Sonst  war  sie  immer 
gesund  und  kräftig. 

Vor  etwas  mehr  als  4  Jahren  hatte  sie  grosse  Geschwüre 
an  der  Zunge  und  später  ein  Halsleiden  mit  starken  Schluck- 
beschwerden. Unter  geeigneter  Behandlung  wurde  sie  allmählich 
gesund.  In  den  letzten  Jahren  hat  Fat.  oft  an  Kopfschmerz  und 
Schlaflosigkeit  gelitten.  Vor  etwa  drei  Jahren  zog  Fat.  sich  ein 
Trauma  am  Scheitel  durch  ein  fallendes  Büchergestell  zu.  Das 
Trauma  war  sehr  heftig  und  rief  eine  nicht  unbedeutende  Blutung 


Von  gewissem  Interesse  war,  dass  bisweilen  beim  Ver- 
suche, das  paretische  rechte  Bein  zu  bewegen,  Mitbeiucgiingen 
im  rechten  Arm  entstanden  wie  im  Status  Mitte  September 
bemerkt  ist. 

Die  vasomotorischen  und  trophischen  Störungen  sowie 
das  Verhalten  der  Reflexe  bieten  wenig  Lehrreiches  oder 
Neues  dar. 


:a  Peterson. 

Wittwe. 

Anatom.  Diagnose:  Gumma  in  den  ersten  Fpontalwindung  und 
an  dem  Chiasma. 

hervor.  Nach  diesem  Trauma  nahm  der  Kopfschmerz  bedeutend 
zu  und  Fat.  war  oft  gezwungen,  deswegen  das  Bett  zu  hüten, 
selbst  längere  Zeit.  Der  Kopfschmerz  war  /;/  der  Stirn  oder  im 
Scheitel  lokalisirt  und  war  immer  stärker  links.  Besonders  hat 
Fat.  das  letzte  Jahr  an  Kopfschmerz  gelitten  und  glaubte  oft, 
dass  sie  in  Folge  dessen  des  Verstandes  beraubt  werden  würde. 

Vor  drei  Wochen  bekam  sie  nach  einer  anstrengenden  Ar- 
beit und  durch  Erkältung  einen  solchen  Anfall  vom  schwerem 
Kopfschmerz.  Sie  musste  sich  zu  Bett  legen,  ihre  Kräfte  nahmen 
sehr  ab,  und  sie  litt  viel  an  Schlaflosigkeit.  Der  Schmerz  hatte 
seinen  Sitz  auf  der  linken  Seite.  Sie  hatte  keine  Hallucina- 
tionen  oder  Farästhesien,  aber  sie  war  für  Geräusche  sehr  emp- 
findlich. Das  Sehvermögen  verminderte  sich  in  hoh^m  Grade, 
besonders  auf  dem  linken  Auge,  so  dass  Fat.  in  der  letzten  Zeit 
mit  diesem  Auge  selbst  eine  Lampe  nicht  mehr  sehen  konnte. 
Ob  Hemianopsie  vorhanden  gewesen,  ist  ungewiss. 

Gleichzeitig  wurde  das  Gehör  auf  dem  linken  Ohr  schlechter 
und  Fat.  wurde  schhesslich  auf  dieser  Seite  ganz  taub.  Sie  litt 
auch  oft  an  Sausen  in  den  Ohren.  Übrigens  sollen  weder  Sensi- 
bilitäts-.  noch  Motilitätsstörungen  vorhanden  gewesen  sein.  Keine 
merkbare  Schwäche  oder  Kontraktur  war  im  linken  Arm  oder 
Bein  wahrgenommen  worden  und  keine  Zuckungen  waren  je 
vorhanden. 

Nach  post  mortem  und  auf  Veranlassung  des  Sektionbefun- 
des gemachten  Nachforschungen  ergab  sich  Folgendes: 

I.  Der  Geruch  war  während  der  letzten  i  —  2  Jahre  sehr 
vermindert  Fat.  war  auch  von  einem  hartnäckigen  Schnupfen 
belästigt  und  die  Nase  war  immer  verstopft. 

II.  Das  Gesichtsvermögen  wurde  auch  in  dem  letzten  fahre 
bedeutend  verschlechtert.  In  dem  letzten  halben  Jahre  konnte 
Fat.  nur  mit  Schwierigkeit  schreioen  und  zuletzt  war  sie  auf  dem 
linken  Auge  völlig  blind  und  die  Sehschärfe  auf  dem  rechten  sehr 
herabgesetzt.  Nur  nach  wiederholten  Versuchen  konnte  sie  ein 
Licht  anzünden  und  sie  erkannte  ihre  Umgebung  nur  durch  die 
Stimmen. 

Nach  dem  Tode  des  Mannes,  vor  4  Jahren,  sah  sie  oft 
ihren  Mann  am  Bette  sitzen.  Diese  Hallucinationen  verschwan- 
den später.  In  der  letzten  Zeit  sah  sie  oft.  bei  den  Anfällen 
von  Kopfschmerz  Sterne  und  Flammen  vor  den  Augen.  Ob  sie 
lokalisirt  waren,  weiss  man  nicht.  Im  Schlaf  sprach  sie  oft 
mit  sich  selbst. 

Am  22.  November  1893  war  sie  auf  und  beschäftigte  sich 


230  S.  E.  HEXSCHEX.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


mit  allerlei  im  Zimmer.  Am  2j.  JVozcmbcr  Morgens  bemerkte 
die  Tochter,  dass  die  Mutter  im  beii'usstlosen  Zustande  mit  ge- 
ivaltsamen  Zuckungen  im  ganzen  Körper  im  Bette  lag.  Der 
Kopf  war  nach  hinten  gebeugt.  Die  Augenlider  offen,  die 
Augen  nach  vorn  gerichtet  mit  deutlicher  Divergenz.  Der  Mund 
war  nach  links  hinüber  gezogen  und  sie  führte  Kaubewegungen  aus. 
Nach  einer  halben  Stunde  hörte  der  Anfall  auf.  Der  rechte 
Mundwinkel  erschlaffte  und  Pat.  luar  im  linken  Arm  und  Bein 
gelähmt  und  bewusstlos.  Um  6  Uhr  45  Min.  Vorm.  bekam  sie 
einen  neuen  epileptischen  Anfall,  der  Kopf  und  die  Augen  wurden 
nach  links  gezogen,  die  Zuckungen  fingen  im  Gesicht  an  und 
verbreiteten  sich  auf  den  linken  Arm  und  das  linke  Bein. 

Am  Vormittag  kehrte  das  Bewusstsein  zum  Teil  zurück. 
Auf  Anreden  antwortete  sie  immer  nur:  ja.  später  am  Tage  er- 
kannte Pat.  die  Umgebung  und  antwortete  richtig,  aber  nur  mit 
einem  Ja  oder  Nein. 

Am  Abend  um  9  Uhr  trat  ein  neuer  Anfall  ein.  Um  12 
Uhr  30  Min.  in  der  Xacht  hatte  sie  Anfälle  alle  3  bis  5  Mi- 
nuten bis  um  3  Uhr.  Jeder  Anfall  dauerte  3  Minuten.  Zuckungen 
in  den  Beinen  waren  nicht  vorhanden. 

Am  24.  November  fingen  die  Anfälle  um  11  Uhr  30  Min. 
Vorm.  an  und  wiederholten  sich  jede  Viertelstunde.  Vor  jener  Zeit 
war  sie  klar  im  Kopf  und  klagte  nur  über  Stechen  in  der  linken 
Ferse.    In  der  Mittagszeit  wurde  sie  in's  Krankenhaus  gebracht. 

Status  praesens  den 
Kräftiger  Körper. 

Subjektive  Symptome. 
Pat.  leidet  an  schwerem  Kopfschmerz,  welchen  sie  in  die  linke 
Seite  und  in  die  Stirn  verlegt.    Sonst  hat  sie  keine  Schmerzen, 
kein  Erbrechen. 

Objektive  Untersuchung. 

Psyche:  Pat.  ist  abwesend,  liegt  meist  in  umnebeltem  Zu- 
stande, mitunter  kehrt  das  Bewusstsein  zwischen  den  Anfällen 
einigermaassen  zurück.  Sie  erkennt  dann  die  Umgebung  und 
spricht  mit  Bekannten.  Ihr  Gedächtniss  scheint  dann  nicht  sehr 
schlecht  zu  sein. 

Aphasie  scheint  iiicht  vorhanden  zu  sein,  obschon  sie  nur 
ja  und  nein  sagt. 

Kranialnerven.    I.    Geruch  nicht  zu  untersuchen. 

II.  Nach  Angabe  blind  auf  dem  linken  Auge  und  die  Seh- 
schärfe scheint  auf  dem  rechten  bedeutend  herabgesetzt  zu  sein. 
Hemianopsie  nach  rechts  dürfte  auf  dem  rechten  Auge  bestehen. 
Die  ophtalmoskopische  Untersuchung  ergab  kein  Resulut.  weil 
die  Cornea  in  Folge  von  Epithelablösung  bedeutend  trübe  war. 

III.  rV.  VI.  Iris  Stork  getrübt.  Die  Augen  sind  zwischen 
den  Anfällen  nach  rechts  abgelenkt  mit  gelinder  Konvergenz.  Bei 
den  Anfällen  weichen  sie  nach  links  ab.    Pat.  fixirt  ein  Licht  nicht. 

Die  Pupillen  sind  sehr  klein,  gleich  gross,  reagiren  unbe- 
deutend auf  Licht.    Keine  deutliche  hemiopische  Reaction. 

V.  Die  Empfindlichkeit  scheint  links  etwas  herabgesetzt  zu 
sein,  denn  Pat.  reagirt  nicht  so  leicht  links  bei  Berührung  oder 
Nadelstichen  wie  rechts. 

Zwischen  den  Anfällen  besteht  eine  linkseitige  Faci- 
alisparese.  Die  Augenlider  werden  beiderseits  vollständig  ge- 
schlossen. 


VIII.  Gehör  fehlt  vollständig  auf  dem  linken  Ohre. 

IX.  Geschmack  nicht  zu  untersuchen. 

X.  Das  Athmen  ist  zwischen  den  Anfallen  normal,  wäh- 
rend der  Anfälle  sehr  unregelmässig  in  Folge  von  Krampf  in 
den  Rumpfmuskeln. 

Der  Puls  ist  regelmässig  und  sehr  voll.  120. 

XI.  Die  Stimme  nicht  verändert. 

XII.  Ob  die  Zunge  abweicht,  ist  ungewiss.  Die  heraus- 
gezogene Zunge  zeigt  am  linken  Äande  ein  i  cm.  grosses  Ge- 
schii'ür  mit  grauweissera  Belag. 

Sensibilität. 

Wegen  der  Bewusstlosigkeit  der  Pat.  kann  eine  L'ntersuch- 
ung  nicht  vorgenommen  werden. 

Motihtät. 

Pat  ist  am  linken  Arm  und  Bein  vollständig  gelähmt:  die 
rechte  Seite  ist  normal. 

Reßexe:  Die  Kubitalrefle.xe  sind  links  vermehrt.  Beim 
Schlagen  auf  den  linken  L'nterarm  entstehen  idiomuskuläre  Kon- 
tracktionen.  aber  nicht  rechts. 

Patellar refl exe  an  keiner  Seite  nachzuweisen. 

Blase:  Der  Harn  geht  in's  Bett. 

Vasomotorische  Störung.    Die  linke  Körperhälfte  ist  etwa 
Grad  wärmer  als  die  rechte. 

Innere  Organe:  Herz  ohne  Befund. 
Lungen  ohne  Besonderes. 

Der  Harn  enthält  weder  Eiweis.  noch  Zucker,  spec.  Gew.  1.020. 
Die  Gifässe  sind  nicht  sklerotisch. 

Tagesaufzeichnungen. 

Den  Pat.  hat.   epileptische    Anfälle   ungefähr  jede 

Viertelstunde,  die  Anfälle  dauern  eine  bis  zwei  Minuten.  Pat. 
reagirt  nicht  auf  Anreden.  Der  Anfall  fängt  damit  an,  dass  die 
Augen  nach  links,  zuerst  nach  oben  und  dann  nach  unten  rotirt 
werden.  Der  Kopf  ist  nach  links  abgelenkt.  Der  linke  Muse, 
stemomastoidens  wird  stark  gespannt,  das  linke  Auge  schliesst 
sich  und  der  linke  Mundwinkel  wird  nach  oben  und  links  ge- 
zogen. Dann  treten  heftige  Zuckungen  im  ganzen  Gesicht  ein, 
bedeutend  Storker  in  der  linken  Gesichtshälfte.  Kaubewegungen. 
Die  Zuckungen  verbreiten  sich  in  der  linken  Seite  über  Hals, 
Nacken.  Rumpf,  linken  Arm  und  linkes  Bein.  Bei  gewaltsame- 
ren Anfällen  werden  auch  der  rechte  Arm  und  das  rechte  Bein 
ergriffen.  Zwischen  den  Anfällen  sind  die  Augen  nach  rechts 
abgelenkt,  mitunter  ein  deutlicher  Nystogmus. 

Zu  Mittag  wiurden  \üer  Schröpfköpfe  in  den  Nacken  gesetzt. 
Reichliche  Blutung. 

Den  ^^/ii.  In  der  Nacht  Anfälle  alle  20  Minuten.  Die 
Anfälle  wie  oben  beschrieben.  Am  Tage  dauerten  die  Anfälle 
fort  und  nach  acht  L'hr  Vormittags  gingen  die  Anfälle  in  ein- 
ander über.  9  Llir  Vorm.  Gesicht  und  Lippen  sind  stark  cy- 
anotisch.  die  Augen  injicirt,  das  Athmen  unregelmässig.  Der 
Puls  ist  klein,  unregelmässig,  140  bis  150.  Temperatur  im  Rec- 
tiun  39.4.  in  der  linken  Axilla  38.9  und  in  der  rechten  AxiUa  38.5. 

IG  Schröpfgläser  dunkelrothen  Blutes  wurden  entleert.  12 
Uhr  Mittags.   Der  Status  epilepticus  dauert  fort  und  der  Zustand 


ZUR  EXSTIRPATION  DER  HIRNTUMOREN 


231 


ist  sehr  schlimm.  Man  entschloss  sich  zur  Trepanation,  um  wo 
mögUch  Pat.  zu  retten.  Die  Diagnose  wurde  auf  einen  luetischen 
Tumor  in  oder  in  der  Nähe  der  Mitte  der  Centralw  ndungen 
gestellt. 

1893  ^^/ii.  Operationsbericht. 

Narkose  wurde  nicht  angewendet. 

12  Uhr  45  Min.  Nachm.  Die  Incision  wurde  nach  Desin- 
fection  gemacht.    Die  Galea  löste  sich  gleich. 

12  Uhr  52  Min.    Die  erste  Trepanscheibe  herausgenommen. 

Geringe  Blutung.  Schädel  ziemlich  dick,  aber  von  loser  Kon- 
sistenz. Die  blossgelegte  Dura  war  mässig  gespannt,  selbst  wäh- 
rend der  Anfälle.  Bei  Reizung  mit  einem  sehr  starken  Fara- 
dischen Strom  im  linken  Teile  der  Trepanationsöffnung  entstand 
tonischer  Krampf  und  starke  Beugung  mit  Pronation  des  linken 
Unterarmes.  Im  vorderen  Teile  entstanden  Zuckungen  des  Mus- 
culus sternocleidomastoideus. 

I  Uhr  5  Min.  Die  Dura  wurde  durchgeschnitten.  Die 
Hirnoberfläche  buchtet  sich  stark  hervor,  ist  bedeutend  injicirt, 
zeigt  ein  geringes  Oedem  zwischen  den  Gyri.  Die  Fläche  pul- 
sirt  stark.  Elektrische  Reizung  mit  demselben  Resultate.  Das 
Trepanloch  liegt  entsprechend  der  Mitte  der  hinteren  Centrai- 
windung. 

I  Uhr  8  Min.  Eine  neue  Trepanation,  gerade  nach  oben 
gegen  die  Mittellinie  hin. 

Die  Zwischenzeiten  zwischen  den  Anfällen  sind  jetzt  be- 
deutend länger  als  vor  der  Operation.  Die  Zuckungen  sind  jetzt 
stärker  im  linken  Bein  als  im  linken  Arm. 

I  Uhr  14  Min.  Ein  Anfall  fing  im  linken  Daumen  an 
und  verbreitete  sich  auf  Arm  und  Bein. 

I  Uhr  15  Min.  Reizung  in  dem  neuen  Trepanloch  mit 
Dorsalflexion  der  Hand. 

I  Uhr  16  Min.  Puls  140  (160  vor  der  Operation).  Das 
Gehirn  ist  eingesunken. 

I  Uhr  17  Min.  Ein  Anfall,  auf  das  Gesicht  beschränkt. 
Die  Pupillen  etwas  grösser  als  früher. 

I  Uhr  19  Min.    Anfall  mehr  im  linken  Beine. 

I  Uhr  20  Min.  Anfall  im  Gesicht,  beginnend  mit  Rotation 
der  Augen  nach  rechts  und  Kontraktion  der  Pujaillen.  Reizung 
im  untern  Teil  des  oberen  Trepanlochs:  isolirte  Dorsalflexion 
des  Daumens.  Im  oberen  Teil  ebenso  nebst  Kontraktion  des 
Biceps.  Etwas  weiter  nach  vorn  zwischen  den  beiden  Trepan- 
löchern:  Dorsalflexion  der  radialen  Handseite. 

I  Uhr  22  Min.  Anfall  im  linken  Augenlid.  Die  Respira- 
tion bedeutend  gebessert.   Der  Puls  sehr  schwach,  130  bis  140. 

I  Uhr  26  Min.    Anfall  nur  im  Gesicht. 

I  Uhr  27  Min.  Reizung  am  unteren  Rande  der  Öffnung. 
Kontraktion  des  Muse,  flexor  pollicis. 

I  Uhr  29  Min.  Ein  4  cm.  langer  Duraspatel  konnte  ohne 
Hinderniss  unter  der  Dura  nach  allen  Richtungen  herumgeführt 
werden. 

I  Uhr  35  Min.    Anfall  nur  im  Beine,  Puls  120. 

I  Uhr  40  Min.  Eine  neue  Trepanscheibe  wurde  nach  hin- 
ten und  unten  von  der  ersten  herausgenommen. 

I  Uhr  46  Min.  Anfall  mit  Augenablenkung  nach  rechts 
und  dann  gerade  nach  vorn.  Zwischen  den  Anfällen  sind  die 
Augen  nach  links  gerichtet,  also  ganz  im  Gegensatz  mit  früher. 


I  Uhr  47  Min.  Anfall  mehr  im  Beine.  Bei  Reizung  in 
dem  unteren  Trepanloche  keine  Zuckungen,  auch  nicht  an  der 
Grenze  zwischen  den  beiden  untern. 

1  Uhr  52  Min.    Die  Dura  wurde  zusammengenäht. 

2  Uhr.  Die  Trepanscheiben,  in  Kochsalzlösung  aufbe- 
wahrt, wurden  eingelegt  und  die  Haut  zugenäht. 

Pat.  verrieth  während  der  ganzen  Operation  kein  Zeichen 
von  Bewusstsein,  weshalb  keine  Narkose  angewendet  wurde. 
Sie  wurde  durch  Kampher  und  Kochsalzlavement  von  40"  Gels, 
stimulirt. 

Schon  während  der  Operation  wurden  die  Anfälle  geringer 
an  Freqnenz  und  Intensität,  besonders  im  linken  Ann  und  Bein. 
Die  Cyanose  verschwand,  die  Respiration  wurde  in  hohem  Grade 
gebessert  und  der  Fuls  langsanier. 

5  Uhr  Nachm.  AllmähHch  hörten  die  Anfälle  im  linken 
Arm  und  Bein  auf  und  sie  beschränkten  sich  auf  dass  Gesicht. 
Die  Anfälle  wurden  spärlicher,  die  Halsmuskeln  nahmen  nicht 
mehr  daran  Teil.  Die  Augen  sind  nach  vorn  gerichtet  und  nur 
die  Zuckungen  im  linken  Mundwinkel  und  die  Kaubewegungen 
dauern  fort.  Der  Puls  klein,  unregelmässig,  140.  Ordin.  Kam- 
pher und  Aether. 

5  Uhr  45  Min.  Temperatur  in  Rectum  40.4;  in  der  lin- 
ken Achselhöhle  39.9,  in  der  rechten  Achselhöhle  39.5.  Die  Re- 
spiration regelmässig,  42. 

7  Uhr.   Die  Augen  deviiren  nach  rechts.  Kochsalzlavement. 

9  Uhr.  Nur  schwache  Zuckungen  in  den  Masseteren.  Sonst 
keine  Zuckungen.  Linke  Gesichtshälfte  wenig  paretisch.  Bei 
wiederholten  Kampher-Injectionen  wie  bei  Einträufeln  von  Bor- 
säurelösung in  die  Augen  reagirt  Pat. 

Den  ^®/n.    Stimulation.    Zustand  unverändert. 

7  Uhr  30  Min.  Vorm.    Keine  Zuckungen. 

IG  Uhr.  Vollständig  bewusstlos.  Reagirt  beim  Einträufeln 
von  Tropfen.  Respiration  ruhig  und  regelmässig.  Der  Puls  150, 
kaum  zu  fühlen,  unregelmässig. 

8  Uhr  Nachm.  Zustand  unverändert.  Keine  Zuckungen, 
Puls  160. 

1893  ^''/ii.  12  Uhr  Mitternacht  verschied  Pat.  ruhig,  ohne 
dass  das  Bewusstsein  zurückgekehrt  war. 

Temperatur-Tabelle. 
Nov.    Uhr  Rect.    L.  axilla  R.  Axilla  Unterschied 

39-4"      s^-g"  38.5° 


25.     9.30  Vm.        39.4«       38.9O       38.5»       +  0.4O 


11.45    »  -  38-6"       38..°  +0.5° 


Operation. 

—  5-45  Nm. 

—  8  » 
26.     7.30  Vm. 

—  1 2  Mitt. 

—  7  Nm. 


40.4 

40.3" 

40.5" 

40« 

40.2° 


39-9" 
39-7° 
40.1° 
39-7^ 
39-9'' 


39-5" 
39.3" 
40" 

39-6° 
39-5° 


-1-  0.4" 
+  0.4° 
+  o.i« 
+  o.i« 
-  0.4«. 


Sektion  den  28.  November  1893. 
Von  Herrn  Prof.  Dr.  Hedenius. 

Der  Schädel  ist  symmetrisch  und  hat  im  rechten  Parietal- 
bein  drei  dicht  an  einander  liegende  Trepanlöcher,  welche  fast 
das  ganze  Parietalbein  einnehmen. 

Die  Trepanscheiben  fallen  von  selbst  aus. 

Die  Dura  ist  über  der  Trepanationsstelle  mit  einer  dun- 


232 


S.  E.  HENSCHEN.     PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


kelbraunen  blutigen  halbkoagulirten  Masse  und  Suturen  durch- 
zogen. Das  ist  auch  der  Fall  an  der  Innenseite.  Vorn  ist  die 
Dura  mit  der  Rinde  der  GcJiirns  ziiscimnieiige'ivachsen  und  kann 
nicht  von  ihr  gelöst  werden,  ohne  dass  die  Rinde  der  ersten 
rechten  Frontalwindung  mitfolgt.    Die  Rinde  ist  hier  aufgelockert. 

Die  Pia  sonst  ohne  Veränderung.  Ihre  Gefässe  blutgefullt. 
Die  Pia  an  der  Basis  des  Gehirns  ohne  Veränderungen. 

Die  rechte  Hemisphäre. 
der  ersten  Frontahvindung  am  Übergange  zwischen  der 
lateralen  und  orbitalen  Fläche  liegt  in  der  Margo  falcata  eine 
gelbliche  lose,   im  Centrum  zerfliessende,  aber  in  der  Peripherie 
feste  Gescimndst  von  rundlicher  Form  und  scharf  begrenzt.  Sie 
misst  von  oben  nach  unten  2^2  cm.,  von 
vorn   nach  hinten  i  cm.   und   löthet  die 
Rinde   und   die  Pia  mit  der  Dura  zusam- 
men. (S.  Figur.) 

Entsprechend  dieser  Geschwulst  ist  das 
Orbitaldach  in  seinem  vorderen  mittleren 
Teil  ulcerirt  und  von  einer  graurothen 
Farbe  in  einer  Ausdehnung  von  2  cm.  + 
I  cm.  Medial  vor  dieser  Partie  hat  der 
Knochen  bis  zur  Lamina  cribrosa  und  nach 
oben  bis  einige  cm.  nach  hinten  vom  Sinus 
frontalis  eine  unebene  eingesunkene  Fläche 
und  eine  stark  blaurothe  Farbe.  Der  Si- 
nus frontalis  enthält  eine  dünne  eiterähn- 
liche Flüssigkeit. 

Unten  und  nach  vorn  vom '  Chiasnia 
nervorum  opticorum  findet  sich  zwischen  den  beiden  Sehnerven 
und  ein  wenig  mehr  nach  der  linken  Seite  hin  eine  Geschwulst 
von  etwa  i  cm.  Durchmesser,  die  von  einer  festen  Kapsel  um- 
geben ist  und  einen  gelbgrünen,  eiterähnlichen  Inhalt  hat.  Aus- 
serdem waren  die  Stria  olfactoricc  mit  der  Basis  cranii  zusam- 
mcngelöthet.  Das  Chiasma  selbst  blieb  frei,  wie  auch  die  Seh- 
nerven. 

Die  Gehirnsubstanz  und  die  Rinde  zeigten  übrigens  keine 
Veränderungen.  Die  AVindungen  waren  nicht  abgeplattet  und  die 
Furchen  deutlich. 

Kleinhirn  und  Medulla  oblongata  ohne  Veränderungen. 

Übrige  Organe. 

Herz:  Beide  Ventrikel  sind  an  der  Innenseite  gelblich  und 
das  Myokardium  schlaff,  missfarbig.  Alle  Klappen  sind  normal. 
Das  Herz  misst  an  der  Basis  12  cm.  und  in  der  Länge  11  cm. 

Aorta:  An  der  inneren  Fläche  finden  sich  einige  kleine 
Kalkschollen  und  Fettusuren. 

Lungen:  Beide  Lungen  stehen  in  Inspirationsstellung.  In 
den  Bronchien  vermehrte  Flüssigkeit.  Die  rechte  Lunge  im  un- 
tern Teil  stark  ödematös. 

Milz:  Atrophisch. 

Nieren:  Die  Nieren  im  Ganzen  recht  schlaff,  sonst  ohne 
Veränderung. 

Magen  und  Darmkanal  ohne  bemerkenswerthe  Veränder- 
ungen.   Leber  von  gewöhnlicher  Grösse. 

Rachen.  Die  hintere  Wand  des  Rachens  ist  mit  einer  gel- 
ben, eiterähnlichen  Flüssigkeit  belegt. 


Zunge.  Am  linken  Rande  der  Zunge  finden  sich  einige 
cm.  nach  hinten  von  der  Spitze  in  der  Schleimhaut //«//f  Knöt- 
chen und  zwischen  ihnen  ein  Gesehwi/r  mit  rothem  sinuösen 
Rande. 

Sonst  nichts  Bemerkenswerthes. 

Epikrise. 

Diagnose:  Da  Pat.  bei  der  Aufnahme  in  das  Kranken- 
haus keine  Auskunft  über  ihren  Zustand  geben  konnte  und 
ihre  Familie  aus  leicht  zu  erklärenden  Ursachen  ihre  hietische 
Infektion  nicht  zugestehen  wollte,  so  lag  nur  ein  Verdacht 
darauf  vor,  bis  die  herausgezogene  Zunge  das  auch  bei  der 
Sektion  angetroffene  luetische  Geschwür  zeigte.  Die  später 
aufgenommene  Anamnese  stand  mit  dieser  Annahme  in 
vollem  Einklang.  Schon  vor  mehr  als  vier  Jahren  hatte 
Pat.  an  der  Zunge  grosse  Geschwüre  und  später  ein  Hals- 
leiden derselben  Art.  Der  in  der  letzten  Zeit  vorhandene 
schwere  Kopfschmerz,  der  Ausbruch  der  vorhandenen  epi- 
leptischen Konvulsionen,  die  angegebene  Blindheit  auf  dem 
linken  Auge,  Alles  stimmte  mit  der  Annahme,  dass  eine  Hirn- 
geschwulst vorlag.  Und  für  die  Annahme,  dass  diese  luetischer 
Natur  war,  sprachen  auch  die  erwähnten  Symptome  ganz 
besonders. 

Sitz  der  Läsion.  Schwieriger  war  es,  die  Lokalisation 
zu  bestimmen,  besonders  da  die  oben  mitgeteilte  Anamnese 
zum  Teil  erst  später  bekannt  wurde.  Bei  der  Aufnahme  litt 
Pat.  an  linkseitiger  Parese.  Nach  Angabe  hatte  sie  früher 
bisweilen  an  Paräsihesien  oder  Schmerzen  in  der  lijiken  Hand 
und  im  linken  Unterschenkel,  sowie  an  Stechen  in  der  linken 
Ferse  gelitten.  Die  Angaben  hierüber  waren  jedoch  unzu- 
verlässig. Bei  einem  Versuch,  die  Protospasmen  für  die  Dia- 
gnose der  Lokalisation  zu  verwerthen,  wurde  es  nachgewiesen, 
dass  diese  bisweilen  im  Gesicht,  bisweilen  im  Arm  oder 
Bein  angefangen  hatten.  Im  Ganzen  hatten  die  Konvulsionen 
dieselbe  Form  wie  bei  der  genuinen  Epilepsie,  Am  gewöhn- 
lichsten fingen  sie  doch  im  Gesicht  an  und  manchmal  waren  sie 
auf  diesen  Teil  beschränkt.  Unter  solchen  Umständen  wurde 
die  Diagnose  auf  eine  luetische  Geschwulst  in  oder  in  der 
Nähe  der  Mitte  der  Centraiwindungen  gestellt.  In  Anbetracht 
der  mangelhaften  Anamnese  und  der  Unmöglichkeit,  von  der 
Pat.  selbst  etwas  zu  erfahren,  wurde  zwar  die  Lokaldiagnose 
als  unsicher  betrachtet  und  eine  Operation  v\'urde  nur  als 
ultimum  refugium  vorgenommen,  da  weder  Blutentziehungen, 
noch  andere  Mittel  im  Stande  waren,  den  Status  epilepticus 
abzubrechen. 

Operations-Erfolg.  Trotzdem,  dass  drei  Trepankronen 
angebracht  wurden,  wurde  die  Geschwulst  nicht  getroffen, 
und  die  Operation  desshalb  abgeschlossen.  Während  der 
Operation  schien  es,  als  ob  die  Zuckungen  an  Intensität  und 
Ausbreitung  abnähmen.  Die  Respiration  und  der  Puls  besserten 
sich,  die  Temperatursteigerung  aber  dauerte  fort  und  erreichte 
selbst  40.5.  Der  Puls  wurde  allmählich  schwächer  und  Pat. 
starb  deutlich  an  Erschöpfung  der  Kräfte  und  Lähmung  des 
Gehirns. 

Obschon  die  Operation  also  von  therapentischem  Ge- 
sichtspunkte aus  als  misslungen  betrachtet  werden  muss,  so 
ergab  sich  daraus  doch  die  lehrreiche  Thatsache,  dass  selbst 


ZUR  EXSTIRPATION  DER  HIRNTUMOREN 


233 


bei  begrentsten  Konvulsionen  der  Krankheitsherd  nicht  immer 
in  den  Centrakvindungen  lokalisirt  ist.  Keine  Reizung  der 
übrigen  Sinnesflächen  ging  in  diesem  Fall  den  Konvulsionen 
vorher.  Die  Ursache  der  fehlerhaften  Diagnose  liegt  ohne 
Zweifel  darin,  dass  in  diesem  Falle  die  GescJizoulst  die  Rinden- 
fläcJie  mit  der  Dura  zusammenl'öthete .  Ohne  Zweifel  hatte 
diese  Zusammenlöthung  längere  Zeit  fortbestanden,  ehe  der  Sta- 
tus epilepticus  zum  Ausbruch  kam.  Die  in  dieser  Zeit  vor- 
handenen schweren  Kopfschmerzen  waren  gewiss  ein  Aus- 
druck nicht  nur  einer  Periosteitis  sondern  müssen  auch  als  die 
direkte  Folge  der  durch  die  pulsatorischen  Hirnbewegungen 
stattfindenden  Zerrung  der  Pia  betrachtet  werden.  Diese 
Reizung  rief  ohne  Zweifel  eine  Hyperästhesie  der  Hirnrinde 
hervor  und  pflanzte  sich  zu  den  Centraiwindungen  fort.  Und 
dadurch  entstanden  die  epileptischen  Konvulsionen.  In  einem 
ähnlichen  Falle  habe  ich  gesehen,  wie  eine  kleine  tuberkulöse 
Geschwulst,  welche  die  zweite  temporale  Windung  mit  der 
Dura  zusammenlöthete,  einen  Status  epilepticus  hervorrief 
und  den  Tod  verursachte,  ohne  dass  die  Ursache  der  Konvul- 
sionen ante  mortem  erkannt  wurde. 


Elektrische  Versuche.  Die  Versuche  in  der  ersten  Trepan- 
öfifnung  von  der  Aussenfläche  der  Dura  und  von  der  blo.ss- 
gelegten  Rinde  aus  ergaben  dieselben  Resultate.  Im  zweiten 
Loch,  welches  gerade  nach  oben  gegen  die  Mittellinie  hin 
geöffnet  wurde,  gab  die  Reizung  eine  Dorsalflexion  der  Hand, 
während  die  Reizung  im  untern  Loche  Krampf  und  Beugung 
des  linken  Unterarms  gegeben  hatte.  Im  oberen  Teil  des 
zweiten  Trepanloches  entstanden  Kontraktionen  des  Biceps. 
Bei  der  Zusammenstellung  aller  Reizversuche  von  der  blos.s- 
gelegten  Oberfläche  aus  findet  man,  dass  die  Bewegungen  auf 
die  Hand  oder  den  Unterarm  beschränkt  waren,  obschon  die 
blossgelegte  Fläche  fast  6  cm.  in  der  Ausdehnung  mass. 
Von  der  letzten  Öffnung,  welche  nach  unten  und  hinten  ge- 
legen war  und  also  ohne  Zweifel  den  untern  ParietallapiDen 
blosslegte,  waren  keine  Bewegungen  auszulösen.  Diese  P2r- 
fahrung  spricht  dagegen,  dass  von  diesem  Lappen  Augen- 
bewegungen innervirt  werden,  und  besonders  die  conjugirte 
Augenablenkung. 


Fall  22.   Jenny  Ullven. 

30  Jahre  ait. 


Klinische  Diagnose:  Tumor  eerebelli  (?) 


Zusammenfassung:  Die  30-jährige  Pat.  erkrankte 
Aug.  1893,  ohne  bekannte  Veranlassung,  an  Erbrechen,  und 
dann  wurde  das  Gehör  links  herabgesetzt.  Jan.  1894  Influ- 
enza, in  Febr.  Kopfschmerz,  Schwindel  und  Ataxie  immer 
nach  links,  sowie  Ameisenkriechen  im  linken  Oberschenkel. 
Die  Sehschärfe  nahm  ab,  Stauungspapille  und  Blindheit  ent- 
wickelte sich.  Keine  Sensibilitätsstörung.  Parese  der  Augen- 
muskeln. Gehör,  Geruch  und  Geschmack  wurden  herabgesetzt. 

Nach  der  Palliativtrepanation  und  Abrasion  der  Rinde 
des  oberen  rechten  Parietallappens  trat  subjektive  Besserung 
ein.  Nach  3  Monaten  Verschlechterung.  Kurz  vor  dem  Tode 
kam  das  Sehvermögen  zurück.  Tod  etwa  5  Monate  nach 
der  Trepanation.  Die  Operation  verlängerte  wahrscheinlich 
das  Leben  und  ermässigte  wenigstens  zeitweise  die  belästi- 
genden Symptome. 

Anamnese:  Keine  hereditäre  Belastung.  Der  Vater  lebt, 
70  Jahre  alt.  Eine  Schwester  starb  an  Lungenschwindsucht. 
Pat.  lebte  stets  unter  guten  hygieinischen  Verhältnissen.  Aus- 
genommen, dass  sie  die  Masern  durchgemacht  hatte,  und  im 
Alter  von  16  Jahren  an  Bleichsucht  litt,  war  sie  bis  zum  Aus- 
bruche der  gegenwärtigen  Krankheit  immer  kräftig  und  gesund. 

Sie  kann  eine  Ursache  der  Krankheit  nicht  angeben.  Sie 
wurde  nie  von  Trauma  am  Kopf  betroffen,  litt  nie  an  heftigen 
Gemüthsbewegungen;  Lues  und  Alkoholmissbrauch  werden  verneint. 

In  August  iSpj  fing  die  Pat.  an,  an  wiederholtem  Erbrechen 
zu  leiden.  Es  trat  besonders  des  Morgens,  gleich  nach  dem  Er- 
wachen, ein,  aber  Pat.  fühlte  sich  sonst  gut.  Zu  dieser  Zeit  soll 
sie  nicht  Kopfschmerzen  gehabt  haben,  fühlte  sich  aber  bisweilen 
kalt  und  unwohl. 


In  September  1893  bemerkte  sie,  dass  das  Gehör  auf  dem 
linken  Ohr  herabgesetzt  war  und  Sausen  und  Klingeln  traten  im 
Ohre  auf.  Seit  dieser  Zeit  wurde  das  Gehör  allmählich  ge- 
schwächt.   Kein  Ausfluss  oder  andere  Krankheit  in  diesem  Ohr. 

Im  Januar  1894  hatte  sie  die  Influenza.  Sie  wurde  schwach 
und  müde.  Litt  mitunter  an  Kopfschmerzen,  welche  sie  in  Stirn 
und  Schläfe  verlegte.  Nach  einer  Woche  genas  sie.  Aber  im 
Februar  kamen  Kopfschmerz  sowie  Übelkeit,  Erbrechen,  Sclnci/i- 
del,  Beklommenheit  zurück.  Ih'  Gang  begann  schioankend  zu  wer- 
den, und  zwdiX  \mmev  nach  links.  1)3,5  linke  Bein  wn^de  sc/naächcr 
als  früher,  und  Pat.  fühlte  oft  Ameisenkriechen  im  litiken  Ober- 
schenkel. 

Anfang  März  nahm  die  Sehschärfe  ab,  und  zwar  erst  auf 
dem  linken  Auge  und  bald  nachher  auch  auf  dem  rechten.  Alles, 
was  Pat.  sah,  schien  ihr  undeutlich  und  trübe  zu  sein.  Sym- 
ptome von  Hemianopsie  traten  jedoch  nicht  ein.  In  Folge  dessen 
wurde  sie  Ende  März  in  das  Seraphimer-Lazaret  in  Stockholm 
aufgenommen  und  daselbst  vom  21.  März  bis  zum  13.  Mai  be- 
handelt. 

Status  praesens  d.  '"Ii  1894.  (Auszug.) 

Pat.  ist  auf.  Schlaf  gut.    Puls  80,  regelmässig. 

Subjektiv  leidet  Pat.  an  Kopfschmerz,  welcher  bisweilen  ge- 
linde ist,  oft  aber  bedeutend  zunimmt  und  überhaupt  immer 
vorhanden  ist.  Er  ist  von  dumpfer  Art,  tiefsitzend  und  nicht  be- 
stimmt lokalisirt.  Sie  klagt  auch  über  Herabsetzung  des  Sehver- 
mögens, über  Schwierigkeit  zu  gehen,  und  besonders,  dass  das 
linke  Bein  sie  nicht  tragen  will.  Sie  hat  kein  Schwindelgefühl, 
noch  Erbrechen  oder  Übelkeit  mehr.  Parästhesien  oder  Hallu- 
cinationen  sind  nicht  vorhanden. 


234  S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Objektive  Untersuchung. 

Sie  hat  keine   Empfindlichkeit  bei  Druck  auf  dem  Kopf. 

Psyche.  Ihr  Gesichtsausdruck  ist  eigenthümlich  fragend 
und  ahc'csend.  Ihre  Auffassung  und  ihre  Urteilskraft  sind  gut, 
wie  auch  das  Gedächtniss,  aber  ihre  Stimmung  ist  gedrückt. 

Aphasie  ist  nicht  vorhanden. 

Kranialnerven.    I.  Geruch,  völlig  normal. 
II.  S.  R  =  0.5.    S.  L.  ==  o.i.    Die  Gesichtsfelder  sind  un- 
regelmässig beschränkt  (Karte).    Die  ophthalmoskopische  Unter- 


suchung ergab,  dass  beiderseits  eine  ausgeprägte  Stauungspapille 
vorhanden  war.  Die  Papille  ist  angeschwollen,  grauroth,  un- 
durchsichtig, streifig  mit  diffusen  Grenzen.  Die  Arterien  schmal, 
die  Venen  dunkelgefärbt,  geschlängelt  und  erweitert.  Die  Schwel- 
lung der  Papillen  misst  6  Dioptrien. 

III.  IV.  VI.  Die  Bewegungen  der  Augen  sind  normal; 
Pat.  hatte  nie  Doppelbilder.  Die /^//////f«  sind  stark  f/  a-'^Vcr/ und 
reagiren  unbedeutend  auf  Licht,  etwas  mehr  bei  der  Accomodation. 

Keine  Störung  wurde  bemerkt. 

VII.  Normal.  VIII.  Gcliör  rechts  normal,  links  liört  sie 
nicht  eine  unmittelbar  auf  das  Ohr  oder  auf  den  Schädel  gelegte 
Taschenuhr.  Sie  leidet  nicht  mehr  an  Sausen.  Untersuchung 
des  Trommelfells  ohne  Befund. 

IX.  Geschmack  ist  normal.   XI.  Die  Stimme  ohne  Störung. 

XII.  Die  Zunge  weicht  nicht  ab. 

Sensibilität.    Keine  Störung  war  nachzuweisen. 

Motilität.  Der  Gang  ist  unsicher  und  schwankend.  Sie 
geht  mit  gespreizten  Beinen  wie  ein  Betrunkener.  Sie  steht  ohne 
Schwierigkeit  mit  geschlossenen  Augen  und  hat  dabei  kein  Ge- 
fühl verlorenen  Gleichgewichts. 

Der  Miiskelsinn  ist  noi-nial,  selbst  in  den  Beinen  und  bei 
Bettlage  kann  Ataxie  nicht  nachgewiesen  werden. 

Konvulsionen,  Zuckungen  oder  Zittern  sind  nicht  vorhanden. 

Reflexe.  Die  Patellarreflexe  sind  beiderseits  gesteigert. 
Dorsalclonus  fehlt. 

Von  Seiten  der  Blase  und  des  Mastdarms  ist  nichts  zu  be- 
merken. 

Trophische  und  vasomotoi-ische  Störungen  sind  nicht  vor- 
handen. 

Innere  Organe  ohne  Störung.    Der  Harn  ist  normal. 

^^/  t  wurde  Parese  des  rechten  Musculus  externus  oculi  be- 
obachtet. Gestern  hatte  sie  Schwindel  ohne  Verlust  des  Bewusst- 
seins. 

^°/4.  Auch  Parese  des  M.  rectus  externus  des  linken  Auges. 
^^/5.    Kopfschmerz  belästigt  sie  nicht  sehr.    Die  erwähn- 


ten Paresen  der  Augen  sind  nicht  ausgeprägt.  Sonst  Alles  un- 
verändert. 

Übrigens  wurde  beobachtet,  dass  der  Mund  im  April  nach 
links  verzogen  war  und  dass  im  Frühling  das  Gehör  auch  auf 
dem  rechten  Ohre  schlechter  wurde.  Der  Geruch  war  herabgesetzt 
7üie  auch  der  Geschmack. 

Juni.  Ende  Juni  soll  an  einem  Tage  nach  schwerem  Kopf- 
schmerz und  wiederholtem  Erbrechen  das  Scliverniögen  bedeutend 
abgejtonimen  haben;  und  in  der  zweiten  Woche  des  Juli  soll  das 
noch  zurückgebliebene  Sehvermögen  vollständig  verschwunden  sein. 

Status  "/-.  Patientin  besuchte  die  Brunnenanstalt  Sätra,  wo 
sie  mich  zum  ersten  Male  konsultirte.  Ihr  Zustand  war  damals 
folgender: 

Subjektiv.    Keine  Parästhesien.    Nicht  sehr  schwerer  Kopf- 
schmerz, welchen  sie  in  der  linken  Seite  der  Stirn  lokalisirte. 
Psyche.    Gute  Intelligenz,  keine  Aphasie. 

Krajiialnerven.  I.  Normal.  II.  L.  A.  nur  quantitative 
Lichtperception ;  etwas  besser  auf  dem  R.  A.  Farbenperception 
fehlt.  Ein  grosses  rothes  Papier  schien  ihr  blau  zu  sein.  Die 
Stauungspapille  war  ausgeprägt. 

III.  IV.  VI.  Die  rechte  Pupille  grösser  als  die  linke.  Jene 
reagirt  auf  Licht,  diese  nicht.  Keine  hemianopische  Reaktion. 
Nystagmus,  besonders  auf  dem  L.  A.  Parese  des  linken  N.  ab- 
ducens. 

V.  Normal.    VII.  Geringe  Parese  im  Facialis. 

VIII.  Gehör.  Hört  rechts  die  Taschenuhr  auf  25  cm., 
links  erst  beim  Andrücken  an  das  Ohr.    Sausen  im  linken  Ohr. 

IX.  Ohne  Befund.  XI.  Normal.  Der  Kopf  neigt  nach 
rechts.    XII.  Normal. 

Sensibilität.  Schmerz-,  Temperatur-  und  Ortsinn  sind  bei- 
derseits in  den  Armen  und  Beinen  ein  wenig  herabgesetzt,  aber 
an  beiden  Seiten  gleich. 

Motilität.  Der  linke  Arm  etwas  schwächer  als  der  rechte. 
Der  Gang  ataktisch,  aber  der  Muskelsintt  normal. 

Reflexe.  Verstärkt,  mehr  links  als  rechts.  Sonst  nichts  zu 
bemerken,  ausgenommen  Empfindlichkeit  für  Percussion  an  der 
rechten  Parietalgegend. 

Später  nahm  die  Schwäche  in  den  Armen  allmählich  zu. 
Bald  konnte  die  Patientin  wegen  Schwäche  auch  nicht  ohne 
Stütze  gehen.  Schwierigkeit  beim  Schlucken  entstand  und  das 
Erbrechen  dauerte  fort.    Die  Intelligenz  nahm  ab. 

Den  1 1 .  August  wurde  Pat.  in's  akademische  Krankenhaus 
in  Upsala  aufgenonmien,  wobei  Folgendes  beobachtet  wurde. 

Status  praesens  12.— 25.  September  1894. 
Wiederholte  Schwindelanfälle  in  Verbindung  mit  schwerem 
Kopfschmerz.    Bei  den  Anfällen  hat  sie  tonischen  Krampf  so- 
wohl in  den  Kaumuskeln,  wie  in  den  Armen  und  in  den  Beinen, 
aber  keine  Zuckungen. 

Subjektive  Symptome, 

Der  Kopfschmerz  stärker  rechts  als  links  und  in  Stirn  und 
Schläfe  lokalisirt,  aber  nie  im  Hinterkopf. 

Keine  Parästhesien  oder  Hallucinationen.  Pat.  sitzt  Stun- 
den lang  still,  starr  geradeaus  blickend.  Spricht  wenig,  aber  rich- 
tig.   Gedächtniss  gut,  keine  Aphasie. 


ZUR  EXSTIRPATION  DER  HIRNTUMOREN 


235 


Kranialnerven.  I.  Geruch  beiderseits  bedeutend  herab- 
gesetzt. 

II.  Blind.    Starke  Stauungspapille,  besonders  links. 

III.  IV.  VI.  Pupillen  und  Augenbewegungen  etwa  wie  früher. 
V.  Sensibilität  (Tast-  und  Ortsinn)  links  etwas  herabgesetzt 

Der  rechte  Masseter  kräftiger  als  der  linke. 
Das  Kauen  geht  langsam  von  statten. 

VII.  Geringe  Parese  links;  die  Uvula  weicht  nach  rechts  ab. 

VIII.  Gehör  wie  ^/t. 

Geschmack  vielleicht  links  etwas  geschwächt. 
Das  Schlucken  geschieht  langsam. 
XII.  Weicht  etwas  nach  links  ab. 

Sensibilität.  Drucksinn  vielleicht  rechts  ein  wenig  herab- 
gesetzt. 

Ortsmn  und  Teviperatiirsinn  beiderseits  gleich. 

Muskelsinn  des  linken  Armes  herabgesetzt,  der  Beine  normal. 

Motilität.  Der  linke  Arm  bedeutend  geschwächt.  Auch 
die  Kraft  der  Beine,  besonders  links,  vermindert.  Ausgeprägte  Ataxie 
beim  Gehen.  Fällt  leicht  tiach  vorn  und  links.  Der  Muskel- 
sinn ist  nicht  verändert. 

Reflexe  und  innere  Organe  wie  früher. 

Im  Verlaufe  des  Septembers  hatte  Pat.  wiederholte  Anfälle 
von  starkem  Kopfschmerz  und  einen  Schwindelanfall  am  ^^/a  mit 
Starre  im  oberen  Teil  des  Körpers  während  einiger  Minuten. 

Operation  d.  i.  Okt.  1894  von  Prof.  Dr.  K.  Lennander. 

Nach  der  Desinfektion  der  Kopfhaut  wurde  ein  Hautlappen 
angelegt  mit  der  etwa  7  cm.  breiten  Basis  ungefähr  in  der  Mit- 
tillinie  und  nach  unten  offen.  In  der  rechten  Parietalgegend 
wurden  dann  nach  einander  3  Trepanlöcher,  jedes  von  einem 
Durchmesser  von  3  cm.,  gemacht,  um  den  linken  oberen  Parie- 
tallappen  in  grosser  Ausdehnung  blosszulegen.  Nach  dem  Durch- 
schneiden der  Dura  trat  das  Hirngewebe  in  die  Trepanöffnungen 
stark  hervor.  Das  Gehirn  stand  deutlich  unter  einem  grossen 
intrakranialen  Druck,  das  Gewebe  war  dunkelroth  gefärbt  und 
im  höchsten  Grade  injicirt  und  ödematös;  die  Sulci  waren  ver- 
wischt und  es  war  unmöglich,  zu  entscheiden,  ob  eine  gefäss- 
reiche  Geschwulst  oder  nur  Hirngewebe  vorlag.  Beim  Einschnei- 
den blutete  das  Gewebe  stark.  In  Folge  dessen  wurde  ein  Stück 
ausgeschnitten  und  der  mikroskopischen  Untersuchung  unterworfen. 
Darin  konnte  ich  indessen  nur  normales  Gewebe  entdecken. 

Die  drei  Trepanlöcher  erstreckten  sich  fast  von  der  Mittel- 
linie nach  links  unten  und  entsprachen  hauptsächlich  dem  oberen 
Parietallappen,  aber  griffen  auch  auf  den  hinteren  Rand  der  hin- 
teren Centraiwindung  über.  Mehrere  Versuche,  sich  durch  die 
elektrische  Reizung  zu  orientiren,  hatten  keinen  Effekt,  obschon 
recht  starke  Ströme  angewendet  wurden.  Nur  vom  unteren 
vorderen  Rande  der  unteren  Trepanöffnung  aus  wurden  Bewe- 
gungen in  dem  linken  Arm  ausgelöst.  Dieser  Punkt  lag  etwa 
in  der  mittleren  Höhe  des  Cp.  Uberhaupt  war  es  sehr  schwierig 
in  Folge  des  Oedems  und  der  Verfärbung  der  Gehirnrinde  sich 
zu  orientiren.  Da  nun  keine  Geschwulst  angetroffen  wurde,  so 
wurde  ein  grosses  Stück  —  etwa  3-f  3  cm.  —  der  Hirnrinde 
aus  dem  vermuthlichen  oberen  Parietallappen  bis  zu  einer  Tiefe 
von  etwa  5 — 10  m.m.  excidirt.  Dabei  entstand  eine  nicht  un- 
bedeutende Blutung  wie  auch  ein  Ausfluss  von  cerebrospinaler 
Flüssigkeit. 

5.  E.  Menschen.    Pathologie  des  Gehirns. 


Dann  wurde  die  Wunde  zugenäht  und  ein  grosser  Watte- 
verband angelegt. 

Die  Pat.  war  nach  der  Operation  bedeutend  heruntergekom- 
men und  hatte  einige  Tage  gelindes  Fieber.  Während  einiger 
Tage  war  ein  bedeutendes  Oedem  in  den  Augenlidern  sowie  eine 
Protrusion  der  Augäpfel  vorhanden.  Auch  eine  leichte  Parese 
der  linken  Seite  entstand  nach  der  Operation. 

Die  Sekretion  von  Flüssigkeit  aus  dem  Gehirne  war  im  An- 
fang sehr  reichlich.  Die  dicken  Watteverbände  wurden  selbst  in 
den  Nächten  mehrmals  durchtränkt  und  4 — 5  mal  gewechselt; 
der  Abfluss  von  Flüssigkeit  hielt  während  6  Wochen  an. 

Nach  einigen  Tagen  besserte  sich  schon  der  Allgemeinzu- 
stand. Der  vorher  äusserst  heftige  Kopfschmerz  verschwand,  das 
früher  häufige  Erbrechen  und  die  Schwindelanfälle  hörten  auf 
und  das  Gehör  wurde  besser.  Die  Parese  der  linken  Seite  gins 
gleich  zurück,  wenn  auch  Schwäche  in  den  Beinen  wie  vor  der 
Operation  bestand. 

Die  Stauungspapille  verminderte  sich  auch  und  Pat.  gab 
nach  einigen  Tagen  an,  dass  sie  eine  Empfindung  von  Licht 
bekommen  habe,  welche  aber  bald  wieder  verschwand. 

Kurze  Zeit  nach  der  Operation  wurde  eine  genauere  Un- 
tersuchung der  Sefisibilität  ausgeführt.  Das  Resultat  war,  dass 
diese  bezüglich  aller  Qualitäten  kaum  verändert  icar,  und  beson- 
ders wurde  dabei  der  Muskelsinn  geprüft,  ohne  dass  eine  deut- 
liche Störung  nachgewiesen  wurde.  Die  Ataxie  beim  Gehen  be- 
stand fort. 

~^\\\  1894  wurde  Pat.  gebessert  entlassen.  Die  Wunde  war 
damals  geheilt,  Pat.  konnte  ausser  Bett  sein  und  keine  Anfälle 
von  Kongestion  oder  Schwindel  erschienen. 

Nach  späteren  Nachrichten  von  dem  Vater  war  Pat.  in 
der  Heimat  noch  schwach  und  müde,  war  aber  auf  und  geklei- 
det jeden  Tag  bis  Ende  December  als  der  Kopfschmerz  von 
Neuem  anfing.    Erbrechen  trat  bisweilen  ein. 

1895.  Im  Januar  befand  sich  die  Pat.  manchmal  schlecht, 
manchmal  besser. 

Den  2.  Februar  hatte  si^  einige  Tage  lang  schweren  Kopf- 
schmerz. 

Den  5.  Februar  >'bekam  sie  merkwürdiger  Weise  ihr  Seli- 
vermögen  zum  Teil  wieder,  so  dass  sie  ihre  Umgebung  sehen 
konnte,  aber  nach  10  Tagen  wurde  der  Zustand  schlechter  und 
Kopfschmerz  und  Erbrechen  fanden  sich  ein.  Ihr  Sehvermögen 
verschwand  wieder  und  nach  acht  Tagen  endete  ihr  Leiden  in 
einem  stillen  Tod.»  So  lautet  der  Bericht  des  Vaters.  Sie  starb 
also  etwa  den  23.  Februar  1895. 

Sektion  wurde  nicht  gemacht. 

Epikritische  Bemerkungen. 

Kurzer  Krajikenbericht  s.  S.  233. 

Diagnose.  Art  der  Läsion.  Eine  ausführlichere  Aus- 
einandersetzung der  Anhaltspunkte  für  die  Diagnose  auf  Hirn- 
geschwulst dürfte  nicht  von  Nöthen  sein.  Die  Entwickelung 
der  Krankheit,  der  intensive  stets  progressive  Kopfschmerz, 
das  Erbrechen,  die  progressive  Stauungspapille  mit  nachfol- 
gender Bhndheit  und  die  Schwindelanfälle,  Alles  —  sowie  der 
Ausgang  —  sprach  für  eine  Geschwulst. 

31 


S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Lokalisation  der  Gesc/nuidst.  Schon  Anfangs  wurde  das 
Kleinhirn  als  der  Ausgangspunkt  betrachtet.  Für  eine  solche 
Lokalisation  sprach  ohne  Zweifel  die  ausgesprochene  Ataxie, 
der  Schwindel,  die  ausgeprägte  von  Blindheit  begleitete 
Stauungspapille,  sowie  das  Fehlen  einer  ausgesprochenen 
Paralyse. 

Wenn  diese  Symptome  einerseits  für  eine  Lokalisation 
im  Kleinhirn  kräftig  sprachen,  so  konnten  andererseits  viele 
dieser  Symptome,  wie  der  Kopfschmerz,  das  Erbrechen,  die 
Schwindelanfälle,  die  Stauungspapille  und  selbst  die  Ataxie, 
als  Ausdruck  eines  gesteigerten  intrakranialen  Drucks  betrach- 
tet werden. 

Es  fehlten  auch  einige  für  Kleinhirngeschwülste  charak- 
teristische Symptome.  So  z.  B.  wurde  nach  Angabe  der 
Kranken  der  Kopfschmerz  nie  in  den  Nacken  verlegt,  und 
andere  Symptome  wurden  leichter  durch  eine  Lokalisation 
im  Grosshirn  erklärt.  Unter  diesen  wurden  besonders  die  in 
den  linken  Oberschenkel  verlegten  Parästhesien  mit  nachfol- 
gender Schwäche  desselben  Gliedes  bemerkt. 

Dass  die  Geschwulst  nicht  in  den  Centraiwindungen  sass' 
dafür  sprach  die  nur  leichte  Parese,  dagegen  war  es  nicht  un- 
wahrscheinlich, dass  sie  von  einem  Punkte  in  ihrer  Nähe  aus 
diese  Windungen  reizte.  Für  eine  Lokalisation  im  oberen  Parie- 
tallappen  sprach  besonders  die  oft  ausgesprochene  Empfind- 
lichkeit beim  Beklopfen  über  dem  Tuber  parietale.  Vom 
Parietallappen  konnte  die  Geschwulst  einerseits  durch  Reizung 
der  Centraiwindungen  die  linksseitige  Parese  und  die  im  Febr. 
eintretenden  Parästhesien  hervorgerufen  und  andererseits  auch 
durch  Reizung  des  Temporallappens  die  Gehörstörungen  und 
das  in  dem  linken  Ohr  schon  in  März  hervortretende  Läuten 
verursacht  haben. 

Auch  der  Umstand,  dass  das  Sehvermögen  zuerst  auf 
dem  linken  Auge  verändert  wurde  und  später  verschwand, 
sprach  mehr  für  eine  Lokalisasion  in  der  rechten  Grosshirn- 
hemisphäre als  im  Kleinhirn. 

Würde  aber  eine  Geschwulst  im  Kleinhirn  angenommen, 
dann  müsste  sie  in  die  linke  Hemisphäre  verlegt  werden. 
Die  Störungen  vom  linken  Ohr  wären  dann  peripherischer 
Natur  und  man  hätte  eher  eine  Sehstörung  auf  dem  rechten 
Auge  und  eine  Parese  der  rechten  Seite  oder  eine  Hemiple- 
gia  cruciata  erwarten  sollen.  Die  schon  frühzeitig  erschiene- 
nen Parästhesien  fänden  aber  durch  diese  Annahme  keine 
genügende  Erklärung. 

Unter  solchen  Umständen  wurde  die  Lokaldiagnose  als 
dubia  dahingestellt. 

Da  bei  der  Operation  eine  Geschwulst  im  Parietallappen 
nicht  gefunden  wurde,  so  lag  sie  wahrscheinlich  in  der  linken 
Hemisphäre  des  Kleinhirns. 


Operation. 

Da  der  Kopfschmerz  die  Pat.  sehr  belästigte  und  der 
Vater  der  Pat.  sowie  sie  selbst  auf  Operation  drang,  so  musste 
natürlich  die  Frage  entstehen,  wo  man  operiren  sollte.  Dabei 
wurde  in  Betracht  genommen,  i)  dass  die  Lage  der  Geschwulst 
in  diesem  Falle  nicht  mit  absoluter  Gewissheit  bestimmt  wer- 
den konnte,  2)  dass  die  Operationen  der  Kleinhirnsgeschwülste 
oft  misslangen,  (vgl.  Henschen,  Behandl.  der  Erkrankungen 
des  Gehirns  und  seiner  Häute  in  Penzoldt  und  Stintzing,  Hand- 
buch der  .speciellen  Therapie  Bd  VI.  S.  957);  3)  dass  eine 
solche  Operation  innerhalb  des  Kleinhirns  in  Anbetracht  der 
vermutheten  bedeutenden  Grösse  der  Geschwulst  als  sehr  ge- 
fährlich betrachtet  werden  musste  und  4)  dass  also  nur  eine 
palliative  Operation  vorgenommen  werden  konnte,  um  das 
Leiden  der  Pat.  zu  erleichtern. 

In  Anbetracht  dieser  Verhältnisse  wurde  die  Trepanation 
über  dem  oberen  Parietallappen  ausgeführt.  Dieser  Punkt 
war  am  leichtesten  zugänglich;  hier  konnte  die  Operation 
ohne  zu  grosse  Belästigung  der  Pat.  ausgeführt  werden,  das 
Durchschneiden  der  Nackenmuskulatur  vermieden  werden  und 
es  wurden  nur  für  das  Leben  weniger  wichtige  Teile  berührt. 

Der  Erfolg  der  Operation  war  der  beabsichtigte.  Eine 
grosse  Menge  von  cerebrospinaler  Flüssigkeit  wurde  ent- 
leert, die  Symptome  von  gesteigertem  intrakranialen  Druck 
wurden  in  hohem  Grade  ermässigt  und  das  Leben  wahr- 
scheinlich verlängert.  Der  Tod  trat  etwa  5  Monate  nach  der 
Trepanation  ein. 

Besonders  auffallend  war  der  partielle  Rückgang  der 
Stauungspapille  und  die  partielle  Rückkehr  des  Sehvermögens 
kurz  vor  dem  Tode.  Alle  übrigen  Symptome  wie  Schwindel, 
Erbrechen,  Kopfschmerz  verschwanden  etwa  2  Monate,  um 
dann  mitunter  zurückzukehren.  Die  Ataxie  versclnvand  nicht 
und  war  also  nicht  ein  Drucksymptom,  sondern  ein  Lokal- 
.symptom  vom  Kleinhirn  aus. 

Auch  das  Gehör  wurde  gebessert. 

Durch  die  Operation  wurde  auch  das  Leben  sicher  ver- 
längert. 

In  physiologischer  Hinsicht  war  bemerkenswerth,  dass 
nur  eine  bald  vorübergehende  Parese  der  linken  Seite  nach 
der  Operation  entstand,  obschon  sicher  der  hintere  Rand  der 
Rinde  der  hinteren  Centraiwindung  excidirt  wurde. 

Noch  interessanter  war,  dass  die  Empfindung  und  be- 
sonders der  Muskelsiiui  nicht  durch  die  Excision  des  grössten 
Teiles  der  Rinde  des  oberen  Parietallappens  gestört  ivurden. 
Die  darauf  besonders  gerichtete  Untersuchung  war  niclit  ge- 
eignet die  nach  Nothnagel  als  allgemeingültig  betrachtete  An- 
sicht, dass  der  Muskelsinin  im  oberen  Parietallappen  lokalisirt 
sei,  zu  stützen. 

Dass  der  Parietallappen  nicht  motorisch  ist,  das  zeigten 
die  elektrischen  Reizversuche. 


VI. 


über  die  Veränderungen  der  Sehbahn  bei  kongenitaler  Augen-Atrophie. 


Fall  23.   Hilda  Karolina. 

6  Tage  alt. 

Taf.  XI.    Fig.  1—5.    Taf.  XIX.    Fig.  16.  18. 

Klinische  und  anatomische  Diagnose:  Atpophia  bulbopum  oeulopum  ambopum,  Micpocephalus,  Monstpum,  Bponchltis  acuta  diffusa. 


Krankengeschichte 

Das  Gehirn  ist  mir  vom  Herrn  Docent  Dr.  U.  Quensel  in 
Stockholm  gefälligst  überliefert  worden.  Die  Notizen  über  das 
Kind  sind  mit  gefäUiger  Genehmigung  des  Herrn  Prof.  Dr.  O. 
Medin  aus  dem  Krankenjournal  des  allgem.  Waisenhauses  in 
Stockholm  ausgezogen  worden. 

Das  Kind  war  am  i.  September  1892  geboren,  es  wurde 
den  6.  dess.  M.  in  das  Kiankenhaus  aufgenommen  und  starb 
daselbst  den  12.  dess.  M. 

Den  8.  Sept.  1892  wurde  Folgendes  bemerkt. 

Das  Kind  ist  atrophisch,  missgebildet,  Länge  42  cm. 
Brustumfang  26  cm. 

Der  Schädel  ist  bedeutend  verkleinert  und  misst  in  dem 
grössten  Umfange  25.5  cm. 

Die  Augäpfel  sind  atrophisch;  links  ist  der  Augapfel  noch 
von  aussen  wahrzunehmen  rechts  kann  das  obere  Augenlid  nicht 
so  weit  gehoben  werden,  dass  der  Augapfel  zum  Vorschein  kommt. 

Die  Ohren  sind  missgebildet,  dünn  und  runzelig. 

Der  Gaumen  fehlt  vollständig,  doppelseitige  Hasenscharte 
ist  vorhanden;  das  Os  intermaxillare  fehlt.  Das  Septum  narium 
ist  im  oberen  Teile  der  Mund-Rachen-Höhle  nach  links  zu 
sehen,  ist  aber  atrophisch. 

An  jeder  Ha7id  finden  sich  6  Finger,  der  6.  hängt  als 
ein  Anhang  an  der  Aussenseite  des  kleinen  Fingers. 

An  jedem  Fuss  6  Zehen;  an  dem  linken  Fuss  ist  die  6. 
Zehe  auch  als  ein  Anhang  an  der  Aussenseite  der  kleinen  Zehe. 
Am  rechten  Fuss  hängt  die  Nebenzehe  an  der  Wurzel  der  Innen- 
seite der  5.  Zehe.  Der  rechte  Fuss  ist  ein  Klumpfuss,  der  linke 
ein  Pes  calcaneus. 

Innere  Organe  ohne  Störung.  Die  Darmentleerung  recht 
gut.    Das  Kind  schreit  heiser. 

Den  IG.  September  11  Uhr  30  Min.  Vorm.  Pat.  wurde 
cyanotisch  über  den  ganzen  Körper  mit  sehr  unregelmässiger 


Respiration  und  krampfartigen  Bewegungen  der  Kiefermuskulatur 
und  der  Respirationsmuskeln  beim  Athmen.  Nach  5  Minuten 
wurde  die  Hautfarbe  röther,  die  Athmungsfrequenz  40  in  der 
Min.,  und  Pat.  begann  schwach  zu  schreien.  —  Zu  Mittag  ein 
ähnlicher  Anfall  während  einer  halben  Minute. 

Den  ^^/g.  Anfall  wie  gestern  von  schwerer  Dyspnöe  (5 
Min).    Resp.-Freq.  70. 

Den  ^^/g  1892.  Diffuse  Bronchitis,  besonders  an  der  Rücken- 
seite der  linken  Lunge.  Die  Darmentleerung  dunkel,  schleimig, 
schlecht  riechend.  Pat.  hat  mehrere  kurze  Anfälle  von  schwerer 
Dyspnöe.    Starb  5  Uhr  30  Min.  Nachmittags. 

Sonst  wurden  keine  Beobachtungen  gemacht.  Pat.  konnte 
Arme  und  Beine  bewegen. 

Sektion  den  13.  Sept.  1892. 

Pathol.-anatom.  Diagnose:  Bronchopneumonia  acuta  bi- 
lateralis,  Bronchitis  acuta,  Pleuritis  fibrinosa. 

Der  Körper  verhältnissmässig  klein.  Körperfülle  gut.  Haut- 
farbe bleich.    Am  Rücken  Leichenflecke. 

Lungen.  Linke  Lunge:  im  Unterlappen  Bronchopneumonie. 
Rechte  Lunge:  die  oberen  Lappen  luftführend,  im  Unterlappen 
Pneumonie.  In  den  Bronchien  beider  Lungen  reichliche  Mengen 
grauen  Schleims. 

In  den  Brusthöhleji  unten  eine  dünne  fibrinöse  Membran 

Ausgedehnter  Catarrhus  coli.  Leber,  Milz  und  Nieren 
ohne  Befund. 

LLerz:  ein  erbsengrosser  Defekt  im  oberen  Teile  des  Sep- 
tums;  das  Foramen  ovale  steht  zum  grössten  Teil  offen  und  ist 
nur  in  der  Mitte  durch  eine  dünne,  schmale  Membran  geschlos- 
sen.   Das  Myocardium  und  die  Klappen  gesund. 

Uterus  bipartitus  und  Vagina  duplex. 

Gehirn  (vom  Verf.  beschrieben).    Tafel  XI.  Fig.  i  —  5. 

Das  Gehirn  ist  im  Ganzen  auffallend  klein.  Die  Grösse 
und  Form   geht  aus  den  Abbildungen  hervor,  jedoch  ist  dabei 


238  S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


zu  bemerken,  dass  für  die  Abbildung  die  verschiedenen  Win- 
dungen etwas  aus  einander  getrennt  wurden,  wodurch  die  Figuren 
I  und  2  etwas  zu  gross  erscheinen. 

Gewicht  des  in  Spiritus  gehärteten  Präparats         95  Gramm 
»        »    grossen  Gehirns  79.5  » 

»  »  Kleinhirns  und  der  Medulla  oblongata  15.5  » 
Die  Fig.  2  zeigt,  dass  das  Kleinhirn  vom  Grosshirn  nur 
zum  kleinen  Teil  bedeckt  wird.  Die  beiden  Occipitallappen 
liegen  in  der  Mittellinie  einander  nicht  an,  sondern  bilden  zwischen 
sich  einen  triangelförmigen  Zwischenraum.  Dagegen  sind  die 
Grosshirnhemisphären  vorn,  sowohl  oben  wie  unten,  mit  einander 
zusammengewachsen,  und  zwar  in  der  auf  der  Figur  angegebenen 
Ausdehnung.  Die  Fig.  5  zeigt,  wie  hier  das  Mark  des  Frontal- 
lappens unmittelbar  in  die  Centraiganglien  und  den  Balken 
übergeht. 

Aber  auch  die  Centralganglien  trennen  sich  nicht  in  der 
Mittellinie,  und  einen  Ventriculus  tertius  giebt  es  nicht,  wohl 
dagegen  einen  Aqufeductus  Sylvii.  Vom  vorderen  Ende  der 
Wasserleitung  geht  nach  unten  ein  schmaler  Blindsack  (s.  Fig.  5), 
das  Rudiment  des  3.  Ventrikels.  Die  Wasserleitung  mündet  nach 
oben  in  die  zusammengeschmolzenen  Seitenventrikel  ein. 

Gross  hirnober  fläche. 
Die   richtige   Deutung  der  Windungen  ist  schwierig  und 
unsicher. 

Linke  Hemisphäre.    Taf;  XI.  Fig.  i.  2.  4.  5. 
Von  der  Konfiguration  der  Windungen  gewinnt  man  am 
besten  einen  Begriff  durch  Betrachtung  der  Figuren. 

Die  laterale  Fläche.  Fig.  4. 
Hier  markiren  sich  drei  mit  einander  parallele,  von  hinten 
oben  nach  vorn  unten  verlaufende  Windungen,  welche  durch 
tiefe  Furchen  von  einander  getrennt  sind.  Es  ist  schwierig  die 
verschiedenen  Windungen  mit  den  normalen  zu  identificiren.  Die 
wahrscheinliche  Deutung  der  Windungen  geht  aus  den  Figuren 
hervor. 

Der  Frontallappen  wird  durch  einige  (3)  unregelmässige 
kleine  Windungen  repräsentirt;  F'  in  der  Mittellinie  ist  sehr  kurz, 
2.5  cm.  lang,  F'  ist  sehr  zusammengeballt,  rundlich,  und  F* 
bildet  eine  kleine,  etwa  i  cm.  lange,  krumme  Windung. 

Dagegen  ist  der  Gyrus  centralis  anterior,  C^,  verhältniss- 
mässig  sehr  entwickelt  und  erstreckt  sich  vorn  unten  bis  zur 
Mittellinie,  wo  er  mit  dem  rechten  zusammengeschmolzen  ist. 
Von  hier  erstreckt  er  sich,  reichlich  mit  Windimgen  versehen, 
bis  zur  Margo  falcata. 

Die  vermuthete  hintere  Centraiwindung  (Cp)  ist  unten  sehr 
deutlich,  aber  verliert  sich  nach  oben  in  die  obere  Parietal- 
Windung,  wo  man  kaum  den  Typus  mehr  erkennen  kann  (s.  Fig. 
2.  3.).    P^  scheint  gross  zu  sein. 

Der  Temporallappen  ist  durch  zwei  laterale  Windungen, 
eine  kräftige  T^  und  eine  kleine  T^,  vertreten.  Diese  geht  nach 
hinten  in  den  Cuneus  über. 

Eine  getrennte  ventrale  Fläche  giebt  es  nicht,  da  die  late- 
ralen Windungen  ohne  Grenze  in  die  Unterfläche  übergehen. 

Die  mediale  Fläche.  Die  Hemisphären  sind  vorn  zusammen- 
gewachsen (Frontallappen).  Der  Paracentrallappen  und  der  Lobus 
quadratus  sind  nicht  markirt.    Dagegen  zeichnen  sich  die  Fissura 


occipito-parietalis  interna  und  Fissura  calcarina  sehr  scharf  ab 
und  dadurch  wird  also  ein  deutlicher  Cuneus  und  ein  Lobulus 
lingualis  gebildet. 

Der  Gyrus  Hippocampi  ist  undeutlich. 

Die  rechte  Hemisphäre.    Taf.  XI.  Fig.  i.  2.  3. 
Die  Konfiguration  ist  hier  noch  unregelmässiger  und  schwerer 
zu  deuten. 

Die  laterale  Fläche. 

Der  Frontallappen  scheint  durch  einen  einzigen  kurzen  und 
dicken  ^V'ulst  vertreten  zu  sein.  Er  ist  von  einer  grossen,  von 
der  Mittellinie  vorn  unten  bis  zur  Margo  falcata  verlaufenden, 
dicken  Windung  (C*)  umgeben,  welche  sich  an  der  medialen 
Fläche  zu  einem  grossen  Wulst  (der  Paracentrallappen?)  ausbildet. 

CP  ist  auch  ausserordentlich  lang,  erstreckt  sich  von  der 
Mittellinie  unten  bis  zur  Margo  falcata  und  ist  wohl  begrenzt. 
Er  spaltet  sich  an  der  lateralen  Fläche  und  sendet  einen  grossen 
Ast  nach  hinten-oben  (Lobus  parietalis),  welcher  nach  hinten 
in  die  mediale  Fläche  des  Occipitallappens  übergeht. 

Mehr  ventro-occipital  verlaufen  drei  Temporalwindungen 
die  obere,  T^,  ist  sehr  deutlich,  auch  die  T"  ist  deutlich,  T'* 
undeutlich. 

Die  mediale  Fläche. 

Von  der  vorderen  Spitze  des  Temporallappens  verläuft 
eine  dicke  Windung,  Gyrus  Hippocampi,  nach  hinten  oben  und 
schmilzt  hier  mit  der  hinteren  Centraiwindung  zusammen. 

Der  Occipitallappeit  ist  hier  sehr  undeutlich  und  die  Lage 
der  Fissura  calcarina  nicht  sicher.  Eine  vertikale  Fissura  trennt 
den  vollständig  atrophischen  Occipitallappen  von  den  lateralen 
Windungen. 

Sonst  tritt  der  Vertreter  des  Paracentrallappens  wulstig 
hervor. 

Der  Balken  (Fig.  5)  hängt  vorn  mit  dem  Frontallappen 
zusammen  und  ist  vorn  wulstig,  ohne  ein  Genu  zu  bilden,  er 
bildet  übrigens  eine  vorn  3  m.m.,  hinten  i  m.m.  dicke  Platte, 
welche  hinten  frei  endet,  ohne  ein  Splenium  zu  bilden. 

Die  Centralganglien. 

Die  Thalami  sind  recht  kräftig  ausgebildet,  etwas  platt 
(Fig.  5).  Ein  Piilvinar  existirt  nicht;  die  beiden  Thalami  sind 
in  der  Mittellinie  nicht  getrennt. 

Die  Corpora  geniculata  externa  und  Corpora  geniei/lata 
interna  sind  wenig  hervorragend. 

Die  Corpora  4-gemina  (Fig.  2)  sind  dagegen  auffallend  gut 
ausgebildet  und  gross. 

Der  CoUiculus  anterior  misst  in  frontaler  Richtung  etwa  9 
m.m.,  in  querer  Richtung  10  m.m. 

Der  CoUiculus  posterior  zeichnet  sich  auch  deutlich  ab  und 
misst  etwa  5  m.m. 

Tractus  optici.  Eine  Anlage  der  Tractus  existirt  zwar, 
aber  kein  deutlicher  Sehstreifen. 

Linkes  Auge. 
Der  Nervus  opticus  existirt  als  fadendünner  bindegewebiger 
Strang  von  etwa  0.5—1  m.m.  Durchmesser.    Eine  bindegewebige 
Scheide  zeichnet  sich  von  dem  centralen  Strang  ab. 


ÜBER  DIE  VERÄNDERUNGEN  DER  SEHBAHN  BEI  KONGENITALER  AUGEN-ATROPHIE 


239 


Die  Insertionen  der  Muskeln  finden  sich  noch.  Besonders 
die  Sehne  des  Musculus  rectus  externus  ist  rechterseits  dick  und 
breit  (5  m.m.) 

Der  linke  Bulbus  ist  atrophisch,  rund  und  misst  8  m.m.  im 
Durchmesser.  Cornea  weiss,  undurchsichtig.  Die  Augenlider  gut 
ausgebildet. 

Rechtes  Auge. 

Dieses  Auge  ist  völlig  geschrumpft  und  misst  nur  etwa  4 
m.m.  im  Durchmesser;  jedoch  findet  man  auch  die  Insertionen 
des  Opticus  und  der  Muskeln.  Die  Cornealseite  des  Auges  ist 
in  dickes  Bindegewebe  umgewandelt. 


Kleinhirn. 

Seine  Form  ist  nicht  sehr  abnorm.  Man  unterscheidet 
ohne  Schwierigkeit  die  Vermis,  und  die  Hemisphären  haben  im 
Ganzen  normale  Furchung.    (Fig.  i.  2). 

Der  Pons  ist  auffallend  schwach  ausgebildet,  und  an  dem 
caudalen  Rande  zeichnen  sich  zwei  warzenähnliche  Vorsprünge 
an  den  Austrittspunkten  der  N.  abducentes  ab. 

Medulla  oblongata.  Die  Oliven  springen  als  zwei  bohnen- 
ähnliche Bildungen  an  der  Unterseite  der  Medulla  kräftig  her- 
vor (Fig.  i).  Sie  messen  jede  in  der  Breite  5  m.m.,  in  der 
Länge  9  m.m. 

Die  Nervi  trigemini  und  acustici-faciales  sind  als  dicke 
Bündel  vorhanden. 


Mikroskopisches. 

Zum  Vergleichungsobjekt  wurde  das  Gehirn  eines  3-tägigen  Kindes  benutzt.  Der  Altersunterschied  betrug  also  nur  9  Tage. 
Das  Vergleichungsgehirn  war  dagegen  besser  in  Alkohol  gehärtet.    Die  Präparate  wurden  nach  Nissl  gefärbt. 


A.    Das  normale  Gehirn.  B.    Die  Blinde. 

P  u  1  V  i  n  ar. 

Zellen  schön  ausgebildet  mit  scharfen  Konturen  und  schö-  Zellen :  die  meisten  schön  ausgebildet  wie  in  A.  mit  deut- 

nen  Kernen  mit  Kernkörperchen.  Die  Fortsätze  sehr  deutlich  liehen  Fortsätzen.  Daneben  kleinere  rundliche,  anscheinend  un- 
und  kräftig.  ausgebildete. 

Grundsubstanz  zart,  porös.  Grundsubstanz  geschrumpft. 

Also  besteht  der  Unterschied  darin,  dass  bei  der  Blinden  auch  unausgebildete  Zellen  vorkamen. 


Corpus  g  e  n  i  c  u  1 
5  schön  angeordnete  Reihen  mit  4  breiten,  hellen  Streifen 
dazwischen.    Zellen  sehr  zahlreich  und  schön  ausgebildet. 

Die  grösseren  rundlich,  flaschenähnlich  mit  2  dichotomisch 
verästelten  Fortsätzen  und  oft  deutlichem  Axencylinder.  (Taf. 
XIX.  Fig.  17  a). 

Das  Chromatin  gleichmässig  verteilt. 

Die  kleineren  oblong-polygon  mit  einem  kurzen  Fortsatz, 
zahlreich  und  scharf  konturirt.    (Taf.  XIX.  Fig.  17  b). 


atum  externum. 

Undeutliche  Reihen  oder  unregelmässige  Häufchen  von 
Zellen  ohne  deutliche  helle  Markleisten  dazwischen.  Zellen  recht 
zahlreich,  besonders  die  grösseren. 

Die  grösseren  ohne  die  sonst  karakteristische  Form,  etwas 
kleiner,  in  mehreren  Spitzen  oder  stumpfen  Ecken  hervorragend; 
andere  Zellen  sind  birnenförmig.  Fortsätze  sehr  kurz  und  nicht 
verästelt.    (Taf  XIX.  Fig.  18  a). 

Das  Chromatin  in  grobe  Körner  oder  Plättchen  verteilt. 

Die  kleineren  oblong  mit  kurzen  Fortsätzen,  sonst  den  in 
A  ähnlich.    (Fig.  18  b). 

Danehen  luenig  ausgebildete  kleine  Zellen  mit  undeutlichem 
Protoplasma  rings  um  den  gut  entwickelten  Kern. 


Corpus  geniculatum  intern  um. 


Zellen  recht  zahlreich,  rundlich-eckig  mit  kurzen  Fortsätzen 
oder  ohne  Fortsätze. 


Zellen  zahlreich,  mehr  unregelmässig,  in  grösseren  Häuf- 
chen. Sonst  sind  die  Zellen  wie  in  A,  vielleicht  sind  in  B  die 
kleineren  zahlreicher  als  in  A. 


II. 


Stratum  zonale:  zahlreiche  Zellen  vorhanden. 

a)  zahlreiche  sternförmige  mit  kurzen  Ausläufern; 

b)  polymorphe  (Randzellen);  c)  Kerne. 


Cappa  cinerea:  mässige  Menge  Zellen.    Kaum  0.5  m.m. 
breit. 

a)  grosse  horizontale  mit  horizontalen  Ausläufern; 


Corpora  4-gemina. 

I. 


II. 


Str.  z.:  Zellen  recht  zahlreich  vorhanden,  alle  kleiner 
als  in  A,  denn  das  Protoplasma  ist  nicht  so  ausge- 
bildet. 

a)  zahlreiche  sternförmige  mit  weniger  ausgebildeten 
Körpern  und  sehr  undeutlichen  Ausläufern;  b)  poly- 
morphe Zellen;  c)  Kerne. 
C.  c:  die  Schicht  weniger  distinkt.    Zellen  weniger  als 
in  A,  und  kleiner,  mit  unausgebildeten  Körpern, 
a)  fehlen   fast!    b)  horizontale,   einzelne,  abortive 


240 


S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


A.    Das  Jiorniale  Ge/nni. 
b)  kleine  derselben  Form;  c)  grosse  Kerne ;  d)  kleine 
polymorphe  Zellen. 

Stratum  opticum:  c:a  1.25  m.m.  dick;  zahlreiche  Zellen, 
a)  vertikale,  spindelförmige;  b)  trianguläre ;  c)  hori- 
zontale, spindelförmige;  d)  polygone,  mit  vielen 
Ausläufern. 

Stratum  circiilare:  zahlreiche  Zellen,  aber  nicht  so 
dicht  wie  in  III,  c:a  1.30  m.m. 
a)  grosse,  polygone,  mit  langen  Ausläufern ;  b)  hori- 
zontale; c)  kleine,  rundliche,  mit  geringem  Proto- 
lasma;  d)  Kerne;  e)  trianguläre,  grosse;  f)  birnen- 
förmige. 


B.    Die  Blinde. 
ohne  deutliche  Fortsätze;   c)  fehlen  fast;   d)  zahl- 
reiche, kleine,  polymorphe,  mit  undeutlichem  Zel- 
lenprotoplasma. 

III.  Str.  opt.:  Zellen  spärlich. 

a)  vertikale  finden  sich  spärlicher;  b)  trianguläre; 
c)  nur  einzelne;  d)  u.  e)  zahlreiche  kleine  Kerne 
mit  unausgebildetem  polygonen  Protoplasma. 

IV.  Str.  circ:  zahlreiche  Zellen,  aber  nicht  so  ausgebildet 

wie  in  A. 

a)  grosse,  nicht  so  polygone,  nicht  (?)  so  lange  Aus- 
läufer; andere  abortive;  b)  horizontale;  c)  u.  d) 
zahlreiche  Kerne  mit  keinem  oder  geringem  Proto- 
plasma; e)  einzelne  trianguläre,  grosse;  f)  birnen- 
förmige. 


Die  Rinde  der  Fissura  calcarina. 


(Taf.  XIX.  Flg.  15). 
Bei   stärkerer   Vergrösserung   unterscheidet   man  folgende 
Schichten  (Vergl.  die  Beschreibung  v.  Leonowa's*  und  ihre  Tafeln): 

I.  Die  Ependymschicht  bildet  an  Methylenpräparaten  eine 
breite  helle  Schicht,  in  welcher  nur  einzelne  Zellenele- 
mente mit  grossen,  abgerundeten  Kernen  und  wenig 
Protaplasma  eingebettet  sind.  Einige  der  Zellen  zeigen 
einen  spärlichen  Ring  von  Protoplasma  rings  um  den 
Kern,  welches  an  einigen  in  eine  nach  der  Oberfläche 
gerichtete  Spitze  ausläuft.  Die  Kerne  sind  fein  gekörnt. 
Ausserdem  runde  und  oblonge  Kerne  ohne  Protoplasma- 
körper. 

An   einigen   Zellen   erscheint  ein  kurzer  Ausläufer 
nach  unten. 

II.  Schicht  der  oberflächlichen  kleinen  Pyramidenzellen.  Eine 
schmale  Schicht,  welche  ohne  scharfe  Grenze  in  die 
folgende  übergeht.  Zellen :  dichtliegende,  kleine  Frami- 
den,  meist  mit  abgerundeter  vom  Kern  atisgefüllter  Basis 
und  deutlichem  Pyramidenfortsatz. 


III.  Schicht  der  grössere?!  Pyramidenzellen.  Eine  breite 
Schicht,  nach  unten  von  Zellen  anderer  Form  umsäumt, 
welche  nicht  so  deutliche  Pyramidenzellen  sind.  Zellen 
grösser,  deutlicher  mit  3-eckiger  Basis,  reichlicherem 
Protoplasma,  nicht  so  dicht  an  einander  liegend. 

Einzelne  grössere  Pyramidenzellen  sind  eingemischt. 

IV.  Helle  Schicht  mit  zerstreuten  polygonen  und  poly- 
morphen mittelgrossen  oder  grossen  Zellen  ohne  Pyra- 
midenfort satz. 

*  Archiv  f.  Anatomie  und  Phsysiologie.  Anatomische  Abth.  Heft,  5  u. 
6.  S.  309  u.  ff.  1893. 


(Taf.  XIX.  Fig.  16). 

I.  Diese  Schicht  ist  nicht  so  scharf  von  der  nächsten  ab- 
gesetzt und  ist  etwa  4  Mal  breiter  als  am  Vergl. -Präp., 
ist  auch  nicht  so  arm  an  Zellen  wie  normal. 

Die  anscheinend  bedeutende  Vergrösserung  der  Breite 
durfte  wohl  davon  abhängen,  dass  der  untere  Abschnitt 
wohl  eigentlich  der  nächsten  Schicht  angehört,  obwohl 
die  Pyramidenzellen  da  fehlen. 


II.  Die  Schicht  der  kleinen  Pyramiden  bildet  nicht  mit  der 
folgenden  eine  zusammenhängende  regelmässige  Schicht; 
an  Stelle  beider  Schichten  treten  unregelmässig  säulen- 
förmig angeordnete  Zellenhäufchen  auf,  welche  teils 
grösser,  teils  kleiner  sind  und  mitunter  in  einer  Schicht 
zusammenhängen.  Diese  Häufchen  gehören  hauptsäch- 
lich der  Schicht  III  an.  Über  den  oberflächlichen 
Abschnitt  s.  I.  In  dem  unteren  Abschnitt  sind  die  Zellen 
oblong,  flaschenförmig,  die  Kerne  oblong  und  von  spär- 
lichem Protoplasma  bekleidet;  die  Basis  spitz  oder  ab- 
gerundet, Pyramidenfortsatz  fehlt  vollständig;  nur  ein- 
zelne ausgebildete  Pyramidenzellen  sind  noch  vorhan- 
den;  basale  laterale  Fortsätze  fehlen  völlig. 

III.  Diese  Schicht  fliesst  mit  der  vorigen  zusammen  und 
vielleicht  entsprechen  die  unter  II  beschriebenen  Zell- 
häufchen eher  dieser  Schicht  III,  als  der  Schicht  II. 
Bisweilen  hängt  diese  Schicht  mit  Schicht  IV  zusam- 
men; übrigens  ist  die  Begrenzung  nach  unten  unregel- 
mässiger als  normal. 

IV.  Die  helle  Schicht  ist  sehr  unregelmässig,  bisweilen  breit, 
bisweilen  schmal  oder  fehlt.  Eine  bestimmte  Zellenform 
ist  nicht  ausgebildet.  Ein  undeutlicher  Protoplasma- 
mantel umgiebt  den  runden  oder  oblongen  Kern.  Es 
existirt  kein  Pyramidenfortsatz. 


ÜBER  DIE  VERÄNDERUNGEN  DER  SEHBAHN  BEI  KONGENITALER  AUGEN-ATROPHIE  241 


A.    Die  Blinde. 

V.  Molekuläre  Schicht:  dichtliegende  runde  Kerne  ohne  deut- 
•  Uches  Protoplasma. 

V.  a.    In   ihrer  ventralen   Schicht  sind  die  Zellen 
und  einzelne  grosse  solitäre  Pyramidenzellcn  eingebettet. 

VI.  Heller  Streifen  mit  polymorphen  Zellen,  nämlich: 

a)  einzelnen  SoHtärzellen ; 

b)  mittelgrossen  Pyramidenzellen; 

c)  kleineren  rundlichen  Zellen. 

VII.    Dichtliegende  grosse  Pyramidenzellen  mit  eingestreuten 
noch  grösseren,  von  welchen  viele  spindelförmig  sind. 


VIII.    Zerstreute,  polymorphe,  Pyramiden-,  kleine  rundliche, 
flaschenförmige  etc.  Zellen. 


Anatomische 

Da  das  mir  zu  Gebote  stehende  Material  schon  in  Spi- 
ritus eingelegt  war,  so  konnte  es  nicht  zur  Färbung  nach  der 
Weigert'schen  Methode  angewendet  werden.  Untersuchungen 
auf  Nervenfasern  mussten  deshalb  unterbleiben;  zum  Ersatz 
eignete  sich  das  Gehirn  gut  für  Zellenfärbung  nach  der  vor- 
züglichen Nissl'schen  Methode  mit  Methylenblau.  Und  eine 
solche  Untersuchung  hatte  um  so  mehr  Interesse,  da  das 
dem  Fräulein  O.  von  Leonowa  ^  zur  Verfügung  stehende  reich- 
liche Material  von  7  Fällen  von  Anophthalmia  oder  Bulbus- 
atrophie  nur  nach  Weigert  gefärbt  war.  Wie  bekannt,  ist 
die  genauere  Untersuchung  der  Zellen  an  dergleichen  ge- 
färbten Präparaten  sehr  schwierig  und  die  der  feineren  Struk- 
tur des  Protoplasmas  und  der  Fortsätze  manchmal  selbst  un- 
möglich. Mein  Material,  wenngleich  verhältnissmässig  klein, 
kann  also  hinsichtlich  der  Zellen  die  Untersuchungen  v.  Leo- 
nowa's  in  gewissen  Hinsichten  kontrolliren  und  vervollständigen. 

Anderseits  wäre  es  verfrüht,  aus  dem  Befunde  nur  eines 
Gehirns  zu  weit  gehende  Schlüsse  zu  machen.  Und  das  Re- 
sultat muss  mit  einer  gewissen  Reserve  aufgenommen  werden, 
da  das  Untersuchungsobjekt  in  der  That  in  einigen  Hinsichten 
ein  Monstrum  war.  Inzwischen  hat  die  Übereinstimmung  mit 
den  V.  Leonowa'schen  Befunden  mich  überzeugt,  dass  dieses 
Verhältniss  kaum  in  die  Wagschale  fällt,  wenn  auch  das 
Gehirn  sonst,  wie  aus  dem  Sektionsbericht  hervorgeht,  in 
mancher  Hinsicht  deform  und  defekt  war. 

Ich  möchte  nun  erst  einen  Vergleich  mit  dem  Befunde 
bei  einem  normalen  Gehirn  von  einem  3-tägigen,  anscheinend 
normalen  Kind  anstellen.  Der  Unterschied  im  Alter  zwischen 
den  beiden  Specimina  war  nur  9  Tage;  dann  will  ich  meinen 
Befund  mit  dem  v.  Leonowa's  vergleichen  —  und  endlich  die 
Veränderungen  verwerthen. 

1  a.  a.  O.  und  Archiv  f.  Psychiatrie  Bd  XXVIII.    Heft.  i. 


A.    Das  normale  Gehirn. 
V.    Molekuläre   Schicht  fehlt  als  besondere  Schicht;  ob 
einzelne  Zellen  bestehen,  ist  ungewiss,  da  ähnliche  runde 
Kerne  ohne  oder  mit  undeutlichem  Protoplasmamantel 
überall  in  der  Rinde  anzutreffen  sind. 

V.  a.    Solitäre  Pyramidenzellen  fehlen. 

VI.  Der  helle  Streifen  fehlt,  aber  stellenweise  ist  eine  An- 
deutung davon  vorhanden,  indem  Lücken  mit  spärli- 
chen Zellen  in  der  folgenden  Schicht  auftreten. 

VII.  Eine  breitere  Schicht  als  normal  folgt,  wahrscheinlich 
eigentlich  aus  mehreren  gebildet.  Die  Zellen  gross, 
plump,  mit  grossen  oblongen  Kernen  und  grossem  ob- 
longen Körper.  Ihre  Form  nicht  ausgebildet;  viele  mit 
Pyramidenfortsatz ;  keine  basalen  lateralen  Fortsätze. 
Viele  nach  beiden  Enden  zugespitzt.  Einzelne  sehr 
grosse. 

VIII.  Undeutlich  begrenzte,  recht  breite  Schicht.  Zellen  wei- 
ter aus  einander  stehend.  Zellen  recht  gross,  polygo- 
nal mit  grossem,  rundlichem  Kern  und  deutlichem, 
rundlich-eckigem  Mantel. 

Bemerkungen. 

Der  äussere  Kniehöcker. 

Allgemeine  Anordnung.  Die  vergleichende  Untersuchung 
zwischen  den  Gehirnen  des  3-tägigen  Kindes  und  des  Blinden 
hat  eine  in  die  Augen  fallende  Verschiedenheit  nachgewiesen. 
Diese  betrifft  nicht  nur  die  allgemeine  Anordnung  des  Knie- 
höckers, sondern  auch  speziell  die  Zellen.  Das  ganze  Ganglion 
ist  auffallend  atrophisch,  zeichnet  sich  nicht  von  dem  um- 
gebenden Gewebe  so  distinkt  ab,  wie  beim  Normalen,  ihre 
Grenzen  sind  diffus  und  die  Form  weniger  charakteristisch. 
Wenn  diese  Verschiedenheiten  schon  eine  mangelhafte  Ent- 
wickelung  ankündigen,  so  tritt  diese  noch  mehr  bei  der  ge- 
naueren Untersuchung  hervor  Beim  Normalen  tritt  die  schöne 
Faltung  der  Zellenreihen  so  klar  hervor;  diese  Reihen  sind 
zusammenhängend  und  durch  helle  Streifen,  die  Markleisten, 
von  gleichmässiger  Breite  von  einander  getrennt.  Dagegen 
beim  Blinden  sind  diese  Laminat  medulläres  sehr  undeutlich. 
Die  grossen  Zellen  bilden  keine  zusammenhängenden  Reihen, 
sondern  sind  in  Häufchen  gesammelt,  deren  Form  jedoch 
etwas  an  die  normale  Anordnung  erinnert;  die  kleineren  Zellen 
liegen  auch  zerstreut,  nur  mit  Andeutung  einer  Reihenbildung. 

Diese  Anordnung  findet  in  der  mangelhaften  Ausbildung 
des  Ganglions  ihre  Erklärung.  Da,  wie  bekannt  ist,  die  Mark- 
leisten zum  Teil  aus  Tractusfasern  gebildet  werden,  welche 
bei  Atrophie  der  Tractus  ausfallen,  so  müssen  sie  auch  we- 
nigstens zum  Teil  bei  der  kongenitalen  Opticusatrophie  fehlen 
oder  in  ihrer  Entwickelung  gehemmt  werden.  Dadurch  geht 
das  charakteristische  Aussehen  des  Ganglions  verloren.  Da 
inzwischen  auch  die  von  den  Zellen  occipitalwärts  verlaufenden 
Nervenfasern  in  diesen  Markleisten  zu  verlaufen  scheinen,  so 
versteht  sich,  dass  noch  eine  Spur  der  Laminse  medulläres 
besteht. 

In  allen  diesen  eben  erwähnten  Hinsichten  stimmt  der 


242  S.  E.  HENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


Befund  mit  dem  von  v.  Leonowa  beschriebenen  überein.  Sie 
fand  den  äusseren  Kniehöcker  atrophisch,  undeutlich  begrenzt, 
die  Zellen  lagen  in  Gruppen  oder  bildeten  Haufen,  selten 
waren  sie  regelmässig  verteilt  (Fall  VI);  die  Laminse  medul- 
läres fehlten  entweder  gänzlich  oder  waren  undeutlich  in  allen 
7  Fällen. 

Zellen.  Betreffs  der  Zellen  war  auch  ein  deutlicher  Un- 
terschied von  dem  normalen  Gehirn  nachzuweisen.  Die  ZaJil 
der  grosse7i  Zellen  war  entschieden  verinindert:  einige  Häuf- 
chen oder  kurze  Reihen  sollten  der  langen  schönen  normalen 
Reihe  entsprechen.  Aber  in  diesen  kleinen  Haufen  liegen 
die  Zellen  anscheinend  eben  so  dicht  wie  im  normalen  Prä- 
parate, wenn  nicht  sogar  dichter. 

In  dieser  Hinsicht  findet  sich  auch  Ubereinstimmung  mit 
dem  Befund  von  v.  Leonowa.  Sie  fand  die  Ganglienzellen  in 
den  Fällen  2.  3.  4.  7  »nahe  an  einander»,  »zusammengepresst» 
u.  s.  w. 

Betreffs  der  kleinen  Zellen,  schien  auch  eine  Verinin- 
derung  der  ausgebildeten  Zellen  stattzufinden,  aber  ausser- 
dem fanden  sich  unentwickelte  Zellen,  welche  fast  nur  aus 
Kernen  bestanden,  ohne  oder  mit  undeutlichem  Protoplasma 
rings  um  den  Kern.  Wenn  es  auch  schwierig  ist,  die  Zahl 
auf  die  Kubikeinheit  abzuschätzen,  da  hierbei  die  Dicke  des 
Präparates  eine  Rolle  spielt,  so  scheint  es  mir  doch,  dass 
auch  die  Zahl  der  kleinen  Zellen  vermindert  war. 

Die  Form  der  Zellen  war  entschieden  beim  Blinden  ver- 
ändert. Beim  Normalen  hatten  die  grössere7i  dieselbe  Grund- 
form wie  beim  erwachsenen  Menschen,  wie  diese  Zellen  beim 
Färben  mit  Methylenblau  erscheinen  (Taf.  XIX.  Fig.  17.  a). 
Diese  weicht  von  derjenigen,  welche  man  bei  der  Golgi'schen 
Färbung  sieht,  in  der  Hinsicht  ab,  dass  die  Protoj^lasmafort- 
sätze  nicht  so  schön  sind.  Auch  waren  beim  Normalen  diese 
nicht  so  lang  und  verästelt  wie  beim  Erwachsenen,  aber  der 
Grundtyjaus  war  nachzuweisen  —  die  dichotomische  Ver- 
ästelung der  hirschhornähnlichen  Fortsätze. 

Dagegen  war  beim  Blinden  die  Zellform  eine  verän- 
derte (Fig.  18.  a).  Die  von  v.  Leonowa  in  Fig.  10.  Taf.  II.  ab- 
gebildete konnte  ich  nicht  .sehen.  Die  Zellen  waren  nicht 
rund,  sondern  teils  mit  vielen  vorspringenden  Ecken  mit 
kurzen,  einfachen  Fortsätzen,  teils  mit  abgerundeter  Basis, 
und  einige  ähnelten  nach  unten  abgerundeten  Flaschen;  alle 
hatten  grosse  Kerne  und  einen  starken  kurzen  Fortsatz.  Fast 
in  allen  Zellen  war  das  Chromatin  in  groben  Körnern  oder 
Plättchen  gesammelt,  beim  Normalen  dagegen  war  das  Proto- 
plasma gleichförmig  verteilt  und  gefärbt.    (Vgl.  die  Fig.) 

Die  kleineren  Zellen  waren  zum  Theil  recht  gut  ent- 
wickelt, wenn  auch  kleiner  als  normal;  aber  daneben  fanden 
sich  kleine  unausgebildete  mit  geringem  Protoplasma. 

Das  Gemeinsame  für  beide  Zellenarten  war  also  Dian- 
gelhafte  Entivickelnng  aller  Zellen,  und  venniiiderte  Anzahl 
der  verhältnissmässig  entwickelten  Zellen,  v.  Leonowa  be- 
zeichnet die  Ganglienzellen  im  Falle  I.  als  »etwas  kleiner» 
(ungewiss),  im  II.  sind  sie  nicht  näher  beschrieben,  im  IV. 
»nicht  kleiner  als  normal»,  aber  Protoplasma  »sehr  geschAvun- 
den  und  atrophisch»,  ja  »nicht  selten  schwer  zu  verfolgen»,  im 
V.  »Protoplasmamantel  nähert  sich  mehr  dem  Vergleichungs- 
objekt», im  VI.  »kleiner»  als  normal  und  »Protoplasmaman- 


tel schwer  zu  verfolgen»;  nur  in  2  Fällen,  III.  und  VII.,  sind 
sie  »gross  und  schön»,  aber  im  III.  sind  sie  rund  oder  ver 
längert  und  im  VII.  ist  die  vorherrschende  Form  rund,  aber 
man  begegnet  auch  »ovalen  und  dreieckigen». 

Zieht  man  nun  in  Betracht,  dass  wenigstens  die  nor- 
malen grossen  Ganglienzellen  des  äusseren  Kniehöckers  nicht 
als  rund,  selbst  nicht  als  oval  bezeichnet  werden  können,  und 
dass  von  v.  Leonowa  die  Zellen  selbst  in  den  Fällen  III.  und 
VII.  und  ausserdem  in  den  Fällen  I.  IV.  VI.  solche  runde 
Formen  als  vorkommend  oder  zahlreich  bezeichnet  werden, 
und  dass  fast  in  allen  Fällen  sonst  das  Protoplasma  reducirt 
war,  so  besteht  also  eine  auffallende  Ubereinstimmung  zwischen 
den  Befunden  v.  Leonowa's  und  dem  meinigen.  Die  grossen  Zel- 
len hatten  ihre  charakteristische  Form  nicht  erreicht,  die  Fort- 
sätze waren  noch  sehr  einfach  und  kurz,  und  neben  kleineren 
verhältnissmässig  gut  entwickelten  Zellen  fanden  sich  zahl- 
reiche runde  oder  ovale,  welche  gewiss  volle  Entwickelung 
nicht  erreicht  hatten. 

Es  bestand  also  in  allen  Fällen  eine  deutliche,  bisweilen 
mehr,  bisweilen  weniger  starke  Atrophie  oder  mangelJiafte 
Entwickelung  der  Zelleji. 

Wenn  dessen  ungeachtet  v.  Leonowa  in  der  Zusammen- 
fassung S.  20  die  Zellen  als  »im  Allgemeinen  recht  schön 
entwickelt  und  scheinbar  nicht  reducirt  an  Zahl»  bezeichnet 
so  kann  ich  dem  nicht  beistimmen.  Die  beigefügten  Abbil- 
dungen (v.  Leonowa's  Taf.  II.  Fig.  10.  u.  11.),  der  Zellen 
beim  normalen  Vergleichungsobjekt  und  im  Falle  IV.  geben 
auch  keinen  richtigen  Begriff  von  der  Form  der  Zellen  des 
äusseren  Kniehöckers.  Die  feinere  Struktur  sowohl,  als  die 
vorspringenden  Ecken  und  die  verästelten  Fortsätze,  wie  sie 
sich  beim  Färben  mit  Methylen  herausstellen,  fehlen  in  den 
Abbildungen  (vgl.  Taf  XIX.  Fig.  17.  18.). 

Dies  dürfte  von  der  Härtungsmetode  und  der  Färbung 
abhängen.  Auch  ich  habe  wohl  hundertmal  die  Schwierig- 
keit geprüft,  die  Form  und  Struktur  der  Ganglienzellen  bei 
den  in  der  Müller'schen  Flüssigkeit  gehärteten  und  nach 
Weigert  gefärbten  Präparaten  richtig  zu  beurteilen,  indem 
nur  die  gröberen  Konturen  dann  hervortreten.  Feinere  Ver- 
änderungen werden  leicht  unterschätzt  oder  übersehen,  und 
die  Fortsätze  treten  k-aum  hervor. 

Ich  wiederhole  deshalb :  es  besteht  in  den  Zellen  des 
äusseren  Kniehöckers  eine  ausgesprochene  Atrophie  oder  man- 
gelhafte Entwickelung.  Und  dies  ist  von  wesentlicher  Be- 
deutung. Auch  findet  sich  eine,  wenn  auch  nicht  grosse, 
Verminderung  der  Anzahl. 

Was  die  Grundsiib stanz  betrifft,  so  konnte  auch  ich 
einen  Unterschied  zwischen  dem  normalen  und  dem  patholo- 
gischen Falle  sehen.  Bei  beiden  kann  sie  als  feinkörnig  be- 
zeichnet werden,  war  aber  bei  diesem  etwas  dichter,  während 
beim  Normalen  dieses  Gewebe  zarter  und  poröser  war. 

V.  Leonowa  bezeichnet  die  Grundsubstanz  im  Falle  I. 
als  »geschrumpft»,  aber  ihre  Structur  als  normal,  im  II.  als 
»etwas  atrophisch»,  im  III.  »stark  reducirt»,  im  IV.  »stark 
geschwunden  und  zerfallen»  im  ventralen,  aber  nicht  im  dor- 
salen Teile,  im  V.  »atrophisch,  zerfallen»  (die  venstralsten  Teile 
intakt),  im  VI.  »zerfallen»  und  im  VII.  »etwas  geschrumpft, 
Struktur  nicht  verändert». 


ÜBER  DIE  VERÄNDERUNGEN  DER  SEHBAHN  BEI  KONGENITALER  AUGEN-ATROPHIE. 


243 


Schon  seit  Jahren  legt  v.  Monakow  und  jetzt  v.  Leo- 
nowa  diesen  Veränderungen  der  Grundsubstanz  wesentliche 
Bedeutung  bei,  und  betrachtet  sie  als  eine  zuesentlicJie  Krajik- 
lieit  der  Substantia  gelatinosa  in  Zusammenhang  mit  dem 
Schwund  der  Endigungen  oder  Endbäumchen  der  Nerven- 
fasern. Und  V.  Leonowa  will  den  ursprünglich  von  Mona- 
kow ausgesprochenen  Satz,  dass  »da  wo  nur  die  Substantia 
gelatinosa  erkrankt»,  es  sich  nur  um  »Endigungsstätten»  der 
Nervenfasern  handelt,  als  »ein  allgemein  gültiges  Gesetz  für 
die  Hirnanatomie  aufstellen». 

Was  nun  die  Thatsache  betrifft,  so  gestehe  ich  gern 
zu,  dass  beim  Schwund  reichlicher  Menge  von  Nervendigun- 
gen  eine  Verdichtung  der  Neuroglia  stattfindet.  Die  Maschen 
des  sonst  porösen  Gewebes  nähern  sich  einander,  und  dieses 
scheint  auch  etwas  körniger,  aber  dies  will  ich  nicht  als 
eine  wesentliche  Krankheit  bezeichnen.  Es  ist  die  unmittel- 
bare Folge  des  Schwundes  der  Nervenfasern;  die  Maschen 
fallen  zusammen,  und  ich  finde  es  kaum  berechtigt,  dies  als 
eine  Atrophie  zu  bezeichnen. 

Der  Ausdruck,  dass  nach  Bulbusenukleation  zuerst  die 
Substantia  gelatinosa  erkrankt,  scheint  mir  auch  irreleitend, 
denn  überall,  wo  Nervenelemente  ausfallen,  treten  gewisse  als 
Sklerose  zu  bezeichnende  Veränderungen  ein,  sowohl  an  der 
Endigung  der  Endbäumchen,  wie  überall  anderswo  im  Ver- 
laufe der  Nerven.  Jedenfalls  ist  die  Veränderung  der  Neu- 
roglia nicht  das  Wesentliche,  sondern  der  Ausfall  der  Nerven- 
fasern. Ob  ein  Schwund  der  Neuroglia  besteht,  scheint  mir 
zweifelhaft,  wohl  aber  ist  eine  Schrumpfung  oder  Verdichtung 
vorhanden. 

Hier  bei  der  kongenitalen  Atrophie  des  Augapfels  geht 
damit  Hand  in  Hand  die  Atrophie  der  Ganglienzellen  des  Knie- 
Iiöckers,  zvelche  keineszvegs  als  unwesentlich  oder  bedeutiings- 
los  bezeichnet  werde7i  darf. 

Dieselben  Veränderungen  wie  hier  habe  ich  auch  früher 
wiederholt  bei  Tractusatrophien  gefunden,  auch  bei  Erwach- 
senen. Im  Falle  I,  Teil  I,  wo  mehrjährige  Blindheit  bestand, 
konnte  dasselbe  nachgewiesen  werden.  Neben  einer  allge- 
meinen Atrophie  des  Kniehöckers  bestand  eine  Zusammen- 
drängung der  Zellen,  und  diese  zeigten  einen  gewissen  Grad 
von  Atrophie,  aber  bestanden  noch.  Die  Laminae  medulläres 
waren  als  »trockne  Strombetten»  oder  leere  Scheiden,  helle 
Streifen  zu  sehen. 

Was  bedeutet  aber  die  vorhandene  Atrophie  der  vielen 
Zellen  im  Kniehöcker?  und  der  Ausfall  von  Zellen?  Ohne 
Zweifel  sind  diese  Veränderungen  auch  secundär  in  Folge  der 
fehlenden  Entwickelung  der  Augäpfel  und  der  Tractusfasern. 

Pul  vi  na  r.  Auch  hier  fand  ich  eine,  wenn  auch  gering- 
fügige Veränderung  der  Zellen,  indem  beim  Blinden  neben 
gut  entwickelten  Zellen  andere  mangelhaft  entwickelte  vor- 
kamen, v.  Leonowa  fand  dagegen  nur  schöne  normale  Zel- 
len, und  die  Grundsubstanz  war  in  allen  Fällen  normal.  Aber 
wenn  Tractusfasern  auch  hier  endigen,  warum  findet  sich 
keine  Atrophie  der  Grundsubstanz?  Es  muss  dann  auch  die 
Grundsubstanz  verändert  sein,  was  aber  v.  Leonowa  nicht  mi- 
kroskopisch gefunden  hat.  In  meinen  Präparaten  dagegen 
war  eine  solche  deuthch.    Die  Neuroglia  war  kondensirt,  g€- 

5.  E.  Menschen.    Pathologie  des  Gehirns. 


schrumpft.  Dagegen  fand  v.  Leonowa,  dass  das  Pulvinar  im 
Fall  I  eine  doppelseitige  makroskopische  Atrophie  zeigte; 
Atrophie  fand  sich  auch  in  den  Fällen  2  und  3  und  viel- 
leicht im  7.,  aber  nicht  in  dem  4.  und  5.  (im  6.  nichts  be- 
sonders erwähnt).  Es  besteht  also  zwischen  dem  makro-  und 
mikroskopischen  Befunde  v.  Leonowa's  ein  auffallender  Wi- 
derspruch. 

Der  innereKniehöcker.  Im  Ganzen  war  das  Ganglion 
normal  und  die  Zellen  waren  denen  des  normalen  Präparats  sehr 
ähnlich,  nur  dass  die  Zellen  beim  Blinden  nicht  regelmässig  ver- 
teilt waren  und  vielleicht  die  kleinen  Zellen  zahlreicher  waren. 

Corpora  4-gemina  anteriora. 

Allgemeine  Anordming.  Es  fällt  gleich  in  die  Augen, 
dass  im  normalen  Gehirn  die  verschiedenen  Schichten  gut 
von  einander  dififerenzirt  waren,  obschon  nur  die  Zellen  ge- 
färbt waren.  Die  Anzahl  der  Zellen  charakterisirt  die  ver- 
schiedenen Schichten,  sowie  auch  die  Zellenformen.  Beim 
Blinden  dagegen  war  es  schwierig  zu  sagen,  wo  eine  Schicht 
anfing  oder  aufhörte,  denn  das  Stratum  opticum  hatte  nicht 
viel  zahlreichere  Zellen  als  die  Cappa  cinerea.  Auch  fanden 
sich  Gruppen  von  Zellen  unregelmässig  eingestreut,  im  Ge- 
gensatz zum  Normalen. 

Die  oben  mitgeteilte  mikroskopische  Untersuchung  zeigte 
übrigens,  dass  beim  Blinden  im  Stratum  zonale  die  Zellen 
kleiner  als  beim  Normalen  waren,  in  der  Cappa  cinerea  die 
Zellen  spärlicher  waren,  und  dass  besonders  die  sonst  schönen 
horizontalen  grossen  Zellen  unausgebildet  waren  oder  fast 
fehlten.  Im  Stratum  opticum  fanden  sich  beiderseits  alle  Ar- 
ten von  Zellen,  aber  die  Zellen  waren  beim  Blinden  spär- 
licher und  w^eniger  entwickelt;  im  Stratum  circulare  waren 
die  Zellen  auch  nicht  so  gut  entwickelt  wie  beim  Normalen. 

Fasst  man  dieses  zusammen,  so  findet  man  also,  dass 
die  Zellen  in  alle 71  Schichten  spärlicher  oder  nicht  so  ent- 
wickelt waren  wie  beim  Normalen. 

V.  Leonowa  bemerkt  über  ihre  Präparate:  im  Stratum 
zonale  keine  Veränderungen;  in  der  Cappa  cinerea  in  den 
Fällen  i — 5  sind  die  Zellen  weniger  zahlreich  oder  kleiner, 
und  daneben  finden  sich  Neuroblasten,  also  eine  mangelhafte 
Entzuickelung.  In  dem  Falle  6  keine  Angabe,  und  im  7. 
waren  die  Zellen  normal;  im  Stratum  opticum  war  die  mitt- 
lere Schicht  überhaupt  normal  (Fälle  i.  2.  4.  5),  das  ober- 
flächliche Mark  fehlte  (Fälle  i.  2.  4.  5.  7),  und  das  mittlere 
Mark  fehlte  in  drei  Fällen,  war  gut  entwickelt  im  Fall  5. 
Im  Falle  6  fehlen  überhaupt  Angaben.  Stratum  circulare 
war  normal  (Fälle  i — 5.  7)  (6  nicht  untersucht). 

Die  Grundsubstanz  war  normal  in  den  Fällen  i — 3.  7; 
im  4.  und  5.  verändert  (im  6.  fehlt  eine  Angabe). 

In  meinem  Falle  war  die  Grundsubstanz  in  der  Cappa 
cinerea  kaum  verändert,  wahrscheinlich  dagegen  im  Stratum 
opticum. 

Zieht  man  alle  diese  Befunde  in  Betracht,  so  ist  die 
Übereinstimmung  betreffs  der  Zellen  in  der  Cappa  cinerea 
gut;  beide  haben  wir  eine  mangelhafte  Entwickelung  oder 
Atrophie  und  jedenfalls  einen  Ausfall  von  Zellen  gefunden. 
Dessen   ungeachtet   fand  Leonowa  in  4  Fällen  keine  Verän- 

32 


244  S.  E.  RENSCHEN.    PATHOLOGIE  DES  GEHIRNS 


derung,  und  nur  in  2  eine  deutliche  Abweichung  betreffs  der 
Grundsubstanz.  Wenn  man  hier,  wie  Leonowa  sonst  hin- 
sichtlich des  Kniekörpers  will,  aus  dem  Ausfall  der  Zellen 
einen  Schluss  macht,  so  sollen  also  aus  den  Zellen  der  Cappa 
cinerea  Tractusfasern  entspringen,  und  damit  sollte  die  nor- 
male Beschaffenheit  der  Grundsubstanz  übereinstimmen  (in 
4  Fallen  normal,  in  2  aber  nicht). 

Was  das  Stratum  optiaan  betrifft,  so  war  die  mittlere 
Schicht  nach  v.  Leonowa  normal,  nach  meiner  Untersuchung 
verändert.  Nach  v.  Leonowa  sollten  also  hier  keine  Opticus- 
fasern  enden.  Hier  liegen  also  strittige  Thatsachen  vor,  und 
erneuerte  Untersuchung  ist  nöthig. 

Was  die  Schichten  I  und  III,  das  heisst  das  oberfläch- 
liche und  mittlere  Mark,  betrifft,  so  sollen  sie  nach  v.  Leonowa 
fehlen,  nach  meiner  Untersuchung  bestehen  sie,  aber  ein 
Zellenausfall  ist  vorhanden  und  die  übriggebliebenen  Zellen 
sind  weniger  als  normal  entwickelt. 

Die  Grundsubstanz  ist  nach  v.  Leonowa  meistens  normal 
(Fälle  1  und  2  etwas  reducirt,  aber  die  Structur  nicht  ver- 
ändert, 3.  7  normal,  4.  5  verändert  —  6  nicht  beschrieben). 

Es  ist  schwierig,  aus  diesen  Befunden  einen  sicheren 
Schluss  zu  ziehen.  Da  die  Schichten  I  und  III  fehlen,  .so 
sollten  sie  beide  in  direktem  Zusammenhang  mit  dem  Tractus 
stehen,  und  Tractusfasern  daselbst  sowohl  beginnen  wie  enden; 
die  normale  mittlere  Schicht  sollte  dagegen  mit  dem  Tractus 
nichts  zu  thun  haben. 

Nach  meiner  Untersuchung  dagegen  bestehen  alle  Arten 
von  Zellen,  aber  sie  sind  spärlich  und  unentwickelt.  Also 
sollten  auch  aus  diesen  Schichten  Tractusfasern  entspringen; 
eine  Differenz  zwischen  den  verschiedenen  drei  Schichten 
konnte  ich  nicht  mit  Sicherheit  nachweisen. 

Unter  solchen  Umständen  dürfte  es  unmöglich  sein, 
weiter  gehende  Schlüsse  über  den  Zusammenhang  der  opti- 
schen Fasern  mit  den  verschiedenen  Schichten  aus  dem  vor- 
liegenden Materiale  zu  ziehen.  Nur  betreffs  der  Cappa  cinerea 
scheint  Einigkeit  vorhanden  zu  sein,  und  die  Befunde  stützen 
die  Ansicht,  dass  ein  Zusammenhang  zwischen  ihr  und  dem 
Tractus  stattfindet. 

Auch  für  einen  Zusammenhang  mit  dem  Stratum  opticum 
scheint  meine  Untersuchung  zu  sprechen. 

Was  die  übrigen  pathologischen  Beweise  für  und  gegen 
die  eben  ausgesprochenen  Ansichten  betrifft,  hoffe  ich  sie 
einmal  sjDäter  darlegen  zu  können. 

Hinter  hau  13  tslappen. 

Noch  verwickelter  sind  die  Verhältnisse  in  der  Rinde 
des  Occipitallappens,  bezw.  der  Fissura  calcarina. 

In  meinem  Falle  war  das  rechte  Auge  äusserst  ge- 
schrumpft und  maass  in  Durchschnitt  nur  4.5  m.m.,  das  linke 
war  aber  etwas  grösser,  10  m.m.;  dagegen  war  der  rechte  Occi- 
pitallappen  so  geschrumpft,  dass  die  Windungen  kaum  mehr 
erkennbar  waren  und  die  Lage  der  Fissura  calcarina  nicht 
mit  Sicherheit  nachzuweisen  war,  während  der  linke  Occi- 
pitallappen  wenigstens  erkennbar  und  die  Fissura  calcarina 
deutlich  genug  war  (s.  Taf  XI.  Fig.  5). 

Die  mikroskopische  Untersuchung  des  linken  Occipital- 
lappens ergab  Folgendes  (vgl.  oben),  und  auf  der  Taf  XIX 


ist  ein  Versuch  gemacht,  die  Anordnung  und  Form  der  Zellen 
zu  geben.  Die  Bilder  sind  jedoch  etwas  schematisch,  da  nur 
eine  Minderzahl  der  Zellen  abgebildet  ist  (Fig.  1 5  vom  Nor- 
malen, Fig.  16  vom  Blinden). 

Die  Rinde  der  Fissura  calcarina  des  blinden  Idioten  zeich- 
net sich  beim  Vergleich  mit  der  eines  normalen  3-tägigen 
Kindes  durch  folgende  Merkmale  aus. 

Allgemeine  Anordmmg. 

Zuerst  fällt  die  grosse  Unregelmässigkeit  der  Schichten 
beim  Blinden  auf  Die  schöne  Regelmässigkeit  des  Normalen 
mit  den  scharfen  Grenzen  der  Schichten,  welche  parallel  ver- 
laufen, fehlt.  Besonders  ist  dies  der  Fall  hinsichtlich  der 
beim  Normalen  breiten  scharfen  Schicht  der  kleinen  und 
grossen  Pyramiden.  Diese  schöne  Schicht  ist  durch  unregel- 
mässig gestellte,  kürzere  und  längere  Säulen  von  Zellen  mit 
dazwischen  liegenden  Lücken  ersetzt. 

Zellenformcn.  Ein  aligemeiner  Unterschied  ist,  dass 
die  Zellen  in  allen  Schichten  bei  dem  Blinden  nicht  zur 
Form  ausgebildet  sind.  In  den  Pyramiden-ScJnchten  fehlen 
überhaupt  die  Pyramidenfortsätze,  und  die  3-eckige  Basis  mit 
ihren  lateralen  Ausläufern  ist  nicht  ausgeprägt.  Die  Basis 
ist  abgerundet  oder  spitz.  Überhaupt  ist  das  Protoplasma 
sehr  spärlich  oder  ganz  undeutlich  und  nimmt  kaum  Farbe  an. 

In  der  Schicht  VII  sind  dagegen  Zellen  zwar  gross,  jedoch 
ist  die  Form  unentwickelt  urv^  plump;  die  Base  rund  oder  spitz, 
nicht  dreieckig.    Der  Protoplasmamantel  ist  relativ  gross. 

Vergleicht  man  den  Befund  mit  dem  von  v.  Leonowa 
beschriebenen,  so  finde  ich  eine  befriedigende  Übereinstimmung 
hinsichtlich  der  normalen  Rinde.  Ich  konnte  ohne  Schwierig- 
keit die  von  ihr  beschriebenen  8  Schichten  erkennen.  Was 
aber  den  Blinden  betrifft,  so  bestehen  folgende  Differenzen. 

I.  Die  Zellen  in  meinem  Falle  waren  kleiner  und  spär- 
licher. 

II.  Die  Zellen  fehlen  fast  in  dem  oberflächlichen  Ab- 
schnitte beim  Blinden,  v.  L.  rechnet  diese  Partie  der  Epen- 
dymschicht  zu. 

III.  Alle  Zellen  waren  weniger  ausgebildet  in  meinem 

Falle. 

IV.  Nach  V.  L.  fehlt  diese  Schicht,  aber  dem  kann  ich 
nicht  beistimmen.  Unter  der  III.  Schicht  kommt  nämlich 
eine  helle  Schicht  mit  spärlichen  Zellen. 

V.  VI.  Dagegen  fehlt  die  molekidäre  Schicht,  wie  auch 
die  folgende  VI.  Schicht.  Der  breite  helle  Streifen,  welcher 
nach  der  Schicht  III  folgt,  ist  vielleicht  durch  Verschmelzung 
der  Schichten  IV.  V  und  VI  oder  IV  und  VI  gebildet,  und 
nur  die  Schicht  V  ausgefallen.  Jedenfalls  fehlen  die  charak- 
teristischen »molekulären»  Zellen. 

VII.  Diese  Schicht  ist  auftallend  breit,  hat  aber  nur 
ovale,  unentwickelte  Zellen. 

Die  Befunde  stimmen  also  nur  in  gewissen  Hinsichten 
mit  denen  v.  Leonowa's  überin,  und  die  von  ihr  gezogenen 
Schlüsse  scheinen  mir  deshalb  auch  weniger  sicher.  Die 
Hauptdifferenz  zwischen  uns  ist  jedenfalls,  dass  die  Schicht 
IV,  wohin  V.  Leonowa  den  Sehakt  verlegt,  in  meinem  Falle 
nicht  fehlte,  und  dass  die  Körnerschicht  bei  v.  L.  vorhanden 
war;  bei  mir  nicht. 


ÜBER  DIE  VERÄNDERUNGEN  DER  SEHBAHN  BEI  KONGENITALER  AUGEN-ATROPHIE 


245 


Der  Schluss  und  die  ganze  Frage,  in  welche  Schicht 
der  Rinde  der  Sehakt  zu  v^erlegen  sei,  scheint  mir  nocli  ver- 
früht zu  sein.  Wir  brauchen  dazu  noch  viele  neue  Daten, 
und  gewiss  ist  der  Sehakt  ein  so  komplicirter,  dass  man  sich 
nicht  denken  kann,  dass  er  in  nur  einer  Schicht  vollgezogen 
wird.  Dagegen  kann  die  Frage  aufgestellt  werden:  wo  enden 
die  von  den  Zellen  des  Kniekörpers  ausgehenden  Fasern? 

Selbst  für  die  Lösung  dieser  einfachen  Frage  liegen  zur 
Zeit  noch  nicht  sichere  Daten  vor. 


Die  obige  Untersuchung  bestätigt  also  zwar  in  gewissen 
Hinsichten  die  Befunde  v.  Leonowa's,  hat  aber  auch  nach- 
gewiesen 

I.  dass  im  missercii  Kniekörper  eine  wesentliche  Atro- 
phie oder  mangelhafte  Entwickelung  sowie  ein  Schwund, 
besonders  der  grossen  Zellen,  besteht; 


2.  dass  auch  im  Collicubis  anterior  eine  mangelhafte 
Entwickelung  aller  Arten  von  Zellen  vorhanden  ist; 

3.  dass  im  Ptihnnar  die  Zellen  ihrer  normalen  Ent- 
wickelung entbehren ; 

4.  dass  in  der  Rinde  der  Fissiira  calcarina  ausgespro- 
chene Veränderungen  in  allen  Schichten  bestehen,  indem  die 
Zellen  in  allen  Schichten  atrophisch  oder  auf  einer  unent- 
wickelten Stufe  verblieben  sind  und  dass  besonders  die  charak- 
teristischen Zellen  der  molekulären  Schicht  fehlen  und  die 
Schicht  VI  als  besondere  Schicht  fehlt,  wenn  sie  nicht  mit 
der  IV.  zusammengeflossen  ist. 

In  Anbetracht  der  difiusen  Atrophie,  welche  also  über- 
all in  den  subkortikalen  Ganglien  und  in  der  Rinde  der 
Plssura  calcarina  besteht,  scheint  es  mir  nicht  berechtigt,  alle 
diese  Befunde  ausschliesslich  im  Sinne  der  v.  Monakow'schen 
Theorie  zu  deuten. 


TAFEL  XV. 


TAFEL  XV. 


Fall  II.    Eklund.    Gliosarcoma  lobi  parietalis  inferioris  dextri. 
Seite  130. 

Fig.  I.    Die  rechte  Hemisphäre,  laterale  Flache, 
tum.  —  Tumor. 

Fig.  2  —  4.    Frontale  Durchschnitte  resp.  4.  5.  6  c.m.  vor  der  Occipitalspitze. 
A.  —  Ciyrus  angularis. 
C  —      »      centralis  anterior. 
C.  c.  —  Corpus  callosum. 
C  —  Gyrus  centralis  posterior. 
H.  —      »  Hippocampi. 

O',  O",        —  Gyrus  occipitalis  primus,  secundus,  tertius. 
P'.  P-  —  Lobus  parietalis  superior,  inferior. 
.S.  S.  —  Sehstrahlung. 

T',  T-,        —  Gyrus  temporalis  primus,  secundus,  tertius. 
—  Gyrus  occipito-temporalis. 


TAFEL  XVI. 


TAFEL  X\T 


Fall  lo.    Siindelin.    Glioma  lobi  parietalis  dextri  et  adjacent. 
region.    Seite  120. 

Fig.  I.     Fiontalschnitt  9  cm.  vor  dem  Orripitalpole. 

Fig.  2  —  6.     Frontalschnitte  resp.  8.  7.  6.  5.  4  cm.  vor  dem  Occipitalpole. 
A.  —  Gyrus  angularis. 

Qa  QP  —  Gyrus  centralis  anterior,  posterior. 
C.  c.  —  Corpus  callosum. 
C  g.  e.  —  Corpus  geniculatum  externum. 
C.  i.  —  Capsula  interna. 

H.  —  Gyrus  Hippocampi. 
hip.  —  Fissura  » 

I.  —  Insula  Reilii. 

ip.  —  Fissura  intraparietalis. 

L',  L"^,  L"^        Nucleus  lentiformis. 

N.  caud.  —  »  caudatus. 

oc  —  Fissura  calcarina. 

op.  —        »  occipito-parietalis. 

PC.  —  Lobus  paracentralis. 

Prjec.  —  Pra^cuneus. 

Pulv.  —  Pulvinar. 

R.  —  Fissura  Rolandi. 

S.  S.  —  Sehstrahlung. 

Th.  —  Thalamus. 

tum.  —  Tumor. 

II.  —  Tractus  opticus. 


Hensclien  Pathologie  des  Gelnrns 


Tafel 


TAFEL  XVII. 


TAFEL  XVII. 


Flg.  I.  2.  Fall  15.  Eklund.  Gliosarcoma  lobi  parietalis  inferioris 
dextri.    Seite  130. 

Fig.  I.    Frontalschnitt  8  cm.  vor  dem  Orcipitalpole. 

Fig.  2.    Frontalschnitt  9  cm.  vor  dem  Occipitalpole.    Bezeichnungen  s.  Taf.  XV. 
C.  a.  —  Colliculiis  anterior. 
C.  g.  e.  —  Corpus  geniculatum  externuni. 
C.  p.  —  Colliculus  posterior. 
C.  4-gem.  —  Corpus  4-geminum. 
Pulv.  —  Pulvinar. 
Th.  —  Thalamus, 
tum.  —  Tumor. 


Fig.  3.  4.    Fall  12.    Heyden.    Haemorrhagia  cerebri  bilateralis. 
Seite  139. 

Fig.  3.     Frontalschnitt  durcli  den  rechten  Stirnlap])en. 
C.  c  —  Corpus  callosum. 
Cy.  —  Cyste. 

F',  F^,  F'"'  —  Gyrus  frontalis  primus,  secundus,  tertius. 
V.  H.  —  Vorderhorn. 

Fig.  4.    Die  mediale  Fläche  des  linken  Occipitallappens. 
Cun.  ■ —  Cuneus. 
oc  —  Fissura  calcarina. 
op.  —  Fissura  occipito-parietalls  interna. 
Pr£Ec.  —  Praäcuneus. 
Spe.  —  Splenium. 
T"  —  Lobulus  lingualis. 


Fig.  5.  6.  7.    Fall  16.   Hinrichsen.    Haemorrhagia  cerebri,  hemi- 
sphoer.  sinistr.    Seite  173. 

Fig.  5.  6.  7.     Frontalschnitte   durch    die    Ccntralganglien   resp.    lo.  9.  8  cm.    vor  dem 
Occipital])ole. 
^  br.  p.  —  Brachium  posterius. 

C.  a.  —  (Jolliculus  anterior. 

C.  c  —  Corpus  callosum. 

C.  g.  e.  —  Corpus  geniculatum  externum. 

C.  g.  i.  —        »  »  internum. 

C.  Luys.  —  Corpus  Luysii. 

C.  p.  —  Colliculus  posterior. 

Forn.  —  Fornix. 

haem.  —  Hsemorrhagien. 

N.  caud.  —  Nucleus  caudatus. 

N.  i.  —  Nucleus  internus  thalami. 

N.  r.  —  Nucleus  ruber. 

oc  —  Fissura  calcarina. 

op.  —  Fissura  occipito-parietalis. 

Pulv.  —  Pulvinar. 

pr£Ec  —  Pr?ecuneus. 

S.  S.  —  Sehstrahlung. 

Th.  —  Thalamus  opticus. 

Tr.  opt   —  Tractüs  opticus. 


TAFEL  XVIII. 


TAFEL  XVIIL 


Fall  12.    Heyden.    Hoemorrhagia  cerebri  etc.    Seite  139. 

Frontalschnitte  durch  die  Hnkseitigen  Centralganghen.    2  mal  vergrössert. 

Fig.  I.    Durchschnitt  durch  die  Commissura  anterior  und  den  Nucleus  anterior. 

Fig.  2  —  5.    Durchschnitte  durch  den  Thalamus. 

Fig.  6.    Durchsnitt  durch  das  Pulvinar. 

V'\g.  7.    Durchschnitt  etwa  7  cm.  vor  der  Occipitalspitze  und  den  vorderen  Vierhügel. 
Atr.  —  Atrophie. 
C.  a.  —  Commissura  anterior. 
C.  c.  —  Corpus  callosum. 
C.  f.  —  Cohnnna  fornicis. 
C.  g.  e.  —  Corpus  geniculatum  externum. 
C.  g.  i.  —        »  »  internurn. 

Coli.  ant.  —  Colliculus  anterior. 

C.  p.  —  Commissura  posterior. 
Cy.  —  Cyste. 

D.  —  Degenerirtes  Feld. 
Forn.  —  Fornix. 

F.  S.  —  Fossa  Sylvii. 

H.  —  Gyrus  Hippocampi. 

I.  —  Insula. 

L\  L"  —  Corpus  lentiforme  (Cilobus  pallidus). 

Mal.  —  Malacie. 

N.  a.  —  Nucleus  anterior. 

N.  c.  —  Nucleus  caudatus. 

N.  r.  —  Nucleus  ruber. 

Pulv.  —  Pulvinar. 

S.  S.  —  Sehstrahlung. 

—  Gyrus  temporalis  primus. 
Tap.  —  Tapetum. 
Th.  —  Thalamus  opticus. 
Tr.  opt.  —  Tractus  opticus. 
U.  —  Uncus. 
V^'  —  Seitenventrikel. 
Vi'i  —  Dritter  Ventrikel. 
W  —  Wernicke's  Feld. 


Hensclien^  Pathologie  des  Gelurns 


Tafel  XTIir. 


A,  Cleve  delm 


Liih.  W  Schlächter,  StockholTa. 


TAFEL  XIX. 


TAFEL  XIX. 


Fig.  I — 12.    Fall  12.  Heyden.  Haemorrhagia  cerebri  etc.  Seite  139. 

Fig.  I  — 10.  —  Hemisph?era  sinistra.  1.  —  links. 

Fig.  II  — 12.  —  Hemisphcera  dextra.  r.  —  rechts. 

Fig.  I.  2.  —  Nervus  opticus.  kr.  —  gekreuztes  Bündel. 

Fig.  3.  4.  —  Chiasma.  unkr.  —  ungekreuztes  Bündel. 

Fig.  5.  6.  —  Tractus  optici.  atr.  —  Atrophie. 

Fig.  7  —  IG.    Frontalschnitte  durch  die  linke  Hemisphäre  resp.  6.  5.  3  und  1,5  cm.  vor 

der  Occipitalspitze. 

Fig.  II.  12.    Frontalschnitte  durch  die  rechtsseitigen  Centralganglien. 

C.  c.  —  Corpus  callosum.  C.  g.  e.  —  Corpus  geniculatum  externum. 

Col.  f.  —  Columna  fornicis.  C.  p.  —  Commissura  posterior. 

Cun.  —  Cuneus.  Cy.  —  Cyste. 

H.  H.  —  Hinterhorn.  I.  R.  —  Insula-Rinde 

L"^  —  Putamen.  mal  —  Malacie. 

N.  r.  —  Nucleus  ruber.  oc.  —  Fissura  calcarina. 

Pulv.  —  Pulvinar.  S.  S.  —  Sehstrahlung. 

T.  —  Lobulus  lingualis.  Tap.  —  Tapetum. 

Th.  —  Thalamus. 


Fig.  13.    Fall.  16.    Hinrichsen.    Haemorrhagia  in  Thalamo  sini- 
stro.    Seite  173. 


Durchschnitt  durch  den  äusseren  Kniehöcker, 
a.  —  entfärbtes  Feld. 

C.  g.  e.  — •  Corpus  geniculatum  externum. 
hjemor.  —  Haemorrhagia. 
Putam.  —  Putamen  +  i. 
W.  —  Wernicke's  Feld. 


Fig.  14.    Fall  Jan  Andersson.    Haemorrhagia  in  Thalamo  sini- 
stro.    Seite  177. 


Durchschnitt  durch  die  äusseren  und  inneren  Kniehöcker. 
C.  g.  i.  —  Corpus  geniculatum  internum. 
Übrige  Bezeichnungen  wie  in  Fig.  13. 


Fig.  15.  17.    3-tägiges  normales  Kind.    Seite  239. 

Fig.  15.    Durchschnitt   durch  die    Rinde  der   Fissura  calcarina.     loo   mal  vergrössert. 

I  — VIII.    Die  Schichten  der  Rinde. 
Fig.  17.    Zellen  des  Kniehöckers,    a.  die  grossen;  b.  die  kleinen.    Hartn.  Obj.  7. 


Fig.  16.  18.  Fall  23.  Hilda  Carolina.    9-tägiges,  blindgeborenes 
Kind.    Seite  238. 

Fig.  16.  Vertikalschnitt  der  Rinde  der  Fissura  calcarina.     loo-mal  vergrössert.    I — VIII. 

Die  Schichten  der  Rinde. 
Fig.   18.  Die  Zellen  des  äusseren  Kniehöckers,    a.  die  grossen;  b.  die  kleinen.  Hartnack. 

Obj.  7. 

Obs.    Die  Figuren  i6  und  17  sind  zum  Teil  schematisch,  da  nicht  alle  Zellen  der  Schnitte 
abgezeichnet  wurden. 


Henschen  PatMogie  des  Belums. 


TAFEL  XX. 


TAFEL  XX. 

F^all  13.  Esche.  Hoemorrhagia  cerebri,  hemisphaer,  dextr.  Seite  150. 

Fig.  I.    Horizontalschnitt  durch  die  linke  Hirnhälfte. 

Fig.  2 — 4.    Horizontalschnitte  durch  die  rechte  Hirnhälfte.    Fig.  2  der  dorsalste,  Fig.  4 
der  ventralste  Schnitt. 
A.  —  Gyrus  angularis. 

C\  C.  —  Gyrus  centralis  anterior,  posterior 
C.  c.  —  Corpus  callosum. 
C.  i.  —  Capsula  interna. 
Cy.  —  Cyste. 

Degen.  —  Degenerirtes  Feld. 
F^  —  Gyrus  frontalis  tertius. 

H.  —  Gyrus  Hippocampi. 
Haben.  —  Ganglion  habenulie. 

I.  —  Insula. 
mal.  —  Malacie. 
N.  caud.  —  Nucleus  caudatus. 

Fig-  5  ""9-    Frontale  Schnitte  resp.  7.  6.  5.  4.  3.  cm.  nach  mikroskopischen  Weigert'schen 
Präparaten.    Alle  ein  wenig  schematisch  (s,  Text), 
atr.  —  sekundäre  Atrophie  in  der  Sehstrahiung. 
Cun.  —  Cuneus. 
oc.  —  Fissura  calcarina. 
S.  S.  —  Sehstrahlung. 
Tap.  —  Tapetum. 

—  Gyrus  occipito-teniporalis. 
U.  —  Uncus. 


O',  O",  O''.  —  Gyrus  occipitalis  primus,  secundus, 

tertius. 
oc.  —  Fissura  calcarina. 
op.  —  Fissura  occipito-parietalis. 
Operc.  —  Operculum. 
Pulv.  —  Pulvinar. 
T''  —  Lobulus  lingualis. 

T',  T^,  T'^.  —  Gyrus  temporalis  primus,  secundus, 
tertius. 

Th.  —  Thalamus  opticus. 
V.  H.  —  Vorderhorn. 


Hensclien,  Patliologie  des  Gelnrns. 


Tafel 


A.  Cleve  Sc  J.  FredluiicL  delm. 


Lith.  W  Schlachter,  Stochholm. 


TAFEL  XXI. 


TAFEL  XXL 


Fall  13.    Esche.    Haemorrhagia  cerebri.    Seite  150. 

Fig.  I.    Nervi  optici.  kr.  —  gekreutze  Bündel. 

Fig.  2.  3.  Chiasma  nervorum  opticoriim.    unkr.  —  ungekreuzte  Bündel. 
Fig.  4.    Tractus  optici.  atr.  —  Atrophie. 

Fig.'  I — 4.    6  mal  vergrössert.  M.  K.  —  Meynert's  Commissur. 

1.  —  links. 

r.  —  rechts. 

Fig.  5  —  7.    Frontaldurchschnitte  durch  die  linksseitigen  Centralganglien,  im  Gebiete  des 
Tractus  opticus. 

Fig.  8  —  12.    Frontaldurchschnitte  durch  dieselben  Centralganglien,  im  Gebiete  des  äusseren 
Kniehöckers. 

Fig.  13.    Colliculus  anterior  (Corp.  4-gemina). 

Fig.  5  —  13.    2  mab  vergrössert. 

A.  S.  —  Aquteductus  Sylvii. 

C.  a.  —  Colliculus  anterior. 

C.  g.  e.  —  Corpus  geniculatum  externum. 

C.  g.  i.  —      »  »  internum. 

C.  i.  —  Capsula  interna. 

C.  p.  —  Commissura  posterior. 
Cy.  —  Cyste. 

D.  —  Degenerirtes  Feld.  (Bindgewebe.) 
F.  1.  ■ —  Fasciculus  longitudinalis. 

H.  —  Gyrus  Hippocampi. 

Hiem.  —  Haemorrhagie. 

H.  S.  —  Haubenstrahlung. 

N.  c.  —  Nucleus  caudatus. 

N.  r.  — •  Nucleus  ruber. 

S.  S.  —  Sehstrahlung. 

T.  —  Rinde  des  Temporallappens. 

t^  —  Sulcus  temporalis  primus. 

T"  —  Gyrus  tempor.  secundus. 

Th.  —  Thalamus  opticus. 

tr.  —  Tractus  opticus. 

U.  —  üncus. 

V"^  —  Ventriculus  tertius. 

W  —  Wernicke's  Feld. 


Hensclien  Pathologie  des  GeMrns 


Tafel  HI'- 


TAFEL  XXII. 


TAFEL  XXIL 


Fall  i8.    Christina  Jönsson.    Hsemorrhagia  cerebri  bilateralis. 
Seite  184. 

Fig.  I  —  5.    Frontalschnitte  diirrh  die  rechte  Hirnhälfte  resp.  12.  11.  10.  9.  8,5  cm.  vor 
dem  Occipitalpole. 

Fig.  6  —  8.    Frontalschnitte  durch  die  linke  Hirnhälfte  resp.  3.  4.  4,5  cm.  vor  dem  Occi- 
pitalpole. 

C.  a.  —  Commissura  anterior. 

C.  g.  i.  —  Corpus  geniculatum  internum. 

C.  i.  —  Capsula  interna. 

C.  4-gem.  • —  Corpora  4-gemina. 

h.  • —  Fissura  hippocampi. 

hoäm.  —  HEemorrhagie. 

I  —  Insula. 

L\  L'-,  L'^    —  Nucleus  lentiformis. 

mal.  —  Malacie. 

Pulv.  —  Pulvinar. 

S.  —  Fissura  Sylvii. 

Th.  —  Thalanum  opticus. 

II  —  Tractus  opticus. 


TAFEL  XXIII. 


TAFEL  XXIII. 


Fall  19.  Wef.   Sarcoma  cerebri.    Seite  194. 

Fig.  I.    Die  Konvexität  des  Gehirns  mit  der  Geschwulst. 

Fig.  2.     P'rontalschnitt.  3  cm.  vor  dem  Occipitalpole. 
A.  —  Gyrus  angularis. 
Cun.  —  Cuneus. 

G^,  G''  —  Gyrus  centralis  anterior,  posterior. 

F\  F^,  F^  —  Gyrus  frontalis  superior,  medius,  inferior. 

—  Gyrus  occipitalis  superior. 
oc.  —  Fissura  calcarina. 
op.  —  Fissura  occipito-parietalis. 
prtec.  —  Prsecuneus. 

P\        —  Lobus  parietalis  superior,  inferior. 

S.  S.  • —  Sehstrahlung. 

T"*  —  Gyrus  occipito  temporalis. 

T''  —  Lobulus  lingualis. 


TAFEL  XXIV. 


I 


TAFEL  XXIV. 
Fall  ig.    Wef.    Sarcoma  cerebri.    Seite  194. 

Fig.  I.  2.  3.    Frontaldurchschnitte  4.  6.  7  cm.  vor  dem  Occipitalpole. 
Bezeichnungen  wie  in  der  Tafel  XXIII. 
C.  c.  —  Corpus  callosum. 
H.  —  Gyrus  Hippocampi. 
hip.  —  Fissura  Hippocampi. 

T',  T',        —  Gyrus  temporalis  primus,  secundus,  tertius. 


A.  Cleve  delm. 


Lith.W  Schlachter.  StocHiolm. 


TAFEL  XXV. 


TAFEL  XXV. 


Fig.  1-.-4.    Fall  19.    Wef.    Tumor  cerebri.    Seite  194. 

Fig.  I.    Frontalschnitt  9  cm.  vor  der  Occipitalspitze. 

C  —  Gyrus  centralis  anterior;  C  —  Gyrus  centralis  posterior;  Tum.  —  Tumor. 
Fig.  2.    Sagittalschnitt  durch  den  Pons,  die  Medulla  oblongata  und  das  Kleinhirn. 
Fig.  3.    Die  Spitze  des  linken  Occipital-Lappens,  von  hinten. 
Fig.  4.    Frontalschnitt  c:a  1,5  cm.  vor  der  Occipitalspitze. 

a.  —  Narbe. 

Cun.  —  Cuneus. 

Cy.  —  Cyste. 

oc.  —  Fissura  calcarina. 

S.  S.  —  Sehstrahlung. 

T'"*  —  Lobulus  lingualis. 


Fig.  5.  6.    Fall  18.    Kristina  Jönsson.    Hscmorrhagia  cerebri. 
Seite  184. 

Fig.  5.    Frontalschnitt  durch  den  rechten  Occipitallappen,  4  cm.  vor  der  Occipitalspitze. 
f.  1.  —  Fasciculus  longitudinalis.  (Atrophie), 
oc  —  Fissura  calcarina. 
op.  —  Fissura  occipito-parietalis  interna. 
T*  —  Gyrus  occipito-temporalis. 
T''  —  Lobulus  lingualis. 

Fig.  6.    Frontalschnitt  durch  das  Pulvinar  und  die  Kniehöcker. 
C.  c.  —  Corpus  callosum. 
C.  g.  e.  —  Corpus  geniculatum  externum. 
C.  g.  i.  —        »  »  internum. 

Cy.  —  Cyste. 

Pulv.  —  Pulvinar  (degenerirt). 


Fig.  7 — 10.    F'all  17.    Brita  Eriksdotter,  Malacia  Thalami  dextri. 
Seite  179. 

Fig.  7.    Die  Centralganglien,  schräg  von  oben. 

Fig.  8.  9.  IG.    Horizontalschnitte  durch  den  rechten  Thalamus.    Fig.  8.  aus  dem  dor- 
salsten, 9.  aus  dem  mittleren,  10.  aus  dem  ventralen  Teile. 
A.  S.  —  Aquaeductus  Sylvii. 
Coli.  ant.  —  Colliculus  anterior. 
Coli.  post.  —  Colliculus  posterior. 
C.  rad.  —  Corona  radiata. 
Cy.  —  Cyste. 
I.  R.  —  Rinde  der  Insula. 

—  Linsenkörper,  äusseres  und  mittleres  Glied. 
N.  c.  —  Nucleus  caudatus. 
O.  S.  —  Die  occipitale  Strahlung. 
Pulv.  —  Pulvinar. 
Th.  —  Thalamus. 


Hensclien  PatMogie  des  GeMrns 


Tafel  m: 


A  Cleve  de  Im, 


Lith.  W.  Schlächter,  StocHiolm. 


TAFEL  XXVI. 


TAFEL  XXVI. 


Fall  20.    Gustaf  Jansson.    Cystoglioma  cerebri.    Seite  214. 

Fig.  I.    Die  linke  Hajmisphäre  mit  der  (leschwulst  und  der  Kopfschwarte. 

Fig.  2.  3.    Frontaldurcihschnitte,  lo  und  9  c.  m.  vor  dem  Occipitalpole. 
A.  —  Gyrus  angularis. 

Q:i  Qp  —  Gyrus  centralis  anterior,  posterior. 
C.  c.  —  Corpus  callosum. 
C.  i.  —  Capsula  interna. 

F\  F^,  F'^.  —  Gyrus  frontalis  superior,  medius,  inferior. 

I.  —  Insula. 
L.  —  I,ens. 

N.  c.  —  Nucleus  caudatus. 

0\  O^,  O*.  —  Gyrus  occipitalis  primus,  secundus,  tertius. 
P',  P^.  —  Lobus  parietalis  superior,  inferior. 
T\  T-,  T^.  —  Gyrus  temporalis  primus,  secundus,  tertius. 
Th.  —  Thalamus  opticus. 

II.  —  Tractus  opticus. 


Hensclien  Pathologie  des  Gelurns 


IXVI. 


TAFEL  XXVIL 


t 


TAFEL  XXVII. 
Fall  20.    Gustaf  Jansson.    Cystoglioma  cerebri.    Seite  214 

Fig.  1  —  4.    Frontaldurchschnitte  8.  7.  6.  5  cm.  vor  dem .  Occipitalpole. 
Die  Bezeichnungen  wie  auf  der  Tafel  XXVI. 
A.  —  Gyrus  angularis. 
C.  4-gem.  —  Corpus  4-geminum. 
H.  — •  Gyrus  Hippocampi. 
oc.  —  Fissura  calcarina. 
op.  —  Fissura  occipito-parietalis. 
Praic.  —  Prsecuneus. 
Pulv.  —  Pulvinar. 
T*  —  Gyrus  occipito-temporalis. 
—  Lobulus  lingualis. 


Hensclien.  Pathologie  des  Qelurns 


Tatei:xzxrir. 


A.  Cleve  delm 


4-. 

Lüh.  W  Schlächter,  StocHiolm.